FÜNFZEHNTES KAPITEL
1
Der Divisionario hockte sich nieder. Er sackte in sich zusammen und schien jegliches Interesse an seiner Umgebung zu verlieren. Automatisch zerrte er aus seinem schwergoldenen Etui eine Zigarette hervor und zündete sie an einem glimmenden Ast an.
Nach und nach hockten sich auch die Muchachos, die zum Stab gehörten, wieder hin zum Feuer, während die übrigen sich zu ihren Gruppen verzogen. Da kam ein Bursche, der Agapito hieß, herbei, blieb stehen und betrachtete sich den Divisionario und dann General, als ob er die beiden gegen einander abschätzen wolle für einen Boxkampf.
Endlich sagte er: »General, du könntest gewiss die Uniform des Divisionario gut gebrauchen. Dann würdest du recht vornehm aussehen und jeder, der dich sieht, würde gleich wissen, dass du unser General bist. Ich denke, die Uniform wird dir wohl gut passen. Ihr seid so etwa dieselbe Länge. Nur bist du mager wie ein Stecken, und der große Armeeführer, den wir hier haben, der ist gemästet wie eine alte Sau.« Seine ruhige, humoristische Rede plötzlich abbrechend und den Ton ändernd, schrie er auf den Divisionario ein: »Los, hopse und springe, Generalchen, und ziehe mal deine Lappen alle runter, damit wir hier anprobieren können.«
Der Divisionario munterte auf und sah sich um zu dem Sprecher. Er rückte zögernd auf seinen Schinken hin und her und wusste offenbar nicht, was zu tun, ob er diesem zerlumpten Indianerburschen nun gehorchen solle oder nicht. Unschlüssig sah er General und Profesor an, die er als die einzigen Autoritäten hier anerkannte oder wenigstens anzuerkennen gewillt war, weil ihm ja keine andere Wahl blieb.
Jedoch sowohl General als auch Profesor, Celso und die übrigen, die das Recht zu haben schienen, ernsthaft mitzureden, ließen sich in ihrer Unterhaltung nicht stören. Sie taten, als hätte keiner von ihnen gehört, was Agapito gesagt hatte.
Als nun der Divisionario keine Miene machte, seinen Rock auszuziehen, und offenbar darauf wartete, dass General etwas dazu sagen solle, stieß ihn Agapito mit dem nackten Fuß so heftig in die Rippen, dass der Divisionario umkippte. »Hast doch gehört, was ich dir gesagt habe?« rief Agapito. »Die Lumpen runter, und rasch dabei.«
Der Divisionario raffte sich nun auf und wurde wütend. »Du Hund von einem verlausten Indianer willst hier einem General etwas befehlen. Das Fell lass ich dir abziehen für deine Frechheit.«
»Rede kein ausgedroschenes Bohnenstroh«, erwiderte Agapito, ohne sich über den Wutausbruch des Divisionarios auch nur im geringsten aufzuhalten. Mit kräftigen Armen riss er den Divisionario hoch, winkte einige der herumstehenden Muchachos näher, und eine Viertelminute später stand der Divisionario vor den Muchachos in einer heftig verdreckten grünen Unterhose, die ihm bis an die Knie reichte.
Erst jetzt schienen die Muchachos, die mit General plauderten, den Vorfall zu bemerken. General betrachtete sich den Haufen von Kleidungsstücken. Er ging darauf zu, hob jedes einzelne Stück hoch mit einer Hand und schätzte es ab, als ob es ihm ein Altkleider-Händler zum Kaufe anbieten wolle.
»Also diese Fetzen«, sagte er endlich und sehr geringschätzig, »also solche Fetzen mit blanken Knöpfen und einem goldenen Adler auf den Schultern machen einen großen General.«
Die Muchachos lachten laut auf und sahen den Divisionario an, der gegenüber so vielen höhnischen Gesichtern zusammenschrumpfte, nachdem er für einige Sekunden versucht hatte, sich wild zu gebärden.
Es fröstelte ihn. Er kroch näher zum Feuer und kroch eng in sich zusammen. Es war nicht allein die Kühle des regnerischen Nachmittags, die ihn so frösteln ließ. Es war vielmehr die Ungewissheit seines Schicksals, die ihn aus seiner Würde brachte, und erst recht noch die Unbehaglichkeit, dass er, ein Gefangener, erdulden musste, was diese Burschen an ihm verübten. Er hätte es zehnmal vorgezogen, mit seiner Uniform auf dem Leibe, und stolz und würdig dastehend, von den Muchachos füsiliert zu werden, als jetzt, angetan nur mit einer kurzen Unterhose, die auch noch sehr dreckig war, von den Muchachos verlacht zu werden.
»So, was bist du denn nun?« fragte ihn Profesor. »Sowie du da jetzt hockst, selbst El Caudillo würde dich nicht für einen General halten. Und wenn du so, wie du jetzt aussiehst, vor deine Division hintrittst, auch nicht einer wird >Atencion!< schreien. Du musst schon recht nahe herangehen, damit dich der eine oder der andere erkennt, und dann vielleicht sagt: >Oh, Dios mio, das ist ja unser Divisionario, wie sieht denn der aus!< Ohne Uniform siehst du ganz erbärmlich aus, Divisionario, das muss ich dir schon sagen. Bei dir ist es nur die Uniform, die dich zu einem General macht; denn wärest du wirklich ein General, dann stündest du jetzt nicht hier nackt vor uns in deiner ganzen Winzigkeit, sondern wir wären deine Gefangenen, und du ließest uns alle eingraben.«
Arcadio nickte bestätigend und sagte: »Was Profesor gesagt hat, ist richtig. Hier, sieh dir einmal unsern General an, den wir haben. Der hat keine so schöne Uniform, wie du hast, er hat überhaupt keine Uniform. Die beiden Ledergamaschen, die er an seinen Knochen trägt, sind beide rechts, weil ein anderer die beiden linken hat, oder die beiden linken sind zweien deiner Offiziere auf den Stelzen geblieben, als sie abstelzten.«
»No, Arcadio«, unterbrach ihn General, »so ist das nicht. Die beiden linken waren so zerschossen, dass ich sie nicht gebrauchen konnte, darum habe ich nur die rechten.«
»Du betrachtest natürlich unsern General nicht als einen richtigen General Divisionario, nicht wahr?« fragte Celso. »Und du denkst, er sei kein richtiger General, weil er keine so schöne Uniform anhat wie du. Aber wir brauchen keine Uniformen. Wir brauchen auch keine Fahnen und andere Lappen, um marschieren zu können, wie ihr sie benötigt, um Mut zu bekommen. Wir haben Mut ohne Fahnen und ohne Trommeln und Pauken, und wir wissen immer, wohin wir gehören und wo unser Bataillon steht.
