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George Orwell - Mein Katalonien (1938)
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Drittes Kapitel

Im Schützengrabenkrieg sind fünf Dinge wichtig: Brennholz, Lebensmittel, Tabak, Kerzen und der Feind. Im Winter an der Saragossa-Front waren sie in dieser Reihenfolge wichtig, und der Feind war schlechterdings das letzte. Niemand kümmerte sich um den Feind, außer bei Nacht, wenn ein Überraschungsangriff jederzeit denkbar war. Die Gegner waren einfach weit entfernte schwarze Insekten, die man gelegentlich hin und her springen sah. Die eigentliche Hauptbeschäftigung beider Armeen bestand in dem Versuch, sich warm zu halten.
Ich sollte beiläufig sagen, dass ich während meines ganzen Aufenthaltes in Spanien sehr wenig richtige Kämpfe sah. Ich war von Januar bis Mai an der Front in Aragonien, und zwischen Januar und Ende März ereignete sich an dieser Front außer bei Teruel wenig oder gar nichts. Im März kam es zu heftigen Kämpfen in der Nähe von Huesca, aber ich selbst spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Später im Juni erfolgte der verhängnisvolle Angriff auf Huesca, bei dem einige tausend Mann an einem einzigen Tag getötet wurden. Aber ich war schon verwundet worden und kampfunfähig, ehe dieser Angriff stattfand. Mir selbst stießen nur selten die Dinge zu, die man sich normalerweise als die Schrecken des Krieges vorstellt.
Kein Flugzeug ließ je eine Bombe auch nur in meine Nähe fallen. Ich glaube nicht, dass eine Granate je näher als fünfzig Meter von mir entfernt explodierte, und ich geriet nur einmal in einen Kampf Mann gegen Mann (obwohl ich sagen möchte, einmal ist einmal zuviel). Natürlich lag ich oft unter schwerem Maschinengewehrfeuer, aber normalerweise auf große Entfernung. Selbst bei Huesca war man im allgemeinen sicher, wenn man Vernunft und Vorsicht walten ließ.
Hier oben in den Hügeln um Saragossa war es einfach eine Mischung von Langeweile und Unbehagen am Stellungskrieg. Das Leben war so ohne Ereignisse wie bei einem Büroangestellten in der Stadt und fast genauso regelmäßig. Wache schieben, Spähtrupps, graben - graben, Spähtrupps, Wache schieben. Auf jeder Hügelkuppe, ob faschistisch oder loyalistisch, zitterte ein Haufen zerlumpter, schmutziger Männer rund um ihre Fahne und versuchte, sich warm zu halten. Und bei Tag und Nacht wanderten sinnlose Kugeln über die leeren Täler hinweg, und nur durch irgendeinen seltenen, unwahrscheinlichen Zufall fanden sie ihr Ziel in einem menschlichen Körper.
Oft schaute ich über die Winterlandschaft hinweg und wunderte mich über die Nutzlosigkeit des Ganzen. Welche Ergebnislosigkeit einer solchen Art von Krieg! Früher, ungefähr im Oktober, hatte es wilde Kämpfe um alle diese Hügel gegeben. Dann aber wurden aus Mangel an Menschen und Waffen, besonders an Artillerie, großzügige Operationen unmöglich, und jede Armee hatte sich auf den Hügelkuppen eingegraben und festgesetzt, die sie erobert hatte. Rechts von uns war ein kleiner Vorposten, auch von der P.O.U.M. besetzt, und auf dem Vorwerk zu unserer Linken, in der Richtung sieben des Uhrzeigers, eine P.S.U.C.-Stellung, die einem größeren Vorwerk mit verschiedenen kleinen, über den Gipfel verstreuten faschistischen Positionen gegenüberlag. Die so genannte Kampflinie ging im Zickzack hin und her und formte ein Muster, das unverständlich gewesen wäre, hätte nicht jede Stellung ihre Fahne gezeigt. Die Fahnen der P.O.U.M. und P.S.U.C. waren rot, die der Anarchisten rot und schwarz. Die Faschisten zeigten gewöhnlich die monarchistische Flagge (rot-gelb-rot), aber gelegentlich führten sie auch die Fahne der Republik (rot-gelb-purpurn)(Anm.: In einer nach Orwells Tod in seinen Papieren gefundenen Druckfehler-Verbesserung steht: »Bin nun nicht ganz sicher, ob ich jemals sah, dass die Faschisten die republikanische Flagge zeigten, obwohl ich glaube, dass sie sie manchmal mit einem kleinen aufgesetzten Hakenkreuz führten.«). Die Szenerie war großartig, wenn man vergessen konnte, dass jeder Berggipfel von Truppen besetzt und deshalb mit Blechbüchsen übersät und von Kot überkrustet war. Rechts von uns bog die Sierra nach Südosten und gab Raum für das weite, gerippte Tal, das sich nach Huesca hinüberzog. In der Mitte der Ebene lagen einige winzige Kuben verstreut wie nach einem Würfelspiel. Das war die Stadt Robres, die in der Hand der Loyalisten war. Morgens war das Tal oft unter Wolkenmeeren versteckt, aus denen die Hügel sich flach und blau erhoben. Sie gaben der Landschaft eine seltsame Ähnlichkeit mit einem fotografischen Negativ. Jenseits von Huesca lagen noch mehrere Hügel von der gleichen Art wie unsere. Sie waren mit einem Schneemuster gestreift, das von Tag zu Tag wechselte. In großer Entfernung schienen die riesigen Gipfel der Pyrenäen, auf denen der Schnee niemals schmilzt, im Nichts zu schweben. Selbst unten in der Ebene sah alles tot und leer aus. Die Hügel uns gegenüber waren grau und runzelig wie die Haut von Elefanten.
