| Drittes KapitelIm Schützengrabenkrieg sind fünf Dinge wichtig: Brennholz,  Lebensmittel, Tabak, Kerzen und der Feind. Im Winter an der  Saragossa-Front waren sie in dieser Reihenfolge wichtig, und der Feind  war schlechterdings das letzte. Niemand kümmerte sich um den Feind,  außer bei Nacht, wenn ein Überraschungsangriff jederzeit denkbar war.  Die Gegner waren einfach weit entfernte schwarze Insekten, die man  gelegentlich hin und her springen sah. Die eigentliche  Hauptbeschäftigung beider Armeen bestand in dem Versuch, sich warm zu  halten.Ich sollte beiläufig sagen, dass ich während meines ganzen  Aufenthaltes in Spanien sehr wenig richtige Kämpfe sah. Ich war von  Januar bis Mai an der Front in Aragonien, und zwischen Januar und Ende  März ereignete sich an dieser Front außer bei Teruel wenig oder gar  nichts. Im März kam es zu heftigen Kämpfen in der Nähe von Huesca, aber  ich selbst spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Später im Juni  erfolgte der verhängnisvolle Angriff auf Huesca, bei dem einige tausend  Mann an einem einzigen Tag getötet wurden. Aber ich war schon verwundet  worden und kampfunfähig, ehe dieser Angriff stattfand. Mir selbst  stießen nur selten die Dinge zu, die man sich normalerweise als die  Schrecken des Krieges vorstellt.
 Kein Flugzeug ließ je eine Bombe auch nur in meine Nähe fallen. Ich  glaube nicht, dass eine Granate je näher als fünfzig Meter von mir  entfernt explodierte, und ich geriet nur einmal in einen Kampf Mann  gegen Mann (obwohl ich sagen möchte, einmal ist einmal zuviel).  Natürlich lag ich oft unter schwerem Maschinengewehrfeuer, aber  normalerweise auf große Entfernung. Selbst bei Huesca war man im  allgemeinen sicher, wenn man Vernunft und Vorsicht walten ließ.
 Hier oben in den Hügeln um Saragossa war es einfach eine Mischung von  Langeweile und Unbehagen am Stellungskrieg. Das Leben war so ohne  Ereignisse wie bei einem Büroangestellten in der Stadt und fast genauso  regelmäßig. Wache schieben, Spähtrupps, graben - graben, Spähtrupps,  Wache schieben. Auf jeder Hügelkuppe, ob faschistisch oder  loyalistisch, zitterte ein Haufen zerlumpter, schmutziger Männer rund  um ihre Fahne und versuchte, sich warm zu halten. Und bei Tag und Nacht  wanderten sinnlose Kugeln über die leeren Täler hinweg, und nur durch  irgendeinen seltenen, unwahrscheinlichen Zufall fanden sie ihr Ziel in  einem menschlichen Körper.
 Oft schaute ich über die Winterlandschaft hinweg und wunderte mich über  die Nutzlosigkeit des Ganzen. Welche Ergebnislosigkeit einer solchen  Art von Krieg! Früher, ungefähr im Oktober, hatte es wilde Kämpfe um  alle diese Hügel gegeben. Dann aber wurden aus Mangel an Menschen und  Waffen, besonders an Artillerie, großzügige Operationen unmöglich, und  jede Armee hatte sich auf den Hügelkuppen eingegraben und festgesetzt,  die sie erobert hatte. Rechts von uns war ein kleiner Vorposten, auch  von der P.O.U.M. besetzt, und auf dem Vorwerk zu unserer Linken, in der  Richtung sieben des Uhrzeigers, eine P.S.U.C.-Stellung, die einem  größeren Vorwerk mit verschiedenen kleinen, über den Gipfel verstreuten  faschistischen Positionen gegenüberlag. Die so genannte Kampflinie ging  im Zickzack hin und her und formte ein Muster, das unverständlich  gewesen wäre, hätte nicht jede Stellung ihre Fahne gezeigt. Die Fahnen  der P.O.U.M. und P.S.U.C. waren rot, die der Anarchisten rot und  schwarz. Die Faschisten zeigten gewöhnlich die monarchistische Flagge  (rot-gelb-rot), aber gelegentlich führten sie auch die Fahne der  Republik (rot-gelb-purpurn)(Anm.: In einer nach Orwells Tod in seinen  Papieren gefundenen Druckfehler-Verbesserung steht: »Bin nun nicht ganz  sicher, ob ich jemals sah, dass die Faschisten die republikanische  Flagge zeigten, obwohl ich glaube, dass sie sie manchmal mit einem  kleinen aufgesetzten Hakenkreuz führten.«). Die Szenerie war großartig,  wenn man vergessen konnte, dass jeder Berggipfel von Truppen besetzt  und deshalb mit Blechbüchsen übersät und von Kot überkrustet war.  Rechts von uns bog die Sierra nach Südosten und gab Raum für das weite,  gerippte Tal, das sich nach Huesca hinüberzog. In der Mitte der Ebene  lagen einige winzige Kuben verstreut wie nach einem Würfelspiel. Das  war die Stadt Robres, die in der Hand der Loyalisten war. Morgens war  das Tal oft unter Wolkenmeeren versteckt, aus denen die Hügel sich  flach und blau erhoben. Sie gaben der Landschaft eine seltsame  Ähnlichkeit mit einem fotografischen Negativ. Jenseits von Huesca lagen  noch mehrere Hügel von der gleichen Art wie unsere. Sie waren mit einem  Schneemuster gestreift, das von Tag zu Tag wechselte. In großer  Entfernung schienen die riesigen Gipfel der Pyrenäen, auf denen der  Schnee niemals schmilzt, im Nichts zu schweben. Selbst unten in der  Ebene sah alles tot und leer aus. Die Hügel uns gegenüber waren grau  und runzelig wie die Haut von Elefanten.