Wir brauchen auch keine Streifen auf den Ärmeln und keine Sterne oder Adler auf den Schultern, um Federales und Rurales abzuschlachten. Wir wissen, was wir wollen. jeder einzelne von uns weiß, was er will. Ihr und alle eure Soldaten müssen für jede Stunde am Tage kommandiert werden, damit sie wissen, was ihr wollt; denn keiner weiß selbst, was er will. Ihr uniformierten Soldaten seid wie Schafe, die hin und her rennen, wenn der Schäfer sie mit Dreckklumpen beschmeißt oder wenn er ihnen die Hunde in die Beine jagt.«
»Richtig gesagt«, mischte sich Profesor wieder ein, »ganz richtig gesagt, Manito. Das ist der Grund, warum wir die Revolution gewinnen. Ihr verliert, und wir gewinnen, auch wenn die Revolution fünf Jahre oder zehn dauern sollte; denn wir alle wissen, was wir wollen, und eure Schafe wissen das nicht, weil ihr es ihnen nicht erlaubt, dass sie selbst etwas wollen oder selbst etwas für sich denken. Wenn du frierst, Divisionario, komme nur ruhig näher heran zum Feuer. Wir fressen dich nicht auf. Wenigstens jetzt noch nicht.«
2
General bückte sich, hob den Uniformrock des Divisionarios auf, hielt ihn hoch in die Höhe und rief:
»He, Muchachos, wer von euch will eine gute Jacke haben?«
Ein Muchacho, der ein ganz und gar zerrissenes Hemd trug und eine zerlöcherte Hose, rief: »Ich kann die Jacke gebrauchen. Nachts, wenn ich auf Wache bin, ist es verdammt kalt.«
General schleuderte sie ihm zu. Der Bursche fing den Rock auf und zog ihn sofort an. Er knöpfte ihn zu und fand ihn zu weit. »Das macht nichts«, lachte er, »die nächste Hacienda, die wir nehmen, wird das Futter liefern, da werde ich mich so dick anfressen, dass mir der Rock von diesem Hurenbock schon gut passen soll.«
»Lass die Adler ruhig auf den Schultern sitzen«, rief Celso dem Muchacho zu, »von uns wird dich ja doch keiner für einen General halten.«
Profesor lachte. »Ja, Esteban, lass die Adler ruhig da hocken, die sehen schön aus. Wenn du nun eines Tages nach Jovel kommst und gehst an der Kaserne vorüber, da springt die ganze Wache ins Gewehr. Du kannst reingehen in die Kaserne und das ganze Regiment abmarschieren lassen, wohin du willst, und hier herbringen mit allen Kanonen und Patronen. Es sieht dir kein Soldat ins Gesicht, da brauchst du keine Angst zu haben. Die sehen nur auf deine Schultern, und wenn sie da drei Sterne sehen oder gar den Adler, da verlieren sie jeden Verstand und werden eine Maschine. Die Maschine brauchst du nur anzuschreien, und da rennt sie los, mitten in einen See hinein, wenn du sie rennen lässt. Jeder Esel kann die Maschine rennen lassen, wenn er sich nur einen Adler oder ein paar Sterne auf die Schultern klebt. Das glaubst du freilich nicht, aber es ist so.«
»Und wer will die Pantalones haben, die Hose? Sie hat einen Hintern aus weichem Leder«, setzte General hinzu, als er die
Hose hoch hielt, um sie gleichfalls zu verteilen.
»Gib sie schon her«, antwortete Cecilio. Mit einem Ruck zog er sich den Fetzen aus, den er als Hose trug, und zog sich die elegante Hose des Divisionarios an. Als er dann aufstand und an der Hose herumstrich, zu sehen, wie sie ihm passte, sagte er: »Da fehlt unten ein Stück, wo ist denn das?«
Die Muchachos lachten. Einer rief: »Die sind nicht länger, die Pantalones, die so ein Hurensohn von einem General trägt. Siehst du denn da unten nicht die Knöpfe? Die sind dazu da, damit diese Caballeros sich unten die Hose zuknöpfen können.«
Und ein anderer sagte: »Das ist sehr nötig für diese Offiziere, weißt du, Cecilio, dass sie die Hosen unten zuknöpfen können. Dann sieht man nicht, wenn ihnen die Drecksuppe unten rausrennt, weil sie sich vor Angst vollgemacht haben. Das geht ihnen immer so, wenn sie gegen uns Rebellen geschickt werden, und wir haben Karabiner und Maschinengewehre. Nur wenn wir gar nichts in den Händen haben, nur Machetes, oder gar nur Knüppel, dann haben sie einen Mut wie hungrige Löwen.«
3
Der Divisionario wusste nicht, was er mit sich selbst machen sollte. Alles, was hier geredet, gehöhnt und gelacht wurde, ging auf seine Kosten. So unwürdig, so entblößt aller seiner erlauchten Hoheit, so unwichtig erschien er sich selbst, dass er nicht einmal mehr vermochte, sich zu bemitleiden. Hätte er seinen Automatic zur Hand gehabt, so würde er ein Ende im Augenblick herbeigeführt haben. Als er das dachte, kam ihm aber eine andere Idee, dass er sich nicht erschießen würde, sondern er würde ihn bis auf den letzten Schuss auf die Muchachos abfeuern und wohl darauf achten, dass General den ersten gutgezielten Treffer erhalte. In dem Hin- und herwandern seiner Gedanken verfiel er darauf, sich einen anderen Ausweg vorzustellen, den er vielleicht erfolgreich versuchen könnte: Aufspringen und einfach davonlaufen. Vielleicht würde es glücken, dass einer der Muchachos hinter ihm herknallte und ihn niederstreckte, wodurch dann alle Entwürdigungen und Beschämungen, die er erduldete und wahrscheinlich noch weiter zu erdulden haben würde, mit einem Schlag zu Ende kämen. Er erhob sich schon in den Knien und stützte beide Hände auf den Boden, um einen guten Ansprung zu nehmen. Aber da bemerkte er, dass er nur die kurzen Unterhosen an hatte und keine Stiefel, sondern nur zerlöcherte Strümpfe an den Füßen. In Strümpfen hätte er auf diesem Boden nur sehr schlecht laufen können, und mit einer Hand hätte er die Unterhose festhalten müssen, damit sie ihm nicht ganz runterrutschte. Als er sich das ausmalte, wusste er, dass in der Kleidung, in der er sich befand, und unter den Umständen, unter denen er hätte rennen müssen, er sich so unglaublich lächerlich gemacht haben würde, dass dem gegenüber die gegenwärtige Beschämung seiner Person noch erträglich erschien, um so mehr, weil er diese Entwürdigung nicht hervorgerufen hatte und auch nicht verhindern konnte, während er durch ein Fortrennen sich selbst beschämte und entwürdigte. So blieb er sitzen und wartete auf sein Todesurteil, das, wie er wusste, in dieser selben Stunde noch gefällt werden würde.
