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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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XX

Mit Schutzapparaten arbeiteten die Kumpels Tag und Nacht, um die eingestürzten Kohlenbetriebe frei zu buddeln. Mancher grauenhafte Fund erschreckte sie: ein Arm, ein Kopf, ein Fetzen verkohltes Fleisch.
Rutsche um Rutsche wurde freigelegt, die Motoren instand gesetzt, Gleise, Leitungen, Haspeln und Seile ausgebessert.
Der erste Abbauhammer bohrte sich in Kohle. Der zweite. Der dritte.
Eine Maschine schnaubte im Revier. Eine Rutsche rauschte los. Noch eine. Noch eine. Der erste Wagen Kohle. Der zweite. Der dritte. Mehr, mehr - immer mehr.
Dränger musste die neunte Rutsche von neuem aufbauen. Ins fünfte Revier kam ein junger Steiger mit einem spitzen, blassen Gesicht und sehr dürren Gliedern. Das Gegenteil von Schacke, äußerlich wie auch in seiner Art, die Kumpels zu behandeln.
»Ich will mit dem Alten reden, dass er Sie was verdienen lässt, Dränger!« sagte der Steiger, der Bein hieß.
»Es wird doch wieder abgezogen, wenn wir die Bude in Schuss haben!« sagte ein Lehrhauer.
»Ich sorge dafür, dass Ihnen nichts abgezogen wird!« versicherte Bein. Er duldete sogar in den ersten Tagen, dass die Kumpels gemeinsam Pause machten, um zu »buttern«. Er tat noch mehr. Oft setzte er sich zu den Kumpels und unterhielt sich mit ihnen.
Bein scheute sich nicht, über die politischen Vorgänge zu sprechen, was wenige Steiger wagten; denn Böß litt keine Beamten, die mit Kumpels politisierten.
So kam während einer Pause das Gespräch auf die Gedingeregelungen, die stets zum Schaden der Kumpels vorgenommen wurden.
»Geduld!« meinte Bein lächelnd. »Es wird schon anders, wenn wir erst den verwirtschafteten Laden wieder flott haben. Wenn wir den Krieg nicht verloren hätten, brauchten wir gewiss nicht so einzusparen.
Scheck lachte spöttisch, doch Bein sprach unbeirrt weiter: »Lachen Sic nicht, Scheck, Sic dürfen die Geschichte nicht durch Ihre Parteibrille sehen. Dann selbstverständlich erscheint Ihnen alles zu düster und als einzige Lösung ein Umsturz, dessen Folgen Ihren jugendlichen Optimismus sehr ernüchtern würden!«
»Es ist an den Fingern abzuzählen, wohin diese Wirtschaft führt«, unterbrach ihn Scheck, »die Löhne werden gedrückt, dass man mit dem bisschen Brot kaum ausreicht, dafür verdoppeln sich die Profite der Zechenbesitzer. Jeden Monat gehen Hunderte Kumpels mehr stempeln, aber die Generaldirektoren beziehen weiterhin ihre Fünf- und Siebenhunderttausendmarkgehälter. Die werden nicht arbeitslos. Die brauchen in keine Drecklöcher wie in der Ludwigsgasse, wo die arbeitslosen Kumpels von Wanzen angefressen werden!«
»Na, sag ich's nicht?« Bein wandte sich lächelnd zu den Kumpels. »Scheck ist Parteimensch und sieht alles nur schwarz!«
»Seh ich zu schwarz?« entgegnete Scheck, der sich nicht aus der Fassung bringen ließ. »Rosig ist es verdammt nicht, wenn man erst vor kurzem über zweihundert tote und verkrüppelte Kumpels aus dem Loch raus geschleppt hat, deren Schuld es gewiss nicht war, dass sie so elend vernichtet wurden!«
Bein schüttelte den Kopf. »Mit Ihnen lässt sich's schlecht reden, Mann. Ich weiß, dass man Ihrerseits stets versuchen wird, alle Schuld auf die verdammten Kapitalisten zu wälzen, die von alledem nichts wissen und im Grunde genommen ganz harmlose Menschen sind.« Und er setzte ironisch hinzu: »Hängen Sie die Kerle nur getrost weiter, es tut ihnen nicht weh. Die Hauptsache ist, es denken nicht alle wie Sie, sonst hätten wir das richtige Tohuwabohu bald im Gange!«
»Sie sollten eigentlich Jesuitenpater werden!« erwiderte ihm Scheck, den auch die leicht hingeworfenen Worte des Steigers nicht beirren konnten.
Bein geriet in Verlegenheit. Die Kumpels lachten los, denn das mit dem Jesuitenpater gefiel ihnen gut.
Bein sah nach der Uhr, bemerkte, dass es spät geworden war, stand auf und sagte: »Ich bleibe dabei, dass sich alles nur durch Geduld ändern lässt!«
»Und ich«, erwiderte Scheck überlegen, »ich weiß genau, dass die Hungerwirtschaft nur durch den zähen Kampf der Arbeiter zum Teufel gehauen wird, und da helfen Ihre ganzen hübschen Worte nicht, uns eines andern zu überzeugen. Was meint ihr, Kumpels?«
»Aber sicher!« rief Fiedler, der noch im Christlichen Gewerkverein war.