 Der Himmel war fast immer ohne Vögel. Ich glaube kaum, dass ich jemals  ein Land gesehen habe, wo es so wenig Vögel gab. Die einzigen Vögel,  die man manchmal sah, waren eine Art Elstern und Ketten von Rebhühnern,  die uns nachts durch ihr plötzliches Schwirren aufschreckten, sowie  sehr selten Adler, die langsam über uns hinwegsegelten, normalerweise  verfolgt von Gewehrschüssen, die sie nicht zu bemerken geruhten.
 Nachts und bei nebligem Wetter wurden Spähtrupps in das Tal zwischen  uns und den Faschisten hinausgesandt. Diese Unternehmungen waren nicht  beliebt, es war zu kalt, und man konnte zu leicht umkommen. So fand ich  bald heraus, dass ich die Erlaubnis erhielt, auf Spähtrupps zu gehen,  sooft ich wollte. In den riesigen zerklüfteten Schluchten gab es  keinerlei Pfade oder Wege. Man konnte sich überhaupt nur zurechtfinden,  wenn man mehrere aufeinanderfolgende Erkundungen unternahm und sich  jedes Mal neue Markierungen merkte. In direkter Linie lag der nächste  faschistische Posten siebenhundert Meter von unserem eigenen entfernt,  aber auf der einzig gangbaren Route betrug die Entfernung zweieinhalb  Kilometer. Es war ein ziemlicher Spaß, in den dunklen Tälern  herumzustreifen, während verirrte Kugeln hoch über dem Kopf hin- und  herflogen und dabei wie Schnepfen pfiffen. Besser als das Dunkel der  Nacht war der dichte Nebel, der sich oft den ganzen Tag über hielt und  sich um die Hügelkuppen legte, die Täler aber klar ließ. Wenn man nahe  an den faschistischen Gräben war, musste man im Schneckentempo  kriechen. Es war sehr schwierig, sich geräuschlos an den Abhängen  zwischen knackenden Büschen und klickenden Kalksteinen ohne Geräusch zu  bewegen. Erst beim dritten oder vierten Versuch gelang es mir, meinen  Weg zu der faschistischen Kampflinie zu finden. Der Nebel war sehr  dicht, und ich kroch an den Stacheldraht heran, um zu lauschen. Ich  konnte die Faschisten in ihrem Graben sprechen und singen hören. Dann  vernahm ich zu meiner Bestürzung, wie einige von ihnen den Hügel  herunter auf mich zukamen. Ich duckte mich hinter einen Busch, der  plötzlich sehr klein erschien, und versuchte, mein Gewehr ohne Lärm zu  spannen. Aber sie bogen ab, und ich sah sie nicht einmal. Hinter dem  Busch, wo ich mich verborgen hatte, fand ich verschiedene Spuren  früherer Kämpfe: einen Haufen leerer Patronenhülsen, eine Lederkappe,  darin das Loch einer Gewehrkugel, und eine rote Fahne, augenscheinlich  eine der unseren. Ich nahm sie mit zurück zur Stellung, wo sie  gefühllos zerrissen und als Putzlappen gebraucht wurde.
 Sobald wir an der Front angekommen waren, hatte man mich zum Korporal  oder cabo, wie es hieß, ernannt, und mir das Kommando über eine  Abteilung von zwölf Mann übertragen. Das war, besonders am Anfang, kein  einträgliches Amt. Die centuria war ein ungeübter Haufen und bestand  hauptsächlich aus Jungen unter zwanzig. Manchmal begegnete man in der  Miliz Kindern, die nicht älter als elf oder zwölf waren. Gewöhnlich  handelte es sich um Flüchtlinge aus dem faschistischen Gebiet, die man  zu Milizsoldaten gemacht hatte, da das der einfachste Weg war, um für  sie zu sorgen. In der Regel wurden sie in der Etappe mit leichter  Arbeit beschäftigt, aber gelegentlich gelang es ihnen, sich bis zur  Front durchzuschleichen, wo sie zu einer öffentlichen Gefahr wurden.  Ich erinnere mich an ein kleines Scheusal, das eine Handgranate »zum  Spaß« in das Feuer im Unterstand warf. Am Monte Pocero war, glaube ich,  niemand jünger als fünfzehn, aber das Durchschnittsalter muss gut unter  zwanzig gewesen sein. Jungen in diesem Alter sollten niemals in der  Kampflinie eingesetzt werden, denn sie können den Mangel an Schlaf, der  mit dem Schützengrabenkrieg untrennbar verbunden ist, nicht vertragen.  Zunächst war es fast unmöglich, unsere Stellung während der Nacht  anständig zu bewachen. Die bejammernswerten Kinder meiner Abteilung  waren nur auf die Beine zu bringen, indem man sie mit den Füßen zuerst  aus ihren Unterständen zerrte. Sobald man den Rücken drehte, verließen  sie ihre Posten und schlüpften wieder in den Unterstand. Oder aber sie  lehnten sich trotz der fürchterlichen Kälte an die Wand des  Schützengrabens und fielen sofort in Schlaf. Zum Glück war der Gegner  wenig unternehmungslustig. Während mancher Nächte glaubte ich, zwanzig  mit Luftgewehren bewaffnete Pfadfinder hätten unsere Stellung erstürmen  können oder vielleicht auch zwanzig mit Federballschlägern bewaffnete  Pfadfinderinnen.
