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B. Traven - Ein General kommt aus dem Dschungel (1940)
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NEUNTES KAPITEL

1

Auf einer Prärie, zwischen Achlumal und Balun Canan, lag das Heer der Rebellen in Ruhe. Viele Gründe bewogen den General, den Marsch auf Balun Canan zu verzögern. Balun Canan war nicht ein kleiner Marktflecken wie Achlumal, auch keine kleine Stadt wie Hucutsin. Der Ort mit seinen mehr als zehntausend Einwohnern gehörte zu den bedeutendsten und wichtigsten im Staate, der nur sechs Städte mit mehr als fünftausend Einwohnern zählte.
Starke Truppen lagen hier in Garnison.
Die Stadt einfach anzugreifen, wie die Muchachos es mit Achlumal getan hatten, wäre undurchführbar gewesen; oder wenn es versucht worden wäre, so hätte es mit der völligen Vernichtung des Rebellenheeres geendet. Darüber hatte keiner der Muchachos einen Zweifel.
General überdachte sorgfältig Pläne, wie er jene Truppen besiegen und vernichten könne, ohne gezwungen zu sein, auf die Stadt loszugehen, solange sie von den Truppen besetzt war. Wenn er auf die Hauptstadt des Staates losziehen wollte, durfte er sich diese Truppen von Balun Canan nicht im Rücken lassen, um so weniger, als die Truppen, die er in der Regierungsstadt antreffen würde, bei weitem zahlreicher und besser bewaffnet waren als die, die in Balun Canan lagen.

 

2

»Kann ich dir nicht etwas helfen?« fragte Modesta, auf Celso zukommend. Celso hatte sein Maschinengewehr vor, putzte es, ölte es und untersuchte es mit unendlicher Geduld nach locker gewordenen Schrauben und nach Sand.
»Natürlich kannst du mir hier helfen, Muchacha«, erwiderte Celso. »Geh mal da rüber zu jenem Feuer und brate Schweinefett aus, damit ich hier gut schmieren und ölen kann. Verflucht, als wir in Achlumal waren, hätte ich mir in einer Tienda eine Kanne Olivenöl mitnehmen sollen. Weißt du, Modesta, Olivenöl, spanisches Olivenöl ist das Beste, womit man ein Maschinengewehr ölen muss, solange man nicht das richtige Öl für Maschinen zur Hand hat.«
Modesta brachte einen dicken Bausch Lappen, den sie auf den Boden legte. »Das ist das Beste zum Blankputzen einer so wunderschönen Kanone«, sagte sie lachend.
»Wo hast du denn diese Fetzen her, Modesta? Das sieht ja aus wie Seide.«
»Das ist auch Seide, Celso. Das ist mein Seidenkleid, das du mir in der Tienda der Monteria gabst. Aber was brauche ich ein Seidenkleid, wenn wir im Kriege sind. Es ist jetzt viel besser, diese weiche Seide zum Putzen der Ametralladora zu gebrauchen.« Während sie das sagte, hatte sie bereits begonnen, an den Messingteilchen zu polieren, die so funkelten, dass man sich darin spiegeln konnte. »Erst hole mir das Schweinefett, dann kannst du hier weiterputzen«, sagte Celso.
»Das kann ich ja holen«, sagte der kleine Pedrito, der mit Modesta gekommen war.
»Richtig, Chamaquito«, grinste Celso gutgelaunt, »das kannst du ebenso gut holen wie Modesta. Und dann werde ich dir auch zeigen, wie man ein Maschinengewehr richtig und nach Vorschrift ölt. Denn wenn wir erst einmal wieder im Gefecht sind, dann ist keine Zeit, zu ölen oder zu putzen, und wenn der Zug stecken bleibt, gerade im unrichtigen Augenblick, dann kommen die Uniformierten auf uns los und Adios, mein schönes Maschinengewehr. Wenn du einmal ein tüchtiger Maschinengewehrsoldat werden willst, dann merke dir eins: Das Wichtigste ist, immer einen Tag vorher fertig zu sein als der Gegner und immer zwei Stunden vorher auf dem Schlachtfelde zu sein, ehe die Soldknechte anrücken.«
»Das werde ich mir merken, mi comandante!« erwiderte Pedrito und salutierte. Dann rannte er fort, ein Gefäß zu suchen, um in ihm das heiße Schweinefett herbeizubringen.
Modesta zerrieb, ein wenig nachdenklich, in ihren Händen die seidenen Fetzen, um sie noch weicher zu machen, als sie ohnehin schon waren. Aufmerksam beobachtete sie jede Handbewegung des Celso, der Schrauben nachzog, mit einem Hölzchen Sand und Staub aus den Läufen, Gängen und Ritzen kratzte, an den Kurbeln drehte, das Visier bald so, bald so einstellte und hindurchlinste, den Lauf nach rechts und nach links herumwarf und dann wieder durch den Lauf blickte, um sich an seinen polierten Windungen zu erfreuen.
Als Modesta ihm eine Weile so zugesehen hatte, seufzte sie tief auf und sagte dann leise und verschüchtert:
»Celso, weißt du, was ich lieber als sonst irgend etwas in der Welt möchte?«
»Was denn, Muchacha?« fragte er, ohne aufzublicken von dem gerichteten Visier.
»Ich möchte, dass du mich lehrtest, wie so eine Kanone wie die hier arbeitet und wie man mit ihr losspritzt auf die uniformierten Knechte und Ohrenabschneider.«
Celso stand auf und sah sie an. »Ich glaube wirklich, Modesta, dass du ein sehr tüchtiger und brauchbarer Soldat an meinem Maschinengewehr werden kannst, wenn du gut aufmerkst, was ich dich lehre. Weißt du, Mädchen, ich habe alle die Nächte nicht gerade gut schlafen können. Immer muss ich denken, was eigentlich geschieht, wenn ich einen Knaller wegkriegen sollte. Wer übernimmt dann mein Maschinengewehr, möchte ich wissen? Jeder andere Mann hat selbst seinen Posten und seine Arbeit.