»Was, auch Sie?« fragte Bein unangenehm überrascht.
»Ja, auch ich!« trumpfte Fiedler auf. »Gute Worte helfen nichts mehr, wenn's einem nicht so ergehen soll wie den Kumpels, die wir soeben eingebuddelt haben!«
»Hab ich's ihm nicht gut gegeben?« fragte Fiedler stolz, als sie allein waren.
Dränger war nicht dabei gewesen. Man hatte ihn kurz vor der Pause zu einer anderen Arbeit gerufen, um Rutschen aus einem Bruch herauszuholen. Als er zurückkam, waren die Kumpels in ihren Örtern. Scheck erzählte ihm von der Auseinandersetzung mit Bein.
»Nimm dich vor dem in acht!« warnte Dränger, der schlüpfrigen Menschen, wie der Steiger einer war, nicht traute. Warneck gesellte sich hinzu. »Das ist so einer, der so hintenherum kömmt«, meinte er, »er fängt mit Zuckerbrötchen an und hört mit dem Knüppel auf.«
Auch Fiedler kam herbei gekrochen. »Ich hab ihm genau Bescheid gesagt, das ist so 'n Scheinheiliger. Scheck hat ihn richtig gestempelt, ein Jesuitenpater. Ich kenn die Sorte!«
Oben in einem Loch fluchte Worbas. Dort war es sehr stickig, und er musste öfters heraus, um frische Luft zu schnappen. Worbas war Altverbändler und Regers Parteifreund. Bis zu dem Unglück war mit ihm über die Politik der Verbandsführer nicht zu reden. Er wartete wie viele seinesgleichen auf das Wunder, das die Treiberei in der Grube und die größer werdende Not beheben sollte.
Die Kumpels munkelten, dass Worbas sich mit Reger überworfen hätte. Das hieß schon genug, denn die beiden waren jahrelang unzertrennlich. Worbas getraute sich früher nicht, Reger Vorhaltungen zu machen, bis er das Elend der Frauen und Kinder während der Unglückstage miterleben musste. Sein Junge war mit unter den Schwerverletzten und lag im »Bergmannsheil«. Sein früherer Widerwille gegen alles Arbeiterfeindliche bäumte sich in ihm auf, und er ging Reger an, eine Protestversammlung einzuberufen. Reger lehnte brüsk ab.
Was ihm Worbas darauf vorwarf, wussten wenige. Die wenigen aber erzählten in der Grube, dass es zwischen den beiden zu einer erbitterten Feindschaft gekommen wäre.
Worbas kam in der neunten Rutsche mit Dränger zusammen. Und einmal sprachen sie sich darüber aus. Worbas begann zuerst damit. Er suchte Dränger in seinem Ort auf.
»Mit mir und Reger ist es aus!« erzählte er unsicher.
»Na!« machte Dränger erstaunt.
»Der ist froh, dass er seinen dicken Posten hat!« Worbas spuckte umständlich in die Kohlen.
»Auf einmal?« wunderte sich Dränger. »Es war ja dein engster Freund. Mann, wie ist das denn gekommen?«
»Alles hat seinen Anfang und sein Ende«, entgegnete Worbas finster. Er schob den Kautabak von der rechten nach der linken Mundseite. »Ich kann das auf die Dauer nicht mitmachen!«
Dränger hätte es von Worbas am wenigsten erwartet. »Du wolltest ja früher nichts davon wissen«, sagte er, »es überrascht mich doch ein wenig, dass es so plötzlich kommt!«
»Wir haben uns nach dem Unglück gehabt!« erzählte Worbas. »Ich war dafür, dass wir eine Versammlung machen. Reger wollte sich herausreden. Ich bestand aber drauf, dann kam es. Verrückt wäre ich. Unsinn sei es, die Kumpels noch mehr zu beunruhigen. Darauf hab ich ihm meine Meinung gesagt. Ich bin es leid geworden!«
»Wie lange?« fragte Dränger leichthin.
»Es ist Schluss, sag ich dir!«
»Und was weiter?«
»Ja, was?« Worbas zog die Schultern. »Vorläufig hab ich den ganzen Kram satt!«
»Müde?« Dränger leuchtete ihm mit der Lampe ins Gesicht.
»Das nicht, aber aus dem Gleis!« meinte Worbas. »Es geht mir wie einer alten Karre, die weder vor noch rückwärts kann!«
Dränger nickte verständnisvoll.
»Ich hätt nicht geglaubt, dass es mal soweit kommen würde«, fuhr Worbas fort. »Jetzt weiß ich, dass sie alle keinen Schuss Pulver wert sind!«
»Gut, dass du es jetzt einsiehst!« nahm Dränger das Gespräch wieder auf, als Worbas verdrossen schwieg.
»In dem Dreh finde sich noch einer zurecht!« murrte Worbas.
