ERSTES KAPITEL
1
>Tierra y Libertad!< Mit diesem Kriegsruf marschierte ein Heer von Indianern aus dem Dschungel im Süden der Republik hinaus, die Diktatur zu stürzen und Land und Freiheit für sich zu erobern.
Schlicht und kurz, wie dieser Kriegsruf auch war, für die Marschierenden klang er gleich einem Heldenlied.
Was sie in ihrer Gedrücktheit und in ihrer bemitleidenswerten Unwissenheit an Poesie empfanden, an Sehnsucht nach Schönheit, an Wunsch nach Frieden, an Liebe zu Menschen und Geschöpfen, an natürlichem Glauben an eine unerschütterliche Gerechtigkeit, die irgendwo zu finden sein musste, sowie was sie an tiefer Trauer fühlten um Kameraden, die schmählich ermordet oder bestialisch zu Tode gemartert worden waren, alles das, und vieles mehr, was, ihnen unbewusst, in ihnen schlummerte, vermochten sie in jenem Kriegsschrei auszudrücken. Auch wenn sie, als geschlossene Masse, von einem und demselben Willen getrieben, ihre geballten Fäuste mit einem Ruck hochstreckten, als wollten sie Gott aufmuntern, ihrer nicht zu vergessen, und sie dabei gleichzeitig wie mit einer vereinten Stimme ihren Schrei in das Weltall hinausbrüllten, dass es ertönte, als brandete eine mächtige Woge des Meeres gegen die Felsen, so fühlte dennoch ein jeder einzelne in der Menge seinen eigenen Ruf deutlich heraus, denn er fühlte ihn in seiner Seele, als wäre er sein ureigenes, sein urpersönliches Gebet.
Volkslieder, wohlklingende Reime, politische und patriotische Phrasen verlieren sofort Sinn und Bedeutung und offenbaren ihre Hohlheit im selben Augenblick, wenn sie nüchtern untersucht und folgerichtig durchdacht werden. Und es mochte wohl geschehen, dass auch dieser Kriegsruf rebellierender Indianer, wenn unbefangen untersucht, sich aufgelöst haben würde in bedeutungslose Worte.
Als ihre Leiden, ihre Peinigungen, ihre Entbehrungen, ihre Wehrlosigkeit gegenüber den Herrschern im Dschungel, den Caobakonzessionären und deren Vasallen, so unerträglich geworden waren, dass sie, und merkwürdigerweise alle beinahe zur selben Zeit und gleichzeitig in den fernsten Regionen der tropischen Urwälder, zur Erkenntnis gelangten, es sei besser und menschenwürdiger, in einem Aufstande zugrunde zu gehen, als noch länger unter solchen Demütigungen und Qualen zu leben, da packten sie zu. Sie packten fest und entschieden zu, um endlich ein Ende herbeizuführen, sei es ein Ende mit ihrem eigenen Leben oder ein Ende mit dem Leben ihrer Tyrannen.
Trotz ihrer Leiden und Demütigungen hatte sich in ihnen noch ein Schimmer von Verständnis für ihre bittere Lage erhalten. Angesichts der Vögel im Dschungel, und selbst der Millionen von Insekten, die alle, in Freiheit und Lebensfreude, kamen und gingen, wie es ihnen zu Sinn war, verloren sie niemals das Gefühl der Sehnsucht nach Freiheit.
Furchtsam, zaghaft, unsicher zuerst; kräftig und entschieden gleich darauf, hatten sie sich endlich zur Rebellion entschlossen. Einmal begonnen, verlief alles viel schneller, als sie je geglaubt hatten, dass es geschehen könnte.
2
Die Besitzer, Verwalter und Aufseher in den Monterias, die infolge ihrer Macht und ihrer Grausamkeit mehr gefürchtet waren als selbst der allmächtige Gott, schrumpften in den ersten zwei Stunden des Aufstandes, sobald sie sahen, dass ihre Autorität selbst gegenüber den verschüchtertsten und verprügeltsten Ochsenjungen zerbrach, zu hilflosen, erbarmungswürdigen Puppen zusammen, die plötzlich vergessen zu haben schienen, wie zu sprechen, wie sich zu bewegen und wie mit Anstand ihren längst verdienten gerechten Lohn hinzunehmen.
In einem kurzen Kampfe wurden alle erschlagen, die nicht zu ihnen, den aufständischen Indianern, gehörten.
Hierbei erbeuteten die Rebellen einige Waffen. Es waren nicht viele. Etwa fünfundzwanzig Revolver, nicht alle gut. Jagdgewehre etwa zwölf. Einige davon unzuverlässig und völlig verrostet in dem ewig heißfeuchten Klima des Dschungels. Hinzu kamen noch einige leichte Vogelbüchsen und zehn alte spanische Vorderlader. Die erbeutete Munition, nicht viel, war sowenig gleichmäßig im Kaliber, wie es die Waffen waren.
Jedoch alle Muchachos trugen als vortreffliche Waffen Machetes, Buschmesser, Äxte und Beile. Mit diesen Waffen vermochten sie, die mit diesen Machetes und Äxten täglich den Dschungel zu bekämpfen gezwungen gewesen waren, besser und geschickter umzugehen als mit Repetiergewehren.
Gegenüber den modern bewaffneten Federal-Truppen und den Truppen der Rurales, konnten die aufständischen Caoba-Arbeiter des Dschungels freilich von einer Bewaffnung nicht reden. Den regulären Truppen gegenüber mussten ihr Mut, ihr Hass, ihre wilde Wut gegen ihre Unterdrücker ersetzen, was ihnen an Waffen fehlte. Das wusste ein jeder von ihnen. Und jeder betrachtete diesen Hass und diese Wut von größerem
Kampfwert als einen Überfluss an Munition.
Unter der Diktatur war, außer dem Diktator, El Caudillo, niemand mehr gefürchtet, aber auch niemand mehr gehasst, als die Rurales.