Der Ambrosio und der Euladio, meine beiden Hilfssoldaten, die sind keinen alten zerrissenen Salzsack wert, das muss ich dir schon bekennen. Die rennen nicht weg. Die rennen nie weg, wer auch auf sie zukommen sollte. Aber wenn die Kanone hier nicht losgeht, weil etwas an der Maschine nicht stimmt, dann wissen sie nicht, was tun, und nehmen ihren Machete, das einzige Ding, womit sie teuflisch zuzuschlagen verstehen, und dieses schöne Gewehr ist außer Dienst, wenn wir es vielleicht nötiger brauchen als die reine Luft, die wir atmen. Hundertmal habe ich es ihnen gezeigt. Aber diese Burros lernen es nicht. Nicht einmal zielen können sie. Sie halten drauflos und denken, die Bohnen fliegen von selbst da hin, wo sie gern möchten, dass sie hinsausen, auf die Rurales los. General geht es gerade so wie mir. Wir machen uns alle dicke Sorgen, weil keiner weiß, wie er mit den Spritzen umzugehen hat, die er sich erobert. Aber du kannst das lernen, Modesta, das weiß ich recht gut. Du bist klug. Dir kann ich das Gewehr überlassen, wenn wir es im Gefecht nötig brauchen sollten und ich sollte einen bösen Hieb reingefegt kriegen in meine Gedärme. Und warum nicht? Du kannst ebenso gut Soldat sein wie ich auch. Ich lehre dich alles, was ich weiß. Und ich bin sicher, du wirst einer der besten Maschinengewehrsoldaten hier bei den Rebellen werden.«
Modesta sah ihn an und sagte leise: »Du bist ein so guter Junge, Celso. Und ich denke, ich muss dich umarmen, weil du ein so guter Muchacho bist, mit einem guten Herzen, wirklich, Celso, das bist du. Das wollte ich dir schon lange sagen. Und jetzt kann ich es, weil ich mit dir hier an deinem schönen Gewehr arbeiten darf.« Modesta hatte kaum begonnen, das Maschinengewehr erneut und kräftiger zu polieren, als Coronel herangestolpert kam. »Das sind mir aber auch einmal ein paar Maschinengewehrschützen im Felde und vor dem Feinde! Gottverflucht noch mal, was habe ich mir da großgezogen.
« Beide, Celso und Modesta, sahen erschrocken auf. »Braucht nicht zu erschrecken, ihr Hasen.«
Coronel lachte. »Bis jetzt nichts Schlimmes geschehen. Ein guter Soldat soll sein Gewehr immer gut in Ordnung halten und so blank geputzt, dass er keinen Spiegel braucht. In der Garnison. Und im Frieden heißt das. Aber wir sind im Kriege. Schmiert allen Dreck auf das polierte Messing und lasst den Dreck verkrusten, das sage ich euch. Dann bindet Zweige mit vielen Blättern rund um das Gewehr, sobald ihr die Uniformierten nahe wisst. Freilich lasst den Dreck nicht in den Lauf und nicht in die Gänge und an den Zug kommen, damit die Maschinerie nicht klemmt. Wenn das so funkelt, wie es jetzt funkelt, verflucht noch mal, dann kann man es ja gleich auf hundert Meilen weit sehen und braucht noch nicht einmal ein Fernrohr. Farbe solltet ihr draufschmieren oder Fett, und dann Asche draufgestreut. Das ist das Richtige im Kriege. Wenn die gottverfluchten Hunde anmarschieren, muss das spritzen wie aus Bullenklöten, aber sie dürfen nicht sehen, wo das Gespritze herkommt. Verstehst du nun die Canela, Celso?«
»Du hast recht, Coronel. Daran habe ich nicht gedacht.«
»Das konntest du auch nicht. Niemand hat es dir vorher gesagt. Aber von jetzt an weißt du es. Es ist ein Gebot der Klugheit.«
»Nun tut es dir leid um dein schönes Seidenkleid?« fragte Celso, als Coronel wieder fortgestolpert war.
»Nicht um einen Centavito«, antwortete Modesta. »Es war mir auf alle Fälle immer im Wege. Ich schämte mich, dass ich es hatte. Es sah ganz so aus wie die Kleider der reichen Ladino-Frauen. Wozu brauche ich ein Seidenkleid, wenn wir doch Rebellen sind.«
»Wo bleibst du denn mit dem heißen Schweinefett?« rief Celso laut, als er Pedrito, ein Krügchen vorsichtig in den Händen haltend, angestürmt kommen sah.
»Hier ist es, Celso, das Schweinchen musste erst geschlachtet werden«, brüllte Pedrito, so kräftig er konnte. Aber die Antwort war schuld, dass er nicht auf den steinigen Boden achten konnte. Er fiel der Länge nach hin, das Krügchen zerbrach, und das Fett lag breit auf dem Erdboden.
»Und da liegt der Pedro mit der Brühe im Dreck«, rief Celso lachend und ging auf den Jungen zu.
»Springe nur gleich wieder rüber zu einem der Feuer und hole neues Fett.«
»Es ist keines mehr da« sagte der Junge und fing an zu heulen.
»Warum denn keines?« fragte Celso. »Ein Schweinchen hat doch mehr Fett als nur gerade das kleine Krügchen voll.«
»Ja«, heulte der Junge, »aber als ich sagte, wofür du das Fett brauchen wolltest, da kamen alle Muchachos mit ihren Gewehren und Revolvern und wollten einfetten und einölen, und da war im Augenblick alles weg.« Celso bückte sich nieder bei den Scherben und begann, mit Hilfe der Modesta, vorsichtig das obere Fett, das noch nicht mit dem Sande in Berührung gekommen war, abzuschaben und in eine der Scherben zu füllen.

