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George Orwell - Mein Katalonien (1938)
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Erstes Kapitel

Einen Tag, ehe ich in die Miliz eintrat, sah ich in der Lenin-Kaserne in Barcelona einen italienischen Milizsoldaten, der vor dem Offizierstisch stand.
Er war ein zäher Bursche, fünf- oder sechsundzwanzig Jahre alt, mit rötlichgelbem Haar und kräftigen Schultern. Seine lederne Schirmmütze hatte er grimmig über ein Auge gezogen. Ich sah von der Seite, wie er, mit dem Kinn auf der Brust und einem verwirrten Stirnrunzeln, auf eine Karte starrte, die einer der Offiziere offen auf dem Tisch liegen hatte. Etwas in diesem Gesicht rührte mich tief. Es war das Gesicht eines Mannes, der einen Mord begehen oder sein Leben für einen Freund wegwerfen würde. Es war ein Gesicht, das man bei einem Anarchisten erwartete, obwohl er sehr wahrscheinlich ein Kommunist war. Offenherzigkeit und Wildheit lagen darin und gleichzeitig auch die rührende Ehrfurcht, die des Schreibens und Lesens unkundige Menschen ihren vermeintlichen Vorgesetzten entgegenbringen. Es war klar, dass er aus der Karte nicht klug werden konnte, sicherlich hielt er Kartenlesen für ein erstaunliches intellektuelles Kunststück. Ich weiß kaum, warum, aber ich habe selten jemand gesehen - ich meine einen Mann —, für den ich eine solch unmittelbare Zuneigung empfand. Während man sich am Tisch unterhielt, verriet eine Bemerkung, dass ich ein Ausländer war. Der Italiener hob seinen Kopf und sagte schnell: »Italiano?«
Ich antwortete in meinem schlechten Spanisch: »No, ingles; y tu?«
»Italiano.«
Als wir hinausgingen, schritt er quer durch das Zimmer und packte meine Hand mit hartem Griff. Seltsam, welche Zuneigung man für einen Fremden fühlen kann! Es war so, als ob es seiner und meiner Seele für einen Augenblick gelungen sei, den Abgrund der Sprache und Tradition zu überbrücken und sich in völliger Vertrautheit zu treffen. Ich hoffte, dass er mich genauso gut leiden möge wie ich ihn. Ich wusste aber auch, dass ich ihn nie wieder sehen durfte, um an meinem ersten Eindruck von ihm festzuhalten. Es ist kaum nötig zu erwähnen, dass ich ihn wirklich nie wieder sah. In Spanien hatte man dauernd derartige Begegnungen.
Ich erwähne diesen italienischen Milizsoldaten, da er in meiner Erinnerung lebendig geblieben ist. In seiner schäbigen Uniform und mit seinem grimmigen, rührenden Gesicht ist er für mich ein typisches Bild der besonderen Atmosphäre jener Zeit. Er ist mit all meinen Erinnerungen an diesen Abschnitt des Krieges verknüpft: den roten Fahnen in Barcelona; den schlechten Zügen, die mit armselig ausgerüsteten Soldaten an die Front krochen; den grauen, vom Krieg angeschlagenen Städten hinter der Frontlinie und den schlammigen, eiskalten Schützengräben in den Bergen.
