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B. Traven - Ein General kommt aus dem Dschungel (1940)
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FÜNFTES KAPITEL

1

Das Heer der Rebellen war auf dem Wege nach Achlumal.
Lange hatte der Stab darüber beraten, welchen wichtigen Hauptort man zuerst besuchen sollte, Achlumal oder Hucutsin. Beide Orte waren kleine Städte, und in beiden Orten hatte ein Jefe Politico seinen Sitz, weil diese Städtchen die Hauptorte ihrer Distrikte bildeten. Beide Orte hatten sowohl eine Compania der Rurales wie auch einen wichtigen Militärposten der Federal- Truppen.
General hatte wieder einmal nach den Gedanken der Offiziere seiner Gegner gehandelt, als er den Vorschlag machte, anstatt nach Hucutsin nach Achlumal zu marschieren. Er sagte sich richtig, dass die Rurales und Federales, die in Hucutsin stationiert waren, der Überzeugung sein müssten, dass der Trupp auf Hucutsin losziehen würde, um über Teultepec, Oshchuc und Vitztan auf Jovel loszugehen. In Hucutsin hatte sich die Mehrzahl aller Finqueros der Region versammelt, alle bewaffnet und alle begleitet von ihren bewaffneten Mayordomos und Söhnen und Vettern, und solchen ihrer Handwerker, die ihnen ergeben waren.
Der einzige natürliche Weg für die Muchachos war der über Hucutsin; denn er führte zu jenen Regionen, wo die meisten von ihnen herkamen und wo sie angeworben worden waren. Es war der Weg, den sie am besten kannten und auf dem, und in dessen Nähe zu beiden Seiten, sie immer gewiss waren, Stammesgenossen und Sippen ihrer eigenen Nationen anzutreffen, die ihnen in irgendwelchen Formen helfen konnten, sei es durch Spionage oder durch Angabe guter Verstecke und der besten Wege, auf denen die Rebellen den uniformierten
Truppen in den Rücken fallen konnten.
Der Kriegsrat war beeinflusst worden durch das Auffangen zahlreicher Peones, die von Hucutsin zu ihren Fincas heimwanderten. Diese vereinzelten Marktbesucher bestätigten die Gedanken Generals darüber, was die Soldaten gegen die Aufständischen zu unternehmen gedachten. Nach den Berichten der aufgefangenen Peones befanden sich in der Tat in Hucutsin große Ansammlungen von Staatspolizei und Federales, ferner auch eine erhebliche Zahl von Finqueros, die so reichlich anwesend waren, dass die Peones glaubten, es fände eine Fiesta oder eine Feria im Orte statt. Mehrere der Peones, einmal vertraulich gemacht, erklärten, jeder dort wisse, dass die Rebellen auf dem Marsch nach Hucutsin seien, um den Ort zu umzingeln und alles, was sich darin befand, abzuschlachten.
Als diese Berichte im Stab bekannt wurden, waren die Capitanes der einzelnen Companias kaum zu halten. Am liebsten wären sie gleich auf Hucutsin losgestürzt. Es waren die Mengen der Waffen, die sie verlockten. Beute kam erst in zweiter Linie, sofern an Beute überhaupt gedacht wurde.
General hatte gegenüber dieser Kriegswut der Muchachos einen schweren Stand. Es könnte geschehen, dass die Muchachos ihn übergroßer Vorsicht und gar der Furcht anklagen möchten. Aber er wie Profesor, Coronel, Celso, Santiago, Andres und Pedro waren klug genug, einzusehen, dass unter diesen Umständen die Umzingelung nur mit einem Verlust der halben Armee durchgeführt werden konnte.
General sagte: »Macht keine Dummheiten. Solche Esel sind die Rurales und die Finqueros nicht, dass sie uns in Hucutsin erwarten. Da wären wir ihnen überlegen, wir mit unserer Gewandtheit, mit unseren Messern und Machetes. Das wissen die. Die halten uns weit draußen auf. Drei oder vier Meilen vor dem Ort. Ich kann mir auch denken, wo sie auf uns warten werden. Da ist ein reißender Fluss, in gewisser Entfernung vom Ort. Den Rio können wir nicht umgehen. Wir müssen durch.
Gleich nach dem Übergang ist ein gottverfluchter Hohlweg, und da ist reichlich Busch. Da werden sie sitzen und auf uns warten. Und das versalzen wir ihnen jetzt.«
Es kamen Peones des Weges, die nach Hucutsin zu Markte gingen. General rief einige Muchachos herbei, die infolge derselben Sprache sich rasch mit den wandernden Peones anfreundeten. Diese Muchachos, es nicht besser wissend und in ihrer Ungenauigkeit noch besonders von Fidel bestärkt, erzählten jenen Peones mit aufgeregten Gesten, dass der Trupp in drei Tagen in Hucutsin sein werde, um dort ein solches Feuerchen anzustecken, dass nicht einmal die Einfriedigungsmauern der Patios stehen bleiben würden und nicht eine Seele am Leben sein sollte, wenn Hucutsin wieder verlassen wäre, denn die Muchachos alle hätten eine mächtige Abrechnung mit dem Bürgermeister dort und mit dem Polizeichef.
Die Peones, kaum angelangt in Hucutsin, hatten es eilig, im ganzen Ort herumzuerzählen, was sie wussten; und weil sie Furcht hatten, dass sie aus Versehen mit abgeschlachtet werden könnten, machten sie sich noch am selben Abend auf, Hucutsin wieder zu verlassen, was natürlich bei allen Leuten, Soldaten und Finqueros eingeschlossen, den Glauben vertiefte, dass die Rebellen in der Tat schon auf dem Marsche hierher seien.
»Gehen wir auf Hucutsin los«, erklärte General weiter, »dann bekommen wir die Garnison von Achlumal in den Rücken, die wahrscheinlich schon Botschaft hat, dass wir auf Hucutsin marschieren, und den Befehl hat, uns im Rücken anzufallen. Außerdem kommen uns auch noch die Rurales und Federales von den Orten entgegen, die auf dem Wege von Hucutsin nach Jovel liegen. Das wird eine ungeheure Übermacht. Die erwarten uns auf den Prärien oder in Hohlwegen und fallen unversehens über uns her.«
»Das ist richtig, was du sagst, General«, unterbrach ihn Coronel. »Und darum, weil die in Hucutsin so gottverdammt sicher sind, dass wir dorthin marschieren, gehen wir nun zuerst einmal auf Achlumal los und packen uns dort die Rurales und den Federalposten. Dabei kriegen wir wahrscheinlich fünfzig bis hundert neue Karabiner mehr, vielleicht auch ein weiteres Maschinengewehr und so viel Munition, dass wir sie gar nicht alle in einem Monat abschießen können. Gleichzeitig bekommen wir unsern Rücken frei. Nun der Zweck dieser Umstellung. Wenn wir Achlumal genommen haben, dann gehen wir nicht auf diesem kurzen Wege hier auf Hucutsin los, sondern wir marschieren über San Miguel und San Jeronimo auf Teultepec. Da werden wir nicht viel Rurales antreffen. In Teultepec, das werdet ihr euch von dem Marsch zu den Monterias her gut erinnern, sind wir mehr als sechshundert Meter hoch über Hucutsin. Da sitzen wir wie in einer Felsenfestung, und von diesen Höhen aus flitzen wir runter auf Hucutsin wie Adler auf Karnickel los. Dann haben wir die Höhen, dann haben wir den Busch und die Hohlwege, und dann sollen sie einmal auf uns zukommen. Nicht einmal die Läuse, die sie an ihren Bolsitas haben, bleiben leben. Wir besetzen rechtzeitig genug den Weg nach Sibacja. Wenn wir dann auf sie losgehen, bleibt ihnen nur ein Weg offen, der Weg zurück, wo wir hergekommen sind, zurück in den großen Dschungel. Und da beginnt das Freudenfest, da haben wir sie, wo wir sie haben wollen. So wird's gemacht, und nicht anders. Wer dafür stimmt, hebe die Hand hoch; wer dagegen ist, kriegt von mir eins in die Fresse, und gründlich, und dann kann er mir einen besseren Plan erzählen, und wenn er wirklich besser ist, bin ich willens, mitzumachen. Aber Ihr werdet eure gottverfluchten Schwierigkeiten haben, mir einen besseren Plan zu erzählen.«
So wurde auf Achlumal marschiert, während in Hucutsin sich Rurales, Federales und schwerbewaffnete Finqueros in immer größerer Zahl anhäuften, um das bevorstehende Siegesfest zu feiern. Die Finqueros feierten bereits jeden Tag den Sieg, solange sie nun schon hier waren. Auf dem Cabildo wehten
Fahnen, die den großen Sieg im vorausverkündeten. In den Cantinas ging es lustig und begeistert zu.
»Diesen verlausten und verfluchten Schweinen von aufsässigen Indianern wollen wir schon beibringen, wer der Herr im Staate ist und wer im Distrikt Chiilum kommandiert.«
»Darauf wollen wir noch einmal anstoßen.«
»So spricht ein wackerer Mann. Salud, Compadre!«
»Salud, Compadre!«
»Natürlich nehmen wir noch einen, Don Clementino.« »Freilich, Don Cesar!« »Viva El Caudillo!«
»Viva dem großen Lenker unseres glorreichen Volkes!« »Salud, Compadre!« »Viva la patria!«

 

2

Der Marsch des heutigen Tages war verteufelt hart gewesen. Die Heerstraße war nichts anderes als ein elender und erbärmlicher Mulepfad. Das ging hoch und wieder runter auf felsigen und steinigen Höhen.
Sümpfe, Moraste und verschlammte Strecken, wo Mensch und Tier nicht mehr marschierte und lief, sondern nur vorwärts kroch und sich mit einem Bein aus dem Morast zerrte, um, beim nächsten Schritt nur aufs neue wieder einzusinken in Schitt und Dreck.
Gegen Mittag erweiterte sich der Weg wieder, nachdem ein Fluss gekreuzt worden war. Wieder begann Prärieland.
Gestern war eine andere Finca, Santa Brigida, besucht worden. Die Herrschaft war auch hier, wie die dort gebliebenen Peones erklärten, irgendwohin zu einer Hochzeit geritten. Dass die Herrschaft einer Finca etwa abreiste aus Furcht vor indianischen Rebellen, würde ein Finquero oder seine Frau oder Tochter nie zu geben, nicht einmal auf dem Sterbebett. Der Finquero würde gegenüber seinen Nachbarn und Freunden, erst recht aber vor seinen Peones, jedes Ansehen verloren haben, hätte er irgendein sterbliches Wesen, selbst ein Pferd oder seinen bevorzugten Hund, glauben lassen, er sei mit seiner gesamten Familie zu einer Hochzeit oder zu einer Verlobung geritten, weil indianische Rebellen auf die Finca losmarschierten. Konnte keine Hochzeit so überraschend schnell gefeiert werden, weil die Brautleute ein Wort dabei mitreden wollten und sich noch nicht genügend ausprobiert hatten, so war immer ein Heiliger zur Stelle, der einem der benachbarten Finqueros, oder seiner Frau, oder einer seiner Töchter oder Söhne, oder seiner Mutter Gelegenheit gab, den Namenstag festlich zu begehen und alle Finqueros und deren Familien zur Feier zu erwarten.
In der Finca Santa Brigida waren gleichfalls nur die Peones zurückgeblieben, und wie in den übrigen Fincas, die von den Rebellen bis jetzt besucht worden waren, so schenkte auch hier Profesor den Peones alles Gelände der Finca und erklärte alle Schulden, die sie beim Finquero hatten, als gestrichen und null und nichtig.
Auch hier geschah es, dass Gebäude der Finca brannten, als die Rebellen nur gerade zwei Stunden fort waren. Ob es die letzten Gruppen des Rebellenheeres waren, die sich daran vergnügten, die Gebäude auf leuchten zu lassen, oder ob es die erste selbständige Handlung der Peones war, wurde nie festgestellt.
Niemand kümmerte sich auch darum. Auf jeden Fall verschwand mit jedem Brande einer Finca eine Festung mehr.

