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George Orwell - Mein Katalonien (1938)
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Elftes Kapitel

Es wird niemals möglich sein, eine vollständig genaue und unvoreingenommene Darstellung der Kämpfe in Barcelona zu erhalten, da die notwendigen Unterlagen nicht vorhanden sind. Zukünftige Historiker werden nichts außer einer Menge Anschuldigungen und Parteipropaganda haben, wonach sie sich richten können. Ich selbst habe zusätzlich zu dem, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe oder was ich von Augenzeugen erfuhr, wenig Unterlagen, die ich für glaubwürdig halte. Ich kann jedoch einige der besonders schamlosen Lügen widerlegen und dazu beitragen, die Ereignisse in das richtige Licht zu rücken.
Zunächst also, was geschah wirklich?
Schon seit einiger Zeit war es zu Spannungen in ganz Katalonien gekommen. In den vorangegangenen Kapiteln dieses Buches habe ich über die Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Anarchisten berichtet. Im Mai 1937 hatten die Dinge einen Punkt erreicht, an dem man einen heftigen Ausbruch als unvermeidlich ansehen musste. Der unmittelbare Anlass für die Reiberei war ein Befehl der Regierung, alle verborgenen Waffen abzuliefern. Dieser Befehl erfolgte gleichzeitig mit der Entscheidung, eine schwer bewaffnete >unpolitische< Polizeimacht aufzubauen, von der die Gewerkschaftsmitglieder ausgeschlossen werden sollten. Die Bedeutung dieser Anordnung war jedem klar. Es war ebenso einleuchtend, dass der nächste Schritt darin bestehen werde, einige von der C.N.T. kontrollierte Schlüsselindustrien zu übernehmen. Außerdem herrschte unter der Arbeiterklasse ein gewisser Verdruss über den wachsenden Gegensatz zwischen Wohlstand und Armut sowie das allgemeine, unbestimmte Gefühl, die Revolution sei sabotiert worden. Viele Leute waren angenehm überrascht, als es am 1. Mai keine Ausschreitungen gab. Am 3. Mai entschloss sich die Regierung, das Telefonamt zu übernehmen, das seit Kriegsbeginn hauptsächlich von Arbeitern der C.N.T. in Betrieb gehalten worden war. Man behauptete, es werde schlecht geleitet und amtliche Gespräche würden abgehört. Der Polizeichef Salas, der vielleicht seine Anweisungen überschritt, vielleicht aber auch nicht, entsandte drei Lastwagen mit bewaffneten Zivilgardisten, um das Gebäude zu besetzen, während die Straßen draußen von bewaffneter Polizei in Zivil gesäubert wurden. Zur gleichen Zeit etwa besetzten Trupps der Zivilgarde verschiedene andere Gebäude an strategischen Stellen. Was auch die wirklichen Absichten gewesen sein mögen, man glaubte allgemein, dies sei das Signal für einen Generalangriff der Zivilgardisten und der P.S.U.C. (Kommunisten und Sozialisten) auf die C.N.T. In der Stadt verbreitete sich in Windeseile die Nachricht, dass man die Gebäude der Arbeiter angreife. Bewaffnete Anarchisten erschienen in den Straßen, die Arbeit wurde niedergelegt, und sofort brachen Kämpfe aus. In der Nacht und am nächsten Morgen wurden in der ganzen Stadt Barrikaden errichtet, und die Kämpfe gingen ununterbrochen bis zum Morgen des 6. Mai weiter. Auf beiden Seiten waren die Kämpfe aber hauptsächlich defensiv. Die Gebäude wurden zwar belagert, aber, soviel ich weiß, nicht gestürmt, und man setzte keine Artillerie ein. Grob gesprochen hielten die Streitkräfte der C.N.T.-F.A.I. und P.O.U.M. die Vorstädte der Arbeiterklasse und die bewaffneten Polizeikräfte sowie die P.S.U.C. die zentralgelegenen Teile der Stadt und die Regierungsviertel. Am 6. Mai kam es zu einem Waffenstillstand, aber die Kämpfe brachen bald wieder aus, wahrscheinlich wegen der voreiligen Versuche der Zivilgardisten, die Arbeiter der C.N.T. ZU entwaffnen. Am nächsten Morgen aber verließen die Leute aus eigenem Antrieb die Barrikaden. Ungefähr bis zur Nacht des 5. Mai behielt die C.N.T. die Oberhand, und eine große Zahl Zivilgardisten hatte sich ergeben. Aber es gab keine allgemein anerkannte Führung und keinen festen Plan; ja, soweit man urteilen konnte, überhaupt keinen Plan außer der vagen Entschlossenheit, sich den Zivilgardisten zu widersetzen. Die Parteiführer der C.N.T. beschworen gemeinsam mit der Spitze der U.G.T. die Bevölkerung, an die Arbeit zurückzugehen; vor allem wurden die Lebensmittel knapp. Unter diesen Umständen war niemand von der Wichtigkeit der Streitpunkte genügend überzeugt, um weiterzukämpfen. Am Nachmittag des 7. Mai waren die Verhältnisse fast normal. An diesem Abend trafen sechstausend Sturmgardisten ein, die man von Valencia über das Meer geschickt hatte, und übernahmen die Kontrolle der Stadt. Die Regierung erließ den Befehl, alle Waffen abzuliefern, die sich nicht im Besitz der regulären Streitkräfte befanden, und während der nächsten Tage wurden große Waffenmengen beschlagnahmt. Offiziell wurden die Verluste während der Kämpfe mit vierhundert Toten und etwa tausend Verwundeten angegeben. Vierhundert Tote sind wahrscheinlich übertrieben, aber da es keine Möglichkeit gibt, die Wahrheit zu überprüfen, muss man diese Angabe als richtig hinnehmen.
Zweitens nun, was waren die Folgen der Kämpfe? Offensichtlich ist es unmöglich, mit einiger Sicherheit zu sagen, wozu sie führten. Es gibt keinen Beweis dafür, dass der Ausbruch der Unruhen irgendeinen direkten Einfluss auf den Verlauf des Krieges hatte, obwohl das der Fall gewesen wäre, wenn die Kämpfe noch länger gedauert hätten. Die Unruhen dienten als Entschuldigung, Katalonien unter die direkte Kontrolle Valencias zu bringen, die Auflösung der Milizeinheiten voranzutreiben, die P.O.U.M. ZU unterdrücken, und ohne Zweifel hatten sie auch einen Einfluss auf den Sturz der Regierung Caballero. Aber wir können mit Sicherheit annehmen, dass diese Dinge auf jeden Fall geschehen wären. Die eigentliche Frage lautet, ob die Arbeiter der C.N.T., als sie auf die Straße gingen, durch ihre Bereitschaft, aus diesem Anlass zu kämpfen, etwas gewannen oder verloren. Nach meiner Meinung, einer reinen Mutmaßung, gewannen sie mehr, als sie verloren. Die Besetzung des Telefonamtes von Barcelona war nicht mehr als ein Zwischenfall in einer langen Kette von Ereignissen. Seit dem vorangegangenen Jahr hatte man die direkte Macht allmählich den Händen der Syndikate entrungen. Die allgemeine Tendenz lief nicht mehr auf eine Kontrolle durch die Arbeiterklasse hinaus, sondern zielte auf die Verwirklichung einer zentralisierten Kontrolle. Das musste zum Staatskapitalismus oder möglicherweise zur Wiedereinführung des privaten Kapitalismus führen. Wahrscheinlich wurde diese Entwicklung durch den damaligen Widerstand verlangsamt. Ein Jahr nach Kriegsausbruch hatten die katalanischen Arbeiter viel von ihrer Macht verloren, aber vergleichsweise war ihre Stellung immer noch vorteilhaft. Sie wäre wahrscheinlich viel ungünstiger gewesen, hätten sie klar zu erkennen gegeben, dass sie sich auch gegenüber der größten Herausforderung ruhig verhalten würden. Es gibt Gelegenheiten, bei denen es sich besser bezahlt macht, zu kämpfen und geschlagen zu werden, als überhaupt nicht zu kämpfen.
Drittens aber, welche Absicht lag dem Ausbruch der Unruhen zugrunde, gab es überhaupt eine? War es ein coup d'Etat oder der Versuch einer Revolution? Zielte er tatsächlich auf den Sturz der Regierung? Hatte man vorher überhaupt irgendwelche Absprachen getroffen?
