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Max Hoelz - Vom »Weißen Kreuz« zur roten Fahne (1929)
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Der mitteldeutsche Aufstand 1921

Der Aufstand der mitteldeutschen Arbeiter im März 1921 war die unmittelbare Folge der Provokation Hörsings, der nach dem Prinzip handelte: »Der Angriff ist die beste Parade.« Er wusste, dass die mitteldeutsche Arbeiterschaft ihren revolutionären Elan nicht eingebüßt hatte und dass die gärende Unruhe bald zu Entladungen führen musste. Deshalb kam er zuvor, schickte - angeblich um Werksdiebstähle zu verhindern - seine bis an die Zähne bewaffneten Sipos in die mitteldeutschen Betriebe und Bergwerke. Hörsing provozierte die unterernährten und ausgemergelten Arbeiter dadurch, dass er ihnen zumutete, unter Aufsicht von Polizisten zu arbeiten.
Am Montag, dem 21. März, erfuhr ich aus einem Berliner Abendblatt von dem Ausbruch des Generalstreiks in Mitteldeutschland. Mein Entschluss stand sofort fest: Ich wollte erst informatorisch die Entwicklung der Dinge dort beobachten und mich dann den Organisationen zur Verfügung stellen.
Knapp zwei Stunden später bestieg ich mit noch fünf anderen Genossen den D-Zug, der uns nach dem Streikgebiet bringen sollte. Da der Preis meines Kopfes an diesem Tage bereits 55 000 Mark betrug, war ich bemüht, möglichst unerkannt in ein Abteil zu gelangen.
Erst im Augenblick der Abfahrt des Zuges betrat ich den Bahnsteig und verschwand in einem Kupee. Während der Fahrt merkte ich, dass sich im Abteil zwei Offiziere a. D. befanden, die ich als Zeitfreiwillige und Agenten der Abteilung I. A. erkannte. Sie unterhielten sich im Flüsterton über die Vorgänge in Mitteldeutschland.
In Kloster-Mansfeld hielt der Zug plötzlich ganz unfahrplanmäßig. Ein Beamter erklärte, die Maschine müsste Wasser nehmen. Die Gelegenheit war zu günstig, ich gab dem Genossen, der mit mir im Kupee saß, einen Wink, und wir verließen unauffällig den Bahnhof.
Beim Verlassen der kleinen Station bemerkte ich drei dunkle Gestalten - es war ein Uhr nachts -, die sich sofort an unsere Fersen hefteten. Mein erster Gedanke war: Aus dem Regen in die Traufe. Die drei entpuppten sich jedoch als Streikposten, die in uns Streikbrecher oder Spitzel vermuteten. Nachdem wir gegenseitig unsere Harmlosigkeit erkannt hatten, wanderten wir gemeinsam nach dem Streiklokal in Kloster-Mansfeld. Ich sagte den Genossen zunächst nicht meinen Namen. Unerkannt wollte ich in aller Ruhe erst die Dinge beobachten, um Zweck und Ziel der durch den Generalstreik ausgelösten Bewegung zu erforschen. Hierbei kam mir zu Hilfe, dass ich im Sommer 1919, während meiner illegalen Tätigkeit im Mansfeldischen Gebiet und auch in Kloster-Mansfeld, unter dem Pseudonym Sturm Versammlungen abgehalten hatte. Den Hoelz kannten die Genossen nur dem Namen nach.
Bei unserer Ankunft im Orte - der Bahnhof befindet sich weit außerhalb - hielt der Aktionsausschuss eine Nachtsitzung ab. Mein Begleiter wies sich als Genosse aus und stellte mich als politischen Flüchtling vor. Wir nahmen an der Sitzung teil. Von Waffen oder von der Vorbereitung einer bewaffneten Aktion war nicht das mindeste zu merken. Die Arbeiter waren der Ansicht, dass ein Generalstreik den »Sozialisten« Hörsing zwingen würde, seine bewaffneten Aufseher aus dem Mansfelder Kreis abzurufen.
Im Laufe des Tages sprach ich in Versammlungen in Hettstedt, Mansfeld und Eisleben, wo über die zu ergreifenden Maßnahmen Beschlüsse gefasst wurden. Die Versammlung in Hettstedt verlief sehr stürmisch, da dort Spitzel waren, die von den Arbeitern erkannt und an die Luft gesetzt wurden. Nach der Versammlung in Mansfeld versuchten Spitzel zu provozieren.
In allen Kundgebungen zeigte sich Entschlossenheit und Einmütigkeit der Arbeiter; ohne Unterschied der Parteirichtung - es waren USPD-, KPD-, KAPD- und AAU-Arbeiter anwesend - beschlossen sie, sich die frechen Provokationen des »Sozialisten« Hörsing nicht gefallen zu lassen und im Generalstreik zu bleiben. Die SPD- und USPD-
Arbeiter wussten nicht, dass ihre verräterischen Führer bei einer Zusammenkunft in Eisleben, zu der sie von den Behörden geladen worden waren, sich selbst für die Herbeiziehung der Grünen ausgesprochen hatten. Diese »klassischen« Arbeitervertreter hatten es jedoch wohlweislich abgelehnt, ihre Namen unter den von Hörsing verfassten Aufruf zu setzen. Für sechs Uhr abends war eine grö­ßere Versammlung in Eisleben angesetzt, zugleich für die umliegenden Ortschaften und Schächte. Zehn Minuten vor sechs Uhr befand ich mich noch weit außerhalb Eislebens. Es machte mir Kopfzerbrechen, wie ich ungehindert in die Stadt gelangen könnte, denn Eisleben war besonders stark von Sipo besetzt. Vier Hundertschaften lagen dort, mit allen modernen Waffen ausgerüstet. Nach meinem Auftreten in Hettstedt und Mansfeld war mit Sicherheit damit zu rechnen, dass die Sipo in Eisleben alles aufbieten würde, um mich unschädlich zu machen. Nicht nur wegen der ausgesetzten 55000 Mark, sondern vor allem, um durch meine Festnahme oder Beseitigung zu verhindern, dass ich die Bewegung vorwärtstreibe.
Während meines Referats in Kloster-Mansfeld wurde gemeldet, dass in verschiedenen Gruben mehrere nichtorganisierte Arbeiter infolge der Drohungen der Werksleitungen weiterarbeiteten. Im Anschluss an die Versammlung fuhr ich mit einer Anzahl Mansfelder Genossen nach einigen umliegenden Schächten, um die wenigen Streikbrecher zu veranlassen, sich dem Generalstreik anzuschließen.
Gegen sechs Uhr verließ ich die Schachtanlagen und fuhr in Begleitung des Genossen Richard Loose nach Eisleben. Einige hundert Meter vor der Stadt kam uns eine etwa 30 Mann starke Sipo-Radfahrer-Patrouille entgegen. Die Werksleitungen der umliegenden Schächte hatten die Hilfe der Grünen gegen die streikenden Arbeiter erbeten.
Im ersten Augenblick war ich bestürzt. Mir konnte es nicht gleichgültig sein, fünf Minuten vor einer größeren Versammlung, in der ich als Redner sprechen sollte, verhaftet zu werden. Ich wollte rasch kehrtmachen und versuchen, auf einem anderen Wege nach Eisleben zu gelangen. Mein Begleiter machte mich auf das Zwecklose meines Entschlusses aufmerksam. Durch das plötzliche Umkehren würden wir uns verdächtig machen und von der Sipo beschossen werden. Zu langem Überlegen war keine Zeit, es galt rasch zu handeln, entweder kehrtzumachen oder frisch drauflos zu fahren. Ich entschloss mich für das letztere. Dreißig Meter vor den uns begegnenden Sipos bog ich mit meinem Rad scharf nach rechts und steuerte direkt auf den an der Spitze fahrenden Leutnant zu. Auf fünf Meter Entfernung rief ich: »Es ist höchste Zeit, dass Sie kommen, da vorne sieht es böse aus!« Er lächelte über diese Aufmunterung und radelte tapfer weiter. Ich streifte beim Vorbeifahren mit meinem Ellenbogen flüchtig seinen Arm, er ahnte nicht, wie nah das Glück an ihm vorbeihuschte, wie leicht er sein Gehalt durch eine fette Belohnung hätte aufbessern können.