 

3

Als der Trupp nun Busch und Höhen verlassen hatte und wieder auf Prärieland gekommen war, sahen die voranreitenden Muchachos von den Höhen aus in etwa zehn Kilometer Entfernung die große Finca Santa Cecilia liegen. Die Finca hatte eine Ausdehnung von fünfundvierzig- bis fünfzigtausend Hektar an Land. Es war meist Weideland für Viehherden, die mehr für ihre Häute erzielten als für das Fleisch und darum mehr der Häute und Hörner als des Fleisches wegen gehalten wurden. Eine andere wichtige Einnahme der Finca bestand in der Produktion von Zucker, Alkohol, Aguardiente und Henequenfiber.
Daneben waren weite Strecken der Finca mit Mais und Bohnen bebaut, tiefer gelegene Felder mit Zuckerrohr und Ananas. Natürlich hatte die Finca auch eine erhebliche Zucht von Schweinen, Pferden und Mules. Hätte die Finca durch Straßen, auf denen Wagen fahren konnten Verbindung mit einer Bahnstation gehabt, so wäre sie wohl fähig gewesen, jährlich Produkte im Werte von einer Viertelmillion Pesos zu erzeugen. Aber wie alle übrigen Fincas der Region, so waren auch die Verbindungswege dieser Finca mit den nächsten Städten nur die üblichen elenden Mulepfade, die für drei bis vier Monate im Jahre so gut wie unpassierbar sind.
Santa Cecilia galt zweifellos als die reichste und schönste Domäne des Distrikts Chulum.
Auch sie war ähnlich einer großen Feste gebaut, der Patio mit starken hohen Mauern umgeben, innerhalb deren die Gebäude von Wichtigkeit lagen. Während die Mehrzahl aller anderen Fincas sich reich dünkten, eine Kapelle zu besitzen, konnte die Finca Santa Cecilia mit einer richtigen Kathedrale prunken, die einen Glockenturm hatte, der auf viele Meilen weit sichtbar war. Die Mehrzahl der Pfade in der Region führten an Santa Cecilia vorüber, und sie galt für alle Karawanen als ein wichtiger Paraje, wo Mulepackkarawanen die Nacht zubrachten und neuen Proviant für die Weiterreise aufnahmen.
Dies war eine fernere gute Einnahme für die Finca.
Das Gut mochte, wenig gerechnet, hundertdreißig Familien von Peones besitzen, deren Behausungen ein reichlich großes Dorf in der Nähe der Finca, außerhalb der Mauern, bildeten.
»Wir könnten ganz gut heute noch bis nach Santa Cecilia gelangen«, sagte Coronel, während er den Stand der Sonne beurteilte.
»Das könnten wir leicht«, stimmte ihm General zu. »Aber die Muchachos sind verflucht müde, und marschieren wir bis zur Finca, wird es nahe an Sonnenuntergang sein, wenn wir ankommen. Das möchte ich nicht gern. Wir wissen nicht, was da los ist, und können leicht in eine Falle rutschen. Wir sind auf alle Fälle besser daran, wenn wir hier für die Nacht halten und sehr früh, noch in der Nacht, abmarschieren, so dass wir den vollen Tag vor uns haben, wenn wir in die Nähe der Finca kommen. Was sagt ihr, Companeros?«
»Gut, bleiben wir hier. Ob wir heute, morgen oder in zwei Tagen in Santa Cecilia ankommen, ändert nicht viel an der Rebellion«, sagte Andres, »ich denke außerdem, dass diese Rebellion nicht in vier Wochen zu Ende sein wird und dass wir froh sein können, wenn sie nur vier Jahre dauert.“
»Das ist auch meine Meinung«, nickte Profesor zustimmend. »Eine Diktatur, die mehr als dreißig Jahre dauerte, die hat zu viele Nutznießer aufgepäppelt, die nicht die Diktatur verteidigen, sondern ihre Fresssäcke. Und wo der Fresssack verteidigt wird, geht es zäher zu, als wo nur ein sich selbst überlebter Staatslenker im Sessel kleben bleiben möchte.«
»Mit anderen Worten«, unterbrach General die politische Rede, »hier wird gelagert.« Er gab dem Hornisten den Befehl, Rast zu blasen. El Corneta tat es so gut und schlecht, wie er es vermochte. Aber das ermüdete Heer verstand das Signal besser, als es irgendein anderes verstanden haben würde. Es ergab sich, dass weite Strecken für ein Lager nicht geeignet waren, weil es heftig geregnet hatte und sich große Lachen gebildet hatten, die infolge des übersatten Bodens nur langsam abliefen und trockneten.
»Das kommt mir gelegen«, sagte General. »Ich hatte überhaupt nicht die Absicht, den ganzen Trupp auf einem Haufen lagern zu lassen. Das ist gefährlich.«
Er teilte den Trupp in drei Abteilungen ein. Die erste und beste ließ er hier lagern, weil hier das Gelände höher war und so eine strategisch bessere Stellung eingenommen werden konnte. Das zweite Heer, aus zwei Companias bestehend, sandte er zwei und einen halben Kilometer weit nach Südwesten zu, um dort eine trockene Lagerstelle zu finden. Das dritte Heer schickte er nach Nordwesten zu, gleichfalls ungefähr drei Kilometer weit.
Die Finca lag westlich, vom Zentralheer aus gesehen.
Der Plan war gut. Er zog in Betracht, dass die Finca von Rurales besetzt sein konnte. General beschloss, die beiden Seitenheere noch lange vor Sonnenaufgang losmarschieren zu lassen, jedoch so, dass ein Heer die Finca von Süden aus, das andere Heer von Norden aus angriffe, während er mit dem Zentralheer im Osten der Finca für die Nacht lagern würde. Die beiden Seitenheere bekamen den Auftrag, gleich beim Abmarsch noch in der Nacht zwanzig ihrer besten Fußgänger und einige Reiter weit in Linie voraufmarschieren zu lassen, so dass die äußersten Flanken der beiden Seitenheere sich im Westen der Finca trafen und so die Finca völlig umzingelten. Diese Westgruppe, gebildet aus etwa je zwanzig Mann der beiden Seitenheere, war freilich nur sehr dünn und war auf keinen Fall stark genug, einen Ausbruch der Rurales, sobald sie die Schlacht verloren sahen, nach Westen hin zu verhüten. General wusste recht gut, dass diese Posten im Westen der Finca die gefährlichsten waren, aber sie waren gleichzeitig die begehrtesten, und die Muchachos schlugen sich darum, zu diesen gefährlichen Posten bestimmt zu werden. Denn hier war die beste Beute an Waffen zu erwarten, falls die Rurales und Federales in Verwirrung flüchten sollten. Mit Absicht ließ General den Soldaten jenen Ausweg. Die Finca genügend stark an allen Seiten zu besetzen, wäre ein Fehler gewesen, weil eine solche Besetzung noch jetzt während des Tages hätte vorgenommen werden müssen, und der Trupp war zu ermüdet, einen Kampf lange auszuhalten, sollten die Rurales versuchen, diese Umzingelung zu vermeiden. Ein anderer Fehler hätte darin bestanden, dass, hätte General die Finca an allen Seiten stark umzingelt, dann die einzelnen Besetzungsgruppen zu schwach geblieben wären; denn einmal waren ja nur weniger als ein Fünftel der Muchachos bewaffnet, zum andern wäre es für die Muchachos, die in militärischen Dingen ungeübt waren, kaum möglich, Durchbrüche, falls sie an mehreren Stellen zugleich erfolgten, zu verhindern, wenn sie jene Fronten, wo Durchbrüche und Ausfälle zu erwarten waren, nicht so besetzen konnten, dass sie auf alle Fälle in Überzahl waren.
Diese gefährlichen Posten im Westen hatten, falls die Rurales nach dorthin ausbrechen und fliehen sollten, sehr wenig Hoffnung, zu überleben. Aber keinem der Muchachos, die auf jene Posten geschickt wurden, war es darum zu tun, überleben zu dürfen, sondern nur darum, Karabiner mit voller Munition zu erobern und vielleicht noch gute Pferde mit schönen Sätteln. Einen Karabiner erobern zu können, war die höchste Belohnung, die General denen, die unbewaffnet waren, versprechen konnte.
Eine höhere Belohnung erwartete keiner, und eine höhere Belohnung während der Revolution sich verdienen zu können, erhoffte nie einer der Rebellen.

 