Das war Ende Dezember 1936. Kaum sieben Monate sind bis heute, während ich darüber schreibe, vergangen, und doch ist es ein Abschnitt, der schon in eine gewaltige Entfernung zurückgewichen ist. Spätere Ereignisse haben diese Zeit viel nachhaltiger verwischt als etwa meine Erinnerungen an 1935 oder sagen wir 1905. Ich war nach Spanien gekommen, um Zeitungsartikel zu schreiben. Aber ich war fast sofort in die Miliz eingetreten, denn bei der damaligen Lage schien es das einzig Denkbare zu sein, was man tun konnte. Die Anarchisten besaßen im Grunde genommen noch immer die Kontrolle über Katalonien, und die Revolution war weiter in vollem Gange. Wer von Anfang an dort gewesen war, mochte vielleicht schon im Dezember oder Januar annehmen, dass sich die Revolutionsperiode ihrem Ende näherte. Wenn man aber gerade aus England kam, hatte der Anblick von Barcelona etwas Überraschen-
des und Überwältigendes. Zum ersten Mal war ich in einer Stadt, in der die arbeitende Klasse im Sattel saß. Die Arbeiter hatten sich praktisch jedes größeren Gebäudes bemächtigt und es mit roten Fahnen oder der rot und schwarzen Fahne der Anarchisten behängt. Auf jede Wand hatte man Hammer und Sichel oder die Anfangsbuchstaben der Revolutionsparteien gekritzelt. Fast jede Kirche hatte man ausgeräumt und ihre Bilder verbrannt. Hier und dort zerstörten Arbeitstrupps systematisch die Kirchen. Jeder Laden und jedes Cafe trugen eine Inschrift, dass sie kollektiviert worden seien. Man hatte sogar die Schuhputzer kollektiviert und ihre Kästen rot und schwarz gestrichen. Kellner und Ladenaufseher schauten jedem aufrecht ins Gesicht und behandelten ihn als ebenbürtig. Unterwürfige, ja auch förmliche Redewendungen waren vorübergehend verschwunden. Niemand sagte »Senor« oder »Don« oder sogar »Usted«. Man sprach einander mit »Kamerad« und »du« an und sagte »Salud!« statt »Buenos dias«. Trinkgelder waren schon seit Primo de Riveras Zeiten verboten. Eins meiner allerersten Erlebnisse war eine Strafpredigt, die mir ein Hotelmanager hielt, als ich versuchte, dem Liftboy ein Trinkgeld zu geben. Private Autos gab es nicht mehr, sie waren alle requiriert worden. Sämtliche Straßenbahnen, Taxis und die meisten anderen Transportmittel hatte man rot und schwarz angestrichen. Überall leuchteten revolutionäre Plakate in hellem Rot und Blau von den Wänden, so dass die vereinzelt übrig gebliebenen Reklamen daneben wie Lehmkleckse aussahen. Auf der Rambla, der breiten Hauptstraße der Stadt, in der große Menschenmengen ständig auf und ab strömten, röhrten tagsüber und bis spät in die Nacht Lautsprecher revolutionäre Lieder. Das Seltsamste von allem aber war das Aussehen der Menge. Nach dem äußeren Bild zu urteilen, hatten die wohlhabenden Klassen in dieser Stadt praktisch aufgehört zu existieren. Außer wenigen Frauen und Ausländern gab es überhaupt keine »gutangezogenen« Leute. Praktisch trug jeder grobe Arbeiterkleidung, blaue Overalls oder irgendein der Milizuniform ähnliches Kleidungsstück. All das war seltsam und rührend. Es gab vieles, was ich nicht verstand. In gewisser Hinsicht gefiel es mir sogar nicht. Aber ich erkannte sofort die Situation, für die zu kämpfen sich lohnte. Außerdem glaubte ich, dass wirklich alles so sei, wie es aussah, dass dies tatsächlich ein Arbeiterstaat wäre und dass die ganze Bourgeoisie entweder geflohen, getötet worden oder freiwillig auf die Seite der Arbeiter übergetreten sei.
Ich erkannte nicht, dass sich viele wohlhabende Bürger einfach still verhielten und vorübergehend als Proletarier verkleideten.