In solchen Augenblicken - sie waren in den nächsten Tagen an der Tagesordnung -, wo die Uhr immer fünf Minuten vor zwölf stand, setzte der Herzschlag sekundenlang aus; nachher hatte ich immer ein Empfinden, als sei ich frisch auf die Welt gekommen.
Die Straße war bis ins Innere der Stadt mit einzelnen Streifenpatrouillen geradezu übersät. Wir wurden überall scharf gemustert, aber nirgends angehalten, wahrscheinlich, weil wir so überaus höflich grüßten. Ich fuhr mit klopfendem Herzen an Dutzenden von Patrouillen vorüber. Unauffällig fragte ich ein paar Jungen, ob im Orte eine Versammlung stattfinde. Nach einigem Kreuz und Quer waren wir endlich am Ziel und wurden von Tausenden von Arbeitern stürmisch begrüßt.
In dieser Versammlung traf ich zum ersten Male Josef Schneider, der in den nächsten Tagen mit mir zusammenblieb. Schneider war Redakteur an der Parteizeitung in Eisleben und leitete dort die Bewegung. Es war zum Schreien komisch, wenn dieser auffallend kleine, überfette Mensch in einem kleinen Wandererauto, das er irgendwo requiriert hatte, durch die von streikenden Arbeitern angefüllten Straßen fuhr. Wer ihn nicht persönlich kannte, musste ihn für einen kapitalistischen Ausbeuter halten. Trotz seines ungeheuren Körperumfangs war Schneider von einer erstaunlichen Beweglichkeit. Bei den in den folgenden Tagen stattfindenden Kämpfen zeigte es sich, dass er organisatorisch begabt war. Ich übertrug ihm die Verpflegung der Truppe sowie die Verwaltung der beschlagnahmten Gelder. Beide Aufgaben erledigte er mit Geschick. Daneben leitete er noch den Pressedienst. Er verfasste über die täglichen Kämpfe Berichte, die er an uns nahe stehende Organisationen und Zeitungen sandte. Seine Frau und sein einjähriges Kind wurden von der Sipo als Geiseln festgesetzt. Als Gegenmaßnahme verhafteten wir den Generaloberarzt Evers und dessen Frau.
Bei dem letzten Gefecht in Beesenstedt rettete sich Schneider mit der Kasse in einem Auto. Er war fast der einzige von den mitteldeutschen Kämpfern, der sich nach Russland in Sicherheit brachte. Als ich später vor den Moabiter Sonderrichtern stand und eine Reihe von Zeugen Schneider sehr belasteten, indem sie ihm nachsagten, er habe eine Tasche voll Tausendmarkscheine eingesteckt, wies ich diese Verdächtigungen entschieden zurück. Er seinerseits schrieb im Ausland unter Brandlers Einfluss eine Broschüre, betitelt: »Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land«, die die damalige Leitung der KPOe herausgab. In dieser Schrift verleumdete er mich wider besseres Wissen und verstärkte dadurch die gegen mich gerichtete Hetze. Es gehörte damals selbst in gewissen Parteikreisen beinah zum guten Ton, mich zu verleumden und zum Sündenbock für alles, was man nicht selber verantworten wollte, zu machen.
Die Eislebener Arbeiterschaft war ungeheuer erbittert über das herausfordernde Auftreten der besonders wohlgenährten und gutgekleideten Sicherheitspolizei. Immer wieder erscholl die kategorische Forderung: »Fort mit den bewaffneten Aufsehern!« Das Ergebnis der Versammlung war
der einmütige Beschluss, den Generalstreik weiterzuführen, bis Hörsing seine grünen Banden abrufe. In Eisleben sah ich an diesem Tage bei den Arbeitern keine Waffen. Ohne Zweifel hielt die Arbeiterschaft Waffen versteckt, die sie während des Kapp-Putsches den Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligen abgenommen hatte. Ebenso fest steht aber auch, dass die Arbeiter nicht zu den Waffen gegriffen hätten, wenn sie nicht durch das brutale Vorgehen der Sipo dazu gezwungen worden wären. Nach der Versammlung kehrte ich nach Kloster-Mansfeld zurück. Dort war der Sammelpunkt für alle aus dem Streikgebiet einlaufenden Nachrichten.
Noch in der Nacht vom 22. zum 23. März erfuhr ich durch Meldefahrer, dass die Sipo eine Anzahl von Teilnehmern an der Versammlung in Eisleben verhaftet und schwer misshandelt hatte.
Bei dem Versuch, diese Kameraden zu befreien, kam es zwischen den Grünen und der Arbeiterschaft zu den ersten schweren Zusammenstößen, bei denen die Arbeiter noch keine Waffen führten. Das völlig unbegründete und brutale Vorgehen der Sipo veranlasste aber die Arbeiter, sich zu bewaffnen, um die Freilassung der Verhafteten und den sofortigen Abzug der Polizei zu erzwingen. So lagen die Dinge am Morgen des 23. März.
Jetzt war meine Hauptaufgabe nicht die Veranstaltung imposanter Versammlungen, ich musste vielmehr versuchen, die sich spontan bewaffnende Arbeiterschaft zu einheitlichen Kampfhandlungen zusammenzufassen.
Am Morgen des 23. März entsandte ich Kuriere nach Berlin, Hannover, Braunschweig, Halle und ins Vogtland, um den notwendigen Kontakt mit den Parteiinstanzen herzustellen. Dann organisierte ich unverzüglich eine Sturmkompanie, die den Kern der Arbeiterkampftruppe bilden sollte. Hierfür waren am ersten Tag nur fünfzig Gewehre und drei Maschinengewehre vorhanden.
Eine Kardinalfrage für die Durchführung militärischer Aktionen ist die Verpflegung der kämpfenden Truppen. Während der Kapp-Tage im Vogtland hatte ich die Erfahrung gemacht, dass Kampfhandlungen, die sich über ein lokales Gebiet hinaus erstrecken, nur durchführbar sind, wenn für die leiblichen Bedürfnisse der Kämpfer gesorgt wird.
Ich übertrug die Herbeischaffung der notwendigen Gelder vier zuverlässigen Genossen, die für die Truppen Lebensmittel und Kleidungsstücke kauften. Über die Eingänge und Ausgaben wurde Buch geführt. Die größeren Banknoten, Tausendmarkscheine, wurden besonders aufbewahrt und gegen Quittungen den Kurieren ausgehändigt, die die Kommunistische Arbeiterpartei schickte. Von dieser Seite wurde fast täglich Geld für die Herstellung von Zeitungen und Flugblättern verlangt.
Das Hauptquartier der Arbeiterkampftruppe befand sich in der Mitte zwischen den zwei Siponestern: Eisleben auf der einen und Hettstedt auf der anderen Seite. Mit den Kameraden schlug ich mich bis nach Eisleben durch, um gemeinsam mit den dort wohnenden bewaffneten Arbeitern Eisleben von den Grünen zu säubern. In der dritten Nachmittagsstunde stieß ich in Wimmelburg auf Eislebener und Wimmelburger Genossen. Sie hatten kurz vorher ein Gefecht mit der Sipo bestanden und drei Gefangene gemacht.
In Eisleben war die Sipo auf zwei Gebäude, Seminar und Städtisches Krankenhaus, verteilt.
