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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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In Moabit - 50000 Mark für belastende Aussagen

Da von mir nichts zu »vernehmen« war, begnügten sie sich damit, mich von jeder Seite zu photographieren.
In den Abendstunden wurde ich unter stärksten Sicherheitsvorkehrungen aus dem Polizeipräsidium in das Untersuchungsgefängnis Moabit gebracht.
Dort gab es wieder ein großes Spießrutenlaufen durch Reihen neugieriger Beamter. Nach mehreren Stunden erhielt ich eine Zelle zugewiesen als künftigen Wohnraum für unabsehbare Zeit.
Mir wurde bedeutet, diese Zelle sei die Mörderzelle, in der nur Gefangene untergebracht werden, die vor der Hinrichtung stehen.
Das kleine Loch in der Zellenwand, das ein Fenster sein sollte, war dreifach vergittert und so hoch angebracht, dass es unmöglich war, hinaufzusteigen. Das Bett war keine Schlafpritsche, wie in den anderen Zellen, sondern eine massive, mit Holz verkleidete Steinbank, an der sich schwere Eisenringe für die Ketten befanden, in die man die zur Hinrichtung bestimmten Gefangenen legte. Auch die eiserne Zellentür war besonders gesichert. Über der Tür in der Mauer sah ich ein tiefes Loch, in dem unter eisernem Drahtgitter eine Glühbirne brannte. Sie erleuchtete die Zelle die ganze Nacht hindurch, ohne dass der Gefangene die Möglichkeit hatte, das grelle Licht auszuschalten.
Durch die Nachtbeleuchtung wurden mir die
Nächte zur Qual. Es gibt wenig Menschen, die bei Licht schlafen können. Ich gehöre zu denen, die in einem erleuchteten Schlafraum überhaupt nicht einschlafen. Das sagte ich dem Direktor und dem Arzt und bat um die Entfernung der Nachtlampe. Da meine Bitte abgelehnt wurde, versuchte ich es ein paar Tage, mich mit dieser Pein abzufinden. Aber es war einfach unmöglich einzuschlafen. Mitten in der Nacht schob ich den Schemel in das Loch, in dem die Glühbirne brannte. Bald jedoch schreckten mich Schlüsselgeklapper und erregtes Schimpfen aus meinem ersten ruhigen Schlummer. Drei Aufseher standen vor mir und holten den Schemel aus dem Loch. Kaum hatten sie die Tür verschlossen, bugsierte ich den Schemel wieder vor die Lampe. Nach einer Weile kamen sie zurück, nahmen den Schemel abermals heraus und schimpften wie toll. So ging es die ganze Nacht hindurch, fast ein Dutzend Mal schob ich den Schemel in das Loch, und die Beamten holten ihn wütend wieder heraus. Diese blöde Schikane wiederholten sie tage- und wochenlang, bis ich endlich durchsetzte, dass die Glühlampe durch Papier etwas abgeblendet wurde.
Am Tage nach meiner Einlieferung in Moabit sollte ich zur ersten Vernehmung vor den Untersuchungsrichter geführt werden. Zu diesem Zweck wurden mir Fesseln angelegt, und zwar mit einer solchen Brutalität, dass die Haut platzte und das Blut an meinen Händen herunterlief, weil der Beamte das Schloss der Fesseln mit aller Gewalt durch den Handballen presste. Ich versuchte den
Schmerz zu verbeißen, und sagte zu dem Beamten namens Radtke, ob es ihm nicht leid täte, seinen Menschenbruder so zu misshandeln. »Wenn ich einen solchen Bruder hätte, hätte ich mich schon längst aufgehängt!« war seine Antwort. Zugleich schloss er die Fesseln so fest zusammen, dass die Handgelenke knackten und der Schmerz mir die Schweißtropfen auf die Stirn trieb. Durch einen langen Gang wurde ich nach dem Vernehmungszimmer geführt. Unterwegs bat ich einen uns entgegenkommenden älteren Beamten in höherem Rang, mir die Fesseln zu lockern, da ich irrsinnige Schmerzen hätte. Er sagte bereitwilligst zu und schloss sie höhnisch lächelnd noch fester zusammen.