Nach meiner Meinung waren die Kämpfe nur insoweit vorher abgesprochen, als jeder sie erwartete. Es gab auf keiner Seite irgendein Zeichen eines sehr bestimmten Planes. Auf Seiten der Anarchisten war der Aufstand ziemlich sicher spontan, denn er entsprang hauptsächlich der Initiative der einfachen Mitglieder. Die Leute gingen auf die Straße, und ihre politischen Führer folgten ihnen zögernd, oder sie folgten ihnen überhaupt nicht. Die einzigen Leute, die sich zumindest in ihren Reden eines revolutionären Tones bedienten, waren die >Freunde Durrutis<, eine kleine extreme Gruppe innerhalb der F.A.I. und der P.O.U.M. Aber auch sie folgten den Ereignissen und führten sie nicht an. Die >Freunde Durrutis< verteilten ein revolutionäres Flugblatt, aber es kam nicht vor dem 5. Mai heraus. Man kann also nicht sagen, dass die Kämpfe dadurch ausgelöst wurden, die schon zwei Tage vorher von selbst angefangen hatten. Die Parteiführer der C.N.T. weigerten sich von Anfang an, den Aufruhr als ihre eigene Sache anzuerkennen. Dafür gab es viele Gründe. Zunächst einmal war es sicher, dass die Anführer der C.N.T. konservativer waren als ihre Gefolgsleute, weil die C.N.T. immer noch in der Regierung und der Generalidad vertreten war. Zweitens war es das Hauptziel der Anführer der C.N.T., ein Bündnis mit der U.G.T. ZU schließen. Die Kämpfe aber mussten die Spaltung zwischen der C.N.T. und der U.G.T. erweitern, zumindest in diesem Augenblick. Drittens fürchteten die anarchistischen Führer - obwohl das damals nicht allgemein bekannt war —, dass eine ausländische Intervention erfolgen könne, falls die Dinge über einen gewissen Punkt hinausgingen, wenn also etwa die Arbeiter die Macht in der Stadt an sich rissen, wie sie es vielleicht am 5. Mai hätten tun können. Ein britischer Kreuzer und zwei britische Zerstörer hatten sich vor den Hafen gelegt, und ohne Zweifel waren andere Kriegsschiffe nicht weit entfernt. Die englischen Zeitungen meldeten, diese Schiffe seien nach Barcelona gekommen, um »britische Interessen zu schützen«. In Wirklichkeit aber unternahmen sie nichts für diesen Zweck, das heißt, sie landeten keine Soldaten und nahmen keine Flüchtlinge auf. Es ist nicht sicher, aber mindestens sehr gut möglich, dass die britische Regierung, die keinen Finger gerührt hatte, um die spanische Regierung vor Franco zu retten, sehr schnell eingegriffen haben würde, um sie vor ihrer eigenen Arbeiterklasse zu retten. Die Anführer der P.O.U.M. taten nichts, um den Aufruhr zu verleugnen, sie ermutigten in der Tat ihre Gefolgsleute, auf den Barrikaden zu bleiben, und gaben in La Batalla vom 6. Mai sogar ihre Zustimmung zu dem extremen Flugblatt, das die >Freunde Durrutis< veröffentlicht hatten. (Es besteht große Ungewissheit über die Existenz dieses Flugblattes, und niemand scheint in der Lage zu sein, ein Exemplar zur Verfügung zu stellen.) In einigen ausländischen Zeitungen wurde es als ein »aufrührerisches Plakat« beschrieben, das man in der ganzen Stadt angeklebt habe. Ein derartiges Plakat gab es mit Sicherheit nicht. Wenn ich die verschiedenen Berichte vergleiche, möchte ich sagen, dass das Flugblatt die folgenden Forderungen stellte: 1. die Bildung eines Revolutionsrates (Junta); 2. die Erschießung aller derjenigen, die für den Angriff auf das Telefonamt verantwortlich waren; 3. die Entwaffnung der Zivilgardisten.
Es ist weiterhin ungewiss, wieweit La Batalla eine Übereinstimmung mit dem Flugblatt ausdrückte. Ich selbst habe weder das Flugblatt noch La Batalla von jenem Datum gesehen. Der einzige Handzettel, den ich während der Kämpfe sah, wurde am 4. Mai von einer Splittergruppe der Trotzkisten (>Bolschewistische Leninisten<) herausgegeben. Darauf stand: »Jeder auf die Barrikaden - Generalstreik aller Industrien, außer der Kriegsindustrie.« (Es wurde mit anderen Worten nur verlangt, was gerade schon geschah.) In Wirklichkeit aber nahmen die Anführer der P.O.U.M. eine zögernde Haltung ein. Sie hatten sich nie für einen Aufstand ausgesprochen, bevor der Krieg gegen Franco gewonnen war. Andererseits waren die Arbeiter auf die Straße gegangen, und darum folgten die Anführer der P.O.U.M. der ziemlich pedantischen marxistischen Interpretation, dass es die Pflicht der revolutionären Parteien ist, mit den Arbeitern solidarisch zu sein, wenn sie auf die Straße gehen. Gleichzeitig taten sie aber ihr Bestes, trotz ihrer revolutionären Schlagworte vom »Wiedererwachen des Geistes vom 19. Juli« und ähnlicher, das Eingreifen der Arbeiter auf die Verteidigung zu beschränken. Sie befahlen beispielsweise niemals einen Angriff auf irgendein Gebäude. Sie befahlen ihren Mitgliedern nur, wachsam zu sein und, wie ich im vorhergehenden Kapitel erwähnte, wenn es sich vermeiden ließe, nicht zu schießen. La Batalla veröffentlichte auch Weisungen, dass keine Truppeneinheit die Front verlassen dürfe (Anm.: Eine der jüngsten Nummern des Inprecor behauptet genau das Gegenteil, nämlich La Batalla habe den P.O.U.M.-Truppen befohlen, die Front zu verlassen! Dieses Argument kann man leicht entkräften, wenn man La Batalla von jenem Datum nachschlägt.). Soweit man alles abschätzen kann, möchte ich sagen, die Verantwortung der P.O.U.M. habe darin bestanden, alle Arbeiter aufgefordert zu haben, auf den Barrikaden zu bleiben. Wahrscheinlich überredete sie auch eine gewisse Anzahl, länger dort zu bleiben, als sie es sonst getan hätten. Diejenigen, die damals in persönlichem Kontakt mit den Anführern der P.O.U.M. standen (ich selbst hatte ihn nicht), haben mir erzählt, dass sie in Wirklichkeit über die ganze Geschichte bestürzt waren. Aber sie hatten das Gefühl, sie müssten sich damit solidarisch erklären. Hinterher wurde natürlich in der gewohnten Art politisches Kapital daraus geschlagen. Gorkin, einer der Anführer der P.O.U.M., sprach später sogar von »den glorreichen Maitagen«. Aus Propagandagründen mag diese Haltung richtig gewesen sein. Gewiss stieg die Mitgliederzahl der P.O.U.M. während der kurzen Periode vor ihrer Unterdrückung etwas an. Taktisch aber war es wahrscheinlich ein Fehler, das Flugblatt der >Freunde Durrutis< auf diese Weise zu unterstützen, denn sie waren eine kleine, der P.O.U.M. normalerweise feindlich gesinnte Organisation.
In Anbetracht der allgemeinen Aufregung und der Dinge, die man auf beiden Seiten gesagt hatte, bedeutet das Flugblatt tatsächlich nicht mehr als: »Bleibt auf den Barrikaden.« Aber dadurch, dass sich die Anführer der P.O.U.M. den Anschein gaben, diesem zuzustimmen, während die anarchistische Zeitung Solidaridad Obrera es verwarf, machten sie es der kommunistischen Presse einfach, nachher zu sagen, die Kämpfe seien nur ein von der P.O.U.M. durchgeführter Aufstand gewesen. Wir können sicher sein, dass die kommunistische Presse das auf jeden Fall gesagt hätte. Diese Vorwürfe waren nichts im Vergleich zu den Anschuldigungen, die sowohl vorher wie auch hinterher mit geringeren Beweismitteln aufgestellt wurden. Auch die Anführer der C.N.T. gewannen durch ihre vorsichtigere Haltung nicht viel. Sie wurden für ihre Loyalität gelobt, aber man drängte sie, sobald sich die Möglichkeit dazu bot, sowohl aus der Regierung als auch aus der Generalidad hinaus.
Soweit man damals die Reden aller Leute beurteilen konnte, gab es nirgendwo eine wirklich revolutionäre Absicht. Die Leute hinter den Barrikaden waren normale Arbeiter der C.N.T., wahrscheinlich waren auch ein paar Arbeiter der U.G.T. dazwischen. Sie versuchten nicht, die Regierung zu stürzen, sondern sich nur dem zu widersetzen, was sie zu Recht oder Unrecht als einen Angriff der Polizei betrachteten. Ihr Kampf war hauptsächlich defensiv, und ich bezweifle, dass man ihn einen »Aufstand« nennen sollte, wie es fast in allen ausländischen Zeitungen geschah. Zu einem Aufstand gehören Angriffshandlungen und ein bestimmter Plan. Genauer gesagt, war es ein Aufruhr - ein sehr blutiger Aufruhr -, denn beide Seiten besaßen Gewehre und waren entschlossen, sie zu benutzen.
Aber welche Absichten hatte die Gegenseite? Wenn es schon kein anarchistischer coup d'Etat war, konnte es vielleicht ein kommunistischer coup d'Etat sein - ein wohlüberlegter Versuch, die Macht der C.N.T. mit einem Schlag zu zerschlagen.
Ich glaube nicht, dass es so war, obwohl gewisse Anzeichen diese Vermutung nahe legen können. Es ist bezeichnend, dass sich etwas sehr Ähnliches zwei Tage später in Tarragona ereignete (die Eroberung des Telefonamtes durch bewaffnete Polizei, die auf Befehl aus Barcelona handelte). Auch in Barcelona war der Überfall auf das Telefonamt keine isolierte Handlung. In verschiedenen Teilen der Stadt bemächtigten sich Trupps der Zivilgarde und P.S.U.C.-Anhänger der Gebäude an strategisch wichtigen Stellen. Sie machten das mit überraschender Schnelligkeit, wenn auch vielleicht nicht, bevor die Kämpfe überhaupt anfingen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass sich diese Dinge in Spanien und nicht in England ereigneten. Barcelona ist eine Stadt mit einer langen Geschichte voller Straßenkämpfe. An solchen Orten ereignen sich die Dinge schnell, die Parteien sind schon vorbereitet, jeder kennt die örtlichen Gegebenheiten, und wenn die Kanonen zu schießen beginnen, nehmen die Menschen ihre Plätze fast wie bei einem Feueralarm ein. Vermutlich erwarteten die für die Besetzung des Telefonamtes Verantwortlichen die Unruhen - aber sicher nicht in dem Ausmaße, wie sie sich tatsächlich abspielten. Sie hatten Gegenmaßnahmen vorbereitet, aber daraus folgert nicht, dass sie einen allgemeinen Angriff auf die C.N.T. planten. Es gibt zwei Gründe für meine Vermutung, dass keine der Parteien irgendwelche Vorbereitungen für umfangreiche Kämpfe getroffen hatte:
1. Keine der Parteien hatte vorher Truppen nach Barcelona gebracht. Die Kämpfe fanden nur zwischen den Leuten statt, die schon in Barcelona waren, hauptsächlich Zivilisten und Polizei.
2. Lebensmittel wurden fast sofort knapp. Jeder, der in Spanien gedient hat, weiß, dass die einzige Kriegshandlung, welche die Spanier wirklich gut bewerkstelligen, die Versorgung ihrer Truppen mit Lebensmitteln ist. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine der Parteien ein- oder zweiwöchige Straßenkämpfe und zusätzlich einen Generalstreik geplant hätte, ohne vorher genügend Lebensmittel gelagert zu haben.