Der Himmel war fast immer ohne Vögel. Ich glaube kaum, dass ich jemals ein Land gesehen habe, wo es so wenig Vögel gab. Die einzigen Vögel, die man manchmal sah, waren eine Art Elstern und Ketten von Rebhühnern, die uns nachts durch ihr plötzliches Schwirren aufschreckten, sowie sehr selten Adler, die langsam über uns hinwegsegelten, normalerweise verfolgt von Gewehrschüssen, die sie nicht zu bemerken geruhten.
Nachts und bei nebligem Wetter wurden Spähtrupps in das Tal zwischen uns und den Faschisten hinausgesandt. Diese Unternehmungen waren nicht beliebt, es war zu kalt, und man konnte zu leicht umkommen. So fand ich bald heraus, dass ich die Erlaubnis erhielt, auf Spähtrupps zu gehen, sooft ich wollte. In den riesigen zerklüfteten Schluchten gab es keinerlei Pfade oder Wege. Man konnte sich überhaupt nur zurechtfinden, wenn man mehrere aufeinanderfolgende Erkundungen unternahm und sich jedes Mal neue Markierungen merkte. In direkter Linie lag der nächste faschistische Posten siebenhundert Meter von unserem eigenen entfernt, aber auf der einzig gangbaren Route betrug die Entfernung zweieinhalb Kilometer. Es war ein ziemlicher Spaß, in den dunklen Tälern herumzustreifen, während verirrte Kugeln hoch über dem Kopf hin- und herflogen und dabei wie Schnepfen pfiffen. Besser als das Dunkel der Nacht war der dichte Nebel, der sich oft den ganzen Tag über hielt und sich um die Hügelkuppen legte, die Täler aber klar ließ. Wenn man nahe an den faschistischen Gräben war, musste man im Schneckentempo kriechen. Es war sehr schwierig, sich geräuschlos an den Abhängen zwischen knackenden Büschen und klickenden Kalksteinen ohne Geräusch zu bewegen. Erst beim dritten oder vierten Versuch gelang es mir, meinen Weg zu der faschistischen Kampflinie zu finden. Der Nebel war sehr dicht, und ich kroch an den Stacheldraht heran, um zu lauschen. Ich konnte die Faschisten in ihrem Graben sprechen und singen hören. Dann vernahm ich zu meiner Bestürzung, wie einige von ihnen den Hügel herunter auf mich zukamen. Ich duckte mich hinter einen Busch, der plötzlich sehr klein erschien, und versuchte, mein Gewehr ohne Lärm zu spannen. Aber sie bogen ab, und ich sah sie nicht einmal. Hinter dem Busch, wo ich mich verborgen hatte, fand ich verschiedene Spuren früherer Kämpfe: einen Haufen leerer Patronenhülsen, eine Lederkappe, darin das Loch einer Gewehrkugel, und eine rote Fahne, augenscheinlich eine der unseren. Ich nahm sie mit zurück zur Stellung, wo sie gefühllos zerrissen und als Putzlappen gebraucht wurde.
Sobald wir an der Front angekommen waren, hatte man mich zum Korporal oder cabo, wie es hieß, ernannt, und mir das Kommando über eine Abteilung von zwölf Mann übertragen. Das war, besonders am Anfang, kein einträgliches Amt. Die centuria war ein ungeübter Haufen und bestand hauptsächlich aus Jungen unter zwanzig. Manchmal begegnete man in der Miliz Kindern, die nicht älter als elf oder zwölf waren. Gewöhnlich handelte es sich um Flüchtlinge aus dem faschistischen Gebiet, die man zu Milizsoldaten gemacht hatte, da das der einfachste Weg war, um für sie zu sorgen. In der Regel wurden sie in der Etappe mit leichter Arbeit beschäftigt, aber gelegentlich gelang es ihnen, sich bis zur Front durchzuschleichen, wo sie zu einer öffentlichen Gefahr wurden. Ich erinnere mich an ein kleines Scheusal, das eine Handgranate »zum Spaß« in das Feuer im Unterstand warf. Am Monte Pocero war, glaube ich, niemand jünger als fünfzehn, aber das Durchschnittsalter muss gut unter zwanzig gewesen sein. Jungen in diesem Alter sollten niemals in der Kampflinie eingesetzt werden, denn sie können den Mangel an Schlaf, der mit dem Schützengrabenkrieg untrennbar verbunden ist, nicht vertragen. Zunächst war es fast unmöglich, unsere Stellung während der Nacht anständig zu bewachen. Die bejammernswerten Kinder meiner Abteilung waren nur auf die Beine zu bringen, indem man sie mit den Füßen zuerst aus ihren Unterständen zerrte. Sobald man den Rücken drehte, verließen sie ihre Posten und schlüpften wieder in den Unterstand. Oder aber sie lehnten sich trotz der fürchterlichen Kälte an die Wand des Schützengrabens und fielen sofort in Schlaf. Zum Glück war der Gegner wenig unternehmungslustig. Während mancher Nächte glaubte ich, zwanzig mit Luftgewehren bewaffnete Pfadfinder hätten unsere Stellung erstürmen können oder vielleicht auch zwanzig mit Federballschlägern bewaffnete Pfadfinderinnen.