4
Es kamen jetzt die Muchachos zurück, die den Leutnant abgeführt hatten, und meldeten: »General, er hängt.«
»Gut«, erwiderte General, »wenn er lange genug gehangen hat, dann geht hin und bringt mir den Lasso wieder. Wir brauchen ihn hier für unsern Nachbar, den General de Division. Wir können es uns nicht leisten, dass wir für jeden Offizier einen neuen Strick nehmen. So reichlich haben wir es nicht, und Zeit, ihn mit Steinen totzuschmeißen, haben wir auch nicht. Was denkst du, Divisionario?«
»Ihr könnt mir doch wohl auch das winzige Stückchen Ehre gönnen, mich zu erschießen. Mehr als eine Kugel braucht ihr nicht auf mich verschwenden.« Der Divisionario versuchte, sich zu einem Lachen aufzuraffen; aber es verrutschte ihm und blieb kleben in einer Falte, die sich von dem linken Mundwinkel zur äußersten Ecke des unteren Kinnbackens zog.
Der Muchacho, der die Hose des Divisionarios erhalten hatte, warf seine zerlöcherte und zerfetzte herüber, dem Divisionario vor die Füße.
»Die darf ich mir ja wohl anziehen?« fragte der Divisionario.
»Natürlich«, sagte Celso. »Wir sind viel zu anständig. Wir lassen niemand, nicht einmal einen Divisionsgeneral, immer und ewig in seinen dreckigen Unterhosen herumlaufen. Was würden unsere Frauen hier denken? Man könnte gar noch glauben, wir seien eine unmoralische Horde wilder Indianer.«
Er wandte sich um und rief hinüber zu einer Gruppe: »Wer von euch hat ein altes Hemd übrig hierfür unsern Gast? Ihr habt heute genug neue Hemden gekriegt, die uns die Uniformados hergebracht haben aus reiner Liebe für uns und zu unserer großen Freude. Los, her mit einem Hemd, wenn es auch nur ein Fetzen sein sollte. Wir geben gern den Armen und Nackten von dem, was wir entbehren können.«
Ein gelbes zerlöchertes Baumwollhemd, das nach Schweiß stank wie die Pest, flog herbei, von irgendwoher. Celso fing es auf.
»So, da hast du nun auch ein Hemdchen, Divisionario«, sagte Celso, ihm den Fetzen zuwerfend. »Du sollst nicht etwa denken, dass wir nicht wissen, wie Gäste, die uns besuchen kommen, behandelt werden müssen, wenn es auch Gäste sein sollten, die wir nicht eingeladen haben.«
Wieder rief er hinaus: »Hat jemand ein Paar abgetretene Huaraches, die er nicht mehr gebrauchen kann? Her damit.«
Ein paar alte Sandalen kamen durch die Luft gesaust. Sie fielen vor dem Divisionario hin, der sich bemühte, das zerfetzte Hemd über seinen fetten Körper zu zerren.
Ein Muchacho schob mit einem Fuße die Sandalen dichter zu dem Divisionario. »Da sind die Reitstiefel für dich, Divisionario, damit du dir keine Dornen in deine zierlichen Füßchen eintrittst«, sagte er, seiner Stimme einen schmeichelnden Ton gebend. Gleich darauf aber änderte er den weichen Ton und sagte roh und halb schreiend: »Um uns hat sich nie jemand bekümmert, ob wir uns Dornen eintraten oder auf giftige Skorpione traten oder uns die nackten Füße an spitzen Steinen blutig rissen. Wir aber sind nicht so schamlos, wie du glaubst, Divisionario. Wir sind hochanständige Menschen. Wir wissen, wie es tut, wenn man sich Dornen drei Zoll weit in die Füße rennt, so dass die Spitze oben hindurch kommt.«
5
»Nun könnten wir uns einmal das Lager ansehen, was die Muchachos tun und was sie in ihren Schüsseln und Pfannen haben für das Abendessen«, sagte General, während er dabei aufstand. Alle Muchachos, die zum Stab gehörten, folgten ihm.
Als sie ein Stück gegangen waren, drehte sich General um und rief zurück: »He, Divisionario, du gehst natürlich mit uns. Komm, komm, oder wir helfen dir auf die Beine.«
Der Divisionario kam, unwillig genug, dass er einem Befehl dieses verlausten Dreckschweines folgen musste, weil, wäre er nicht gefolgt, er sicher verprügelt worden wäre. Und das wollte er doch vermeiden.
Die Gruppe schlenderte durch das Camp.
»Wir haben hier ein ganz vorzügliches Lager«, sagte General beiläufig.
»Das ist wahr«, bestätigte der Divisionario. »Dieses Camp, geschickt besetzt und zur Prärie hin mit einigen Gräben ausgeworfen, ist nicht leicht zu nehmen von einer Truppe, die das Gelände nicht kennt und nicht weiß, wie es besetzt und befestigt ist. Ich könnte das Camp mit zwei Bataillonen gegen eine ganze Division halten, monatelang kann ich wohl sagen.«
»Das freut mich, Divisionario, das von dir bestätigt zu finden.«
General nickte, offenbar befriedigt. »Ich habe dieses Camp selbst ausgesucht und zum Lager bestimmt, weil wir für eine gute lange Zeit hin Ruhe benötigen. Wir sind runter mit unsern Kräften, und wir müssen auch Munition sparen. So sehr dick haben wir es nicht. Ich kann dir das ja ruhig erzählen, weil du keinen Gebrauch davon machen kannst. Denn in einer Stunde etwa werden wir dich ja wohl endlich ins Jenseits abschieben müssen, so leid es uns auch tut, einen so vornehmen Gast, wie du bist, zu verlieren, und noch dazu so plötzlich.«
Sie gingen weiter, nach dieser Richtung hin und nach jener. General zeigte dem Divisionario ein Maschinengewehrnest und ließ ihn sehen, dass die Munition wirklich nicht reichlich war. Scheinbar. Denn die großen Lager an Munition und an überzähligen Waffen waren gut versteckt.
»Hast du in Balun Canan Geschütze, Divisionario?« fragte General, ohne ihn dabei anzusehen.
