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Ernst Ottwalt – Ruhe und Ordnung (1922)
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PEINLICHER SIEG

Am nächsten Tage werden wir plötzlich mit der Nachricht überrascht, dass der Generalstreik abgebrochen ist. Wir wundern uns sehr darüber, denn bei uns ist die Lage der Arbeiter denkbar günstig. Noch einige Tage, und die Truppen wären durch die ewigen Aufregungen so demoralisiert worden, dass sie einer Entwaffnung zugestimmt hätten.
Die Arbeiterschaft stand fünf Minuten vor dem Sieg, und nun wird der Streik als beendet erklärt. Alles wird wieder gut.
Einige unter uns, die mit den Verhältnissen näher Bescheid wissen, reden scherzhaft davon, wir müssten uns bei dem Gewerkschaftsvorsitzenden Legien bedanken. Denn er hat uns mit der Zurücknahme der Streikparole einen großen Liebesdienst erwiesen.
Heute ist auch endlich ein Reichswehrbattaillon aus Halberstadt angekommen, das uns unterstützen soll.
Aufatmen und Freude überall: endlich können wir zum „entscheidenden Schlage" ausholen.
Aber unser Stoß geht ins Leere.
Vor der Artilleriekaserne, an der wir eingesetzt werden, steht eine Feldhaubitze und feuert nach Ammendorf hinein. Dieses schwere Feuer ist völlig sinnlos, denn die feindlichen Linien liegen so nahe, dass das Steilfeuer der Haubitze über sie hinweggeht.
Dafür wird zwei Kilometer weiter rückwärts die Fassade eines Mietshauses in Ammendorf von einer 21er Granate glattweg abrasiert. Menschen kommen dabei merkwürdigerweise nicht zu Schaden.
Wie wir zum Sturm ansetzen, sind die Stellungen der Arbeiter verlassen. Erst später erfahren wir, dass sie der Abbruch des Generalstreiks entmutigt hat. Jetzt wundern wir uns höchlichst über den billigen Sieg, der uns in den Schoß gefallen ist, und verstehen die Zusammenhänge nicht.
Unsere Lage war doch noch bis gestern fast verzweifelt, und heute sind wir auf einmal die Sieger.
Wir gehen zur Kaserne zurück und hocken untätig noch einige Tage herum.
Die Stadt erwacht wieder zum Leben. Die bürgerlichen Zeitungen geben Extranummern heraus. Fette Überschriften: „Wie die revolutionären Arbeiter geschlagen wurden."
Wir haben davon nichts gemerkt. Der einzige unzweifelhafte Sieg der Ordnungstruppen war die Eroberung des Flugplatzes durch eine Hundertschaft Sipo. Die Arbeiter, die dort verschanzt lagen, hatten vom Abbruch des Streiks und der Einstellung der Feindseligkeiten noch nichts erfahren.
Mit behaglicher Breite wird in der Zeitung geschildert, wie die braven Schutzleute zuerst durch trefflich gezielte Handgranatenwürfe die Baracke, in der die Arbeiter lagen, in Brand gesteckt haben. Als sich dann die Besatzung aus der einzigen Tür ins Freie retten wollte, hat man einen nach dem andern abgeknallt.
Man spricht von 45 Toten.
Die Truppen sind also auf der ganzen Linie siegreich geblieben. Auf dem Papier haben sie sich fabelhaft geschlagen, und die Arbeiter sind, wo immer geschlossene Verbände eingesetzt wurden, Hals über Kopf davongelaufen.
Auch Verlustlisten werden veröffentlicht, nach denen die Truppen nur vier Tote zu beklagen haben. Dabei waren es allein in unserer Kompanie mehr.
Wir ärgern uns nicht einmal über diese Lügen. Wir sind noch nicht recht zur Besinnung gekommen. Der Sieg für die Republik, den uns die bürgerlichen Zeitungen in die Schuhe schieben, ist uns peinlich.
Wir wundern uns nur darüber, dass vom Kapp-Putsch überhaupt keine Rede mehr ist. Eigentlich sind wir ja doch die Besiegten, eigentlich wollten wir ja doch die Republik stürzen, und daran haben uns die „revolutionären Arbeiter" gehindert.
Jetzt sollen wir plötzlich umlernen, der Kapp-Putsch sei eine ganz harmlose Angelegenheit gewesen, und die ganzen Unruhen seien von Verbrechern, die in Moskaus Blutsold standen, angezettelt worden. Nun ist der Bolschewismus dank unserm Mut niedergeschlagen worden.
Peinlicher Sieg...
Die Polizeimannschaften haben jetzt ständig Festtage. Sipoleute fahren mit Lastautos in den Dörfern herum und verhaften Alles, was ihnen in die Hände läuft. Jeder Arbeiter ist vogelfrei.
Ob er die Truppen der Militärdiktatur niederwerfen oder den Bolschewismus verwirklichen wollte, — es ist jetzt alles ganz gleichgültig: wer in diesen Tagen angeblich eine Waffe in der Hand gehabt hat, wird verhaftet. Wer einen verwundeten Arbeiter verbunden, wer einen Toten aus der Feuerlinie getragen, wer kämpfenden Arbeitern Brot und Wasser gereicht, wer einen Ortsfremden bei sich beherbergt hat, —der wird verhaftet.
Die Gefängnisse füllen sich. Schon wird der Platz knapp; im Untersuchungsgefängnis am Kirchtor liegen die Leute übereinander, und auf je drei Gefangene kommt eine Pritsche.
Die Fechtsäle der Universität in der Moritzburg werden zu Gefangenenlagern umgewandelt. Dort liegen Dutzende und Hunderte von „Aufständischen". Wochen und Monate.
Hin und wieder wird auch mal ein Verhafteter freigesprochen. Dann zetert man über die unverantwortliche Schwäche der Justiz, obwohl wirklich alles getan wird, um auch den Harmlosesten zu einem blutgierigen Landfriedensbrecher zu stempeln...
Einen Kapp-Putsch, meuternde Truppen hat es nie gegeben.
Nur einmal merken wir doch noch etwas davon: Irgendjemand erinnert sich daran, dass die
jetzt aufgelöste Nachrichtenabteilung ja für Kapp Stimmung gemacht hat.
Eines Tages erscheint also Walter verlegen und sehr unsicher bei Webach und mir und erzählt eine lange Geschichte von der strafrechtlichen Verfolgung der Kapp-Verbrecher. Wir erfahren zu unserem nicht geringen Erstaunen, dass wir beide dazu gehören. Wir haben „Stimmung gemacht". Dem Garnisonkommando sei die Sache höchst peinlich. Wir täten jedermann einen großen Gefallen, wenn wir uns die nächste Zeit nicht in Halle sehen ließen.
Wir bekommen ein paar Hundert Mark in die Hand gedrückt und fahren seelenvergnügt nach Berlin.
Nach vier Wochen kommen wir wieder, kein Mensch kümmert sich mehr um uns...
Peinlicher Sieg: Wir haben die Republik nicht besiegt und die Arbeiter nicht geschlagen. Alles ist wie früher.
Wir wissen noch nicht, dass wir doch gesiegt haben, dass es sich von nun an auch in der Republik leben lässt, und dass man jetzt auch in der Republik Geld verdienen kann.

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