Die Rurales waren eine berittene Staats- und Landpolizei, die besondere Waffe des Diktators, der zuweilen der Offiziere der Federal-Armee nicht völlig sicher war. Die Rurales, besonders gefürchtet von meuternden und streikenden Arbeitern, waren eine auserlesene Truppe von Männern und Burschen, vorzüglich bewaffnet, vorzüglich gedrillt, gut verpflegt und gut gelöhnt. Hunderte von jungen Männern wurden in die Truppe eingereiht, besonders ihrer sadistischen Instinkte wegen. Für die Handlungen und Taten, Verhaftungen und Hinrichtungen, verübt von den Rurales, waren ihre Offiziere keinem Richter, sondern nur El Caudillo, dem Diktator selbst, verantwortlich. Sie waren das Instrument des Schreckens, mit dessen Hilfe El Caudillo jede, auch die winzigste Auflehnung oder Kritik gegen seine Herrschaft erbarmungslos und mitleidlos unterdrückte. Wenn, wie es in mehreren Streiks der Textilarbeiter sich ereignete, die Offiziere der Armee sich weigerten, nach Unterdrückung des Streiks ein bestialisches Abschlachten unter den nun gedemütigten und besiegten Arbeitern und Arbeiterinnen vorzunehmen, wie ihnen von El Caudillo befohlen war, so wurde ein Trupp Rurales in Eilmärschen in die Region geschickt. Und was die Offiziere der Armee sich geweigert hatten zu tun, führten die Rurales nun aus, und sie führten es mit einer solchen Bestialität aus, dass sie bei dem allgemeinen Abschlachten niemanden schonten, der das Unglück hatte, sich in jenem Fabrikarbeiter-Dorf oder in jenem Stadtteil zu befinden, der von den Rurales umzingelt worden war. Arbeiter und Nichtarbeiter, Frauen, Kinder, Greise, Kranke, kein Unterschied wurde gemacht. Und das geschah nicht während eines Streiks, sondern geschah Tage, ja oft zwei Wochen nach Beendigung des Streiks, wenn die Arbeiter in die
Fabriken zurückgekehrt waren und der Ort sich in völliger Ruhe befand. Es war das Straf- und Rachegericht, das der Diktator anordnete als eine Warnung an alle, die mit ihm nicht übereinstimmten hinsichtlich der Vorzüge des goldenen und glorreichen Zeitalters, das er, El Caudillo, dem Volke gebracht hatte.
Einem halben Bataillon dieser Rurales auf ihrem Marsch zu begegnen, musste, nach jeglichem gesunden Urteil eines jeden vernünftigen Mannes, den sicheren Untergang der Schar aufständischer Dschungel-Arbeiter bedeuten, und mit deren Vernichtung das rasche Ende der Revolution in den Regionen des Dschungels.
3
Wenngleich der Kriegsruf der Muchachos, die sich aufgemacht hatten, den Diktator zu stürzen, klar und deutlich schien, wenn er voller Begeisterung hinausgeschrieen wurde, so wären alle Leute wortkarg geworden, hätte sie jemand darum befragt, was sie sich eigentlich denn nun unter Erde und Freiheit dachten, um die zu kämpfen sie sich entschlossen hatten. jeder einzelne von ihnen trug in sich eine andere, reinindividuelle Idee von Tierra y Libertad. Denn für jeden von ihnen bedeutete Erde und Freiheit etwas anderes, je nach seinen Wünschen, Sorgen, Verhältnissen, Hoffnungen.
Manche, die für eigene Schulden, oder für Schulden ihres Vaters, oder für nichtbezahlte Polizeistrafen oder Gerichtsstrafen oder als Bürge für zahlungsunfähige Verwandte, die gestorben waren, als Kontrakt-Arbeiter in die Monterias verkauft worden waren, besaßen in ihrem Heimatdorf ein Stückchen eigenes Land, das sie liebten und für kein anderes erobertes Land vertauschen würden, auch wenn es besser und reicher sein sollte. Für diese Leute hatte der Schlachtruf scheinbar keine Bedeutung, weil sie bereits Erde besaßen. Aber sie zu bebauen und die Erzeugnisse ihrer Arbeit in Frieden und Ruhe zu genießen, dafür fehlte es ihnen an Freiheit.
Und es fehlte ihnen an Freiheit gegenüber den Tausenden von korrupten Beamten aller Art, großen und kleinen, herangezüchtet von der Diktatur zu ihrem Schutz und ihrer Erhaltung, die gemästet werden mussten, um El Caudillo nicht gefährlich zu werden. Kein Richter verurteilte sie. Geschah es, dass ihre Handlungen gar zu sehr zu stinken begannen, dann wurden sie entschuldigt, dass sie aus Übereifer im Interesse des Staatswohls und aus Hingabe für ihren angebeteten El Caudillo so gehandelt hätten. Wer immer von diesen Parasiten befreit wurde, durfte mit Recht sagen, dass er nun wisse, was Freiheit sei.
Für andere bedeutete Tierra y Libertad die ungehinderte Freiheit, zurückkehren zu können zu ihren Eltern, zu ihren Frauen, ihren Kindern, ihren Bräuten, ihren Freunden und Verwandten, ihren heimatlichen Dörfern.
Wieder andere sahen in Tierra y Libertad das einfache Recht, dort arbeiten zu dürfen, wo es ihnen gefiel, und für den, der sie gut behandelte, und für einen Lohn, den sie als gerecht anerkannten. Für die Mehrzahl dieser indianischen Caoba-Arbeiter, die zu neunzig Prozent Leute der Landwirtschaft waren, verdichtete sich der Begriff Libertad zum schlichten klaren Wunsche, einfach in Ruhe gelassen zu werden von allem, was sich Regierung nannte, Staatswohl, Vaterlandsliebe, Produktionssteigerung, wirtschaftliche Ausdehnung, Eroberung der Märkte, Gehorsam, Pflichten ohne Rechte, geschmeidige Einfügung in das Volksganze, und was dieser gedankenlosen und sinnwidrigen Tugenden mehr waren, die unter der Diktatur herangepäppelt wurden, um das Hirn der Regierten zu verblöden und sie zu hindern, dorthin zu blicken, wo die Wurzeln aller Übel wucherten.