Schließlich noch die Frage nach Recht oder Unrecht.
In der ausländischen antifaschistischen Presse wurde viel Staub aufgewirbelt, aber wie üblich schenkte man nur einer Seite des Falles Gehör. So wurden die Kämpfe in Barcelona als ein Aufstand illoyaler Anarchisten und Trotzkisten dargestellt, die »der spanischen Regierung in den Rücken fielen« und so weiter. So einfach war die Streitfrage aber nicht. Wenn man mit einem Todfeind Krieg führt, ist es zweifellos besser, sich nicht untereinander zu streiten. Man sollte sich jedoch daran erinnern, dass zu einem Streit zwei gehören und das Volk nicht beginnt, Barrikaden zu bauen, bevor es nicht der Ansicht ist, provoziert worden zu sein.
Natürlich hat die Aufforderung der Regierung an die Anarchisten, ihre Waffen abzuliefern, zu diesen Unruhen geführt. In der englischen Presse übersetzte man diese Tatsache in englische Begriffe. Das klang dann so: Man habe an der aragonischen Front verzweifelt Waffen benötigt und sie nicht dorthin senden können, da die unpatriotischen Anarchisten sie zurückhielten. Wer die Ereignisse so darstellt, übersieht die in Spanien tatsächlich herrschenden Zustände. Jeder wusste, dass sowohl die Anarchisten als auch die P.S.U.C. Waffen hamsterten, und als die Kämpfe in Barcelona ausbrachen, wurde das noch deutlicher, denn beide Seiten kamen nun mit großen Waffenmengen zum Vorschein. Die Anarchisten wussten sehr genau, dass, selbst wenn sie ihre Waffen ablieferten, die P.S.U.C. als wichtigste politische Macht in Katalonien immer noch ihre eigenen behalten würde. So geschah es tatsächlich, als die Kämpfe vorbei waren. Unterdessen sah man sogar in den Straßen große Waffenmengen, die an der Front bitter benötigt wurden, die aber die >nichtpolitische< Polizeimacht in der Etappe zurückgehalten wurden. Alles wurde aber beherrscht von dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Kommunisten und Anarchisten, der früher oder später zu einer Auseinandersetzung führen musste. Die Kommunistische Partei Spaniens war seit Kriegsbeginn enorm an Zahl gewachsen und hatte den größeren Teil der politischen Macht an sich gerissen. Außerdem waren Tausende ausländischer Kommunisten nach Spanien gekommen, die offen verkündeten, sie wollten den Anarchismus »liquidieren«, sobald der Krieg gegen Franco gewonnen sei. Unter diesen Umständen konnte man kaum erwarten, dass die Anarchisten ihre Waffen ausliefern würden, die sie im Sommer 1936 in die Hände bekommen hatten.
Die Besetzung des Telefonamtes bedeutete einfach das Streichholz, das die schon vorhandene Bombe zündete. Es ließe sich vielleicht gerade noch vorstellen, dass die Verantwortlichen glaubten, das werde nicht zu Unruhen führen. Es heißt, dass der katalanische Präsident Companys einige Tage früher lachend erklärt habe, die Anarchisten würden sich mit allem abfinden (Anm.: New Statesman (vom 14. Mai).).
Sicher war das Ganze keine kluge Handlung. Während des vergangenen Monats hatte es schon eine lange Reihe bewaffneter Zwischenfälle in verschiedenen Teilen Spaniens zwischen Kommunisten und Anarchisten gegeben. Katalonien, und besonders Barcelona, befand sich in einem Zustand der Spannung, der schon zu Straßenkämpfen, Ermordungen und dergleichen geführt hatte. Plötzlich machte in der Stadt die Nachricht die Runde, dass bewaffnete Soldaten jene Gebäude angriffen, die die Arbeiter in den Julikämpfen erobert hatten und auf deren Besitz sie einen großen, gefühlsmäßigen Wert legten. Man muss sich daran erinnern, dass die Zivilgardisten von der arbeitenden Bevölkerung nicht geliebt wurden. Generationen lang war la guardia nur ein Instrument des Landherren und des Bosses gewesen. Zweifellos wurden die Zivilgardisten doppelt stark gehasst, weil sie ganz zu Recht verdächtigt wurden, eine sehr fragwürdige Loyalität gegenüber den Faschisten an den Tag gelegt zu haben (Anm.: Bei Ausbruch des Krieges hatten sich die Zivilgardisten überall auf die Seite der stärkeren Partei geschlagen. Im Verlaufe des Krieges gingen später die örtlichen Zivilgardisten bei mehreren Gelegenheiten, zum Beispiel in Santander, geschlossen zu den Faschisten über.). Es ist wahrscheinlich, dass das Volk in den ersten Stunden von den gleichen Gefühlen auf die Straße getrieben wurde, die es bei Beginn des Krieges dazu geführt hatten, den aufständischen Generälen zu widerstehen. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob die Arbeiter der C.N.T. das Telefonamt ohne Protest hätten ausliefern sollen. Das eigene Urteil wird in diesem Falle davon beeinflusst, welche Stellung man zur Frage Zentralregierung oder Kontrolle durch die Arbeiterklasse einnimmt. Es ist vielleicht zutreffender, wenn man sagt: »Ja, mit ziemlicher Sicherheit hatte die C.N.T. gute Gründe. Aber trotzdem war Krieg, und es gab keine Entschuldigung dafür, einen Kampf hinter der Front anzufangen.« Hiermit stimme ich vollständig überein. Jede innere Unruhe musste Franco helfen. Aber was löste die Kämpfe eigentlich aus? Es mag stimmen und auch nicht stimmen, dass die Regierung ein Recht hatte, das Telefonamt zu besetzen, entscheidend ist, dass dies unter den herrschenden Umständen zum Kampf führen musste. Es war eine herausfordernde Handlung, eine Geste, die eigentlich sagte und vermutlich auch sagen sollte: »Eure Macht ist zu Ende - jetzt kommen wir an die Reihe.« Der gesunde Menschenverstand musste einem sagen, dass es darauf nur Widerstand geben könne. Mit ein wenig Gefühl für Proportionen muss man erkennen, dass die Schuld nicht vollständig auf einer Seite lag, dass sie in einer solchen Angelegenheit auch gar nicht allein dort liegen konnte. Der Grund für die Billigung dieser einseitigen Version liegt einfach darin, dass die spanischen Revolutionsparteien keine Unterstützung in der ausländischen Presse gefunden haben. Besonders in der englischen Presse müsste man lange suchen, ehe man zu irgendeiner Zeit des Krieges einen zustimmenden Hinweis auf die spanischen Anarchisten fände. Sie wurden systematisch angeschwärzt, und es ist fast unmöglich, wie ich aus meiner eigenen Erfahrung weiß, dass man irgend jemand findet, der etwas zu ihrer Verteidigung druckt.
Ich habe versucht, über die Kämpfe in Barcelona objektiv zu schreiben, obwohl offensichtlich niemand in einer derartigen Frage vollständig objektiv sein kann. Man muss praktisch Stellung nehmen, und es muss deutlich geworden sein, auf welcher Seite ich stand. Natürlich ist es unvermeidlich, dass ich Fehler in der Darstellung der Tatsachen gemacht habe, nicht nur hier, sondern auch in anderen Teilen dieser Erzählung. Wegen des Mangels an nicht propagandistisch gefärbten Dokumenten ist es sehr schwierig, fehlerfrei über den Spanischen Krieg zu schreiben. Ich warne jeden vor meinem Vorurteil, und ich warne jeden vor meinen Fehlern. Aber dennoch habe ich mein Bestes getan, um ehrlich zu sein. Es wird aber zu erkennen sein, dass meine Schilderung völlig anders ist als die, welche in der ausländischen, besonders in der kommunistischen Presse erschien. Es ist notwendig, die kommunistische Version zu untersuchen, denn sie wurde in der ganzen Welt veröffentlicht, seither in kurzen Abständen ergänzt und ist wahrscheinlich die weitestgehend akzeptierte.
In der kommunistischen und prokommunistischen Presse wurde die ganze Schuld an den Kämpfen in Barcelona der P.O.U.M. zugeschoben. Die Unruhen wurden nicht als ein spontaner Aufruhr geschildert, sondern als eine überlegte und geplante Revolution gegen die Regierung, die ausschließlich von der P.O.U.M. mit Hilfe einer Handvoll verführter Unkontrollierbarem arrangiert wurde. Mehr noch, sie war sicherlich eine faschistische Verschwörung, die unter faschistischem Befehl ausgeführt wurde, um einen Bürgerkrieg in der Etappe anzuzetteln und so die Regierung zu lähmen. Die P.O.U.M. war >Francos Fünfte Kolonne<, eine >trotzkistische< Organisation, die im Bündnis mit den Faschisten arbeitete.
Nach den Worten des Daily Worker (11. Mai):
Die deutschen und italienischen Agenten, die nach Barcelona strömten, um angeblich den berüchtigten »Kongress der 4. Internationale« vorzubereiten, hatten eine große Aufgabe. Sie lautete:
Sie sollten zusammen mit den örtlichen Trotzkisten einen Zustand der Unordnung und des Blutvergießens herbeiführen, der es der deutschen und italienischen Regierung ermöglichte zu erklären, dass sie »wegen der in Barcelona herrschenden Unordnung nicht in der Lage wären, eine wirksame Kontrolle der katalonischen Küsten durch die Kriegsmarine auszuüben« und deshalb »nichts anderes tun könnten, als Truppen in Barcelona zu landen«.
Mit anderen Worten, es wurde eine Situation vorbereitet, auf Grund deren die deutsche und die italienische Regierung ganz offen Truppen oder Marinesoldaten an der katalonischen Küste landen und dazu erklären konnten, sie täten das, »um die Ordnung aufrechtzuerhalten«...
