ACHTES KAPITEL
1
Der Marktflecken Achlumal war nur von zwanzig Federal-Soldaten besetzt, weil der größere Teil der Garnison, die gewöhnlich aus sechzig Mann bestand, zur Verstärkung des Trupps geschickt worden war, der in Santa Cecilia jetzt von den Geiern gefressen wurde.
Der Ort brüstete sich aber auch noch mit einer Ortspolizei, einem Kommissar und sechs Mann, die barfuss liefen und als Waffen einen Machete und einen Vorderlader besaßen.
Dann war da noch der Presidente Municipal oder Bürgermeister, der einen Revolver hatte, der Steuerkassierer, der Zivilrichter, der Postmeister und der Stadtschreiber, die gleichfalls Revolver besaßen, als Zeichen ihrer Würde und um sich Respekt zu verschaffen. Ohne Revolver an der Hüfte sahen sie aus wie andere gewöhnliche Bürger, und niemand würde gewusst haben, dass sie hier etwas zu sagen hätten.
Auch die Mehrzahl der Ladeninhaber und der selbständigen Handwerker besaßen Revolver; wenn sie auch zum Teil heftig verrostet waren und die Munition nicht immer richtig passte, so erzeugten sie doch wenigstens den Eindruck tödlicher Waffen. Das ist reichlich genug, um seine Mitmenschen in Schrecken zu versetzen, auch wenn man sonst aussieht wie ein Abteilungsaufseher in einem Warenhaus oder wie ein Filmclown mit einer schwarzen Zahnbürste unter der rotztriefenden Nase.
General hätte Achlumal auf genau die gleiche Weise überfallen und einnehmen können wie Santa Cecilia.
Absichtlich jedoch versuchte er eine andere Art des Überfalls. Er schickte dreißig Muchachos, alle mit ihrem Machete bewaffnet, auf den Markt von Achlumal, als ob sie indianische Kleinbauern wären, die zum Einkaufen kämen. jeder Indianer trägt überall seinen Machete mit sich. Es würde Aufsehen erregen, käme er ohne Machete.
Die Federal-Soldaten, unter dem Kommando eines Leutnants, waren untergebracht im Stadthause, in einem Raum, der ihnen als Wachstube diente und der, wie alle übrigen Räume des einstöckigen Gebäudes, zu ebener Erde lag und dessen Tür in den Portico hinausführte. Wie alle übrigen Räume im Cabildo, hatte auch dieser keine zweite Tür nach hinten hinaus und auch keine Fenster.
Im Portico hockten, wie gewöhnlich, eine große Anzahl von Indianern herum, teils um im Schatten zu sitzen, teils weil sie irgendwelche Geschäfte im Stadthause oder in einem der Ämter, die in diesem Gebäude untergebracht waren, zu erledigen hatten. Nachts schlafen in dem Portico des Cabildo reisende Händler und wandernde Indianer.
Ein Soldat ging mit geschultertem Gewehr vor der Tür der Wachstube auf und ab, weil ja ein Soldat wenigstens etwas tun muss, damit die Steuerzahler sehen, dass ihr Geld nicht unnütz vergeudet wird.
Der Cabo saß, seinen Kattunrock ausgezogen und die Ärmel aufgekrempt, an einem winzig kleinen Tischchen in der Wachstube vor Zetteln und Papierchen und kaute gelangweilt an einem Bleistift. Der Leutnant war nicht zugegen. Wahrscheinlich war er in einer Cantina auf der Plaza, um sich zu betrinken, oder er war auf der Suche nach einer Bettgenossin für die Nacht. Zwei Soldaten lagen in der Wachstube auf einer Matte und schnarchten. Weil der Cabo nicht ewig an seinem Bleistift kauen konnte, um nicht völlig zu verblöden, fügte er eine weitere Beschäftigung seinen Obliegenheiten hinzu.
Wenn einer der schlafenden Soldaten zu laut schnarchte, dann stand er auf, trat dem Mann in den Hintern, bis der sich umwandte und darüber sein Schnarchen vergaß. Dann ging der Cabo wieder zurück zum Tischchen und kaute an seinem Bleistift weiter.