4

Ob Santa Cecilia überhaupt von Soldaten oder der berittenen Staatspolizei besetzt war, wusste freilich niemand im Heer. Die Muchachos hatten keinen Peon der Finca angetroffen. Einmal waren sie noch zu weit entfernt, um gelegentlich einen derjenigen zu treffen, die vielleicht in den Busch arbeiten gingen; zum anderen waren sie auf einem Pfade heranmarschiert, der von keinem der Peones dieser Finca benutzt wurde, wenn sie zu Markte gingen.
Aber General hatte am Morgen ein merkwürdiges Gefühl gehabt, und er hatte sich gedacht, es sei sonderbar, dass seit Tagen keine Patrouille der Rurales sich gezeigt habe, obgleich wahrscheinlich ein halbes Bataillon den Rebellen entgegengeschickt sein müsste. Er rechnete richtig, wenn er sich sagte, dass, so gut wie er versuchte, die Federales in eine Falle zu locken oder sich in eine Zange hineinziehen zu lassen, die Rurales und Federales keineswegs dümmer waren. Es war mit Sicherheit zu erwarten, dass sie gleiche oder ähnliche Pläne haben würden. Kein Feldherr kann einen Plan aushecken, den nicht ein anderer ebenso gut haben kann; es kommt nur darauf an, wer einen bestimmten Plan zuerst hat, zuerst anwendet und am geschicktesten anwendet und so unternimmt, dass der Gegner den Plan nicht vorzeitig errät. Es war sehr wahrscheinlich, dass ein Trupp Rurales oder Federales von Hucutsin aus nach Süden abgeschickt wurde, um die Rebellen, von denen man in Hucutsin annahm, dass sie auf diese Stadt zuerst losgehen würden, im Rücken oder in der Flanke anzugreifen und ihnen den Weg nach Achlumal abzuschneiden, falls sie etwa beabsichtigen sollten, dorthin zu gehen. Santa Cecilia war die einzige Feste, wo sich dieser Trupp verstecken konnte und imstande war, eine starke strategische Stellung einzunehmen, unbemerkt von den anmarschierenden Rebellen.
Die Führung des für seinen Plan so ungemein wichtigen
Nordheeres hatte General seinem geübtesten Offizier, Coronel, anvertraut. Coronel nahm ein Maschinengewehr für seinen Trupp mit sich, während das zweite Maschinengewehr im Zentralheer zurückblieb. Der Konzentrationspunkt der drei Heere sollte Santa Cecilia sein, ganz gleich, ob Santa Cecilia besetzt war oder nicht. Das Zentralheer lagerte hinter einer Hügelkette und konnte von Santa Cecilia aus nicht gesehen werden.
Das Südheer erhielt von General eine solche Marschrichtung angewiesen, dass es auf seinem ganzen Marsch teils durch Buschland wanderte, teils von Hügeln gedeckt war. Sein Lagerplatz war so bestimmt worden, dass es hinter Hügeln, die mit niedrigem Gesträuch bewachsen waren, ungesehen von der Finca, die Nacht verbringen konnte, um auf den Befehl zum Angriff am frühen Morgen zu warten.
General hatte ausdrücklich angeordnet, dass Lagerfeuer nicht während des Tages angezündet werden sollten, weil die Rauchsäulen die Heere verraten hätten. Des Nachts sollten die Feuer so gelegt werden, dass sie hinter Hügeln verborgen blieben oder einfach in frisch gegrabenen Feuergräben brannten.
Sie sollten nicht lodern, um jeden Widerschein am bewölkten Himmel zu vermeiden.
Das Nordheer, unter der Führung des Coronel, hatte die schwierigste Aufgabe zu erfüllen. Es konnte zu seinem ihm angewiesenen Lagerplatz nicht am Busch entlangmarschieren. Hügelketten waren auf seinem Wege ebenso wenig. Es musste über offene Prärie marschieren. So konnte es von der Finca aus auf seinem ganzen Marsch bis zu seinem endgültigen Lager hin beobachtet werden. Das Nordheer marschierte ab.
Profesor verfolgte es mit seinem Glase, um zu sehen, ob es angegriffen würde. Aber nichts geschah.
Es kam endlich auf dem Platze an, den General als Lagerplatz für die Nacht bestimmt hatte. jedoch hier blieb es nicht. Profesor erklärte das damit, dass die Prärie dort zu tief läge und wahrscheinlich zu versumpft sei, um einen guten Lagerplatz zu bieten. Das Heer marschierte weiter, viel weiter, als gut sein mochte, um es von hier aus beschützen zu können, falls es in eine Falle geriete. Es marschierte endlich so weit, dass es die Finca weit umgangen hatte und jetzt genau im Westen der Finca sein musste, so dass die Finca nun von Westen, Süden und Osten aus eingeschlossen war und nur der Weg nach Norden, nach Hucutsin zu, offen lag.
»Verflucht!« sagte General, als ihm Profesor das berichtete. »Coronel hat einen verteufelt guten Plan ausgeheckt. Er hat freilich nicht getan, was ich für besser hielt. Er sollte näher zu uns geblieben sein. Aber was er da tut, ist vortrefflich. Gesetzt den Fall, Federales rücken von Hucutsin aus auf Santa Cecilia los, dann bekommen wir sie in unsere Zange.«
»Vielleicht ist Coronel darum so weit um die Finca herummarschiert, weil er Soldaten hat anmarschieren sehen in der Richtung von Hucutsin kommend, und er, klug wie er ist, nicht hierher zurückmarschieren wollte, um die Stellung unseres Heeres nicht zu verraten und so die Uniformierten zwischen unsere Heere gelangen zu lassen, während jene glauben, dass sie nur einen Trupp in ihrer westlichen Flanke hätten.« Es war Andres, der diesen Gedanken äußerte.
General und Profesor gaben zu, dass diese Meinung wohl die richtige sei. Ändern konnten sie nichts an dem, was Coronel tat oder schon getan hatte, und jeder sagte mit Recht, dass Coronel schon wüsste, was er täte, und wenn er den Marschplan anders ausführe, als angeordnet war, so würde er gewiss dafür gute Gründe haben.

 

5

Coronel hatte in der Tat die allerbesten Gründe, den Marschplan für seinen Trupp zu ändern. Er würde dumm und unverantwortlich gehandelt haben, hätte er den Plan nicht geändert, sobald er sah, dass die Verhältnisse, die jenen Plan bestimmt hatten, sich gleichfalls geändert hatten. Der Hauptplan des Angriffs wurde durch diese Abweichung vom angeordneten Marschplan nicht geändert; denn der beschlossene Hauptplan bestand darin, die Finca im Morgengrauen völlig umzingelt zu haben, um von allen Seiten zugleich darüber herfallen zu können. Das Nordheer hatte, wie Profesor richtig erriet, ein so nasses Gelände angetroffen, dass Coronel sagen konnte: »Wenn wir jetzt lagern, für diesen Nachmittag und durch bis zum Morgen, dann können wir vor morgen Mittag kein Bein und keinen Arm rühren.« So wurde trotz der Müdigkeit der Muchachos weitermarschiert, um nach einem trockenen Platz zu suchen. Während dieses Marsches bemerkte einer der Muchachos, dass auf dem Wege von Hucutsin her eine Patrouille Federales auf die Finca Santa Cecilia zugeritten kam. Die Muchachos wollten die Patrouille anfallen, aber Coronel verbot es. Er sagte, dass, wenn die Uniformierten in Santa Cecilia die Nacht verbrächten, sie ja morgen doch alle, die dort in Santa Cecilia seien, in die Hände der Muchachos fallen würden, und es wäre ungeschickt, schon jetzt die Anwesenheit der Heere zu verraten, ehe die Finca umzingelt sei, wie General befohlen hatte.
Er befahl sofort allen, sich niederzulegen und sich im Präriegras zu verbergen, um von der Patrouille, die sorglos dahergeritten kam, nicht gesehen zu werden. Die Muchachos, die auf Pferden saßen, wie auch Coronel, blieben auf ihren Pferden und ritten gemächlich ihres Weges weiter in die alte Richtung, ohne sich um die Patrouille zu kümmern. Die Patrouille sah jene Reiter, aber da diese Reiter zu weit entfernt waren, um sie genau zu erkennen, und weil sie ruhig und ohne Zeichen von Hast weiterritten, nahmen die Leute der Patrouille an, dass es sich um Vaqueros der Finca handele, die verlorene Kühe suchen gingen. Die Patrouille war bald aus dem Gesichtskreis des Heeres entschwunden, und der Marsch ging weiter.
Nach einer halben Stunde Marsch bemerkte Coronel im Gelände eine breite Furche, in der dicht aneinandergedrängt Bäume und Sträucher wuchsen, die sich von anderen vereinzelten Bäumen und Sträuchern des übrigen Weidegeländes in der Art unterschieden.
»Da unten in jener Senke ist ein Flüsschen«, sagte Coronel zu den beiden Capitanes, die neben ihm ritten.
»Da ist ein Platz für unser Lager. Wir haben gutes Wasser, und sollte etwas in der Nacht geschehen, haben wir das Gebüsch zur Deckung.«

 

6

Die Patrouille jedoch war keineswegs so lässig im Beobachten gewesen, wie Coronel geglaubt hatte.
Sie hatte das von Coronel geführte kleine Heer wohl gesehen, früher, als die Muchachos die Patrouille sahen. Absichtlich tat die Patrouille so, als hätte sie nichts von Wichtigkeit im Gelände bemerkt. Die Patrouille erreichte die Finca und berichtete dort, dass sie den Lagerplatz der verlausten Dreckschweine entdeckt habe.
Santa Cecilia war, wie General in seinem Instinkt wohl geahnt, jedoch nicht bestimmt gewusst hatte, stark besetzt, und zwar von etwa fünfzig Rurales, siebzig Federal-Soldaten und etwa zwanzig hier versammelten Finqueros, die mit ihren Söhnen, Schwiegersöhnen, Mayordomos und Capataces eine bewaffnete Macht von mehr als hundert Leuten darstellten.
Die Besatzung der Finca hatte von Peones, die auf der Jagd herumgestreift waren oder im Busch gearbeitet hatten, Kenntnis vom Anrücken der Rebellenarmee erhalten. Aber sie konnte keine sichere und bestimmte Nachricht bekommen darüber, ob die Rebellen auf Hucutsin zugingen oder auf Achlumal; denn die Peones, sobald sie in der Ferne die Muchachos hatten ankommen sehen, waren, von Furcht getrieben, mit ihrer Nachricht zur Finca gerannt, ohne abzuwarten, bis sie die genaue Marschrichtung des Heeres kannten. Das kümmerte die verängstigten Peones auch zuwenig.
Die Soldaten hatten keine Eile, Spione auszusenden, weil sie wussten, dass die Muchachos auf alle Fälle auf Santa Cecilia losgehen würden; und es gab keinen besseren Platz, das Heer zu empfangen und aus sicherer Stellung unter ein verheerendes Feuer zu nehmen, als die Finca.
Die Besatzung der Finca besaß, alles zusammengerechnet, zwei   Maschinengewehre,   hundertzehn   Karabiner,   sechzig
Jagdgewehre aller Art, darunter zwei Dutzend Repetierbüchsen schweren Kalibers, und außerdem ungefähr hundertzwanzig Revolver. Gegenüber einer solchen Waffenstärke war es undenkbar, dass sich die Rebellen auch nur bis auf dreihundert Schritte den Mauern der Finca nähern konnten, ohne drei Viertel ihres Bestandes zu verlieren. Kamen sie dann auch nur noch hundert Schritte näher heran, so war es gewiss, dass auch nicht ein Mann übrig blieb. Unter diesen Umständen konnte es die Besatzung leicht verantworten, die Rebellen auf die Finca losmarschieren zu lassen und sie nicht im offenen Felde anzufallen.

 