Gleichzeitig mit diesen Eindrücken spürte man etwas vom üblen Einfluss des Krieges. Die Stadt machte einen schlechten, ungepflegten Eindruck, die Boulevards und Gebäude waren in einem dürftigen Zustand, bei Nacht waren die Straßen aus Furcht vor Luftangriffen nur schwach beleuchtet, die Läden waren meist armselig und halb leer. Fleisch war rar und Milch praktisch nicht zu erhalten, es gab kaum Kohle, Zucker oder Benzin, und Brot war wirklich sehr knapp. Schon zu dieser Zeit waren die Schlangen der Leute, die sich nach Brot anstellten, oft mehrere hundert Meter lang. Doch soweit man es beurteilen konnte, waren die Leute zufrieden und hoffnungsvoll. Es gab keine Arbeitslosigkeit, und die Lebenskosten waren immer noch äußerst niedrig. Auffallend mittellose Leute sah man nur selten und Bettler außer den Zigeunern nie. Vor allen Dingen aber glaubte man an die Revolution und die Zukunft. Man hatte das Gefühl, plötzlich in einer Ära der Gleichheit und Freiheit aufgetaucht zu sein. Menschliche Wesen versuchten, sich wie menschliche Wesen zu benehmen und nicht wie ein Rädchen in der kapitalistischen Maschine. In den Friseurläden hingen Anschläge der Anarchisten (die Friseure waren meistens Anarchisten), in denen ernsthaft erklärt wurde, die
Friseure seien nun keine Sklaven mehr. Farbige Plakate in den Straßen forderten die Prostituierten auf, sich von der Prostitution abzuwenden. Die Art, in der die idealistischen Spanier die abgedroschenen Phrasen der Revolution wörtlich nahmen, hatte für jeden Angehörigen der abgebrühten, höhnischen Welt der englisch sprechenden Völker etwas Rührendes. Man verkaufte damals in den Straßen für wenige Centimos recht naive revolutionäre Balladen über die proletarische Brüderschaft oder die Bosheit Mussolinis. Ich habe öfters gesehen, wie ein des Lesens fast unkundiger Milizsoldat eine dieser Balladen kaufte, mit viel Mühe die Worte buchstabierte und sie dann, wenn er dahinter gekommen war, zu der passenden Melodie sang.
Während der ganzen Zeit war ich in der Lenin-Kaserne, angeblich, um für die Front ausgebildet zu werden. Als ich in die Miliz eintrat, hatte man mir gesagt, dass ich am nächsten Tag zur Front geschickt werden solle. Aber in Wirklichkeit musste ich warten, bis eine neue centuria zusammengestellt wurde. Die Arbeitermiliz, in aller Eile zu Beginn des Krieges von den Gewerkschaften aufgestellt, hatte man bis jetzt noch nicht nach dem Vorbild der regulären Armee organisiert. Kommandoeinheiten waren der >Zug< (seccion) mit etwa dreißig Mann, die centuria mit etwa hundert Mann und die >Kolonne< (columna), praktisch nichts anderes als eine große Zahl Soldaten. Die Lenin-Kaserne bestand aus mehreren großartigen Steinbauten, einer Reitschule und weitläufigen, gepflasterten Höfen. Sie war früher als Kavalleriekaserne benutzt worden, die man während der Kämpfe im Juli erobert hatte. Meine centuria schlief in einem der Ställe unter den Steinkrippen, auf denen noch die Namen der Kavalleristen standen, die die Pferde zu versorgen hatten. Die Pferde hatte man erbeutet und an die Front geschickt, aber die Ställe stanken noch immer nach Pferdepisse und verfaultem Hafer. Ich blieb ungefähr eine Woche in der Kaserne. Ich erinnere mich hauptsächlich an den Pferdegeruch, die ungeschickten Trompetensignale (unsere Trompeter waren alle Amateure — ich hörte zum ersten Male die richtigen spanischen Trompetensignale, als ich vor der faschistischen Linie auf sie lauschte), das Trapp-trapp der mit Nägeln beschlagenen Stiefelsohlen auf dem Kasernenhof, die langen Morgenparaden im winterlichen Sonnenschein und die wilden Fußballspiele auf dem Kies der Reitschule mit fünfzig Mann auf jeder Seite. In der Kaserne lagen vielleicht tausend Mann und etwa zwanzig Frauen, außerdem die Frauen der Milizsoldaten, die das Essen kochten. Einige Frauen dienten immer noch in der Miliz, aber nicht mehr viele. In den ersten Schlachten hatten sie ganz selbstverständlich Seite an Seite mit den Männern gekämpft. Während einer Revolution scheint das eine natürliche Sache zu sein. Jetzt aber änderten sich die Ansichten schon. Die Milizsoldaten mussten aus der Reitschule gehalten werden, während die Frauen dort exerzierten, denn sie lachten über die Frauen und brachten sie aus dem Konzept. Ein paar Monate vorher hätte niemand etwas Komisches dabei gefunden, dass eine Frau mit einem Gewehr umging-
