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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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XXVII

Es war der dreiundzwandzigste November. Auf Zeche »Hoffnung« war Lohntag. Steiger Bein brachte die Lohnbücher und Abschlagscheine in die Grube, da beides, Restlohn und Abschlag, vom letzten Monatsdrittel zugleich ausgezahlt wurde.
Warneck besah beim Lampenlicht sein Lohnbuch. »Dat ahnte eck!« rief er empört. Unter der Summe fünfundzwanzig Mark dreißig stand ein blau unterstrichenes »Bleibt schuldig«. Auf dem Vorschussschein hatte er vierzig Mark.
Dränger hatte mehr Glück. Er bekam achtzehn Mark fünfundsiebzig an Lohn heraus; dafür bekam er aber nur fünfunddreißig Mark Abschlag.
Plenge, der bei dem Unglück mit leichteren Brandwunden davongekommen war, war seit vierzehn Tagen wieder eingefahren. Er bekam noch keinen Lohn und nur zwanzig Mark Abschlag.
»Sie konnten mir doch mehr Abschlag schreiben!« wandte sich Plenge erregt an Bein.
»Sie arbeiten ja erst ein paar Tage!« erwiderte Bein.
»Ich habe über zehn Schichten gemacht!«
»Ein Teil muss für die Abzüge verbleiben!« sagte Bein.
»Gottverdammich«, fluchte Plenge, »dann konnten Sie auch noch die zwanzig Mark fressen!«
»Wenn es Ihnen nicht passt, bitte!« meinte Bein und zeigte nach der Sohle hinunter.
»Mehr können Sie auch nicht, als Leute brotlos machen!« grollte Plenge.
»Fördern Sie jetzt Kohle!« herrschte ihn Bein an. »Sonst gehn Sie aus der Rutsche!«
»Du!« Plenge kroch näher zu ihm heran. »Ich bin's satt, sag ich dir!« Seine Hand griff nach dem schweren Hammer.
Bein sah es und nahm seine Lampe. »Plenge, seien Sie vernünftig!« schrie er erschrocken, denn in Plenges Augen brannte die Wut.
»Hunde verfluchte!« keuchte Plenge und warf den Hammer fort. »Treibt es nur weiter so, dann erlebt ihr was!«
Bein kroch fort.
»Wir sind Idioten!« tobte Plenge. »Ich tu keinen Schlag mehr!« Er schleuderte seine Schippe beiseite und kroch zu Dränger hin. »Du, Dränger, wollen wir das alles so hinnehmen, ohne die Fresse aufzumachen?« fragte er wild.
Dränger war es nicht minder satt. Sie beratschlagten. Die Kumpels waren alle unzufrieden. Es bedurfte nur eines Anstoßes, und die zurückgehaltene Empörung brach durch.
»Geh, ruf die Kumpels hierher!« sagte Dränger und ging zu Scheck.
Fiedler, der am nächsten arbeitete, kam zuerst. »Was ist denn los, Dränger?«
»Wir haun die Brocken hin!« sagte Scheck.
»Mach nur keinen Blödsinn!« warnte Raschewski, ein furchtsamer älterer Hauer. »Man kündigt uns alle. Böß wartet ja nur drauf!«
»Willst du denn hier in dem Dreck krepieren?« fragte Plenge.
»Was habt ihr denn?« fragte Worbas, der schwitzig herankam.
»Es muss etwas getan werden«, erklärte Dränger, »das geht auf keinen Fall, dass man uns hier für die Ochsenarbeit mit den paar Mark Abschlag nach Hause schickt!«
»Macht keine Dummheiten, Kumpels!« warnte Raschewski.
»Halt die Fresse!« zürnte Plenge. »Wenn du für das Geld schuften willst, dann schufte, aber nicht hier! Hier wird erst Ordnung gemacht!«
»Ihr macht gar nichts!« mischte sich Pielka ein. »Was wollt ihr denn anfangen? Streiken? Na, einer macht mit, der andere nicht, schon ist die Karre aus!«
Sie umringten Dränger und Scheck. »Was meint ihr? Mit den paar Mann schaffen wir genau nichts!«
»Wenn wir sofort zupacken, ja!« erklärte Scheck.