7

General war ein viel größerer Feldherr, als selbst seine nächsten Kameraden geglaubt haben würden.
Es wäre schwer gewesen, ihnen genügend klarzumachen, wie geschickt er zu führen verstand. Er war, ohne es selbst zu wissen, mit den Gaben und Talenten eines großen Generals geboren worden. In diesem Falle opferte er das Nordheer, um die Schlacht zu gewinnen. Ohne jene Opferung, die, oberflächlich betrachtet, wenig kameradschaftlich erscheinen mochte, wäre bei Santa Cecilia seine ganze Armee vernichtet worden. Er hatte Coronel mit dem Nordheer vorangeschickt, weil er wusste, dass Coronel die besten Fähigkeiten besaß, das Opfer so gering zu halten, wie das nur sein konnte.
Es war für General nicht möglich gewesen, genaue Mitteilungen zu bekommen. Er wusste jedoch von Peones, die vom Markt heimkehrten, dass man in Hucutsin über den Anmarsch des Rebellenheeres völlig unterrichtet war. Die merkwürdige Ruhe, die über Santa Cecilia lag, gab ihm die Gewissheit, dass in dieser Finca etwas Entscheidendes vorbereitet werde. Sollte er sich irren, sollten keine Soldaten in Santa Cecilia oder in deren Nähe sein und auf Lauer liegen, so war nichts verloren. Die Muchachos nahmen die Finca, teilten sie unter den Peones auf, versahen sich mit neuen Lebensmitteln, und es wurde weiter marschiert. General war sich einer Sache bewusst, das war, dass innerhalb der nächsten drei Tage eine entscheidende Schlacht stattfinden müsse, weil die Federales und die Rurales nicht zulassen durften, dass die Rebellen eine ganze Stadt nahmen. Und innerhalb drei Tagen erreichte das Rebellenheer eine der beiden nächsten Städte, die Bedeutung hatte. Die Besitznahme einer Stadt, in der ein Jefe Politico seinen Sitz hatte, würde einen solchen demoralisierenden Eindruck im Lande verursacht haben, dass eine allgemeine Revolution mit Sicherheit erwartet werden konnte. Überall glimmte und schwelte es. Darum zweifelte General nicht daran, dass eine wichtige Schlacht bevorstand. Es war viel gewonnen, wenn es ihm gelang, durch strategische Mittel die Rurales und Federales, die ihm entgegengeschickt worden waren, zu zwingen, eine Schlacht zu liefern, wann und wo es für seine Pläne am günstigsten war.
In ungemein geschickter Weise hatte er es vermocht, die wirkliche Zahl der Rebellen geheim zu halten.
Nur die intelligenteren Muchachos, die zu seinem Stabe gehörten, wussten die ungefähre Zahl. Die übrigen kümmerten sich nicht darum und besaßen nur eine ganz unbestimmte Vorstellung von der Zahl der Mannschaft. Wenigstens dreißig Peones und wandernde indianische Kleinbauern mochten das Heer gesehen haben, und diese mochten wohl ihre Beobachtung erzählt haben, hier und da. Aber wer auch immer die Rebellen gesehen oder getroffen haben sollte, keiner hatte Gelegenheit gehabt, mehr als zwei Companias zusammenzusehen. Der Mann, der einen Trupp traf, traf selten, oder wohl nie, einen zweiten Trupp. Und sollte er einen zweiten Trupp treffen, so war er nicht gewiss, ob es sich nicht um denselben Trupp handele, den er vorher gesehen hatte.
So war es nicht nur des schwierigen Geländes wegen gewesen, dass General seit kurzem das Heer stets in drei oder vier großen Gruppen marschieren ließ, sondern auch darum, ihre wirkliche Zahl unbekannt zu lassen. Wann immer zu den Fincas oder nach Hucutsin oder Achlumal Nachricht von den Rebellen gelangte, so wurde von ungefähr hundert bis hundertzwanzig Mann gesprochen. Selbst wo das Heer zusammen auf demselben Platz lagerte, wäre es für einen Peon, der gelegentlich nahe vorbeikam, nicht möglich gewesen, die Zahl genau festzustellen; denn Peones und wandernde Indianer liefen nicht im Lager hin und her. Sie kamen scheu genug an die äußere Linie der Lagernden und waren froh, wenn man ihnen nichts tat und sie ruhig ihres Weges ziehen ließ. Außerdem ist es schwer für
Peones und Indianer, größere Mengen von Menschen oder Vieh richtig zu schätzen. Sobald es über achtzig sind, wird ihre Schätzung sehr ungenau, und sie verfallen dann ungemein schnell darauf, gleich von vielen Tausenden zu sprechen.
Das Nordheer war von ihm so geschickt worden, dass es auf alle Fälle von der Finca aus gesehen werden musste und mit den Augen verfolgt werden konnte, bis es lagerte. Dass auf dem Wege zwischen Hucutsin und Santa Cecilia Patrouillen sein würden, die das Gelände abritten und sicher das Nordheer sehen würden, das erwartete General.
Das Nordheer war zwei Companias stark und hatte etwa hundertsechzig Mann.
General hätte das Nordheer nur aus einer Compania bilden können. Das aber wäre ein taktischer Fehler gewesen. Er musste bei Patrouillen und bei der Besatzung der Finca den Glauben erwecken, dass jenes Nordheer die ganze Rebellenarmee bilde. Mit sechzig oder siebzig Mann hätte er jenen Eindruck nicht erwecken können. Es wäre dann geschehen, dass die Rurales jenen kleinen Trupp ruhig hätten marschieren und sogar lagern lassen. Sie hätten darauf gewartet, bis der Haupttrupp ankommen würde, und erst dann hätten sie angegriffen, und kein Mann wäre entwischt.
So aber setzte General ein Viertel seiner Armee aufs Spiel und hielt drei Viertel völlig unversehrt für die Schlacht bereit, wenn er den Zeitpunkt für günstig ansah, um auf die Rurales und Federales loszugehen.
Dieser Zeitpunkt würde gekommen sein, wenn die Uniformados glaubten, dass sie die unbestrittenen Sieger der ganzen Region seien und nichts weiter zu tun hätten, als darauf zu warten, dass ein Kommissar des Diktators anlangte, um sie mit Orden zu behängen und die Offiziere ein oder zwei Rangstufen höher zu befördern.
Es ist immer gut für Rebellen und für deren Hauptleute, im voraus genau zu wissen, was ihnen geschieht, wenn sie ein Gefecht verlieren sollten. Je weniger Gnade sie zu erwarten haben, um so weniger haben sie zu verlieren; und weil sie nichts zu verlieren haben, darum sind sie immer bessere Kämpfer als die uniformierten Urschlecker des Diktators. Diese Kreaturen haben die Posten und Pöstchen, die ihrer Lakaienseele am besten zusagen. Höheren Ehrgeiz besitzen sie nicht. Ihre Ideen sind verwirklicht. Was kann ihnen eine siegreiche Schlacht mehr bieten? Nichts, was sie nicht vorher schon besaßen.
Aber immerhin, es wurde wirklich gut gekämpft. Drei Federales, vier Rurales und drei Finqueros hatten ihr Leben verloren, und neun Mann waren verwundet, als die Besatzung mit zwanzig Gefangenen an den Lassos im Triumph in die weit geöffneten Tore der Finca einmarschierte. Etwa hundert Muchachos des Nordheeres lagen tot über das Feld verstreut.

 

8

Die Nacht war schon weit vorgeschritten, als Coronel mit dem winzigen Häuflein, das ihm verblieben war, im Lager des Zentralheeres ankam und an General Bericht erstattete.
Er und die Muchachos, die er mit sich führte, bluteten aus unzähligen Wunden. Einem fehlte die Hand, einem andern der Unterarm. Es war keiner unter den Muchachos, der weniger als vier Schusswunden oder Säbelhiebe an seinem Körper aufweisen konnte. Sechs der Muchachos waren auf den Schultern ihrer verwundeten Kameraden hergeschleppt worden. Fünf waren auf dem Wege hierher gestorben, weil sie so schwer verwundet waren, dass sie entweder verbluteten oder ihre Lungen zu arbeiten aufhörten.
Sie hatten keine Hemden mehr. Ihre weißen und braunen Baumwollhosen waren zerfetzt. jedes Stückchen Stoff, das sie an sich trugen, war gebraucht worden, um ihre Wunden oder die ihrer Kameraden zu verbinden oder abzuschnüren.
Hilfsbereite Muchachos machten sich über die Ankommenden her, sie mit Kaffee und Bohnen aufzufrischen, ihre Wunden auszuwaschen und zu umwickeln.
»Das war ein liebliches Freudenfest«, sagte Coronel, sich schweratmend auf den Boden hinhockend.
»Ach bin verflucht dünn, und ich habe das Gefühl, dass ich in zehn Minuten umsinke, soviel Saft habe ich verloren. Ich habe nicht geglaubt, dass ich es bis hierher schaffen würde. Wir saßen ganz fröhlich und vergnügt in unserm Lager. Alle müde wie Hunde nach einer Tigerjagd. Zur Hölle noch mal, ich wusste, dass etwas im Gange war, denn ich hatte eine Patrouille gesehen, aber geglaubt, ich Burro, der ich schon bin, dass sie uns nicht gesehen hätten.«
»Als Soldat, und besonders als Coronel, glaube niemals etwas, sondern nimm immer an, dass dein Gegner ebenso schlau oder meist schlauer ist als du.« General lachte, als er das einwarf.
»Und weil ich etwas ahnte und weil ich dich, General, kenne und eine gute Idee schon weg hatte, warum du mich mit dem Heer zu jener Stelle geschickt hattest, gab ich verteufelt gut acht. Vier Posten hatte ich draußen. Aber ehe sie melden konnten, da war die gottverdammte Bande schon über uns her.