»Immer links halten, Kumpel!« meinte Dränger. Worbas kämpfte mit sich. »Es ist verdammt nicht so leicht!«
Nein, leicht war es ihm nicht, eine Partei zu verlassen, unter deren Führung er vor dem Kriege begeistert vor die Tore der Zechen gezogen war. In den Streiks neunzehnhundertundfünf und neunzehnhundertundzwölf. Auf der schwarzen Liste stand er, hatte das Opfer gern gebracht. Welche Demütigungen, wenn er um Arbeit fragte!
Er erzählte es Dränger, stockend, voll Unmut, dass es so ganz anders geworden sei. Dass ihn die Disziplin, die er seiner Partei und dem Verband durch Jahrzehnte gehalten, so unfrei und willenlos gemacht habe. Einer der Ärmsten war er und elend, weil die Führer nicht mehr die alten waren. Sie verhandelten. Waren gegen Streiks. Ließen Lohnordnungen gelten, die ihn zum Hungern brachten.
Lang ist es her.
»Komm zu uns Kumpel!« warb Dränger.
»Was wollt ihr denn?« erwiderte Worbas. »Ihr seid zu schwach! Und wieder von vorn anfangen.« Er machte eine wegwerfende Gebärde.
»Wir schwach?« Dränger lachte dröhnend. Er hob sich ein wenig höher. »Wenn wir schwach wären, würde man vor uns keine Angst haben. Aber sie haben Angst, sag ich dir!«
Worbas äußerte Zweifel.
»Nicht?« Drängers Stimme wurde rau. »Dann würden sie uns nicht aus den Verbänden und aus den Betrieben rausschmeißen. Wo sich einer von uns hören lässt, da passen sie auf wie die Hunde. Aber fressen werden sie uns nicht, drauf kannst du dich verlassen!«
Aus einem Kohlenloch lachte ein Kumpel. »Gib es ihm, Dränger, bis er gescheit wird!«
Es war nicht leicht, sich längs des Bruchgesteins an die Kohle hinaufzuarbeiten. Dränger war es überhaupt nicht recht, dass er Ortsältester war; denn er trug für die Arbeit der ganzen Mannschaft die Verantwortung.
Die Kohle kam schwer. Nur mühsam bröckelte man Wagen um Wagen voll heraus, und immer unter Beins Aufsicht, der einen, wenn er auch nicht herumbrüllte wie Schacke, mit seinen Ratschlägen und seinem Dazwischenreden nervös machen konnte. Scheck pumpte Steine um und zog eine Steinmauer vor die Bruchstelle, nachdem der Rest der alten Rutschen geborgen war. Bein lag oft bei ihm und sah zu.
Es vergingen acht Schichten. Steiger Bein kam frühmorgens in die neunte Schicht und sagte, dass Böß die Arbeit befahren werde.
Böß kam um sieben Uhr an. Er sprach sehr freundlich mit den Hauern und gab Ratschläge, wie sie die Rutschen am besten vorwärtstreiben könnten.
Dränger erinnerte den Steiger an sein Versprechen wegen des Lohns. Bein wandte sich an Böß.
»Selbstverständlich wird hier der Lohn so gestellt, dass ihr was verdienen könnt!« erklärte Böß bereitwillig. »Haltet euch nur feste dran, dass Kohle kommt!«
Böß ging fort.
Scheck kroch zu Dränger hin. »Das ist Speck, Kumpel, pass auf, was kommt, wenn wir mit dem Aufhauen fertig sind!«
»Ich glaube, dass er sich durch das Unglück gebessert hat!« sagte Dränger. »Ich glaub es nicht!« sagte Scheck.
Und wieder vergingen acht Schichten. Die Rutsche war durchgebaut.
Steiger Bein kam mit Böß und Benzberg an. Man probierte den Motor aus. Es ging gut. Das Gestein war wohl noch sehr geborsten, aber man hatte das Feld gut ausbauen können, und es bestand keine Gefahr, dass es durchbrach.
»Mann, wie zu Hause, wa«, scherzte Böß und klopfte Dränger auf die Schulter.
»Wenn es wieder so losgeht wie vor dem Unglück, dann ist es in kurzer Zeit derselbe Stall!« brummte Fiedler.
»Wenn Sie Ihre Arbeit einzuteilen wissen, dann haben Sie immer eine feine Arbeit!« erwiderte Böß.
Darauf ließ er die Rutsche in Gang setzen. Er selbst blieb die ganze Schicht im Feld und beobachtete die Hauer, wie sie Kohle schlugen und in die Rutsche schaufelten.
»Wir können es hier ruhig bei dem früheren Gedinge belassen!« sagte er am Schluss der Schicht, als Steiger Bein mit den Hauern aus dem Felde kroch.
»Siehste!« sagte Worbas aufgebracht. »Warum denn nicht gleich Gedingeabzug?«
»Mann, Sie werden mir doch nicht weismachen wollen, dass Sie hier keinen Lohn verdienen?« sagte Böß unwillig. Worbas sah Dränger an. »Hörst es?« »Wir wollen es mal versuchen!« beruhigte Steiger Bein. Die Kumpels kannten solche Versuche schon zur Genüge.

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