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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Der Priester als Zuchthausdirektor

Dieser Priester, der Zuchthausdirektor Wilhelm Vaupel, wollte in den ersten paar Wochen alle Menschen, sowohl die Gefangenen als auch die Beamten, vor lauter Menschenfreundlichkeit und
Bruderliebe umarmen. Doch er war so grenzenlos unbeherrscht und lügenhaft, dass ihn nach kurzer Zeit kein Mensch mehr ernst nahm.
Eines Tages bat ich ihn, zu gestatten, dass der Aufseher die kleine, kaum 20 Zentimeter im Quadrat umfassende Fensterklappe aufmache, damit ein bisschen frische Luft in die Zelle hereinkomme; ich hatte bei meinen gymnastischen Übungen in der Zelle nie genügend Luft.
Vorher hatte ich ihm seinen Füllfederhalter repariert, und er erzählte mir dabei viele Einzelheiten aus seinem Leben, unter anderm, dass er einmal Privatsekretär bei dem späteren Reichskanzler Marx hatte werden sollen.
Da er an diesem Tag gut gelaunt schien, glaubte ich die günstige Situation im Interesse besserer Lüftung der Zelle ausnützen zu können. Der Direktor antwortete auf meine Bitte: »Aber natürlich, die Fensterklappe kann geöffnet werden, sie kann Tag und Nacht offen bleiben, ich werde das sofort dem Beamten sagen.«
Ich war nahezu überglücklich. Als der Direktor meine Zelle verließ, sagte er zu dem für meine Bewachung speziell bestellten Beamten: »Herr Wachtmeister, schreiben Sie einen Zettel für den Hauptwachtmeister, dass die Klappe bei Hoelz Tag und Nacht offen bleiben kann.« Der Beamte tat, wie ihm geheißen. Am nächsten Tag ging der Direktor durch den Anstaltshof und sah, dass meine Fensterklappe offen war. Darauf raste er in das Verwaltungsgebäude und schimpfte dort wie besessen, es sei unerhört, dass meine Fensterklappe offen sei, wer das denn erlaubt habe? Der Hauptwachtmeister kam aufgeregt in meine Zelle und fragte: »Hoelz, wer hat Ihnen denn gestattet, die Fensterklappe zu öffnen?«
Ich sagte: »Wer schickt Sie denn?« - »Der Direktor«, war die Antwort. Ich rief: »Entweder bin ich verrückt oder der Direktor. Wenn der heute nicht mehr weiß, was er gestern angeordnet hat, dann ist es sehr schlimm.«
Sofort wurde nach dem Beamten geschickt, der zu Hause schlief, weil er Nachtdienst gehabt hatte. Er wurde aus dem Bett geholt, und nur der Umstand, dass er, ebenso wie der Direktor, ein sehr frommer Katholik und sein spezieller Freund war, überzeugte Vaupel, dass er tatsächlich selbst die Anordnung zur Öffnung der Klappe gegeben hatte.
Ein anderes Mal hatte ich eine Rücksprache mit dem Direktor wegen irgendeiner Angelegenheit. Am Schluss dieser Aussprache sagte er mir, es seien Briefe für mich angekommen, und zwar von einem Abgeordneten, von meiner Mutter und einem Juristen aus Sachsen. Er könne sie mir jetzt aber noch nicht mitgeben, er müsse sie erst durchlesen und zensieren. Ich wartete am nächsten und am übernächsten Tag vergebens auf diese Briefe; als ich sie auch am vierten und fünften Tag noch nicht erhielt, ließ ich mich zum Direktor führen und bat um Aushändigung der Briefe. Er fragte mich, woher ich denn wisse, dass Briefe für mich da seien, er selbst wisse von nichts. Als ich ihm sagte, dass ich diese Mitteilung von ihm selbst hätte, erwiderte er, ich solle in meine Zelle gehen, er würde dann auf seinem Schreibtisch nachsehen. Wieder wartete ich fünf Tage vergeblich, dann riss mir die Geduld; ich ließ mich nochmals dem Direktor vorführen und bat dringend um Aushändigung der Briefe, die er mir bereits vor vierzehn Tagen angekündigt hatte. Er war sehr erstaunt und ungehalten, dass ich ihn in dieser Angelegenheit erneut belästigte. Auf seinem Schreibtisch habe er nichts gefunden. Ich bat ihn, er möge doch einmal in den Schubfächern nachsehen. Nach einigem Suchen fanden sich die drei Briefe in der hintersten Ecke eines Faches. Der Inhalt aller drei Briefe betraf meine Rechtssache, durch ihre verzögerte Aushändigung war ich sehr geschädigt.