Die ganze Kaserne befand sich in einem schmutzigen, chaotischen Zustand, in den die Miliz jedes Gebäude versetzte, das sie bewohnte. Das war wohl eines der Nebenprodukte der Revolution. In jeder Ecke fand man haufenweise zerschlagene Möbel, zerrissene Sättel, Kavalleriehelme aus Messing, leere Säbelscheiden und verfaulende Verpflegung. Lebensmittel wurden fürchterlich vergeudet, besonders das Brot. Nach jeder Mahlzeit wurde allein aus meiner Stube ein Korb voll Brot weggeworfen, eine schimpfliche Sache, wenn gleichzeitig die Zivilbevölkerung danach darbte. Wir aßen aus ständig schmierigen kleinen Blechpfannen und saßen an langen Tischplatten, die man auf Böcke gelegt hatte. Wir tranken aus einem scheußlichen Gefäß, das man porron nannte. Ein porron ist eine Glasflasche mit einer spitzen Tülle, aus der ein dünner Strahl Wein spritzt, wenn man die Flasche kippt. So kann man aus einiger Entfernung trinken, ohne die Flasche mit den Lippen zu berühren, und sie kann von Hand zu Hand weitergereicht werden. Sobald ich einen porron in Gebrauch sah, streikte ich und verlangte einen Trinkbecher. In meinen Augen ähnelten diese Trinkflaschen allzu sehr Bettflaschen, besonders, wenn sie mit Weißwein gefüllt waren.
Nach und nach wurden Uniformen an die Rekruten ausgegeben, und da wir in Spanien waren, wurde alles einzeln verteilt, so dass niemand genau wusste, wer was erhalten hatte. Manches, was wir am nötigsten gebrauchten, wie etwa Koppel und Patronentaschen, wurde erst im letzten Augenblick ausgegeben, als der Zug, der uns an die Front bringen sollte, schon wartete. Ich habe von einer »Uniform« der Miliz gesprochen, das erweckt wahrscheinlich einen falschen Eindruck. Es war eigentlich keine Uniform, und vielleicht wäre >Multiform< der richtige Name dafür. Die Einkleidung jedes einzelnen erfolgte zwar nach demselben allgemeinen Plan, aber man erhielt nicht in zwei Fällen das gleiche. Praktisch trug jeder in der Armee Kordkniehosen, aber damit hörte die Uniformität auf. Einige trugen Wickelgamaschen, andere Kordgamaschen, wieder andere lederne Gamaschen oder hohe Stiefel. Jeder trug eine Jacke mit Reißverschluss, aber einige der Jacken waren aus Leder, andere aus Wolle und in allen erdenklichen Farben. Die Form der Mützen war genauso unterschiedlich wie die Leute, die sie trugen. Normalerweise schmückte man die Mütze vorne mit einem Parteiabzeichen, außerdem band sich fast jeder ein rotes oder rot-schwarzes Taschentuch um den Hals. Eine Milizkolonne war damals ein außergewöhnlich bunter Haufen. Aber man musste die Kleidung eben dann verteilen, wenn sie von der einen oder anderen Fabrik überstürzt geliefert wurde. In Anbetracht der ganzen Umstände war es nicht einmal eine so schlechte Kleidung. Hem-
den und Socken allerdings waren aus miserabler Baumwolle, vollständig nutzlos bei Kälte. Ich wage nicht auszudenken, was die Milizsoldaten während der ersten Monate erduldet haben müssen, als noch nichts organisiert war. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal eine etwa zwei Monate alte Zeitung las, in der ein P.O.U.M-Führer (Anm.: Arbeiterpartei der marxistischen Einigung (Partido Obrero de Unificacion Marxista).) nach dem Besuch der Front schrieb, er wolle sich darum kümmern, dass »jeder Milizsoldat eine Decke bekommt«. Dieser Satz lässt einen schaudern, wenn man jemals in einem Schützengraben geschlafen hat.