Wenn sie nach Libertad schrieen, so hofften die Muchachos, dass sie, nach gewonnenem Kampfe um die Freiheit, ihr Leben führen möchten nach ihrer eigenen Weise, unbehelligt von Männern, denen sie kein Vertrauen schenken konnten, weil die von ihren Nöten und Sorgen nichts verstanden und sich keine Mühe gaben, sie verstehen zu lernen, sondern nur immer und immer mit Zetteln kamen, die ausgefüllt und bezahlt werden mussten. Die Befreiten wollten die Erzeugnisse ihrer schweren Arbeit allein genießen; und sie wollten nicht von hundert Stellen aus dieser Erzeugnisse oder eines erheblichen Teiles ihrer Arbeit beraubt werden für Zwecke, die für sie keinen Sinn hatten und keinerlei Wert und lediglich dazu dienten, El Caudillo mehr Gelegenheit und Mittel zu geben, seine Herrschaft zu seinem goldenen Zeitalter aufzublähen.
Wie unklar aber auch im einzelnen die Begriffe Erde und Freiheit für die Rebellen sein mochten, so fühlten sie dennoch instinktiv richtig und völlig richtig, was sie wollten. Und was sie wollten, war, nicht mehr beherrscht, nicht mehr kommandiert zu werden. An den großen Kulturgütern der modernen Zivilisation teilzunehmen, wie es das Industrieproletariat zivilisierter Völker in seinen Programmen verlangt, ein solcher Wunsch war ihnen fremd. Sie hätten ein solches Verlangen nicht verstanden, hätte man selbst tagelang und wochenlang versucht, es ihnen klarzumachen. Sie wussten nichts von Demokratie, Sozialismus, Organisation. Und hätte gar jemand davon geredet, dass sie einen Sitz im Parlament oder im Kongress der Nation verlangen sollten, so hätten sie den, der das riet, für einen Betrüger gehalten, der sie nur verwirren wollte, und sie würden zweifellos geantwortet haben: »Was kümmert uns Parlament und Kongress, in Ruhe wollen wir gelassen werden, verflucht noch mal, das ist alles, was wir wollen, und nun raus mit euch, ihr Schwindler.«
4
Die unwürdige, schmähliche und grausame Behandlung, die sie und alle, die ihres sozialen Standes waren, in den langen Jahren der Diktatur zu erdulden gezwungen gewesen waren, hatte die Rebellen in ihrem Charakter von Grund auf und durch und durch verändert.
Aus friedliebenden Ackerbauern, Holzfällern, Kohlenbrennern, Töpfern, Deckenwebern, Hutflechtern, Korbmachern, Gerbern, Mattenwirkern, die kein anderes Lebensziel wünschten, als ungehindert arbeiten zu dürfen, ihr Land zu bebauen, ihr Vieh zu züchten, ihre Waren unbehelligt zu Markte zu bringen, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben, gelegentlich ein Fest zu feiern, und einmal oder zweimal im Jahr zu den großen Ferias im Staate zu pilgern, und dann, alt geworden, in Ruhe und Frieden und im Kreise guter Freunde und Nachbarn sterben zu können, hatte es die Diktatur verstanden, diese Menschen in rachsüchtige, widerspenstige, ewig misstrauische, streitsüchtige, heuchlerische, branntweingierige Wilde zu verwandeln. Darum, und nur darum, dachten diese Wilden, nachdem die Rebellion einmal begonnen hatte, an nichts anderes, als alles zu zerstören, dem sie nahe kamen, und jeden und alle mitleidlos zu vernichten, die Uniform trugen oder auch nur eine Uniformkappe auf dem Kopfe hatten, und alle die, die nach Stellung und Beruf von ihnen als ihre Peiniger und Unterdrücker angesehen werden mussten.
Wie unmündige Sklaven, die das Maul nur öffnen durften, wenn sie gefragt wurden, waren sie behandelt worden. Und gleich solchen Sklaven, deren Fesseln plötzlich zerrissen, benahmen sie sich nun.
Von Bestien mit menschlichen Gesichtern waren sie gefoltert, gepeitscht, gedemütigt, aufs Maul geschlagen worden. Und gleich Bestien gingen sie nun drauflos, das Land zu verwüsten und jeden zu erschlagen, der ihrer Klasse nicht zugehörte.
Wenn dann eines Tages alles zerstört und verwüstet sein wird, was El Caudillo mit ihrem Blut, mit ihrem Schweiß, mit ihrer Not, mit ihrem Kummer, mit ihren Tränen errichtet hatte, das goldene Zeitalter der Republik, dann würden sie, in ihrer Rache befriedigt, heimkehren, zurück zu ihren Wohnplätzen, Dörfern, Siedelungen und Hütten, und von nun an ein friedliches Leben nach ihrem Wunsche führen.
Es war vorauszusehen, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten aller Länder in ihren Beschreibungen und Geschichtsforschungen alle Bestialitäten, die verübt wurden, auf Rechnung der Wilden setzen würden, die kein Verständnis für die große Zeit hatten, in der sie lebten.
Und es war gleichfalls vorauszusehen, dass die entthronten Tyrannen und deren Bewunderer hier und allerorten auf Erden, wenn alles vorüber war, der aufhorchenden Welt verkünden würden, es könne nun ein jeder sehen und verstehen, warum die Diktatur recht hatte, diese Wilden so zu behandeln, wie sie unter der Diktatur behandelt wurden, und warum die Diktatur, eine eiserne und mitleidlose Diktatur, die einzige Regierungsform sei, mit der man ein Volk, das aus Sklaven besteht und nichts als Sklavensinn habe, zu seinem eigenen Besten regieren müsse. Nieder mit der zersetzenden Demokratie! Viva die lebensfrische und verjüngende Diktatur!
5
Die Rebellenschar war nahezu sechshundert Mann stark.
Jeden Tag, während des Marsches durch den Dschungel, schlossen sich hier und da auf den Pfaden kleine Gruppen oder einzelne versprengte Leute an, die aus den fernsten Distrikten im Dschungel, wo sie gearbeitet hatten, desertiert waren, noch ehe die allgemeine Rebellion in allen Monterias begonnen hatte. Peones, die von ihren Fincas entflohen waren und in den Gebieten nahe dem Dschungel sich versteckt hielten, benutzten die Gelegenheit, sich dauernd aus ihrer Schuldsklaverei zu befreien, und sie zogen wohlgemut mit dem Heer, glücklich, die Rebellen getroffen zu haben, von denen einige unbestimmte und unklare Gerüchte in jene Regionen gelangt waren.