Zu dieser Zeit und noch für eine ganze Weile baute sich die katalanische Miliz nach dem gleichen Prinzip auf wie schon zu Beginn des Krieges. In den ersten Tagen der Revolte Francos wurde die Miliz von verschiedenen Gewerkschaften und politischen Parteien schnell zusammengestellt. Jede Einheit war vor allem eine politische Organisation, die ihrer Partei den gleichen Gehorsam schuldete wie der Zentralregierung. Als die Volksarmee, eine nichtpolitische Armee, mehr oder minder nach den üblichen Vorbildern organisiert, zu Beginn des Jahres 1937 aufgestellt wurde, vereinigte man theoretisch die Parteimilizen mit ihr. Lange Zeit jedoch vollzog sich dieser Wechsel nur auf dem Papier. Die Truppen der neuen Volksarmee kamen in nennenswertem Umfang nicht vor Juni an die Front in Aragonien, und bis dahin blieb das Milizsystem unverändert. Der wesentliche Punkt dieses Systems war die soziale Gleichheit zwischen Offizieren und Soldaten. Jeder, vom General bis zum einfachen Soldaten, erhielt den gleichen Sold, aß die gleiche Verpflegung, trug die gleiche Kleidung und verkehrte mit den anderen auf der Grundlage völliger Gleichheit. Falls man den General, der die Division befehligte, auf den Rücken klopfte und ihn um eine Zigarette bitten wollte, konnte man das tun, und niemand hätte es als merkwürdig empfunden. Theoretisch war jedenfalls jede Milizeinheit eine Demokratie und nicht eine Hierarchie. Es herrschte Einigkeit darüber, dass Befehle befolgt werden mussten, aber es war ebenso selbstverständlich, dass ein Befehl von Kamerad zu Kamerad und nicht von Vorgesetzten an Untergebene erteilt wurde. Es gab Offiziere und Unteroffiziere, aber keine militärischen Ränge im normalen Sinn, keine Titel, keine Dienstabzeichen, kein Hackenzusammenschlagen und kein Grüßen. Sie hatten versucht, in den Milizen eine Art einstweiliges Arbeitsmodell der klassenlosen Gesellschaft zu schaffen. Natürlich gab es dort keine vollständige Gleichheit, aber es war die größte Annäherung daran, die ich je gesehen oder in Kriegszeiten für möglich gehalten hatte.
Aber ich gebe zu, dass mich die Verhältnisse an der Front beim ersten Eindruck sehr erschreckten. Wie war es möglich, dass der Krieg mit einer derartigen Armee gewonnen werden konnte? Das sagte damals jeder, und obwohl es stimmte, war es doch unvernünftig, denn die Milizen konnten unter den gegebenen Umständen nicht viel besser sein, als sie waren. Eine moderne, mechanisierte Armee springt nicht aus dem Boden. Wenn die Regierung gewartet hätte, bis ausgebildete Truppen zur Verfügung standen, hätte man Franco nie widerstehen können. Später gehörte es zum guten Ton, die Milizen zu beschimpfen. Deshalb tat man so, als ob die Fehler, die auf den Mangel an Ausbildung und Waffen zurückzuführen waren, das Ergebnis des Systems der Gleichheit seien. In Wirklichkeit war eine neu zusammengestellte Milizabteilung nicht etwa deshalb ein undisziplinierter Haufen, weil die Offiziere ihre Soldaten »Kameraden« nannten, sondern weil neue Truppen immer ein undisziplinierter Haufen sind. In der Praxis ist die demokratisch->revolutionäre< Art der Disziplin zuverlässiger, als man erwarten sollte. Disziplin ist in einer Arbeiterarmee theoretisch freiwillig. Sie basiert auf der Loyalität gegenüber der Klasse, während die Disziplin einer bürgerlichen, wehrpflichtigen Armee letzten Endes auf der Furcht beruht. (Die Volksarmee, die an Stelle der Milizen trat, war ein Mittelding zwischen den beiden Typen.) Drohungen und Beschimpfungen, die in einer normalen Armee üblich