Als ich in das Vernehmungszimmer des Untersuchungsrichters kam, erklärte ich - ich konnte meine ungeheure Erregung kaum noch zurückhalten -, dass ich gar keine Aussagen machen werde, solange man mir die Fesseln nicht abnehme. Er erwiderte, ich würde mich schon noch zu Aussagen bequemen, und ließ mich in die Zelle zurückbringen.
Am nächsten Tag wurde diese Quälerei wiederholt. Sobald man mir die Fesseln anlegte, weigerte ich mich, die Zelle zu verlassen. Die Aufseher wollten mich hinausschleppen. Ich setzte mich schnell auf den Hintern, um durch passive Resistenz gegen die Fesselung und Misshandlung zu protestieren. Da kam ich aber aus dem Regen in die Traufe. Einer der Beamten ergriff mein linkes, der andere mein rechtes Bein, und so zogen sie mich, gefesselt, wie einen Schlitten auf dem Hintern durch viele hundert Meter lange Steinfliesenkorridore, bis von meinem Hosenboden nur noch Fetzen übrig waren. Unter diesen Umständen verweigerte ich jede Aussage. Nach etwa drei Wochen setzten meine inzwischen zugelassenen Anwälte durch, dass die Fesselung unterblieb.
Jeder Untersuchungsgefangene hatte die »unverdiente« Vergünstigung, täglich zwanzig Minuten im Gefängnishof zwischen den hohen Mauern herumgeführt zu werden. Man kann kaum behaupten, dass das in irgendeiner Hinsicht ein Genuss sei, zumal wenn, wie dies bei mir der Fall war, auch während dieser so genannten Freistunde die Hände gefesselt sind. Als ich das erste Mal gefesselt in den Hof geführt wurde, versuchte ich, die zwanzig Minuten auszunutzen, um ein bisschen andere Luft zu atmen als die entsetzliche Stickluft der Zelle. Nach einem Rundgang kam mir das Entwürdigende der Fesselung erst recht zum Bewusstsein. Ich machte kehrt und erklärte den Beamten, die mit Revolvern bewaffnet meinen »Spaziergang« bewachten, dass ich mich weigerte, gefesselt in den Hof zu gehen, um so mehr, als ja die anderen Gefangenen auch nicht gefesselt seien. Nun wurde ich in den nächsten Tagen und Wochen überhaupt nicht an die frische Luft gebracht.
Die unmenschliche Behandlung besserte sich, als ich den Anwälten Vollmachten erteilt hatte. Hegewisch gehörte zur Partei. Broh und Fraenkl nicht, standen sogar in scharfer Opposition zur KPD.
Sie waren mir vom Rechtsschutz der KAPD gestellt worden.
Meine Mutter, die meiner politischen Weltanschauung fern stand, machte die weite Reise und war die erste und fast einzige, die mich besuchte und mir nicht einmal Vorwürfe machte, obwohl sie unter meinen Handlungen, die sie nicht begreifen konnte, sehr litt.
Mir treu ergebene Genossen befürchteten, dass man auch mich, wie so viele vor mir, »auf der Flucht erschießen«, d. h. meuchlings ermorden werde. Um dem zuvorzukommen, bereiteten sie einen Befreiungsversuch vor, der in letzter Minute ins Wasser fiel, weil ein paar Führer der KAPD die benötigten Geldmittel, die ihnen anvertraut waren, unterschlugen.