Unter dieser Vergesslichkeit, Unordentlichkeit und Sprunghaftigkeit litten die anderen Gefangenen und die Beamten ebenso wie ich.
Ein Brief, den ich an meinen Bruder schickte, der in Riesa als Eisenbahnbeamter lebte, enthielt drei beschriebene Bogen. Der Direktor nahm bei der Zensur den mittleren heraus, ohne mir - wie es der Vorschrift entsprach - davon Mitteilung zu machen. Er benachrichtigte auch meinen Bruder nicht. Meine Angehörigen wunderten sich, von mir einen so zusammenhanglosen Brief zu erhalten, und fragten bei mir an, was das bedeute. Meine Beschwerden beantwortete der Direktor mit der Erklärung, er sei nicht verpflichtet, mir von der Herausnahme einzelner Bogen aus den Briefen Mitteilung zu machen. Er setzte sich in diesem wie auch in anderen Fällen über alle Vorschriften hinweg. Auch aus Briefen, die an mich kamen, nahm er Teile mitten heraus, so dass dadurch oft der ganze Brief für mich unverständlich wurde. Genau wie bei dem Direktor in Münster verschwand auch bei dem Direktor in Breslau eine ganze Reihe Briefe, über deren Verbleib ich nichts erfahren konnte. Wegen verschwundener Briefe geriet ich mit dem Direktor in eine heftige Auseinandersetzung, in deren Verlauf er wütend die Zelle verließ und ich nicht weniger wütend ihm nachrief, er sei ein alter, schwarzer, hässlicher Teufel. Da drehte er sich um und schmiss mit aller Gewalt die schwere, eisenbeschlagene Zellentür zu. Wenn ich nicht blitzschnell meine Finger von der Tür weggenommen hätte, wären mir alle fünf Finger einfach abgequetscht worden.
In einem Brief an die Genossin Ruth Halle drückte ich den Wunsch aus, dass ihr Mann, der verunglückt war, recht bald genese, da seine Arbeit als Leiter der juristischen Zentralstelle für alle inhaftierten Genossen von größter Bedeutung sei. Wegen dieses Wunsches schickte Vaupel den Brief nicht ab.
In einem anderen Schreiben an einen Genossen beanstandete Vaupel die Wendung »Ich bleibe der alte«. Auf meine Proteste gegen die Zurückhaltung dieser Briefe erklärte der Direktor, ich dürfe keine politischen Ausführungen machen. Meinen Kampf gegen das Fehlurteil im Fall der Erschießung des Gutsbesitzers Heß sabotierte der Priesterdirektor, wo er nur konnte. Einen Brief meines Verteidigers Justizrat Fraenkl, dem ein Beschluss des Staatsgerichtshofes sowie Aktenstücke und andere Beweismittel für die Wiederaufnahme beigefügt waren, hielt Vaupel wochenlang zurück.
Der Direktor bestrafte die kleinsten Vergehen der Gefangenen sehr hart, und die Gefangenen wunderten sich, wie dieser Mann sein Amt als Direktor und die vielen Strafen mit seinem priesterlichen Gewissen vereinbaren konnte. Die Gefangenen redeten ihn überhaupt nicht mehr mit »Herr Direktor«, sondern nur noch mit »Herr Pfarrer« an, was ihn sehr verdross, woran er aber selbst Schuld trug, denn er hielt auch als Direktor manchmal Gottesdienst für die Gefangenen ab. Außerdem kam er täglich ganz früh in die Anstaltskirche und las dort die Messe; später ließ er sich durch Gefangene in seiner Privatwohnung einen Altar bauen, um sich das Messelesen etwas bequemer zu machen. Zur täglichen Frühmesse in der Anstaltskirche brachte er stets seinen Hund mit in die Kirche, was nach den religiösen Vorschriften doch verboten war. Der Hund verwechselte den Altar fast regelmäßig mit einer Hausecke, und der Gefangene namens Preuß, der als Kirchendiener fungierte, war ärgerlich darüber, dass er täglich die Schweinerei des Hundes wegputzen musste.