»Sechs haben wir. Leichte. Fünfundsiebziger. Und das kann ich dir sagen, wenn wir nur drei heute hier gehabt hätten, dann wäre nicht ein Stumpf von euch übrig geblieben.«
»Vielleicht. Wer weiß. Das kommt vor. Ich hoffe auf alle Fälle, dass dein Brigadier oder einer deiner Coronels, wenn er das nächste Mal kommt, um uns endlich unsern Ursch zu versohlen, nicht nur drei, sondern alle sechs Geschütze mitbringt, oder ich würde es ihm sehr übel nehmen. Kannst du ihm schreiben, wenn du willst. Ich gebe dir ein Stück Papier. Wir könnten die Geschütze gut gebrauchen. Auch ein paar Kanoniere dazu, die uns zeigen, wie diese Dinger behandelt werden müssen. Ich bin sicher, es sind Geschütze, die auseinander genommen werden können und auf Mules verladen.«
»Das können sie freilich«, erwiderte der Divisionario. »Aber darüber mach dir die wenigste Sorge, Muchacho, ob sie verladen werden können oder nicht. Wäre ich hier nicht ein so elender Gefangener, ich würde dir auf mein Wort versprechen, dass du die Geschütze wohl zu sehen bekommen solltest. Aber nur die Mündungen, versteht sich.«
»Natürlich versteht sich das«, lachte General. »Schade, dass wir das alles nun nicht mehr ändern können. Du hast zuviel hier gesehen. Kennst jetzt das Lager zu gut. Freilich, ich kann es ja wieder verlegen. Oder ich komme euch auf einem anderen Wege entgegen. Wirklich, wenn ich darüber nachdenke,
Divisionario, ich könnte mich beinahe verleiten lassen, dich frei gehen zu lassen. Nein, nein, rede mir nicht drein. Es ist in der Tat so, ich möchte dich gern der glorreichen Armee des El Caudillo zum Geschenk machen. So eine Art Gegengeschenk, weißt du, für die vielen schönen Karabiner, Revolver und Maschinengewehre mit allem Zubehör, die du mir in so freundschaftlicher Weise geschenkt hast.
Ich denke wirklich ganz ernsthaft darüber nach, dich laufen zu lassen, wie du da bist. Wäre es auch nur, damit du das nächste Mal deine Geschütze alle mitbringst und nun endlich einmal mit uns ein Ende machst. Unter uns gesagt, Divisionario, wir sind es leid. Richtig leid. Die ganze Geschichte. Die Muchachos wollen alle heim. Auch ich möchte heim. So, wenn du dann die Geschütze mitbringen wolltest, dann würde das nicht lange dauern, und wir hätten einen guten Grund, alle wegzurennen. Munition ist knapp, wie du gesehen hast, zu knapp, als dass wir noch lange aushalten können.«
Der Divisionario nickte mehrere Male. Es war aber ersichtlich, dass er nur halb hinhörte. In seinen Gedanken arbeitete er einen Plan aus. Der Plan verwirrte sich aber in ihm, weil er zwei Pläne hatte und er beide Pläne fortgesetzt miteinander verwechselte. Einmal dachte er daran, ob es nicht vielleicht doch noch möglich sein könnte, irgendwie zu entkommen. Dann wieder ließ ihn der Soldat, der er war, nicht zur Ruhe kommen. Er arbeitete Angriffspläne und Überrumpelungsmanöver aus hinsichtlich der Art, wie er dieses Lager überwältigen könnte, vorausgesetzt, es würde ihm, eine Möglichkeit geboten, sein Hauptquartier zu erreichen. Endlich jedoch wurden seine hin und her wehenden Gedanken hart unterbrochen dadurch, dass General plötzlich ganz kurz sagte: »Muchachos, bringt ihn zurück zum Stabsfeuer.«
6
General ließ die drei Muchachos rufen, die den Leutnant aufgehängt hatte: Sie kamen zum großen Feuer. General nahm sie beiseite und sprach lange mit ihnen. Aus den Gesten der Muchachos ließ sich erkennen, dass General sich durch Fragen und Antworten vergewisserte, ob sie auch alles richtig verstanden hätten.
Sie entfernten sich endlich und kamen nach einiger Zeit zurück zum Stabsfeuer. Der eine von ihnen trug jetzt über der linken Schulter einen Lasso, der von trockenem Schlamm verdreckt war. Sie standen eine Weile da, auf weitere Befehle wartend.
Als General sie erblickte, wandte er sich an seinen Ehrengast und sagte: »Wie ich zu meinem Bedauern sehe, Divisionario, bist du nun willens, uns zu verlassen, um deinem Leutnant nachzufolgen, der schon weit voran ist. Es ist in mancher Hinsicht schade, dass wir uns nicht länger mehr mit dir beschäftigen können. Siehst du, Brüderchen, es wird auf die Dauer langweilig, miteinander herumzuspielen. Wir hätten dich gleich bei der Überraschung auf dem Hügel, von dem aus du die große Schlacht lenktest, auf eine Machete spießen sollen. Aber siehst du, es kommt so selten vor, dass uns ein richtiger Divisionsgeneral besucht. Und wie wir nun schon beschaffen sind, wir sind so sehr begierig, uns aristokratische Umgangsformen anzugewöhnen, und die können wir nur von unsern aristokratischen Besuchern lernen. Einer von uns kann vielleicht eines guten Tages Gouverneur sein, und wenn zu ihm der englische Gesandte kommen sollte, kann er doch nicht gut zu ihm sagen: >Ay, que chingue a tu madre, cabron!< Denkst du nicht auch so, Divisionario!«
Er wandte sich um und rief: »He, wer hat die Hüftflasche unseres Gastes, du? Gib sie dem Caballero wieder.«
Der Muchacho reichte sie dem Divisionario hin. General lachte. »Sag danke, Divisionario. Du wirst jeden Schluck dieser Flasche benötigen innerhalb der nächsten halben Stunde.«
»Dafür kann ich ja wohl wirklich >Gracias< sagen. Gracias!«
»No hay porque. Keine Ursache, gern geschehen.«
Der Divisionario nahm einen kräftigen Schluck und ließ die Flasche in einer Tasche der zerlumpten Baumwollhose, die er jetzt trug, verschwinden. Die Hose war ihm so eng, dass sie an den Beinen aufzuplatzen begonnen hatte. Am Leib klaffte sie mehrere Zoll weit auseinander, und sie hielt nur zusammen mit Hilfe des Bindfadens, den der Divisionario fest herumgeschnürt hatte.