Während unsere Genossen die Grünen im Seminar mit einem Maschinengewehr und zwanzig Gewehren beunruhigten, leitete ich mit etwa neunzig Gewehren den Angriff auf die Sipo im Städtischen Krankenhaus. Wir kamen bis auf fünfzig Meter an den Gegner heran, und es wäre möglich gewesen, durch einen raschen Vorstoß die Ordnungshüter aus dem Gebäude zu werfen. Nach meiner Schätzung hätte dieser Angriff auf unserer Seite mindestens zwanzig bis dreißig Mann Verluste gefordert.
So wie die Dinge lagen, konnte ich die Kämpfe nur als Vorpostengefechte werten. Das verpflichtete mich, militärische Erfolge nur unter möglichster Vermeidung von größeren Verlusten auf unserer Seite anzustreben. Ich musste versuchen, die Sipo mit List aus dem Gebäude herauszulocken. Das Kräfteverhältnis war sehr ungleich. Der Gegner verfügte über vierhundert gut bewaffnete Mannschaften, wir Arbeiter hatten kaum neunzig Gewehre.
Um die Sipo aus Eisleben zu vertreiben, ohne dabei meine kleine Truppe zu opfern, griff ich zu Maßnahmen, die zwar keine Verluste an Menschenleben forderten, mir aber von bürgerlicher
Seite und sogar von den in Berlin sitzenden führenden Parteigenossen als Verbrechen angerechnet wurden. Ich sandte zwei Parlamentäre zum Bürgermeister mit der Forderung, sich sofort mit dem Sipomajor Folte in Verbindung zu setzen und dahin zu wirken, dass die Sipo die Stadt schnellstens verlasse, andernfalls ich Eisleben an allen Ecken anzünde.
Tatsächlich habe ich nicht einen Augenblick geglaubt, dass auf meine Drohung Folte mit seinen Leuten abziehen werde. Wohl aber durfte ich mit fast absoluter Sicherheit annehmen, die Sipo komme aus ihrem schützenden Bau heraus, um die angedrohten Brandlegungen zu verhindern. In diesem Falle konnten wir der Sipo im offenen Stra­ßenkampf besser beikommen und würden das Kampfziel ohne allzu große Opfer erreicht haben.
Um meiner Androhung den Nachdruck der Tat zu geben, legte ich pünktlich nach Ablauf der gestellten Frist eigenhändig Feuer an ein Gebäude. Dann begab ich mich mit acht Mann in das Stadtinnere und zertrümmerte eine Anzahl großer Fensterscheiben, damit die entsetzten Spießer und ihr Bürgermeister von der Sipo energisch Schutz verlangten. Um Ausschreitungen zu verhindern, hatte ich dieses wenig angenehme Kommando selbst übernommen.
Nach menschlicher Berechnung hätte die für Ruhe und Ordnung sorgende Sipo nun eingreifen müssen, da sie an Zahl und Kampfmitteln den kämpfenden Arbeitern weit überlegen war. In meiner famosen Spekulation fehlte aber der wesentlichste Faktor: der mangelnde Mut der Schutzpolizisten. Obwohl die Behörden der Sipo sofort telephonisch von den Brandlegungen, den Zerstörungen und den angeblichen Plünderungen Mitteilung machten und der Bürgermeister die Ordnungshüter flehentlich um Schutz seiner bedrohten Stadt bat, blieb die Polizei ruhig im sicheren Bau und ließ lieber den ganzen Ort, den sie schützen sollte, in Trümmer gehen.
Um so tapferer war sie dann beim Misshandeln und Niederknallen wehrloser Gefangener.
Nachdem ich das Erfolglose meiner List eingesehen hatte, ließ ich den kleinen von mir gelegten Brand durch die Arbeitersoldaten löschen. Außer ein paar Gardinen und einer Bettdecke war nichts verbrannt.
Im ersten Gefecht in Eisleben zeichnete sich besonders ein kleiner Berliner Genosse durch seine Tapferkeit aus; er bewies in allen Situationen gro­ßen Mut, so dass ich ihn zu meinem persönlichen Begleiter wählte. Im Scherz sagte ich einmal zu ihm, er dürfe sich ruhig Max Hoelz nennen, wenn er damit den Kapitalisten Schreck einjage.
Er machte leider einen zu reichlichen Gebrauch von meinem nicht ernst gemeinten Angebot. Dass er sich bei der Sprengung der Villa des Generaloberarztes Evers (wie dieser vor Gericht bekundete) als Max Hoelz ausgab, war weiter nicht tragisch. Unangenehmer war schon, dass er bei einem zweiten Gefecht in Eisleben während der Kämpfe einen Abstecher in ein Bordell machte und sich dort unter meinem Namen eine halbe Stunde lang amüsierte.
Ich hörte von dieser Tatsache erst im letzten Jahre meiner Zuchthaushaft. Der Wirt des Lokals »Zur Taube« machte meinem Verteidiger Dr. Apfel, der in Eisleben Ermittlungen in meiner Wiederaufnahmesache anstellte, die Mitteilung, Hoelz habe das einzige Bordell im Ort besucht.
Zuerst hielt ich es für einen üblen Scherz. Ich wusste nichts von der Existenz eines solchen Hauses in Eisleben. Als ich mich nach meiner Freilassung in Eisleben erkundigte und mir eine Personenbeschreibung des angeblichen »Hoelz« verschaffte, stellte sich heraus, dass mein Berliner Freund sich auf meinen Namen ein kostenloses Vergnügen erschwindelt hatte.
Dieser Genosse fiel später durch eine große Ungeschicklichkeit, die ich ihm nach seinem Verhalten im Kampf nicht zugetraut hätte, der Polizei in die Hände. Vor dem Gefecht mit dem Panzerzug in Sangerhausen versuchte ich, die noch vorhandenen Kontributionsgelder nach Berlin abzuschieben. Wenn der Kampf zu unseren Ungunsten ausging, sollte nicht die Reichswehr das Geld erwischen. Ich übergab dem kleinen Berliner eine Reisetasche mit mehreren hunderttausend Mark für die KAPD in Berlin. Er ging zu Fuß nach einer entfernten Bahnstation, kehrte unterwegs in einem Gasthause ein, bestellte dort einen Wagen und sagte, er müsse sofort zur Bahn. Er sei Kurier von Max Hoelz und müsse dringend Geld nach Berlin bringen, damit dort die Flugblätter gedruckt werden könnten. Fünf Minuten später war er schon durch die Gendarmerie verhaftet.
Außer der kleinen Bordellaffäre, die sich der Berliner in Eisleben leistete, ist mir kein anderer Fall bekannt geworden, wo während der Kämpfe Rotgardisten oder Genossen sich mit sexuellen Dingen befassten. Bei keiner der Truppen, die unter meiner Leitung kämpften - weder im Vogtlande, noch in Mitteldeutschland - befanden sich Frauen. Als während des mitteldeutschen Aufstandes, nach dem zweiten Gefecht in Eisleben, eine Arbeiter-Samariter-Kolonne auftauchte, die unter der Leitung einer in Männerkleidung auftretenden Hallenser Genossin stand, waren die Rotgardisten von dieser Erscheinung nicht erbaut. Ich hatte den Eindruck, dass die Rotgardisten - auch bei mir war das der Fall - Frauen während der Kämpfe nicht gern um sich sahen. Sie befürchteten vielleicht, durch sie von ihrer Aufgabe abgelenkt zu werden.
Erfreulich war auch, dass, soweit ich beobachten konnte - außer in einem einzigen Fall - während der ganzen Kämpfe kein Rotgardist das Alkoholverbot übertrat. Das Verlangen nach Alkohol war bei keinem von uns sehr stark, obwohl es an Gelegenheiten zum Trinken nicht fehlte.