 Zu dieser Zeit und noch für eine ganze Weile baute sich die  katalanische Miliz nach dem gleichen Prinzip auf wie schon zu Beginn  des Krieges. In den ersten Tagen der Revolte Francos wurde die Miliz  von verschiedenen Gewerkschaften und politischen Parteien schnell  zusammengestellt. Jede Einheit war vor allem eine politische  Organisation, die ihrer Partei den gleichen Gehorsam schuldete wie der  Zentralregierung. Als die Volksarmee, eine nichtpolitische Armee, mehr  oder minder nach den üblichen Vorbildern organisiert, zu Beginn des  Jahres 1937 aufgestellt wurde, vereinigte man theoretisch die  Parteimilizen mit ihr. Lange Zeit jedoch vollzog sich dieser Wechsel  nur auf dem Papier. Die Truppen der neuen Volksarmee kamen in  nennenswertem Umfang nicht vor Juni an die Front in Aragonien, und bis  dahin blieb das Milizsystem unverändert. Der wesentliche Punkt dieses  Systems war die soziale Gleichheit zwischen Offizieren und Soldaten.  Jeder, vom General bis zum einfachen Soldaten, erhielt den gleichen  Sold, aß die gleiche Verpflegung, trug die gleiche Kleidung und  verkehrte mit den anderen auf der Grundlage völliger Gleichheit. Falls  man den General, der die Division befehligte, auf den Rücken klopfte  und ihn um eine Zigarette bitten wollte, konnte man das tun, und  niemand hätte es als merkwürdig empfunden. Theoretisch war jedenfalls  jede Milizeinheit eine Demokratie und nicht eine Hierarchie. Es  herrschte Einigkeit darüber, dass Befehle befolgt werden mussten, aber  es war ebenso selbstverständlich, dass ein Befehl von Kamerad zu  Kamerad und nicht von Vorgesetzten an Untergebene erteilt wurde. Es gab  Offiziere und Unteroffiziere, aber keine militärischen Ränge im  normalen Sinn, keine Titel, keine Dienstabzeichen, kein  Hackenzusammenschlagen und kein Grüßen. Sie hatten versucht, in den  Milizen eine Art einstweiliges Arbeitsmodell der klassenlosen  Gesellschaft zu schaffen. Natürlich gab es dort keine vollständige  Gleichheit, aber es war die größte Annäherung daran, die ich je gesehen  oder in Kriegszeiten für möglich gehalten hatte.
 Aber ich gebe zu, dass mich die Verhältnisse an der Front beim ersten  Eindruck sehr erschreckten. Wie war es möglich, dass der Krieg mit  einer derartigen Armee gewonnen werden konnte? Das sagte damals jeder,  und obwohl es stimmte, war es doch unvernünftig, denn die Milizen  konnten unter den gegebenen Umständen nicht viel besser sein, als sie  waren. Eine moderne, mechanisierte Armee springt nicht aus dem Boden.  Wenn die Regierung gewartet hätte, bis ausgebildete Truppen zur  Verfügung standen, hätte man Franco nie widerstehen können. Später  gehörte es zum guten Ton, die Milizen zu beschimpfen. Deshalb tat man  so, als ob die Fehler, die auf den Mangel an Ausbildung und Waffen  zurückzuführen waren, das Ergebnis des Systems der Gleichheit seien. In  Wirklichkeit war eine neu zusammengestellte Milizabteilung nicht etwa  deshalb ein undisziplinierter Haufen, weil die Offiziere ihre Soldaten  »Kameraden« nannten, sondern weil neue Truppen immer ein  undisziplinierter Haufen sind. In der Praxis ist die  demokratisch->revolutionäre< Art der Disziplin zuverlässiger, als  man erwarten sollte. Disziplin ist in einer Arbeiterarmee theoretisch  freiwillig. Sie basiert auf der Loyalität gegenüber der Klasse, während  die Disziplin einer bürgerlichen, wehrpflichtigen Armee letzten Endes  auf der Furcht beruht. (Die Volksarmee, die an Stelle der Milizen trat,  war ein Mittelding zwischen den beiden Typen.) Drohungen und  Beschimpfungen, die in einer normalen Armee üblich