Die übrigen Soldaten hockten im Portico, ihre Uniformblusen von oben bis unten aufgeknöpft. Ein paar spielten Karten. Einer stocherte sich in den Zähnen herum. Ein anderer las in einer Fibel, was ihm soviel Schwierigkeiten bereitete, dass er sich unaufhörlich den Kopf kratzte und dann gedankenlos die Fingernägel abschleckte.
Es war so friedlich ringsherum, dass man die Fliegen summen hören konnte. Bald aus diesem, bald aus jenem Hause auf dem Platze plärrte ein Kind, wodurch der Eindruck molligen Bürgerfriedens noch vertieft wurde. Die Bürger des Städtchens erholten sich von ihren Anstrengungen und schaukelten sich in Hängematten oder wälzten sich auf ihren harten Betten. Hin und wieder huschte ein Mädchen oder eine eilige Frau in einen Laden, um rasch etwas zu kaufen, was sie im Hause brauchte. Und die Frau, die im Laden verkaufte, kam faul aus ihrem Nickereckchen hervorgewatschelt, und halb verdöst, halb verärgert, suchte sie in der Tischschublade nach den einzelnen Centavos, um der Kundin, die für drei Centavos Salz oder für sechs Centavos Canela eingekauft hatte, herausgeben zu können. Es war brütend heiß um diese Stunden, und jeder ehrenhafte Bürger betrachtete es als Sünde gegen Gott und als einen Verstoß gegen die Moral und Sitte, um diese Zeit zu arbeiten oder zu handeln oder auf den Straßen herumzulaufen.
Die Muchachos arbeiteten so rasch und sicher, dass, als sie in die Wachstube kamen, der Cabo nur gerade noch Zeit hatte, einmal aufzusehen und sich für eine Viertelsekunde über die Frechheit indianischer Burschen zu verwundern, hier in die Wachstube gerannt zu kommen, ohne sich erst beim Posten zu melden. Aber sowohl der Posten als auch die übrigen Soldaten, die im Portico gehockt hatten, wurden im selben Augenblick hereingeschleift in einer Weise, dass, hätte jemand von der Plaza aus hergesehen, er geglaubt haben würde, die Soldaten hätten die Muchachos ergriffen und schleppten sie nun zum Verhör vor den Unteroffizier. Jedoch die Soldaten waren bereits nicht mehr am Leben. Ehe der Cabo das überhaupt begriff, war er schon in dasselbe Bataillon der Abmarschierten eingereiht. Die Soldaten, die auf dem Boden ausgestreckt schliefen, hörten mit einem Ruck zu schnarchen auf. Sie ließen ein Geräusch vernehmen ähnlich dem, wenn das letzte Wasser durch die Abflussöffnung einer Badewanne entwischt.
Im nächsten Augenblick waren die Soldaten entkleidet, die Muchachos zogen sich die Uniformen an, und ruhig marschierte ein Posten mit geschultertem Gewehr vor der Wachstube auf und ab, als der Leutnant angezockelt kam, um von dem Cabo zu hören, ob sich irgend etwas ereignet habe, während er mit guten zahlungswilligen Bürgern in der Cantina die Werte der verschiedenen Sorten alten Comitecos stundenlang abgeschätzt hatte.
Ein wenig in den Hüften schwankend, kam er auf den Posten zu und sagte: »Du wirst auch nie in deinem Leben lernen, wie eine Spritze richtig zu schultern ist.« Dabei gab er ihm eine Backpfeife und sagte, unsicher mit den Worten herumhakend: »Ich werde mit dem Cabo deinetwegen reden. Er soll dich einmal gründlich vornehmen und dir die Kanone, die du wie einen Besen hältst, so lange in die Schultern wuchten, bis sie dir bis zum Kinn hinauf anschwellen. Dann wirst du wohl endlich lernen, wie ein Soldat den Knüppel anzufassen hat. Verflucht noch mal, dass ich mich doch hier in einer so verlausten und verdreckten Garnison, wo man bei jedem Schritt zweimal in die Schitt schlittert, mit verlausten und stinkenden Indianern herumärgern muss, die behaupten, dass sie Soldaten seien.«
Er ging auf die offene Tür der Wachstube los und rief: »He, Cabo, komm raus hier und sieh dir doch mal das Schwein an und leck ihm den Dreck aus den Ohren, damit sie in Zukunft gewaschen antreten.« Er ging noch einen halben Schritt näher und stützte sich mit ausgestrecktem Arm gegen den Türpfosten.
