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B. Traven - Ein General kommt aus dem Dschungel (1940)
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SECHSTES KAPITEL

1

General, nachdem er sein Hauptheer und Westheer etwa fünf Kilometer weit in den Busch zurückgezogen hatte, bereitete einen entscheidenden Gegenangriff vor. Der Busch deckte nicht nur seine beiden Armeen, sondern auch seine Vorbereitungen. Er besaß nun ein weites Anlauffeld und genügend Raum, um von jeder Flanke aus, die ihm am besten zusagte, seinen Gegner anzufallen. Geleitet von seinem gesunden indianischen Instinkt, sich nicht überraschen zu lassen, solange er es vermeiden konnte, verteilte er seine Außenposten und Außenpatrouillen so geschickt, dass es ihm möglich war, jeden Peon oder Buscharbeiter oder jagenden Finquero rechtzeitig genug abzufangen, so dass keine Nachricht nach Santa Cecilia gebracht werden konnte, die seine Pläne hätte zerstören können.
Sein Plan gründete sich in der Hauptsache darauf, seine Gegner glauben zu machen, das Heer der Monteria-Rebellen sei in jenem mörderischen Gefecht, das er dem Gegner angeboten hatte, völlig zerstört worden, und dass nur etwa ein Dutzend verwundeter und versprengter Muchachos im Busch und in den Prärien, von Furcht und Verzweiflung gejagt, ziellos herumirrten. Die einzige Sorge, die er hatte, war die, dass die Federales, die Rurales und die Finqueros mit ihren Mayordomos und Capataces Santa Cecilia am Tage nach jenem Gefecht verlassen möchten.
Am frühen Morgen des Tages, an dem in Santa Cecilia die gefangenen Muchachos lebendig eingegraben wurden nach den Regeln, nach denen meuternde indianische Landarbeiter unter der Diktatur bestraft zu werden pflegten, rief er zwei Muchachos zu sich, von denen er wusste, dass sie die Gegend kannten, weil sie auf einer der Fincas jener Region geboren und aufgewachsen und später von ihrem Herrn in die Monterias verschachert worden waren.
»Ihr beide, Pablo und Mario, ihr versteht den Idioma, den hier die Peones sprechen?«
»Si, General, es ist Tseltal.«
»Gut denn. Nehmt eure Packnetze und schneidet einen mächtigen Haufen Gras dort drüben in jener Prärielichtung. Recht viel Gras. Das stopft ihr in eure Netze, und stopft sie so voll, dass sie einen mächtigen Ballen formen. Dann macht euch sofort auf nach Santa Cecilia. Geht dort in das Dorf der Peones. Macht das dümmste Gesicht, das ihr aufsetzen könnt, und sagt den Peones, dass ihr auf dem Wege nach Balun Canan seid, von wo ihr nach den Kaffeeplantagen gehen wollt, um dort im Kontrakt zu arbeiten, und dass ihr in Balun Canan das Gras für einen guten Preis verkaufen wollt, um euch Tabak für den Weg zu kaufen.«
»Das können wir gut tun und leicht, ich habe schon einmal im Kaffee gearbeitet, in San Geronimo«, erwiderte Pablo.
»Da bleibt ihr so ungefähr einen halben Tag, als ob ihr euch ausruhen wollt. Hier habt ihr jeder dreißig Centavitos, so dass ihr von den Peones etwas kaufen könnt, Tortillas für den Weg, Bohnen, Chili, ein paar Blätter Tabak. Dann streicht ihr da herum, nahe den Gebäuden, und seht zu, was ihr erfahren könnt. Ihr versteht genug Spanisch, um zu hören, was sie da herumschreien und reden. Wenn ihr könnt, zählt ihr, wie viel Mann da sind, ob sie noch einen Tag oder zwei Tage bleiben, oder ob sie abziehen.
Seht euch gut um, wo die Tore sind, ob sie verschlossen werden in der Nacht oder nur angelehnt, wo die Karabiner aufgestellt oder aufgehängt sind, wo die Maschinengewehre stehen, in welchem Raum die Offiziere übernachten, ob sie ordentlich trinken. Könnt ihr euch das merken?«
»Natürlich, General, wir haben ja Köpfe und auch ein gesundes Zwerchfell, um reichlich Verstand zu besitzen.«
»Und wenn ihr dann das Dorf verlasst, dann sagt so nebenbei, dass ihr auf dem Wege zehn verwilderte und verdreckte Muchachos getroffen hättet, die Karabiner hatten und Wunden am Kopf und am Körper trugen, und dass diese Muchachos eine große Furcht gehabt und dass sie eiligst sich hierher in den Busch geschlichen hätten. Sobald ihr das so ganz unwichtig erzählt habt, macht ihr euch auf den Weg in der Richtung nach Balun Canan. Natürlich dürft ihr nicht so auf die Finca losgehen, dass man dort wissen kann, ihr kommt von hier aus, und wenn ihr abmarschiert, geht ihr eine halbe Legua oder weiter zuerst in die Richtung nach Balun Canan, und dann biegt ihr ab und schleicht euch hierher zurück. Es ist wichtig, dass niemand in der Finca, auch die Peones nicht, erraten können, dass ihr von hier aus kommt und hierher zurückmarschiert. Alles richtig begriffen?«
»Alles, General. Und keine Sorge um uns, wir kriegen schon alles heraus, was du wissen willst, General.«
»Dann los. Sollte euch aber einer von den Uniformierten oder von den Finqueros fragen, dann sagt, dass ihr zwei Mann mit Karabinern in den Busch habt rennen sehen, und dass sie so viele Angst gehabt hätten, dass sie nicht einmal mit euch gesprochen hätten. Aber am besten ist, den Federales und allen denen da aus dem Wege zu gehen und nur die Augen aufzumachen und mit den Peones zu reden.«