Nach Einbruch der Dunkelheit zog ich die Arbeitertruppen zusammen und bezog Quartier in Helbra. Dort erwarteten mich schlechte Nachrichten. Die Sipo hatte in Hettstedt den Aktionsausschuss überfallen, Bücher und Schriftstücke beschlagnahmt und Arbeiter unter nichtigen Vorwänden verhaftet. Zwei Mann waren auf der Straße wie Hunde niedergeschossen worden, ein sechzehnjähriger und ein fünfzigjähriger Arbeiter. Dem jungen Menschen trat, als er röchelnd auf dem Boden lag, ein Offizier mit dem Stiefelabsatz ins Gesicht und schrie: »Das Aas hat nichts anderes verdient!« Ferner erfuhr ich, dass die Genossen Roth, Grünberg und Müller durch ihre Unvorsichtigkeit mit der Kriegskasse in Quedlinburg verhaftet worden waren. Ich hatte den drei Genossen ein Auto zur Verfügung gestellt und sie angewiesen, die beschlagnahmten Gelder außerhalb der Gefechtszone in Sicherheit zu bringen und im Walde vor Annarode auf uns zu warten. Sie machten aber unterwegs in einem Gasthaus Halt und kümmerten sich nicht um den uns feindlich gesinnten Chauffeur. Der telefonierte an die Kriminalpolizei nach Quedlinburg, ein Hoelz-Auto mit beschlagnahmten Geldern werde die Stadt passieren; er hatte durch ein Gespräch während der Fahrt das Ziel der Reise erfahren.
Der Genosse Roth trug meinen Siegelring mit den Anfangsbuchstaben meines Namens und meine Taschenuhr bei sich. Deshalb, und wegen einer angeblichen Ähnlichkeit mit mir, wurde er als Hoelz verhaftet und sofort in Ketten gelegt. Die Frage, ob er der Hoelz sei, bejahte er.
Schon am folgenden Tage gelang es Roth, trotz scharfer Bewachung aus dem Militärgefängnis zu entfliehen. Er hatte die beiden anderen Genossen aufgefordert, mit ihm zu entweichen. Sie lehnten aber ab, weil sie die Sache für zu gefährlich hielten. Genosse Grünberg unterstützte das Entkommen Karl Roths. Während des Herumlaufens im Kreise bei der so genannten Freistunde markierte er einen epileptischen Anfall. Der Aufseher bemühte sich um ihn. Diesen Augenblick benutzte Roth, um über die Gefängnismauer zu fliehen.
Für den Genossen Fritz Grünberg hatte diese Beihilfe zur Flucht noch ein böses Nachspiel. Es stellte sich bald heraus, dass er den Anfall nur markiert hatte. Er bekam die strengsten Hausstrafen und wurde in Dunkelarrest von den Aufsehern furchtbar misshandelt. Die Mitgefangenen hörten tagelang seine verzweifelten Schreie und Hilferufe. Durch Dunkelarrest und Misshandlungen in eine tiefe seelische Depression geraten, schnitt er sich mit einem Glasscherben die Pulsadern auf und schrieb mit seinem eigenen Blut einen Abschiedsbrief an seine Angehörigen. Noch ehe er verblutete, wurde seine Tat entdeckt.
In der Nacht entsandte ich eine Gruppe mit einem Lastauto nach der Dynamitfabrik Leimbach und ließ dort zwanzig Zentner Sprengstoff requirieren, die wir zur Herstellung von Wurfbomben, die an Stelle der fehlenden Minenwerfer treten sollten, brauchten.
Wir waren gezwungen, alle Mittel anzuwenden, um die Gegner zu schlagen. Die Bewaffnung unserer Truppe war in den ersten Kampftagen äußerst mangelhaft.
Am Donnerstag, dem 24. März, kam es zu einem längeren Gefecht in Hettstedt. Um die einzelnen Siponester zu beunruhigen und zu verwirren, griff ich ganz überraschend einmal Eisleben, dann wieder Hettstedt an. Durch Verstärkungen, die aus den umliegenden Ortschaften eintrafen, war die Arbeitertruppe an Zahl gewachsen. Ich konnte vier Sturmkompanien von je hundert Mann und sechs Maschinengewehr-Abteilungen bilden.
Der Gegner verfügte über gute und ausreichende Verbindungs- und Verständigungsmittel wie Telefon, Funkstationen und Lichtsignale. Die Arbeitertruppen hatten nichts dergleichen. Ich musste deshalb zu primitiveren Behelfen greifen. Die Frage der Verständigung und Verbindung zwischen den einzelnen Kompanien, Zügen, Gruppen und Maschinengewehr-Abteilungen war, zumal bei einem von verschiedenen Seiten vorzunehmenden Angriff, außerordentlich wichtig. Die zwanzig Mann starke Radfahrerabteilung, die mir zur Verfügung stand, war ein vorzügliches Verbindungsmittel für die Truppenbewegung auf der Landstraße, von Ort zu Ort, jedoch völlig ungeeignet und technisch unbrauchbar für Operationen in dem von Schachtanlagen durchfurchten Gelände des Aufstandgebietes. Den einzelnen Abteilungen wurden unbewaffnete Arbeiter als Meldeläufer zugeteilt.
Aus dem bunten Haufen Hunderter von den umliegenden Schachtanlagen und Industriewerken herbeigeeilter Arbeiter war eine fest gefügte, gut disziplinierte proletarische Sturmtruppe entstanden, nicht im Sinne des alten, wilhelminischen Kadavergehorsams, sondern im besten Sinne der freiwilligen proletarischen Selbstdisziplin. Ich habe bei allen Gefechten und Kämpfen nicht einen einzigen Fall von Zögern oder Feigheit feststellen können. Die Genossen wussten, dass ich nie einen Auftrag erteilte, den ich nicht vorher in gleich schwierigen Situationen selbst ausgeführt hatte. Alle besonders gefährlichen und komplizierten Aufgaben erledigte ich, wenn irgend möglich, persönlich. Dadurch sicherte ich mir das unbedingte Vertrauen der Mannschaften.
In den Vormittagsstunden dieses Tages setzte ich mich durch Kuriere und Radfahrer mit allen Aktionsausschüssen des Mansfelder Gebirgs- und Seekreises in Verbindung. Ich schickte ihnen Aufrufe, in denen ich sie aufforderte, sofort alle verfügbaren kampffähigen Genossen nach Helbra und Kloster-Mansfeld zu übersenden. Der nun Tatsache gewordene Aufstand konnte politisch und militärisch nur dann weittragende Erfolge zeitigen, wenn es mir im mansfeldischen Gebiet gelang, in den nächsten Tagen eine Truppenmacht von mindestens zehntausend Mann zusammenzubringen. Eine Sturmtruppe von einigen hundert Mann kann unter Umständen hervorragende lokale Erfolge erzielen, nie aber Operationen durchführen, die sich über ein Gebiet von hundert und mehr Kilometern erstrecken.
Hierfür müssen in erster Linie Reserven vorhanden sein. Es gehört leider immer noch zur politisch-militärischen Anschauung vieler Genossen, zu glauben, es genüge, in ihren Wohnorten die politisch-militärische Macht an sich zu reißen. Die Absicht, mehrere Orte zu einem größeren, einheitlichen Kampfverband zusammenzuziehen, stieß auch in dieser Aufstandsbewegung - genau wie früher - bei vielen Genossen auf Widerstand.