In diesen Tagen, die stärkste Anforderungen an meine Nervenkraft stellten, war es besonders James Broh, der sich meiner annahm und nichts unversucht ließ, um mir die Untersuchungshaft nach Möglichkeit zu erleichtern. Er sorgte für mich in rührender Weise. Er brachte mir Bücher von Dostojewski, Tagore, Tolstoi usw. Auch Justizrat Victor Fraenkl bemühte sich nach Kräften, mir Erleichterungen in dieser schweren Situation zu verschaffen.
Als dann durch die Bemühungen Brohs und Fraenkls meine Fesselung unterblieb, ließ ich mich, ohne Widerstand zu leisten, zu den Vernehmungen führen, die der Staatsanwalt Dr. Jäger leitete. Ich erklärte ihm, ich würde Aussagen nur in der Hauptverhandlung machen, in der Voruntersuchung aber jedwede Aussage verweigern. Der Staatsanwalt versuchte mit allen Mitteln der Überredungskunst, mich zu bewegen, meine Taktik aufzugeben, die, wie er meinte, mir durchaus schaden würde. Er sei doch nicht nur mein Ankläger, es sei auch seine Aufgabe, alles zusammenzutragen, was mich entlasten könnte. Ich müsse einsehen, dass ich von meiner Partei und allen Freunden und Genossen fallengelassen sei. Schon um meiner Mutter willen, dieser lieben, prachtvollen Frau, solle ich ein offenes Geständnis ablegen, denn dadurch hätte ich Aussicht auf spätere Begnadigung.
Nachdem Jäger mit seinen Versuchen keine Gegenliebe bei mir fand, änderte er seine Taktik. Von da an gab es den ganzen Tag ununterbrochen Verhöre. Es marschierten nacheinander mehr als hundert Belastungszeugen auf. Bei den Vernehmungen wurden alle belastenden Aussagen immer in meiner Gegenwart gemacht. Jäger protokollierte persönlich. Jeden Augenblick fragte er, ob ich nichts zu meiner Verteidigung oder Entlastung zu sagen hätte.
Es wäre für mich oft leicht gewesen, die handgreiflichsten Unwahrheiten der Zeugen zu widerlegen. Aber ich durfte von meiner mit den Verteidigern vereinbarten Taktik, während der Voruntersuchung keinerlei Aussage zu machen, nicht abgehen. Diese Voruntersuchung bedeutete für mich eine schwere Nervenprobe. Es war eine Folter, täglich zwölf bis sechzehn Stunden stumpfsinnig und wortlos dazusitzen und zuzuhören, wie eine Anzahl fanatisch erregter Menschen mich mit allen möglichen Aussagen belasteten. Viele von ihnen kannten mich nicht einmal.
Ende April protokollierte der Staatsanwalt Jäger in meinem Beisein die Aussage eines Belastungszeugen aus Eisleben. Plötzlich kam aufgeregt ein Justizwachtmeister herein, neigte sich zum Ohr Jägers und flüsterte, so dass ich es hören konnte: »Draußen steht ein äußerst wichtiger Zeuge, der sofort vernommen werden soll, das Polizeipräsidium hat ihn hergeschickt.« Jäger bat den im Zimmer befindlichen Zeugen, einen Augenblick hinauszugehen, er müsse jetzt einen anderen Zeugen vernehmen. Ein junger, dem Anschein nach höchstens siebzehn Jahre alter Mensch trat ins Zimmer. Er trug die schmucke Uniform eines Polizeischülers. Jäger fragte den Zeugen, ob er Hoelz kenne und ob er belastende Aussagen machen wolle. Der Zeuge Franke bejahte.
Er schilderte nun, dass er 1920 als Soldat bei der Reichswehr gewesen sei. Sein Bataillonskommandeur habe ihn während des Kapp-Putsches in seine Heimat, ins Vogtland, beurlaubt, damit er sich dort ein bisschen umsehe, was die Arbeiter zur Abwehr des Putsches täten. Franke sollte dann an die militärischen Stellen Berichte liefern. Als er im Vogtland angekommen sei, habe Max Hoelz, also die Kommunisten, bereits die Macht in Händen gehabt. Frau Franke habe vom Zeugen verlangt, er solle sich den Kommunisten anschließen und gegen die Reichswehr kämpfen. Das habe er abgelehnt, darauf habe seine Frau sich von ihm scheiden lassen.