sind, hätte in den Milizen niemand auch nur für einen Augenblick ertragen. Es gab die normalen militärischen Strafen, sie wurden aber nur bei sehr schwerwiegenden Vergehen zu Hilfe genommen. Wenn ein Soldat sich weigerte, einen Befehl zu befolgen, war es nicht üblich, ihn sofort bestrafen zu lassen; zunächst appellierte man im Namen der Kameradschaft an seine Vernunft. Zynische Menschen, die keine Erfahrung im Umgang mit Soldaten haben, werden sofort sagen, dass es so niemals >geht<, aber tatsächlich >geht< es auf die Dauer. Mit der Zeit verbesserte sich die Disziplin selbst der schlimmsten Abteilungen in der Miliz sichtlich. Im Januar bekam ich beinahe graue Haare vor Anstrengung, um ein Dutzend roher Rekruten zu den geforderten Aufgaben anzuhalten. Im Mai befehligte ich für kurze Zeit als diensttuender Leutnant dreißig Mann, Engländer und Spanier. Wir alle hatten monatelang unter Beschuss gelegen, und ich hatte niemals die geringste Schwierigkeit, dass ein Befehl befolgt wurde oder sich die Soldaten freiwillig für eine gefährliche Aufgabe meldeten. >Revolutionäre< Disziplin ist vom politischen Bewusstsein abhängig — von dem Verständnis dafür, warum Befehle befolgt werden müssen. Es dauert einige Zeit, bis sich diese Einsicht verbreitet, aber es dauert auch einige Zeit, einen Mann auf dem Kasernenhof zu einem Automaten zu drillen. Die Journalisten, die das Milizsystem verhöhnten, dachten selten darüber nach, dass die Milizen die Front halten mussten, während die Volksarmee in der Etappe ausgebildet wurde. Es ist ein Beweis für die Stärke der revolutionären Disziplin, dass die Milizen überhaupt draußen aushielten. Denn etwa bis zum Juni 1937 hielt sie nichts an der Front als ihre Klassenloyalität. Einzelne Deserteure konnte man erschießen - sie wurden gelegentlich erschossen -, aber wenn tausend Mann sich entschieden hätten, geschlossen von der Front abzuziehen, gab es keine Macht, sie aufzuhalten. Unter den gleichen Umständen wäre eine wehrpflichtige Armee - nach Entfernung der Feldpolizei - dahingeschmolzen. Aber die Milizen hielten die Front, obwohl sie, weiß Gott, sehr wenig Siege errangen; ja selbst die individuelle Fahnenflucht war nicht alltäglich. Während vier oder fünf Monaten, hörte ich in der P.O.U.M.-Miliz nur einmal, dass vier Soldaten desertierten. Zwei von ihnen waren ziemlich wahrscheinlich Spione, die sich hatten anwerben lassen, um Informationen zu erlangen. Anfangs war ich entmutigt und aufgebracht über das offensichtliche Chaos, den allgemeinen Mangel an Ausbildung und die Tatsache, dass man oft fünf Minuten lang argumentieren musste, ehe ein Befehl befolgt wurde. Meine Ansichten stammten aus der britischen Armee, und sicherlich hatten die spanischen Milizen sehr wenig mit der britischen Armee gemeinsam. Aber in Anbetracht der Umstände waren sie bessere Truppen, als man mit Recht hätte erwarten können.
Unterdessen: Brennholz - immer Brennholz. Für diese ganze Zeit gibt es wahrscheinlich in meinem Tagebuch keine Eintragung, in der nicht Brennholz erwähnt wird oder, besser gesagt, der Mangel daran. Wir befanden uns sechshundert bis tausend Meter über Meereshöhe, es war mitten im Winter, und die Kälte war unaussprechlich. Die Temperatur war nicht besonders niedrig, während vieler Nächte fror es nicht einmal, und die winterblasse Sonne schien oft mittags eine Stunde lang. Aber ich versichere, selbst wenn es nicht richtig kalt war, dass es mir so erschien. Manchmal zerrten mir pfeifende Winde die Mütze vom Kopf und wirbelten mein Haar nach allen Seiten.