 

2

Diese beiden Späher waren nun zurückgekommen und erstatteten General ihren Bericht. Von ihnen erfuhren die Muchachos das Schicksal ihrer gefangenen Kameraden. Aber anstatt in Furcht zu geraten und verzagt zu werden bei der Aussicht, ein ähnliches oder noch schrecklicheres Schicksal zu erleiden, brachte es sie nur in eine namenlose Wut und erzeugte in ihnen einen Hass, der, wären nicht General, Coronel, Profesor, Andres, Celso und noch einige andere Muchachos besonnen und intelligent genug gewesen, die wütenden Muchachos zu überzeugen, gut überlegten Plänen zu folgen, sie veranlasst haben würde, gleich aufzubrechen und Santa Cecilia am Tage zu überfallen, ohne Rücksicht auf die Folgen.
Modesta, die neben Celso hockte und Pedrito, ihrem kleinen Neffen, das Haar kämmte, hatte dem Bericht zugehört. Dem kleinen Pedrito waren in der Monteria beide Ohren gleich seinem Vater abgeschnitten worden. Über den Vater war diese grässliche Strafe eines missglückten Fluchtversuches wegen verhängt worden, während der kleine Junge in Gegenwart seines Vaters dieselbe Strafe zu erdulden hatte, um die Strafe des Vaters zu vergrößern und den kleinen Jungen für sein ganzes Leben als Sohn eines Deserteurs zu kennzeichnen. Wäre der Vater jenes Fluchtversuches wegen halb totgepeischt worden, wie es in ähnlichen Fällen geschah, so hätte er mehrere Tage nicht arbeiten können, und dieser Verlust seiner so nötigen Arbeitskräfte hätte dem Besitzer der Monteria wehe getan.
Das Abschneiden seiner Ohren jedoch hinderte ihn nicht daran, seine Arbeit sofort wieder aufzunehmen, und die Produktion litt nicht dieser Strafe wegen.
Als Modesta, die bisher geglaubt hatte, dass ihr leiblicher Bruder während des Überfalls auf das Nordheer gefallen sei und so einen raschen Tod erlitten haben mochte, nun aber vernahm, dass einer von den so grausam gerichteten Gefangenen ihr geliebter Bruder gewesen sei, was sie aus der Erwähnung des Gefangenen mit den fehlenden Ohren richtig erriet, erbleichte sie, und brennende Tränen drängten sich in ihre Augen. Aber sie ließ diesen Tränen keinen freien Lauf. Sie presste nur hart ihre Lippen zusammen, öffnete sie gleich darauf wieder rasch, wie willenlos, und stieß gleichzeitig heftig den Atem aus. Darauf zog sie den kleinen Pedrito dicht zu sich und küsste ihn.
»Dein Vater gehört zu den Helden der Kämpfer für Tierra y Libertad«, sagte sie und küsste ihn aufs neue.
»Kommt mein Vater nicht zurück, Tantchen?«
»Nein, mein Junge, er wohnt von nun an mit allen indianischen Helden auf dem Stern, auf dem alle die großen Männer wohnen, die von den Menschen ihrer vortrefflichen Taten wegen nie vergessen werden.«
»Dann kann ich ihn gewiss zuweilen mit meinem Fernsehglas sehen, Tantchen, denkst du nicht?«
»Das denke ich gewiss, mein Junge«, antwortete sie mit einem wehen Lächeln.
Inzwischen war der Bericht beendet worden. Sie hatte ihm keine weitere Aufmerksamkeit mehr geschenkt.
Jetzt aber, als unter dem Eindruck jenes Berichtes alle in ihrer Nähe schwiegen, blickte sie für lange Zeit Celso an, der seinen Kopf gesenkt hielt und vor sich auf den Erdboden stierte.
Sie stieß ihn leicht an und sagte leise zu ihm: »Du bist Comandante  des  zweiten  Maschinengewehrs,  nicht wahr,
Celso?«
»Das weißt du doch, Modesta, dass ich das bin. Und nun auch noch, seit Coronel seine Maschinenspritze so elend verloren hat, bin ich der einzige Maschinengewehrsoldat im ganzen Heer. Und wie stolz ich bin, Comandante eines so gut spritzenden Maschinengewehrs sein zu dürfen, brauche ich dir wohl nicht zu sagen.«
»Gewiss nicht, Celso. Du hast Recht, stolz darauf zu sein.«
Sie schwieg für eine Weile und malte mit ihrer großen Zehe vor sich auf der Erde herum.
Plötzlich sagte sie: »Du magst mich doch gut leiden, Celso?«
»Haaaa?« erwiderte er mit lang gezogener und erstaunter Stimme. »Ja natürlich mag ich dich gut leiden. Warum denn nicht? Bist ein hübsches Mädchen und kannst auch kochen. Warum sollte ich dich denn da nicht gut leiden. Wahrhaftig, Mädchen, ich kann dich sogar recht gut, recht recht gut leiden. Ich glaube, ich brauchte dir das nicht zu sagen. Das kann doch ein jedes vernünftige junge Mädchen selber fühlen.«
»Und wenn du nun möchtest, dass ich dich recht gut, recht gut leiden mag, dann musst du auch etwas für mich tun, Celso.«