 

3

Es war Nacht geworden. General kam zu einem der Außenfeuer, die als Wachzentrale galten für die weiter hinausgeschickten Posten. An dem Feuer lagen zwei Muchachos, grölend und singend. »Steh auf!« kommandierte General.
»Du hast uns nichts zu befehlen, verstehst du?« sagte der eine, während der andere sich schwerfällig bemühte, aufzustehen. »Was stehst du denn da auf, bleib liegen«, riet ihm der erste. Einige der Muchachos, die General begleiteten, sprangen hinzu und hoben mit kräftigen, unsanften Griffen die beiden betrunkenen Muchachos in die Höhe und stellten sie auf die
Füße.
»Wie heißt du?« fragte General den ersten.
»Einen Schitt geht dich das an«, war die Antwort.
»Ein guter Name für dich«, sagte darauf General. »Genauso siehst du aus, wie ein Haufen Schitt.«
»Und du?« fragte General den zweiten. »Davila, Angelo Davila.«
»Wo habt ihr denn den Aguardiente her, den ihr gesoffen habt?«
»Da hinten von dem kleinen Ranchito. Ist auch ein armer Peon, geradeso wie wir«, sagte Angelo Davila.
»Ich habe euch beide, und noch vier mehr, hier als Wachen beordert, weil ihr Karabiner hattet.«
»Das waren unsere Waffen«, sagte der erste schreiend, »die haben wir uns erobert, und damit können wir machen, was wir wollen.“
»Wo habt ihr sie denn, die Karabiner meine ich?« fragte General ruhig.
»General«, sagte nun Angelo vertraulich, »General, du musst nicht denken, dass der Peon im Ranchito uns Aguardiente schenken kann. Er ist ebenso arm, wie wir sind.«
»Nicht ganz so arm, wie ihr beide seid«, berichtigte ihn General. Dann wandte er sich an die Muchachos, die jene beiden aufrecht hielten: »Lasst sie los, es ist Aas.«
Die Muchachos traten zurück, und die beiden Burschen taumelten hin und her, ohne jedoch zu Boden zu fallen. General schoss zweimal. »Schmeißt sie ins Feuer«, sagte er zu den Muchachos. »Stoßt sie mit den Füßen rein und schüttet das Feuer zu.«
Dann gab er vier Muchachos den Befehl, zu jenem Ranchito zu gehen, dem Peon einen Peso zu geben, den er aus seiner Tasche hergab, und die Karabiner wiederzubringen.
Darauf ging er zu den weiter draußen liegenden Plätzen, wo die Außenposten zu wachen hatten. Er ging allein. Die Muchachos, die hier beim Feuer zurückgeblieben waren, um zu vollführen, was General ihnen befohlen hatte, hörten vier Schüsse.
»Die da draußen«, sagte General, als er zurückkam, »lassen wir den Coyotes und den Geiern. Und außerdem“, fügte er hinzu und sah die Muchachos an, »wer glaubt, dass wir hier herumziehen und herummarschieren zu unserm Vergnügen, der ist im Irrtum. Das sollte doch endlich ein jeder begreifen.
Entweder wir machen Rebellion oder wir gehen spazieren. Aber wenn wir uns überzeugt haben, dass wir eine Rebellion machen, dann ist es eben eine Rebellion und kein Ferienausflug. Richtig oder nicht richtig?«
»Richtig, General«, erwiderte Profesor, »richtig gedacht, richtig gehandelt. Wer das nicht versteht und nicht begreift, hat hier bei uns nichts verloren und darum auch hier nichts zu suchen. Wir brauchen ihn nicht und sind besser dran ohne seine Mithilfe. Das Viva-Schreien gewinnt uns keine Revolution. Auf das Viva-Brüllen können wir recht gut verzichten, nicht aber auf
Rebellen, die wissen, warum sie Rebellen sind.«
General bestimmte Muchachos zur Neubesetzung der Außenwachen.
Am Spätnachmittag des folgenden Tages kamen vier Peones in das Lager. Ein Posten brachte sie vor Profesor, damit er hören möge, was sie wollten.
»Was bringt euch hierher?« fragte er. Und er fragte in einer Weise und mit einer Miene, als ob solche Besuche alle Tage zehnmal vorkämen.
In Wahrheit kamen nie Peones oder andere Indianer ins Lager, ausgenommen, wenn sie rein zufällig auf ihrem Wege auf das Lager stießen. Selbst in solchen Fällen beeilte sich ein jeder dieser Leute, das Lager rasch zu verlassen, sobald er nur den ersten Posten erblickte. Der Indianer war in vierhundert Jahren der Rechtlosigkeit so misstrauisch geworden, dass er mit seinen Lippen ja zu allem sagte, aber mit seinem Verstand niemand Glauben und niemand irgendwelches Vertrauen schenkte, am allerwenigsten denen, die zu ihm kamen mit der Behauptung, dass sie seine Freunde seien oder werden möchten.
Es war also zu verstehen, warum Profesor sich die vier Peones aufmerksam betrachtete, freilich ohne es sie merken zu lassen.
Einer der Peones antwortete: »Da wird so viel geredet in den Fincas über euch Leute von den Monterias, dass ihr alle befreien wollt und jedem Erde und Land, Freiheit und Unabhängigkeit geben wollt, wenn ihr gewinnt. Wenn das so richtig ist, dann sind wir hier hergekommen, mit eurem Jefe zu reden, dass er auch auf unsere Finca kommen soll und auch uns befreien; denn wir werden sehr geknechtet.«
Die Art, wie der Mann sprach, verstärkte den Verdacht Profesors, dass hier etwas nicht richtig sei. Er bemerkte, dass der Sprecher sich bemühte, Fehler in seinem Spanisch zu machen, wie es die Peones unbewusst und ungewollt tun, weil sie mehr an ihre eigene indianische Sprache gewöhnt sind als an Spanisch.
Insbesondere fiel Profesor die Wendung >denn wir werden sehr geknechtet< als merkwürdig und fremd auf. Die Peones, wie die Indianer alle, drücken ihre böse ökonomische und traurige soziale Lage nicht mit solchen Worten aus. Sie werden von Jugend an daran gewöhnt, zu arbeiten, solange auch nur ein Fünkchen Kraft in ihnen ist. Baren Lohn sehen sie nie, und sie reden nicht davon, dass sie geknechtet oder ausgebeutet seien, sondern höchstens, dass sie zu arm seien, um ihre Schulden beim Patron bezahlen zu können, um die Finca verlassen zu dürfen und sich irgendwo auf einem unbewohnten Fleckchen Erde niederzulassen und als unabhängige Siedler zu leben.
»Unser Jefe ist jetzt nicht hier anwesend, Muchachos«, erwiderte Profesor in gleichgültigem Tone. »Er exerziert mit den Leuten da hinten auf der Prärie, wo ihr es knallen hört. Maschinengewehre haben wir auch.«
Der Sprecher der besuchenden Peones machte ein erstauntes Gesicht. Aber als er sich dessen bewusst wurde dadurch, dass ihn Profesor fest anblickte, ließ er sein Gesicht sofort wieder in das einfältige untergebene und demütige Aussehen zurückfallen, das er bis jetzt aufgesetzt hatte. Dieser Wechsel im Ausdruck des Gesichts gab Profesor nur um so mehr die Gewissheit, dass mit diesen Besuchern etwas nicht ganz in Ordnung sei. jedoch er konnte sich nicht denken, was die Männer hier wollten. jetzt kam Coronel näher, der ebenfalls exerziert hatte und neue Gruppen zusammenrufen wollte. Er sah sich die vier Mann an, drehte sich eine Zigarette, sagte aber nichts.
»Von welcher Finca seid ihr?« fragte Profesor. »Von Las Margaritas.«
»Wer ist denn euer Patron?«
»Unser Patron?«
»Ja, euer Patron.«
»Unser Patron ist, ja das ist, unser Patron ist Don Fernando, ja das ist unser Patron.«
»Wie ist denn sein Zuname?« »Sosa, Don Fernando Sosa.«
»Dann seid ihr also hier hergekommen, um uns zu eurer Finca zu führen und um dort die Finca unter euch Peones aufzuteilen?«
»Das ist es, Jefecito. Darum sind wir hier hergekommen. Und das wollten wir mit eurem Jefe besprechen.«
»Setzt euch nur gleich hierher an das Feuer«, sagte nun Profesor mit einem Grinsen, das zur Hälfte ähnlich dem einer Hausfrau war, die unerwartet Besuch bekommt, der zum Abendessen bleiben will, und die nur Aufgewärmtes von einem Mittagessen am Waschtage im Hause weiß, und zur Hälfte war es wie das Grinsen Satans, der am Tor steht, wenn die neue Fuhre anlangt und er ein halbes Dutzend Methodistenprediger und ein Dutzend vertrocknete Kirchenschwestern darunter bemerkt. »Ja, setzt euch hier an das Feuerchen. Ihr seid natürlich hungrig von dem langen Weg, die Muchachos werden euch Frijoles geben, Tortillas und Kaffee. So gut und so schlecht, wie wir es haben.«