Eines Tages, gerade als der Direktor wieder die Messe las, setzte der Hund wieder etwas Nasses und etwas Hartes an der Altarecke ab. Da riss dem Gefangenen die Geduld: er trat den Hund auf den Schwanz. Der Hund schrie auf, und der Direktor stellte den Kelch, den er gerade in die Höhe hielt, weg und stürzte hinzu. Mit seinen »geweihten«
Händen streichelte er den ungeweihten Hund und jagte nicht den Hund, sondern den Gefangenen entrüstet zur Kirche hinaus.
Während der ersten Monate seines Dienstes besuchte Direktor Vaupel fast täglich eine ganze Reihe von Gefangenen in ihren Zellen. Als er wieder einmal zu mir in die Zelle kam, fragte er mich ganz erstaunt, warum mein Aussehen plötzlich so verändert sei, er habe mich doch erst vor einer halben Stunde frisch und munter gesehen, jetzt sei ich plötzlich so verfallen. Ich antwortete, durch den Steinfußboden in der eiskalten Zelle habe sich mein Rheumatismus erheblich verschlimmert, und ich habe von Zeit zu Zeit heftige Schmerzen. Vaupel erwiderte, er habe vor Jahren auch an heftigen Schmerzen gelitten und sei sie durch fleißiges Beten losgeworden. Er empfahl mir, es ebenso zu machen.
Eine recht »christliche« Auffassung vom humanen Strafvollzug hatte auch der Amtsgerichtsrat Hauke, der informatorisch in der Anstalt tätig war. Auch er wunderte sich über die oft auftretende plötzliche Veränderung meines Gesichtsausdruckes, und als er hörte, dass. starke rheumatische Beschwerden die Ursache davon waren, sagte er mir, ich müsste auch die Schmerzen als eine Strafe für meine verbrecherischen Taten ansehen.
Ein Gefangener, der Kalfaktordienste verrichtete, hatte erfahren, dass seine Frau sich einen Freund genommen habe. Als sie ihn dann wieder einmal besuchte, schlug er ihr mit der geballten Faust ins Gesicht, dass ihr das Blut aus der Nase floss. Das Resultat war Scheidung. Nach der Scheidung bemühte sich der Gefangene, dessen Eltern ein kleines Bauerngut hatten, Verbindung mit einem anderen Mädchen anzuknüpfen, das er heiraten wollte.
Der Direktor, der erst seit einem Monat in der Anstalt war und die Verhältnisse des Gefangenen noch nicht kannte, erfuhr von der Absicht des Gefangenen, sich zu verheiraten, aus seinen Briefen. Er fragte ihn, wozu er denn heiraten wolle, er sei doch noch so jung. Der Kalfaktor erwiderte, er sei gar nicht so jung, er sei sogar schon einmal verheiratet gewesen und jetzt von seiner Frau geschieden. Der Direktor, für den als Katholiken eine Ehe nicht lösbar war, entrüstete sich und wollte wissen, warum der Gefangene sich habe scheiden lassen. »Weil meine Frau pervers ist«, war die Antwort. Darauf fragte ihn der Direktor, was denn »pervers« sei, was er darunter verstehe. Da der Gefangene schwieg, wandte sich der Priester-Direktor an den ihn begleitenden Hauptwachtmeister mit den Worten: »Da sehen Sie wieder einmal, Herr Hauptwachtmeister, dass die Gefangenen mit Fremdwörtern herumschmeißen und gar nicht wissen, was sie bedeuten.« Über diese Unterstellung ärgerte sich der Gefangene und platzte mit folgenden Worten heraus: »Was pervers ist, weiß ich schon, meine Frau lässt sich... « Vaupel war entsetzt, bekam einen feuerroten Kopf und stürzte wie von Furien gepeitscht aus der Zelle, während der dabeistehende Hauptwachtmeister sich das Taschentuch vors Gesicht presste, um nicht herauszulachen.