»Alles, Modesta, alles was du willst. Brauchst es nur zu sagen, und schon ist es getan. Mit einer Ausnahme freilich, das muss ich gleich sagen. Das Maschinengewehr, wenn du das etwa haben wolltest, das kann ich dir freilich nicht geben. Wenigstens so lange nicht, bis die Revolution für uns gewonnen ist. Dann werde ich dir eine Nähmaschine daraus machen.«
»No, Celso, dein Maschinengewehr will ich nicht haben. Was du für mich tun sollst, ist nur, mich zu lehren, mit deinem Maschinengewehr so sicher zu treffen, dass ich einen Mango auf zweihundert Schritt von einem Zweige herunterschießen kann.«
»Warum denn einen Mango, Mädchen?«
»Damit ich die grausamen Herzen aller derer zerfetzen kann, die nicht mit uns sind, die nicht mit uns Tierra y Libertad schreien, die unsern Hermanitos und darunter meinem Bruder die Köpfe zerstampft haben. Für die Ohren des kleinen Pedrito wurde bezahlt. Teuer bezahlt. jetzt aber muss auch noch für den zerstampften Kopf seines Vaters bezahlt werden. Und das soll teuer werden. Sehr teuer, Celso.«
»Gut geredet, Modesta. Ich will dich lehren, mit dem Maschinengewehr besser zu schießen, als mich Coronel lehrte. Was weiß denn überhaupt Coronel von einem Maschinengewehr? Er knallt nur los, ohne hinzusehen, ob er auch trifft, weil er sich am Knallen freut. Ich freue mich nicht am Knallen, sondern am Treffen, und wenn ich mit dem Gewehr treffen könnte, ohne knallen zu müssen, wäre mir das hundertmal lieber.«
»Wann fängst du an, mich das Gewehr zu lehren, Celso?« fragte Modesta, dringender werdend.
»Nicht morgen, Modesta, sondern gleich jetzt, in diesem Augenblick.«
»Natürlich ohne zu knallen und ohne zu feuern«, rief da eine Stimme dazwischen. Es war General, der die letzten Worte gehört hatte.
Celso lachte laut auf. »Das Feuern ist das leichteste, was da zu lernen ist. Das Aufstellen, das Laden, das Einrichten, das Zielen zu lernen ist das Schwierige, und noch schwerer ist zu lernen, wo den Fehler zu suchen und wie ihn zu beseitigen, wenn das Gewehr plötzlich stoppt. Du hast eine Unmenge zu lernen, Modesta, ehe du den ersten Schuss abgeben kannst. Und das wird weder heute, noch morgen, noch in den nächsten zehn Tagen geschehen. Darum, General, brauchst du nicht in Sorge zu sein, dass wir hier etwa losknallen und unsere Stellung verraten.«
General kauerte sich nieder, zündete sich eine roh gewickelte Zigarre am Lagerfeuer an und sagte zu Modesta: »Also du willst auch Maschinengewehrsoldat werden, Muchacha?«
»Ja, General, das will ich, und das werde ich.«
»Gut«, sagte darauf General, »Muchachas wie du gefallen mir. Schade, dass du dir deinen Mann schon ausgesucht hast.« Er schielte Celso an, der braunrot im Gesicht wurde und seinen Kopf so tief senkte, dass nur der dicke, schwarze, strähnige, ungekämmte Haarpelz seines Kopfes zu sehen war.
»Ich würde mit einer Frau, wie du eine bist, Muchacha, wohl zufrieden sein. Aber ich habe da eine hübsche, junge, frische, festbeinige Witwe, der muss ich wohl die Tränen trocknen. Und sie wird mir gewiss auch eine gute Frau sein. Freilich, sie ist nicht so wild auf ein Maschinengewehr wie du, Muchacha. Sie zieht vor, mir etwas Gutes zu kochen und mir die Läuse aus meinen verdreckten Haaren zu fischen. Manchmal ist so eine Frau für einen Soldaten besser als eine, die mitmachen möchte. Was denkst du dir denn, Celso?«
»Ich bin nicht General und habe weniger Sorgen als du«, erwiderte Celso, seinen Kopf nun hebend und General lachend ansehend. »Und weil ich mich nur um mein Maschinengewehr und die Muchachos, die mir dabei helfen, zu kümmern habe, ist mir eine Frau, die sich um Maschinengewehre sorgt, im Grunde genommen, eigentlich lieber.«
»Das könnt Ihr ja unter euch beiden abmachen, was sich für jeden von euch besser eignet, um froh zu sein und mit mehr Wut auf die Uniformados loszugehen«, sagte General, tief an seiner frisch angezündeten Zigarre ziehend und dabei aufstehend.
Er ging jetzt dicht auf Modesta zu, die gleichfalls aufgestanden war, klopfte ihr auf eine Schulter, fasste sie beim Kinn, hob das Kinn ein wenig auf und sagte: »Oiga, Muchacha, höre, Mädchen, wenn du einen Mango auf zweihundert Schritt mit dem Maschinengewehr treffen kannst, dann mache ich dich zum ersten weiblichen Leutnant in der Revolutionsarmee, und Soldadera bist du von jetzt an. Tierra y Libertad!«
Modesta, ihren Körper hoch aufrichtend, grüßte in der Weise, wie sie es soeben von General gesehen hatte, und sagte: »Estoy a sus ordenes, mi General. Tierra y Libertad!«