 

4

Profesor schlenderte hinüber zu einer Gruppe von Burschen, die Andres lesen und schreiben lehrte.
»Andresillo«, sagte er unauffällig, »komm einmal rüber zum Stabsfeuer, ich glaube, wir haben Chinches, Wanzen, ins Lager bekommen.«
»Wie meinst du denn das, Profesor, Chinches?«
»Weißt du, wo die Finca Las Margaritas ist?«
»Ungefähr. Als ich noch bei den Carretas war, hatten wir häufig Ladung für Don Susano in Las Margaritas.«
»So, also Don Susano ist der Finquero von Las Margaritas. Ich dachte, er hieße Don Fernando Sosa.«
»Warum soll er denn Don Fernando heißen, wenn er Don Susano heißt?«
»Das habe ich mir gedacht. Kennst du die Finca Las Margaritas?«
»Ich war nie dort. Wir haben die Ladungen für Las Margaritas immer nur bis Balun Canan gebracht, weil der Weg nach Las Margaritas eng und elend ist und keine Carretas da fahren können. Die Finca schickte ihre Arrieros nach Balun Canan, um dort die Fracht abzuholen und dann auf Mules bis zur Finca zu befördern. Es mögen so etwa sechs bis acht Leguas von Balun Canan aus sein.«
»Welche Sprache reden denn wohl die Peones in Las Margaritas?«
»Die reden Tojulabal und Spanisch. Freilich unter sich, und in ihren Chozas, da reden sie nur Tojulabal.«
»Du bist überzeugt, dass alle Peones, die auf Las Margaritas leben, auch wenn sie Spanisch verstehen und reden können, dennoch auch Tojulabal verstehen?«
»Alle, ohne Ausnahme. Sogar Don Susano kann einen guten Teil Tojulabal sprechen, und der Mayordomo und die Capataces sprechen es so gut wie die Peones. Sind ja alle aus der Gegend, da geboren und da aufgewachsen. Der Mayordomo ist ein natürlicher Sohn von Don Susano, den er mit einem Tojulabalmädchen hatte. Sie hat noch mehr Kinder von ihm, von Don Susano meine ich. Und obwohl er nun schon mehr als zwanzig Jahre mit Dona Paulina von Balun Canan zivil und kirchlich verheiratet ist und mit der auch so seine neun oder zehn Kinder hat, da ist er doch jeden zweiten Tag, am Nachmittag, bei seiner guten alten Soledad, der er einen schönen Jacal hat bauen lassen, und hat ihr Land gegeben, und zwei Dutzend kleine Schweine gibt er ihr jeden Los Reyes als Geschenk. Geld gibt er ihr auch.«
»Du, das alles will ich nicht wissen.«
»Nur dass du verstehen sollst, dass da auch nicht einer rumläuft in Las Margaritas, der nicht Tojulabal versteht.«
»Das ist, was ich wissen will. Da sind vier Vögelchen angekommen. Ich weiß nur noch nicht ganz, wer sie schickt, ob der Gouverneur oder die Finqueros, oder die Rurales oder die Federales. Komm mal mit rüber und sieh sie dir an und rede Tojulabal mit ihnen.«
»Viel Tojulabal weiß ich nicht, ich bin Tseltal; aber ich kann genug, um herauszukriegen, ob sie Peones von Las Margaritas sind.«
Profesor und Andres gingen gemächlich zum Feuer, wo die vier Leute saßen und sich mit Essen beschäftigten, während ein Dutzend. Muchachos herumhockten, teils mit ihnen plauderten, teils rauchten und unter sich redeten.
Im Heer waren mehr als dreißig oder vierzig Tojolabalindianer, vielleicht sogar Muchachos, die von dem Patron der Finca Las Margaritas in die Monteria verkauft worden oder von jener Finca geflüchtet waren. Aber sie jetzt zu suchen, hatte Schwierigkeiten, und außerdem hätten sie vielleicht nicht gut verstanden, was Profesor von ihnen wollte. Andres war auf alle Fälle der Geeignetste, die vier Besucher auszuhorchen.
Er kam wie zufällig zum Feuer und rollte sich eine Zigarre. Dann bückte er sich nieder beim Feuer und zog einen glimmenden Ast hervor. Ohne einen der vier Leute anzusehen, sagte er laut in Tojolabal: »Ihr seid ausgerückt von eurer Finca, nicht wahr?«
Die vier Leute aßen ruhig weiter und warfen hier und da ein Wort hin zu den Muchachos, die mit ihnen spanisch sprachen.
Nun wandte sich Andres, während er sich erhob und einen Zug aus seiner Zigarre tat, unmittelbar an einen der vier, der ihm am nächsten war. Wieder sprach er in Tojolabal: »Habt ihr immer noch auf der Finca den alten Arriero, der sich in Balun Canan immer besoff, wenn er Fracht abholte?«
Der Sprecher der Gruppe begriff nun, dass er gemeint sei und zu antworten hatte. Er wurde verlegen und kniff das Gesicht zusammen, als müsse er nachdenken. Dann sah er scheu von unten herauf und suchte Profesor, ob der zuhörte. Profesor stand abseits und redete mit einem Muchacho, verlor jedoch kein Wort und keine Geste des Sprechers.
Endlich redete der Sprecher der vier Besucher. Er sagte mit einem schiefgezogenen Lachen: »Wir haben einen sehr langen Weg gehabt, amigos, das ist richtig.« Er sagte es in Spanisch und versuchte, die Laute tief in der Kehle zu bilden, wie es die Indianer, an ihre eigene Sprache gewöhnt, meist tun.
»Ja, das konnte ich mir denken«, sagte darauf Andres, diesmal in gutem Spanisch, »das konnte ich mir recht gut denken, darum habe ich ja auch gefragt. Es ist ein sehr weiter Weg.«
Andres bückte sich abermals und zündete seine Zigarre erneut an. Sie brannte gut, aber er wollte sich von etwas, was er beim Sprecher bemerkt hatte, noch genauer überzeugen. Er zog heftig an seiner Zigarre und ging gemächlich auf Profesor zu.
»Sprechen die Tojolabal?« fragte Profesor.
»Sage mir einmal: Hast du jemals einen armen Peon in deinem ganzen Leben gesehen, der Zähne mit Gold geflickt im Munde hatte?«
»Hat der mit Gold geflickte Zähne? Das habe ich nicht bemerkt.«
»Aber ich. Und außerdem verstehen sie auch nicht ein einziges Wort Tojolabal.«
Profesor bestimmte drei Muchachos, die vier Besucher zu bewachen, aber so zu bewachen, dass sie es nicht merkten, und sollten sie aufstehen, so könnten sie es tun, aber die Wächter dürften sie auf keinen Fall aus den Augen lassen und hätten unbedingt zu verhindern, dass die vier etwa das Lager verließen.