Auf dem schwierigen Marsch durch den großen Dschungel gingen viele verloren. Einige ertranken bei Flussüberschreitungen; einige versanken in Sümpfen und Morästen; andere wurden von schweren Fieberanfällen in vierundzwanzig Stunden hinweggerafft; mehrere wurden von Schlangen gebissen und von giftigen Insekten gestochen; wieder andere wurden von erschreckten Pferden oder Mules geschlagen, wenn sie auf schmalen Gebirgspfaden waren, und sie stürzten in die Abgründe. Dann waren mehrere, die starben an Wunden, die sie von ihrer Arbeit oder von Folterungen her noch an ihrem Körper trugen und die von ihren Kameraden nicht geheilt werden konnten. So wechselte die Zahl der Leute jeden Tag.
Im Trupp marschierten eine gute Anzahl von Frauen und Mädchen und wohl zwei Dutzend Kinder oder mehr, Familienangehörige der Arbeiter, die in die Monterias verkauft worden waren. Diese Frauen und Kinder hatten ihre Männer, Väter, Brüder und Neffen nicht verlassen wollen und waren freiwillig mit ihnen in die Dschungel gezogen.
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Das Heer wurde geführt von einem Burschen, einundzwanzig Jahre alt, der Juan Mendez hieß oder sich wenigstens so nannte, jedoch von allen Muchachos General genannt wurde.
Er hatte der kleinen Gruppe der Arbeiter angehört, die den Aufstand begonnen hatte. Da er eine militärische Ausbildung besaß, so war es ganz natürlich, dass ihm der Oberbefehl des Heeres anvertraut wurde.
Seiner Rasse nach war er Indianer der Huasteca, dem Anschein nach zu urteilen mit etwas spanischem Blut gemischt. Mit sechzehn Jahren war er als Freiwilliger in die Armee eingetreten. Hier brachte er es rasch, noch ehe er neunzehn Jahre alt geworden war, zum Sergeanten.
Er bewog seinen Lieblingsbruder, einige Jahre jünger als er, gleichfalls Soldat zu werden und in das gleiche Bataillon einzutreten. Der Junge beging im Dienst eine Nachlässigkeit ohne große Bedeutung.
Unter gewöhnlichen Umständen würde eine solche Nachlässigkeit mit zwei Tagen Arrest oder einigen unangenehmen Extra-Wachen bestraft worden sein. Ein kameradschaftlich fühlender Leutnant würde den Jungen hundsgemein runtergerotzt haben, und der Vorfall wäre vergessen worden. Unter der Diktatur jedoch waren die Vorgesetzten, sowohl die der Federal-Armee und erst recht die der Rurales, mehr und mehr zu unfehlbaren Heiligen erhoben worden, die Gott auf Erden zu vertreten hatten. Der untergebene Soldat besaß seinen Vorgesetzten gegenüber kein anderes Recht als das, blind zu gehorchen und schweigend hinzunehmen, was über ihn verhängt wurde. So kam es, dass der Junge von einem Offizier, der wahrscheinlich auch noch betrunken war, jener Fahrlässigkeit wegen mit dem Kopf in einen Eimer Wasser getaucht und mit dem Stiefel des Offiziers so lange unter
Wasser gehalten wurde, bis er ertrunken war. Der Mörder wurde nicht bestraft, sondern bekam im Tagesbefehl eine lobende Erwähnung dafür, dass er im Interesse der Disziplin gehandelt habe, wie es seine Pflicht gewesen sei, denn Disziplin war das oberste Sakrament.
Der Sergeant war noch nicht völlig im Sinn der Diktatur verblödet, vielleicht eben darum, weil er mehr Indianer war als geduldiger Soldat. Er vergaß für eine Stunde die Gottähnlichkeit des Offiziers und erstach ihn, ohne auch nur die geringste Reue über seine Tat empfinden zu können. Diese Handlung machte es notwendig für ihn, zu desertieren und es der Armee zu überlassen, wie sie sich ohne seine Mithilfe weiterentwickeln möge.
Sein bester Kamerad im Bataillon war ein Cabo, gleich ihm indianischer Herkunft. Er war der einzige Mann, dem er anvertraute, was er getan habe und wo er den Kadaver des Götzen versteckt halte, um Zeit für die Flucht zu gewinnen. Dem Cabo galt treue Freundschaft mehr als Vaterlandsliebe und mehr noch als der feierlich geschworene Treueid, der ihm so gleichgültig war wie einem seiltanzenden Affen eine Ehescheidung in Tlaxcala. »Du weißt, Juanito«, sagte er einfach zu seinem Kameraden, »ich gehe mit dir zur Hölle und zur Verdammnis mit der ganzen gottverfluchten Armee und dem ganzen stinkigen Schitt von Vaterlandsliebe und Vaterlandsehre, die meinetwegen die Hunde bepissen mögen, wenn sie wollen, was geht mich das an.« So zogen die beiden zusammen los.
Sie gedachten nach Honduras zu entkommen oder nach Salvador. Nur heraus aus diesem heiligen Vaterland.
Auf dem Wege dahin trafen sie einen angeworbenen Trupp indianischer Arbeiter, die als Kontraktleute in die Monterias abgetrieben wurden. Sie ließen sich für diesen Trupp anwerben. In den Monterias suchte sie niemand und holte sie erst recht niemand heraus, ganz gleich, wer sie suchte und was sie verbrochen hatten. Wer Kontraktarbeiter in einer Monteria war, der war zehnmal schlimmer daran als im Zuchthaus oder in El Valle de Muerte, dem gefürchteten Konzentrationslager für politische Gefangene, aus denen nur selten jemand wiederkehrte, und wenn er wiederkehrte, war er gebrochen für den Rest seines Lebens.
7
Den Cabo, Lucio Ortiz mit Namen, hatte General zum Coronel im Heer ernannt.
Zu seinem Generalstabschef berief er Celso Flores, einen Tsotsil-Indianer. Celso hatte mehrere Jahre als Schläger in den Monterias gearbeitet. Obgleich unkundig des Lesens und Schreibens wie alle Caoba-Arbeiter, besaß er doch eine hohe natürliche Intelligenz. Gleichzeitig war ihm das seltene Talent eigen, Leute zur äußersten Kraftanstrengung zu begeistern, meist nach indianischer Art. Er verlangte nichts, was er nicht selbst vormachen und besser ausführen konnte als irgendein anderer, wenn behauptet wurde, es sei unmöglich, seinen Befehl zu vollziehen.