Das Instrument hierfür lag in Gestalt der trotzkistischen Organisation, der P.O.U.M., für die Deutschen und die Italiener bereit. In Zusammenarbeit mit bekannten kriminellen Elementen und gewissen anderen, irregeführten Personen in den anarchistischen Organisationen plante, organisierte und führte die P.O.U.M. den Angriff in der Etappe, der zeitlich genauso festgelegt war, dass er mit dem Angriff an der Front von Bilbao zusammenfiel.
Im Verlauf des Artikels werden die Kämpfe in Barcelona zum »Angriff der P.O.U.M.«, und in einem anderen Artikel in der gleichen Ausgabe heißt es, dass »ohne Zweifel die Verantwortung für das Blutvergießen in Katalonien vor der Tür der P.O.U.M. liegt«. Der Inprecor (vom 29. Mai) erklärt, dass diejenigen, die die Barrikaden in Barcelona errichteten, »nur Mitglieder der P.O.U.M. waren, die von der Partei eigens für diesen Zweck zusammengebracht wurden«. Ich könnte noch viel mehr zitieren, aber das ist schon klar genug. Die P.O.U.M. war allein verantwortlich, und die P.O.U.M. handelte auf faschistischen Befehl. Ich werde noch einige andere Auszüge aus den Berichten zitieren, die in der kommunistischen Presse erschienen. Es wird sich zeigen, dass sie sich derartig selbst widersprechen, dass sie vollständig wertlos sind. Aber ehe ich das tue, lohnt es sich, auf einige Vernunftgründe hinzuweisen, wonach sie die Version, die Maikämpfe seien eine von der P.O.U.M. durchgeführte faschistische Revolution gewesen, als nahezu unglaublich erweist.
1. Die P.O.U.M. hatte nicht genügend Mitglieder oder einen entsprechend weitreichenden Einfluss, um eine Unruhe dieses Ausmaßes zu provozieren. Noch weniger war sie stark genug, einen Generalstreik auszurufen. Sie war eine politische Organisation ohne genügenden Rückhalt in den Gewerkschaften. Sie wäre genauso unfähig gewesen, einen Streik in ganz Barcelona auszulösen, wie etwa die englische kommunistische Partei einen Generalstreik in ganz Glasgow ausrufen könnte. Wie ich schon vorher sagte, mag die Haltung der Anführer der P.O.U.M. die Verlängerung der Kämpfe bis zu einem gewissen Grade unterstützt haben, aber sie hätten sie nicht anzetteln können, selbst wenn sie es gewollt hätten.
2. Die angeblich faschistische Verschwörung beruht nur auf reinen Annahmen, jeder Beweis zeigt in die andere Richtung. Es wird uns von Plänen erzählt, nach denen die deutsche und die italienische Regierung in Katalonien Truppen landen sollten, aber kein deutsches oder italienisches Truppenschiff näherte sich der Küste. Der >Kongress der Vierten International und die >deutschen und italienischen Agenten< sind eine reine Erfindung. Soviel ich weiß, hat man niemals von einem Kongress der Vierten Internationale gesprochen. Es gab gewisse Pläne für einen Kongress der P.O.U.M. und ihrer Schwesterparteien (der englischen I.L.P., der deutschen S.A.P. und so weiter). Dieses Treffen war versuchsweise irgendwann für den Juli festgelegt worden, also zwei Monate später, und noch nicht ein einziger Delegierter war bisher angekommen. Außerhalb der Seiten des Daily Worker gab es keine »deutschen und italienischen Agenten«. Jeder, der zu jener Zeit die Grenze überquerte, weiß, dass es nicht leicht war, nach Spanien hinein- oder herauszukommen.
3. Weder in Lerida, dem Hauptstützpunkt der P.O.U.M., noch an der Front ereignete sich irgend etwas. Hätten die Anführer der P.O.U.M. die Faschisten unterstützen wollen, so hätten sie natürlich ihrer Miliz befohlen, die Front zu verlassen, um die Faschisten durchzulassen. Aber nichts Derartiges ereignete sich oder wurde vorgeschlagen. Vorher wurden nicht einmal irgendwelche Soldaten von der Front zurückgebracht, obwohl es leicht gewesen wäre, sagen wir tausend oder zweitausend Leute unter verschiedenen Vorwänden nach Barcelona zurückzuschmuggeln. An der Front wurde nicht einmal der Versuch einer indirekten Sabotage unternommen. Der Transport von Nahrungsmitteln und Munition und so weiter ging wie üblich weiter. Ich fand das später durch Befragung bestätigt. Vor allem aber hätte eine vorausgeplante Revolution, so wie sie behauptet wurde, viele Monate zur Vorbereitung benötigt; zum Beispiel unterminierende Propaganda innerhalb der Miliz und so weiter. Aber dafür gab es weder ein äußeres Zeichen noch irgendein Gerücht. Die Tatsache, dass die Miliz an der Front mit dem Aufruhr nichts zu tun hatte, sollte die Frage eindeutig beantworten. Hätte die P.O.U.M. tatsächlich einen coup d'Etat geplant, ist es undenkbar, dass sie nicht die ungefähr zehntausend Soldaten eingesetzt haben würde, die ihre einzige bewaffnete Streitmacht darstellten. Aus diesen Überlegungen geht eindeutig hervor, dass es für die kommunistische These von einem >Aufstand< der P.O.U.M. auf faschistischen Befehl auch nicht den geringsten Beweis gibt. Ich möchte noch einige Auszüge aus der kommunistischen Presse hinzufügen. Die kommunistischen Berichte über den ersten Zwischenfall, den Überfall auf das Telefonamt, sind sehr aufschlussreich. Sie stimmen einzig darin überein, dass sie alle Vorwürfe auf die gegnerische Seite abladen. Es ist bemerkenswert, dass sich die Vorwürfe in den englischen kommunistischen Zeitungen zunächst gegen die Anarchisten und erst später gegen die P.O.U.M. richteten. Dafür gibt es einen ziemlich einleuchtenden Grund. Nicht jeder Leser in England hat etwas von >Trotzkismus< gehört, aber jeder Englisch sprechende Mensch zittert, wenn er das Wort >Anarchist< hört. Hat sich einmal herumgesprochen, dass >Anarchisten< beteiligt sind, ist die richtige Atmosphäre für ein Vorurteil geschaffen. Dann kann man die Schuld später mit Sicherheit auf die >Trotzkisten< abwälzen. So beginnt der Daily Worker (am 6. Mai):
Eine in der Minderheit befindliche Bande der Anarchisten eroberte am Montag und Dienstag die Gebäude des Telefon- und Telegrafenamtes, versuchte sie zu verteidigen und begann eine Schießerei in den Straßen.
Nichts ist besser, als gleich zu Beginn die Rollen zu vertauschen. Die Zivilgardisten greifen ein Gebäude an, das von der C.N.T. besetzt ist. So geht man also hin und sagt, die C.N.T. habe ihr eigenes Gebäude, also sich selbst, angegriffen. Am 11. Mai hingegen erklärte der Daily Worker:
Der linksgerichtete katalonische Minister für öffentliche Sicherheit, Aiguade, und der den Vereinigten Sozialisten angehörende Generalkommissar für öffentliche Ordnung, Rodrigue Salas, schickten die bewaffnete republikanische Polizei in das Telefonica-Gebäude, um die Angestellten dort zu entwaffnen, die zum größten Teil Mitglieder der C.N.T.-Gewerkschaft waren.
Das scheint nicht sehr gut mit der ersten Erklärung übereinzustimmen. Trotzdem enthält der Daily Worker kein Eingeständnis, dass die erste Behauptung falsch war. Der Daily Worker vom n. Mai erklärt, dass die Flugblätter der >Freunde Durrutis<, die von der C.N.T. abgelehnt wurden, während der Kämpfe am 4. und 5. Mai erschienen. Der Inprecor (vom 22. Mai) erklärt, dass sie am 3. Mai erschienen - also vor den Kämpfen -, und fügte dann hinzu, was »in Anbetracht dieser Tatsachen« (des Erscheinens verschiedener Flugblätter) geschah:
Die Polizei, die vom Polizeipräfekten persönlich geführt wurde, besetzte das zentrale Telefonamt am Nachmittag des 3. Mai. Während die Polizisten ihrer Pflicht nachgingen, wurden sie beschossen. Das war das Signal für die Provokateure, mit Schießereien und Krawallen in der ganzen Stadt zu beginnen.
Und hier der Inprecor vom 29. Mai:
Nachmittags um drei Uhr begab sich der Kommissar für die öffentliche Sicherheit, Kamerad Salas, zum Telefonamt, das in der vorhergehenden Nacht von fünfzig Mitgliedern der P.O.U.M. und anderen unkontrollierbaren Elementen besetzt worden war.
Das klingt doch recht seltsam. Man muss ja wohl die Besetzung des Telefonamtes durch fünfzig Mitglieder der P.O.U.M. als einen ziemlich auffälligen Zwischenfall bezeichnen, und man hätte erwartet, dass damals jemand etwas bemerkt hätte. Es scheint aber, dass dieser Zwischenfall erst drei oder vier Wochen später entdeckt wurde. In einer anderen Ausgabe des Inprecor werden aus den fünfzig Mitgliedern der P.O.U.M. fünfzig P.O.U.M.-Milizsoldaten. Es wäre schwierig, noch mehr Widersprüche zusammenzupacken, als schon in diesen wenigen, kurzen Passagen enthalten sind. Gerade greift die C.N.T. das Telefonamt an, und schon werden sie selbst dort angegriffen. Ein Flugblatt zirkuliert vor der Eroberung des Telefonamtes und ist die Ursache dafür oder aber genau umgekehrt, es erscheint hinterher und ist das Ergebnis davon. Abwechselnd sind die Männer im Telefonamt Mitglieder der C.N.T. oder der P.O.U.M. und so weiter. In einer noch späteren Ausgabe, des Daily Worker (vom 3. Juni) informiert uns Mr. J. R. Campbell, dass die Regierung nur deshalb das Telefonamt besetzte, weil die Barrikaden schon errichtet worden waren!