Und wie! Schade, dass ihr das nicht gesehen habt. Ihr hättet alle etwas dabei lernen können. Die waren wenigstens zweihundertfünfzig Mann stark. Alle auf ausgeruhten Pferden. Zwei Maschinenspritzer waren auf dem Boden. Ich weiß nicht, wie sie das fertig bringen konnten, so schnell. Die müssen diese Ametralladoras schon in den Armen gehabt haben, als sie noch anritten. Das Nichtswürdige war, dass sie noch bei Tag ansausten, am hellen Nachmittag. Dass wir überhaupt hier noch mit dreißig Mann anrücken können, wie das geschehen konnte, das weiß ich nicht. Und dass wir überhaupt noch zehn oder zwölf oder wie viel von denen abschlachten konnten, ja ich weiß nicht, ob das sogar San Pedro fertig gebracht hätte. Du konntest nach keiner Seite weg. Die waren im Augenblick rund herum, dick wie eine Mauer, drei Mann hintereinander in der Mauer. Und dann auf uns losgekeilt. Mit Säbeln, mit Karabinern, und mit den Hufen der Pferde immer nur so dazwischen. Und die Balazos! Die Kugeln! O liebe Jungfrau von Guadalupe, die zwitschten herum, als ob du in einen Bienenschwarm gedroschen hättest. Und wie sie dann losschrieen: >Da haben wir euch endlich, ihr gottverdammten verlausten Dreckschweine. Revolution wollt ihr machen! Tierra y Libertad brüllen! Wir werden euch eure Revolution und eure Tierra y Libertad schon verzuckern. Hijos de putas, chingados por puercos, ihr sollt noch lernen, was es heißt, Rebellion zu machen. Gevierteilt werdet ihr, ihr Cabrones, und gehäutet am Pferdeschwanz, ihr zehnmal gottverfluchten, stinkigen und verlausten Dreckschweine.< Und dann ging das nur so, ritsch ratsch, plitsch platsch, fitsch fatsch, links und rechts, oben und unten, und die Muchachos fielen nur so um, die Schädel bis zur Nase aufgesäbelt, die Schulter gleich mit dem ganzen Arm runtergemäht, die Säbel durch und durch gefegt, dass sie am Ursch wieder rauskamen, und jeder gleich noch obendrein so dreißig, vierzig eingekerbte Bleipflaumen auf einmal in die Gedärme gespritzt.
Ich sage euch, Hombres, wer das nicht gesehen hat, der glaubt es nicht. Ein paar Spritzer konnten wir ja noch abdrücken, und so zwei oder drei Dutzend Machetehiebe konnten wir auswischen, und wo sie hinfielen, da sitzen sie jetzt noch, das kann ich euch erzählen. Aber was willst du machen, wenn du da mit deinen Leuten ruhig auf dem Hintern hockst und denkst, die ganze Welt ist gut und schön, und in derselben Sekunde schmeißen sich zweihundertfünfzig Mann auf Pferden über dich her.«
»Wo hast du denn das Maschinengewehr, Coronel?« fragte nun General.
»Frage mich, Hombre. Ich bin froh, dass ich noch meinen Kopf habe.«
»Um den wäre es nicht schade gewesen, denn wert ist er nicht viel, wenn du dich so verknüppeln lassen kannst.«
»Du hast gut reden. Ob du mit dreißig Mann rausgekommen wärst, das möchte ich doch erst einmal sehen.«
»Und wie viel Karabiner und Revolver habt ihr mitgebracht?« »Zwei Karabiner und einen Revolver, meinen, den ich hier habe, aber die Patronen sind alle abgespritzt.«
»Haben wir wenigstens in den nächsten Tagen was zu tun, Muchachos«, sagte darauf General und grinste vergnügt. »Das Maschinengewehr, die Karabiner und die Revolver müssen wieder herangeschafft werden, oder unsere Freundschaft wird brüchig.«
»Das Maschinengewehr und die Karabiner?«
Coronel griente gleichfalls. Das breite Grienen aber mochte wohl die Ursache sein, dass ihm das Blut vom Schädel aus in zwei dicken Rinnen an den Backen herunterzufließen begann und ihm in den Mund lief. Er spuckte es aus, trank einen kräftigen Schluck heißen Kaffees, um einen anderen Geschmack zu bekommen, und sagte dann: »Das Maschinengewehr und die Karabiner meinst du, Companero? Die lasse nur ruhig, wo sie sind. Gebrauchen kannst du sie nicht mehr. Aber ich habe zwei gottverflucht schöne neue Maschinengewehre gesehen und mehr als hundert blitzende neue Karabiner mit Repetiermagazinen, und was ich sonst noch gesehen habe, Junge, Junge, ungefähr hundert schwere blaugetönte Colts und Automaticos, Junge, das sind Revolver. Zwei Hiebe habe ich abgekriegt, nur weil ich die Dinger so verliebt betrachtete, anstatt meinen Kegel rasch genug wegzuziehen. Und ich schwöre dir hier, wenn du dich nicht aufmachst, diese Dinger einzusammeln, wir dreißig, die wir übrig geblieben sind, gehen allein los. Die Maschinengewehre, die Karabiner und die Revolver muss ich haben, und wenn ich sie nicht haben kann, dann ist mir das Dreckleben nicht einen Hundeschitt mehr wert.«
»Nur nicht aufgeregt sein, Coronel«, sagte nun Celso. »Wir kriegen sie schon. Sie haben uns hundertzwanzig unserer Brüder gekostet, aber das Fest wird bezahlt. Wir sind nicht mehr in der Monteria, wo man uns Fiestas gab und wir die Fiestas nie zurückbezahlen konnten. jetzt geben wir Fiestas, und wir bleiben keine mehr schuldig, die uns gegeben wurde.«
»Santos en el cielo!« rief Matias. »Wenn ich daran denke, was die für uns dort im Laden haben, mir läuft der Rotz aus Nase und Fresse raus wie reine, blanke Nudelsuppe. Den Eisenladen müssen wir haben, dann können wir unsere halbe Armee bewaffnen, und dann räumen wir den Staat einmal auf mit Fiesta und Musica. Das Leben ist wundervoll. Auch wenn es nur so lange dauert, bis wir einmal der Hundebrut von Tyrannen Feuer untern Ursch gelegt haben und sie so aufkitzeln, dass sie in hundert Jahren nicht mehr zur Ruhe kommen.«
»Halt's Maul!« rief ihn Fidel an. »Wir haben hier jetzt Kriegspläne zu machen.«
»Ich werde doch wohl noch sagen dürfen, was ich denke«, verteidigte sich Matias.
»Natürlich, muy cierto«, sagte General. »Hier darf jeder reden. Aber zuerst ist immer noch Coronel an der Reihe.«
Er wandte sich nun wieder an Lucio.
»Welchen Weg bist du denn zurückgekommen mit deiner blutenden Horde, ich meine hierher? Doch nicht auf geradem Wege?«
»Hältst du mich denn für einen solchen Burro? Das wäre auch etwas Rechtes, wenn wir verraten hätten, wo unsere Armee hockt. Diese elenden Cabrones wissen gar nicht einmal, dass wir hier noch dreißig übrig geblieben sind. Die glauben, dass alles niedergemäht ist. Und dass alles, was von uns noch am Leben ist, jetzt eingefangen ist und dort unten im Patio der Finca aufmarschiert, damit sich die uniformierten Urschlecker einen vergnügten Abend machen können.«
»Los prisioneros, los pobres! Die armen Gefangenen!« sagte Andres mit einem tiefen Atemzug.
»Ja, die armen Gefangenen wären jetzt auch froh, wenn sie draußen auf dem Felde lägen, tot und zerstückelt“, meinte General. »Die machen jetzt mit ihnen einen Tanz. Gottverflucht, der kann allen seinen Heiligen danken, der nicht gefangen ist. Und wir können so gar nichts tun. Müssen warten, bis wir fertig sind und diese Cabrones sich ausgetobt haben. Verteufelt hart wie es ist, das alles, wir können jetzt daran nicht denken. Also los, Coronel, wie bist du hier hergekommen?«
»Wir, die wir geschunden und gehackt rausgerutscht sind, waren nicht alle zusammen auf einem Haufen, natürlich nicht. Schon auf dem Marsch dorthin sagte ich allen, dass, sollten wir überfallen werden und müssten zurück, dann keiner auf geradem Wege hierher zum Hauptlager rennen darf, um es nicht zu verraten. Es hat auch keiner getan. In seiner höchsten Not nicht einmal. Als wir sahen, wir hatten genug zugeschlagen und konnten nichts weiter ausrichten, da sausten die, die mitten drin waren und sich nicht anders helfen konnten, mitten zwischen die Erschlagenen. Sie hatten alle genug Blut auf ihren Pelzen, dass sie zehnmal toter erscheinen konnten als so gewöhnlich tot. Andere krochen im dichten Gebüsch weiter nach Westen, weiter weg entfernt von diesem Lager hier. Das Gras auf der Prärie hier ist jetzt hoch. Dann einmal genügend weit weg von dem Getümmel, war es für die Soldados schwer, zu sehen, wo wir steckten. Ich kann euch sagen, wir krochen niedriger und schleichender, als die allerschönste Schlange das kann. Die hatten auch soviel zu tun mit den Lassos derer, die sie lebendig fangen wollten und die sich nicht mehr retten konnten. So wurde es endlich möglich, uns wie Maden rauszuquetschen. Wir waren freilich anfangs viel mehr als dreißig, die sich rauswürgen wollten.
Und gerade die Gefangenen, die sie machen konnten, holten sie sich aus denen heraus, die noch lebten und sich verkriechen wollten, sich aber nicht schnell genug in einen Wurm verwandeln konnten, wie es uns glückte. Inzwischen wurde es ja auch sehr rasch Nacht. Dafür danke ich Gott, dass er es immer noch manchmal finster werden lässt. Und so, als die Nacht herunterkam, da rückten die Cabrones, heulend vor Vergnügen, mit ihren Gefangenen ab. Wir machten darauf einen weiten Bogen, zweimal den Fluss da unten kreuzend, weit nach Norden herum, und da sind wir.«
»Ja, da sind wir«, sagte General. »Aber hier bleiben wir nicht. Zurück in den Busch.« Er gab sofort Befehl zum Abbrechen des Lagers und ordnete an, so weit zurückzumarschieren, bis sie alle wenigstens zwei Kilometer tief im Busch sein würden und so weit hinter den Hügeln, dass niemand von der Finca sie erspähen könnte. Er sandte Botschaft zum Südheer, gleichfalls wieder den Busch aufzusuchen, aber so weit nach Süden hinzu bleiben, dass es die südliche Flanke beherrschen konnte.