Nachdem ich zwei Tage in der Kaserne war, begann man mit der >Instruktion<, wie man es komisch genug nannte. Anfangs gab es schreckliche Szenen des Durcheinanders. Die Rekruten waren hauptsächlich sechzehn- oder siebzehnjährige Jungen aus den Armutsvierteln Barcelonas, voll revolutionärer Begeisterung, aber vollständig ahnungslos in bezug auf die Anforderungen eines Krieges. Es war sogar unmöglich, sie in Reih und Glied aufzustellen. Disziplin existierte nicht: wenn ein Befehl einem Mann nicht gefiel, trat er aus dem Glied vor und argumentierte heftig mit dem Offizier. Der Leutnant, der uns ausbildete, war ein untersetzter, angenehmer junger Mann mit einem frischen Gesicht, der vorher als Offizier in der regulären Armee gedient hatte. Mit seiner feschen Haltung und in seiner blitzblanken Uniform sah er immer noch wie ein Armeeoffizier aus. Sonderbarerweise war er ein ernster und glühender Sozialist. Mehr noch als die Leute selbst bestand er auf vollständiger sozialer Gleichheit zwischen allen Rängen. Ich erinnere mich, wie er schmerzlich überrascht war, als ihn ein unwissender Rekrut mit »Senor« anredete. »Was! Senor! Wer ruft mich Senor? Sind wir nicht alle Kameraden?« Ich bezweifle, dass ihm diese Haltung seine Arbeit erleichterte. Unterdessen erhielten die ungeschliffenen Rekruten keinerlei militärische Ausbildung, die ihnen in irgendeiner Weise nützlich sein konnte. Man hatte mir gesagt, dass Ausländer an der Instruktion nicht teilnehmen müssten. Ich hatte bemerkt, dass die Spanier felsenfest daran glaubten, alle Ausländer wüssten mehr von militärischen Dingen als sie selbst. Aber natürlich ging ich mit den anderen zum Dienst. Ich wollte vor allem die Bedienung eines Maschinengewehrs lernen. Ich hatte noch nie Gelegenheit gehabt, damit umzugehen. Zu meiner Bestürzung erfuhr ich, dass man uns nichts über den Gebrauch dieser Waffe beibringen werde. Die so genannte Instruktion erschöpfte sich in einem völlig veralteten und geistlosen Exerzierdienst. Rechts um, links um, ganze Abteilung kehrt, Parademarsch in Dreierreihen und der ganze übrige nutzlose Unsinn, den ich schon gelernt hatte, als ich fünfzehn Jahre alt war. Das war wirklich eine unglaubliche Art, um eine Armee für den Kleinkrieg auszubilden. Wenn man nur einige Tage zur Verfügung hat, um einen Soldaten auszubilden, ist es eigentlich selbstverständlich, ihm das beizubringen, was er wirklich braucht: wie man in Deckung geht, wie man in offenem Gelände vorgeht, wie man auf Wache zieht und wie man eine Befestigung errichtet - vor allem aber, wie man seine Waffen gebraucht. Aber man zeigte diesem Haufen eifriger Kinder, die in wenigen Tagen an die Front geworfen werden sollten, nicht einmal, wie man ein Gewehr abfeuert oder den Sicherungsstift aus einer Handgranate herauszieht. Damals begriff ich noch nicht, dass dies nur geschah, weil man keine Waffen hatte. In der P.O.U.M.-Miliz war der Mangel an Gewehren so hoffnungslos, dass die frischen Truppen, wenn sie zur Front kamen, ihre Gewehre immer von den Truppen übernehmen mussten, die sie ablösten. Ich glaube, in der ganzen Lenin-Kaserne gab es nur die Gewehre, die von den Wachtposten benutzt wurden.