sind, hätte in den  Milizen niemand auch nur für einen Augenblick ertragen. Es gab die  normalen militärischen Strafen, sie wurden aber nur bei sehr  schwerwiegenden Vergehen zu Hilfe genommen. Wenn ein Soldat sich  weigerte, einen Befehl zu befolgen, war es nicht üblich, ihn sofort  bestrafen zu lassen; zunächst appellierte man im Namen der  Kameradschaft an seine Vernunft. Zynische Menschen, die keine Erfahrung  im Umgang mit Soldaten haben, werden sofort sagen, dass es so niemals  >geht<, aber tatsächlich >geht< es auf die Dauer. Mit der  Zeit verbesserte sich die Disziplin selbst der schlimmsten Abteilungen  in der Miliz sichtlich. Im Januar bekam ich beinahe graue Haare vor  Anstrengung, um ein Dutzend roher Rekruten zu den geforderten Aufgaben  anzuhalten. Im Mai befehligte ich für kurze Zeit als diensttuender  Leutnant dreißig Mann, Engländer und Spanier. Wir alle hatten  monatelang unter Beschuss gelegen, und ich hatte niemals die geringste  Schwierigkeit, dass ein Befehl befolgt wurde oder sich die Soldaten  freiwillig für eine gefährliche Aufgabe meldeten. >Revolutionäre<  Disziplin ist vom politischen Bewusstsein abhängig — von dem  Verständnis dafür, warum Befehle befolgt werden müssen. Es dauert  einige Zeit, bis sich diese Einsicht verbreitet, aber es dauert auch  einige Zeit, einen Mann auf dem Kasernenhof zu einem Automaten zu  drillen. Die Journalisten, die das Milizsystem verhöhnten, dachten  selten darüber nach, dass die Milizen die Front halten mussten, während  die Volksarmee in der Etappe ausgebildet wurde. Es ist ein Beweis für  die Stärke der revolutionären Disziplin, dass die Milizen überhaupt  draußen aushielten. Denn etwa bis zum Juni 1937 hielt sie nichts an der  Front als ihre Klassenloyalität. Einzelne Deserteure konnte man  erschießen - sie wurden gelegentlich erschossen -, aber wenn tausend  Mann sich entschieden hätten, geschlossen von der Front abzuziehen, gab  es keine Macht, sie aufzuhalten. Unter den gleichen Umständen wäre eine  wehrpflichtige Armee - nach Entfernung der Feldpolizei -  dahingeschmolzen. Aber die Milizen hielten die Front, obwohl sie, weiß  Gott, sehr wenig Siege errangen; ja selbst die individuelle  Fahnenflucht war nicht alltäglich. Während vier oder fünf Monaten,  hörte ich in der P.O.U.M.-Miliz nur einmal, dass vier Soldaten  desertierten. Zwei von ihnen waren ziemlich wahrscheinlich Spione, die  sich hatten anwerben lassen, um Informationen zu erlangen. Anfangs war  ich entmutigt und aufgebracht über das offensichtliche Chaos, den  allgemeinen Mangel an Ausbildung und die Tatsache, dass man oft fünf  Minuten lang argumentieren musste, ehe ein Befehl befolgt wurde. Meine  Ansichten stammten aus der britischen Armee, und sicherlich hatten die  spanischen Milizen sehr wenig mit der britischen Armee gemeinsam. Aber  in Anbetracht der Umstände waren sie bessere Truppen, als man mit Recht  hätte erwarten können.
 Unterdessen: Brennholz - immer Brennholz. Für diese ganze Zeit gibt es  wahrscheinlich in meinem Tagebuch keine Eintragung, in der nicht  Brennholz erwähnt wird oder, besser gesagt, der Mangel daran. Wir  befanden uns sechshundert bis tausend Meter über Meereshöhe, es war  mitten im Winter, und die Kälte war unaussprechlich. Die Temperatur war  nicht besonders niedrig, während vieler Nächte fror es nicht einmal,  und die winterblasse Sonne schien oft mittags eine Stunde lang. Aber  ich versichere, selbst wenn es nicht richtig kalt war, dass es mir so  erschien. Manchmal zerrten mir pfeifende Winde die Mütze vom Kopf und  wirbelten mein Haar nach allen Seiten.