Dann, als ob er sich an dem Pfosten um sich selbst herum drehe, um in die Wachstube zu gelangen, ohne die Hände von dem Pfosten loszulassen, verschwand er in dem Raum. Alles, was zu hören war, glich dem Fallen eines schwer gefüllten Sackes und dem Hinwegschleifen des Sackes über einen mit Ziegelsteinen gepflasterten Boden. Die Lederhacken seiner Schuhe verursachten bei diesem Hinwegschleifen über die Steine einen quiekenden Ton.
2
Einige Minuten darauf wimmelten von allen Seiten die Muchachos auf Achlumal los. Es erhob sich ein Angstgeschrei in dem kleinen Städtchen, das auch den faulsten Schläfer von seinem Lager riss oder aus seiner Hängematte warf.
Dann begann ein wildes verwirrtes Durcheinanderrennen in den paar Straßen und auf der Plaza. Frauen schrieen, Kinder weinten, Männer fluchten, Hunde bellten. Im Cabildo wurde geschossen. Alle Beamten und Angestellten der Stadtbehörde und der Federal-Agenturen, die Revolver trugen, bezahlten diese Ehre jetzt teuer, ohne sich mit dem schönen Bewusstsein verabschieden zu können, ein paar der Rebellen zur Begleitung auf ihrem Höhenflug erfolgreich eingeladen zu haben. Denn die Muchachos waren für die verschlafenen Leute zu rasch und zu geschickt.
Alles, was in dem Stadthause an Katastern, Papieren, Listen, Büchern, Zetteln und Verordnungen gefunden wurde, kam auf einen Haufen und wurde verbrannt. Das Gefängnis, das sich im Patio des Cabildo befand und in dem, wie in allen Gefängnissen des Staates, nur indianische Peones und indianische Kleinbauern hockten, ein jeder beinahe verhungert, war bereits aufgebrochen. Die Gefangenen, die keine Sympathie mit irgendeinem verband, der das Gesetz zu vertreten behauptete, verstanden nur eins: Sie mussten nun das Verbrechen endlich begehen, für das sie seit Wochen oder Monaten im Calabozo gesessen hatten. In vielen Fällen war ihr Verbrechen Frechheit gegen Autoritäten oder Finqueros, und es war Meuterei, Rebellion, Arbeitsverweigerung, wie jene Frechheit genannt wurde. Viel rascher, als es den Muchachos, die den Ort nicht kannten, gelungen wäre, wussten die Befreiten alle die zu finden, mit denen sie eine Rechnung zu begleichen hatten, Beamte, Bürger und Denunzianten. Sie waren diejenigen, die jetzt im Ort das verrichteten, was weder General noch sonst einer der Muchachos im Sinn gehabt hatte. Ihre Wut und ihr Wunsch nach Rache kannte keine Grenzen. Wo sie in ein Haus einbrachen, blieben weder Mann noch Frau, noch Kind leben. Obgleich sie nichts stahlen, nicht einmal Geld suchten, sondern nur eine Decke, einen Machete oder eine Jagdflinte, so verließen sie das Haus erst dann, wenn alles und jedes im Hause völlig zerstört, zerbrochen, zerhackt und zerschnitten war. Und dann stellten sie Kerzen, die sie im Hause gefunden und angezündet hatten, in die aufgehäuften Trümmer zerbrochener Möbel, gegen die Holzwände, gegen die Türen und in Kisten.