Manchmal gab es Nebel, der sich wie eine Flüssigkeit in den Schützengraben ergoss und mich bis auf die Knochen zu durchdringen schien. Es regnete häufig, und selbst eine Viertelstunde Regen genügte, die Lage unerträglich zu machen. Die dünne Erdhaut über dem Kalkgestein verwandelte sich rasch in eine schlüpfrige Schmiere, und da man sich immer am Abhang bewegte, war es unmöglich, sich fest auf den Füßen zu halten. Ich bin oft während dunkler Nächte auf eine Entfernung von zwanzig Metern ein halb Dutzend Mal hingefallen. Das aber war gefährlich, denn eine Folge war, dass sich das Schloss des Gewehres durch den Schlamm verklemmte. Tagelang waren Kleider, Stiefel, Decken und Gewehr mehr oder weniger mit Schlamm überzogen. Ich hatte so viele dicke Kleidung mitgebracht, wie ich tragen konnte, aber viele Soldaten hatten schrecklich wenig anzuziehen. Es gab nur zwölf Wachtmäntel für die ganze Garnison von etwa hundert Mann. Sie mussten von Wachtposten zu Wachtposten weitergegeben werden, und die meisten Soldaten hatten nur eine Decke. Während einer eisigen Nacht schrieb ich eine Liste aller der Kleider, die ich gerade trug, in mein Tagebuch. Sie ist interessant, da sie zeigt, welche Menge an Kleidung der menschliche Körper tragen kann. Ich war beladen mit einer dicken Weste und einer Hose, einem Flanellhemd, zwei Pullovern, einer Wolljacke, einer Jacke aus Schweinsleder, Kordreithosen, Wickelgamaschen, dicken Socken, Stiefeln, einem festen Trenchcoat, einer wollenen Halsbinde, gefütterten Handschuhen und einer wollenen Kappe. Trotzdem zitterte ich wie Espenlaub. Aber ich gebe zu, dass ich ungewöhnlich empfindlich gegen Kälte bin. Brennholz war das einzige, worauf es wirklich ankam. Die Sache mit dem Brennholz war die, dass es praktisch kein Brennholz gab. Unser elender Berg hatte selbst in seiner besten Zeit nicht viel Vegetation, und monatelang waren frierende Milizsoldaten auf ihm herumgestreift, mit dem Ergebnis, dass jedes Stück Holz, dicker als ein Finger, schon lange verbrannt worden war. Wenn wir nicht gerade aßen, schliefen, Wache schoben oder Arbeitsdienst machten, waren wir im Tal hinter der Stellung, um Brennmaterial zu stibitzen. Alle meine Erinnerungen an diese Zeit sind Erinnerungen daran, wie wir auf dem brüchigen Kalkgestein, das die Schuhe in Stücke schnitt, an fast senkrechten Abhängen hinauf und hinab kletterten und uns begierig auf jeden winzigen Holzzweig stürzten. Wenn drei Leute so zwei Stunden suchten, konnten sie genug Brennmaterial sammeln, um ein Feuer im Unterstand etwa eine Stunde lang in Brand zu halten. Der Eifer unserer Brennholzsuche verwandelte uns alle in Botaniker. Wir klassifizierten jede Pflanze, die auf dem Berg wuchs, nach ihren Brennqualitäten: die verschiedenen Heidekräuter und Kresse waren gut, um ein Feuer in Gang zu setzen, aber sie verbrannten in wenigen Minuten; der wilde Rosmarin- und der winzige Stechginsterbusch brannten nur dann, wenn das Feuer schon richtig entflammt war; der verkrüppelte Eichbaum, kleiner als ein Stachelbeerstrauch, war praktisch unbrennbar. Es gab eine Art vertrockneten Rieds, das gut war, um ein Feuer zu entflammen, aber es wuchs nur auf der Hügelkuppe zur Linken unserer Stellung, und man konnte nur unter Beschuss dorthin gehen, um es zu sammeln. Wenn die faschistischen Maschinengewehrschützen jemanden sahen, gaben sie ihm ganz allein eine Runde Beschuss. Normalerweise zielten sie hoch, und die Kugeln zwitscherten wie Vögel über unsere Köpfe. Aber manchmal prasselten und splitterten sie unangenehm nah im Kalkgestein, worauf man sich auf sein Gesicht warf. Doch dann sammelte jeder sein Ried weiter, denn im Vergleich zum Brennholz gab es nichts mehr von Bedeutung.
Neben der Kälte schienen andere Unannehmlichkeiten geringfügig zu sein. Natürlich waren wir alle ständig schmutzig. Unser Wasser kam, wie unser Essen, auf dem Rücken von Maultieren von Alcubierre, und der Anteil jedes einzelnen betrug etwas mehr als ein Liter pro Tag. Es war ein scheußliches Wasser, kaum durchsichtiger als Milch. Theoretisch war es nur zum Trinken, aber ich stahl mir immer ein Kochgeschirr voll, um mich morgens zu waschen. An einem Tag wusch ich mich, und am nächsten rasierte ich mich; für beide gab es nie genug Wasser. Die Stellung stank abscheulich, und außerhalb der kleinen Umfriedung der Befestigung lag überall Kot. Einige Milizsoldaten verrichteten ihre Notdurft gewöhnlich im Schützengraben, eine ekelhafte Sache, wenn man während der Dunkelheit herumlaufen musste. Aber der Schmutz plagte mich nie. Schmutz ist etwas, worüber sich die Leute zu sehr aufregen. Es ist erstaunlich, wie sehr man sich daran gewöhnt, ohne ein Taschentuch auszukommen und aus dem gleichen Kochgeschirr zu essen, in dem man sich auch wäscht. Nach ein oder zwei Tagen war es nicht einmal mehr schwierig, in den Kleidern zu schlafen. Es war natürlich unmöglich, während der Nacht die Kleider und besonders die Stiefel auszuziehen. Man musste
bereit sein, bei einem Angriff sofort herauszuspringen. In achtzig Nächten zog ich meine Kleider dreimal aus, obwohl es mir auch manchmal gelang, sie sogar während des Tages auszuziehen. Für Läuse war es noch zu kalt, aber Ratten und Mäuse gab es im Überfluss. Es wird oft gesagt, dass man Ratten und Mäuse nicht am gleichen Ort findet, aber sie sind doch zusammen da, wenn es genug Nahrung für sie gibt.