 Manchmal gab es Nebel, der sich wie eine Flüssigkeit in den  Schützengraben ergoss und mich bis auf die Knochen zu durchdringen  schien. Es regnete häufig, und selbst eine Viertelstunde Regen genügte,  die Lage unerträglich zu machen. Die dünne Erdhaut über dem Kalkgestein  verwandelte sich rasch in eine schlüpfrige Schmiere, und da man sich  immer am Abhang bewegte, war es unmöglich, sich fest auf den Füßen zu  halten. Ich bin oft während dunkler Nächte auf eine Entfernung von  zwanzig Metern ein halb Dutzend Mal hingefallen. Das aber war  gefährlich, denn eine Folge war, dass sich das Schloss des Gewehres  durch den Schlamm verklemmte. Tagelang waren Kleider, Stiefel, Decken  und Gewehr mehr oder weniger mit Schlamm überzogen. Ich hatte so viele  dicke Kleidung mitgebracht, wie ich tragen konnte, aber viele Soldaten  hatten schrecklich wenig anzuziehen. Es gab nur zwölf Wachtmäntel für  die ganze Garnison von etwa hundert Mann. Sie mussten von Wachtposten  zu Wachtposten weitergegeben werden, und die meisten Soldaten hatten  nur eine Decke. Während einer eisigen Nacht schrieb ich eine Liste  aller der Kleider, die ich gerade trug, in mein Tagebuch. Sie ist  interessant, da sie zeigt, welche Menge an Kleidung der menschliche  Körper tragen kann. Ich war beladen mit einer dicken Weste und einer  Hose, einem Flanellhemd, zwei Pullovern, einer Wolljacke, einer Jacke  aus Schweinsleder, Kordreithosen, Wickelgamaschen, dicken Socken,  Stiefeln, einem festen Trenchcoat, einer wollenen Halsbinde,  gefütterten Handschuhen und einer wollenen Kappe. Trotzdem zitterte ich  wie Espenlaub. Aber ich gebe zu, dass ich ungewöhnlich empfindlich  gegen Kälte bin. Brennholz war das einzige, worauf es wirklich ankam.  Die Sache mit dem Brennholz war die, dass es praktisch kein Brennholz  gab. Unser elender Berg hatte selbst in seiner besten Zeit nicht viel  Vegetation, und monatelang waren frierende Milizsoldaten auf ihm  herumgestreift, mit dem Ergebnis, dass jedes Stück Holz, dicker als ein  Finger, schon lange verbrannt worden war. Wenn wir nicht gerade aßen,  schliefen, Wache schoben oder Arbeitsdienst machten, waren wir im Tal  hinter der Stellung, um Brennmaterial zu stibitzen. Alle meine  Erinnerungen an diese Zeit sind Erinnerungen daran, wie wir auf dem  brüchigen Kalkgestein, das die Schuhe in Stücke schnitt, an fast  senkrechten Abhängen hinauf und hinab kletterten und uns begierig auf  jeden winzigen Holzzweig stürzten. Wenn drei Leute so zwei Stunden  suchten, konnten sie genug Brennmaterial sammeln, um ein Feuer im  Unterstand etwa eine Stunde lang in Brand zu halten. Der Eifer unserer  Brennholzsuche verwandelte uns alle in Botaniker. Wir klassifizierten  jede Pflanze, die auf dem Berg wuchs, nach ihren Brennqualitäten: die  verschiedenen Heidekräuter und Kresse waren gut, um ein Feuer in Gang  zu setzen, aber sie verbrannten in wenigen Minuten; der wilde Rosmarin-  und der winzige Stechginsterbusch brannten nur dann, wenn das Feuer  schon richtig entflammt war; der verkrüppelte Eichbaum, kleiner als ein  Stachelbeerstrauch, war praktisch unbrennbar. Es gab eine Art  vertrockneten Rieds, das gut war, um ein Feuer zu entflammen, aber es  wuchs nur auf der Hügelkuppe zur Linken unserer Stellung, und man  konnte nur unter Beschuss dorthin gehen, um es zu sammeln. Wenn die  faschistischen Maschinengewehrschützen jemanden sahen, gaben sie ihm  ganz allein eine Runde Beschuss. Normalerweise zielten sie hoch, und  die Kugeln zwitscherten wie Vögel über unsere Köpfe. Aber manchmal  prasselten und splitterten sie unangenehm nah im Kalkgestein, worauf  man sich auf sein Gesicht warf. Doch dann sammelte jeder sein Ried  weiter, denn im Vergleich zum Brennholz gab es nichts mehr von  Bedeutung.
 Neben der Kälte schienen andere Unannehmlichkeiten geringfügig zu sein.  Natürlich waren wir alle ständig schmutzig. Unser Wasser kam, wie unser  Essen, auf dem Rücken von Maultieren von Alcubierre, und der Anteil  jedes einzelnen betrug etwas mehr als ein Liter pro Tag. Es war ein  scheußliches Wasser, kaum durchsichtiger als Milch. Theoretisch war es  nur zum Trinken, aber ich stahl mir immer ein Kochgeschirr voll, um  mich morgens zu waschen. An einem Tag wusch ich mich, und am nächsten  rasierte ich mich; für beide gab es nie genug Wasser. Die Stellung  stank abscheulich, und außerhalb der kleinen Umfriedung der Befestigung  lag überall Kot. Einige Milizsoldaten verrichteten ihre Notdurft  gewöhnlich im Schützengraben, eine ekelhafte Sache, wenn man während  der Dunkelheit herumlaufen musste. Aber der Schmutz plagte mich nie.  Schmutz ist etwas, worüber sich die Leute zu sehr aufregen. Es ist  erstaunlich, wie sehr man sich daran gewöhnt, ohne ein Taschentuch  auszukommen und aus dem gleichen Kochgeschirr zu essen, in dem man sich  auch wäscht. Nach ein oder zwei Tagen war es nicht einmal mehr  schwierig, in den Kleidern zu schlafen. Es war natürlich unmöglich,  während der Nacht die Kleider und besonders die Stiefel auszuziehen.  Man musste
 bereit sein, bei einem Angriff sofort herauszuspringen. In achtzig  Nächten zog ich meine Kleider dreimal aus, obwohl es mir auch manchmal  gelang, sie sogar während des Tages auszuziehen. Für Läuse war es noch  zu kalt, aber Ratten und Mäuse gab es im Überfluss. Es wird oft gesagt,  dass man Ratten und Mäuse nicht am gleichen Ort findet, aber sie sind  doch zusammen da, wenn es genug Nahrung für sie gibt.