 

5

Nun war es Nacht. Alle Feuer im Lager loderten.
General langte beim Stabsfeuer an, schleppend und müde. Den ganzen langen Tag hindurch hatte er mit den Muchachos, von Coronel, Matias, Celso, Fidel und anderen intelligenteren Muchachos unterstützt, Zielübungen und Schießdrill abgehalten, war mit den Muchachos wie ein Rekrut herumgelaufen; Nieder­-Auf, Nieder-Auf hatte er mit ihnen geübt, so lange, bis er sich kaum noch selbst erheben konnte. Dann hatte er sie gelehrt, in losen Schützenlinien vorzugehen, gute Deckungen zu suchen beim Hinwerfen; sie belehrt, keinen Sand in die Läufe oder Kammern der Karabiner kommen zu lassen, wenn sie auf dem Boden lagen oder krochen; hatte sie unterrichtet, im Knien und im Liegen zu schießen, und ihnen beigebracht, flache Gruben in weichem Boden rasch auszuwerfen und sich darin niederzulegen, um nur geringe Zielpunkte zu geben. Alles, was er sich nur erinnern konnte, je selbst gelernt und als Sergeant gelehrt zu haben, lehrte er nun die Muchachos. Das Material, das er zur Verfügung hatte, war zwanzigmal spröder als das, was er in Gestalt neuer Rekruten bei seinem Bataillon zu erhalten pflegte. Würden die Muchachos nicht guten Willen gehabt haben und eine überschäumende Begeisterung für die nächste Schlacht, so hätte er wohl verzweifeln können angesichts der geringen Ergebnisse, die sein Exerzieren erzeugte.
So war es nicht zu verwundern, dass er hier zum Feuer kam wie ein zusammenknickender Lappen.
»Und das ist ihr Jefe, ihr General«, sagte einer der vier Besucher leise zu seinem Nachbar, als sie aus dem Grüßen und Anreden der Muchachos wahrnahmen, dass dieser müde, schlappe, torkelnde, verdreckte, ungekämmte braune Bursche, der zum Feuer gekommen war, der Hauptmann der Rebellen war.
»Dem wird eins in die Fresse gehauen, und dann fällt er lang in den Dreck«, sagte der nächste Nachbar flüsternd. »Das verlauste und verpisste Pack treiben wir mit Knüppeln zusammen. Weiß nicht, was der Alte da so viel Wesen macht und drei Bataillone schicken will. Mit einer Kompanie prügele ich sie zusammen, die Schweine.«
»Verflucht noch mal«, sagte leise der nächste, kaum seine Lippen öffnend und die Worte zwischen den Zähnen hindurchpressend, »verflucht noch mal, haltet eure Weiberklappen doch endlich, seht schon, wie der da hier rübersieht und uns beobachtet.« Es war Profesor, der die vier immer wieder anblicken musste, um sich auszudenken, wer sie wohl sein mochten und was für einen Zweck sie verfolgten.
Coronel sagte, sich an die Muchachos wendend, die zum Stab gehörten: »Lasst uns da rüber zu dem Feuer gehen, an dem Celsos Muchacha sitzt und kocht. Die haben ein Schwein am Kragen. Hier bei uns sieht es mager aus.«
»Wo habt ihr denn das Schwein her?« fragte Profesor Celso, der neben ihm hinschlenderte.
»Ich weiß nicht, wer was von einem Schwein gesagt hat. Ist kein Schwein. Ist Antilope. Ich war mit Modesta im Busch und ließ sie so ungefähr zehn Schuss runtermühlen vom Maschinengewehr, damit sie Zielschießen lernt. Und da kam die Antilope gerade so mit in den Weg gelaufen, und Modesta knipste los, und da war sie nieder beim zweiten Schuss. Beide Schüsse getroffen.«
»Dann werde ich sie morgen zum Cabo befördern«, sagte General mit einem müden Lachen in der Stimme. »Und du, Coronel, kannst etwas lernen von der Muchacha. Du pfefferst zwanzig Granaten auf den Baum los, wie ich heute Nachmittag gesehen habe, und bohrst eine einzige in den dicken Stamm.«
»Du musst die Entfernung mit in Betracht ziehen«, erwiderte
Coronel. »Die Antilope konntest du mit der Hand am Schwanz packen, so dicht war sie.«
»Da wirst du dich wundern, Coronel«, lachte Celso. »Mit der Hand greifen? Da möchte ich doch gleich so rausbrüllen. Mit der Hand greifen. Und auch noch am Schwanz. Zweihundert Schritt war sie wenigstens.«
»Bist du die zweihundert Schritt abgegangen?« fragte Coronel.
»Brauche ich nicht abgehen. Ich werde doch wohl wissen, wie weit zweihundert Schritte sind.«

 

6

Als sie nun bei dem Feuer der Modesta hockten und geröstete Antilope aßen, mit keiner anderen Zugabe als einer Tortilla und frischen grünen Blättern, gepflückt am Rande des Busches, sagte nach einer Weile Profesor: »Wir hätten auch bei unserm Feuer essen können. Aber dann hätten wir die vier fortschicken müssen, wenn wir reden wollen. Ich wollte sie aber da sitzen lassen, damit sie nicht merken, dass wir wissen, was für eine Art von Peones sie sind.«
General sagte nichts darauf. Aber während er aß und sich anstrengte, dabei nicht einzuschlafen, kamen mehrfach Muchachos, die ihm leise Meldungen ins Ohr flüsterten und denen er Befehle gab, die er ebenso leise zu ihnen sagte.
Seine Offiziere kümmerten sich nicht darum, was er anordnete und in welcher Weise er seine Pläne vorbereitete. Zuweilen fragte er Coronel etwas, dann wieder Profesor, oder Andres, oder Matias, und die Antworten, die er erhielt, schien er in seine Befehle, mit denen er die Muchachos fortschickte, mit aufzunehmen.
Dann ließ er sich von Matias eine Zigarre drehen und zündete sie an. Nachdem er mehrere Züge getan hatte, ohne zu sprechen, schien seine Müdigkeit nachzulassen. Es erweckte den Eindruck, als habe er halb geschlafen und sich ausgeruht und erholt, während er aß. Er wie auch die Mehrzahl seiner Berater hier am Feuer hockten nicht auf dem Boden, wie es gewöhnlich der Fall war, sondern sie saßen auf kurzgehackten Baumstämmen, die hier herumlagen und später für größere Feuer bestimmt waren, um dem Lager ein freundlicheres und lustigeres Aussehen zu geben und alle Muchachos vergnügt zu halten.
An dem Stabsfeuer loderte jetzt ein mächtiger Holzstoß auf, der gleichzeitig das Signal war, alle übrigen großen Feuer anzuzünden und mit Gesang, Musik, Tanz und allgemeiner Fröhlichkeit den Tag abzuschließen.
Wieder kam ein Muchacho und brachte ihm eine leise Meldung. General stand auf und winkte allen, ihm zu folgen.