Täglich schickte ich Kuriere mit Meldungen, Aufrufen, Berichten an die Parteistellen nach Berlin, Braunschweig, Hannover, Halle und anderen Orten. Ich versuchte dauernd, die notwendige Verbindung mit den Parteiorganisationen herzustellen. Trotz dieser Bemühungen erhielt ich keine Informationen von den in Frage kommenden Instanzen. Nur in einem einzigen Fall bekam ich einen schriftlichen Befehl aus Halle, der von führenden Berliner Parteigenossen der KPD und KAPD gezeichnet war, mit dem lapidaren Inhalt, die KPD und KAPD seien damit einverstanden, dass ich die militärische Oberleitung über die kämpfenden Truppen habe und dass ich bis... (der Termin wurde genannt) unter allen Umständen durchhalten müsse.
In der Mittagsstunde des 24. März fuhr ich mit den Mannschaften auf Lastautos nach Hettstedt. Die Hettstedter Sipo hatte beträchtliche Verstärkung erhalten und beabsichtigte, uns in unserem Hauptquartier zu überfallen. Ich kam dieser Absicht zuvor und begann den Angriff. Die Zugänge zur Stadt waren von den Grünen versperrt. Es entwickelte sich ein scharfes Gefecht, das bis in die Abendstunden dauerte und bei dem es uns gelang, den Gegner in das Zentrum der Stadt zurückzudrängen. Hier ergab sich die Notwendigkeit zu den ersten Sprengungen, die wir ausführten.
Durch den Feldstecher sah ich, wie auf dem
Bahnhof Hettstedt eine Lokomotive unter Dampf gesetzt wurde, obwohl der ganze Betrieb lahm gelegt war. Meine Vermutung, dass die Sipo unter dem Schutze einer Lokomotive einen Vorstoß gegen uns machen wollte, erwies sich als richtig. Mit zwei Mann meiner Begleitung legte ich ein paar fertige Bomben unter die Eisenbahnschienen, um im Augenblick des Heranrollens der Lokomotive die Bomben zur Entzündung zu bringen. Infolge meiner geringen Übung und mangelhaften Erfahrung mit Sprengungen hatte ich die Zündschnur für diesen Zweck viel zu kurz gewählt. Ich war kaum dreißig Meter von dem Bahndamm entfernt, als eine furchtbare Detonation erfolgte und neben großen Steinen und Holzsplittern ein über zwei Meter langes Gleisstück in die Höhe schwirrte und knapp einen Meter vor mir sich senkrecht in den weichen Ackerboden spießte. Der Zweck der Sprengung war erreicht. Die Grünen mussten sich unter dem heftig einsetzenden Maschinengewehrfeuer der revolutionären Arbeiter zurückziehen.
Am Abend zog ich die um die Stadt in Stellung liegende Kompanie zurück, um alle verfügbaren Kräfte für einen Nachtangriff auf Hettstedt zu sammeln. Das Ziel des beabsichtigten Nachtangriffs war, die Grünen zu überrumpeln und sie zur Waffenstreckung zu zwingen. Nicht um jeden Preis, sondern unter äußerster Schonung der kämpfenden Arbeiter. Wenn die strategische Notwendigkeit es verlangte, war es besser, List vor Gewalt zu setzen oder z. B. die Villa eines fetten Spießers in einen Trümmerhaufen zu verwandeln, als das Leben eines revolutionären Arbeiters zu opfern.
Beim Vorrücken nach der von der Sipo besetzten Schule war ich gezwungen, Sprengungen an und in Gebäuden vorzunehmen. Ein Teil des Bahnhofgebäudes sowie zwei Villen und zuletzt eine in der unmittelbaren Nähe der Sipounterkunft befindliche Druckerei wurden gesprengt. Auch diese vier Sprengungen führte ich, von zwei Genossen unterstützt, selbst aus. Die Sonderrichter schlussfolgerten, ich hätte aus reiner Zerstörungswut gesprengt. Als ob sie keine Ahnung von den Zwangsläufigkeiten und Notwendigkeiten während des Bürgerkrieges gehabt hätten, in dem die kämpfenden Arbeiter infolge ihrer mangelhaften Ausrüstung gegenüber dem mit Großkampfmitteln reichlich versorgten Gegner immer im Nachteil sind. In Hettstedt wäre es unmöglich gewesen, ohne Verluste auf unserer Seite vorzusto­ßen, wenn ich die Häuser nicht zerstört hätte. Die Sprengung eines Gebäudes verursacht eine große Staubwolke, die sich oft eine halbe Stunde und noch länger in der Luft hält. Unter dem Schutze einer solchen riesigen Staubwolke war es für uns viel leichter, im Straßenkampf vorzugehen, da der Gegner nichts sehen konnte und daher kein gutes Zielobjekt hatte. Durch diese Sprengungen rettete ich vielen Arbeitern das Leben.
Nach der letzten Sprengung hatten sich die Grünen in der Schule verbarrikadiert. Alle Posten und Patrouillen waren von den Straßen verschwunden. Durch ein paar Gefangene, die wir machten, und durch unsere ausgesandten Radfahrpatrouillen erfuhr ich, dass aus der Richtung Sandersleben Artillerie zur Verstärkung für die Sipo schon im Anmarsch war. Es ging bereits auf vier Uhr früh. Unsere Genossen waren abgekämpft und brauchten dringend ein paar Stunden Ruhe.
Ich leitete die Truppen nach Helbra in die Quartiere zurück. Ausschlaggebend für diesen Entschluss war vor allem das unbedingte Festhalten an meiner von Anfang an geübten Taktik, der allein zuzuschreiben ist, dass es den uns an Zahl und Kampfmitteln weit überlegenen Gegnern erst nach zehn Tagen gelang, meine Truppe aufzureiben. Die Taktik bestand in folgendem:
1. durfte der Gegner aus meinen Handlungen und Maßnahmen niemals Schlüsse auf meine weiteren Absichten ziehen können,
2. durfte ich, solange mir keine größere Truppenmacht und vor allem keine Reserven zur Verfügung standen, unter keinen Umständen länger als höchstens vierundzwanzig Stunden an einem Ort verweilen.
Diese Taktik habe ich konsequent durchgeführt, mit dem Erfolg, dass stets, wenn der Gegner mich eingekreist zu haben glaubte, meine Truppen die Gefahrzone längst verlassen hatten, und er, wie in den Fällen Wimmelburg, Eisleben und Hettstedt, sein Artillerie- und Minenfeuer auf ein leeres Nest verschwendete. Wie sehr mein Vorgehen dem Gegner immer neue Rätsel aufgab, beweist die Aussage des Sipomajors Folte vor dem Sondergericht in Moabit. Als ihn der Vorsitzende fragte, ob es denn der zahlenmäßig weit überlegenen Sipo nicht möglich gewesen sei, die roten Banden einzukreisen und zu schlagen, antwortete er wörtlich: »Es war schwer, an Hoelz heranzukommen, wir hatten schon vorher gehört, dass Hoelz ein gewiegter Kerl sei.«
Am Freitag, dem 25. März, kam es zu einem zweiten und schärferen Gefecht in Eisleben. Durch einen bei einbrechender Dunkelheit unternommenen Angriff gelang es der Arbeitertruppe, bis auf den Marktplatz der Stadt vorzustoßen und das Rathaus zu besetzen. Dabei wurde die Villa des kaiserlichen Generaloberarztes der Marine Dr. Evers gesprengt. Evers, ein Stockreaktionär und Arbeiterfeind, hatte in seinem Haus Orgeschwaffen und Munition in großen Mengen.