Aus Platzmangel habe ich nur die Berichte über einen Zwischenfall wiedergegeben, aber in allen Berichten der kommunistischen Presse finden sich die gleichen Widersprüche. Zusätzlich gibt es verschiedene Erklärungen, die offensichtlich reine Erfindungen sind. Hier ist zum Beispiel eine Meldung aus dem Daily Worker (vom 7. Mai), die angeblich von der spanischen Botschaft in Paris veröffentlicht wurde:
Es war ein bezeichnender Zug des Aufstandes, dass die alte monarchistische Fahne auf den Balkons verschiedener Häuser in Barcelona gezeigt wurde. Dies geschah zweifellos in dem Glauben, dass die Beteiligten schon Herren der Lage seien.
Sehr wahrscheinlich druckte der Daily Worker diese Erklärung im guten Glauben ab. Aber die Verantwortlichen für diese Meldung in der spanischen Botschaft müssen ganz absichtlich gelogen haben. Jeder Spanier musste die heimischen Verhältnisse besser kennen. Eine monarchistische Fahne in Barcelona! Das wäre das einzige gewesen, was die sich bekämpfenden Parteien augenblicklich vereinigt hätte. Selbst die Kommunisten an Ort und Stelle mussten lächeln, als sie davon lasen. Das gleiche gilt für die Berichte in verschiedenen kommunistischen Zeitungen über Waffen, die angeblich von der P.O.U.M. während des >Aufstandes< eingesetzt wurden. Diese Berichte sind nur für den glaubwürdig, der absolut gar nichts über die Tatsachen weiß. Im Daily Worker vom 17. Mai erklärt Mr. Frank Pitcairn:
Während des Aufruhrs wurden tatsächlich alle möglichen Waffen eingesetzt. Es handelte sich um Waffen, die seit Monaten gestohlen und versteckt worden waren, darunter auch Tanks, die gleich zu Beginn des Aufruhrs aus den Kasernen gestohlen wurden. Es ist klar, dass Dutzende von Maschinengewehren und einige tausend Gewehre noch immer im Besitz der Aufständischen sind.
Der Inprecor (vom 29. Mai) erklärt außerdem: Am 3. Mai standen der P.O.U.M. einige Dutzend Maschinengewehre und einige tausend Gewehre zur Verfügung. Auf der Plaza d'Espana brachten Trotzkisten >75er<-Kanonen in Stellung, die für die Front in Aragonien bestimmt waren und die die Miliz sorgfältig in ihren Kasernen versteckt gehalten hatte.
Mr. Pitcairn erzählt uns nicht, wie und wann es bekannt wurde, dass die P.O.U.M. Dutzende von Maschinengewehren und einige tausend Gewehre besaß. Nach meiner Schätzung waren, wie ich berichtet habe, etwa achtzig Gewehre, einige Handgranaten und keine Maschinengewehre in drei der wichtigsten Gebäude der P.O.U.M. Das heißt also, gerade genug für die bewaffneten Wachen, die damals alle politischen Parteien vor ihren Gebäuden aufstellten. Es scheint ungewöhnlich zu sein, dass hinterher, nachdem die P.O.U.M. unterdrückt und ihre sämtlichen Gebäude besetzt wurden, diese vielen tausend Waffen niemals ans Tageslicht kamen; besonders die Tanks und die Feldkanonen, denn das sind Gegenstände, die man nicht einfach in einem Kamin verstecken kann. In den beiden oben zitierten Erklärungen zeigt sich aber deutlich die völlige Unkenntnis der örtlichen Verhältnisse. Nach Mr. Pitcairn stahl die P.O.U.M. Tanks »aus den Kasernen«. Er sagt uns nicht, aus welchen Kasernen. Die Milizsoldaten der P.O.U.M., die in Barcelona waren (jetzt vergleichsweise wenig, da die direkte Rekrutierung für die Parteimilizen aufgehört hatte), teilten die Lenin-Kaserne mit einer beträchtlich größeren Anzahl Truppen der Volksarmee. So erzählt uns also Mr. Pitcairn, dass die P.O.U.M. die Tanks mit Einwilligung der Volksarmee stahl. Das gleiche gilt für die >Örtlichkeiten<, wo die Fünfundsiebzig-Millimeter-Kanonen verborgen wurden. Er erwähnt nicht, wo diese >Örtlichkeiten< waren. Viele Zeitungen berichteten, dass diese Artillerie-Batterien von der Plaza de Espana aus feuerten. Aber ich glaube, wir können mit Gewissheit sagen, dass sie nie existierten. Wie ich schon vorher erwähnte, hörte ich während der Kämpfe kein Artilleriefeuer, obwohl die Plaza de Espana nur etwa eineinhalb Kilometer weit entfernt lag. Einige Tage später schaute ich mir die Plaza de Espana gut an und konnte keine Gebäude finden, die Granateinschläge aufwiesen. Auch ein Augenzeuge, der während der ganzen Kämpfe in der Nachbarschaft war, erklärte, dass die Kanonen dort niemals auftauchten. (Übrigens, die Geschichte von den gestohlenen Kanonen mag von Antonov-Ovseenko, dem russischen Generalkonsul, stammen. Er hat sie jedenfalls einem bekannten englischen Journalisten erzählt, der sie hinterher in gutem Glauben in einer Wochenzeitung wiederholte. Antonov-Ovseenko ist inzwischen der >Säuberung< zum Opfer gefallen. Wie das seine Glaubwürdigkeit beeinflusst, weiß ich nicht.) In Wahrheit wurden diese Erzählungen von Tanks, Feldkanonen und so weiter nur erfunden, weil es sonst schwierig gewesen wäre, das Ausmaß der Kämpfe in Barcelona mit der geringen Anzahl der P.O.U.M.-Leute in Einklang zu bringen. Man musste behaupten, die P.O.U.M. sei alleine für die Kämpfe verantwortlich. Außerdem musste man behaupten, sie sei eine unbedeutende Partei mit wenig Anhängern und nur »einigen tausend Mitgliedern«, wie es im Inprecor stand. Die einzige Möglichkeit, beide Erklärungen glaubwürdig erscheinen zu lassen, bestand in der Behauptung, die P.O.U.M. hätte über alle Waffen einer modernen Armee verfügt.
Wenn man die Berichte in der kommunistischen Presse durchliest, ist es unmöglich, an der Tatsache vorbeizugehen, dass sie absichtlich für ein Publikum geschrieben wurden, das die Tatsachen nicht kannte. Diese Berichte hatten also keinen anderen Zweck, als Vorurteile zu erwecken. So erklären sich zum Beispiel Behauptungen wie die von Mr. Pitcairn im Daily Worker vom 11. Mai, dass der »Aufstand« von der Volksarmee unterdrückt wurde. Hiermit wurde die Absicht verfolgt, den Außenstehenden den Eindruck zu vermitteln, ganz Katalonien stehe geschlossen gegen die »Trotzkisten«. Aber während der ganzen Kämpfe blieb die Volksarmee neutral. Jeder in Barcelona wusste das, und es ist schwer zu glauben, dass Mr. Pitcairn es nicht auch wusste. Oder beispielsweise die Gaukelei mit Toten und Verwundeten in der kommunistischen Presse, die nur unternommen wurde, um das Ausmaß der Unruhen zu übertreiben. Diaz, der Generalsekretär der spanischen kommunistischen Partei, der in der kommunistischen Presse ausführlich zitiert wurde, nannte Zahlen von 900 Toten und 2 500 Verwundeten. Der katalonische Propagandaminister, der sie kaum zu niedrig schätzen würde, nannte Zahlen von 400 Toten und 1000 Verwundeten. Die kommunistische Partei verdoppelte das Angebot und fügte auf gut Glück noch einige hundert hinzu.
Im allgemeinen machten die ausländischen kapitalistischen Zeitungen die Anarchisten für die Kämpfe verantwortlich, aber es gab auch einige, die der kommunistischen Version folgten. Eine davon war die englische News Chronicle, deren Korrespondent Mr. John Langdon-Davies zu jener Zeit in Barcelona war. Ich zitiere hier Abschnitte seines Artikels »Eine trotzkistische Revolte«:
... Das war kein anarchistischer Aufruhr. Es handelt sich um den vereitelten Putsch der >trotzkistischen< P.O.U.M., die mit den von ihr kontrollierten Organisationen der >Freunde Durrutis< und der Freien Jugend arbeitete... Die Tragödie begann am Montag nachmittag, als die Regierung bewaffnete Polizei in das Telefongebäude schickte, um die dortigen Arbeiter zu entwaffnen, von denen die meisten Anhänger der C.N.T. waren. Schon seit einiger Zeit hatten schwere Unregelmäßigkeiten im Dienst zu einem Skandal geführt. Draußen auf der Plaza de Cataluna versammelte sich eine große Menge, während die Anhänger der C.N.T. Widerstand leisteten und sich von Stockwerk zu Stockwerk bis zum Dach des Gebäudes zurückzogen... Der Zwischenfall war sehr undurchsichtig, aber es hieß, die Regierung sei hinter den Anarchisten her. Die Straßen waren voller bewaffneter Männer... Bei Anbruch der Nacht war jedes Zentrum der Arbeiter und jedes Regierungsgebäude verbarrikadiert. Gegen zehn Uhr wurden die ersten Gewehrsalven gefeuert und klingelten die ersten Ambulanzen durch die Straßen. Bei Tagesanbruch wurde in ganz Barcelona geschossen... Während sich der Tag hinzog und die Zahl der Toten auf über hundert anschwoll, konnte man ahnen, was sich ereignete. Theoretisch waren die anarchistische C.N.T. und die sozialistische U.G.T. nicht »auf die Straße gegangen«. Solange sie hinter den Barrikaden blieben, warteten sie nur aufmerksam, das aber schloss das Recht ein, auf jeden zu schießen, der sich bewaffnet auf offener Straße zeigte... (die) allgemeinen Zusammenstöße wurden durch pacos noch schlimmer gemacht — dabei handelte es sich um einzelne Männer, gewöhnlich Faschisten, die sich auf den Dächern versteckten und einfach in die Gegend schossen und so die allgemeine Panik steigerten... Am Mittwoch abend aber wurde es klar, wer hinter der Revolte stand. Alle Wände waren mit aufrührerischen Plakaten beklebt worden, die die sofortige Revolution und die Erschießung aller republikanischen und sozialistischen Anführer forderten. Sie waren unterzeichnet von den >Freunden Durrutis<. Am Donnerstag morgen leugnete die anarchistische Tageszeitung jegliche Kenntnis oder Sympathie mit diesem Plakat, aber La Batalla, die Zeitung der P.O.U.M., druckte das Dokument, begleitet von höchstem Lob, ab. Als erste Stadt in Spanien wurde Barcelona durch agents provocateurs in ein Blutbad gestürzt, indem sie sich dieser umstürzlerischen Organisation bedienten.