Im Frühjahr stellte ich an die Direktion den Antrag, mir zu gestatten, das in der Mitte des Hofes liegende Stückchen Brachland umzugraben, um darauf ein paar Salatpflanzen zu setzen. Der Antrag wurde genehmigt, und ich versuchte, ein paar Pflanzen aufzutreiben.
Nachdem ich tagelang herumgefragt hatte, ob einer der Beamten ein paar übrige Salatpflanzen habe, fand ich einen alten Beamten, der gern den Gefangenen eine kleine Erleichterung verschaffte und der mir über ein Dutzend Pflanzen von zu Hause mitbrachte. Ich steckte die Pflanzen in das umgegrabene Land, sie wuchsen und gediehen. Die Inspektoren und der Direktor selbst hatten zugesehen, wie ich pflanzte, und nachdem bereits vierzehn Tage darüber vergangen waren und ich den Salat bald schneiden wollte, kam es zu einer großen Aufregung in der Anstalt. Der Beamte, der mir die Salatpflanzen gebracht hatte, sollte für seine Gutmütigkeit bestraft werden. Er war verheiratet, hatte viele Kinder und war sehr niedergedrückt, weil er seine Stellung zu verlieren glaubte. Es wurden wegen dieser paar Salatpflanzen große Protokolle aufgesetzt, und man suchte dem Beamten aus dieser harmlosen Angelegenheit einen Strick zu drehen. Als ich die Absicht des Direktors merkte, ließ ich mich dem Hauptwachtmeister melden und erklärte, wenn der betreffende Beamte bestraft werde, dann schriebe ich sofort an den Justizminister, damit er dafür sorge, dass auch die oberen Beamten, Inspektoren und der Geistliche bestraft werden, die mir Tomaten, Zigarren und anderes in die Zelle brachten. Diese Ankündigung wirkte: Dem gutmütigen Beamten wurde kein Haar gekrümmt.
Der gescheiterte Befreiungsversuch sowie meine Ehescheidung, vor allem meine Unterbringung in der eiskalten Zelle mit dem Steinfußboden bewirkten bei mir einen neuen und noch schwereren Nervenzusammenbruch als seinerzeit in Münster. Andere Enttäuschungen kamen hinzu. Meine Bemühungen um Wiederaufnahme des Verfahrens stießen bei der Partei nicht gleich auf volles Verständnis. Auch mit meinen Verteidigern hatte ich infolge meiner Erregbarkeit schwere Differenzen.
Ich wollte unter allen Umständen von Breslau weg. Denn die dortige Anstalt ist ein Gefängnis. Man behandelte mich darin zwar in jeder Hinsicht gemäß der Zuchthausordnung, die Öffentlichkeit aber musste glauben, mein Los habe sich bereits wesentlich gebessert. Man meinte tatsächlich, ich sei zu einer befristeten Gefängnisstrafe begnadigt worden, und hielt daher mein Verlangen nach Wiederaufnahme meines Prozesses für überflüssig. Der Präsident des Vollzugsamtes erklärte mir wiederholt, das Justizministerium könne meinen Anträgen nicht stattgeben, Breslau sei die einzige Anstalt im Osten, in der ich sicher verwahrt werden könne. Meine Behauptung, ich sei als Zuchthausgefangener in einem Gefängnis untergebracht, stimme insofern nicht, als die Zelle, in der ich mich befände, und die beiden leerstehenden Zellen rechts und links von mir, in denen sich die für meine spezielle Bewachung bestimmten Beamten aufhielten, als Zuchthausabteilung gälten. Ich sei also tatsächlich im Zuchthaus untergebracht und würde ja auch nicht als Gefängnisgefangener, sondern als Zuchthausgefangener behandelt. Es sei also zwecklos, dass ich meine Anträge auf Verlegung in ein Zuchthaus stets wiederhole, ich würde damit ja doch nicht durchkommen. Diese vielen Enttäuschungen und der Rheumatismus, dazu die täglichen Aufregungen und Ärgernisse mit dem Direktor machten mich ganz hoffnungslos. Ich zweifelte an allen Menschen, und wieder - wie vor einem Jahr in Münster - war ich überzeugt, dass ich nicht lebend aus diesen Mauern herauskäme.