Die durch den unerwarteten Überfall überraschten Grünen belegten Rathaus und Marktplatz mit starkem Minenfeuer. Wir hatten bereits acht Verwundete und konnten uns infolge des starken Minenfeuers in der Stadt nicht länger halten. Dazu erhielt ich von unseren ausgesandten Kundschaftern Meldungen, die mich veranlassten, meine Truppen schnellstens aus dem Ort herauszuziehen. In Wimmelburg wurde kurz Rast gemacht. Hier traf ich größere und kleinere Trupps von revolutionären Arbeitern, die aus allen Richtungen kamen und sich uns anschlossen. Die zahlenmäßige Stärke der kleinen Armee war an diesem Tage über zweitausendfünfhundert. Ich erfuhr durch die von Halle und anderen Orten kommenden Arbeiter zum ersten Mal etwas Genaueres über die Lage und die Vorgänge im Merseburger Gebiet. Daraufhin versuchte ich möglichst rasch aus dem sich immer enger um uns schließenden Sipo- und Reichswehrgürtel herauszukommen und die Truppe mit den bewaffneten Arbeitern in Teutschenthal und im Leunawerk zu vereinigen.
Es war die allerhöchste Zeit, den Hexenkessel Wimmelburg zu verlassen. Ein paar Stunden nach unserem Abmarsch unternahmen Sipo und Reichswehr einen konzentrischen Angriff auf Wimmelburg und ließen dort in wilhelminisch-ritterlicher Weise ihre Wut an unbeteiligten und unbewaffneten Arbeitern aus. Noch nach vier Wochen wurden tote Arbeiter in den Schlackenhaufen der umliegenden Schachtanlagen gefunden, von Sipo- und Reichswehrhänden ermordet und vergraben, wie man tolle Hunde verscharrt. Das war der Lohn dafür, dass die Arbeiter die Sipogefangenen stets menschlich behandelt und nicht einen einzigen getötet hatten. Alle von uns gemachten Gefangenen sind nach der Niederschlagung des Aufstandes unversehrt zu ihren Truppen zurückgekehrt.
Mit zehn Lastautos, zum Teil mit Anhängern, sowie auf Wagen und zu Fuß, rückten wir Mittwoch, den 26. März, in Sangerhausen ein. Meine Absicht war, diesen Ort nur als Durchgangsstation auf dem Marsch nach Halle zu benutzen. Hier in Sangerhausen sollten die Arbeiter vor allem ein ausgiebiges, warmes Mittagessen erhalten. Sie waren in den letzten Tagen nur unregelmäßig und unzureichend verpflegt worden. Jeder Gasthof musste für hundert oder hundertfünfzig Arbeiter kochen. Kaum eine halbe Stunde nach unserem
Eintreffen erhielten wir den unerwarteten Besuch eines mit württembergischen Zeitfreiwilligen besetzten Panzerzuges. Obwohl wir während der vergangenen Nacht im schwersten Kampf gestanden und die Arbeitersoldaten nicht eine Stunde Ruhe gehabt hatten, ergriff jeder mit Begeisterung die Waffen.
Die Besatzung des Panzerzuges war ausgeschwärmt und hielt das Gelände um den Bahnhof besetzt. Die tapferen Schwaben verwendeten reichlich viel Munition, während wir die allergrößte Sparsamkeit üben mussten, da wir empfindlichen Mangel daran litten. Nach vierstündigem Gefecht zogen sich die Zeitfreiwilligen in ihren Panzerzug zurück. Wir erbeuteten einige Gewehre und ein Maschinengewehr. Der Gegner hatte erhebliche Verluste; wir einen Toten und mehrere Verwundete.
Erst am Abend konnten die revolutionären Arbeiterkämpfer ihr Mittagessen verzehren. In später Nachtstunde rückte ich mit der Truppe von Sangerhausen ab, um den anbrechenden Sonntag dafür zu benutzen, den erschöpften revolutionären Kämpfern in Schraplau einen Ruhetag zu gönnen. Den kleinen, von Kalkwerken umlagerten Ott bevölkerte eine klassenbewusste Arbeiterschaft, die uns mit Enthusiasmus empfing und bewirtete. Am Abend wurden die Arbeitersoldaten zum ersten Mal gelöhnt. Die Löhnung besorgte die zur Truppe gehörige Finanz- und Verpflegungskommission; jeder Mann erhielt fünfzig Mark.
In Schraplau traf ich mit den Genossen Lembke und Bowitzki zusammen; sie leiteten die Aktion bei Teutschenthal. Obwohl Lembke und Bowitzki von der Partei in ihre Funktionen eingesetzt waren, erhielten sie von den Parteistellen keine Anweisungen für die zu unternehmenden Schritte.
Wir beschlossen, in der kommenden Nacht alle erreichbaren Kämpfer zusammenzuziehen und sie dann mit den Arbeitern im Leunawerk zu vereinigen, um über Ammendorf nach Halle vorzustoßen und uns durch einen Handstreich in den Besitz der in Halle befindlichen artilleristischen Kampfmittel zu setzen.
In der Nacht vom Sonntag zum Montag erfolgte der Marsch der Truppen von Schraplau nach Ammendorf. Am Montag, dem 28. März, fand das verhängnisvolle Gefecht in Ammendorf statt. Zur festgesetzten Zeit erreichten wir beim Morgengrauen diesen dicht bei Halle liegenden Ort.
Ich entsandte den Genossen Alfred Lembke in das Leunawerk, damit er mit der dortigen Kampfleitung die nötige Verbindung herstelle und alle kampffähigen Arbeiter auf Lastautos nach Ammendorf bringe. Vor allem aber sollte er versuchen, Munition aufzutreiben, denn unsere Vorräte waren vollständig erschöpft.
Mit etwa zweitausend Mann ging ich in einer drei Kilometer breiten Front gegen Halle vor. Zweitausend Meter vor Halle stießen wir auf ausgeschwärmte Sipo. Da uns Munition fehlte, war es nicht ratsam, sich auf einen größeren Kampf mit dem Gegner einzulassen.
Ich wartete ungeduldig auf die Ankunft der
Leuna-Arbeiter. Die meisten unserer Genossen hatten kaum ein bis zwei Patronen. Nach zwei Stunden kam Genosse Lembke im Auto vom Leunawerk zurück, brachte tausend Schuss Munition und dazu die Nachricht, dass die Genossen vom Leunawerk sofort frische Kräfte senden. Noch ehe die angekündigte und dringend notwendige Verstärkung eintraf, hatte der Gegner uns umzingelt.
Auf schnellen Lastwagen rückten auf den Stra­ßen Merseburg-Ammendorf, Osendorf-Ammendorf, Bruckdorf-Ammendorf und Halle-Ammendorf Hunderte von Grünen an.
Ich versuchte, mit den am Bahndamm der Linie Halle-Ammendorf liegenden Genossen aus der Umklammerung der Sipo herauszukommen. Viele der kämpfenden Arbeiter wurden bereits aus Ammendorf abgedrängt. Ich ritt mit dem Pferd eines unserer Meldereiter zu den zurückgehenden Truppen und wies sie an, den Ort unter allen Umständen zu halten. Mit den angekündigten Verstärkungen aus dem Leunawerk wollte ich die Grünen im Rücken angreifen.
Zu Fuß lief ich dann zu unserm am weitesten vorgeschobenen Posten. Dabei geriet ich um ein Haar in die Hände der Sipo. Ich sah keine Möglichkeit, zu entkommen, und hielt mich für verloren. Da hörte ich mehrmals meinen Vornamen rufen. Mehrere Bergarbeiter, die Notstandsarbeiten verrichteten, erkannten mich und winkten mir. Sie hatten die große Gefahr bemerkt, in der ich mich befand, und brachten mich in das Innere der Kohlengrube. Die Arbeiter, die sich als gute Parteigenossen legitimierten, verschafften mir Nachrichten über die Vorgänge in der Oberwelt. - Der größte Teil unserer Truppe hatte sich aus der Umklammerung der Sipo freigemacht. Ich beauftragte einen der Genossen festzustellen, auf welchem Wege ich mich zu meinen Leuten durchschlagen könne.
