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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Endlich Erfolge im Kampf um die Wiederaufnahme

Mit aller Energie versuchte ich auch vom Groß-Strehlitzer Kerker aus die Wiederaufnahme meines Prozesses in Gang zu bringen. Ich hatte bereits im Jahre 1922 ohne Unterstützung eines Anwaltes einen Wiederaufnahmeantrag beim Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik eingereicht. Er wurde zwar abgelehnt, hat aber doch einen wesentlichen Erfolg gezeitigt: der Staatsgerichtshof anerkannte prinzipiell, dass trotz meiner Verurteilung wegen zahlreicher Delikte (Hochverrat, Sprengstoff-Attentate, Widerstand gegen die Staatsgewalt u. a.) ein Angriff gegen das Sondergerichtsurteil, der sich lediglich gegen die Verurteilung wegen des an dem Gutsbesitzer Heß angeblich von mir verübten Totschlags richtete, zulässig sei. Die anderen Teile des mehr als 30 Schreibmaschinenseiten umfassenden Urteils anzufechten, hatte ich gar keine Veranlassung. Zwar bin ich in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen für andere, die ich nicht preisgeben wollte, verurteilt worden. Dabei handelte es sich aber ausnahmslos um so genannte politische Vergehen. Mein Standpunkt ist, dass ein angeklagter Revolutionär ein paar Jahre Einkerkerung ohne Jammern in Kauf nehmen muss. Mir kam es nur darauf an, nachzuweisen, dass das mir angehängte so genannte gemeine Verbrechen dazu dienen sollte, mich lebenslänglich hinter Kerkermauern zu begraben und die Revolutionäre in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen. Es war mir klar, dass ich meinen Kampf gegen das Fehlurteil, der von der Roten Hilfe sowie von meiner Partei und Tausenden von Arbeitern tatkräftig unterstützt wurde, nicht ohne einen geschickten Anwalt erfolgreich durchführen konnte. Mit meinen bisherigen Verteidigern hatte ich wegen grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten - mit Hegewisch wegen eines privaten Konfliktes - brechen müssen. Zu meinem oft scharfen Vorgehen gegen die Anwälte und manche Freunde veranlasste mich in der Hauptsache die Überzeugung, dass der Kampf um die Wiederaufnahme von großer prinzipieller Bedeutung war. An einem so krassen Fall wie dem meinen konnte der politischen Justiz die Maske vom Gesicht gerissen werden. Zugleich sollte die Zähigkeit, mit der ich aus der Zuchthauszelle heraus den Kampf betrieb, meinen zahlreichen Genossen, die gleich mir in Zuchthäusern und Gefängnissen verkümmerten, ein Beispiel geben.
Die erste wirksame Hilfe fand ich bei dem Genossen Arthur Dombrowski, der nach seiner Freilassung aus dem Breslauer Gefängnis mit außerordentlichem Geschick und unermüdlichem Fleiß verschiedenen Spuren nachging.
Nachdem seine Ermittlungen überraschend wertvolles Material zutage förderten, nahmen sich auch die Partei und die Rote Hilfe, vor allem aber ihr Leiter, Jakob Schlör, mit großem Nachdruck meiner Wiederaufnahmesache an.
Aber immer noch fehlte der geeignete Anwalt. Ich hatte meinen Freund Egon Erwin Kisch gebeten, einen energischen Anwalt ausfindig zu machen, der die Wiederaufnahmeangelegenheit endlich ins Rollen bringe. Kisch schlug den Rechtsanwalt Dr. Apfel vor. Ich ging auf seinen Vorschlag ein, und die Rote Hilfe übertrug ihm auf meinen Wunsch das Mandat. Dr. Apfel nahm sofort die Nachforschungen auf. Er bereiste das ganze Gebiet des mitteldeutschen Aufstandes, Ort für Ort, prüfte die Ermittlungen des Genossen Dombrowski mit der juristischen Lupe nach, verschaffte sich ein Bild von allen in Betracht kommenden Personen und brachte schließlich, nachdem er etwa hundert Aktenbände anderer mit dem mitteldeutschen Aufstand zusammenhängender Prozesse durchstudiert und Auszüge daraus gemacht hatte, ein überwältigendes Material zusammen. Meine Genugtuung hierüber wurde nur durch den Gedanken getrübt, dass diese Arbeit zum größten Teil schon ein paar Jahre vorher hätte geleistet werden können. Mein neuer Verteidiger, der einer bürgerlichen Partei angehörte und deshalb bis zum Schluss dem größten Misstrauen vieler führender Parteigenossen begegnete, behandelte meinen Fall als reinen Rechtsfall. Auf meine Bedingung, die Verteidigung und die publizistische Aufrollung so zu führen, dass meine politischen und sozialen Ansichten in keiner Weise entstellt werden, ging er bereitwilligst ein. Durch gute Beziehungen gelang es ihm, die maßgebenden deutschen Zeitungen für meinen Fall zu interessieren, obgleich sie mich früher als »Bürgerschreck« in Grund und Boden verdammt hatten.
