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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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XXXII

Auf dem RGObüro schrillte das Telefon fortwährend. Ein Kumpel, den Hörer am Ohr, notierte. Er berichtete den ihn umringenden Kumpels, die atemlos warteten. »Wieder ein Pütt hinzu!«
Rrrrr... Telefon!... Meldung.
Rrrrr... Telefon!... Meldung.
Die Gesichter glühten. Fragen. »Wie viel?«
»Achtzehn!«
Meldung aus dem Recklinghäuser Gebiet: vier Schächte hinzu!
Meldung! Meldung! Meldung!
Kuriere stürzten mit erhitzten Gesichtern herein. Meldung.
Um acht Uhr: dreiunddreißig Schachtanlagen. Ein führender Kumpel des Kampfausschusses: »Sofort zurück in die Orte! Belegschaftsversammlungen mit den
Streikenden! Alles, was streikt, muss auf die Zechen, die noch nicht streiken! Erzwingt Waschkauenversammlungen!«
Vor dem Hause der RGO hingen in Telegrammform die Streikmeldungen. Es war noch früh am Morgen, aber die Aushänge wurden von Neugierigen umdrängt, die mit gespannten Gesichtern lasen.
Gespräche!
Ein Arbeiter: »Dreiunddreißig Schächte, das ist ein Schlag, was!«
Ein Angestellter: »Dreiunddreißig, eine Handvoll nur von über hundert Schächten!«
Arbeiter: »Das sind fünfzigtausend, eine nette Handvoll!«
Ein anderer Arbeiter: »Die anderen Schächte kommen auch noch, warten Sie erst mal ab!«
Der Angestellte: »Das wird schwerfallen!«
Bürger kamen herbei. Ihre Mienen besagten, dass ihnen der Streik ungelegen kam. Sie sahen die Freude der Arbeiter, hörten den Wortwechsel. Eine Hupe schrie. Autos mit Schupos sausten vorüber.
Arbeiter zu den Bürgern: »Da geht's schon wieder auf die Kumpels los!« -
Bürger: »Um Ausschreitungen zu verhindern!«
Arbeiter: »Das kennen wir!« Er zeigte eine Narbe über seiner Stirn. »Von der letzten Demonstration!« sagte er.
Die Bürger wagten nicht, durch Widerspruch zu reizen. In den Augen der Arbeiter lag etwas, was sie vorsichtig machte. Die Stadt bevölkerte sich immer mehr. Kumpels, die ihre Pütts stillgelegt hatten, eilten in Belegschaftsversammlungen. Überall Gruppen im Gespräch über den ausbrechenden Streik. Vor den Toren der bestreikten Zechen blaue Uniformen. Arbeiteransammlungen. Gespräche. Kuriere auf Fahr- und Motorrädern zu dem RGObüro, zurück zu den Zechen.
Meldungen: Im Hamborner Revier Zusammenstöße mit Streikbrechern und Polizei.
In den Straßen marschieren Trupps, Staffeln der Arbeitslosen und Wohlfahrtsempfänger. Sie ziehen vor die Pütts Streikposten stehen.
Dränger und Scheck kamen vom RGObüro zurück.
»Los«, sagte Dränger, zu Schleihmann, wir müssen um zehn Uhr den Saal haben!«
Schleihmann verlangte eine Kaution.
»Du kriegst was mit 'm Hackenstiel, dann hast du eine Kaution«, sagte ein Kumpel grob.
Schleihmann maulte, gab aber den Saal her.
Um zehn Uhr kamen die Kumpels. »Zwei Körbe voll sind eingefahren!« berichtete einer dem Scheck.
»Es sind aber nur die Gelben!« sagte ein anderer.
»Reger hat seine Leute aufgefordert, mit einzufahren!«
Die Spannung stieg. Alle waren neugierig, was die Kumpels der anderen Zechen machten.
Dränger gab Bericht. Scheck erzählte von der Wucht des ersten Vorstoßes der Kumpels. »Erst dreiunddreißig Schachtanlagen, aber es wirkt wie ein Donnerwetter!«
Das machte Freude. Die Kumpels spien in die Hände. »Denn mal los! Alles muss aus dem Loch!«
Ein Kumpel meldete sich zu Wort. »Kumpels, nicht eher in den Dreckpütt, bis wir was erreicht haben! Es war eine verfluchte Schufterei, die wir in unserer Rutsche hatten!«
Er setzte sich, nachdem er angestrengt in die Faust gehustet hatte; er konnte wohl Kohle hauen, aber keine langen Reden halten.
Einer rief laut: »Die Gelben versauen uns ja die ganze Geschichte!«
»Rausholen!« erhob sich Lärm.
Es wurde beschlossen, Streikposten zu stehen.
Die Bergleute begaben sich vor die Zeche und stellten sich dort am Wege auf, um die Kumpels, die mittags einzufahren hatten, vom Einfahren abzuhalten. Böß hatte zum Schutze der Arbeitswilligen Polizei angefordert. Die Polizei kam und trieb die Kumpels, die Streikposten standen, vom Tor fort. Der größte Teil der Mittagsschicht konnte trotzdem zurückgehalten werden, bis auf die Leute, die Böß am
Vormittag durch seine Boten für den Streikbruch geworben hatte.