»Hast du Zigaretten auf deinen Weg, Divisionario? Unsere Gäste sollen uns nicht nachreden, dass wir sie in die dürre Wüste gehen lassen ohne kleine Gaben der Freundschaft. Freilich, was wir rauchen, Divisionario, wird deinem Magen nicht bekommen.«
Er wandte sich wieder um und rief: »He, Muchachos, wer hat denn das goldene Zigarettenetui unseres guten Divisionarios?«
Die Muchachos sahen sich an. Dann rief einer: »Hier ist es, General. Hier in der Tasche des Rockes, den ich anhabe. Das habe ich erst jetzt gefühlt, was es ist. Und hier ist auch sein elegantes Feuerzeug. Verflucht! Das ist wirklich elegant. Ich kann keinen Funken rauskriegen.«
General öffnete das Etui, überzählte die Zigaretten und sagte, den Behälter dem Divisionario hinreichend:
»Damit kommst du genügend aus, Divisionario, für die nächste Stunde. Später wird es deinen Lungen an Bewegungsfreiheit fehlen, mehr zu benötigen.«
»Gracias!« sagte der Divisionario wieder, das Etui annehmend. General nickte nun und grinste. »Das wäre ja wohl alles, Divisionario. Vielen Dank für den Besuch. Adios, adiosito, Divisionario, es war mir eine Freude, dich kennen zu lernen.
Adios. Vaya bien!« Die drei Muchachos, die den Divisionario begleiten sollten, kamen auf den Divisionario zu. Der Divisionario ging einige Schritte voraus.
Dann blieb er stehen, drehte sich um und rief: »Aber du bist doch ein verlauster dreckiger Hund von einer stinkenden Indianerin im Schlamm zur Welt gebracht. Das wollte ich dich doch zu guter Letzt noch wissen lassen, was ich von dir denke, ehe ich abgeschickt werde.“
»Und das nennt er aristokratische Höflichkeit«, rief General mit einem hellen Gelächter ihm nach.
»Wir haben ihn gefüttert, wir haben ihn gekleidet, wir haben ihn zu seiner Verdauung spazieren geführt, wir haben ihm eine wunderschöne Kristallflasche mit feinstem Cognac zum Geschenk gemacht, wir haben ihm ein schwergoldenes Etui, gefüllt mit importierten Zigaretten, mit auf den Weg gegeben, und nun schreit er uns zum Abschied eine Saugemeinheit ins Gesicht. Das ist die Höflichkeit von Divisionsgeneralen. Nicht einmal danke hat er für die Tortillas und die Frijoles gesagt, die wir ihm gaben, um ihn von einem bitteren Hungertode zu retten. Aber so geht es zu in der Welt, und wir müssen uns trösten mit dem, was wir haben.«
Alles dies rief General mit Lachen. Nun änderte er die Stimme und schrie hinter den Burschen, die den Divisionario abführten, her: »Gebt dem alten Schitter fünf Minuten, damit er beten kann und seine Rechnung begleichen. Führt ihn weit genug hinaus, damit er uns nicht das Lager verpestet. Morgen wissen wir, wer mehr stinkt, ein Divisionario oder ein indianischer Rebell. Also weit raus, sechs Kilometer wenigstens, versteht ihr, Muchachos!«
»Seguro, General, sicher«, riefen die Burschen zurück und stießen den Divisionario in die Rippen, damit er sich rascher bewegen möge.
7
Als die Muchachos mit dem Divisionario nun auf dem Wege waren und weit genug vom Camp, blieben sie stehen.
Einer von ihnen sagte:»Wir haben ja alle keine große Eile, nicht wahr, Divisionario. Warum sollen wir uns also hier nicht hinsetzen und eine Zigarette drehen.«
»Wollt ihr eine von meinen Zigaretten kosten? Sie kommen von Ägypten.«
»Mag sein. Vielleicht sind sie gut. Aber wir rauchen unsere mit größerem Vergnügen. Gracias.«
Der Divisionario zog seine Hüftflasche und tat einen sehr kleinen Schluck. Dann rieb er seinen Daumen quietschend gegen die Flasche und reichte die Flasche dem Muchacho zu, der ihm am nächsten saß.
»Nimm dir einen, Muchacho«, sagte er vertraulich. »Deine beiden companeros mögen auch einen nehmen. Es bleibt mir immer noch genug in der Flasche.«
»Ich werde lieber keinen nehmen, Senor General, denn wenn unser Jefe mein Maul riecht und findet, dass ich nach Aguardiente stinke, dann haut er mir eins in die Fresse. Ist das nicht so, companeros?«
»Es ist viel schlimmer«, erwiderte einer der beiden, »er schießt uns glatt ein Stück Blei in den Magen, wenn wir nach Aguardiente stinken.«
Der Divisionario fing die Anrede >Senor General< sofort auf, denn seit seiner Gefangennahme hatte er sie nicht mehr vernommen. Sie tat ihm wohl, so wohl wie einem Zuchthäusler die Mitteilung tut, dass er entlassen wird, weil sich endlich herausgestellt hat, dass er unschuldig verurteilt worden sei und nun eine öffentliche Ehrenerklärung erhalten werde.
»Euer Jefe ist gewiss ein ganz strenger Tyrann, der keinem
Muchacho auch nur die geringste Freude gönnt«, sagte lauernd der Divisionario.
»Das ist er freilich. Aber was können wir machen, er hat die Gewalt über uns.«
»Und was habt ihr überhaupt hier zu erwarten, Muchachos? Er und Profesor heulen euch jeden Tag hundertmal vor >Tierra y Libertad<. Aber wenn alle Erde zerstört ist, wo könnt ihr denn da Erde haben?«
»Das ist richtig, Senor General. Daran haben wir nie gedacht.«
»Und ich kann euch auch noch etwas anderes sagen, Muchachos. Augenblicklich seid ihr ja im Vorteil. Aber das dauert nicht lange, und ganze Brigaden und gleich auch noch mit dreihundert Maschinengewehren und fünfhundert großen Kanonen werden gegen euch geschickt, und es bleibt auch nicht einmal ein Haarbüschel von euch übrig. Was macht ihr dann mit eurer Tierra y Libertad, wenn ihr alle tot seid?«
»Ja, was machen wir dann, companeros?« fragte einer seine beiden Begleiter. »Der Senor General hat ganz recht. Aber was können wir machen?«
»Ihr seid alle drei gesunde und starke Burschen«, meinte nun der Divisionario. »Ich könnte euch wohl gut als Soldaten gebrauchen, mit voller Kriegslöhnung. Das ist eine Menge Geld. Und wenn ihr dann drei Jahre oder fünf gedient habt, dann habt ihr so viel Geld, dass ihr euch gut irgendeinen Rancho kaufen könnt, der euch gefällt. Da könnt ihr in Frieden leben und euren Acker bestellen, und alles, was ihr verkauft, ist euer, und es kann euch niemand wegnehmen.«
»Der Senor General hat wirklich recht, companeros. Genau so, wie er sagt, geht es zu. Aber was machen wir denn nur?«
»Ich werde euch etwas sagen, Muchachos. Wie heißt ihr denn? So. Gut. Die Namen werde ich mir merken. Und nun hört gut her. Warum müsst ihr mich denn hier aufhängen? Das ist
Mord. Und es ist eine große Sünde. Da könnt ihr jeden Cura fragen. Und ihr kommt dafür nicht in den Himmel, sondern in die Hölle. Warum wollt ihr denn alle in die Hölle kommen, wenn euch der Himmel offen steht? Ich bin ein alter Mann und lebe nicht mehr lange, das könnt ihr sehen. Ich werde euch etwas sagen. Ihr bringt mich zum nächsten kleinen Rancho, wo ich ein Pferd borgen kann und zurückreiten und in Frieden den Rest meines Lebens verbringen. Dann geht ihr zurück zum Lager und erzählt eurem Jefe, dass ich gut aufgehängt bin und dass mir die Zunge einen halben Meter weit aus dem Munde hängt. Ihr müsst wieder zurück zum Camp, sonst wird das verdächtig, und euer Jefe schickt ein paar Muchachos auf Pferden hinter uns her. Sonst könnte ich euch gleich mitnehmen, und gleich morgen könntet ihr Soldaten sein.« Die Muchachos hörten mit aller Aufmerksamkeit zu.
