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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Das wahre Gesicht des Zuchthausdirektors

Die Nachwirkungen der ausgestandenen körperlichen und seelischen Misshandlungen äußerten sich in einem schweren Nervenzusammenbruch. Die geringste Veranlassung trieb mir das Wasser in die Augen, und die Schädelschmerzen verschlimmerten sich in einem Maße, dass ich fürchtete, wahnsinnig zu werden.
In dieser physischen und psychischen Verfassung hängte ich mich bald darauf in meiner Zelle auf. Der Aufseher schnitt mich ab, als ich bereits die Besinnung verloren hatte. Nachdem ich wieder zu mir gekommen war, wurde mir von dem Inspektor eröffnet, dass ich sofort in eine Arrestzelle geführt und dort gefesselt werden müsste. Diese beabsichtigte Fesselung in einem Arrestkäfig als Repressalie gegen mein Vorhaben, meine Leiden abzukürzen, erschien mir ganz ungeheuerlich. Als der Inspektor sah, dass man auch diesmal brutale Gewalt gegen mich anwenden müsse, nahm er Abstand von der Fesselung und meiner Unterbringung in der Isolierzelle. Es war mir klar, dass ich neuen Gewaltmaßnahmen der Anstaltsleitung und der Aufseher ohnmächtig gegenüberstand, aber ich wusste, dass eine Fesselung mich nicht von meinem Vorhaben der Selbstentleibung abbringen konnte, sondern dass sie mich erst recht zum Freitod treiben musste.
An einem der nächsten Tage wurde ich endlich zum Direktor gebracht. Er hatte im Widerspruch zu den ausdrücklichen Bestimmungen der Strafvollzugsordnung mich nicht vorführen lassen, obwohl ich täglich den Antrag stellte. Auf meine Erklärung, ich wolle wegen der Misshandlungen Anzeige gegen die Beamten machen, erhielt ich zur Antwort, er glaube nicht, dass ich misshandelt worden sei, meine Nerven hätten mir etwas derartiges nur vorgemacht. Wäre ich jedoch tatsächlich geprügelt worden, dann würde er die Sache erst recht nicht an die große Glocke hängen.
Mitgefangene - Zeugen der Misshandlungen auf dem Hofe - hatten die Vorgänge in Kassibern geschildert, die nach draußen gelangten und in linksstehenden Zeitungen erschienen. Dadurch erfuhren es meine Verteidiger; Justizrat Dr. Broh, mit dem mich herzliche Freundschaft verband, kam auf seine eigenen Kosten im Flugzeuge von Berlin nach Münster, um die an die Öffentlichkeit gelangten Nachrichten über mein Ergehen an Ort und Stelle zu prüfen. Rechtsanwalt Hegewisch wurde von der Partei zu mir geschickt. Den Verteidigern gegenüber stritt der Direktor die Misshandlungen ab. Bei der Besprechung mit meinem Anwalt zog ich im Zimmer des Direktors einfach meine Kleider aus und zeigte die noch vorhandenen Spuren der Misshandlungen. Breite, mit Schorf bedeckte Striemen waren noch jetzt, nach fast zwei Wochen, auf meinem Rücken zu sehen. Daraufhin behauptete der Direktor, die Verletzungen hätte ich mir selbst beigebracht.
Meine bei der Staatsanwaltschaft erstattete Anzeige wurde niedergeschlagen, da die Beamten die Misshandlungen abstritten. Die Niederschlagung erfolgte, obwohl der Staatsanwalt mehr als ein halbes Dutzend Gefangener ausfragte, die die Misshandlungen gesehen und ihre Wahrnehmungen eidesstattlich zu Protokoll gegeben hatten.
Von Angehörigen und Freunden besuchten mich in dem ersten Halbjahr meiner Haft nur Mutter und Bruder. Meine Frau Klara besuchte mich erst, nachdem längere Zeit vergangen war. Der Direktor unterschlug viele Briefe, die ich an die Verteidiger und Verwandten richtete. Die Strafvollzugsbestimmungen schreiben vor, dem Gefangenen Mitteilung davon zu machen, wenn einer seiner Briefe aus irgendeinem Grunde von der Anstaltsleitung zurückgehalten wird. Diese Vorschrift ignorierte der Direktor. In den meisten Fällen, in denen meine Briefe nicht abgingen, wurde ich davon nicht in Kenntnis gesetzt.