Hunderte von Metern saß ich unter der Erde, kaum einen Schritt von den großen Motoren der Pumpanlagen entfernt, die einen ohrenbetäubenden Lärm machten. Trotz des fürchterlichen Radaus und der Gefahr - ich stand auf schwankendem Brett über der Maschine - fiel ich in einen todesähnlichen Schlaf. Die Natur forderte ihr Recht nach all den Spannungen und schlaflosen Nächten der letzten Tage.
Der zurückkehrende Genosse rüttelte mich: »Es ist Zeit, Max!« Auf schlüpfrigen Leitern, die mir endlos schienen, kletterte ich nach oben. Ein älterer Parteigenosse, der zum Betriebsrat der Grube gehörte, erbot sich, mich zu den in Gröbers kämpfenden Arbeitern zu führen.
In Gröbers traf ich nicht, wie erwartet, meine Ammendorfer Kampfgenossen, sondern eine in Bitterfeld und Holzweißig aufgestellte Arbeiterkompanie unter Führung des Genossen Thiemann. Gerhard Thiemann, der mit seiner Familie in Werdau in Sachsen wohnte, hatte wegen seiner kommunistischen Gesinnung keine Arbeit mehr bekommen und Beschäftigung in einem Betrieb in Bitterfeld gefunden. Kaum hörte er von dem Ausbruch des mitteldeutschen Aufstandes, als er sich sofort mit großem Geschick daran machte, die kampffähigen Arbeiter in Bitterfeld und Holzwei­ßig zusammenzufassen, um sie zu den in Ammendorf kämpfenden Arbeitern zu führen.
Während der Kämpfe in Gröbers, Wettin und Beesenstedt verhielt sich Thiemann ungemein tapfer. Er gönnte sich keinen Augenblick Ruhe, war immer auf dem Posten, und sein gutes Beispiel wirkte anfeuernd auf die Truppe.
Ich hatte Thiemann während der wenigen Tage, die ich mit ihm zusammen kämpfte, lieben und schätzen gelernt. Er war der Typ des einfachen, uneigennützigen und bis zur Selbstaufopferung tapferen Proleten. Um so enttäuschter musste ich sein, als ich aus seinen Aussagen vorm Untersuchungsrichter ersah, dass er vor den Robenträgern nicht den Mut zeigte, der ihn im Kampf gegen die Sipo auszeichnete.
Niederdrückend für mich war, dass außer Thiemann auch viele andere im Kampf äußerst tapfere Genossen vor den Richtern zusammenknickten. Während meiner Haft habe ich oft über diese auffallende Tatsache nachgedacht. Ich fand keine andere Lösung, als dass es sich in diesen Fällen um an sich tapfere Proletarier handelte, die mutig und fest bleiben, wo sie kollektiv auftreten, bei denen aber eine durch Schule und Erziehung künstlich eingeimpfte Autoritätsgläubigkeit zum Durchbruch kommt, wenn sie allein Menschen gegen­überstehen, von denen sie annehmen, sie seien ihnen durch Wissen und Bildung überlegen.
Dieselbe Erfahrung machte ich mit Thiemanns
Unterführer Scheidecker. Auch er war ein einfacher Prolet. In den Kämpfen mit der Sipo und Reichswehr gab er uns ungezählte Beispiele von Mut und Tapferkeit. Vor den Richtern aber versagte Scheidecker ebenso wie Thiemann.
Thiemanns gut organisierte und bewaffnete Truppe hatte sich von Bitterfeld bis Gröbers durchgekämpft und in Gröbers ein schweres Gefecht mit der Sipo bestanden. Dabei erbeuteten die Arbeiter zwei Minenwerfer und andere Waffen und machten vier Gefangene.
Von meinen Bekannten aus dem Ammendorfer Gefecht traf ich nur Josef Schneider. Ich erfuhr, dass Teile meiner Truppe bis ins Mansfelder Gebiet geflüchtet waren und mich dort erwarteten. Ich beschloss, Thiemanns Truppe zu den Genossen im Mansfeldischen zu führen. Um nicht von der Sipo oder der Reichswehr abgeschnitten zu werden, war ich gezwungen, auf Umwegen und im Zickzack vorzustoßen.
Josef Schneider hatte sich in Gröbers einen Mann namens Keller als Pressechef beigeordnet. Kein Mensch wusste, wes Geistes Kind er war. Er kam von auswärts und verstand es, sich das Vertrauen Schneiders zu erwerben. Der hielt große Stücke auf Keller und machte ihn zu seinem täglichen Begleiter, obwohl ich ihn mehrfach vor ihm warnte.
Keller war ein hochaufgeschossener, hagerer Mensch mit unstetem Blick, der sich sehr radikal gebärdete und mit ganz phantastischen Vorschlägen an mich herantrat. Ich lehnte seine Mitarbeit in der militärischen Leitung ab, und er musste sich damit begnügen, in der von Josef Schneider geleiteten Finanz- und Verpflegungskommission als Gehilfe zu fungieren.
Wie recht ich mit meinem Misstrauen gegenüber Keller hatte, bewies die Moabiter Verhandlung, in der Keller mich durch falsche Aussage stark belastete. Er schreckte vor den unsinnigsten Lügen nicht zurück, um, wie er nach seiner Freilassung in einem Schreiben an meinen Anwalt erklärte, seine Haut zu retten. Nach meiner Entlassung aus dem Zuchthaus Sonnenburg wurde ich unter anderm auch in Hannover von den Arbeitern begrüßt. Am Bahnhof stürzte ein Mann mit einem großen Blumenstrauß mir entgegen. Unter hysterischem Schluchzen versuchte er meine Hand zu packen, wobei er schrie: »Kennst du mich? Kennst du mich? Ich bin dein Freund Keller!« Es war ein widerliches Schauspiel; ich musste alle Selbstbeherrschung aufbieten, um ihn nicht zu ohrfeigen.
Auf dem Marsch ins Mansfelder Land kam es in dem Dorfe Roitzschgen zu den Vorgängen auf dem Gutshofe Heß, bei dem der Besitzer erschossen wurde.
In Wettin hatten wir ein Gefecht mit der Einwohnerwehr. Einen von unseren Truppen verwundeten Landjäger verbanden die Arbeitersanitäter und brachten ihn ins Krankenhaus.
Nachdem in Wettin die Truppen verpflegt und gelöhnt worden waren, begann der Weitermarsch nach Mansfeld. Josef Schneider hatte an diesem Tag außer der Löhnung (per Mann fünfzig Mark) noch über 30000 Mark verausgabt, die er an Wettiner Geschäftsleute für Schuhe, Wäsche, Brot und Fleisch auszahlte. Die Bekleidung und Beschuhung der Genossen, die durchweg von ihrer Arbeitsstelle zu den Waffen geeilt waren, befand sich in mangelhaftem Zustand und musste ersetzt werden.
Nach Einbruch der Dunkelheit konnte ich mich an Hand der Karte schlecht orientieren. Ich fuhr wie gewöhnlich an der Spitze des Zuges und war verantwortlich dafür, dass wir uns nicht verirrten. Zwischen dem ersten und dem zweiten Wagen befanden sich die Meldefahrer, die die Verbindung mit dem Vor- und Nachtrupp herstellten. Einer der Radfahrer hielt sich an meinem Wagen fest, um sich mitziehen zu lassen. Ich forderte ihn auf, ein paar Einwohner zu fragen, wie das Dorf heiße, um festzustellen, ob wir auf dem richtigen Wege sind.
Der Radfahrer weigerte sich mit dem Bemerken, die Leute würden ihm ja doch keine richtige Auskunft geben. Auf meine mehrmals wiederholte Aufforderung entgegnete er mir schließlich, ich solle die Leute selbst fragen. Darauf gab ich ihm eine schallende Ohrfeige, die er prompt erwiderte. Ich sprang vom Wagen, packte und schüttelte ihn kräftig. Er entschuldigte sich und sagte, dass er mich in der Dunkelheit nicht erkannt habe.