 Im übrigen ging es uns nicht so schlecht. Das Essen war recht gut, und  es gab viel Wein. Zigaretten wurden noch immer mit einem Päckchen pro  Tag ausgegeben. Streichhölzer gab es jeden zweiten Tag, und wir  erhielten auch Kerzen. Es waren sehr dünne Kerzen, so wie auf einem  Weihnachtskuchen, und die gängige Meinung war, man habe sie in den  Kirchen erbeutet. Jeder Unterstand erhielt täglich eine etwa acht  Zentimeter lange Kerze, sie brannte ungefähr zwanzig Minuten lang. Zu  jener Zeit war es noch möglich, Kerzen zu kaufen, und ich hatte mir  einige Pfund davon mitgebracht. Später machte der Mangel an  Streichhölzern und Kerzen das Leben sehr schwierig. Man versteht erst,  wie wichtig diese Dinge sind, wenn man sie nicht mehr hat. So bedeutet  zum Beispiel die Möglichkeit, während eines Nachtalarms ein Licht  anzuzünden, wenn jeder im Unterstand nach seinem Gewehr sucht und auf  das Gesicht seines Nachbarn tritt, genau den Unterschied zwischen Leben  und Tod. Jeder Milizsoldat besaß ein Zunderfeuerzeug und einige Meter  gelben Docht. Neben dem Gewehr war das sein wichtigster Besitz.  Zunderfeuerzeuge hatten den großen Vorteil, dass man sie auch im Wind  anschlagen konnte, aber sie schwelten und waren unbrauchbar, ein Feuer  anzuzünden. Als der Mangel an Streichhölzern am schlimmsten war, konnte  man eine Flamme nur entzünden, indem man die Kugel aus einer Patrone  herauszog und das Schießpulver mit einem Zunderfeuerzeug entflammte.
 Wir führten ein außergewöhnliches Leben - eine außergewöhnliche Art des  Krieges, wenn man es Krieg nennen konnte. Die ganze Miliz rieb sich an  der Untätigkeit auf und klagte dauernd, um zu erfahren, warum man uns  nicht erlaube anzugreifen. Aber es war vollständig klar, dass es noch  auf lange Zeit keine Schlacht geben würde, außer wenn der Feind sie  begänne. Georges Kopp war während seiner häufigen Inspektionstouren  völlig offen mit uns.
 »Das ist kein Krieg«, pflegte er zu sagen, »das ist eine komische Oper  mit einem Tod von Zeit zu Zeit.« Tatsächlich hatte der Stillstand an  der Front in Aragonien politische Ursachen, von denen ich zu jener Zeit  wenig wusste. Jedoch die rein militärischen Schwierigkeiten — ganz  abgesehen vom Mangel an Reserven - waren für jeden offensichtlich.
 Zunächst war es die Natur des Landes. Die Frontlinien, unsere und die  der Faschisten, lagen in Stellungen von ungeheurer, natürlicher Stärke,  denen man sich in der Regel nur von einer Seite nähern konnte. Sind  erst ein paar Schützengräben ausgehoben, können solche Stellungen von  der Infanterie, außer durch eine überwältigende Überlegenheit, nicht  genommen werden. In unserer eigenen und den meisten umliegenden  Stellungen konnte ein Dutzend Leute mit zwei Maschinengewehren ein  ganzes Bataillon abhalten. So wie wir auf der Hügelkuppe saßen, hätten  wir ein ideales Ziel für die Artillerie abgeben können. Aber es gab  keine Artillerie. Manchmal schaute ich über die Landschaft und sehnte  mich - oh, wie leidenschaftlich - nach ein paar Batterien Artillerie.  Man hätte die feindlichen Stellungen eine nach der anderen zerstören  können, so leicht, wie man Nüsse mit einem Hammer zerschmettert. Aber  auf unserer Seite waren einfach keine Kanonen vorhanden. Den Faschisten  gelang es von Zeit zu Zeit, ein oder zwei Kanonen aus Saragossa an die  Front zu bringen und sehr wenige Granaten abzuschießen, so wenige, dass  sie sich nicht einmal auf die Entfernung einschießen konnten, und  harmlos stürzten die Granaten in die leeren Schluchten. Gegen  Maschinengewehre und ohne Artillerie kann man nur drei Dinge tun: sich  in sicherer Entfernung - sagen wir vierhundert Meter - eingraben, über  die offene Fläche vorgehen und abgeschlachtet werden oder kleine  nächtliche Angriffe machen, die an der allgemeinen Lage nichts ändern.  Praktisch sind die Alternativen Stillstand oder Selbstmord.
 Außerdem fehlte es uns vollständig an Kriegsmaterial jeder Art. Nur mit  großer Mühe kann man sich vorstellen, wie schlecht die Milizen zu jener  Zeit ausgerüstet waren. Jedes O.T.C. (Offiziersausbildungskorps) einer  Internatsschule in England ähnelt eher einer modernen Armee, als wir es  taten. Der schlechte Zustand unserer Waffen war so verblüffend, dass es  sich lohnt, darüber im einzelnen zu berichten.