 

3

»Was ist denn das da in euren Packen?« fragte General und deutete auf die Packnetze der beiden zurückgekehrten Späher.
Die Netze waren noch immer bis zum Platzen voll gestopft mit Präriegras.
»Zum Teufel noch mal, die rollen ja hin und her, was habt ihr denn da drin? Schweine, Kälber, Ziegen oder was?«
»Kriegsbeute, General«, antwortete Pablo.
Beide, Pablo und Mario, schnürten ihre Netze auf, zupften das Gras von oben und den Seiten weg, und zum Vorschein kam in jedem Netz ein Kopf.
»Ich habe so im Vorbeigehen einen räudigen Capataz gefangen und aufgeladen«, sagte Pablo, seinen Gefangenen hervorzerrend, den er in einen Knoten zusammengeschnürt hatte und der das Maul so voll Gras gestopft hatte, dass er keinen Laut hervorbringen konnte.
»Und ich habe einen Mayordomo erwischt.«
Mario stieß seinen Gefangenen in die Rippen, so dass der aus dem Netz herauskugelte.
»Beide hatten einen so schönen blanken und glitzernden Revolver«, erklärte Pablo, »dass wir es uns in Ewigkeit nicht hätten vergeben können, ihnen die schönen Dinger nicht abzunehmen. Und weil es gerade so mit im Vorbeigehen war, dachten wir, dass wir die Knaben gleich mit hier herbringen könnten, damit du sie selbst ausfragen kannst, General. Die wissen mehr als die armen Peones, die sich nicht trauen, das Maul aufzumachen, aus Furcht, dass die Finqueros auch sie zur Hälfte eingraben könnten und dann mit den Pferden darüber hinreiten. Sie haben uns nicht einmal Tortillas verkauft, aus Angst, die Finqueros möchten es sehen und sie beschuldigen, dass sie sich mit unbekannten Campesinos eingelassen hätten, die vielleicht etwas von den Rebellen wüssten.«

 