 

7

Sie gingen hinüber zu dem Stabsfeuer, wo sie sich auf Stämmen niedersetzten.
»Da seid ihr vier Würmer ja immer noch«, sagte er zu den Besuchern, die sich an dem großen Feuer wohlig zu fühlen schienen, oder wenigstens einen solchen Eindruck zu erwecken versuchten. »Ja, Jefecito, wir sind noch immer hier«, antwortete der Mann mit den goldgeflickten Zähnen. »Aber mit Ihrer Erlaubnis möchten wir uns nun aufmachen, wir haben einen sehr langen Weg.«
»Was habt ihr für den Weg bezahlt bekommen, Hombres?« fragte General trocken.
Alle vier wurden darauf ein wenig bleich. Der Sprecher aber fasste sich rasch und sagte: »Uns hat niemand bezahlt, Jefecito. Wir sind arme Peones und wollten nur wissen, wann ihr zu unserer Finca kommt, uns aus der Knechtschaft und der Servitud zu befreien.« Als das Wort >aus der Knechtschaft zu befreien< fiel, grinste Profesor und sah General ins Gesicht, um zu erfahren, wie der diesen Ausdruck wohl aufnehme.
»Arme Peones von Las Margaritas seid ihr?« fragte General, vielleicht noch trockener als vorher.
»Ja, Jelecito, a sus muy amables ordenes!«
»Du«, sagte darauf General, seine Stimme völlig ändernd und alle Müdigkeit aus dem Gesicht verschwunden, »du bist Erster Leutnant Ruben Bailleres, dritte Compania Bataillon siebenundsechzig, Garnison Yalanchen. Wer die drei anderen sind, weiß ich jetzt noch nicht, aber morgen Abend weiß ich auch das.«
Die vier versuchten, ihre Lippen nass zu lecken, was ihnen nicht zu gelingen schien, denn sie arbeiteten mit den Kiefern, weil ihnen der Speichel plötzlich ausgebrannt war. Profesor riss die Augen weit auf und stierte General hilflos an. Die übrigen Muchachos waren nicht weniger verwundert als die vier Besucher; nur hatten sie weniger Mühe, neuen Speichel im Mund zu erzeugen.
Es währte sicher drei oder vier Minuten, ehe der Leutnant sprach. Endlich sagte er in einer Weise, als wollten ihm die Laute in der Kehle ersticken: »Das ist ein Irrtum, Jefecito. Wir sind Peones von Las Margaritas, und das ist wirklich und wahrhaftig wahr.«
»Auch bei der Allerheiligsten Jungfrau?«
»Ja, Jefecito, pro la Madre Santisima!«
»Ihr seid hier nicht eingeladen worden.«
»Das ist richtig, aber wir wollten die Wahrheit erfahren.«
»Welche Wahrheit?«
»Dass ihr uns, den Peones, Land und Freiheit gebt.«
»Den Peones ja. Den Oficiales der Federales und der Rurales und allen uniformierten Knechten und Urschleckern geben wir etwas anderes. Vielleicht wollt ihr nun auch noch unser Waffenlager sehen.«
»Nein, Jefecito, wir möchten jetzt heimgehen, zu unseren Jacalitos.«
»Wir alle, alle die Muchachos wollen schon seit Jahren heimkehren zu ihren Hütten und zu ihren Familien und können es nicht. So wirst wohl auch du noch eine Stunde warten können.«
General winkte fünf Muchachos nahe zu sich und sprach mit ihnen leise. Die Burschen, die am Feuer hockten, vernahmen nur den letzten Satz, den er den Muchachos nachrief: »Sucht euch einen kräftigen Sack, und dann kommt hier zurück.«
Die vier Burschen standen auf und schickten sich an zu gehen. In diesem Augenblick aber kamen die Muchachos herbeigeeilt und schwenkten einen leeren Sack.
»Folgt den Muchachos und seht euch erst unser Waffenlager an, ehe ihr wieder heimkehrt nach Las Margaritas«, sagte General zu den vier. Er unterstrich Las Margaritas mit einem ironischen Grinsen.
Als die vier Besucher etwa zehn Schritte gegangen waren und in der Dunkelheit zu verschwinden begannen, rief General: »Nein, du, Teniente, du bleibst noch einen Augenblick hier. Deine drei Companeros werden mehr als genug zu sehen bekommen.«
Von nun an kümmerten sich weder er noch die übrigen Burschen am Feuer weiter um den Leutnant, der unausgesetzt und mit ruckartigen und zerrenden Gesten in die Nacht hinausblickte, nach der Richtung hin, wo die Muchachos mit den drei abgezogen waren. Es lagen einige große Felder in jener Richtung, aber er schien dennoch nicht zu sehen, was er sehen wollte.
Es waren wohl nur zehn Minuten vergangen, als die Muchachos zurückkehrten ohne die drei Besucher.
Sie warfen einen Sack vor sich auf die Erde. Der Sack war zugebunden mit Baststreifen. Er war über und über schmutzig und feucht, als wäre er durch schlammige Erde geschleift worden.
General gab zwei Muchachos einen Wink. Mit einem Sprung waren sie auf dem Leutnant. Und als sie wieder von ihm wegsprangen, lief ihm das Blut über das Gesicht und an den Seiten herunter. Er hatte keinen Laut von sich gegeben, sondern nur versucht, sich zu wehren. Ihm war die Nase bis zum Knochenanfang und beide Ohren der Länge nach zur Hälfte abgeschnitten.
»Die Muchachos hätten dir auch noch die Lippen aufschneiden müssen für deine infame Lüge, zu der du auch noch die Heilige Jungfrau anriefst, um besser lügen zu können. Aber deine Lippen brauche ich, Teniente Primero Ruben
Bailleres. Du hast einen Auftrag von mir auszurichten an deinen Jefe, Divisionario Don Petronio Bringas. Und damit ich dich erkenne, wenn ich dich wieder treffen sollte und dich frage, ob du auch alles so ausgerichtet hast an deinen General, wie ich dich beauftragte, darum musste ich deine Nase kürzen lassen. In Zukunft wird man dich nun Chato rufen. Auch ein schöner Name. Warum nicht.«
Der Leutnant sagte nichts. Mit seinem Hemdärmel wischte er sich das Blut ab, das ihm in den Mund rann und am Halse hinunterlief. Er gab keinen Schmerzenslaut von sich. Jedoch General wusste, oder konnte sich leicht denken, dass der Leutnant in diesem Augenblick alle seine Schmerzen vergaß und nur an jene Stunde dachte, wo er General so als Gefangenen vor sich haben würde, wie er jetzt vor ihm hockte. Wenngleich es nicht sicher war, ob er je General fangen würde, so tat ihm doch das Denken daran ungemein wohl.