Obwohl wir für normale Begriffe ein noch vollständig undisziplinierter Haufen waren, glaubte man nach einigen Tagen, wir seien schon so weit, dass wir uns in der Öffentlichkeit sehen lassen könnten. So ließ man uns morgens in die öffentlichen Gärten auf dem Hügel jenseits der Plaza de Espana marschieren. Hier war der gemeinsame Übungsplatz aller Parteimilizen, außerdem der Carabineros und der ersten Einheiten der neu aufgestellten Volksarmee. In den öffentlichen Gärten bot sich ein merkwürdiges und ermutigendes Bild. Steif marschierten die Soldaten in Abteilungen und Kompanien zwischen den abgezirkelten Blumenbeeten die Wege und Alleen auf und ab. Sie warfen ihre Brust heraus und versuchten verzweifelt, wie Soldaten auszusehen. Alle waren ohne Waffen, und keiner hatte eine komplette Uniform, obwohl bei den meisten die Milizuniform wenigstens stückweise vorhanden war. Die Prozedur blieb sich meistens ziemlich gleich. Drei Stunden lang stolzierten wir auf und ab (der spanische Marschschritt ist sehr kurz und schnell), dann machten wir halt, verließen unsere Formation und strömten durstig zu einem Lebensmittelladen auf halbem Wege hügelabwärts. Dieser Laden machte ein blühendes Geschäft mit billigem Wein. Jeder war sehr freundlich zu mir. Als Engländer wurde ich wie eine Art Kuriosität betrachtet. Die Carabinero-Offiziere hielten viel von mir und luden mich zu manchem Glas Wein ein. Unterdessen ließ ich nicht locker, unseren Leutnant, sooft ich ihn erwischte, zu beschwören, mich im Gebrauch des Maschinengewehrs zu unterrichten. Ich zog mein Hugo-Wörterbuch aus der Tasche und fiel in meinem abscheulichen Spanisch über ihn her:
»Yo se manejar fusil. No se manejar ametralladora. Quiero aprender ametralladora. Cudndo vamos aprender
ametralladora?«
Die Antwort war stets ein gequältes Lächeln und das Versprechen, der Unterricht am Maschinengewehr werde manana beginnen. Selbstverständlich kam manana nie. So vergingen mehrere Tage, und die Rekruten lernten, beim Marschieren Schritt zu halten und fast elegant Haltung anzunehmen. Aber wenn sie wussten, aus welchem Ende des Gewehrs die Kugel kam, so war das schon ihr ganzes Wissen. Eines Tages gesellte sich ein bewaffneter Carabinero zu uns, als wir gerade Halt machten, und erlaubte uns, sein Gewehr zu untersuchen. Es stellte sich heraus, dass in meiner gesamten Abteilung niemand außer mir auch nur wusste, wie man ein Gewehr lädt, geschweige denn, wie man damit zielt.