Zu ihrem Verpflegungs-General ernannten die Muchachos Andres, einen Tseltal-Indianer, der in den Monterias als Ochsenknecht beim Abschleppen der geschlagenen Stämme gearbeitet hatte. Er konnte lesen und schreiben und hatte sich Erfahrung und gewisse wirtschaftliche und geschäftliche Kenntnisse erworben als Ochsenfuhrknecht der Carreta-Karawanen, die Handelsgüter und Fahrgäste von der Eisenbahnstation an der Küste bis vierhundert Kilometer weit ins Innere des Staates brachten.
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Das geistige Oberhaupt, das Hirn des Heeres, war Profesor, wie ihn die Muchachos nannten. Er war Profesor De Segundaria gewesen. Nach und nach begann er die wahre Situation zu verstehen, in der das Volk unter der Diktatur lebte. So geschah es, dass er, wo immer er Gelegenheit hatte, in der Schule, auf der Straße, in Speiseküchen, in Cafes, den Diktator und dessen Herrschaft zu verrotzen, obgleich er wusste, was ihm geschehen würde, käme er nicht, wie seine Berufskollegen es nannten, zur Vernunft.
Aus gutbezahlten Stellungen in Schulen höheren Grades und in den großen Städten wurde er immer weiter und weiter nach unten versetzt. Jeder neuen Versetzung gingen einige Monate Gefängnis oder Konzentrationslager voraus.
Endlich wurde Profesor in den Transport der Unverbesserlichen und Unbekehrbaren eingereiht, einen Transport, der nach El Infierno gebracht wurde, einem Konzentrationslager für politische Gefangene, das nur darum >Die Hölle< genannt wurde, weil ein stärkeres Wort, mit dem man diese Hölle hätte bezeichnen können, bis zu jenem Tage selbst der witzigste Volksmund nicht hatte erfinden können.
Auch hier hielt Profesor sein Maul nicht. Es wurde ihm zuweilen für zweiundsiebzig Stunden lang zugeknebelt; weder wurde ihm Wasser gegeben, noch Schatten in der tropischen Sonne gegönnt. Aber kaum war ihm der Knebel abgenommen und kaum hatte der Krampf seine gepeinigten Lippen verlassen, da war gleich das erste, was er schrie: »Abajo El Caudillo! Que muere la dictadura! Viva la revolucion social! Sufragio efectivo! No Reeleccion! Viva la revolucion del pueblo!« Sofort wurde ihm das Maul wieder geknebelt und er, gleich einem Packen zusammengeschnürt, in die glühende Sonne gebracht und in den Sand gelegt. Es war ihm mit mehreren Leidensgefährten, von denen freilich die meisten entweder umkamen oder wieder eingefangen und dann langsam zu Tode gemartert wurden, endlich geglückt, zu entkommen. Auf seiner Flucht stieß er auf den Sergeanten und den Cabo, die verlumpt daherkamen und von wandernden indianischen Kleinbauern nicht unterschieden werden konnten.
Und mit diesen beiden ließ auch er sich als Caoba-Arbeiter für die Monterias anwerben, in der Hoffnung, den Ausbruch der Revolution, die überall im Lande schon glimmte, in den Tiefen des Dschungels zu erwarten, von hier aus loszuschlagen und den Süden der Republik für die Revolution zu gewinnen.
Nun freilich konnten Tierra y Libertad nur erobert werden, wenn diejenigen, die jene Güter besaßen und verteidigten, besiegt worden waren. Darum war die erste Aufgabe, jene Verteidiger zu treffen. Die zweite Aufgabe war, sie zu bekämpfen, zu besiegen, völlig niederzuschlagen und auszurotten. Die nächste Aufgabe war dann, alle niederzuschlagen, die dem Gewinn von Tierra y Libertad hinderlich waren und hinderlich werden konnten.
Von allem, was nächstliegend war, lag nichts näher und war dringender, als Waffen zu bekommen.
Und diese Waffen konnten die Rebellen nur dadurch erhalten, dass sie die Waffen denen abnahmen, die sie gegenwärtig besaßen. Und das waren die Soldaten und die Rurales.
9
Beginnend bei dieser Siedelung, zogen die einzelnen Companias nun nicht mehr mit einem Abstand von einem vollen Tage eine hinter der andern. Von jetzt an marschierten die Companias näher aufgeschlossen, so dass jede einzelne von der auf sie folgenden nur etwa zwei Stunden Marschzeit entfernt war. Es mochte sein, dass bald die ersten Kämpfe ausgefochten werden müssten. Unter diesen Umständen wäre es ein taktischer Fehler gewesen, die Companias zu weit voneinander getrennt marschieren zu lassen.
Am zweiten Tage des Abmarsches von jener Siedelung aus erreichte das Heer den Rancho Santa Margarita.
Es war am Nachmittag, als die erste Compania hier anlangte.
Santa Margarita bestand aus einem Herrenhaus, das aus Adobe gebaut war. Dazu gehörten zwei Bodegas, gleichfalls aus Adobe. Hier wurden der geerntete Mais, die Bohnen, die Henequen-Fiber zum Anfertigen von Seilen und Matten aufbewahrt. Hier waren auch die Reitsättel und Packsättel zu finden und das wenige an Ackergeräten, das der Ranchero besaß.
Vier ärmliche Hütten lagen dicht bei den Bodegas. Alle diese Gebäude bildeten einen Patio, denn sie waren in einem Viereck gebaut. Die eine Seite jedoch war offen. Hier trennte ein roher Zaun den Patio von dem Corral ab, in dem nachts die Pferde und Kühe standen. An der einen Seite nächst dem Herrenhaus war eine unbebaute Stelle, die ebenfalls durch einen Dornenzaun nach außenhin abgeschlossen war. Dort führte eine Tür aus dem Patio hinaus auf den Pfad, auf dem alle Reisenden und alle Karawanen zogen, die an diesem Rancho vorüberkamen.
Der Rancho lag auf einem Hügel. Der Hügel war gerade groß genug, dass die Gebäude, der Patio und der Corral mit allen Einzäunungen darauf Platz hatten.
Um den Hügel herum verstreut lagen die primitiven Palmhütten der Peones, die zu dem Rancho gehörten.