Das stimmt nicht ganz mit den kommunistischen Ansichten überein, die ich vorher hier zitiert habe, aber man wird sehen, dass dieser Bericht in sich selbst Widersprüche enthält. Zunächst wird die Auseinandersetzung als >eine trotzkistische Revolte< beschrieben. Dann wird sie als Folge des Angriffes auf das Telefongebäude hingestellt, und gleichzeitig wird behauptet, man habe allgemein geglaubt, die Regierung habe es auf die Anarchisten abgesehen. Die Stadt ist verbarrikadiert, und sowohl die C.N.T. wie auch die U.G.T. stehen hinter den Barrikaden. Zwei Tage später erscheint das aufrührerische Plakat (in Wirklichkeit ein Flugblatt), und damit wird stillschweigend der eigentliche Grund der ganzen Geschichte erklärt - also Wirkung vor Ursache. Hier findet sich noch eine andere falsche Erklärung. Mr. Langdon-Davies beschreibt die >Freunde Durrutis< und die Freie Jugend als von der P.O.U.M. >kontrollierte Organisationen<. Beide waren anarchistische Organisationen und hatten keine Verbindung mit der P.O.U.M. Die Freie Jugend war die Jugendliga der Anarchisten und entsprach der J.S.U. in der P.S.U.C. und so weiter. Die >Freunde Durrutis< waren eine kleine Organisation in der F.A.I. und erbitterte Gegner der P.O.U.M. Soweit ich beurteilen kann, gab es niemanden, der in beiden gleichzeitig Mitglied war. Es wäre genauso richtig zu sagen, dass die Sozialistische Liga eine von der englischen liberalen Partei >kontrollierte Organisation< sei. Wusste Mr. Langdon-Davis das nicht? Wenn ja, sollte er mit größerer Vorsicht über dieses sehr komplexe Thema geschrieben haben.
Ich möchte den guten Glauben des Mr. Langdon-Davies nicht in Abrede stellen, aber er gab selbst zu, dass er, sobald die Kämpfe vorbei waren, Barcelona verließ, also in dem Augenblick, da er ernsthafte Nachforschungen hätte anstellen können. In seinem ganzen Bericht finden sich deutliche Zeichen dafür, dass er die offizielle Version von der >trotzkistischen Revolte< ohne ausreichende Beweise übernommen hat. Das wird sogar in dem von mir zitierten Auszug deutlich. Die Barrikaden werden »bei Anbruch der Nacht« gebaut, und die ersten Gewehrsalven werden »gegen zehn Uhr gefeuert«. Das sind nicht die Worte eines Augenzeugen. Hiernach würde man annehmen, dass es üblich ist zu warten, bis der Feind eine Barrikade baut, ehe man beginnt, auf ihn zu schießen. Er erweckt den Eindruck, dass zwischen dem Bau der Barrikaden und den ersten Gewehrsalven einige Stunden vergingen, während es natürlich umgekehrt war. Ich und viele andere sahen, wie die ersten Gewehrsalven am frühen Nachmittag gefeuert wurden. Wieder einmal ist die Rede von einzelnen Männern, »gewöhnlich Faschisten«, die von den Dächern schießen. Mr. Langdon-Davies erklärt nicht, woher er wusste, dass diese Männer Faschisten waren. Vermutlich kletterte er nicht auf die Dächer, um sie zu fragen. Er wiederholte einfach, was man ihm erzählt hatte, und da es mit der offiziellen Version übereinstimmte, stellte er es nicht in Frage. Ja, er deutete sogar eine wahrscheinliche Quelle seiner Informationen an, wenn er zu Beginn seines Artikels einen unvorsichtigen Hinweis auf den Propagandaminister macht. Die ausländischen Journalisten in Spanien waren dem Propagandaministerium hoffnungslos ausgeliefert, obwohl man glauben sollte, dass allein der Name dieses Ministeriums eine ausreichende Warnung gewesen wäre. Der Propagandaminister gab natürlich mit der gleichen Wahrscheinlichkeit eine objektive Darstellung der Unruhen in Barcelona, wie, sagen wir, der verstorbene Lord Carsen eine objektive Darstellung des Aufstandes von 1916 in Dublin gegeben haben würde.
Ich habe einige Gründe dafür angeführt, warum ich glaube, dass die kommunistische Version der Kämpfe in Barcelona nicht ernst genommen werden kann. Außerdem muss ich etwas gegen den allgemeinen Vorwurf sagen, dass die P.O.U.M. eine von Franco und Hitler bezahlte geheime faschistische Organisation gewesen sei.
Dieser Vorwurf wurde in der kommunistischen Presse dauernd wiederholt, besonders nach dem Beginn des Jahres 1937. Es war ein Teil der weltweiten Kampagne der kommunistischen Partei gegen den >Trotzkismus<, für dessen spanische Vertretung die P.O.U.M. gehalten wurde. Nach Frente Ro'jo (dem kommunistischen Blatt in Valencia) »ist Trotzkismus nicht eine politische Doktrin. Trotzkismus ist eine offizielle kapitalistische Organisation; eine faschistische Terrorbande, die sich nur mit Verbrechen und Sabotage gegen das Volk beschäftigt«. Die P.O.U.M. war also eine mit den Faschisten verbündete, >trotzkistische< Organisation und ein Teil der >Fünften Kolonne Francos<. Es ist bemerkenswert, dass von Anfang an kein Beweis zur Unterstützung dieser Anklage vorgebracht wurde. Man verbreitete den Vorwurf einfach mit dem Brustton voller Überzeugung, gleichzeitig wurde der Angriff mit einem Höchstmaß an persönlicher Verleumdung vorgetragen und in vollständiger Verantwortungslosigkeit gegenüber den Auswirkungen, die sie auf den Verlauf des Krieges haben könnten. Viele kommunistische Publizisten haben anscheinend den Verrat militärischer Geheimnisse im Vergleich zu der Aufgabe der Verleumdung der P.O.U.M. für unbedeutend gehalten. So erlaubte man zum Beispiel einer Journalistin (Winifred Bates), in einer Februar-Nummer des Daily Worker zu erklären, die P.O.U.M. habe an ihrem Frontabschnitt nur die Hälfte der Truppen, die sie angeblich dort eingesetzt habe. Das war nicht richtig, aber vermutlich glaubte die Journalistin, es sei wahr. So willigten sie und der Daily Worker also ein, dem Feind eine der wichtigsten Informationen zu liefern, die man ihm in den Zeilen einer Zeitung geben kann. In der New Republic schrieb Mr. Ralph Bates, die Truppen der P.O.U.M. »spielten mit den Faschisten im Niemandsland Fußball«. In Wirklichkeit aber erlitten die P.O.U.M.-Truppen zu dieser Zeit schwere Verluste, und eine Anzahl meiner persönlichen Freunde wurde getötet oder verwundet. Nun tauchte auch die verleumderische Karikatur auf, die zuerst in Madrid und später in Barcelona überall herumgereicht wurde. Sie zeigte die P.O.U.M., die eine mit Hammer und Sichel gezeichnete Maske fallenließ und darunter ein Gesicht mit dem Hakenkreuz zeigte. Hätte die Regierung nicht praktisch unter kommunistischer Kontrolle gestanden, würde sie niemals erlaubt haben, etwas Derartiges während des Krieges zu verbreiten. Es war ein vorsätzlicher Schlag nicht nur gegen die Moral der P.O.U.M.-Miliz, sondern gegen jeden anderen, der in ihrer Nähe lag. Denn es ist nicht gerade ermutigend, wenn man an der Front hört, dass die benachbarten Truppeneinheiten Verräter sind. Ich bezweifle allerdings, dass die Beschimpfungen aus dem Hinterland die Miliz der P.O.U.M. spürbar demoralisierten, aber sie waren sicherlich darauf angelegt. Jedenfalls müssen die Verantwortlichen politische Boshaftigkeit höher gewertet haben als antifaschistische Einheit.
Die Anschuldigungen gegen die P.O.U.M. liefen auf folgendes hinaus: Eine Partei von mehreren zehntausend Menschen, die sich nahezu vollständig aus Arbeitern zusammensetzte, außerdem ihre zahlreichen ausländischen Helfer und Freunde, hauptsächlich Flüchtlinge aus faschistischen Ländern, dazu noch Tausende von Milizsoldaten, sollten einfach ein riesiger, von den Faschisten bezahlter Spionagering sein. Das widersprach jedem gesunden Menschenverstand, und allein die Vorgeschichte der P.O.U.M. genügt, diesen Vorwurf unglaubwürdig zu machen. Sämtliche Anführer der P.O.U.M. konnten auf eine revolutionäre Vergangenheit zurückblicken. Einige von ihnen waren an der Revolte von 1934 beteiligt, und die meisten waren unter der Regierung Lerroux oder der Monarchie wegen sozialistischer Tätigkeit eingekerkert worden. 1936 gehörte der damalige Parteichef Joaquin Maurin zu den Abgeordneten, die im Cortes vor Francos drohender Revolte warnten. Einige Zeit nach Kriegsausbruch wurde er von den Faschisten gefangen genommen, als er versuchte, Widerstand hinter Francos Linien zu organisieren. Als die Revolte ausbrach, spielte die P.O.U.M. unter den Widerstand leistenden Kräften eine wesentliche Rolle, besonders in Madrid wurden viele ihrer Anhänger in den Straßenkämpfen getötet. Sie war eine der ersten Parteien, die Milizeinheiten in Katalonien und Madrid aufstellten. Es scheint nahezu unmöglich, diese Ereignisse als Handlungen einer von den Faschisten bezahlten Partei zu erklären. Eine von den Faschisten bezahlte Partei würde sich einfach der anderen Seite angeschlossen haben.