In der Nacht vom 31. März zum 1. April erreichten die Truppen den Ort Beesenstedt. Hier sollte Rast gemacht und das während des Marsches in der Feldküche gekochte Essen verteilt werden. Die
Arbeitersoldaten wurden in den drei Domänen des Ortes einquartiert. Die größte Domäne gehörte dem Rittmeister Nette, der mit seiner Frau und seinem Sohne ein Schloss bewohnte, das 1914 mit einem Aufwand von Millionen errichtet worden war. Als wir die umfangreichen Vorratsgewölbe dieses Hamsterschlosses untersuchten, fühlten wir uns in das Schlachthaus einer Großstadt versetzt: da hingen Reihen von geräuchertem Schinken, Speckseiten und Würsten. Alle nur erdenklichen Delikatessen waren hier in riesigen Massen aufgespeichert. Das zu einer Zeit, wo in ganz Deutschland die größte Lebensmittelknappheit herrschte. Verschiedene Rotgardisten bekamen über diese zum äußersten Gipfel getriebene Selbstsucht Wutanfälle.
Mir erschien es als ein Verbrechen an der Not leidenden Arbeiterschaft, die Vorräte in ihrer Einsamkeit zu belassen. Acht Mann trugen von zwölf Uhr nachts bis vier Uhr früh an langen Stöcken die Unmengen Schinken, Speckseiten, Würste, auch Butter, Fett und vieles andere in den Tanzsaal des kleinen Dorfgasthofes, wo unser Quartier war. Von den Delikatessen, die wir zur Deckung des Bedarfs des Schlosspersonals zurückließen, konnten sich diese Lakaien noch monatelang ernähren. Die von uns beschlagnahmte Menge an Lebensmitteln bestimmte ich zur Verteilung an die arbeitende Bevölkerung und für die Verpflegung meiner Truppen.
Als zwei Mann mit der schweren Last, unter der sich die Stöcke bogen, an mir vorübergingen, musste ich an jene Kundschafter denken, die Moses nach seinem Zug durch die Wüste in das gelobte Land Kanaan sandte und die zurückkehrten mit Stöcken, die sich unter der Last der reifen Trauben bogen. Charakteristisch für den Rittmeister Nette war, dass er in seinen Schränken außer zahlreichen Hosen aus Militärstoff nicht weniger als achtzehn Paar Militärunterhosen und über zwanzig Militärhemden vorrätig hatte. Wir beschlagnahmten diese für den Herrn Rittmeister ganz überflüssigen Sachen samt fünf Dutzend anderer, vollständig neuer Hemden, getreu dem alten Bibelwort: »Wenn du zween Röcke hast, so gib einen dem, der keinen hat.«
Auf die Frage des Moabiter Ausnahmerichters an den Zeugen Rittmeister Nette, welchen Schaden er durch die Rotgardisten erlitten habe, gab Nette bezeichnenderweise nur den Verlust von fünf Dutzend Eigenhemden an. Er verschwieg aber wohlweislich das Fehlen von Militärhosen, -röcken und -unterzeug, er befürchtete wohl, dass der Richter oder einer der Verteidiger ihm die Frage vorlege, auf welche Weise er zu so auffallend vielen Militärbekleidungsstücken gekommen sei. Außer den genannten Sachen vermisste Nette aus seinem lebenden Besitz noch einen fetten Ochsen, über dessen Verlust er sich vor Gericht bitter beschwerte. Der Ochse war von unserer Verpflegungskommission geschlachtet und an die ausgehungerten Proletarier des Ortes verteilt worden.
Freitag, den 1. April, kam es zu dem mörderischen und tragischen Gefecht bei Beesenstedt. Unsere militärische Lage hatte sich in den letzten achtundvierzig Stunden erheblich verschlechtert. Eine größere Formation revolutionärer Arbeiter existierte nicht mehr. Durch die schweren Kämpfe in Ammendorf und im Leunawerk waren die vereinten Arbeitertruppen in mehrere, kaum ein paar Hundertschaften starke Gruppen auseinandergesprengt worden. Diese verstreuten Formationen strebten intensiv nach einer Vereinigung. Das zu verhindern war das Ziel der Sicherheitspolizei und Reichswehr. Die Sipo, durch Kontingente von süddeutschen Zeitfreiwilligen verstärkt, verfügte über reichliche artilleristische Kampfmittel.
Beim Abmarsch von Wettin sah ich das Aussichtslose unserer Lage klar vor Augen. Ich wollte schon dort die Truppen auflösen. Es war absolut unmöglich, eine Anweisung von einer Parteiinstanz zu bekommen. Unsere Truppe in Beesenstedt auseinander gehen zu lassen, hielt ich für falsch. Einmal war die Gegend absolut nicht geeignet, um unsere Waffen, Minenwerfer und andere militärische Ausrüstung nach erfolgter Auflösung zu verstecken. Dafür kam fast nur das mansfeldische Gebiet mit seinen zahlreichen Schächten und anderen Industrieanlagen in Frage. Zum anderen empfing ich Meldung von uns entgegenrückenden Kampfgenossen. Gelang es uns, auf sie zu stoßen, so durfte ich hoffen, mein gestecktes Ziel zu erreichen.
Ein guter Tagesmarsch konnte uns mit den Genossen verbinden. Gegen Mittag verließen wir
Beesenstedt und wagten den letzten Versuch, uns durch den immer enger werdenden Ring der Sipo und Reichswehr durchzuschlagen. Nach einer Stunde, als wir schon einige Kilometer vorgesto­ßen waren, sichtete ich mit dem Feldstecher in einer Entfernung von etwa 3000 Metern in Schützenlinie anrückende Grüne. Sofort brachten wir unsere Maschinengewehre in Stellung und fanden geeignete Deckung hinter dem Bahndamm einer kleinen Werkbahn. Wir hatten kaum Deckung genommen, als bereits die ersten Granaten und Schrapnells in unseren Reihen platzten. Die Arbeitersoldaten verteidigten sich gegenüber dem überraschenden Angriff mit Todesverachtung und beispiellosem Mut; bei unserem Mangel an Munition aber war ein längerer Kampf aussichtslos. Das schwere Artilleriefeuer des Gegners brachte uns größte Verluste. Nicht einer von uns glaubte, dass er lebend aus diesem Hexenkessel herauskomme. Mehr als zwanzig tapfere Genossen blieben am Platz und opferten dem Befreiungskampfe der Arbeiter ihr Leben. Andere Kämpfer entgingen der Vernichtung nur, indem sie sich schwimmend oder in Kähnen über die in unserem Rücken befindliche Saale retteten.
Der offizielle Regierungsbericht meldete über dieses Gefecht:
»Die von zwei Seiten bei Beesenstedt gestellten Banden, die sich inzwischen auf etwa 500 Kämpfer verstärkt hatten, verloren im Gefecht, das sich nunmehr entwickelte, ihre gesamte Gefechtsbagage (31 Fahrzeuge), sowie fast restlos ihre Waffen (5 Maschinengewehre, 6 Maschinengewehrpistolen, 150 Gewehre, einen Panzerkraftwagen, einen Lastkraftwagen und zwei leichte Minenwerfer). Der Gegner verlor hierbei 18 Tote und 19 Gefangene, die teilweise verwundet waren. Auch hier hatte Hoelz persönlich geführt, unterstützt von Schneider. Eine Anzahl Aufrührer entkamen über die Saale. Sechzig von ihnen wurden am anderen Tage durch die anhaltische Schutzpolizei an der preußischen Grenze bei Unterpreisen gefangen genommen, vierzig andere wurden in der Gegend von Löbejün festgenommen.«

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