4

Die Peones, von denen die beiden Späher erzählten, lebten in diesen Tagen gewiss in unbeschreiblicher Angst. Aber ob sie größere Angst empfanden als die beiden Gefangenen, die jetzt vor General halb zusammengeknickt standen, kann mit Recht bezweifelt werden.
Als festgeschnürte Pakete und eng zusammengeknetet auf dem Rücken von Indianern geschleppt zu werden, völlig eingepackt in Gras, das Maul zugestopft und dann unter tropischer Sonne in den Mittagsstunden befördert, ist selbst dann kein Vergnügen, wenn es aus Freundschaft geschehen sollte.
Aber zu wissen, dass sie wehrlos eingeknotet und geschleppt werden von indianischen Rebellen, deren Kameraden nur gerade einige Stunden vorher mitleidlos zu Tode gemartert wurden, das kann auch dem mutigsten Soldaten das Herz zu einem alten Stiefel vertrocknen und sein Blut zu Eissträhnen gefrieren lassen.
Vor General standen zwei Beispiele, die mehr als Worte bewiesen, in welch unerhörten Ausmaßen eine Diktatur den Charakter von Menschen zu vernichten vermag. Die erbärmliche Haltung dieser beiden, die heute morgen noch, als sie sich so unsagbar sicher fühlten, keinem an Grausamkeit gegenüber wehrlosen Gefangenen nachstehen wollten, vermochte in jedem intelligenten Menschen leicht die Überzeugung aufkommen zu lassen, dass die Diktatur jenen Zustand erreicht hatte, wo sie mit einem nassen Lappen niedergeschlagen werden konnte.
Die beiden Gefangenen fielen auf die Knie, flehten um Erbarmen, und bevor man sie noch gefragt hatte, erzählten sie alles, was sie von den Plänen und Absichten der Offiziere und Finqueros wussten.
»Ihr habt geholfen, unsere Kameraden heute morgen einzugraben und habt auf sie losgeschlagen und habt sie angepisst«, sagte General.
»Por Madre Santisima, mi Jefe, wir haben keinen der armen Muchachos auch nur angerührt.«
General rief Coronel und noch einige Muchachos herbei. Sie führten die beiden Gefangenen beiseite.
Nach einer halben Stunde kamen sie zurück.
»Das also war dann alles, was sie wussten?« fragte General. »Es ist genug. Nun können wir den Marsch vorbereiten.«
Coronel fragte: »Was wird mit den beiden? Erschießen?«
»Und so gehst du mit unserer Munition um!« sagte General. »Überhaupt, Hermanito, du solltest besonders sparsam sein. Wo ist dein Maschinengewehr?«
»Das weißt du doch, General.«
»Du bist mir auch ein Oberst und ein Comandante. Lässt sich das Maschinengewehr wegnehmen.«
»So kommst du mir, Bruder? Gut, ich habe es mir wegnehmen lassen. Aber heute hole ich es mir wieder. Und ich bringe ein zweites noch mit dazu. Außer unserm haben sie zwei ganz neue da unten in Santa Cecilia.«
»Lass die andern auch etwas tun. Nicht alles allein wollen. Rufe dir ein paar Muchachos und sage ihnen, sie sollen die beiden Cabrones mit Steinen schmeißen, bis sie nicht mehr zucken. Kugeln drauf schießen? Oder einen anständigen Machete mit deren stinkigem Saft bedecken? Selbst Steine sind noch zu anständig.«
Ein Muchacho kam angerannt. »Sie kommen! Sie kommen!« rief er, ehe er noch nahe war.
»Wer kommt, Burro?« fragte General.
»Die Federales.«
»Das glaube ich nicht«, sagte darauf General und sprang voran auf einen Baum zu, an dem er hochkletterte.
»Fünf Mann«, rief er nach einer Weile vom Baum herab. »Es sind Finqueros, die hinter den verängstigten Muchachos her sind, die sich, wie ihnen von uns mitgeteilt, im Busch verkrochen haben sollen. Coronel, nimm dir zwölf Muchachos und fange die Hurensöhne ab. Sie sind schon im Busch. Schieß nicht. Fange sie mit Lassos. Ich brauche ihre Auskünfte. Nur wenn sie nahe kommen sollten, dann feuere. Wirst sie schon kriegen, ohne Schuss. Aber wenn sie hier unser Heer sehen und dann kehrt machen sollten und zurück zur Finca, um zu berichten, ich sage dir, Coronel, so gute Freunde wie wir sind, ich lasse dir den Kopf abschneiden, oder ich schneide ihn selbst runter. Ganz gewiss.«
»Die kriege ich mit zwei Fingern und dabei noch einen Finger verrenkt.«
»Deinen Kegel, Coronel, oder die Cabrones. Das weißt du nun.« General lachte. »Ich meine das ganz im Ernst, auch wenn ich lache. Ich habe dich zum Coronel gemacht, und ich weiß recht gut, warum. Aber gerade darum, weil du Coronel bist, verlange ich von dir zwanzigmal mehr als von einem gewöhnlichen Muchacho.«
»Nur ja keine Bauchschmerzen darüber, General. Und mein Maschinengewehr hole ich mir heute Nacht. Ganz allein. Nur mit einem Machete und einem Muchacho, der mir beim Tragen hilft. Und nicht einmal meine Pistola nehme ich mit mir.«
»Was du heute Nacht tust, das werde ich befehlen, und nicht du. Ich bin hier General, und du tust, was General kommandiert.«
Coronel machte kehrt und suchte sich seine Leute.
»Willst du mitmachen?« fragte er Celso, der in diesem Augenblick herzukam.
»Eine Beleidigung, mich zu fragen. Natürlich bin ich dabei. Ich kann Kühe und halb verwilderte Pferde einfangen, dann werde ich doch auch so ein halbes Dutzend elende Hurensöhne einfangen können.«
Zwei Stunden später waren die fünf Finqueros gebunden im Lager. Es waren noch drei Mayordomos mit eingefangen. Diese drei Leute waren vorher von den Außenposten nicht gesehen worden, weil sie zur Seite der Finqueros abgeschwenkt waren, um im Gebüsch nach den Fährten der angeblich entkommenen Muchachos zu suchen.
General vernahm die Gefangenen.

 