Es waren vierzehn solcher Hütten. In den drei sehr ärmlichen Hütten, die gleich dem Herrenhaus mit im Patio lagen, wohnten der Mayordomo, der Seiler und der verantwortliche Vaquero, der Mann, der für das Vieh verantwortlich ist. Diese drei Familien waren halbe Ladinos, während die Peones und deren Familien, die in den Hütten um den Hügel herum verstreut wohnten, Indianer waren.
Das Herrenhaus war freilich nur hier ein Herrenhaus, wo alle übrigen Wohnbaulichkeiten elende Chozas und Palmhütten der primitivsten Art waren. Es hatte keine Fensteröffnungen, sondern nur schwere, rohe Türen aus massivem Mahagoni. Der Fußboden bestand aus schlecht gebrannten Lehmfladen, das Dach aus rohen, verwitterten Holzschindeln. Das Haus besaß nur zwei Räume. Der einzige Gegenstand im Herrenhaus, der daran erinnerte, dass die Bewohner nicht im vierten Jahrhundert lebten, und zugleich der einzige Gegenstand, den man ein Möbel nennen konnte, war eine amerikanische Nähmaschine, die zu rosten begonnen hatte.
Tisch und Stühle aus Mahagoni, roh gearbeitet mit einem Machete. Die Betten einfache Gestelle aus Ebenholz, über die rohe Riemen aus Kuhhaut kreuzweise gespannt waren, auf denen dicke Bastmatten lagen, aus dem Bast von Palmenstämmen gewoben. Schmutzige Kissen, ausgestopft mit Louisiana-Moos, das in dem nahen Busch reichlich vorhanden war.
Dieses Herrenhaus galt als vornehm und der Herr als wohlhabend. Daraus ließ sich erraten, ohne es zu sehen, wie dann die Peones wohnten und lebten.
Alles, was die Familie brauchte, abgesehen von Seide, Baumwollstoffen und Eisenwaren, wurde im Rancho angefertigt. Hier wurde Branntwein destilliert, wollene Decken gewebt, Sättel und Sandalen gefertigt, Seile und starke Henequen-Fäden gedreht, aus denen Netze, Taschen und Hängematten geknüpft wurden.
Die Herrin war Vorbeterin und Vorsängerin in der Kapelle des Ranchos. Diese Kapelle war eine kleine Halle ohne Wände und mit einem Palmendach versehen. An einem Ende der Halle war ein roher Tisch aufgestellt, auf dem ein Bild der Heiligen Jungfrau von Guadalupe stand. Immer waren frische Blumen vor jenem Bild. Sie wurden von den Frauen und Töchtern der Peones im Busch gesucht und täglich am Morgen dort aufgestellt. Jeden Sonntagmorgen wurde der Boden der Kapelle mit grünen Zweigen dick bestreut, so dass die Betenden darauf wie auf einem Teppich knien konnten. Die Herrin war zugleich auch Doktor und Hebamme für die Leute, die zum Rancho gehörten.
An barem Gelde waren wohl selten hundert Pesos, oft gar nur fünf Pesos im ganzen Rancho zu finden, Herrschaft und Peones eingeschlossen. Alles wurde geborgt. Einer borgte vom andern. Und alle borgten von der Herrschaft. Die Herrschaft fühlte ebenso sehr eine moralische wie eine nüchtern wirtschaftliche Verpflichtung, die Peones am Leben und gesund zu erhalten.
Was eine Revolution hier und unter den Verhältnissen, wie sie beim Eintreffen der Rebellen bestanden und so seit vierhundert Jahren bestanden hatten, vollführen oder ändern sollte, hätte selbst den radikalsten europäischen Theoretiker in Verwirrung gebracht, wäre er aufgefordert worden, die Peones aus ihrer Knechtschaft zu befreien und ihnen durch die Revolution etwas mehr zu geben, als was sie jetzt besaßen.
Es war nichts da. Und Freiheit, die sie einer Revolution verdankten, hätte diese Peones um die Hälfte ärmer und hilfloser zurückgelassen, als sie jetzt waren.
Es war genügend Land vorhanden. Der Rancho galt als ein großes Gut. Aber vier Fünftel des Landes war Busch und Dschungel, steinig und bergig. Von dem verbleibenden Fünftel war ein Teil Prärieland, das sich zur Weide für Kühe, Pferde und Mules eignete. Nur ein Zehntel des Landes war bebauter Ackerboden, in der Trockenzeit hart wie Zement und in der Regenzeit verschlammt und knollig. Dauerte die Trockenzeit zu lange, so waren alle Bewohner des Ranchos, einschließlich des mächtigen Rancheros und seiner Familie, dem Hungertode ebenso nahe wie alle seine Peones. Sein eigentlicher Reichtum bestand in den Kühen, Pferden und Mules, die er züchtete. Um diese Tiere züchten zu können, hatte er Kapital benötigt, denn er musste Zuchttiere ankaufen und dann Jahre warten, bis die Tiere groß genug waren, um verkauft werden zu können. Dauerte die Trockenzeit gar zu lange, so starben ihm auch die Tiere weg. Was hätte hier die Rebellion, die in der Monteria einen Sinn gehabt hatte, zugunsten der Peones ändern können? Selbst wenn sie ihnen Freiheit brachte von dem Patron, so nahm ihnen der Himmel diese Freiheit bald wieder fort; denn ihre Freiheit war wertlos, wenn sie nichts zu essen hatten, weil nichts wuchs und weil die Peones, einmal frei geworden, diese Freiheit gebrauchten, weniger als bisher zu arbeiten. Niemand hatte sie gelehrt, sich selbst zu befehlen, ohne Kommando und ohne Aufsicht zu arbeiten. Niemand gab ihnen Saat, weil andere, die näher den Verteilungsstellen waren, sofern solche bestanden, die Saat nötiger brauchten. Niemand hatte sie gelehrt, wie sie ihre Arbeit organisieren sollten, wie sie sich zu KooperativGenossenschaften zusammenschließen könnten.