Am 8. März 1922 sandte mein Verteidiger, Justizrat Fraenkl, folgende Mitteilung an die Presse:
»Ich habe am 27. Februar einen Brief von Max Hoelz erhalten, nachdem seine an mich gerichteten Briefe vom 9. Januar und 5. Februar nicht haben abgehen können, da sie angebliche >grobe Beleidigungen und Unwahrheiten enthalten hätten. Dieser Brief von Hoelz an mich trägt das Datum des 10. Februar. In einem besonderen Schreiben behauptete der Anstaltsdirektor, die späte Absendung sei auf ein Versehen zurückzuführen.«
Der Brief an den Verteidiger, der nach bestehenden Vorschriften hätte beschleunigt befördert werden müssen, brauchte von Münster bis Berlin volle siebzehn Tage. Die Anstaltsleitung hatte den Brief länger als vierzehn Tage liegenlassen, obwohl er eine so genannte Fristsache behandelte. Die Gerichtskasse in Moabit hatte mir mitgeteilt, dass zur Deckung der Gerichtskosten in Höhe von 23816,90 Mark meine Kleidungsstücke, Schuhe und Wäsche gepfändet worden seien und versteigert werden sollten. Gegen die Pfändung und beabsichtigte Versteigerung konnte ich nur innerhalb von acht Tagen Einspruch erheben. Dadurch, dass der Direktor den Brief länger als vierzehn Tage liegenließ, war der darin enthaltene Einspruch hinfällig geworden. So wie mit diesem Brief erging es mir mit allen übrigen: Entweder wurden sie überhaupt nicht abgeschickt, oder sie gelangten erst nach Wochen und Monaten an die Adressaten. Zu Weihnachten 1922 sandte mir ein Genosse ein Paket. Am 6. Januar 1923 schrieb ich an ihn. Der Brief war ganz unpolitisch und enthielt nur ein paar Worte des Dankes. Nach vier Monaten erfuhr ich, dass der Direktor auch diesen Brief nicht zur Absendung gebracht hatte. Meine Anwälte, Angehörigen und Freunde, die kaum noch eine Nachricht von mir bekamen, mussten glauben, ich schriebe absichtlich nicht. Die durch nichts gerechtfertigten Schikanen des Direktors rissen eine Kluft zwischen mir und meinen Verteidigern, Angehörigen und Freunden und erzeugten eine Spannung, die meine Lage noch verschlechterte; Bücher, die an mich geschickt wurden, erhielt ich nicht; auch hiervon hätte mir, nach der Vorschrift, Mitteilung gemacht werden müssen. Der Direktor umging diese wie alle anderen Vorschriften. Ebenso händigte er mir Briefe von meinen Verteidigern, Angehörigen und Freunden oft nicht aus.
Wollte ich an meine Verteidiger in der Angelegenheit der Wiederaufnahme meines Prozesses oder an meine Angehörigen schreiben, dann musste ich bei der Anstaltsleitung die Aushändigung eines Schreibbogens mit Umschlag beantragen. Einen solchen Antrag konnte ich nur an jedem Dienstag stellen. Dann währte es immer fünf bis sechs Tage, ehe ich Brief und Umschlag ausgehändigt bekam. Es wurde stets nur ein Briefbogen bewilligt. Die Bogen waren sehr klein, nur fünfzehn Zentimeter lang und zehn Zentimeter breit. Auf ihnen befand sich noch ein großer Vordruck von der Anstaltsleitung. Außerdem mussten drei Zentimeter breite Ränder unbeschrieben bleiben für die Anmerkungen des Direktors, der zu jedem Brief hinzusetzen konnte, was ihm beliebte. Ein derartiger Zwergbriefbogen reichte natürlich für die Korrespondenz mit Anwälten keinesfalls aus. Ich brauchte oft noch einen oder zwei Bogen. Dazu bedurfte es wieder eines Antrages, den ich erst stellen durfte, wenn der erste Bogen beschrieben war. Bis zur Aushändigung des zweiten Bogens vergingen wieder mehrere Tage.
In keinem Briefe durfte ich etwas von den Misshandlungen schreiben, nicht einmal dass ich mich krank fühlte und wie das Essen schmeckte, durfte ich erwähnen.
Durch die von dem Direktor an den Tag gelegte Missachtung der den Gefangenen zustehenden Rechte geriet ich in größte Erregung und Verbitterung. Wochenlang meldete ich mich zur Vorführung bei dem Direktor, der sich stets verleugnen ließ. Erst als ich mich beschwerdeführend an das Ministerium wandte, hielt er es für nötig, mich zu empfangen. Ich zwang meine große Erregung nieder und hatte die feste Absicht, mich mit dem Direktor ruhig auszusprechen. Mir lag viel daran, mit ihm auszukommen, damit er meine Bemühungen um die Wiederaufnahme meines Prozesses nicht erschwere.
Ich bat ihn, die gegen mich gerichteten ungerechtfertigten und grausamen Maßnahmen aufzuheben, da sie zwangsläufig zu meinem körperlichen und geistigen Ruin führen müssten.
Er erwiderte, es gebe noch ganz andere Mittel, mich gefügig zu machen. Ich würde schon noch merken, dass er der Stärkere sei und die längere Ausdauer habe. Durch ihn wären schon ganz andere Leute als ich mürbe gemacht worden.
Die Art und Weise, wie er mit mir sprach, ließen mich vermuten, dass der Zuchthausdirektor mit dem kindlichen, einnehmenden Lächeln ein Sadist sei.
Sein Ton war so zynisch, dass ich mit kalter Überlegung auf ihn zuschritt, ihn anspuckte und ohrfeigte. Selbst den Lazarett-Hauptwachtmeister, der bei dem Vorfall zugegen war, empörte die Antwort des Direktors so sehr, dass er nicht sofort gegen mich einschritt, sondern erst nach einer Weile auf mich zuging, mir die Hand auf die Schulter legte und sagte, ich solle mich beruhigen.
Ich selbst war darüber verwundert, dass ich in dieser Form gegenüber dem Direktor auftrat, und ich fragte mich, wie es eigentlich kam, dass ich gerade diese abstoßende Form des Mich-Wehrens wählte. Spucken war bisher nicht meine Art gewesen, wenn ich davon hörte, empfand ich es immer als ein besonders unfeines Verteidigungsmittel. In Freiheit kann man Gewalt gegen Gewalt setzen. Im Zuchthaus aber würde das vollkommen wirkungslos bleiben. Die Autorität der Direktoren, Ärzte und der sonstigen Oberbeamten lässt sich nur durch Angriffe erschüttern, die selbst im Zuchthaus als entehrend gelten.

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