»Ich hätte dich natürlich aufhängen lassen können, Teniente«, sprach General weiter, »aber ich habe wichtige Meldungen an Don Petronio zu senden. Und du bist der beste Meldereiter, den ich schicken kann. Eure Pferde stehen in dem Ranchito La Primavera. Morgen früh um acht oder neun kannst du schon bei deinem Bataillon sein. Darum gebe ich dir hier den Sack mit. In dem Sack ist das Frühstück, das ich deinem Jefe schicke, aus Anerkennung, dass er an mich gedacht hat und mir drei Offiziere und einen Sergeanten herschickte, um sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen. Oder ist der vierte von euch gar auch noch ein Leutnant. Aber dann hätten die anderen drei ja keinen Pferdeburschen.«
General zog einen Krug mit Kaffee aus dem Feuer und goss sich seinen kleinen Becher voll, den er mit beiden Händen umklammerte, als wolle er sich die Hände daran wärmen. Mehrere Male quirlte er den Becher in seinen Händen um; dann, als er sich ein wenig abgekühlt hatte, nahm er einige Schluck.
Mehr und mehr Muchachos waren zu dem Stabsfeuer gekommen. Sie drängten sich dicht heran, damit ihnen auch kein Wort verloren gehen sollte von dem, was General dem Divisionario der Federal-Armee mitzuteilen hatte.
»Don Petronio steht mit zwei Bataillonen Infanterie, einem Regiment Kavallerie und einer Maschinengewehrabteilung dicht hinter La Pena Alta, wo er sich versteckt hält und darauf wartet, dass ich ihm in den langen Hohlweg reinrutsche. Du sagst ihm, dass ich ihm diesen Gefallen nicht tun kann, weil ich in keine Falle gehe, die so dumm aufgestellt wurde.«
Der Leutnant stierte General an, als sähe er einen Geist hinter ihm auftauchen.
»Er möchte mich gern nach Las Margaritas ködern, um mich auch noch in die Flanke zu nehmen. Das kann ich nicht gut machen. Ich erwarte ihn hier, wo du ja nun den Platz kennen gelernt hast. Der alte Hurenbock von einem Cabron, der seine eigene Mutter vorn und hinten hurt und sogar seine Großmutter gehurt hat wie auch du, dieser Hundesohn wird sich doch nicht etwa vor so verlausten und verdreckten Stinkschweinen, wie wir sind, fürchten? Was für ein trauriger, stinkiger Sohn einer vereiterten Hündin ist denn euer Divisionario, wenn er uns nur anzugreifen wagt, wenn wir in einem morastigen Hohlweg stecken? Wenn er der große Soldat ist, der seine Klöten richtig baumeln hat und ein Recht auf seine Orden haben will, dann soll der Hurensohn hier herkommen und uns hier den Ursch versohlen. Dass du mir das nicht vergisst, ihm zu sagen, was ich von ihm denke, und dass seine Mutter eine alte Soldatenhure ist wie auch deine Mutter, und dass ihr beiden Cabrones zwischen Hunden aufgelesen worden seid, sonst wäret ihr nie geboren worden.«
Der Leutnant, der maßlosen Beleidigungen halber so in Wut geratend, dass er völlig vergaß, wo er war, sprang auf, und mit einem Satz war er dicht vor General. General war gleichzeitig aufgesprungen.
Keiner der Muchachos mischte sich hinein. Das mochte darum sein, weil es zu überraschend gekommen war, oder darum, weil sie glaubten, es gehöre mit zu dem Programm.
Der Leutnant holte mit der Faust aus. Aber ehe er General ins Gesicht schlagen konnte, hatte er schon dessen Faust mit aller Kraft auf der Kinnlade sitzen. Der Leutnant taumelte zurück und fiel so ziemlich genau wieder dort hin, wo er bisher gehockt hatte. »Schade, dass du deinen Revolver nicht mit dir hast, das denkst du jetzt, ist es nicht so?« fragte General. »Du bist nicht der erste Offizier, den ich in die Fresse gehauen habe. Darum bin ich jetzt auch General von Muchachos, die keine so elenden Knechte sind wie die, denen du in die Fresse schlagen kannst und die sich nicht wehren können. Was ich von deinem Jefe und von dir und euren Müttern denke, das weißt du nun. Und wenn dein Divisionario nicht in vier Tagen hier ist und sich hier von uns verlausten und verdreckten indianischen Schweinen abschlachten lässt, dann trifft er mich nicht mehr hier. Dann marschiere ich in einem weiten Bogen um Balun Canan herum und gehe auf Shimojol los. Auch das ist ein schönes reiches Städtchen, wo wir allerlei Freuden haben werden. Dann weiter auf Huninquibal, dann nehme ich Yalanchen, darauf Tsobtajal, dann Acayan, dann Nihich und endlich Socton. Und dann der Angriff auf Tullum, wo wir den Gouverneur besuchen werden, falls er nicht abgereist sein sollte, einer Hochzeit wegen. Vielleicht ändern wir auch unsere Pläne. Aber das sage ich dir hier nur, damit du weißt, dass ich nicht auf La Pena Alta loszugehen brauche, wo die Falle gestellt ist. Das ist alles, was du deinem Jefe zu melden hast.
Und wenn du ein Wort vergisst und wir kriegen dich wieder, dann gehen auch die beiden anderen Hälften der Ohren runter. Und vergiss nicht, dem Divisionario wiederzusagen, was ich dir von seiner Hurenmutter erzählt habe.«
General trank seinen Becher leer und schüttete den Satz aus.
»Wer hat eine dicke Zigarre für mich fertig?« fragte er, sich umsehend.
»Damit du den Weg nicht verlierst, schicke ich dir zwei von unseren Muchachos mit, bis du nahe dem Ranchito bist, wo eure Pferde warten.«
Der Leutnant stand auf. »Wo sind meine Companeros?«fragte er.
»Die sehen sich noch unsere Waffenlager an. Erst haben sie sich die Schätze von oben angesehen, jetzt betrachten sie sich die Schönheiten von unten. Darum bleiben sie vorläufig noch hier. Wahrscheinlich bleiben sie für immer hier. Keiner von uns hatte sie eingeladen. Morgen beim Frühstück wird dir ja dein Divisionario sagen, ob er sie mit seinen Bataillonen hier abholen kommen will oder ob er uns den Umweg machen lässt. Und ehe du gehst, vergiss nicht >Muchas Gracias!< zu sagen für die Frijoles, die Tortillas und den Kaffee. Ihr seid hier doch gut verpflegt worden. Oder etwa nicht?«
Ohne ein Wort zu erwidern, wandte sich der Leutnant um und folgte den beiden Muchachos, die ihn auf den Pfad bringen sollten.