 

9

Die Sieger, nun in der Finca versammelt, waren vollständig überzeugt, dass sie alle Rebellen, die aus dem Dschungel gekommen waren, vernichtet hätten. Es mochte sein, so erzählten sie sich gegenseitig, dass vielleicht zehn oder fünfzehn doch noch entkommen sein könnten, die aber durchaus ungefährlich seien und auch in wenigen Tagen von Patrouillen aufgegriffen und füsiliert werden würden. Auf jeden Fall war die Rebellion, wenigstens in diesem Staate und in dieser Region, wo die mächtigen Domänenherren gleich Königen alter Zeiten herrschten, niedergeschlagen und gewiss für dauernd, in Anbetracht dieser Massenabschlachtung von indianischen Meuterern. Anderen, insbesondere Peones, wird ja nun wohl irgendein Gedanke an Rebellion oder Streik oder Aufsässigkeit für Jahrzehnte vergehen.
Und dass dies auch wirklich geschieht, dafür habe man ja das große Glück gehabt, genügend jener stinkigen Indianerschweine lebend einzubringen, um in Gegenwart der aufgereihten Peon-Familien an ihnen zu offenbaren, was Rebellen geschieht und solchen, die es wagen sollten, das Maul gegen ihre Herren aufzusperren. Die Diktatur und die Feudalherren saßen wieder fest im alten Sattel.
»Man muss nur fest zugreifen, Caballeros«, sagte der Oberst, der die Federales befehligte. Obgleich die Federales mit den Rurales vereinigt nur hundertzwanzig Mann stark waren, so war ein Oberst, der Erfahrung mit Aufständen hatte, für das Kommando bestimmt worden. Da sich alle Finqueros der Region, mit ihren Mayordomos und anderen Vasallen, unter den Befehl des Obersten stellten, so hatte der Offizier keine Ursache, sich hinsichtlich der Größe der Truppe, die er führte, zu beklagen.
»Fest zugreifen, meine sehr geschätzten Herren, das ist das einzig wirksame Mittel bei Aufständen, Streiks, Meutereien und allem solchen Unfug«, setzte der Oberst seine Erklärung an die Finqueros fort. »Ich verspreche Ihnen, Caballeros, solange ich hier bin und hier etwas zu sagen habe, bleibt dieser Staat frei von irgendeiner Form von Auflehnung gegen unsern Caudillo. Wenn auch da im Norden und im Westen der Republik und nun auch noch in den Zuckerregionen sich Unruhen bemerkbar machen, das will nicht viel heißen, solange wir diesen Südstaat in unsern Händen halten, um von hier aus vorzustoßen, sollte es notwendig werden. Ich kann Ihnen ja verraten, Caballeros, es sieht zur Zeit nicht gut aus da draußen im Lande. Das unter uns. Aber wir schaffen es schon und kriegen diese Bande unter; und dann zeigen wir ihnen, wer die wirklichen Herren im Lande sind. Gute alte Tradition, Recht, Ordnung, Ruhe und Sitte, das ist es, was wir verteidigen. Salud, Caballeros, dieses Glas auf unsern verehrten Staatslenker, El Caudillo, den unersetzbaren Führer und Regierer unserer glorreichen Republik. Viva El Caudillo!«
Die Finqueros, die Offiziere der Federales und der Rurales saßen an einem langen rohen Tisch, der im Korridor des Herrschaftsgebäudes aufgestellt war. Dieser Korridor, von Säulen getragen, zog sich an der ganzen Länge des Herrschaftsgebäudes entlang und war offen gegen den großen Patio der Finca hin. Dieser Portico war, wie in allen Häusern der amerikanischen Tropen, die Halle, in der der Tag zugebracht wurde, wo gegessen wurde, wo in Hängematten die Stunden verbracht wurden und wo die Frauen und Mädchen ihre Handarbeiten und Nähereien verrichteten.
Der hier aufgestellte lange rohe Tisch war von buntfarbigen billigen Baumwolltischdecken bedeckt.
Der Tisch war heute reich besetzt mit Schüsseln voll von schwarzroter Mole, gebackenen Truthühnern und Hähnen, frischem Salat, großen Mengen von Zwiebeln, Büchsen mit Sardinen und Alaskasalm und großen Körben bis an den Rand voll gefüllt   mit   Ananas,   Bananen,   Aguacates,   Mangos, Chirimoyas und anderen tropischen Früchten jener Region. Fünf Flaschen spanischer Wermut und Moscatel standen verloren auf den langen Brettern, die den Tisch bedeuteten, herum. Es war nicht viel an Wein. Der Finquero entschuldigte sich der geringen Zahl von Flaschen wegen. Niemand nahm es ihm übel, denn jeder wusste, es war nicht leicht, Mengen von Wein in so fernen Gegenden vorrätig zu halten. Freilich, der Finquero war weit genug vorgeschritten, um zu wissen, dass guter Wein, und größere Mengen guten Weines erst recht, an die Offiziere, die er hier als ungeladene Gäste beherbergen musste, verschwendet war. Sie wussten guten Wein nicht zu schätzen. Und außerdem war der Finquero klug genug, die größeren Mengen guten Weines für sich aufzubewahren, um wirkliche Feste für seine landbesitzenden Freunde und deren Familien mit Pracht und Prunk geben zu können. Die kannten guten Wein. Denen gegenüber konnte er sich nicht schäbig erweisen, sowenig wie sie es taten, wenn sie Fiestas veranstalteten.
Aber an dem einen Ende der Tafel war ein Fünf-Liter-Fässchen guten alten Comitecos, und es saß niemand am Tisch, der nicht den Comiteco vorzog; denn der Comiteco des Besitzers von Santa Cecilia hatte guten Ruf im Staate. Er wurde auf der Finca destilliert und nicht früher ausgegeben, bis er wenigstens fünf Jahre alt war.
Im Patio, und entlang dem Portico, saßen die Mannschaften, die Rurales, die Federales und die Mayordomos und Capataces der siegreichen Finqueros beim Mahl. Zwei Schweine und ein Kalb waren geschlachtet worden, um die unerwartet große Menge von Kriegern zu beköstigen. Diese Menge von tüchtigen Essern verschlangen etwas bei einem Mahl; und die Frau des Finqueros, Dona Guillermina, dachte mit Sorgen daran, was sie tun sollte, falls etwa das Kriegsheer sich hier für eine Woche einnisten sollte. Es war nicht das Fleisch oder der Mais, deren Mangel sie fürchtete. Es waren das Salz, der Zucker, der Kaffee und das Verschwinden von Tellern, Tassen, Servietten, Messern, Gabeln und Löffeln, das sie erschreckte. Die Soldaten und die Mayordomos aßen freilich alle mit Hilfe ihrer Finger.
Aber es waren doch Löffel nötig. Und nicht nur im Patio, sondern auch vom Tische, wo die Offiziere beköstigt wurden, war nach jedem Mahl die Zahl vorhandener Geschirre, einschließlich von Tellerchen und Kaffeetassen, geringer geworden. Es war nun nicht so, dass diese Dinge einfach glatt gestohlen wurden. Aber einer der Essenden warf seinem Burschen eine Tasse an den Kopf, um ihn aufzumuntern, wenn er ihn angerufen hatte und er nicht kam. Ein anderer wollte die Hunde, die den Essenden zwischen die Beine fuhren, um die Knochen aufzulesen, verscheuchen, und er warf Messer und Löffel auf sie los. Wieder ein anderer fühlte sich veranlasst, seine Kunststücke als Balancierer am Tische vorzuführen, und er balancierte mit Tassen, Tellern und Schüsseln so lange herum, bis eine ganze Pyramide zusammenfiel und kein Stück heil blieb. Andere wieder wussten Zauberkunststückchen mit Gabeln, Löffeln und Messern, wobei die Bestecke so verbogen und zerbrochen wurden, dass der Künstler sie im Munde oder hinter dem Ohr verschwinden lassen konnte. Der Erfolg war überwältigend, aber von den Messern und Löffeln war nichts mehr zu gebrauchen. Immerhin, ein Drittel verschwand auf die gewöhnliche Weise, und Dona Guillermina sah hier und da Löffelchen und Messerchen aus Taschen blitzen, von denen mehrere zu Offiziersuniformen gehörten.
Die Rurales und Federales, das heißt deren kommandierende Offiziere, setzten der Regierung die Verpflegung auf den Fincas auf die Diäten-Rechnung. Die Regierung bezahlte auch. Der Finquero, der die Leute beherbergte, erhielt keinen Centavo für die Verpflegung. Freilich nicht. Er lebte ja im Segen einer Diktatur. Er wagte auch nicht, die Offiziere darum zu befragen. Erst einmal würde das eines Caballeros unwürdig sein, sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen; zum andern würde der
Kommandierende gesagt haben: »Querido amigo mio, Sie sollten doch froh sein, dass wir die Rebellen besiegt haben. Wären wir nicht gekommen, so würden nicht einmal die Mauern ihrer Finca mehr stehen, und ob Sie am Leben sein würden, das ist nicht so sicher.« Weil der Finquero genau wusste, dass er diese Antwort bekommen würde, so verbot es sein Stolz, eine solche Antwort herauszufordern.
Der Patio war voll von Menschen. Da waren nicht nur die Soldaten, die hier auf dem Boden hockten und sich ihre Wänste füllten, da waren auch die Peones, deren Frauen, Töchter und Söhne, die hier bedienten oder herumlungerten und zusahen, wie sich die Soldaten an einem Mahl erfreuten, wie es den Peones nie geboten wurde, obgleich sie alles das hier erzeugten.
Auch die Soldaten, Mayordomos und Capataces vergnügten sich an Comiteco. Ihnen hatte der Finquero einen gigantischen Tonkrug, der fünfzig Liter fasste, in den Patio gestellt. Dieser gewaltige Krug war dreiviertel voll Comiteco. Natürlich war es nicht dieselbe Sorte, die in dem kleinen Fässchen auf der Tafel stand. Es war die Nachlese des guten reinen Comitecos, sehr jung und borstig, und klar wie Wasser.
Infolge des guten Essens und des vielen Comitecos ging es bald recht lustig zu. Die Frauen und Töchter der Peones und die indianischen Mägde wurden hergenommen, und ob sie wollten oder nicht, sie mussten tanzen. Es half nicht, dass Dona Guillermina ihre Mägde und die Frauen fortrief von den Soldaten, um Unheil zu verhüten. Die Soldaten waren die Herren und konnten sich erlauben, der Frau des Finqueros frech ins Gesicht zu lachen.
Es waren keine zwei Stunden vergangen, als so ungefähr ein halbes Hundert von Revolverkugeln durch die Luft, die von den großen Scheiterhaufen, die im Patio brannten, dick verräuchert war, hin und herflitzten. Ein paar Peones hatten Schüsse weg und verkrochen sich in ihre Hütten. Zwei Soldaten und ein Mayordomo waren wohl vorbereitet, am nächsten Morgen begraben zu werden, und ein halbes Dutzend von Soldaten und Capataces gingen in die große Sattelkammer, wo sie von hilfreichen Kameraden gedoktert werden mussten. Darauf war wieder alles friedlich und versöhnt.
Die Gefangenen waren eingesperrt in einen Corral, eine Umzäunung für Pferde und Kühe. Niemand hatte sich Mühe gemacht, sie loszubinden. So wie sie geknebelt und gebunden waren, als sie hinter den Pferden hergeschleift worden waren, so befanden sie sich immer noch. Wie Pakete lagen sie auf dem von Pferdemist und Kuhdünger verschlammten nackten Erdboden des Corrals.
Vier Soldaten, mit Karabinern auf ihren Knien, saßen auf den Balken der Umzäunung, um die Gefangenen zu bewachen. Sie waren verärgert, dass sie hier wachen mussten, während ihre Kameraden sich im Patio vergnügen durften. Sie wurden später abgelöst, um essen zu können. Die neue Wache war noch verärgerter als die frühere, weil sie das Fest hatte verlassen müssen, um hier die verlausten Indianersäue zu bewachen.
Peones der Finca waren furchtsam herangekommen und gaben den Gefangenen Wasser zu trinken und einige Händevoll gekochter Bohnen. Sie waren ständig in Furcht, dass die wachhabenden Soldaten ihnen den Karabiner in den Magen stoßen würden, weil sie den Gefangenen einen Liebesdienst erwiesen.
Jedoch die Soldaten waren so missmutig, dass sie nicht darauf achteten, was die Peones taten, solange sie nicht etwa die Lassos, mit denen die Muchachos gefesselt waren, lösten.
Ein Leutnant der Federales war aufgestanden und in eine dunkle Ecke im Patio, nahe an jenen Corral gegangen, weil er Überfluss an warmem Wasser fühlte. Er ging dicht an die Umzäunung und suchte eine Stelle, wo ein paar der Gefangenen gegen die Balken lehnten.
»Bleibt nur ruhig sitzen, Ihr Schweine«, sagte der Leutnant, als die Muchachos versuchten, wegzukriechen, um dem warmen Wasserstrahl zu entgehen. Die Muchachos bewegten sich nicht weiter voran, sondern blieben.
»Verlauste Dreckschweine, geehrt solltet ihr euch fühlen, dass ein Federal-Offizier sich herablässt, euch anzupissen, versteht ihr? Antwort!«
»Si, Jefecito!« sagten die Muchachos unterwürfig und rührten sich nicht von der Stelle.
Der Leutnant kam zurück zum Tisch. Als er sah, dass für eine Weile die Frau des Finqueros und die Töchter nicht in der Nähe waren, um zuzuhören, erzählte er sein neuestes Offiziersabenteuer.
Es erfolgte ein dröhnendes Gelächter, und alle, Offiziere und Finqueros, mangels besserer Musik und Tischgespräche, standen der Reihe nach auf, gingen hinüber zum Corral, riefen die Muchachos dicht zu sich heran an die Umzäunung und weichten sie ein, oder wie sie sagten: »Empapando a los cochinos.«
Und während der folgenden Stunden, wenn der eine oder der andere es für nötig fand, ging er >die Schweine einweichen<.
Die Soldaten, Mayordomos und Capataces, als einer von ihnen gelegentlich diesen bevorzugten Ort des Abschwemmens entdeckt hatte, ahmten den Scherz ihrer Offiziere nach, so lange, bis es ihnen ein Capitan der Rurales untersagte, nicht aus erwachendem Mitleid mit den entwürdigten Muchachos, sondern aus dem Gefühl heraus, dass die Mannschaften nicht das Recht hätten, denselben Ort für ihre Bedürfnisse zu gebrauchen, den die Herren Offiziere und die Caballeros bevorzugten, weil das leicht zu einer Vermanschung der Rangunterschiede führen könnte.

 

10

Am nächsten Morgen, sobald Offiziere und Caballeros sich mit nassen Fingern die Augen ausgewischt hatten und die Mägde einem jeden eine Tasse heißen schwarzen Kaffees, mit braunem Rohzucker aufgekocht, als Morgentrunk angeboten hatten, ordnete der Mayor die Vernehmung der gefangenen Rebellen an.
Der Mayor war das Kriegsgericht. Er war gleichzeitig der Ankläger, Richter und die letzte Berufungsinstanz.
Die übrigen Offiziere und die Finqueros standen oder saßen herum als Beisitzer. Deren Tätigkeit beschränkte sich aber lediglich darauf, besonders eindrucksvolle Strafmethoden vorzuschlagen, um einen Denkzettel zu schreiben, der in hundert Jahren nicht vergessen werden würde.
Rebellionen zu unternehmen, dazu hatten nur Offiziere, Finqueros und Industriegewaltige das Recht, wenn ihnen der Diktator nicht zu Willen war. Denn ein jeder im Lande, selbst ein aufgewecktes Schulkind, wusste, dass der Diktator nur so lange El Cacique war, solange er tat, was diejenigen ihm zu tun befahlen, die ihren Finger am Klingelknopf halten durften, weil sie die Knebel an den Geldsäcken hielten.
Es ging sehr rasch und militärisch zu bei jener Vernehmung. Die Gefangenen traten vor, oder besser gesagt, wurden von harten Fäusten und Stiefeln vorwärts geschleudert, sagten ihren Namen und standen still, ihre Arme über der Brust gekreuzt.
Der Mayor, der diesen Dienst freiwillig übernommen hatte, fragte jeden Gefangenen, ob er Arbeiter in den Monterias gewesen wäre. Das bestätigte ein jeder von ihnen. Nicht einer der Muchachos fiel auf seine Knie und flehte um Gnade oder bat um Verzeihung. Selbst angesichts der Gräuel, die sie in den nächsten Stunden erwarteten, zeigten sie sich größer und als Mensche n wertvoller als ihre Henker, die sich später, als die
Diktatur in sich zusammenzustürzen begann, genau so betrugen, wie man es überall auf Erden von Knechten und Krippengängern einer Diktatur erwartet, und worin man sich nie täuscht und niemals getäuscht hat, wo und wann auch immer eine Diktatur zerfiel.
Der Oberst kümmerte sich nicht um die Angelegenheit des Kriegsgerichts oder was mit den Gefangenen geschah. Er hatte sich einen langen und gesunden Schlaf gegönnt, dann allein gefrühstückt, um Besseres zum Frühstück zu bekommen, in welcher Erwartung er sich zu seiner Freude nicht betrogen fand. Dann setzte er sich an ein kleines Tischchen in der fernsten Ecke des Korridors, rauchte mit Andacht eine kräftige Zigarre und diktierte dem Schreiber den Schlachtbericht an den Jefe de las operaciones militares, der seinen Sitz in Jovel hatte.
Mit der Vernehmung der Namen, die niemand aufzuschreiben sich die Mühe machte, war das Kriegsgericht beendet und der schwerste Teil der Tagesarbeit des Mayors für heute zu aller Zufriedenheit erledigt.
Der Mayor, die übrigen Offiziere und die Finqueros hatten inzwischen heftigen Hunger bekommen von den Anstrengungen dieses Tribunals. Da sie mit lachenden Augen sahen, dass die indianischen Mägde die lange Tafel mit dampfenden jungen Schweinchen und Riesenstücken braun geschmorter Kalbskeulen und Kalbsrücken geschmückt hatten, war Eile vonnöten, um die Frau des Finqueros, die sich so viel Mühe gegeben hatte, ihre Gäste wohl zu bewirten, nicht mit Kummer auf die kalt werdenden Schüsseln blicken zu lassen. Es war darum besser, dass der Inhalt jener Schüsseln so rasch verschwand, wie das die Kinnladen nur zu schaffen vermochten.
»Sargento Paniagua!« rief der Mayor.
»A sus ordenes, mi comandante!« antwortete der angerufene Sergeant und stand mit einem Sprunge vor dem Geländer des Korridors, auf dem der Mayor saß, eine Zigarette im Munde haltend. »Führe die Gefangenen hinaus, außerhalb der Mauern der Finca, und richte sie. Zuerst könnt ihr frühstücken.« »A sus ordenes, mi comandante!«
Im frommen Bewusstsein, seine Pflicht als Soldat und Beschützer der Diktatur, die ihm Brot gab, erfüllt zu haben, rutschte der Mayor herunter vom Geländer, ging zum Waschstand, wusch sich die Hände, winkte den übrigen Offizieren und schritt dann zur Tafel. Ein Dutzend Finqueros saßen schon vor ihren Tellern und warteten nur darauf, dass der Oberst, als die höchste Persönlichkeit hier, sich ebenfalls setzen würde, damit doch endlich mit dem verspäteten Frühstück begonnen werden könnte.
»Verflucht«, sagte der Mayor, sich nach dem Oberst hinsetzend und mit einem Zahnstocher die Fingernägel auskratzend, »verflucht muss ich sagen, das ist ein gutes Frühstück, das einem alten Soldaten und Kämpfer das Herz unterm Kragen vor Freuden hüpfen lässt. Los, an die Kanonen, Caballeros, und mit Mut in der Brust in die Schlacht gestürzt.«