 Die gesamte Artillerie an diesem Abschnitt der Front bestand aus vier  Grabengranatwerfern mit fünfzehn Schuss für jeden einzelnen. Natürlich  waren sie zu wertvoll, um abgefeuert zu werden, und so hielt man die  Granatwerfer in Alcubierre. Maschinengewehre hatten wir im Verhältnis  von etwa eines auf fünfzig Mann. Es waren altmodische Maschinengewehre,  aber einigermaßen genau bis auf drei-oder vierhundert Meter Entfernung.  Über diese Entfernung hinaus konnten wir nur Gewehre benutzen, und die  meisten dieser Gewehre waren Schrott. Drei Typen Gewehre waren in  Benutzung. Das erste war das lange Mausergewehr. Gewehre dieser Art  waren selten weniger als zwanzig Jahre alt, und ihr Visier war so  brauchbar wie ein zerbrochener Geschwindigkeitsanzeiger. Bei den  meisten waren die Züge hoffnungslos verrostet, aber eins von zehn  Gewehren war nicht schlecht. Dann gab es das kurze Mausergewehr oder  mousqueton, in Wirklichkeit eine Kavalleriewaffe. Diese Gewehre waren  beliebter als die anderen, denn man konnte sie leichter tragen, und sie  waren weniger unnütz im Schützengraben, außerdem waren sie  verhältnismäßig neu und sahen brauchbar aus. In Wirklichkeit waren aber  auch sie fast nutzlos. Man hatte sie aus wieder zusammengebauten Teilen  gemacht; kein Verschluss gehörte zu dem Gewehr, auf dem er saß. Bei  Dreiviertel der Gewehre konnte man damit rechnen, dass er sich nach  fünf Schüssen sperrte. Es gab auch einige Winchestergewehre. Man konnte  recht gut damit schießen, aber sie waren enorm ungenau, und da die  Patronen keine Patronenrahmen hatten, konnte man jeweils nur einen  Schuss abfeuern. Munition war so knapp, dass jeder Soldat, der an die  Front kam, nur fünfzig Schuss erhielt. Die meisten davon waren  außerordentlich schlecht. Die in Spanien hergestellten Patronen waren  wiedergefüllte Hülsen und klemmten selbst in den besten Gewehren. Die  mexikanischen Patronen waren besser und wurden deshalb für die  Maschinengewehre reserviert. Am besten war die in Deutschland  hergestellte Munition, aber da sie nur von Gefangenen und Deserteuren  kam, gab es nicht viel davon. Für den Notfall verwahrte ich in meiner  Tasche immer einen Patronenrahmen mit deutscher oder mexikanischer  Munition. In der Praxis aber schoss ich im Notfall selten mit meinem  Gewehr. Ich hatte zuviel Angst, dass das scheußliche Ding klemmen  würde, und außerdem wollte ich auf jeden Fall noch einige Schüsse  aufheben, die wirklich losgingen.
 Wir hatten keine Stahlhelme, keine Bajonette und kaum Revolver oder  Pistolen und nicht mehr als eine Handgranate auf fünf oder zehn Leute.  Die zu dieser Zeit gebräuchliche Handgranate war ein fürchterliches  Ding, unter dem Namen >F.A.I.-Bombe< bekannt. Die Anarchisten  hatten sie während der ersten Tage des Krieges hergestellt. Sie  funktionierte nach dem Prinzip der Millschen Handgranate, aber der  Zündhebel wurde nicht durch einen Stift, sondern durch ein Stück  Klebestreifen heruntergehalten. Man zerriss den Klebestreifen und  musste dann mit größtmöglicher Schnelligkeit die Handgranate wegwerfen.  Es hieß von diesen Handgranaten, sie seien >unparteiisch<: sie  töteten den Mann, auf den man sie warf, und den Mann, der sie warf. Es  gab noch verschiedene andere Typen, die noch primitiver, aber  wahrscheinlich etwas weniger gefährlich für den Werfer waren. Erst spät  im März sah ich eine Handgranate, die zu werfen sich lohnte.
 Außer diesen Waffen fehlten auch alle kleineren Hilfsmittel für einen  Krieg. Wir hatten zum Beispiel keine Karten oder Pläne. Spanien ist nie  richtig vermessen worden, und die einzigen detaillierten Karten dieser  Gegend waren alte Militärkarten, die fast alle im Besitz der Faschisten  waren. Wir hatten keine Entfernungsmesser, keine Fernrohre, keine  Grabenspiegel, keine Feldstecher (außer solchen, die einigen von uns  privat gehörten), keine Lichtsignale oder >Very<-Lichter (bunte  Signalraketen), keine Drahtscheren, keine Geräte für den Waffenmeister  und kaum irgendwelches Reinigungsmaterial. Die Spanier hatten  anscheinend nie von einer Gewehrlauf-Reinigungskette gehört und guckten  sehr überrascht, als ich eine konstruierte. Wenn man sein Gewehr  säubern lassen wollte, brachte man es zum Unteroffizier, der eine lange  bronzene Stange hatte, die immer verbogen war und deshalb den Lauf  zerkratzte. Es gab nicht einmal Gewehröl. Man schmierte sein Gewehr mit  Olivenöl ein, wenn man es auftreiben konnte. Manchmal habe ich mein  Gewehr mit Vaseline, mit Cold Cream (kühlende Fettsalbe) und sogar mit  Schinkenspeck eingefettet. Ferner gab es keine Laternen oder  elektrische Taschenlampen. Ich glaube, zu dieser Zeit gab es an unserem  ganzen Frontabschnitt nicht eine einzige elektrische Taschenlampe. Man  konnte sie erst in Barcelona und selbst dort nur unter Schwierigkeiten  kaufen.