Im übrigen ging es uns nicht so schlecht. Das Essen war recht gut, und es gab viel Wein. Zigaretten wurden noch immer mit einem Päckchen pro Tag ausgegeben. Streichhölzer gab es jeden zweiten Tag, und wir erhielten auch Kerzen. Es waren sehr dünne Kerzen, so wie auf einem Weihnachtskuchen, und die gängige Meinung war, man habe sie in den Kirchen erbeutet. Jeder Unterstand erhielt täglich eine etwa acht Zentimeter lange Kerze, sie brannte ungefähr zwanzig Minuten lang. Zu jener Zeit war es noch möglich, Kerzen zu kaufen, und ich hatte mir einige Pfund davon mitgebracht. Später machte der Mangel an Streichhölzern und Kerzen das Leben sehr schwierig. Man versteht erst, wie wichtig diese Dinge sind, wenn man sie nicht mehr hat. So bedeutet zum Beispiel die Möglichkeit, während eines Nachtalarms ein Licht anzuzünden, wenn jeder im Unterstand nach seinem Gewehr sucht und auf das Gesicht seines Nachbarn tritt, genau den Unterschied zwischen Leben und Tod. Jeder Milizsoldat besaß ein Zunderfeuerzeug und einige Meter gelben Docht. Neben dem Gewehr war das sein wichtigster Besitz. Zunderfeuerzeuge hatten den großen Vorteil, dass man sie auch im Wind anschlagen konnte, aber sie schwelten und waren unbrauchbar, ein Feuer anzuzünden. Als der Mangel an Streichhölzern am schlimmsten war, konnte man eine Flamme nur entzünden, indem man die Kugel aus einer Patrone herauszog und das Schießpulver mit einem Zunderfeuerzeug entflammte.
Wir führten ein außergewöhnliches Leben - eine außergewöhnliche Art des Krieges, wenn man es Krieg nennen konnte. Die ganze Miliz rieb sich an der Untätigkeit auf und klagte dauernd, um zu erfahren, warum man uns nicht erlaube anzugreifen. Aber es war vollständig klar, dass es noch auf lange Zeit keine Schlacht geben würde, außer wenn der Feind sie begänne. Georges Kopp war während seiner häufigen Inspektionstouren völlig offen mit uns.
»Das ist kein Krieg«, pflegte er zu sagen, »das ist eine komische Oper mit einem Tod von Zeit zu Zeit.« Tatsächlich hatte der Stillstand an der Front in Aragonien politische Ursachen, von denen ich zu jener Zeit wenig wusste. Jedoch die rein militärischen Schwierigkeiten — ganz abgesehen vom Mangel an Reserven - waren für jeden offensichtlich.
Zunächst war es die Natur des Landes. Die Frontlinien, unsere und die der Faschisten, lagen in Stellungen von ungeheurer, natürlicher Stärke, denen man sich in der Regel nur von einer Seite nähern konnte. Sind erst ein paar Schützengräben ausgehoben, können solche Stellungen von der Infanterie, außer durch eine überwältigende Überlegenheit, nicht genommen werden. In unserer eigenen und den meisten umliegenden Stellungen konnte ein Dutzend Leute mit zwei Maschinengewehren ein ganzes Bataillon abhalten. So wie wir auf der Hügelkuppe saßen, hätten wir ein ideales Ziel für die Artillerie abgeben können. Aber es gab keine Artillerie. Manchmal schaute ich über die Landschaft und sehnte mich - oh, wie leidenschaftlich - nach ein paar Batterien Artillerie. Man hätte die feindlichen Stellungen eine nach der anderen zerstören können, so leicht, wie man Nüsse mit einem Hammer zerschmettert. Aber auf unserer Seite waren einfach keine Kanonen vorhanden. Den Faschisten gelang es von Zeit zu Zeit, ein oder zwei Kanonen aus Saragossa an die Front zu bringen und sehr wenige Granaten abzuschießen, so wenige, dass sie sich nicht einmal auf die Entfernung einschießen konnten, und harmlos stürzten die Granaten in die leeren Schluchten. Gegen Maschinengewehre und ohne Artillerie kann man nur drei Dinge tun: sich in sicherer Entfernung - sagen wir vierhundert Meter - eingraben, über die offene Fläche vorgehen und abgeschlachtet werden oder kleine nächtliche Angriffe machen, die an der allgemeinen Lage nichts ändern. Praktisch sind die Alternativen Stillstand oder Selbstmord.