5

Bei dieser Vernehmung drückten sich zahlreiche Burschen in der Nähe herum. Sobald einer der Finqueros zu lügen versuchte und einer der Muchachos, der die Region gut kannte, hörte die Lüge, schrie er gleich frisch drauflos: »Mentira! Stinkiger Schwindel!« Darauf erhielt der Finquero eins in die Fresse von dem Muchacho, der ihm gerade am nächsten stand. Der Finquero, durch die Backpfeife eines verlausten Indianers sich so entwürdigt sehend, redete dann, trotz Nachhilfen mit dem Machete oder mit Fäusten, entweder nichts mehr oder sagte nur einige unwichtige Sätze.
Die Mayordomos waren viel williger, alles herauszureden, was sie nur wussten. Und die Finqueros lernten während der letzten Stunde ihres Lebens noch kennen, was sie für eine Art von Männern mit ihrem Vertrauen gewürdigt hatten. Ohne darum gefragt zu werden, verrieten die Mayordomos, wo ihre Herren ihr Geld und sonstige Schätze vergraben hatten oder in welchen Winkeln der Gebäude es versteckt oder eingemauert war.
Endlich war General des Fragens und des Angelogenwerdens müde. Er rief ein halbes Dutzend Muchachos zu sich heran, und sagte: »Heute morgen haben diese Caballeros und deren Henkersknechte unsere Camaradas zu Tode gemartert. Was tun wir mit ihnen? Ihr mögt urteilen.«
»Genau dasselbe. Lo mismo.« Alle schrieen es.
»No, nicht dasselbe!« antwortete General. »Henkt sie dort drüben an jenem Baum. Alle am selben Baum. Und lasst sie hängen, bis sie abfaulen oder von den Geiern abgenagt sind. Aber wenn ich sage henken, dann meine ich nicht ein Henken, wie wir in den Monterias gehenkt wurden. Kurz und wirksam mit ihren eigenen Lassos, die sie an ihren Sätteln haben.«
Einer der Muchachos rief: »Und wer kriegt ihre Revolver und
Gewehre?«
»Die Muchachos, die sie gefangen haben.«
»Und wenn einer von denen schon eine Pistola oder einen Karabiner hat, wer ist dann an der Reihe?«
»Der am schnellsten die Cabrones gehenkt hat.«
Die Finqueros sagten kein Wort. Sie bekreuzigten sich und murmelten Ave-Marias.
Die drei Mayordomos aber nahmen sich dazu keine Zeit. Sie fielen nieder, umklammerten die Ledergamaschen, die sich General im Gefecht mit den Rurales erobert hatte, und jammerten: »Erbarmen, Gnade, mi General, mi Jefe, habe Mitleid mit uns und mit unsern Frauen und Kindern, Erbarmen, nicht für uns, für unsere Kinder.«
General zerrte seine Beine aus der Umklammerung und trat den Jammerlumpen mit seinen Stiefeln so heftig in die Fresse, dass die Männer in einem Klumpen zusammentaumelten. »Wer von euch gottverdammten Hurensöhnen von Mayordomos und Capataces hat denn je mit einem der Muchachos Mitleid gehabt? He, wer denn? Komm raus, komm raus, wer denn? Wer von euch nur einmal Mitleid mit einem der verdreckten Peones gehabt hat, soll nicht gehenkt werden, sondern nur erschossen. Heute morgen wart ihr dick und fett oben drauf, Knechte im Sonnenglanz der gottverruchten Henker und Peitscher. Jetzt winselt ihr hier.«