Auch während des Krieges gab es kein Anzeichen für eine profaschistische Tätigkeit. Man könnte einwenden - obwohl ich letztlich nicht zustimme -, die P.O.U.M. habe durch ihre Forderung einer revolutionären Politik die Kräfte der Regierung aufgespalten und damit den Faschisten geholfen. Ich gebe zu, dass jede Regierung mit reformistischen Ansichten gerechtfertigt ist, eine Partei wie die P.O.U.M. als ein Ärgernis zu betrachten. Das ist aber etwas völlig anderes als direkter Verrat. Es gibt beispielsweise keine Erklärung dafür, warum die Miliz loyal blieb, wenn die P.O.U.M. in Wirklichkeit eine faschistische Partei gewesen wäre. Hier handelte es sich um acht- oder zehntausend Soldaten, die unter den unerträglichen Bedingungen des Winters 1936/37 wichtige Abschnitte der Front hielten. Viele von ihnen lagen vier oder fünf Monate hintereinander im Schützengraben. Es ist schwer einzusehen, warum sie nicht einfach die Front verließen oder zum Feind überliefen. Sie waren jederzeit in der Lage dazu, und die Folgen hätten damals den Krieg entscheiden können. Sie setzten jedoch den Kampf fort. Kurz nach der Unterdrückung der P.O.U.M. als politischer Partei, das Ereignis war noch frisch in jedermanns Erinnerung, beteiligte sich die Miliz - die noch nicht auf die Volksarmee aufgeteilt worden war - an dem mörderischen Angriff östlich von Huesca, wo einige tausend Soldaten in ein oder zwei Tagen getötet wurden. Man hätte damals zumindest eine Verbrüderung mit dem Feind oder einen ständigen Strom von Fahnenflüchtigen erwarten können. Wie ich aber schon vorher sagte, war die Zahl der Fahnenflüchtigen sehr niedrig. Man hätte auch profaschistische Propaganda >Defätismus< und ähnliche Reaktionen erwarten können. Aber auch dafür gab es nicht das geringste Anzeichen. Sicher gab es einige faschistische Spione und agents provocateurs in der P.O.U.M., sie finden sich in allen linksgerichteten Parteien. Aber es gibt keinen Beweis dafür, dass in der P.O.U.M. mehr waren als anderswo. Es stimmt, dass in einigen kommunistischen Beschuldigungen etwas widerwillig behauptet wurde, nicht die einfachen Mitglieder, sondern nur die Anführer der P.O.U.M. würden von den Faschisten bezahlt. Dabei handelte es sich jedoch nur um den Versuch, einen Keil zwischen die einfachen Mitglieder und die Parteileitung zu treiben. Diese Art der Vorwürfe unterstellte aber in Wirklichkeit, dass alle einfachen Mitglieder, Milizsoldaten und so weiter in die Verschwörung verwickelt waren. Denn wenn Nin, Gorkin und die anderen wirklich von den Faschisten bezahlt wurden, musste es doch klar sein, dass ihre Anhänger, die mit ihnen zusammen waren, dies eher wussten als die Journalisten in London, Paris und New York. Nach der Unterdrückung der P.O.U.M. handelte die von den Kommunisten kontrollierte Geheimpolizei jedenfalls unter der Annahme, dass alle gleich schuldig waren. Sie verhaftete jeden, der mit der P.O.U.M. etwas zu tun hatte und den sie erwischen konnte, darunter auch Verwundete, Lazarettschwestern und Frauen der P.O.U.M.-Mitglieder, in einigen Fällen sogar Kinder.
Am 15./16. Juni schließlich wurde die P.O.U.M. unterdrückt und zur illegalen Organisation erklärt. Es war eine der ersten Anordnungen der Regierung Negrin, die im Mai ihr Amt antrat. Nachdem das Parteikomitee der P.O.U.M. ins Gefängnis geworfen worden war, berichtete die kommunistische Presse über die angebliche Aufdeckung einer riesigen faschistischen Verschwörung. Eine Zeitlang hallte die kommunistische Presse der ganzen Welt von diesen Geschichten wider (der Daily Worker vom 21. Juni fasste die Berichte verschiedener spanischer kommunistischer Blätter zusammen):
Verschwörung der spanischen Trotzkisten mit Franco
Nach der Verhaftung einer großen Anzahl führender Trotzkisten in Barcelona und anderen Städten... wurden am Wochenende Einzelheiten des gespenstischsten Spionageunternehmens bekannt, von dem man je in Kriegszeiten gehört hat. Es ist bis heute die hässlichste Enthüllung eines Verrates der Trotzkisten... Die Dokumente im Besitz der Polizei und die vollen Geständnisse von mehr als zweihundert verhafteten Personen beweisen... und so weiter, und so weiter.
Diese Enthüllungen >beweisen<, dass die Anführer der P.O.U.M. General Franco durch Funk militärische Geheimnisse übermittelt hatten, mit Berlin in Verbindung standen und mit der geheimen faschistischen Organisation in Madrid zusammenarbeiteten. Ferner brachte man sensationelle Einzelheiten über geheime, mit unsichtbarer Tinte geschriebene Botschaften, geheimnisvolle Dokumente, die den Buchstaben N. als Unterschrift trugen (als Abkürzung für Nin) und so weiter, und so fort.
Das endgültige Ergebnis aber lautete: Sechs Monate nach den Ereignissen, während ich diesen Bericht schreibe, sind die meisten Anführer der P.O.U.M. zwar immer noch im Gefängnis, aber keiner ist bisher vor ein Gericht gestellt worden. Die Anschuldigungen über die Funkverbindung mit Franco und so weiter sind nicht einmal zu einer Anklageschrift formuliert worden. Wären sie wirklich der Spionage schuldig gewesen, hätte man sie innerhalb einer Woche verurteilt und erschossen, wie es mit vielen faschistischen Spionen vorher geschehen war. Aber nicht ein Fetzen Beweis wurde jemals vorgewiesen, außer den unbewiesenen Erklärungen in der kommunistischen Presse. Von den zweihundert »vollen Geständnissen« aber, die, wenn sie vorhanden gewesen wären, ausgereicht hätten, jeden zu überführen, hörte man nie wieder etwas. Sie waren in Wirklichkeit nur zweihundert Hirngespinste eines Schreiberlings.
Darüber hinaus haben die meisten Mitglieder der spanischen Regierung erklärt, sie glaubten den Anschuldigungen gegen die P.O.U.M. nicht. Kürzlich hat das Kabinett mit fünf gegen zwei Stimmen entschieden, die antifaschistischen politischen Gefangenen zu entlassen, die zwei Gegenstimmen kamen von den kommunistischen Kabinettsmitgliedern. Im August reiste eine internationale Kommission unter Führung des Unterhausabgeordneten James Maxton nach Spanien, um die Anschuldigungen gegen die P.O.U.M. und das Verschwinden von Andres Nin zu untersuchen. Prieto, der Minister für Nationale Verteidigung, Irujo, der Justizminister, Zugazagoitia, der Innenminister, Ortega y Gasset, der Generalanwalt, Prat Garcia und einige andere erklärten alle, sie glaubten nicht, dass die Anführer der P.O.U.M. der Spionage schuldig seien. Irujo fügte hinzu, er habe die Dossiers des Falles gelesen, und keins der so genannten Beweisstücke könne einer Untersuchung standhalten. Das Dokument, das angeblich von Nin unterzeichnet wurde, sei »wertlos«, das heißt eine Fälschung. Prieto glaubte zwar, dass die Anführer der P.O.U.M. für die Maikämpfe in Barcelona verantwortlich waren, lehnte aber die Unterstellung ab, sie seien faschistische Spione. »Es ist besonders schwerwiegend«, fügte er hinzu, »dass die Verhaftung der P.O.U.M.-Führer nicht von der Regierung beschlossen wurde, sondern die Polizei diese Verhaftungen aus eigener Machtvollkommenheit durchführte. Die Verantwortlichen sind nicht unter den obersten Polizeichefs zu finden, sondern unter ihrem Gefolge, das von den Kommunisten entsprechend ihren üblichen Gepflogenheiten infiltriert wurde.« Er führte noch andere Fälle illegaler Verhaftung durch die Polizei an. Irujo erklärte ebenfalls, die Polizei sei »quasi unabhängig« geworden und stünde in Wirklichkeit unter der Kontrolle ausländischer kommunistischer Elemente. Prieto deutete der Delegation offen an, dass die Regierung es sich nicht leisten könne, die kommunistische Partei zu beleidigen, solange die Russen Waffen lieferten. Als eine andere Delegation unter der Führung des Unterhausabgeordneten John McGovern im Dezember nach Spanien reiste, erhielt sie ziemlich die gleiche Antwort wie zuvor. Ja, der Innenminister Zugazagoitia wiederholte Prietos Andeutungen noch klarer. »Wir erhielten Hilfe von Russland und mussten bestimmte Maßnahmen zulassen, die uns nicht gefielen.« Es mag interessant sein, zur Illustration für die Unabhängigkeit der Polizei zu erfahren, dass selbst McGovern und seine Begleiter mit einem vom Direktor der Gefängnisse und vom Justizminister unterschriebenen Befehl keinen Zutritt zu den von der kommunistischen Partei in Barcelona unterhaltenen geheimen Gefängnissen< erhielten (Anm.: Für Berichte über die zwei Delegationen vergleiche: Le Populaire (7. September), La Fleche (18. September), Bericht über die Maxton-Delegation, veröffentlicht durch Independent News (219, Rue St-Denis, Paris) und das Heft von McGovern, Terror in Spanien.).