Außerdem fehlte es uns vollständig an Kriegsmaterial jeder Art. Nur mit großer Mühe kann man sich vorstellen, wie schlecht die Milizen zu jener Zeit ausgerüstet waren. Jedes O.T.C. (Offiziersausbildungskorps) einer Internatsschule in England ähnelt eher einer modernen Armee, als wir es taten. Der schlechte Zustand unserer Waffen war so verblüffend, dass es sich lohnt, darüber im einzelnen zu berichten.
Die gesamte Artillerie an diesem Abschnitt der Front bestand aus vier Grabengranatwerfern mit fünfzehn Schuss für jeden einzelnen. Natürlich waren sie zu wertvoll, um abgefeuert zu werden, und so hielt man die Granatwerfer in Alcubierre. Maschinengewehre hatten wir im Verhältnis von etwa eines auf fünfzig Mann. Es waren altmodische Maschinengewehre, aber einigermaßen genau bis auf drei-oder vierhundert Meter Entfernung. Über diese Entfernung hinaus konnten wir nur Gewehre benutzen, und die meisten dieser Gewehre waren Schrott. Drei Typen Gewehre waren in Benutzung. Das erste war das lange Mausergewehr. Gewehre dieser Art waren selten weniger als zwanzig Jahre alt, und ihr Visier war so brauchbar wie ein zerbrochener Geschwindigkeitsanzeiger. Bei den meisten waren die Züge hoffnungslos verrostet, aber eins von zehn Gewehren war nicht schlecht. Dann gab es das kurze Mausergewehr oder mousqueton, in Wirklichkeit eine Kavalleriewaffe. Diese Gewehre waren beliebter als die anderen, denn man konnte sie leichter tragen, und sie waren weniger unnütz im Schützengraben, außerdem waren sie verhältnismäßig neu und sahen brauchbar aus. In Wirklichkeit waren aber auch sie fast nutzlos. Man hatte sie aus wieder zusammengebauten Teilen gemacht; kein Verschluss gehörte zu dem Gewehr, auf dem er saß. Bei Dreiviertel der Gewehre konnte man damit rechnen, dass er sich nach fünf Schüssen sperrte. Es gab auch einige Winchestergewehre. Man konnte recht gut damit schießen, aber sie waren enorm ungenau, und da die Patronen keine Patronenrahmen hatten, konnte man jeweils nur einen Schuss abfeuern. Munition war so knapp, dass jeder Soldat, der an die Front kam, nur fünfzig Schuss erhielt. Die meisten davon waren außerordentlich schlecht. Die in Spanien hergestellten Patronen waren wiedergefüllte Hülsen und klemmten selbst in den besten Gewehren. Die mexikanischen Patronen waren besser und wurden deshalb für die Maschinengewehre reserviert. Am besten war die in Deutschland hergestellte Munition, aber da sie nur von Gefangenen und Deserteuren kam, gab es nicht viel davon. Für den Notfall verwahrte ich in meiner Tasche immer einen Patronenrahmen mit deutscher oder mexikanischer Munition. In der Praxis aber schoss ich im Notfall selten mit meinem Gewehr. Ich hatte zuviel Angst, dass das scheußliche Ding klemmen würde, und außerdem wollte ich auf jeden Fall noch einige Schüsse aufheben, die wirklich losgingen.
Wir hatten keine Stahlhelme, keine Bajonette und kaum Revolver oder Pistolen und nicht mehr als eine Handgranate auf fünf oder zehn Leute. Die zu dieser Zeit gebräuchliche Handgranate war ein fürchterliches Ding, unter dem Namen >F.A.I.-Bombe< bekannt. Die Anarchisten hatten sie während der ersten Tage des Krieges hergestellt. Sie funktionierte nach dem Prinzip der Millschen Handgranate, aber der Zündhebel wurde nicht durch einen Stift, sondern durch ein Stück Klebestreifen heruntergehalten. Man zerriss den Klebestreifen und musste dann mit größtmöglicher Schnelligkeit die Handgranate wegwerfen. Es hieß von diesen Handgranaten, sie seien >unparteiisch<: sie töteten den Mann, auf den man sie warf, und den Mann, der sie warf. Es gab noch verschiedene andere Typen, die noch primitiver, aber wahrscheinlich etwas weniger gefährlich für den Werfer waren. Erst spät im März sah ich eine Handgranate, die zu werfen sich lohnte.
Außer diesen Waffen fehlten auch alle kleineren Hilfsmittel für einen Krieg. Wir hatten zum Beispiel keine Karten oder Pläne. Spanien ist nie richtig vermessen worden, und die einzigen detaillierten Karten dieser Gegend waren alte Militärkarten, die fast alle im Besitz der Faschisten waren. Wir hatten keine Entfernungsmesser, keine Fernrohre, keine Grabenspiegel, keine Feldstecher (außer solchen, die einigen von uns privat gehörten), keine Lichtsignale oder >Very<-Lichter (bunte Signalraketen), keine Drahtscheren, keine Geräte für den Waffenmeister und kaum irgendwelches Reinigungsmaterial. Die Spanier hatten anscheinend nie von einer Gewehrlauf-Reinigungskette gehört und guckten sehr überrascht, als ich eine konstruierte. Wenn man sein Gewehr säubern lassen wollte, brachte man es zum Unteroffizier, der eine lange bronzene Stange hatte, die immer verbogen war und deshalb den Lauf zerkratzte. Es gab nicht einmal Gewehröl. Man schmierte sein Gewehr mit Olivenöl ein, wenn man es auftreiben konnte. Manchmal habe ich mein Gewehr mit Vaseline, mit Cold Cream (kühlende Fettsalbe) und sogar mit Schinkenspeck eingefettet. Ferner gab es keine Laternen oder elektrische Taschenlampen. Ich glaube, zu dieser Zeit gab es an unserem ganzen Frontabschnitt nicht eine einzige elektrische Taschenlampe. Man konnte sie erst in Barcelona und selbst dort nur unter Schwierigkeiten kaufen.