Es wurde ein »Neutrales Komitee« gebildet, dem sich Männer wie Thomas und Heinrich Mann, Stefan Zweig, Rudolf G. Binding, Dr. Emanuel Lasker, Prof. Albert Einstein, Freiherr von Schoenaich, Prof. Carl Grünberg und Prof. Dessauer (M. d. R.), kurz: Angehörige fast aller politischen Parteien anschlossen und dessen Aufrufe und Kundgebungen deshalb besonders eindrucksvoll waren, weil darunter nicht nur die Namen bekannter linksstehender Vertreter von Kunst und Literatur zu finden waren, sondern auch die Unterschriften solcher Personen, wie sie unter derartigen Dokumenten sonst nie zu stehen pflegen, nämlich von Rechtsanwälten, Universitätsprofessoren aller Fakultäten, Bankdirektoren und selbst Industriellen. Mit großem taktischem Geschick verstand es der Verteidiger, die immer wachsende Schar jener Intellektuellen und Kaufleute zusammenzuhalten, die sich ein Gewissen bewahrt haben, aber offenbar noch immer an der demokratischen Illusion festhalten, im bürgerlichen Staat müsse sich Recht mit Gerechtigkeit decken, und die daher das Fehlurteil im Falle Heß öffentlich als Justizschande bezeichneten.
Neben der publizistischen Arbeit leistete Dr. Apfel eine gewaltige juristische Kleinarbeit, die noch dadurch gefördert wurde, dass er die gro­ßen theoretischen Kenntnisse Felix Halles und die wertvollen Erfahrungen Dr. Kurt Rosenfelds, der sich, wie so oft, auch in diesem Falle in uneigennütziger Weise zur Verfügung stellte, mit seinen Fähigkeiten zu verbinden wusste. Meine Verteidigung verlor auch nicht den Mut, als die Hallenser Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Friehe, der sich selbst als Täter im Falle Heß bezichtigt hatte, einstellte und nicht nur die Öffentlichkeit, sondern sogar meine Freunde das Wiederaufnahmeverfahren für erledigt hielten. Ich persönlich hatte das umfangreiche Werk des bekannten Strafverteidigers Dr. Max Alsberg »Justizirrtum und Wiederaufnahme« mehrmals durchgearbeitet und glaubte daher von Anfang an nicht an eine neue Hauptverhandlung. Das Buch gehörte zu meiner Bibliothek, die ich bei mir in der Zelle hatte, und ich erfuhr daraus, dass es fast unüberwindliche formaljuristische Schwierigkeiten gibt, die einer Wiederaufnahme des Prozesses selbst dann noch im Wege stehen, wenn das Entlastungsmaterial unangreifbar ist. Trotzdem gab ich aus politischen Gründen den Kampf nicht auf.
Eine Bresche in das Fehlurteil hatte bereits die in fünfzigtausend Exemplaren verbreitete Broschüre Erich Mühsams »Gerechtigkeit für Max Hoelz«, die die Rote Hilfe herausgab, geschlagen.
Und nunmehr setzten sich Arthur Holitscher, Egon Erwin Kisch, Ernst Toller, Armin T. Wegner und andere Mitglieder des Neutralen Komitees in Zeitungsartikeln und Kundgebungen für die Wiederaufnahme des Prozesses ein. Egon Erwin Kisch gab im Erich Reiß-Verlag meine durch ihn gesammelten »Zuchthausbriefe« heraus sowie im Mopr-Verlag die Broschüre »7 Jahre Justizskandal«.
Im Sommer 1927 besuchte mich Dr. Apfel im Groß-Strehlitzer Zuchthaus und brachte den - inzwischen leider verstorbenen - Mitarbeiter der »Vossischen Zeitung« Sling mit. Dieser bürgerliche Journalist wurde mir ein aufrichtiger Freund, den ich besonders schätzte, weil er sich nicht nur für mich einsetzte, sondern für jeden Menschen, der unter das Fallbeil der Justiz geraten war.
Die Artikel von Sling in der »Vossischen Zeitung« erregten größtes Aufsehen und trugen viel dazu bei, dass in weiten Kreisen das Interesse für meinen Rechtskampf geweckt wurde. Bald darauf führte mir Dr. Apfel den Juristen und Journalisten Rudolf Olden zu, der - wie Sling - meinen Rechtskampf publizistisch unterstützte und den ich genau wie jenen als einen ehrlichen bürgerlichen Gegner und lieben Menschen schätzen und achten lernte. Er hatte keine Sympathie für meine Partei und die kommunistische Bewegung, aber er versuchte in seiner Weise gegen offensichtliche Justizirrtümer und Justizmorde zu kämpfen. Meine Freunde in der Freiheit und zum Teil auch meine Genossen im Kerker, die von meiner Wertschätzung für Sling, Olden, Holitscher, Toller, A. T. Wegner u. a. wussten, bezeichneten das als krankhafte Neigung zu bürgerlichen Intellektuellen, die mich den Arbeitern entfremden müsse. Ihre Sorge war unberechtigt. Ich vertrete den Standpunkt, dass es taktisch unklug und auch unkommunistisch ist, jeden Intellektuellen als einen bürgerlichen Feind zu betrachten und zu behandeln. Wir wollen Menschen für unsere Bewegung zu gewinnen oder zumindest dafür zu interessieren versuchen, nicht aber uns gegen sie abschließen und sie abstoßen.
Der von Dr. Apfel und Felix Halle gemeinsam ausgearbeitete Wiederaufnahmeantrag wurde von dem Mopr-Verlag der Roten Hilfe in Tausenden von Exemplaren gedruckt und an die Abgeordneten der Parlamente sowie an bekannte Juristen geschickt. Das Original wurde beim Reichsgericht eingereicht und zeitigte den Erfolg, dass der Oberreichsanwalt in seinem Gutachten an den vierten Strafsenat die Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärte.

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