»Aber es ist besser, ihr geht zurück und sagt, dass ich aufgehängt bin. Dann schickt euer Jefe niemand hinter mir her. Dann, morgen oder übermorgen, schleicht ihr euch davon und kommt in unser Hauptlager. Und da werde ich jedem von euch hundert Pesos geben.«
»Hundert Pesos, Senor General?« fragten die Muchachos ungläubig.
»Jedem von euch einhundert silberne Pesos. Und wenn ihr wollt, könnt ihr Soldaten noch obendrein werden. Aber wenn ihr keine Soldaten werden wollt, dann mögt ihr jeder eure hundert Pesos nehmen und damit heimgehen zu euren Dörfern. Ich schreibe euch auch noch einen Brief für eure Gemeinde, dass ihr gute Leute seid und dass euch niemand in das Gefängnis stecken darf, weil ihr rebelliert habt. Denn alle andern Rebellen werden füsiliert. Aber ihr nicht.«
»Was sagst du dazu?« fragte einer den andern. Und jeder antwortete: »Ich bin damit einverstanden.«
Der schlaueste der drei aber sagte: »Senor General, es ist aber besser, wenn Sie uns vielleicht ein Papier gleich jetzt geben, damit wir auch die hundert Pesos wirklich bekommen.«
»Freilich, freilich«, antwortete der Divisionario, »das ist nur recht, dass ich euch einen Zettel schreibe. Aber ich habe kein Papier. Auch keinen Bleistift. Das ist alles in meinem Rock und in meiner Hose geblieben. Ich habe nur meine Zigaretten und die Flasche noch retten können. Habt ihr denn zu einem General kein Vertrauen, Muchachos?«
»Wir sind sooft von allen Leuten, Generalen oder nicht Generalen, betrogen worden«, sagte einer, »dass wir zu niemand mehr Vertrauen haben können. Aber wir wollen es diesmal tun, Senor General«
»Ihr werdet nicht enttäuscht werden, Muchachos.« Der Divisionario erhob sich und fügte hinzu: »Dann lasst uns nun gehen, damit es nicht zu spät wird. Es ist ja bereits Nacht.«
»Keine Sorge, Senor General, wir kennen den Weg auch in der Nacht. Wir haben hier Außenposten gehabt.«
8
Sie marschierten etwa eine Viertelstunde. Der Pfad war schlecht, bald steinig, bald morastig, bald dick mit Untergestrüpp bewachsen. Der Mond kam langsam herauf, wurde sichtbar, leuchtete den Weg auf und verschwand hinter zerrissenen schwarzen Wolken, um nach einigen Minuten wieder hervorzukommen und dann abermals zu verschwinden. Der Divisionario stöhnte. Sein Gang wurde schwerfällig und müde. Seit drei Uhr morgens war er auf den Beinen. Was er an diesem unendlich lang erscheinenden Tage erlitten hatte, abgesehen von der verlorenen Schlacht, würde selbst einem jungen Mann am Ende eines solchen Tages alle Kraft aus den Beinen rauben.
Der Weg öffnete sich nun in eine Lichtung. Der Divisionario erblickte einen großen Stein, ging darauf zu, setzte sich schweratmend darauf nieder und sagte: »Muchachos, ich vermute, ich kann nicht mehr weiter. Ich werde wohl hier die Nacht verbringen müssen.«
»Dann wird Sie wohl gleich am frühen Morgen unser Jefe hier abholen kommen, Senor General«, sagte einer der Burschen.
»Das wird wohl so sein. Das wird wohl ganz gewiss so sein. Was kann ich tun?« Er wischte sich mit dem schmutzigen Ärmel des zerfetzten Hemdes, das er auf dem Leibe trug, Gesicht und Stirn ab.
Er zündete eine neue Zigarette an. Der halbe Mond wurde wieder für einige Minuten sichtbar. Der Divisionario, an seiner Zigarette paffend, sah sich um, bald nach dieser Seite, bald nach jener. Wohin er blickte, sah er die schwarzen Wände des Busches. Nur die Lichtung war offen und klar, mit helleren Flecken niedriger Grasbüschel und mit dunkeln Flecken, verursacht von den Schatten jener besenartigen Grasbüschel.
In der weiten Ferne, in der Richtung hin, wo Balun Canan lag, das Standquartier seiner Division, flatterten hin und wieder die Flügel eines Wetterleuchtens über den schwarzen Nachthimmel hin.
>Hauptquartier der Division<, dachte der Divisionario. >Wie gut und wohlig, dort jetzt sein zu können. Im Kasino sitzen, eine Batterie von Flaschen guten Bieres zur Seite, Domino spielend mit Mayor Fernandez oder mit Capitan Munguia. Capitan Munguia, verflucht, nicht einen Hundeschitt wert als Soldat, keinen alten Lappen wert als Caballero. Aber in der Not kann man ihn herbeirufen zu einer Partie Domino. Kommt immer. Der Kriecher. < Der Divisionario tat einen tiefen Zug an seiner Zigarette. Sie glimmte weißleuchtend auf.
»Dios mio, heiliger Gott im Himmel!« rief er in lautem Ton, und mit einem Ruck schnellte er hoch von dem Stein, auf dem er gesessen hatte. Er warf die Zigarette fort.
»Heilige Maria Mutter Gottes, Madre Santisima, daran habe ich nicht gedacht. Daran habe ich, verflucht, nicht gedacht.« Er sagte das laut, seine Stimme angefüllt von unerhört heftigem Schrecken.
Ohne die Absicht dazu gehabt zu haben, ließ er sich wieder auf den Stein zurückfallen. Er ließ seine Augen an den schwarzen Wänden des Busches entlangstreifen, nach rechts und links, nach links und rechts, stetig und gleichmäßig, als bewege sich sein Kopf von selbst. Dabei beugte er den Oberkörper auf und nieder. Plötzlich und mit einem entschiedenen Ruck hielt er in diesen Bewegungen inne und stieß ein kurzes hartes Lachen hervor.