Es währte nicht lange, und das Städtchen, der wichtigste Marktflecken der Region, brannte an einem Dutzend verschiedener Stellen. Niemand bemühte sich um das Feuer. Die Rebellen waren die Herren der Stadt. Aber da sie hier die Herren nicht zu bleiben gedachten, sondern größere Aufgaben vor sich sahen, was kümmerte sie das Wohlergehen der Stadt, die nie auch nur einem von ihnen je etwas Gutes getan oder gegeben hatte. Wo immer sie eine Stadt antrafen, die einen Cabildo besaß und ein Gefängnis, da wussten sie, dass es eine Burg des Diktators war, in der sie keine Menschen antrafen, sondern nur menschenähnlich aussehende Kreaturen, die das Recht hatten, ihnen zu befehlen, und denen sie blind gehorchen mussten. Selbst die Schulen waren nur für die Kinder der Ladinos. Und wenn die Kinder indianischer Bewohner der Stadt, des Proletariats, das in zusammenbrechenden Lehmbuden an den Rändern der Stadt lebte, in der Schule zugelassen wurden, so waren sie die Kinder, an denen der Lehrer seine Gelüste im Prügeln ausließ; denn die Väter der Ladinokinder kamen mit dem Revolver zur Schule und hatten eine Unterredung mit dem Lehrer, falls er sich so weit vergessen haben sollte, einem ihrer Kinder auch nur einen Klaps auf die Hand zu geben. Proletarier lassen sich gefallen, dass ihre Kinder in der Schule verprügelt werden, darum werden nicht nur deren Kinder verprügelt, sondern auch noch die Väter, wenn sie in die Klauen der Wachstubenbestien fallen.
Auf der Plaza, dem Zocalo, befand sich in jedem Hause ein Laden; darum war der Ort ja auch ein Marktflecken, wo die gesamte Bevölkerung vom Handeln und Tauschen mit den Indianern der Region lebte. Selbst die vielen kleinen Handwerker des Ortes besaßen außer ihrem Geschäft als Zimmerer, Maurer oder Schmied gleichfalls noch einen Laden, der ihnen ein sicheres, wenn auch kleines Einkommen verbürgte, und mehr als in den meisten Fällen ihr Handwerk. Die Mehrzahl der Läden freilich waren so winzig, dass es schwierig gewesen wäre, in ihnen für mehr als zehn Pesos an Waren zu finden.
Als die Muchachos in den Ort einbrachen und die Bürger begriffen, um was es sich handelte, schlossen sie sofort ihre Läden. Richtiger, sie versuchten, ihre Läden zu schließen. Aber die Mehrzahl hatte nicht genügend Zeit dazu und zog vor, zu rennen oder sich zu verstecken.
Selbst die Läden, die verschlossen waren, brachen bei den ersten Fußtritten oder Stößen mit den Karabinerkolben durch. Denn wenn ein Laden nicht größer ist, als Ware im Werte von hundert Pesos zu beherbergen, kann man von dem Besitzer nicht gut erwarten, dass er dicke Türen mit Eisen beschlagen und den besten Schlössern versehen lässt, was ihn zwei- oder dreitausend Pesos kosten würde. Die Sicherheit der Läden stand im Verhältnis zu dem Wert der Waren. Unbekannte Leute, die hier herkamen, waren stets verdächtig und konnten keinen Schritt tun, ohne beobachtet zu werden. Diebe kamen nur dann in den Ort, wenn die Feria, das große Heiligenfest, abgehalten wurde. Und weil Stehlen unter den gewöhnlichen alltäglichen Verhältnissen selten war, lag keine Ursache vor, sich große Ausgaben zu machen, um den armseligen Bestand an Waren zu schützen.
Alle Läden wurden ausgeräumt. Aber die Muchachos nahmen nur, was sie für ihren Weitermarsch brauchten. Nicht darum etwa plünderten sie weniger gründlich, weil sie keine Diebe sein wollten, sondern weil sie alles auf ihrem Rücken zu schleppen haben würden. Keiner schleppte mehr, als er für seinen Unterhalt benötigte. Ob sie jemand Diebe, Plünderer, Salvajes oder Vandalos nannte, das kümmerte keinen von ihnen. Nach dieser Richtung hin besaßen sie keine Ehre. Ihre Ehre war, die Rebellion zu gewinnen und die Diktatur zu entthronen. War das geschehen, dann konnte auch wieder an andere Ehren gedacht werden.
Obgleich nur jeder sich nahm, was er brauchte, so kam es natürlich am Ende darauf hinaus, dass die Bürgerrecht hatten, wenn sie später erklärten: »Achlumal wurde so völlig ausgeplündert, dass auch nicht einmal mehr ein Körnchen Salz zu finden war und kein Stein auf dem andern und keine Decke auf den Bettgestellen blieb.« Rebellen müssen leben, wenn sie eine Rebellion gewinnen wollen; und wenn sie keine Industriebarone und Bankdirektoren finden, die ihnen das Geld für eine Rebellion leihen, dann muss sich eine Rebellion eben selbst bezahlen. So oder so. Aber Rebellionen müssen sein, wenn die Welt vorankommen soll. Ein See, der kein fließendes Wasser hat oder nicht zuweilen heftig von Stürmen aufgerüttelt wird, fängt zu stinken an und versumpft endlich.