Während der ganzen Zeit hatte ich die üblichen Mühen mit der spanischen Sprache. In der Kaserne gab es außer mir nur noch einen Engländer, und selbst unter den Offizieren sprach niemand ein Wort Französisch. Die Sache wurde für mich auch dadurch nicht leichter, dass meine Kameraden untereinander normalerweise katalanisch sprachen. Die einzige Art, mich überhaupt verständlich zu machen, bestand darin, überall ein kleines Lexikon mit mir herumzutragen, das ich in Krisenmomenten geschwind aus meiner Tasche hervorzauberte. Aber ich möchte dennoch eher ein Ausländer in Spanien sein als in den meisten anderen Ländern. Wie leicht ist es, in Spanien Freunde zu gewinnen! Schon nach ein oder zwei Tagen riefen mich viele Milizsoldaten bei meinem Vornamen, weihten mich in alle Tricks ein und überschütteten mich mit ihrer Gastfreundschaft. Ich schreibe kein Propagandabuch, und ich möchte auch nicht die P.O.U.M.-Miliz idealisieren. Das ganze Milizsystem hatte ernste Fehler, und die Leute selbst waren ein zusammengewürfelter Haufen, denn zu dieser Zeit ließ die freiwillige Rekrutierung nach, und viele der besten Männer waren schon an der Front oder tot. Ein bestimmter Prozentsatz unter uns war immer vollständig nutzlos. Fünfzehnjährige Jungen wurden von ihren Eltern ganz offen nur deshalb zum Eintritt in die Armee gebracht, um die zehn Peseten täglich zu verdienen, die ein Milizsoldat als Lohn erhielt; gleichzeitig aber auch wegen des Brotes, das die Milizangehörigen so reichlich bekamen und das sie nach Hause zu ihren Eltern schmuggeln konnten. Aber ich möchte den sehen, der nicht mit mir übereinstimmt, wenn er unter die spanische Arbeiterklasse gerät wie ich - ich sollte vielleicht sagen, unter die katalanische Arbeiterklasse, da ich außer mit einigen Aragoniern und Andalusiern nur mit Katalanen zusammenkam —, der dann nicht von ihrer grundsätzlichen Anständigkeit beeindruckt ist; vor allem von ihrer Aufrichtigkeit und ihrer Großzügigkeit. Die spanische Freigebigkeit, im gewöhnlichen Sinn des Wortes, kann einen manchmal fast in Verlegenheit bringen. Wenn man einen Spanier um eine Zigarette bittet, zwingt er einem das ganze Päckchen auf. Und darüber hinaus gibt es noch Großzügigkeit in einem tieferen Sinn, eine wahre Großmütigkeit der Gesinnung, der ich immer wieder unter den aussichtslosesten Umständen begegnet bin. Einige Journalisten und andere Ausländer, die während des Bürgerkrieges durch Spanien gereist sind, haben erklärt, dass die Spanier insgeheim bitter eifersüchtig auf die ausländische Hilfe waren. Ich kann nur sagen, dass ich niemals etwas Derartiges beobachtet habe. Ich entsinne mich, dass, wenige Tage bevor ich die Kaserne verließ, eine Gruppe von Männern auf Urlaub von der Front zurückkam. Sie unterhielten sich angeregt über ihre Erfahrungen und waren voller Begeisterung über französische Truppen, die bei Huesca neben ihnen gelegen hatten. Sie sagten, die Franzosen seien sehr tapfer gewesen, und fügten enthusiastisch hinzu: „Mas valientes que nosotros" -»Tapferer, als wir es sind!« Natürlich äußerte ich Bedenken, worauf sie erklärten, die Franzosen verstünden mehr von der Kriegskunst - sie könnten besser mit Bomben, Maschinengewehren und dergleichen umgehen. Gleichwohl war die Bemerkung bezeichnend. Ein Engländer würde sich eher die Hand abschneiden, als so etwas zu sagen.
Jeder Ausländer, der in der Miliz diente, verbrachte die ersten Wochen damit, die Spanier liebenzulernen und sich gleichzeitig über einige ihrer Eigenschaften zu ärgern. An der Front erreichte meine eigene Verärgerung manchmal den Gipfel der Wut. Die Spanier sind in vielen Dingen sehr geschickt, aber nicht im Kriegführen. Ohne Ausnahme sind alle Ausländer über ihre Unfähigkeit erschrocken, vor allem ihre unbeschreibliche Unpünktlichkeit. Kein Ausländer wird es vermeiden können, ein spanisches Wort zu lernen, es heißt manana - >morgen<. Wenn es nur irgendwie möglich ist, wird eine Arbeit von heute auf manana verschoben. Das ist so weltbekannt, dass sogar die Spanier selbst Witze darüber machen. In Spanien ereignet sich nichts zur angesetzten Zeit; sei es eine Mahlzeit oder eine Schlacht. In der Regel geschieht alles zu spät. Nur rein zufällig - damit man sich selbst darauf nicht verlassen kann, dass sich etwas spät ereignet - geschieht es manchmal zu früh. Ein Zug, der um acht Uhr abfahren soll, wird normalerweise irgendwann zwischen neun und zehn abfahren, aber vielleicht einmal in der Woche fährt er dank einer persönlichen Laune des Lokomotivführers um halb acht ab. So etwas kann natürlich ein wenig anstrengend sein. Theoretisch jedoch bewundere ich die Spanier, weil sie unsere nordeuropäische Zeitneurose nicht teilen; aber unglücklicherweise bin ich selbst davon befallen.