»Also das ist es, was er mir anzutun beschlossen hat. Also das. Ich hätte ihm nicht zugetraut, niemals zugetraut, dass er so etwas Niederträchtiges zu erfinden imstande gewesen sein sollte. Gracias, o dios mio, Dank dir, o Gott, dass ich das rechtzeitig erkannte.«
Wie von einer Last befreit, atmete er auf. Er nahm eine neue Zigarette hervor und blies einige Wolken von Rauch vor sich hin. Die Muchachos äußerten mit keinem Wort und keiner Gebärde, dass sie sich auch nur das Geringste daraus machten, ob der Divisionario Krampfanfälle bekam oder etwa einen unwiderstehlichen Drang offenbarte, auf dieser Lichtung wie ein Faun in der Mondnacht herumzuspringen.
Als hätte er die Muchachos, die sich auf dem Prärieboden ausgestreckt hatten, ohne sich jedoch weit von ihm zu entfernen, völlig vergessen, sprach der Divisionario laut zu sich und in einer Weise, als spräche er vor versammelten Offizieren, um ihnen eine bestimmte Situation klarzumachen. Während er sprach, paffte er gewohnheitsgemäß an seiner Zigarette.
»Was, zur Hölle, kann ich denn sagen, wenn ich da ankomme im Hauptquartier? Da stehen sie alle herum und stieren mich an. Ich komme allein, ganz allein komme ich zurück, heil und gesund, ohne einen Kratzer im Gesicht. Nicht ein Kilo meines Gewichts verloren. Und da komme ich an, verkleidet wie ein verwahrloster und verlauster Monteria-Indianer. Ohne Bataillon komme ich zurück. Kein Offizier kommt zurück. Kein Sergeant. Alle tot. Es kommen zwanzig blutende Berittene zurück, und ein paar kommen angehumpelt auf abgesattelten Maultieren. Aber ich, ich, General de Division, komme zurück, ohne Bataillon, ohne Waffe, in Lumpen, ohne Schramme im Gesicht, gesund und munter wie aus einem kurzen Manöver. Das hat er für mich ausgesucht. Darum schickt er mich ab mit diesen Burschen, die er beauftragt hat, sich von mir bestechen zu lassen. Die sich bestechen lassen? Die, die Leutnant Bailleres aufhängten, und die wissen, dass ich das weiß und gesehen habe. Die sich bestechen lassen?«
Er wandte sich an die Muchachos. »He, ihr, wollt ihr mir wohl etwas sagen, wenn ich euch verspreche, dass ich in einer halben Stunde nicht mehr am Leben bin?«
»Vielleicht, Senor General«, sagte einer, ohne aufzustehen.
»Ich habe gesehen, dass euer Jefe eine gute Weile mit euch sprach, allein mit euch sprach, ehe er euch abschickte.«
»Das tat unser Jefe.«
»Er hat euch gesagt, dass ihr mich frei gehen lassen sollt. Hat er das nicht gesagt?«
»Das ist unser Befehl. Und Sie, Senor General, mögen tun, was Sie wollen. Ob Sie in einer halben Stunde tot sind oder nicht, kümmert uns nicht. Wir sagen unserm Jefe, dass wir Ihnen gern berichtet hätten, was wir für einen Befehl gehabt hätten. Er hat uns sogar gesagt, dass wir Ihnen das erzählen möchten, ehe wir Sie verlassen.«
Der Divisionario begann zu grübeln. Automatisch zündete er eine neue Zigarette an. Dann nahm er einen kräftigen Schluck aus seiner Kristallflasche.
»Je näher ein Mensch seinem Ende ist, desto besser versteht er die Welt und die Menschen, und er sieht in das Innere alles Geschehens. Wer mag das wohl gesagt haben? Irgendwo las ich es. Da möchte er, dass ich zum Hauptquartier gelange, heil und gesund. Und da mag ich eine seltsame Geschichte erzählen, wie ich mich aus deren Gefangenschaft befreite. Und da stehen Sie nun, Caballeros, und blicken mich ungläubig an. Glauben Sie denn, dass ich lüge, ich, ein Divisionsgeneral? Warum sehen Sie mich denn so an, Coronel Arizmendi? Dass ich allein hier vor Ihnen stehe? Dass kein anderer Offizier entkam, nur ich? Dass nur eine Handvoll blutender, verstörter, halb wahnsinniger Leute entkommen konnten, sonst niemand, aber ich, der Divisionsgeneral, heil und gesund hier stehe? Freilich, Uniform, Geld, Uhr, Ringe, Revolver musste ich zurücklassen. Musste mich wie ein zerlumpter Indianer verkleiden, um heil und gesund hier herzukommen und in Sicherheit. Hören Sie, Mayor Maldonado, verflucht, was fällt Ihnen denn ein? Achtung! Warum kneifen Sie ein Auge zusammen? Können Sie denn Ihrem Divisionario nicht mehr offen in die Augen sehen? Was?
Was haben Sie denn ausgefressen, dass Sie mich ansehen mit einem Auge zugekniffen und die Lippen schief gezogen, als ob Sie grinsen wollten.
Achtung, meine Herren! Sie glauben doch nicht etwa gar - ja, Caballeros, was ist denn das? Sie glauben wirklich in der Tat, ich habe jenen indianische n Dreckschweinen mein Geld und meine Uniform und meinen Revolver gegeben, mich frei zu kaufen? Ich, General de Division Petronio Bringas? Ich? Gracias, Caballeros. Das wenigstens nenne ich Ehrlichkeit. Danke, meine Herren. Sie haben mein Urteil gesprochen. Da bleibt mir nun keine andere Wahl. Adios, Caballeros! Adios, camaradas y amigos!«
Der Divisionario schreckte auf. Er stand auf und rief gegen die schwarzen Wände des Busches gellend und immer gellender: »Adios! Adios, Caballeros! Adios! Adios!«
Er schrie es wohl hundertmal. Da wurde er heiser und vermochte seinen Mund kaum mehr zu öffnen.
Er griff an seine Kehle, als wolle er sie zwingen, ihm zu gehorchen.
Nun verfiel er in ein Glucksen und leises Lachen. Dann kam er zu sich. Ließ sich niederfallen auf den Stein und atmete tief mit weit offenem Munde.
Er tastete nach einer neuen Zigarette. Die Muchachos lagen immer noch auf dem Boden in seiner Nähe. Einer reichte ihm das Feuerzeug hin.
Als er es zurückgab, lachte er den Muchacho an. »Ich bin besoffen, Muchachos, besoffen, besoffen, das ist es, was ich bin. Oh, so grässlich besoffen.« Er nahm die Flasche, setzte sie an seine Lippen und gurgelte so viel in sich hinunter, dass nur gerade ein dünner Rest in der Flasche zurückblieb.