3
General ließ das Signal zum Weitermarsch blasen. Es fehlten noch drei Stunden bis Sonnenuntergang.
»Wir könnten doch recht gut hier im Ort die Nacht verbringen«, meinte Coronel.
»Freilich könnten wir«, erwiderte General, »aber wir tun es nicht.
Ich habe es wieder mal irgendwo in meinem Magen oder im Zwerchfell, dass ein Bataillon gegen uns auf dem Marsch ist oder vielleicht eine Division. Wie leicht man eine ganze Stadt nehmen kann, das habt ihr alle heute gesehen. Wenn wir hier im Ort bleiben, ohne es nötig zu haben, sitzen wir ganz elend und verlassen in einer Falle. Ich bin für die Prärie oder den Busch, da haben wir mehr Platz. Und überhaupt, hier wird nichts mehr geredet. Ich sage, es wird losmarschiert, und dann marschiert ein jeder, der Beine hat. Aufgepackt!« rief er mit schallender Stimme über die Plaza hin.
Eine Stunde, nachdem die Muchachos Achlumal verlassen hatten, begann es sich im Ort langsam wieder zu regen. Die Bevölkerung kam aus den Schlupfwinkeln in den Patios und Hintergärten ihrer Häuser hervorgekrochen. Eine gute Anzahl hatten sich unter und hinter den zahlreichen Altären in der Kathedrale versteckt. Aus irgendeinem Grunde war keiner der Muchachos in die Kathedrale gegangen, um zu sehen, wie sie von innen aussehe. Es war nicht Scheu oder Aberglaube, es war lediglich, dass keiner von ihnen glaubte, in der Kathedrale etwas zu finden, was ihnen für ihren Weitermarsch nützlich sein könnte. Was ihnen am wichtigsten war, das waren Waffen, und dass der Cura Waffen verborgen haben könnte, das glaubten sie nicht. Alle Waffen, die im Ort zu erhoffen waren, hatten sie erobert.
Um auch noch die letzten verrosteten Flinten und Pistolen herauszuholen, nur darum haschten sie überhaupt nach den Bürgern. Sobald sie einem nahe kamen und der Verfolgte einen Revolver besaß, beeilte er sich, ihn hinzuwerfen.
Jeder Bürger fühlte, dass der Nichtbesitz einer Waffe ihm die Haut schützte. Obgleich die Bürger es reichlich genug verdient haben würden, dass die Muchachos alte Rechnungen mit ihnen beglichen, so war, wie die Bewohner in einer Zählung feststellten, der Verlust nicht größer, als er gewöhnlich zu sein pflegte, wenn die schwarzen Pocken in den Ort kamen. Freilich, alle Soldaten und die Beamten im Stadthause in ihrer Mehrzahl waren für die Ehre des Caudillo gefallen, wie später in den Zeitungen zu lesen war.
Die ehrsamen Bürgerweibchen gingen in ihre Häuser; und mit den verbliebenen Töpfen und Resten von Reis, Mais und Trockenfleisch begannen sie das Essen für die Nacht herzurichten.
Während sich die Frauen damit beschäftigten, standen ihre Männer auf der Plaza herum und erzählten sich gegenseitig, wie tapfer jeder einzelne sich gegenüber den Rebellen verhalten habe und wie er es ihnen gezeigt habe, um wie viel mehr wert ein Ladino sei als ein dreckiger Indianer. Die Klügeren unter den Bürgern jedoch vergeudeten keine Zeit mit solchen Prahlereien, die nichts einbrachten. Sie beeilten sich, die verwahrlosten Ämter der Stadt rasch unter sich zu verteilen, ehe die übrigen Leute wieder Zeit gewannen, sich von ihren Abenteuern zu erholen und bei der Neubesetzung der Ämter mitzureden oder gar von Neuwahlen zu faseln. Endlich sagte einer der Männer, die auf der Plaza in Gruppen herumstanden und Heldengesänge dichteten: »Caramba, Vecinos, wir müssen ja wohl nun auch an eine neue Behörde denken; ich glaube, Companeros, ich habe immer bewiesen, dass ich ehrenhaften Charakters bin und dass ich durchaus nicht abgeneigt bin, in dieser schweren Zeit des Vaterlandes die Mühen des Postens als Bürgermeister von Achlumal auf meine Schultern zu laden.«
»Das wollen wir jetzt gleich besprechen, Don Aurelio«, erwiderte Don Jesus Maria, »ich bin überzeugt, dass Sie wohl kaum im Ernst bestreiten können, dass ich die ehrliche Gesinnung, das richtige Gefühl für Gerechtigkeit besitze, um den Posten als Zivilrichter auszufüllen.«
»Freilich, freilich, Don Chucho«, sagte darauf eilfertig Don Aurelio, sofort begreifend, dass er auf alle Fälle in Don Jesus Maria bereits einen einflussreichen Bürger gefunden habe, der auf seiner Seite war.