 

8

Kaum waren die drei Leute in der Nacht verschwunden, da begannen die Muchachos am Feuer aufgeregt zu werden. »Aber, Hombre, General, woher weißt du denn das alles? Ist es wahr, dass die Federales hinter den Felsen auf uns warten? Woher wusstest du denn, wer die vier sind?«
»Das ist ganz leicht«, antwortete General, seine Zigarre anzündend und seinen Becher noch einmal mit heißem Kaffee füllend. »Viel leichter, als ihr euch denken könnt. Ich habe gar nichts dazu getan. Es lief mir gerade so in meine Arme hinein. Es sind wirklich heute Peones hier ins Lager gekommen. Drei. Nicht von Las Margaritas. Von einer anderen Finca. Aber das waren richtige Peones und keine Spione. In einer Minute wusste ich, dass sie echte Muchachos sind. Darum habt ihr sie auch nicht gesehen.
Ins Lager, hier mitten rein, ist keiner von ihnen gekommen. Sie lagen draußen im Busch, weit von unsern Außenpatrouillen weg. Drei oder vier Stunden lagen sie da versteckt im Busch, bis sie sicher waren, dass ich der sei, den sie suchten. Ich war da beim Exerzieren und Üben im Busch. Als ich einen Augenblick allein war und die Muchachos in Sprüngen vorgegangen waren, da hörte ich leise rufen:
>Oye, hör einmal, Brüderchen, wir wollen mit dir reden!< Ich ließ die Muchachos da draußen weiter springen und auf Ziele üben und ging mit den Peones tiefer in den Busch hinein. Sie kamen, mich vor dem Anmarsch der Truppen zu warnen, und erzählten mit von dem Hohlweg, in den wir hineinrutschen sollten zum Vergnügen der Federales. Sie wussten auch von den vier maskierten Offizieren.«
Coronel lachte laut auf. »Dann freilich kann ein jeder seine Pläne machen, wenn er so gute Kundschafter hat.«
»Zu dir wären sie vielleicht nicht gekommen, Coronel«,
meinte General, ihn grinsend von der Seite ansehend. »Warum nicht zu mir ebenso gut?«
»Du machst keinen so vertrauenerweckenden Eindruck wie ich. Was mich am meisten aufgeregt hat, war nicht die gute Botschaft, die sie mir brachten. Was mein Herz erfreute, ist die Tatsache, dass zum ersten Male während unserer Rebellion Peones freiwillig zu uns gekommen sind und uns unerhofften, aber um so mehr willkommenen Beistand zu leisten. Das ist ein gutes Merkmal, dass die Revolution nun langsam anfängt, sogar in den Köpfen dieser verschüchterten und furchtsamen Peones zu rumoren. Wenn einmal die Hunderttausende Peones zu uns kommen, wenn sie erst einmal ganz von selbst anfangen, auf ihren Fincas zu rebellieren, dann ist der Sieg der Revolution gesichert, auch wenn der Kampf noch zwei oder drei Jahre weitergehen sollte.«
»Das hätte ich nicht um ein einziges Wort besser erklären können, als du das getan hast, General«, sagte Profesor mit einem langen Gähnen. Er stand auf, suchte sich seine Matte und seine Decke und verkroch sich hinter einen Busch, dort die Nacht zu verbringen.
»Ich verstehe nicht viel bis jetzt vom Kriegführen«, meinte endlich Matias, als niemand Lust zum Reden zu haben schien, »aber ich denke, General, du hast hier eine Eselei gemacht.«
»Was für eine Eselei meinst du denn?« fragte General, der halb in Schlaf gesunken war, aber doch beim Feuer hocken blieb und an seiner Zigarre schmökte. Er hatte gefragt in einer Weise, als ob er auf keine Antwort warte, als ob ihm die Frage rein automatisch entschlüpft war.
»Du hättest dem Leutnant nicht zu sagen brauchen, was du vorhast.«
»Eselei? Ich eine Eselei gemacht? Nun ja, warum soll ich denn nicht auch einmal Eseleien machen dürfen, wo so viele Eseleien gemacht werden von uns, und noch viel mehr von diesen gottverfluchten Cabrones, hinter La Pena Alta und im Hohlweg hockend. Eseleien. Ich musste ihm etwas erzählen, damit er sich nun überhaupt nicht mehr zurechtfindet, was wir machen werden. Hätte ich ihm nichts gesagt von seinen Plänen, die ich kenne, dann hätte er keine Sorgen gehabt und wäre auf uns losmarschiert.
Jetzt aber ist er nicht mehr sicher, was er tun soll. Und was wird der alte fette Lutscher tun? Er wird ein Bataillon dorthin und ein anderes dahin flitzen, Weil er nicht genau weiß, wo wir auftauchen werden. Und die armen Peones, die so tapfer hergekommen sind, mir alles zu sagen, wenn sie nicht gut erklären können, wo sie den Tag über gewesen sind, da werden sie wohl bis an den Nacken eingegraben werden und dann zertrampelt. Hoffentlich werden sie noch genug Fett in ihrem Kopfe haben, um zu wissen, was zu erzählen. Sie können ja einer entlaufenen Kuh nachgerannt sein. Gottverflucht noch mal, Muchachos, was bin ich müde.«
Gleich darauf hörten ihn die Muchachos schnarchen. Fidel stand auf, suchte eine Decke, mit der er ihn zudeckte, und dann schob er ihm einen Sattel unter den Kopf. General streckte wohlig seine Beine aus.
Einige nackte Zehen lugten hervor; denn die Stiefel, die einst einem Capitan gehört hatten, waren ihm zu eng gewesen, und er hatte sie an den Seiten aufschlitzen müssen und einige Löcher noch ausschneiden, damit seine Zehen Platz fänden.
Die Muchachos räumten eilig das Feuer weiter zurück, denn General hatte mit seinen Stiefeln, die dick von trockenem Schlamm verkrustet waren, ins Feuer gestoßen, und das Leder fing an zu schmoren.

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