Er hielt die Flasche hoch gegen das Mondlicht. Den dünnen Rest bemerkend, drehte er den goldenen Stopfen wieder ab, goss sich die letzten Tropfen in den Mund und bewegte die Flasche, immer noch in den Lippen haltend, hin und her, als wolle er auch den allerletzten Tropfen herauslecken.
»Da drüben, in jener Ecke, Muchachos, seht ihr den schönen Baum? Ein wunderschöner Baum ist es. Von hier aus gesehen, scheint es Zeder zu sein. Ob Zeder, Mahagoni oder Ebony, das tut nichts. Einer so gut wie der andere. Gib mir den Strick, Muchacho, den du da über deiner Schulter hast.«
Er prüfte den Strick in seinen Händen. »Verflucht hart und kratzig ist das Zeug. Ein elender Strick. Aber fest, Knoten und Schleife hat er auch schon. Um so besser. Ich kann sowieso keine guten Knoten dieser Art machen, die sich so schön und glatt hin- und herschieben lassen.«
Er stutzte, als er die Schleife durch den Knoten hin- und herspielte. »Das ist doch nicht etwa gar derselbe Lasso, der heute am Spätnachmittag meinen ersten Leutnant Bailleres am Halse kratzte, Muchachos?«
»Derselbe, Divisionario«, sagte einer der Muchachos, ohne irgendein besonderes Interesse zu zeigen.
»Dann hat dieser Lasso Übung?« Der Divisionario stieß ein hackendes Lachen hervor.
»Er hat Übung«, sagte der Muchacho, ebenso gleichgültig wie vorher.
»Muchachos«, sagte nun der Divisionario, endlich seinen ironischen Ton aufgebend und ernst werdend, »ich kann euch nichts geben. Was ich am Leibe trage, sind verlauste und verdreckte Lumpen, die so zerrissen sind, dass selbst eure Companeros sie nicht haben wollten und fortwarfen. Die Kristallflasche und das Zigarettenetui kann ich euch nicht schenken, weil ihr diese Dinge ja doch sowieso nehmt und nicht in meinen Lumpen steckenlassen werdet. Das ist auch recht und billig. Alles, was ich euch geben kann, ist ein ehrlich gemeintes Danke, im voraus gegeben für etwas, das ich möchte, dass ihr es tätet. Ich habe nie zu einem Indianer >bitte< gesagt. Ich sage zu euch: bitte, Muchachos, bitte, schneidet mir nach meinem letzten Hauch mein Gesicht vom Schädel herunter, damit mich niemand, der mich finden sollte, erkennt. Wollt ihr das tun, Muchachos?«
»Das können wir schon tun, Senor General. Macht uns keine besondere Mühe. Nichts Besonderes dabei. Haben wir sogar in den Monterias mit lebendigen Bestien getan, die infolge eines Versehens Gottes menschliche Gesichter erhalten hatten.«
»Mil gracias, Muchachos, für diesen kleinen Liebesdienst. Tausend Dank. Sagt eurem Jefe, er könne morgen hier herkommen und mich am Ursch lecken, noch vor dem Frühstück.«
»Wir werden ihm das bestellen, Senor General.«
»Gut. In fünf Minuten, sagen wir, zehn Minuten, Muchachos, kommt ihr rüber. Da zu jenem Baum. Adios. Und noch einmal, vielen Dank im voraus, Muchachos!«
»No hay porque, Senor General, keine Ursache. Reisen Sie glücklich und zufrieden. Eilen Sie sich. Zehn Minuten, sagten Sie. So lange wollen wir schon noch warten.«
9
Der Divisionario war bereits auf dem Wege, in seiner linken Hand den Strick hin und her pendelnd. Er ging etwas schwankend. Wahrscheinlich infolge des häufigen Gurgelns aus der Kristallflasche. Hier und da stolperte er über die drahtigen Grasbüschel. Als er die ausgesuchte Ecke der kleinen Lichtung erreichte, stand das Licht des klaren Mondes voll auf jener Wand des Busches. Er bekreuzigte sich. Beugte den Kopf. Bekreuzigte sich wieder. Zog an einem Faden, den er um den Hals trug, ein schwarzes Läppchen hervor, auf dem ein Kreuz aufgenäht war. Er nahm das Läppchen in beide Hände und küsste es.
Er bekreuzigte sich abermals. Nun ließ er prüfend den Lasso durch seine Hände gleiten. Blickte nach aufwärts in das Geäst des Baumes, und mit einem entschlossenen Schwung warf er den Lasso über einen Ast, der weit vom Stamm hinweg in die Lichtung ragte.
Die Muchachos blinzelten gelangweilt hinüber. Einer von ihnen sagte: »Hoffentlich hat er sich einen dicken und kräftigen Ast ausgesucht, damit er nicht auch noch abbricht. Er ist schwer wie ein alter fetter Ochse. Scheint zu halten, der Ast. Gib mir den Tabak her.«
Es war etwa eine Viertelstunde später. Die drei Muchachos waren inzwischen hinüber zu jenem dicken Baum gegangen. Einer kam nun zurück in die Lichtung. Er hockte sich nieder und begann seinen Machete an den Grasbüscheln trockenzureiben. Dabei beobachtete er den Himmel. Nun rief er: »Da hinten in Balun Canan haben sie ein verflucht schweres Gewitter. Das fegt nur so dahin.«
Von den beiden, die noch beim Baum waren, rief einer herüber: »Du, was sagst du, sollen wir ihm den Lasso schenken oder was sonst?«
»Nichts wird geschenkt«, rief der Bursche, der seinen Machete trockenrieb, zurück zu den beiden. »Es ist ein so schöner und haltbarer Lasso. Reißt nicht einmal, wenn so ein fetter Klumpen dran hängt. Kann noch oft gebraucht werden, der Lasso. Überhaupt, General macht uns vielleicht auch noch einen stinkigen Lärm, wenn wir den Lasso nicht wiederbringen. Weißt ja, wie er manchmal sein kann. Schickt uns gar hierher zurück, den Lasso zu holen. Wie es aussieht, kommt das verfluchte Gewitter hier herüber, und da möchte ich nicht gerade diesen verdammten elenden Weg noch mal machen.«
»Hast recht, Manito. Besser, wir bringen ihn zurück, den Lasso.«
»Verflucht«, rief der Bursche, der in der Lichtung war, zurück zum Baum, »redet nicht soviel da hinten. Lasst ihn nun schon endlich runter und knotet ihn ab. Er schluckt lange nicht mehr. Eilt euch. Ich bin hungrig wie ein lahmer Coyote.« |
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