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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Zum ersten Mal im Gefängnis - Genossen befreien mich

Nach Beendigung des Kursus besuchte ich meine Angehörigen in Ilten bei Hannover. Hier wurde ich durch die Gendarmerie verhaftet. Ich hatte mich in einem kleinen Waldhäuschen einquartiert, das weitab vom Dorf lag, und dort holten mich in aller Frühe zwei Gendarmen heraus. Sie waren so besorgt um die Kopfprämie von fünftausend Mark, dass sie mir sofort den Revolver auf die Stirn setzten, denn sie wollten den Kerl lieber tot fangen als ihn entlaufen lassen. Ich wurde gefesselt und in das Kreisgefängnis Burgsdorf bei Hannover gebracht. Man sagte mir, dass ich in den nächsten Tagen nach Plauen transportiert und dort abgeurteilt werden solle.
Ich war mir darüber klar, dass ich aus Plauen nicht so leicht wieder freikommen würde. Deshalb entwarf ich sofort einen Befreiungsplan und versuchte, die Beamten dafür zu gewinnen; sie lehnten ab. Nun schmuggelte ich durch meine Frau an meine Freunde im Vogtland einen Brief mit einem genauen Befreiungsplan.
Auf die Minute pünktlich trafen etwa fünf Mann in Burgdorf ein, einige ganz waghalsige Genossen, die sich zur Durchführung des schwierigen Planes einen wegen seiner Tapferkeit bekannten Wilddieb mitgenommen hatten. Gegen 12 Uhr nachts sollten drei von den Leuten an die Gefängnispforte herangehen, und zwar zwei in etwas besserer Kleidung, der eine mit einer Militärmütze; der dritte mit einem vollen Rucksack auf dem Rücken, schäbig gekleidet und ohne Mütze. Der Mann mit dem Rucksack sollte einen aufgelesenen Landstreicher markieren, die zwei anderen Hilfsgendarmen, die ihn arretiert haben. Zwei weitere Genossen sollten sich im Dunkeln verborgen halten und auf ein Signal warten.
Der mit der Militärmütze klingelte gegen Mitternacht an der Gefängnispforte, und als nach seinem Begehr gefragt wurde, erwiderte er: »Ich bin Hilfsgendarm Müller und bringe einen Arrestanten.« Zwei Beamte öffneten die Tür nur einen Spalt breit, um zu erkunden, was los sei. Die Genossen klemmten die Füße zwischen die Tür, stießen sie weit auf, und einer bemächtigte sich der Gefängnisschlüssel, die anderen fesselten die Beamten.
Den ganzen Abend hatte ich vollständig angekleidet auf meiner Pritsche gelegen und mit klopfendem Herzen auf ein Signal gewartet. Plötzlich gegen neun Uhr, es war schon dunkel geworden, hörte ich ein sägendes Geräusch dicht bei meinem Zellenfenster. Ich war bestürzt; im ersten Moment glaubte ich, die Genossen seien auf den irrsinnigen Gedanken gekommen, mich auf diese Weise zu befreien. Das hätte meinen ganzen Plan über den Haufen geworfen. Das Geräusch verstärkte sich, und ich bemerkte endlich, dass es mein Zellennachbar war, der einen Ausbruch versuchte. Er sägte und sägte mit unermüdlichem zähem Eifer, und je länger er sägte, desto weniger ließ er sich durch das starke Geräusch stören, das seine Arbeit hervorrief.
Ich wünschte, dass seine Flucht gelänge. Zugleich aber hatte ich Angst, sein Sägen werde die Nachtwache aufmerksam machen, und dadurch könne meine Flucht ins Wasser fallen. Der Mann sägte mit ganz kurzen Unterbrechungen bis gegen Mitternacht. Plötzlich ging ein ohrenbetäubendes Lärmen los. Ich hörte Rufe und Schreie, Türenwerfen, Fenster klirren und Schüsse fallen.
Mit einem lauten Hallo wurde meine Zelle aufgeschlossen, ein Genosse schrie mir entgegen: »Max, du bist frei!« Ich stürzte mit nach oben und sah, dass ein Beamter sich frei gemacht hatte und mit einem Revolver blindlings um sich schoss. Wir rannten auf die Straße.
Dort entstand ein wildes Durcheinander, aufgescheuchte Liebespärchen liefen davon, und plötzlich hatten wir einen dichten Menschenhaufen vor uns. Wir bogen schnell von der Straße nach links ab und befanden uns in einem großen, parkähnlichen Garten, der zum Schloss Burgdorf gehörte. Wir wollten weiterstürmen, sahen aber, dass der Park von einem vier Meter breiten, tiefen Wassergraben umgrenzt war. Ein Zurück gab es nicht, denn hinter uns kamen immer mehr Menschen gelaufen, wir mussten unter allen Umständen weiter. Einigen von uns gelang es, über den breiten Graben zu springen, die anderen, darunter ich, plumpsten in das zwei Meter tiefe Sumpfwasser.
Wir arbeiteten uns glücklich heraus und legten den weiten Weg von Burgdorf bis Hannover zu Fuß zurück.
Über diese Befreiung schrieb das Burgdorfer Kreisblatt am 12. September folgendes:
»Gewaltsam aus der Gefangenschaft befreit wurde in letzter Nacht aus dem hiesigen Amtsgerichtsgefängnis der Spartakistenführer Eisenbahnbautechniker Hoelz, gebürtig aus dem Vogtlande, der am Sonnabend voriger Woche durch Gendarmeriewachtmeister Tanisch aus Ilten dort selbst verhaftet worden war. Gegen ihn war von der Staatsanwaltschaft Plauen ein Steckbrief wegen Landfriedensbruches erlassen und auf seine Ergreifung eine Belohnung von mehreren tausend Mark ausgesetzt. Als in vergangener Nacht gegen 12 Uhr der Gefangenenaufseher des hiesigen Amtsgerichts unter dem Vorwande geweckt wurde, ein Hilfsgendarm Müller habe einen Arrestanten einzuliefern, trat diesem ein in Gendarmerieuniform gekleideter Unbekannter in Begleitung eines Zivilisten entgegen, der die Auslieferung des politischen Gefangenen Hoelz forderte. Im selben Moment drängten etwa zwölf weitere fremde Personen in das Gebäude ein, forderten unter Bedrohung mit einem Revolver die Schlüssel, und als der Beamte die Herausgabe verweigerte, entrissen sie demselben die Zellenschlüssel und befreiten den Gefangenen. Bevor der Beamte Hilfe herbeiholen konnte, waren die Eindringlinge mit ihrem befreiten Genossen verschwunden. Vermutlich haben sie bei ihrem Vorhaben ein Auto benutzt. Wie wir erfahren, ist der Entführte, der in nächster Zeit nach Plauen überführt werden sollte, bereits dreimal auf die gleiche Weise befreit worden. Trotzdem dieses bekannt war, ist es unverständlich, dass hier nicht größere Vorsichtsmaßregeln getroffen worden sind.«
Leider stand uns kein Auto zur Verfügung. Aber auch hier zeigten sich die USPD-Denunzianten allen anderen überlegen, denn sie begnügten sich nicht, wie die bürgerliche Zeitung, zu schreiben: »Vermutlich haben sie bei ihrem Vorhaben ein Auto benutzt«, sondern die USPD-Leute schrieben in der »Oberfränkischen Volkszeitung«: »In bereitstehenden Automobilen verschwanden die Angreifer und der Gefangene.«

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