Das Gesicht des Staatsanwaltes wurde bei dieser Vernehmung immer länger und länger, und als der Zeuge nicht weitersprach, fragte er: »Ist das Ihre ganze Aussage? Was hat das mit Max Hoelz zu tun, das ist doch nichts, was Hoelz belasten kann, wissen Sie nichts anderes?« Franke antwortete: »Nein! Wenn Hoelz nicht im Vogtland die Macht gehabt hätte, dann hätte sich meine Frau auch nicht von mir scheiden lassen.« Der Staatsanwalt Jäger war froh, als er seinen »äußerst wichtigen Zeugen« wieder draußen hatte.
Ein anderer Zeuge bekundete eidesstattlich, er habe auf Grund der an den Anschlagsäulen angebrachten Bekanntmachung mit meinem Bild (»Fünfzigtausend Mark Belohnung für belastende Aussagen gegen Max Hoelz«) mich als denjenigen wieder erkannt, der am 9. 11. 1918 in Hamburg am Hauptbahnhof einen Offizier erschoss. Ich war leider niemals in Hamburg gewesen, hatte auch keinen Offizier oder sonst jemanden erschossen.
Ein Gerichtssekretär aus Mansfeld sagte bei seiner Vernehmung aus, ich sei der Mann, der das Gerichtsgebäude in Mansfeld gesprengt habe. Diese Aussage erschien dem Staatsanwalt Jäger besonders wichtig und glaubhaft, denn nach seiner Auffassung durfte - wie er sagte - ein Gerichtsbeamter doch nur die reine Wahrheit sprechen.
Aber bereits am Tage nach der Abreise dieses Zeugen kam ein Telegramm an den Staatsanwalt, in dem er seine ganze Aussage widerrief. Er habe sich getäuscht, ich sei bestimmt nicht der, der das Gerichtsgebäude gesprengt habe.
Es war kein Wunder, dass Hunderte solch »belastende« Aussagen zustande kamen und fein säuberlich protokolliert wurden, nachdem der sozialdemokratische Polizeipräsident Richter in Berlin jene einzig dastehende Bekanntmachung mit folgendem Wortlaut an allen Anschlagsäulen Berlins hatte plakatieren und im ganzen Reiche verbreiten lassen:
Max Hoelz festgenommen! 50000 Mark Belohnung!
Der Bandenführer Max Hoelz ist festgenommen. Zahlreich sind die Straftaten, die auf seinem Schuldkonto stehen. Unzweifelhaft war er die treibende Kraft bei den Märzunruhen. Durch Wort und Schrift hat er zu bewaffneter Gewalt, zu Dynamitanschlägen und anderen hochverräterischen Unternehmen aufgefordert.
Es gilt jetzt, ein lückenloses Bild von dem gemeingefährlichen, volksverderblichen Treiben des Hoelz zu erhalten, damit alle Straftaten, deren Hoelz sich schuldig gemacht hat, die gebührende Sühne vor dem Strafrichter finden.
Für aufklärende Mitteilungen, die zu einer Verurteilung des Hoelz führen, setze ich die obige Belohnung aus. Jeder Mann, der Sachdienliches mitzuteilen oder Beweisstücke zu bezeichnen vermag wende sich an das Polizeipräsidium Berlin, Zimmer 343, oder durch Fernsprecher an die Hausanrufe 300 und 313.
Berlin, den 16. April 1921.

Der Polizeipräsident Abt. IA I. V.: Dr. Weiß, Regierungsrat.
Welche Erfolge diese Aufforderung hatte, die ich in der Hauptverhandlung als Verleitung zum Meineid bezeichnete, wurde mir bald offenbar.

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