»Wir haben immer nur getan, was uns die Patroncitos befahlen«, wimmerte einer, sich halb erhebend.
»Eben darum. Das ist Recht, eben darum werdet ihr drei jetzt nicht gehenkt, sondern erst abgeschält und dann gehenkt.«
Er ging einige Schritte auf die Finqueros zu, die aufrecht standen und sich aufs neue bekreuzigten, als er auf sie zukam. »Euch, Caballeros, sollte ich auch erst abschälen lassen, ehe ich euch henken lasse. Wichte, erbärmliche stinkige Wichte in euren
Seelen und Herzen seid ihr ja doch, obgleich ihr hier so stolze Mienen aufsetzt, weil ihr euch schämt vor den Chamulas und Bachajonen. Ich weiß was Besseres für euch, das euch auf eurem Marsch zum Infierno begleiten soll. Das wird euch mehr schmerzen als ein dreifaches Abledern. Eure hundsgemeinen Knechte machen sich nichts draus. Die machen sich nur gründlich etwas aus dem Häuten. Aber ihr macht euch etwas daraus, wenn ich euch sage, dass wir heute, und morgen, und in den nächsten Tagen euren Weibern und Töchtern und Nichten und Enkeltöchtern und Müttern die Beine aufspreizen werden, wir, die verlausten und verdreckten und gepeitschten Chamulas, und wir, die stinkigen Dreckschweine und räudigen Hunde, und gleich fünf und sechs von uns auf ein Paar fetter Beine, bis sie platzen, genau so, wie ihr es mit unsern Weibern, unsern Mädchen, unsern Töchtern seit vierhundert Jahren gemacht habt. Nicht aus Vergnügen, Caballeros.
Wir haben zehnmal mehr Vergnügen an unsern eigenen Frauen und Mädchen, auch wenn sie verlaust sind, verlaust euretwegen und verdreckt euretwegen. Unsere Frauen haben Feuer in ihren Schenkeln und Urschbacken, dagegen eure nur laues Abwaschwasser. Nicht aus Vergnügen besorgen wir es euren Weibern. Aus Gerechtigkeit. Und dass hier im Staate einmal Gerechtigkeit wird, darum bin ich General und dieser hier ist Coronel und jener da Mayor, auch wenn er nicht lesen und schreiben kann.
Aber eins können wir alle. Euch alle abschlachten und den Caciquen im Palacio Nacional vom Sessel runterzerren, damit wir endlich das Maul aufmachen dürfen und sagen mögen, was uns gefällt, und nicht nur immer wie die Papageien herplärren, was uns jeden Tag vorgeplärrt wird. Und nun, Caballeros, adios y buen viaje al infierno, gute Reise zur Hölle. Los, Muchachos, nehmt sie euch vor«, rief er den Burschen zu, die er für die Letzte Ölung bestimmt hatte.
»Viva General! Tierra y Libertad!« schrieen mehr als hundert
Muchachos, die sich, während General redete, mehr und mehr genähert hatten, um zuzuhören, was er zu sagen hatte. »Tierra y Libertad. Que muere la dictadura! Abajo los caciques. Abajo los patrones y capataces! Viva la revolucion! Libertad para los indios!«