Nach endlosen Gerüchten, mananas und Verzögerungen erhielten wir plötzlich den Befehl, uns innerhalb von zwei Stunden zur Front in Marsch zu setzen, als ein großer Teil unserer Ausrüstung noch nicht ausgegeben war. Auf der Kammer gab es furchtbare Tumulte; zum Schluss musste eine große Anzahl Leute ohne ihre volle Ausrüstung abmarschieren. Die Kaserne war rasch voller Frauen, die aus dem Boden zu wachsen schienen und ihrem Mannsvolk halfen, ihre Decken zusammenzurollen und ihre Rucksäcke zu packen. Es war sehr demütigend für mich, dass mir ein spanisches Mädchen, die Frau von Williams, dem anderen englischen Milizsoldaten, zeigen musste, wie ich meine neuen ledernen Patronentaschen anzuschnallen hatte. Sie war ein liebenswürdiges, dunkeläugiges und höchst weibliches Geschöpf. Sie sah aus, als ob ihre Lebensarbeit darin bestünde, eine Wiege zu schaukeln. In Wirklichkeit aber hatte sie bei den Straßenschlachten im Juli tapfer gefochten. Augenblicklich trug sie ein Baby mit sich, das gerade zehn Monate nach Ausbruch des Krieges zur Welt gekommen und vielleicht hinter den Barrikaden gezeugt worden war.
Der Zug sollte um acht abfahren, und es war etwa zehn nach acht, als es den geplagten, schwitzenden Offizieren gelang, uns auf dem Kasernenhof aufzustellen. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an die von Fackeln erleuchtete Szene: das Getümmel und die Aufregung, die roten Fahnen, die im Fackellicht flatterten, die Reihen der Milizsoldaten mit ihren Rucksäcken auf dem Rücken und ihren gerollten Decken, die sie wie Patronengurte über der Schulter trugen; und das Geschrei und das Klappern der Stiefel und Blechessnäpfe und dann schließlich ein gewaltiges und schließlich erfolgreiches Ruhezischen; und dann ein politischer Kommissar, der unter einem riesigen, rauschenden roten Banner stand und uns eine Ansprache auf katalanisch hielt. Endlich ließ man uns zum Bahnhof marschieren, indem wir die längste Route von etwa fünf oder sechs Kilometern einschlugen, um uns der ganzen Stadt zu zeigen. In der Rambla mussten wir Halt machen, während eine herbeigeholte Kapelle irgendwelche Revolutionslieder spielte. Noch einmal Heldenrummel - Geschrei und Begeisterung, überall rote und rot-schwarze Fahnen, freundliche Volksmassen, die sich auf dem Bürgersteig drängten, um uns zu sehen, Frauen, die aus den Fenstern winkten. Wie natürlich schien damals alles; wie entfernt und unwahrscheinlich heute! Der Zug war so dicht mit Männern voll gepackt, dass selbst auf dem Fußboden kaum Platz war, geschweige denn auf den Sitzen. Im letzten Moment lief Williams' Frau am Bahnsteig entlang und gab uns eine Flasche Wein und ein drittel Meter der knallroten Wurst, die nach Seife schmeckt und Durchfall bewirkt. Der Zug kroch mit der normalen Kriegsgeschwindigkeit von weniger als zwanzig Kilometern in der Stunde aus Katalonien hinaus und auf das Plateau von Aragonien hinauf.

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