»Caballeros!« sagte Don Pablo, mit einem halben Dutzend von Bürgern auf die redenden Gruppen zukommend:
»Darf ich Ihnen unsere neue Stadtbehörde und unsere neue Federal-Verwaltung vorstellen? Ich habe, dem dringenden Zureden der hochehrenhaften Bürger hier endlich folgend, das schwierige Amt des Presidente Municipal übernommen. Wir sind überzeugt, Caballeros, dass Sie unter den obwaltenden Umständen keine Einwendungen machen werden; denn wir rechnen mit Ihrem Patriotismus und mit Ihrer wohlwollenden Unterstützung als gute Bürger.«
»Gewiss, gewiss, Don Pablo«, sagte Don Aurelio sauer, »wir, mein Freund, Don Jesus Maria und ich, wir haben nichts einzuwenden. Ich dachte, dass ich vielleicht -«
»Wir haben auch an Sie gedacht, Don Aurelio«, unterbrach ihn Don Pablo eiligst, »sowie auch an Don Jesus Maria. Aber wir sahen ein, dass Sie mit Ihren Tabakeinkäufen und Don Jesus mit seinen Schweineaufkäufen zur Zeit sehr beschäftigt sind und wir nicht erwarten dürfen, dass Sie Ihre guten Geschäfte aufgeben sollen, um der Bürgerschaft und dem Lande zu dienen.«
>Was für eine Gemeinheit der Mann zeigt, mein jämmerlich armseliges Geschäft mit der fetten Pfründe des Bürgermeisters zu vergleichen<, dachte Don Aurelio verärgert. Laut jedoch sagte er: »Ich bin überzeugt, Don Pablo, dass unsere Stadt keinen besseren Presidente finden könnte als Sie.«
»Muchas gracias, Don Aurelio, vielen, vielen Dank für Ihre gute Meinung«, erwiderte Don Pablo. Er ging auf Don Aurelio zu und umarmte ihn. »Ich wünschte, ich hätte mehr so aufrichtige Freunde wie Sie, Don Aurelio. Kommen Sie doch heute Abend mit Don Chucho ein wenig rüber in mein Haus. Ich habe da noch ein paar Flaschen guten alten Comitecos im Hintergründe, die von den verlausten Dreckschweinen nicht gefunden wurden.«
»Glauben Sie denn nicht, dass diese Räuber und Banditen noch einmal hierher zurückkommen?« fragte Don Emilio den neuen Bürgermeister.
»Seien Sie unbesorgt, Ciudadano, hierher kommen keine Rebellen mehr, nicht solange ich hier Presidente Municipal bin. Das kann ich versichern. Ich habe bereits zwei Muchachos nach Balun Canan und zwei nach Jovel geschickt, zu den militärischen Jefes, und den Weg beschrieben, den diese räudigen Hunde marschieren. Da wird in den nächsten Tagen ein gründliches Aufräumen sein. Im Keime muss diese verruchte Meuterei erstickt werden. Wir sind nur immer zu gnädig mit allen Burschen hier umgegangen. Ich bin von jeher dafür gewesen, dass freche Peones und schreiende Campesinos nicht ins Gefängnis gesteckt, sondern sofort aufgehenkt werden, sobald sie auch nur ihr stinkiges Maul aufmachen und davon reden, dass sie keine Gerechtigkeit hier hätten.« |
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