»Gehst du mal nach der zwölften Rutsche?« wandte sich Dränger zu Plenge.
Plenge nahm seine Lampe und kroch hinauf.
»Wenn die anderen Kumpels mit einverstanden sind, dann bin ich dafür, dass wir die Brocken hinhauen!« sagte Warneck.
Worbas saß stillschweigend da. Er hatte Bedenken.
»Was meinst du, Worbas?« fragte Dränger.
»Es ist mir nicht recht, wenn die ganze Belegschaft nicht hinter uns steht«, sagte Worbas, wurde aber von Fiedler brüsk unterbrochen: »Einer muss doch anfangen!«
»Meinetwegen!« sagte Worbas.
Sie warteten, bis Plenge zurückkam. Plenge hatte die zwölfte und die achte Rutsche rebellisch gemacht. Die Kumpels machten mit, wenn die neunte Rutsche streikte.
»Entschließt euch!« sagte Dränger.
Sie beschlossen, den nächsten Tag zu streiken.
Ein verzweifelter Entschluss, aber es musste was unternommen werden. Auf der Mittagsschicht hatte sich ein Lehrhauer durch das Treiben des Steigers schwer verletzt, ein Bein gebrochen und den Schädel an mehreren Stellen aufgeschlagen.
Am Schacht bei der Seilfahrt fanden kurze Besprechungen der Kumpels statt. Auch unterwegs im Querschlag und bis vor die Gezähekisten. Die Hauer schüttelten die Köpfe. »Es gelingt nicht! Wenn alle mitmachten, dann wohl!«
Es war schwer, sie zu überzeugen. Die von der Rutsche zwölf, Rutsche acht und ein Teil der Rutsche sechs sagten, wenn auch mit einiger Scheu, zu, einen Versuch zu machen.
Es wurde vereinbart, vor Ort zu gehen, aber keine Schippe und Lufthacke anzurühren.
Bein wartete unten in der Förderstrecke, sah' empört auf seine Uhr, weil plötzlich eine Rutsche nach der anderen zu fördern aufhörte.
»Verfluchte Schweine!« Mit einigen Sätzen war er im zweiten Bremsberg und schoss in die neunte Rutsche hinein. »Was ist hier los? Warum geht die Rutsche nicht?«
Er sah verbissene Gesichter.
»Los, die Rutsche in Gang!« brüllte er und schlug gegen die Leitung. Die Rutsche stand. »Was fällt euch ein?« Er begriff nicht, stierte den Hauer an. »Was ist los?« -
»Zu wenig Gedinge!« rief ihm einer von unten zu.
»Was? Wer hat das gerufen?«
»Wir sind die Dreckmaloche satt!« -
Bein rutschte hinunter und suchte den, der das gerufen hatte. Die Hauer saßen überall untätig. Er merkte endlich, was los war, und bekam Angst wegen des Förderausfalls. »Los doch, zum Donnerwetter! Geht an die Kohle! Ich will mir wegen euch nicht die Fieppen geben lassen!«
»Wenn das Gedinge anders gestellt ist und die Treiberei aufhört!« meldete sich Scheck, der schon vorhin die Zurufe gemacht hatte.
»Ach so, Sie sind's!« Bein riss sein Buch aus der Tasche. »Sie haben mir die Geschichte angedreht?« Er schrieb einen Wisch, riss ihn aus dem Buch, reichte ihn Scheck hin und brüllte: »Raus aus der Rutsche!«
»Deshalb geht die Förderung noch immer nicht rund!« rief einer von oben.
Bein stierte mit erhobenem Licht hin.
Der Muralla kam schwitzig und ohne Atem von unten. »Rutsche sechs streikt!«
»Was?«
»Die Kumpels fördern nicht!« Bein erstickte fast vor Wut. »Sie sind ein Narr!« »Was soll ich denn tun, wenn sie nicht anfangen?« wehrte sich Muralla.
Bein rannte davon. Muralla hinterher. Die Hauer in den Örtern lachten und krochen zueinander.

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