So wenig war ihr Gemeinschaftssinn entwickelt, oder so sehr war er zerstört worden, falls er je bestanden hatte, dass eine Kooperativ-Genossenschaft ihnen wenig geholfen haben würde; denn Eifersucht, Neid und ewiger Streit um die Vorherrschaft würden die Genossenschaft nach und nach wieder zerstören. Menschen, die vierhundert Jahre, wohl gar vierzigtausend Jahre lang in Knechtschaft gelebt haben und während all dieser Zeit gezwungen waren, alles Denken, alles Verantwortlichsein, alles
Organisieren, alles Reden und Beraten, alles Kommandieren ihren Herren und den Autoritäten zu überlassen, können durch eine Rebellion nicht innerhalb eines Jahres zu freien Bauern gemacht werden, die selbständig denken, handeln und wirtschaften können und die niemand benötigen, der ihnen befiehlt, um vier Uhr morgens auf den Beinen zu sein, um den Acker zu bebauen.
Die Rebellen, die nun zu diesem Rancho kamen, betrachteten es freilich nicht als ihre Aufgabe, darüber nachzudenken, dass eine Revolution allein ein System nicht ändert, sondern dass sie nur den Besitz vertauscht, dass nur die Namen der Besitzer sich ändern und dass die Nation oder der Staat in seiner Eigenschaft als Kapitalist brutaler, rücksichtsloser und tyrannischer sein mag, als die früheren Herren je waren. Was kümmerten die Rebellen Systeme, neue oder alte.
So lange waren sie gepeitscht und gehenkt worden, so lange waren sie gedemütigt und ungehinderten Redens beraubt worden, dass ihr Gemeinschaftssinn, der sie mit allen anderen Volksgenossen aus rein natürlichen Ursachen verband, getötet worden war. Sie kannten nur noch Rache und Vergeltung. Zerstörung war das einzige, was sie begriffen. je mehr sie zerstörten, je mehr sie erschlugen von denen, die sie als ihre Feinde ansahen, je freier fühlten sie sich werden. Denn alles, was bestand und was lebte und nicht zu ihnen gehörte, war die Ursache ihrer Sklaverei. Wollten sie aus der Sklaverei erlöst werden, so mussten sie zerstören. Es kümmerte sie nicht mehr das Morgen, es kümmerte sie nur das Gestern, wo sie gepeinigt wurden.
Nicht dass es Diktatoren gibt und geben kann, ist tragisch, nein, sondern dass eine jede, auch die blühendste und scheinbar segensreichste Diktatur in Zerstörung, Verwüstung und Chaos endet und unvermeidlich darin enden muss, ehernen Gesetzen der Natur folgend, die kein Mensch zu ändern oder zu beeinflussen vermag, das ist das wahrhaft Tragische, weil es die
Menschheit in ihrem ununterdrückbaren Trieb nach endlicher Befreiung vom Tierischen und Unorganisierten um Hunderte von Jahren zurückwirft.
10
Als der Vortrupp am Rancho anlangte, fanden die Muchachos alle Hütten verlassen. Der Patron war mit seiner Familie tief in den Busch gegangen. Alle Familien der Peones waren ihm
gefolgt.
»Da haben wir einen Beweis, dass jemand unsere Ankunft und unsern Marsch verraten hat«, sagte General.
»Die haben hier Nachricht erhalten, und die Furcht hat sie alle vertrieben.«
»Das zu wissen ist viel wert«, meinte Profesor. »Nun können wir sicher sein, dass wir auf einer der beiden nächsten Fincas die Rurales antreffen.«
Zwei warfen ihren Packen ab und hörten zu, was General und Profesor miteinander redeten. Einer sagte: »General, wir können den Patron leicht im Busch finden. Brauchst es nur zu sagen, und wir gehen los und bringen ihn angeschleppt mit seiner ganzen Brut.«
»Was hat das für Zweck?« erwiderte General. »Schlachtet alles an Vieh, was ihr findet, und esst einmal gut. Was übrig bleibt, wird mit auf den Marsch genommen. Und die letzte Compania zündet an. Dann bleibt uns keine Festung im Rücken. Die Peones hätten ja hier bleiben können. Aber wenn sie mit ihrem Patron zusammenhocken, dann kann er ihnen auch neue Hütten bauen. Du, Nicasio, überbringst jeder anrückenden Compania den Befehl, dass wir hier lagern für die Nacht. Es wird wieder regnen, und wir können die Hütten für die Nacht gebrauchen. Ich gehe mit Profesor und mit Celso und so vielen andern, wie Platz haben, in das Haus des Patrons. Früh um vier wird abmarschiert.«
Am Morgen, als der Trupp aufpackte, hatte er Beleuchtung; alle Häuser und Hütten loderten. Es war kaum ein glimmender Rest vorhanden, als die letzte Compania den Rancho verließ.
Alle Schweine und Kühe waren geschlachtet, und alle Pferde und Esel wurden mitgeführt als Kriegsbeute.
Gegen Mittag kam der Trupp zum Rancho Santa Isabel. Wie in Santa Margarita, so waren auch hier die Hütten verlassen. Kühe und Schweine waren offenbar von den Leuten mit in den Busch getrieben worden. Nur ein halbes Dutzend Katzen räkelten sich schläfrig bei den einzelnen Hütten. Zwei oder drei Hunde, die sich wahrscheinlich herumgetrieben hatten und zu spät gekommen waren, um die Flucht der Bewohner mitzumachen, kläfften den Trupp an, verkrochen sich aber hinter den Hütten, als die Hunde des Trupps Jagd auf die Ranchohunde unternahmen. Der Trupp war noch nicht halb vorüber, da brannten bereits alle Hütten, das Herrenhaus, die Bodega und Tor und Zaun. Ehe der Rancho in Brand gesteckt worden war, hatten die Muchachos nach Sätteln und Machetes gesucht, aber keine gefunden. Es machte durchaus den Eindruck, als ob die Bewohner die Baulichkeiten gestern schon, wenn nicht gar am Tage vorher, verlassen hätten. Alle Feuerherde waren kalt und nass. Nur einige schwerere irdene Wassertöpfe waren alles, was in den Hütten sich noch vorfand.
Auf dem Weitermarsch entdeckten die Muchachos, dass selbst die kleinen Ansiedelungen unabhängiger indianischer Kleinbauern verlassen waren. Faule Hunde und Katzen lagen herum oder schlichen sich bei Ankunft des Trupps verstohlen und misstrauisch aus dem Wege.
