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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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Frau Ragnitzki, die von ihrem Fenster aus sehen konnte, wenn der Wohnungsverwalter zu Marie ging, beschloss, der Geschichte ein Ende zu bereiten. Sie wusste, wann Plaschewski nach Hause kam, und wollte ihm auflauern, um ihm einen Wink zu geben.
Plaschewski arbeitete in Horst und kam nur einmal in der Woche heim.
Es war der Tag, an dem Plaschewski nach Hause kommen musste, und Frau Ragnitzki lag jeden Augenblick am Fenster. Auch ihr Fritz hatte den Auftrag, aufzupassen, wenn Plaschewski kam, und es ihr sofort mitzuteilen.
Auf diese Art erwischte sie Plaschewski. Sie rief ihn in ihre Wohnung. »Wie geht's denn, Plaschewski?« begann sie, um über ihre erste Verlegenheit hinwegzukommen. »Es ist doch nichts, die Familie hier und Sie draußen unter fremden Leuten, nich wahr? Oder fühlen Sie sich dabei wohl?«
»Was soll ich denn anders anfangen?« erwiderte Plaschewski, ein großer, breitschultriger Mann in den dreißiger Jahren. »Ich kann froh sein, dass ich noch Arbeit hab!«
»Stimmt schon, aber die Umstände, die dabei sind«, Frau Ragnitzki hustete in die Faust, »immer die ganze Woche aus dem Haus, nee, mein ich, das wär nichts!«
Plaschewski zog die Schultern hoch. »Es ist einmal so! Was kann man dran ändern?«
»Mein Gott, ich halt Sie ja nur unnütz auf, was?« wurde Frau Ragnitzki ängstlich, denn Plaschewski griff nach der Türklinke. »Ich will Sie um Himmels willen nicht aufhalten, ich wollte Ihnen nur sagen, wenn ich auch weiß, dass Ihre Frau eine grundanständige Person ist, passen Sic trotzdem auf, denn das Biest, der Wohnungsverwalter, ist arg hinter ihr her!«
Plaschewski sah Frau Ragnitzki an, lachte einfältig. »Blödsinn reden Sie! Ich kenn meine Frau!«
»Ja, Plaschewski«, sagte die Ragnitzki eindringlich, »fragen Sie nur die anderen Frauen.«
Plaschewski stierte sie unschlüssig an. »Macht doch keinen Quatsch!«
»Plaschewski, wir haben's doch gesehn«, beteuerte sie und schlug sich gleich darauf mit der flachen Hand vor den Mund. »Mein Gott, was man nicht alles plappert; es geht mich im Grunde genommen auch nichts an. Es ist ja nur Ihre Sache, und darüber können Sie ja denken, wie Sie wollen...« Sie kniff die Augen zu und überprüfte die Wirkung des Gesagten an seinem Gesicht.
Plaschewskis Stirn furchte sich. »Ich bring euch vor Gericht!« warnte er.
»Aber, mein Gott, ich red doch nur das, was ich mit offenen Augen gesehn und vor Gericht beschwören könnte, Plaschewski. Der Kerl geht zu Ihrer Frau!« beteuerte sie beleidigt.
Plaschewski stand da und kaute an einer schweren Erregung.
»Alle in der Straße wissen's doch schon«, beschwor ihn Frau Ragnitzki, »der Hund hat sie einfach dazu überredet, sag ich, nichts anders, sie ist ja sonst eine grundanständige Frau...«
»Wann haben Sie ihn denn schon in meiner Wohnung gesehn?« fragte Plaschewski zwischen den Zähnen. Seine Augen bekamen ein gefährliches Feuer.
»Oft, Plaschewski, fast jeden Abend!«
»Ich fress es nicht!« Plaschewski knirschte. »Ich glaub das einfach nicht!«
»Ich will sofort tot umfallen, wenn ich lüg!« Frau Ragnitzki schlug sich mit der dicken Rechten gegen ihre Brust.
Plaschewski verzog die breiten Schultern wie unter einem scharfen inneren Schmerz, stand noch eine Weile niedergeschmettert da und ging dann mit einem hässlichen Fluch zur Tür hin. »Wenn's wahr ist, dann kann er sich auf etwas gefasst machen! Ich mach ihn kalt!«
Als er draußen war, bekam es Frau Ragnitzki mit der Angst zu tun. Sie lief schnell zu Jarzacks hin und erzählte, um sich die Beklemmung von ihrem Herzen fortzureden:
»Wissen Sie's schon, der Plaschewski war bei mir soeben. Er weiß schon von der Geschichte!«
»Soo«, Frau Jarzack sah die Dicke erschrocken an, »er weiß es? Dann gibt dat 'nen Stunk!«
»Er macht den Kerl kaputt!«
»Wer hat's ihm erzählt?« fragte die Jarzack neugierig, doch mit einem inneren Schauder. Die Ragnitzki bog sich vor und flüsterte. »Ich hab's ihm gesagt, Frau Jarzack, ich kann es nicht länger mehr mit ansehn!«
»Er hätt es doch erfahren!« beruhigte Frau Jarzack.
»Aber sicher hätt er's erfahren!« Die Ragnitzki atmete auf.