 

11

Die Caballeros an der Tafel waren noch nicht zur Hälfte durch mit der Schlacht, als sich Sergeant Paniagua beim Mayor meldete: »Listo, mi comandante!«
»Muy bien! Wie du mit gefangenen Rebellen umgehst, weiß du, Sargento Paniagua?«
»Si, mi comandante!«
»Dann los!«
»Einen Augenblick, Senor Mayor!« Der Besitzer der Finca Santa Cecilia, der als Gastgeber den Mittelsitz an der Tafel innehatte und zwischen dem Oberst und dem Mayor saß, sagte:»Ich mache den Vorschlag, Senor Mayor, dass wir alle Peones hier von meiner Finca herbeirufen, so dass sie Zeugen sein mögen bei der Bestrafung der Rebeldes. Das tut uns Finqueros allen gut, wenn die Peones das einmal sehen. Dann wird ihnen das ewige Herumschreien von Tyrannei und Ungerechtigkeit endlich ausgetrieben werden, und hoffentlich für immer.«
»Bravo! Bravisimo!« riefen die übrigen Finqueros am Tisch. »Das ist ein. Guter Gedanke, den du hast, Don Lerino. Schade, dass wir unsere Peones nicht schnell genug herkommandieren können, um mit bei der Vorstellung sein zu können. Eine so vortreffliche Schule kann man nicht jeden Tag für sie haben.“
Mehrere der Peones waren bereits im Patio, wo sie bedienten oder aus Neugierde herumstanden.
Viel gearbeitet wurde an solchen Tagen, an denen in der Finca große Festlichkeiten abgehalten wurden, sehr selten, weil die Mayordomos und Capataces sich von den Banketten nichts entgehen lassen wollten.
Es wurden nur die wichtigsten Arbeiten verrichtet.
Aber dennoch sandte der Finquero seinen Mayordomo hinüber ins Dorf der Peones, um alle Männer, Frauen und Kinder herbeizubefehlen, um Zeugen der Hinrichtung von Rebellen zu sein.

 

12

Eine so große Anzahl wehrloser, verlumpter, verlauster, verschüchterter, gedemütigter und völlig wehrloser Gefangener zu freier und durchaus unbeschränkter Verfügung zu bekommen, wäre ein Festvergnügen gewesen für die sexuell degenerierten und seelisch verschlammten uniformierten Heringsgräten, wie sie ein hysterisches Mitteleuropa so billig und in so großen Massen erzeugt. Diktatoren, die sich nur wohl und gesund fühlen, wenn sie nichts als Sklaven um sich wissen, begnügen sich, aus durchaus verständlichen Gründen, für das Viva-Schreien und für ihren leiblichen Schutz mit Knechten.
Mit freien Menschen, die auch nur einen Schimmer von Würde in sich zu fühlen fähig sind, könnten sie nicht eine Woche lang auf dem Thron sitzen bleiben. In alten Zeiten nicht, wohl aber in neuen Zeiten sind die schäbigsten und erbärmlichsten Folterknechte und Wachstubenparasiten jene menschlichen Krümchen, unreif und rotzig, die, weil sie keinerlei Individualität, kein Fünkchen von Persönlichkeit besitzen, sich nur dann am Leben fühlen können, wenn ihnen erlaubt wird, sich eine Uniformmütze aufsetzen zu dürfen. Die Uniformmütze macht eine menschliche Null zu einer halben Eins, und hätte diese halbe Eins keine Uniformmütze auf, würde man sofort sehen, dass es sich in Wahrheit um eine idiotisch verkrampfte, schief zur Welt gekommene Null handelt.
Sergeant Paniagua, der vom Mayor den Auftrag erhalten hatte, die Bestrafung und Hinrichtung der Rebellen vorzunehmen, sowie die übrigen Unteroffiziere und Polizisten hätten keinerlei Vergnügen darin erblickt, sadistische Verrenkungen ihrer Seele an wehrlosen Gefangenen auszulassen dadurch, dass sie sich tagelang oder wochenlang daran ergötzt hätten, die Gefangenen zu peitschen, sie zu zwingen, sich gegenseitig anzuspucken oder sich gegenseitig zu backpfeifen. Das wäre ihnen so dumm, so lächerlich, so idiotisch erschienen, dass sie an ihrer eigenen Gesundheit gezweifelt haben würden.
Gewöhnlich wurden gefangene Rebellen am nächsten Baum aufgehenkt. Das ging so schnell vor sich, dass zehn Mann in fünf Minuten aufgehenkt waren. Sergeant Paniagua rief Mannschaften herbei und gab ihnen den Befehl, die Gefangenen dreihundert Meter weit weg von der Finca zu führen und dort an den Bäumen der Reihe nach aufzuhenken, nachdem jedem die Ohren abgeschnitten worden waren.
Als sie aber an jenen Bäumen anlangten, kam der Mayordomo eines Finqueros, der noch beim Frühstück saß, angeritten und rief, dass der Sergeant mit dem Henken ein wenig warten solle, weil die Finqueros gleichfalls dabei sein wollten.
Der Sergeant sandte einen Unteroffizier zum Mayor, um zu fragen, ob er warten solle. Der Mayor erteilte die Erlaubnis und gab Befehl, mit dem Henken zu warten, bis die Caballeros mit ihrem Frühstück zu Ende sein würden und dann Zeit hätten, selbst zugegen zu sein.
Nach einer halben Stunde kamen die Finqueros, der Mayor und einige gelangweilt dreinschauende Offiziere gemächlich herbeigeschlendert.
»Wir können so ein Fest nicht alle Tage haben«, sagte Don Crisostomo, der Herr der Finca Santa Julia.
»Richtig.« Don Abundio, der Herr der Finca La Nueva Granada, nickte zustimmend. »Aber das allein ist es nicht. Es ist besser, dass wir hier nach dem Rechten sehen und dass alles nachdrücklich getan wird. Was für ein dreckiges Schwein von einem verlausten Peon macht sich etwas daraus, wenn er gehenkt wird. Macht sich noch lustig darüber, wenn ihm die Suppe vorn an seinem Stachel rausschießt.«
Das veranlasste ein gesundes Gelächter der Caballeros. »Alle Peones hier?« fragte Don Delfino.
»Si, Patron!« erwiderte sein Mayordomo.
»Was sollen wir hier herumstehen, Companeros?« meinte Don Faustino, der Herr der Finca Rio Verde.
Er rief einen der Mayordomos zu sich und gab ihm Befehl, Pferde zu satteln und herzuführen, damit man aufsitzen könne und nicht auf seinen armen, krummen, knickrigen Beinen zu stehen habe.
»Oiga, Senor Mayor!« Don Eleuterio, der Herr der Finca La Providencia, kam auf den Mayor zu. »Ich denke, es kann Ihnen gleich sein, wer sich mit den Rebellenhunden befasst.«
»Es cierto«, gab der Mayor zu. »Mir ist es gleich. Ich habe nur zu rapportieren, dass die gefangenen Rebeldes tot sind, ob füsiliert oder gehenkt, das geht mich nichts an. Ich bin Soldat. Und meine Leute sind Soldaten. Und da wir Soldaten sind, würden wir uns schämen, wehrlose Gefangene zu foltern oder zu peitschen. Wir henken oder füsilieren. Was die Polizei tut, dafür sind wir, die Soldaten, nicht verantwortlich.«
Der Mayor zuckte die Achseln und drehte sich halb um.
»Sehen Sie, Senor Mayor«, redete nun Don Tirso, der Herr der Finca La Camelia, auf den Mayor ein.
»Sie marschieren in den nächsten Tagen wieder ab. Dann sind wir hier wieder alle allein gelassen und völlig hilflos. Ich weiß recht gut, unsere Peones sind nicht mehr, wie sie waren. Sie sind unruhig. Sie warten nur auf eine Gelegenheit, und dann geht es über uns her. Wir werden abgeschlachtet wie Kälber. Alle in einer Nacht. Wenn wir hier und gleich heute keine gründliche Lektion erteilen, sodass die Leute für die nächsten zwei oder drei Jahre das nicht vergessen, wie wir mit Rebellen umgehen, dann haben wir hier keine Sicherheit.«
»Muy bien, Caballeros! Tun Sie, was Sie wollen. Ich gehe einen ordentlichen Schluck trinken, werde mich in die Hängematte schwingen und einen schönen sonnigen Vormittag verbringen. Sargento Paniagua!«
»A sus ordenes, mi comandante!«

»Du, die Cabos und alle deine Leute zurück zur Finca. Los prisioneros para los Caballeros! Die Gefangenen den Herren überlassen!«
»A sus ordenes, mi comandante!«
Der kommandierende Offizier der Polizeitruppe rief seine Leute auf. »Ihr bleibt hier zur Bewachung!«
Als er den Befehl gegeben hatte, folgte er dem Mayor und den übrigen Offizieren, die zurück zur Finca schlenderten.