»He, ihr Schweineknechte!« riefen ihnen die Streikposten nach und spien aus.
Der Lotte, die mit an der Zeche zugegen war, war einer aufgefallen. Der Kerl wollte nicht erkannt werden und hatte sich von ihr abgewandt. Lotte hatte ihn aber doch erkannt, es war der Dinta, mit dem sie drei Jahre zusammen gewirtschaftet hatte. »Na, du verfluchter Hund!«
Ohne Rücksicht auf die Schupo sprang Lotte auf die paar Leute zu, die mit gesenkten Köpfen vorbeigingen, und ergriff den Dinta am Rock. »He, drück dich nur nicht, bist erkannt, du versoffenes Aas!«
»Lass los, verdammte Hure!« brüllte Dinta und riss sich los.
»Hau ihm doch wat auf 'n Kopp!« riefen die Kumpels, die dabeistanden. Sie drängten drohend vor. Die Schupo sperrte rasch hinter dem flüchtenden Dinta ab und machte die Gummiknüppel los.
»Zurück!«
»Nicht hinreißen lassen!« beschwichtigte Dränger die erzürnten Kumpels, obwohl es ihm selbst in den Fäusten juckte.
»Den kauf ich mir alleene!« rief Lotte voll Wut. Sie hatte Dintas versoffenes Gesicht gesehen. Abscheu stieg in ihr hoch. Mit so einem Kerl hatte sie zusammen gelebt. »Pfui!« Sie spuckte laut ihren Ekel aus.
»Hat sich für Schnaps zum Streikbruch kaufen lassen, das stinkige Aas!« schimpfte sie laut und sah dabei zornig auf die Polizei. »Und so 'n Kerl wird in Schutz genommen!«
Den Polizisten war das peinlich, sie wandten Lotte den Rücken zu und stellten sich wieder am Zechentor auf.
Böß hatte die Direktion von dem Streik auf Zeche »Hoffnung« verständigt. Direktor Arisch war aufs höchste empört. Die Direktion beschloss einzugreifen.
Am nächsten Tage sah es vor der Zeche gefährlicher aus. Vor dem Tore standen Polizeiposten. Ein Polizeiauto umkreiste die Zeche. Die Polizisten auf dem Wagen hatten die Kinnriemen herunter. Vorn am Sitz neben dem Führer saß der Leutnant mit nervösen Bewegungen, jeden Augenblick den Kopf zur Mannschaft gedreht.
Innerhalb der Tore der Schachtanlage wurde bewaffnete Feuerwehr bereitgehalten. Die Steiger standen wie beim Ausbruch des Streiks vorn im kleinen Tor an der Markenbude und an der Waschkaue. Böß lief wie ein Kommandeur von Wache zu Wache.
»Jetzt fehlt nur noch Drahtverhau!« sagten die Bergleute.
Die Streikbrecher kamen nicht mehr so zahlreich. Der größte Teil war auf der Zeche geblieben und wurde dort mit Essen und allem Nötigen versorgt.
Dränger hatte Flugblätter mitgebracht. »Die letzte Warnung an die Streikbrecher!« Ein Polizist nahm dem Kumpel, der die Blätter verteilen wollte, den Packen ab und trieb ihn fort. Der Kumpel wollte Einwände machen. Zwei Polizisten sprangen hinzu und nahmen ihn fest.
Die Kumpels drängten näher und forderten Freilassung ihres Kameraden. Die Polizei machte die Gummiknüppel frei und drang auf die erregten Kumpels ein.
»Hooo! Was is nu los?« riefen die Kumpels und versuchten stehenzubleiben.
»Räumen!« kam ein Befehl.
Ein Pfiff. Das Auto raste herbei. Hopp! Die Polizisten waren herunter, verteilten sich über die Straße und rollten auf. Bis in die Kolonie wurden die Kumpels zurückgeprügelt.
Die Frauen steckten die Köpfe zu den Fenstern hinaus und schrien: »Lasst es euch doch nicht gefallen! Nehmt doch Steine!«
»Räumen!« rief der kleine Leutnant, der nervös hinter den Polizisten auf der Straße hin und her sprang.
Warneck fiel, durch einen Schlag getroffen, betäubt in die Knie. Schläge jagten ihn auf.
»Los, laufen Sie!«
»Ich kann doch nicht!«
»Laufen Sie!« Ein Fußtritt traf ihn in die Kniekehle. Warneck stürzte wieder hin, umklammerte im Fallen die Beine seines Verfolgers. Die beiden Körper rollten im wütenden Ringen auf der Erde.
»Los, helft ihm!« schrien Kumpels. Eine Gruppe kehrte um und drang vor. Ein Schuss krachte. Pielka warf die Arme in die Luft und schlug hin.

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