 

6

Im Laufe des Nachmittags wurden von den Außenposten noch vier weitere Finqueros ins Lager gebracht.
Es waren Gutsherren, die mit ihren Mayordomos und Capataces zu ihren Fincas heimritten, nachdem sie in Santa Cecilia ihren Sieg gegen die Rebellen gefeiert hatten und von den Offizieren die Versicherung erhalten hatten, dass die Region frei sei von irgendwelchen zerstreuten Banden geschlagener Rebellen.
Die Finqueros, als sie ins Lager kamen und fanden, dass die Rebellen über eine so gewaltige Armee verfügten, waren so erstaunt, erschrocken und verwirrt, dass sie ihr eigenes Los für eine Viertelstunde völlig zu vergessen schienen. Sie erkannten, was der Garnison in Santa Cecilia bevorstand, und sie wären willens gewesen, zehn Jahre ihrer ewigen Seligkeit freiwillig zu opfern für eine Möglichkeit, Santa Cecilia von dem Anmarsch dieser Armee zu unterrichten.
Zwei der Caballeros, Don Fernando und Don Anselmo, besaßen noch genügend bissigen Humor und brüderliche Liebe, um, als ihnen die Lassoschlinge über den Hals geworfen wurde, einander zu sagen:
»Es ist nicht angenehm und wenig christlich, ohne den Beistand des Cura hier so schmählich von einem Ast zu baumeln, aber was unsern guten Nachbarn, die jetzt in Santa Cecilia sich so heftig besaufen, bevorsteht, ist um nichts besser. Was sagen Sie, Don Anselmo?«
Don Anselmo, seinen Hals in der Schlinge bewegend, erwiderte: »Wie immer, Don Fernando, Sie haben das wieder einmal recht gut gesagt. Auch mir ist es lieber, so geräuschlos und mit wenig Aufregung hier von dieser, wenn man es richtig bedenkt, so traurigen Welt zu scheiden, als die Überraschung und Verwirrung mitzumachen, die denen dort in Santa Cecilia zugute kommen wird, ehe sie so schön wie wir hier -«
Don Anselmo konnte seine philosophische Rede nicht völlig zu Ende bringen. Die Welt wird nie erfahren, welche Weisheit er in seinem letzten Augenblick von sich zu geben gedacht hatte. Seine Worte >wie wir hier< gingen in ein stickiges Gurgeln über, denn zwei kräftige Muchachos hatten ihn im selben Augenblick hochgezogen. Gegenüber einer so bestimmten und unzweideutigen Handlung endet jegliche menschliche Weisheit. Auch die des allergrößten Philosophen.

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