... Plaschewski kam heim. Unterwegs hatte er sich zurechtgelegt, was er machen wollte. Er verriet noch nichts, obwohl es in ihm wühlte. Frau Plaschewski empfing ihn ein wenig unsicher. Er merkte es, blieb aber ruhig und aß das vorgesetzte Abendessen. Dann zog er sich an und ging zu Kreibel.
Sonntagabend fuhr er sonst immer ab. Auch diesmal packte er reine Wäsche ein, nahm das Nötige für die Woche mit, die er ausbleiben sollte, und verließ die Wohnung.
Nach einem Umweg kam er wieder in die Kolonie zurück und begab sich zu Christian Gruba, einem ehemaligen Kumpel, mit dem er im Pütt zusammen gearbeitet hatte. »Kann ich heute bei dir bleiben?« fragte er Gruba.
»Wie, hat dich die Alte rausgeschmissen?« lachte Gruba.
»Das nicht«, erwiderte Plaschewski zögernd, »ich muss hier noch bleiben, Christian. Frag nicht, warum!«
»Bist ein komischer Mensch«, sagte Gruba, »meinetwegen kannst hier pennen!«
Montagabend kroch Plaschewski zu seiner Wohnung hin und überstieg den Gartenzaun. Er verbarg sich in seinem Stall. Wartete. Die Nacht verging, es kam niemand. Plaschewski glaubte, Frau Ragnitzki hätte ihn angelogen, und wollte abfahren. Er überlegte hin und her und beschloss, noch eine Nacht zu warten. Auch die nächste Nacht verbrachte er in dem Stall. Es geschah nichts.
Gruba schüttelte den Kopf, denn Plaschewski machte einen sehr finsteren Eindruck und war recht wortkarg.
Mittwochabend begab sich Plaschewski wieder in den Stall. Stunde um Stunde verging. Er verfluchte sich schon wegen seiner Blödheit, auf der Ragnitzki Geschwätz gehört zu haben, und war im Begriff, aus dem Stall zu kriechen und seine Frau wachzuklopfen, da hörte er Schritte.
Die Schritte verhielten vor dem Haus. Es stieg ihm heiß in den Kopf. Dann klopfte jemand gegen die Scheiben. Das war vor seiner Wohnung. Eine Raserei befiel ihn, und er wollte hinausspringen und sich auf den Mann stürzen. Mit Gewalt beherrschte er sich, fühlte im Dunkel um sich, fand ein altes Grubenbeil und steckte es zu sich. Draußen klopfte es noch immer. »Marie!« hörte er rufen.
Plaschewski war halb irrsinnig vor Wut und Eifersucht. Ein Fenster ging auf. »Ich schlaf doch schon!« hörte er seine Frau.
»Also doch!« Er umkrampfte mit der Faust das Beil, wäre am liebsten hinausgesprungen, hätte brüllen können wie ein Vieh. Da hörte er, dass die Tür geöffnet wurde. »Mein Gott, Sie bringen mich noch einmal in Unannehmlichkeiten!« hörte er die zitternde Stimme seiner Frau. Der Mann lachte und schob sich in die Wohnung.
Nun war es mit der Geduld aus. Plaschewski kroch aus dem Stall und schlich geduckt bis unter das Küchenfenster hin. Erkletterte dort vorsichtig einen Mauervorsprung und sah zwischen den Gardinen in die Küche hinein. Es war der Wohnungsverwalter. Heiß brannte es in seinem Kopf. Eine Schwäche befiel Plaschewski, und er hielt sich mit den Nägeln festgekrallt, um nicht hinunterzustürzen. Seine Augen stierten hinein - er sah, wie sich nach einem kurzen Widerstand seine Frau gegen den Küchenschrank drängen ließ, daraufhin bis zum Sofa. Sah, wie sie sich hinlegte, wie der betrunkene Brand ihre Röcke hochschürzte.
Seine bebenden Hände zogen das Grubenbeil unterm Rock hervor. In der Küche hörte er das Keuchen des Mannes, sah er die Beine seiner Frau, entblößt. - Er schlug in der aufsteigenden Raserei zu. Das Fenster zerbrach Stück um Stück. Drinnen die beiden waren wie erstarrt. Waren aufgesprungen und konnten vor Entsetzen keinen Schritt tun. Durch das Fenster erschien das unheildrohende Gesicht des zum Wahnsinn aufgestachelten Plaschewski. Der Körper schob sich nach.
»Herrgott!« schrillte Frau Plaschewskis Stimme. »Mein Mann!«
Der Wohnungsverwalter kam zu sich und machte einen Satz zur Tür. Wie ein Tier sprang Plaschewski hinterher und schlug mit dem Beil blind drauflos.
Brand fiel zu Boden. Das Beil vergrub sich noch einmal in seinem Schädel. Frau Plaschewski kreischte auf und brach ohnmächtig zusammen. In der Kammer begannen die Kinder zu schreien. Plaschewski wandte sich, das blutige Beil in der Faust, von dem Wohnungsverwalter ab und stierte seine Frau an, dann die Kinder, die aus der Kammer hervorkamen.
In der Straße erscholl Geschrei. Die Nachbarn stürzten aus ihren Wohnungen, nur halb bekleidet, und rannten herbei. Einige erkletterten das Fenster und sahen hinein.
»Der Plaschewski hat den Brand erschlagen!« ging es einige Minuten darauf in der ganzen Kolonie rund.

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