Ich glaube, das genügt, um die Sprache zu klären. Die Anschuldigung, die P.O.U.M. habe Spionage getrieben, beruhte allein auf den Artikeln der kommunistischen Presse und der Tätigkeit der von den Kommunisten kontrollierten Geheimpolizei. Die Anführer der P.O.U.M. und Hunderte oder Tausende ihrer Anhänger sind immer noch im Gefängnis, während die kommunistische Presse seit sechs Monaten nicht aufhört, die Hinrichtung der »Verräter« zu fordern. Aber Negrin und die anderen haben sich nicht einschüchtern lassen und weigerten sich, ein generelles Massaker der Trotzkisten< durchzuführen. Man muss es ihnen hoch anrechnen, dass sie das nicht getan haben, wenn man den Druck berücksichtigt, der auf sie ausgeübt worden ist. Angesichts dessen, was ich oben zitiert habe, fällt es sehr schwer zu glauben, dass die P.O.U.M. wirklich eine faschistische Spionageorganisation war. Es sei denn, man glaubt auch, dass Maxton, McGovern, Prieto, Iruja, Zugazagoitia und alle anderen von den Faschisten bezahlt werden.
Nun noch ein Wort zu der Anschuldigung, die P.O.U.M. sei >trotzkistisch<. Das ist ein Wort, mit dem man sehr freizügig um sich wirft und das in einer Art und Weise gebraucht wird, die äußerst irreführend ist und oft irreführen soll. Es lohnt sich, ein wenig Zeit auf die Definition zu verwenden. Das Wort Trotzkist wird gebraucht, um drei voneinander verschiedene Dinge zu bezeichnen:
1. jemand, der wie Trotzki, »Weltrevolution« statt »Sozialismus in einem einzelnen Land« befürwortet, oder etwas allgemeiner, ein revolutionärer Extremist;
2. ein Mitglied der Organisation, deren Anführer Trotzki ist;
3. ein verkappter Faschist, der sich als Revolutionär ausgibt und als Saboteur in der UdSSR wirkt, der überhaupt versucht, die Kräfte der Linken zu zersplittern und unterminieren.
Nach der Definition Nummer eins könnte man wahrscheinlich die P.O.U.M. trotzkistisch nennen, genauso aber auch die englische I.L.P., die deutsche S.A.P., die Linkssozialisten in Frankreich und so weiter. Aber die P.O.U.M. hatte keine Verbindung mit Trotzki oder der trotzkistischen Organisation (»Bolschewistische Leninisten«). Als der Krieg ausbrach, unterstützten die nach Spanien gekommenen ausländischen Trotzkisten (etwa fünfzehn oder zwanzig) zunächst die P.O.U.M., ohne Parteimitglieder zu werden. Die P.O.U.M. war einfach die Partei, die ihren eigenen Ansichten am nächsten stand. Später befahl Trotzki seinen Anhängern, die Politik der P.O.U.M. anzugreifen, und die Trotzkisten wurden aus den Parteiämtern entfernt, obwohl einige in der Miliz blieben. Nin, der nach Marins Gefangennahme durch die Faschisten die Führung der P.O.U.M. übernommen hatte, war früher einmal ein Sekretär Trotzkis gewesen. Aber er hatte ihn ein paar Jahre vorher verlassen und die P.O.U.M. durch die Verschmelzung verschiedener oppositioneller, kommunistischer Gruppen mit einer ehemaligen Partei, dem Arbeiter- und Bauern-Block, gebildet. Die ehemalige Verbindung Nins mit Trotzki wurde von der kommunistischen Presse benutzt, um zu zeigen, dass die P.O.U.M. wirklich trotzkistisch sei. In der gleichen Weise könnte man beweisen, dass die englische kommunistische Partei in Wirklichkeit eine faschistische Organisation ist, weil Mr. John Strachey früher Verbindung zu Sir Oswald Mosley hatte.
Nach der Definition Nummer zwei, der einzig exakten Definition des Wortes, war die P.O.U.M. bestimmt nicht trotzkistisch. Es ist wichtig, diese Unterscheidung zu machen, da die Mehrheit der Kommunisten es als selbstverständlich annimmt, dass ein Trotzkist der zweiten Definition auch immer ein Trotzkist entsprechend der dritten Definition ist; das heißt, die ganze trotzkistische Organisation ist einfach ein faschistischer Spionageapparat. Das Wort >Trotzkismus< wurde erst zur Zeit der russischen Spionageprozesse allgemein bekannt. Seit damals ist die Bezeichnung >Trotzkist< praktisch gleichbedeutend mit der Bezeichnung >Mörder<, >agent provocateur< und so weiter. Gleichzeitig steht jeder, der die kommunistische Politik nach einem linksgerichteten Gesichtspunkt kritisiert, in Gefahr, als Trotzkist verschrien zu werden. Wird damit also behauptet, dass jeder, der dem revolutionären Extremismus huldigt, von den Faschisten bezahlt wird?
In der Praxis legt man es jedenfalls je nach den Umständen aus. Als Maxton, wie ich oben erwähnte, mit seiner Delegation nach Spanien ging, brandmarkten Verdad, Frente Rojo und andere spanische kommunistische Zeitungen ihn sofort als einen »trotzkistischen Faschisten«, einen Spion der Gestapo und so weiter. Aber die englischen Kommunisten hüteten sich, diese Anschuldigung zu wiederholen. In der englischen kommunistischen Presse ist Maxton nur ein »reaktionärer Feind der Arbeiterklasse«, das ist gerade so unbestimmt, wie man es braucht. Der Grund hierfür liegt selbstverständlich in der einfachen Tatsache, dass mehrere harte Lektionen der englischen kommunistischen Presse eine gesunde Furcht vor dem Gesetz gegen Verleumdung eingeflößt haben. Daß die Anschuldigung in einem Lande, wo man sie vielleicht beweisen muss, nicht wiederholt wurde, ist ein ausreichender Beweis dafür, dass sie eine Lüge war.
Es mag den Anschein haben, als hätte ich die Anschuldigung gegen die P.O.U.M. ausführlicher als nötig erörtert. Im Vergleich zu dem ungeheuren Elend eines Bürgerkrieges mag dieser mörderische Parteienstreit mit seinen unvermeidlichen Ungerechtigkeiten und falschen Anschuldigungen trivial erscheinen. Das ist aber in Wirklichkeit nicht so. Ich bin der Ansicht, dass derartige Verleumdungen, Pressekampagnen und die Denkgewohnheiten, die sich in ihnen manifestieren, der antifaschistischen Sache einen äußerst tödlichen Schaden zufügen können.
Wer sich mit der Materie befasst hat, weiß, dass diese kommunistische Taktik der Bekämpfung politischer Gegner mit aufgebauschten Anschuldigungen nichts Neues ist. Heute heißt die Parole »trotzkistischer Faschist«, gestern lautete sie »sozialistischer Faschist«. Es ist erst sechs oder sieben Jahre her, dass in den russischen Staatsprozessen >bewiesen< wurde, dass die Anführer der Zweiten Internationale, einschließlich Leon Blums und prominenter Mitglieder der britischen Labour-Partei, eine riesige Verschwörung zur militärischen Invasion der UdSSR ausheckten. Aber heute sind die französischen Kommunisten glücklich, Blum als Führer anzuerkennen, und setzen die englischen Kommunisten Himmel und Hölle in Bewegung, in die Labour-Partei hineinzukommen. Ich bezweifle, ob sich das auszahlt, wahrscheinlich tut es das nicht einmal für die Auseinandersetzung mit einer Splittergruppe. Es gibt jedoch keinen Zweifel darüber, wie viel Hass und Zwiespalt die Anschuldigung >trotzkistischer Faschist verursacht. Überall werden die einfachen Kommunisten verführt, eine sinnlose Hexenjagd auf >Trotzkisten< zu veranstalten. Parteien wie die P.O.U.M. werden in die völlig unfruchtbare Position zurückgetrieben, als rein antikommunistische Parteien zu gelten. Schon zeigt sich der Anfang einer gefährlichen Spaltung in der Weltarbeiterbewegung. Noch ein paar Verleumdungen überzeugter Sozialisten, noch einige Intrigen, wie die Anschuldigungen gegen die P.O.U.M., und die Spaltung wird unüberbrückbar sein. Die einzige Hoffnung besteht darin, die politische Auseinandersetzung auf einer Ebene zu halten, auf der eine erschöpfende Diskussion möglich ist. Es besteht ein echter Gegensatz zwischen den Kommunisten und denjenigen, die links von ihnen stehen oder diese Position beanspruchen. Die Kommunisten behaupten, der Faschismus könne durch ein Bündnis mit Gruppen der kapitalistischen Klasse geschlagen werden (die Volksfront). Ihre Gegner behaupten, dieses Manöver schaffe nur neue Brutstätten für den Faschismus. Diese Frage muss gelöst werden. Wenn wir die falsche Entscheidung treffen, könnten wir für Jahrhunderte in halber Sklaverei enden. Solange aber kein anderes Argument vorgebracht wird als der Schrei >trotzkistischer Faschist<, kann die Diskussion nicht einmal anfangen. Für mich wäre es zum Beispiel unmöglich, mit einem kommunistischen Parteimitglied über Recht oder Unrecht der Kämpfe in Barcelona zu debattieren. Denn kein Kommunist — das heißt kein >guter< Kommunist - könnte zugeben, dass ich eine wahrhaftige Schilderung der Ereignisse gegeben habe. Würde er pflichtgemäß seiner Partei->Linie< folgen, müsste er erklären, ich lüge, oder bestenfalls, ich sei, hoffnungslos verführt worden. Er müsste sagen, dass jeder, der, viele tausend Kilometer vom wahren Geschehen entfernt, flüchtig die Schlagzeilen des Daily Worker liest, mehr über das Geschehen in Barcelona weiß als ich. Unter diesen Umständen gibt es keine Argumente, das notwendige Minimum für ein Einverständnis lässt sich nicht erzielen. Welchen Zweck hat es zu sagen, Leute wie Maxton würden von den Faschisten bezahlt; dadurch wird jede ernsthafte Diskussion unmöglich. Das ist genauso, als ob ein Spieler mitten in einem Schachwettkampf plötzlich laut schreiend behauptete, sein Gegner sei ein Brandstifter oder Bigamist. Der eigentliche Streitpunkt bleibt dabei unberührt, durch Verleumdung kann man nichts entscheiden.

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