Täglich brach ich in der Zelle und im Hof bei der Freistunde zusammen - mehrmals stürzte ich von der hohen Treppe kopfüber nach unten, wobei ich mich ein paar Mal ernstlich verletzte. In der Zelle, wo die Schwächeanfälle sehr häufig auftraten, fiel ich eines Tages mit dem Kopf auf die Scherben eines zerbrochenen Tellers. Ein Stück davon drang mir in die Stirn. Ich blutete heftig, und jedes Mal, wenn ich versuchte, mich aufzurichten, um die Klappe zu ziehen, damit ein Aufseher Verbandszeug hole, stürzte ich wieder zu Boden und verletzte mich erneut. Erst nachdem ich eine Unmasse Blut verloren hatte, gelang es mir, mich dem Aufseher bemerkbar zu machen. Aber auch nun dauerte es noch mehr als eine halbe Stunde, ehe der Lazarettbeamte aus seiner Privatwohnung geholt wurde. Ein Arzt war in der Anstalt nicht anwesend. Wochenlang konnte ich mich infolge der
Schmerzen und der Schwäche überhaupt nicht von der Pritsche erheben. Die Glieder waren ganz steif und wie vertrocknet. Ein paar Parteifreunde, die mich kurz nach meinem zweiten Nervenzusammenbruch besuchten, versprachen sich eine Besserung meines Zustandes nur durch Überführung in ein Krankenhaus. Sie rieten mir, mich an den Reichstagspräsidenten Löbe zu wenden, damit er sich im Ministerium für meine Verlegung in ein Krankenhaus einsetze. Löbe war in früheren Jahren selbst einmal Gefangener gewesen, deshalb erwarteten meine Freunde von ihm ein Eingreifen. Ein führender Parteigenosse, dem meine zerrüttete Gesundheit große Sorgen bereitete, verlangte von mir, ich solle ein Gesuch an den Amnestieausschuss richten und um die Umwandlung meiner Zuchthausstrafe in Festung nachsuchen, da ich als Festungsgefangener mehr für meine Gesundheit tun könne. Ich sandte das Gesuch an den Ausschuss, schrieb auch an Löbe, mit dem Erfolg, dass ich weder in ein Krankenhaus gebracht noch meine Zuchthaushaft in Festung umgewandelt wurde.
Freunde aus Sachsen, die mich besuchten, fanden mich in einer hoffnungslosen Verfassung. Sobald die Rede auf die in Münster und in der Irrenabteilung erlittenen Misshandlungen kam, verlor ich die Sprache und konnte stundenlang kein Wort mehr hervorbringen, während die Tränen hemmungslos aus den Augen brachen. Fast das einzige, was mich in dieser Zeit, wo alles um mich zu stürzen schien, noch aufrecht erhielt, waren Bücher. Durch Spenden meiner vogtländischen Freunde hatte ich mir eine kleine Bibliothek in meiner Zelle aufgebaut, die ich eifrig benutzte. Es waren nicht nur Bücher rein politischen Inhalts, die mein Interesse erregten, sondern auch soziologische und philosophische Werke. Mit besonderem Interesse und großem Gewinn studierte ich alle Werke des bürgerlichen Soziologen Müller-Lyer und die philosophischen Werke von Professor Vorländer. Das Buch Max Stirners: »Der Einzige und sein Eigentum«, das ich in diesen Tagen las, stieß mich ab. Stärksten Eindruck auf mich machte Armin T. Wegners »Ankläger«. Diese kleine Schrift war in der Einsamkeit der Zellenhaft jahrelang und täglich meine liebste Lektüre.

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