Während die Zeit verging und das planlose Gewehrfeuer über die Hügel knatterte, fragte ich mich mit wachsendem Skeptizismus, ob sich jemals etwas ereignen würde, was ein wenig Leben oder besser ein bisschen Tod in diesen schielenden Krieg brächte. Wir kämpften gegen die Lungenentzündung, aber nicht gegen Soldaten. Wenn die Schützengräben mehr als fünfhundert Meter auseinander liegen, wird niemand getroffen, es sei denn durch einen Zufall. Natürlich gab es Verletzte und Tote, aber die meisten durch eigene Schuld. Wenn ich mich recht erinnere, wurden die ersten fünf Verwundeten, die ich in Spanien sah, alle durch unsere eigenen Waffen verletzt, nicht absichtlich, aber durch einen Unfall oder durch Unvorsichtigkeit. Unsere ausgeleierten Gewehre waren eine Gefahr für sich. Einige hatten die böse Angewohnheit loszugehen, wenn man mit dem Kolben auf den Boden stieß. Ich sah, wie sich so ein Mann durch die Hand schoss. In der Dunkelheit schossen die unausgebildeten Rekruten immer aufeinander. Eines Abends, als die Dämmerung kaum eingesetzt hatte, schoss ein Wachtposten aus einer Entfernung von zwanzig Meter auf mich. Er schoss etwa einen Meter vorbei, und wer weiß, wie oft die spanische Qualität der Schießkunst mein Leben gerettet hat. Ein anderes Mal war ich zur Erkundung in den Nebel hinausgegangen und hatte vorher den Wachtkommandanten sorgfältig gewarnt. Aber als ich zurückkam, stolperte ich über einen Busch, und der überraschte Wachtposten rief, die Faschisten kämen. Ich hörte voller Vergnügen, wie der Wachtkommandant befahl, jeder solle schnelles Feuer in meine Richtung eröffnen. Natürlich warf ich mich hin, und die Kugeln flogen, ohne mich zu verletzen, über mich hinweg. Nichts wird einen Spanier, zumindest einen jungen Spanier, davon überzeugen, dass Gewehre gefährlich sind. Einmal, einige Zeit nach diesem Vorfall, fotografierte ich einige Schützen mit ihrem Maschinengewehr, das direkt auf mich gerichtet war.
»Schießt nicht«, sagte ich halb im Scherz, als ich meine Kamera einstellte.
»O nein, wir werden nicht schießen.«
Im nächsten Augenblick gab es einen fürchterlichen Donner, und der Kugelregen zischte so nahe an meinem Gesicht vorbei, dass meine Wange von den Pulverkörnern verletzt wurde. Es war ohne Absicht geschehen, aber die Maschinengewehrschützen hielten es für einen großartigen Witz. Nur einige Tage früher jedoch hatten sie gesehen, wie ein Maultiertreiber aus Versehen von einem politischen Abgeordneten erschossen wurde, als er mit einer automatischen Pistole Unfug trieb und dabei fünf Kugeln in die Lunge des Maultiertreibers jagte.
Eine gewisse Gefahr waren auch die schwierigen Paroleworte, die von der Armee zu dieser Zeit gebraucht wurden. Es waren jene langweiligen doppelten Paroleworte, bei denen ein Wort das andere beantworten muss. Normalerweise waren sie erhebend und revolutionär, so wie etwa cultura — progreso oder seremos - invencibles. Oft war es unmöglich, den unwissenden Wachtposten beizubringen, diese hochtrabenden Worte zu behalten. Ich erinnere mich, dass eines Nachts die Parole hieß: Cataluna — eroica. Ein mondgesichtiger Bauernjunge mit Namen Jaime Domenech näherte sich mir sehr verwirrt und bat mich um eine Erklärung:
»Eroica — was heißt eroica?«
Ich erklärte ihm, es bedeute das gleiche wie valiente. Etwas später stolperte er in der Dunkelheit durch den Schützengraben, und der Wachtposten rief ihm zu:
»Alto! Cataluna!«
»Valiente!« rief Jaime, überzeugt, dass er das richtige Wort sage.
Peng!
Aber der Wachtposten schoss an ihm vorbei. In diesem Kriege schoss immer jeder an jedem vorbei, wenn es irgendwie menschenmöglich war.

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