»Der Ruf, der uns vorausgeht«, sagte Profesor zum General, als er die Einsamkeit und das geisterhafte Aussehen der verlassenen Hütten bemerkte, »ist ein böser. Ich möchte wissen, wer uns als Mörder, Brandstifter und Banditen verschrieen hat.«
»Was sagt Ihr, Muchachos?« General wandte sich an den Haufen aufmarschierter Burschen, die inzwischen auf dem hartgetretenen Platz des kleinen Dörfchens angekommen waren, ihre Packen abwarfen und sich hinhockten, um neuen Atem und frische Kräfte für den Weitermarsch zu bekommen. Es fehlten noch zwei oder drei Stunden bis zu jener Stelle auf dem Wege, wo das nächste Lager errichtet werden sollte.
Dieser kleine Pueblo bestand nur aus zehn Hütten, von denen jede nur einen Raum besaß. Auch hier konnte die Revolution den kleinen indianischen Bauern nichts bringen. Die Revolution hätte fruchtbareren Boden herschleppen müssen, Vieh, und Gras für das Vieh, einige Säcke voll Lumpen, damit diese armseligen Bauern und deren Frauen und Kinder das Allernotdürftigste an Kleidung hätten haben können. Von den Bewohnern dieses kleinen Pueblos besaßen nur je drei Familien einen Machete, jeder Mann ein rostiges und halb zerbrochenes Messer, jede Familie einen einzigen verbogenen Löffel.
Kein Bettgestell, kein Stuhl, kein Tisch war im ganzen Dorf zu finden. Kein Pflug war zu sehen, keine Axt, kein Nagel. Etwa zwanzig Meter Draht hätte man zusammengebracht, würde man in allen Hütten gesucht haben. Es war Draht, den die Männer auf ihren langen Märschen im Lande stückweise gefunden und aufgelesen hatten oder abgeschnitten von herunterhängenden Telegraphenleitungen, oder abgerissen von Drahtzäunen, an denen sie vorbeikamen.
Alles, was sie besaßen, um den mageren steinigen Boden zu bearbeiten, war ein dicker zugespitzter Pfahl, den sie in die Erde stießen, wenn sie Maiskörner säten.
Auch diese Männer und deren Familien hatten ihre armseligen Behausungen verlassen und waren tief in den Busch geflüchtet aus Furcht, von den Rebellen erschlagen zu werden, die anmarschiert kamen mit dem Kriegsruf >Tierra y Libertad!< Einen vollen Tag lang hätten sie Profesor zuhören können, was er zu sagen wusste über Diktatur, Tyrannei und Knechtschaft der Proletarier, und sie würden ihn nicht verstanden haben. Sie besaßen hier Erde und Freiheit, und nichts anderes verlangten sie vom Leben und von den Tyrannen, als dass man sie nicht ermordete, dass man sie nicht bestahl und dass man sie in Ruhe verrecken ließ, wenn der dürre Boden, durch Ausbleiben des
Regens oder durch Abschwemmen der dünnen Erdschicht infolge zu heftigen Regens, noch dürrer wurde und die armselige Ernte an Mais und Bohnen zu einem Drittel von den Ratten und einem weiteren Drittel von dem Maiswurm und der Bohnenmade aufgefressen wurde.
Sie wären einer Revolution dankbar gewesen, hätte diese Revolution sie vor den Adlern, Habichten, Mardern und Coyotes geschützt, die ihre Hühnchen stahlen, und vor den Pumas und Alligatoren, die ihre Schweinchen und Kälbchen holten. Ihre Probleme waren so einfach, dass auch die schönste Revolution und die glorreichste Rebellion, die das Land von der Diktatur befreite und in dicken Geschichtsbüchern teils verherrlicht, teils verdammt und verflucht wurde, an ihnen und an ihrem Leben vorüberging, ohne von ihnen beachtet zu werden. Die Revolution wäre von ihnen nur bemerkt worden dadurch, dass auf dem Markt im nächsten Flecken nicht mehr Don Damaso die Marktsteuern von ihnen einkassierte, sondern jetzt Don Dionisio und dass, während sie vor der Revolution zwei Centavos Marktsteuern zu zahlen hatten, wenn sie für fünfundzwanzig Centavos Schafwolle zu verkaufen gedachten, sie nun fünf Centavos Marktsteuer zahlen mussten, wovon ein Centavo als Extrasteuer berechnet wurde für eine Landschule, die nie gebaut wurde.
Die Rebellen hätten leicht zufrieden gestellt werden können mit Land, das reichlich vorhanden war und ihnen hätte zugeteilt werden können aus den Hunderttausenden von Hektaren von Land, das wohl zu den Fincas gehörte, aber niemals bebaut wurde und das die Besitzer auch niemals bebauen würden. Es wäre für die Finqueros, für die Besitzer großer Domänen, billiger gewesen, diese unbebauten Ländereien freiwillig herzugeben. Es wäre billiger gewesen, die Schuldsklaverei zu beseitigen. Und es wäre für das ganze Volk und für den Ruhm des Diktators um ein Tausendfaches besser gewesen, hätte er sich vor einem Parlament verantworten müssen, selbst wenn das
Parlament sich aus Männern zusammensetzte, die stundenlang redeten, ohne etwas zu sagen, und tagelang berieten, ohne etwas zu entscheiden.
Es wäre besser und billiger und für das Volk nützlicher gewesen, hätte der Diktator allen Volksgenossen, ob sie seine Freunde oder Feinde waren, ein unbeschränktes Recht gegeben, sich auszuquatschen, bis ihnen das Maul triefte. Aber gleich allen Diktatoren, deren Namen die Geschichte erhalten hat, erlaubte er keinen Widerspruch. Was er befahl, war Gesetz, ohne dass dem Manne, der gehorchen sollte und das Gesetz zu beachten hatte, das Recht gegeben wurde, etwas beim Gesetze machen mitzureden. Er kannte nur eine Antwort gegenüber den Wünschen und Forderungen der Staatsbürger, und das war die Antwort mit den Knüppeln und Revolvern seiner uniformierten Knechte.
Es wäre so einfach gewesen, hätte der Jefe Politico des Distriktes einige vernünftige und ruhige Männer dem Trupp entgegengeschickt, als er Nachricht von dem Anmarsch bekam. Diese Männer hätten sicher mehr erreicht und für den Staat Wertvolleres als die Rurales, die der Jefe Politico abschickte mit dem Befehl, sich in keinerlei Unterhandlungen einzulassen, sondern einfach loszupfeffern, sobald die Banditen und Mörder in Sicht kämen.
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