 

13

Don Delfino rief einige seiner Peones herbei. »Rauf, Spaten und Pickhacken aus dem Almacen geholt!«
Die Spaten wurden gebracht, und der Finquero befahl den gefangenen Muchachos, tiefe Löcher zu graben, ein jedes etwa vier und einen halben Fuß tief.
Nachdem die Löcher gegraben waren, stellten sich die Muchachos am Rande der Löcher auf.
»Das würde euch gefallen, Ihr verlausten Cabrones!« rief der Finquero. »Ein Schuss und vorbei. Nicht so rasch! Und nun rein in die Löcher! Jeder in sein eigenes!«
Die Muchachos ließen sich hineinfallen. Aber die Löcher waren, wie vom Finquero befohlen, so gegraben worden, dass die Leute nicht lang liegen konnten. Sie standen schräg aufrecht, und ihre Köpfe ragten oben über den Rand.
Der Finquero rief einige Capataces herbei. »Schneidet den Hunden die Ohren runter!«
»He, du, wo hast du denn deine stinkigen Ohren?« fragte der Finquero, auf einen der Muchachos im Loch zugehend.
»Patroncitomio, die wurden mir in der Monteria abgeschnitten!«
»Auch da schon wegen Meuterei!«
»Mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Patroncito, nicht wegen Meuterei. Mein kleiner Junge war im Fluss ertrunken. Da war ich so traurig, und ich fuhr den Strom hinunter.«
»Also Deserteur. Das ist dasselbe.« Mit einer Bewegung seines Kopfes winkte er einem nahe stehenden Capataz zu. »Ohren hat er nicht mehr zum Abschneiden, der Hund. Schneide ihm die Nase runter. He, du, sei nicht so zappelig, wenn die Backe mitgeht, um so besser. Dann wissen die in der Hölle gleich, wer du bist, wenn du da ankommst.«
Die Peones, die als Zeugen zugegen waren, sagten nichts. Mit keiner Gebärde deuteten sie an, was in ihrem Innern vor sich ging. Sie sahen demütig und gehorsam aus wie immer. Die Finqueros waren überzeugt, dass ihre Peones nicht zu fürchten waren.
Nun erhielten die Peones den Befehl, die Löcher zuzuschaufeln. Als das geschehen war, und nur die Köpfe der Muchachos von Blut überlaufen aus dem Grunde lugten, rief ein Finquero zu den Köpfen:
»Tierra y Libertad wollt ihr? Wir werden euch jetzt Erde und Freiheit geben. Mehr als ihr schlucken könnt. Ihr verlausten Dreckschweine.«
Er stieß einen Capataz in die Rippen und sagte zu ihm: »Stopfe ihnen die Tierra in ihre Schandfressen, bis sie ihnen am Ursch wieder rauskommt!«
Er selbst nahm eine Schaufel voll Erde auf, warf sie dem nächsten Kopf ins Gesicht, ging auf ihn zu und stieß ihm mit seinen Stiefeln die Erde in den Mund. »Da hast du deine Tierra und deine Libertad. Bist du nun zufrieden? He, und du auch, wir werden euch schon gründlich mit Tierra y Libertad voll pumpen. Hole Wasser, Jose«, rief er einem andern Capataz zu. »Holt alle Wasser und schwemmt es ihnen in die Fressen, dass sie alle Tierra runterschlingen, bis sie platzen. Libertad. Jetzt habt ihr doch endlich die ganze Libertad, die es auf der Welt gibt, sogar die Hölle noch dazu.«
Er rief alle Mayordomos und Capataces heran und befahl ihnen, es genauso mit allen Köpfen zu machen, wie er es ihnen zeigte. Die Capataces, angefeuert von den Finqueros, stießen mit ihren Stiefeln den Köpfen alle Erde, die lose um die Löcher aufgehäuft war, in die Mäuler, stießen mit ihren Fäusten nach, und wenn die Mäuler, Nasen, Augen und blutenden Ohrenlöcher so voller Erde waren, dass auch nicht ein Körnchen mehr nachwollte, und selbst das eingeschwemmte Wasser nicht half, um mehr Erde in den Köpfen hinunterzustoßen, trampelten sie mit ihren Stiefeln auf den Köpfen herum, sie tiefer und tiefer in den aufgelockerten Boden stampfend, bis die Gesichter, von Blut und Erde völlig überschmiert, unkenntlich geworden waren und nur eine Masse bildeten, die unsicher zusammengehalten wurde von dem dicken schwarzen Haarpelz der Schädel.
Die Muchachos hatten zu Anfang dieser Tierra-Verteilung gespuckt, geniest, gehustet, geächzt und gekeucht. Aber keiner hatte gejammert. Keiner hatte auch nur ein einziges Wort gesprochen, das wie ein Bitten um Gnade oder Erbarmen hätte verstanden werden können. Solange sie mit ihren Augen noch hatten sehen können, lag in ihren Blicken weder Furcht noch Anklage. Nur Hass, und nichts als Hass glühte im letzten Aufleuchten ihrer tiefbraunen oder schwarzen Augen. Und es war der grenzenlose Hass in ihnen, der sie jeden Schmerz vergessen ließ, der sie gefühllos machte, als wären ihre Köpfe Steine. Es war der unauslöschliche Hass des Unterdrückten, der, unterdrückt und gepeinigt, wie er auch sein mag, nur eine einzige Seelenregung kennt, Hass gegen den Unterdrücker. Es war der Hass des Proleten, der nie Gerechtigkeit kennen lernt, sondern nur Kommandos und Hiebe. Ein Hass, grimmiger und unversöhnlicher als der Hass Satans gegen Gott, war es, der sie mit keinem Flickerchen ihres Gemütes auch nur um einen letzten Gnadentritt, der ihnen das Leben verlöscht hätte, betteln ließ und der in ihren Tyrannen ein Frohlocken hätte hervorrufen können, dass sie die Rebellen nun doch endlich mürbe bekommen hätten.
Vier der Muchachos, als sie fühlten, dass sie beim nächsten Tritt ins Gesicht kein Wort mehr würden hervorstöhnen können, schrieen, laut und kräftig, wie es die Erde in ihrer Kehle noch gerade erlaubte:
»Tierra y Libertad! Viva la revolucion de los peones!« Es kam nicht gut und klar heraus. Aber für alle jene Muchachos, die mit dem letzten Glimmer ihres Lebens die unterdrückten und verstopften Laute auffingen und die Worte zwar nicht einzeln hörten, aber mit ihrem Instinkt den vollen Sinn empfanden, waren diese dumpfen grunzenden Laute ihrer Kameraden ein Lobgesang, wie ihn alle himmlischen Heerscharen bei der Geburt des Erlösers für die Muchachos nicht zu singen vermocht hätten. Es war ein Lobgesang, der keinen Erlöser verkündete. Es war ein Lobgesang, der die Ankunft neuer Menschen ankündigte. Es war der Lobgesang auf Helden, wie sie nur eine Diktatur, eine Autokratie zu gebären vermag, nicht zur Erhaltung der Autokratie, sondern zu ihrer Vernichtung.

 

14

Die Finqueros hatten diese letzten Aufschreie, die einzigen Schreie, die von den gerichteten Muchachos ausgestoßen wurden, nicht nur gehört, sondern auch verstanden.
Sie gerieten in eine solche Wut, dass sie sich völlig vergaßen. Sie überließen es nun nicht mehr ihren Capataces, die Rebellen von der Erde zu stampfen, sie sprangen nach jenen Aufschreien selbst auf die Köpfe los und trampelten und tanzten auf ihnen herum, als wären sie wahnsinnig geworden.
»Wo sind denn die Pferde, gottverfluchtes faules Hundepack von Mozos«, riefen mehrere der Finqueros und hieben mit Fäusten auf ihre Capataces los. Die Pferde waren noch nicht eingefangen, denn sie grasten auf der offenen Weide und mussten erst gesucht und eingetrieben werden.
»Die Pferde her! Die Pferde her! Damit wir den Schweinen die in der Hölle verdammten Köpfe runtergaloppieren können!«
Nicht nur die Finqueros, auch die Peones hatten die Aufschreie der vier oder fünf Muchachos gehört.
Und obgleich sie leichter Indianisch verstanden als Spanisch, so verstanden sie doch gerade jene Rebellenschreie recht gut. Und recht gut hatten sie begriffen, jetzt zum ersten Male in ihrem ganzen Dasein, was diese Rebellenschreie in Wahrheit bedeuteten. Die Finqueros hatten den größten Fehler begangen, den sie je verüben konnten: die Peones zur Vorstellung einzuladen, um sie mit Schrecken zu füllen. Jedoch die Peones fühlten sich zum ersten Male als eine Menschenschicht, die in sich und unter sich verbunden ist, nicht aus dem Grunde, weil sie Peones sind, sondern weil sie einen gemeinsamen Feind haben, weil ihre Feinde die Herren sind, die sich ihnen gegenüber als wohlwollende Väter zeigen.
Sie begannen nun zu verstehen, zum ersten Mal in ihrem Dasein, dass sich dieser angebliche Vater sofort zu einem
Stiefvater verwandelte, sobald seine väterliche Herrschaft und seine Autorität bedroht waren.
Die Peones, die hier als Zeugen geladen waren, wurden sich in diesem Augenblick bewusst, dass ihre eigene unterdrückte und gepeitschte Klasse Helden hervorzubringen vermochte, die an Heldenmut, an aufrechtem Sinn, an Charakterstärke, an Hass und Stolz in nichts denen nachstanden, die bis jetzt diese menschlichen Eigenschaften als das unteilbare Erbgut ihrer Klasse, der feudalen Herrenklasse, betrachtet hatten und bei jeder Gelegenheit in die Welt hinausschrieen, dass Peones und Proleten eben darum Peones und Proleten seien, weil sie keinen Stolz und keinen Mut besäßen.
Aber Stolz fühlten die Peones nun in sich aufkeimen, als sie die gurgelnden Siegesschreie der sterbenden Muchachos hörten. Sie wuchsen in ihren bisher so unbestimmten und ungezeichneten Persönlichkeiten zu einem Verständnis ihrer Möglichkeiten als Mensch heran, als sie gewahr wurden, dass diese Rebellen, die selbst unter den entsetzlichsten Schmerzen noch ihren Hass den Lakaien des Diktators entgegenzuschleudern vermochten, ihrer Rasse, ihrer Klasse zugehörten und nicht der Klasse ihrer Herren. Keiner von ihnen hatte je einen Finquero in einer so großen strahlenden Geste sterben sehen, wie diese Rebellen zu sterben verstanden.
Furcht und Schrecken den Peones einzuflößen, hatten die Finqueros gehofft, als sie ihnen befahlen, bei den Hinrichtungen zugegen zu sein. jedoch ohne dass die Finqueros es bis jetzt auch nur ahnten, war ihr Plan ein verfehlter geworden, und er hatte das Gegenteil bezweckt.
Eine tiefe religiöse Bewunderung vor den Rebellen in ihren Herzen fühlend, schlichen sich die Peones zurück in ihre Hütten und erzählten dort ihren Frauen und Kindern von dem, was sie gesehen und erlebt hatten. Und sie erzählten es mit einer Andacht und einer Scheu, als hätten sie im Busch die Herrlichkeiten eines Heiligen erblickt, der ihnen dort in Person erschienen war und sie aufgefordert hatte, eine Kapelle zu bauen.
Die Männer und Frauen knieten nieder vor den winzigen, verräucherten und verschmutzten Bildchen der Heiligen Jungfrau auf den kleinen Kistchen, die ihnen in ihren Hütten als Altäre dienten, und beteten für die Seelen der gerichteten Rebellen mit einer Inbrunst, als wären sie ihre verstorbenen Väter.
Als sie ihr Gebet beendet hatten und die Männer wieder heraustraten aus ihren armseligen Hütten, um dem Mayordomo zu ihren Arbeitsplätzen zu folgen, waren sie nicht länger mehr dieselben Peones, die sie gestern gewesen waren.

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