 Während die Zeit verging und das planlose Gewehrfeuer über die Hügel  knatterte, fragte ich mich mit wachsendem Skeptizismus, ob sich jemals  etwas ereignen würde, was ein wenig Leben oder besser ein bisschen Tod  in diesen schielenden Krieg brächte. Wir kämpften gegen die  Lungenentzündung, aber nicht gegen Soldaten. Wenn die Schützengräben  mehr als fünfhundert Meter auseinander liegen, wird niemand getroffen,  es sei denn durch einen Zufall. Natürlich gab es Verletzte und Tote,  aber die meisten durch eigene Schuld. Wenn ich mich recht erinnere,  wurden die ersten fünf Verwundeten, die ich in Spanien sah, alle durch  unsere eigenen Waffen verletzt, nicht absichtlich, aber durch einen  Unfall oder durch Unvorsichtigkeit. Unsere ausgeleierten Gewehre waren  eine Gefahr für sich. Einige hatten die böse Angewohnheit loszugehen,  wenn man mit dem Kolben auf den Boden stieß. Ich sah, wie sich so ein  Mann durch die Hand schoss. In der Dunkelheit schossen die  unausgebildeten Rekruten immer aufeinander. Eines Abends, als die  Dämmerung kaum eingesetzt hatte, schoss ein Wachtposten aus einer  Entfernung von zwanzig Meter auf mich. Er schoss etwa einen Meter  vorbei, und wer weiß, wie oft die spanische Qualität der Schießkunst  mein Leben gerettet hat. Ein anderes Mal war ich zur Erkundung in den  Nebel hinausgegangen und hatte vorher den Wachtkommandanten sorgfältig  gewarnt. Aber als ich zurückkam, stolperte ich über einen Busch, und  der überraschte Wachtposten rief, die Faschisten kämen. Ich hörte  voller Vergnügen, wie der Wachtkommandant befahl, jeder solle schnelles  Feuer in meine Richtung eröffnen. Natürlich warf ich mich hin, und die  Kugeln flogen, ohne mich zu verletzen, über mich hinweg. Nichts wird  einen Spanier, zumindest einen jungen Spanier, davon überzeugen, dass  Gewehre gefährlich sind. Einmal, einige Zeit nach diesem Vorfall,  fotografierte ich einige Schützen mit ihrem Maschinengewehr, das direkt  auf mich gerichtet war.
 »Schießt nicht«, sagte ich halb im Scherz, als ich meine Kamera einstellte.
 »O nein, wir werden nicht schießen.«
 Im nächsten Augenblick gab es einen fürchterlichen Donner, und der  Kugelregen zischte so nahe an meinem Gesicht vorbei, dass meine Wange  von den Pulverkörnern verletzt wurde. Es war ohne Absicht geschehen,  aber die Maschinengewehrschützen hielten es für einen großartigen Witz.  Nur einige Tage früher jedoch hatten sie gesehen, wie ein  Maultiertreiber aus Versehen von einem politischen Abgeordneten  erschossen wurde, als er mit einer automatischen Pistole Unfug trieb  und dabei fünf Kugeln in die Lunge des Maultiertreibers jagte.
 Eine gewisse Gefahr waren auch die schwierigen Paroleworte, die von der  Armee zu dieser Zeit gebraucht wurden. Es waren jene langweiligen  doppelten Paroleworte, bei denen ein Wort das andere beantworten muss.  Normalerweise waren sie erhebend und revolutionär, so wie etwa cultura  — progreso oder seremos - invencibles. Oft war es unmöglich, den  unwissenden Wachtposten beizubringen, diese hochtrabenden Worte zu  behalten. Ich erinnere mich, dass eines Nachts die Parole hieß:  Cataluna — eroica. Ein mondgesichtiger Bauernjunge mit Namen Jaime  Domenech näherte sich mir sehr verwirrt und bat mich um eine Erklärung:
 »Eroica — was heißt eroica?«
 Ich erklärte ihm, es bedeute das gleiche wie valiente. Etwas später  stolperte er in der Dunkelheit durch den Schützengraben, und der  Wachtposten rief ihm zu:
 »Alto! Cataluna!«
 »Valiente!« rief Jaime, überzeugt, dass er das richtige Wort sage.
 Peng!
 Aber der Wachtposten schoss an ihm vorbei. In diesem Kriege schoss  immer jeder an jedem vorbei, wenn es irgendwie menschenmöglich war.
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