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Otto Nagel – Die weiße Taube oder Das nasse Dreieck (ab 1928)
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VIII.

Ein in der Geschichte des »Nassen Dreieck« noch nie dagewesener Fall trat ein. In einem eleganten 8-Zylinder-Horch-Wagen waren zwei vornehme Herren angelangt, ließen den Wagen einige Häuser entfernt stehen und begaben sich direkt in Muttchens Giftbude, wo sie sich zwei Becher Bier bestellten und diese dann, ohne daran zu nippen, unbeachtet auf dem schmutzigen Schanktisch stehenließen. Die beiden merkwürdigen Besucher erregten natürlich bei den Gästen Aufsehen. Die zwei wanderten durch die Räume, beschauten sich neugierig alles und jeden und tauschten leise ihre Ansichten aus. Einer von ihnen machte sich eifrig in einem Taschenbuch Notizen. Es war ein Mann mit einem breiten Gesicht, um dessen eckiges Kinn ein brutaler Zug lag. Seinen Hut trug er wie ein Viehhändler weit ins feiste Genick geschoben. Er sah durch seine goldgeränderte Brille geflissentlich an den ihn umgebenden Menschen vorbei.
Es war im »Nassen Dreieck« still geworden. Die Kunden starrten alle stumm auf die beiden Männer, die jetzt versuchten, mit einigen der Gäste in ein Gespräch zu kommen. Einer nach dem anderen trat hinzu, bald waren die beiden von einer ganzen Gruppe umgeben. Schnell sprach es sich herum, dass sie vom Film waren und Typen suchten. Auch Thiele und der Dicke Stern waren nach vorn gekommen. Thiele sah, wie der eine Namen notierte. Da kann man vielleicht etwas verdienen, dachte er und schob sich näher heran. Jeder wollte der erste sein; ein furchtbares Durcheinander entstand, alle sprachen und brüllten zu gleicher Zeit. Die Besucher wurden mit dem Rücken gegen den Ladentisch gedrückt. Man hörte, wie sie sich gegenseitig auf einzelne der Gestalten aufmerksam machten: »Der da, sieht gut aus!« Oder: »Der Alte da, mit dem grauen Bart.«
Nur der Goldbebrillte sprach mit den Leuten. Sein hochmütiger Ton ließ erkennen, dass er sie als außerhalb der menschlichen Gesellschaft stehend betrachtete und es eigentlich als unter seiner Würde ansah, überhaupt mit ihnen zu sprechen.
»Komm du mal her,- ja, du, mit dem komischen Vollbart; auch du da, mit der schiefen Nase, - den Namen, wie? Lauter sprechen, - ach so... «
Hin und her drängten die aufgescheuchten Stammgäste, jeder suchte so weit wie möglich nach vorn zu kommen. Etwas Flehendes lag in ihrer Stimme:
»Sie, Herr! Ich komme doch auch ran, nicht? Sie - Sie!!«
Alle wollten sich irgendwie bemerkbar machen. Thiele, Stern und der Zahme waren auch notiert worden. Der Fackler war schmählich abgerutscht.
»Sieht viel zu gut konserviert aus«, hatte das Vollmondgesicht gemeint.
jetzt mussten noch die Weiber Revue passieren. Die als unbrauchbar befundenen Männer drängten sich missmutig zur Seite und gingen mit schiefen Köpfen auf ihre Plätze zurück. Dort saßen sie, schnitten böse Gesichter und schimpften unverhohlen über den ganzen Filmkram und versuchten die anderen misstrauisch zu machen. Die Aufgeschriebenen aber lachten nur still vor sich hin.
Eben hatten die Filmleute die Einäugige entdeckt. Sie stutzten, rückten die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander. Sie musste vortreten, sich von allen Seiten in Augenschein nehmen lassen. Ohne das Gesicht zu verziehen, drehte sie sich gleichgültig auf ihrem schiefen Absatz herum und ließ sich von hinten bewundern. Die Kurbelfritzen waren begeistert:
»Einfach fabelhaft! Großartig, ganz ausgezeichnet!«
Die männlichen Mitglieder der Korona wussten nicht recht, was sie von diesen Ausrufen halten sollten, und riefen der Einäugigen zu: »Dir ha'm se wohl for de Hauptrolle ausjesucht???«
In den Zurufen hörte man etwas den Neid heraus. Einige lachten und johlten. Der Zahme holte seine kesse Beere aus dem Gedränge heraus und war stolz, dass sie ein solches Aufsehen erregt hatte. Deutlich gab er den beiden Filmleuten zu erkennen, dass er zur ihr, dem einäugigen Musterexemplar, gehörte.
Unter den zwanzig für würdig befundenen Frauen befand sich auch die Schwarze Minna.
»Also morgen früh um acht Uhr alles pünktlich hier zur Stelle - aber det mir keiner besoffen kommt!« befahl kurz der Goldbrillenmann. Er zahlte die beiden Bier, die noch immer auf dem Ladentisch standen und schon schal wurden. Dann
gingen sie. Alle Gäste drängten vor die Tür und sahen zu, wie die beiden ihr Auto bestiegen. Ohne das »Nasse Dreieck« und die vor ihm stehenden Gäste auch noch eines Blickes zu würdigen, sausten die zwei vorbei.
»Feine Leute!« sagten die Aufgeschriebenen, die anderen aber meinten, ihnen käme die ganze Sache verdächtig vor, wer weiß, wofür es gut sei, dass sie selbst damit nichts zu tun hätten.
Den ganzen Abend herrschte große Aufregung. Man sprach ausschließlich von dem sensationellen Besuch der Filmleute. Muttchen musste ein paar Mal ihre wuchtige »Hausordnung« vom Haken nehmen, um hitzige Meinungsverschiedenheiten zu schlichten.
Pünktlich zur festgesetzten Zeit standen am anderen Morgen zwei Lastautos vor der Tür des »Nassen Dreiecks«. Vierzig Männer und zwanzig Frauen kletterten schwerfällig auf die Wagen. An den beiden Seiten der Wagen wurden große Planen heruntergelassen, damit man diese Fuhre zusammengehäuften Elends von außen nicht sah. Die gestern Zurückgewiesenen blieben auf ihren Plätzen im »Nassen Dreieck« sitzen und gingen nicht mal zur Tür, als die Lastautos abfuhren.
Dicht zusammengepresst saßen die vielen Menschen auf den beiden Wagen. Wenn der Wagen in schneller Fahrt um eine Ecke fuhr, purzelten sie lachend und schreiend durcheinander. Es war fast dunkel im Wageninnern, nur durch die Ritzen schoss grelles Licht hinein und blendete die Augen, die es traf. Man unterhielt sich munter, ohne einander sehen zu können. Einer fing an, einen Schlager zu grölen. Alle übrigen stimmten mit ein. Die Chauffeure gaben Gas, um schneller davonzukommen. Verdutzt schauten die Straßenpassanten den seltsamen Radau-Autos nach.
Endlich hielten die Wagen. Die Plandecken wurden hochgerollt. Mit lahmen Knochen kletterten die Fahrgäste von den hohen Wagen herunter. Ihre Augen mussten sich erst wieder an das helle Tageslicht gewöhnen. Eng aneinandergerückt standen sie auf dem großen Hof des Filmateliers. Wie zum Kriegsdienst Ausgehobene, die, eben auf dem Kasernenhof eingetroffen, instinktiv so nahe wie möglich zusammenkriechen, um dem Kommenden nicht so allein gegenüberzustehen.
Alles, was ihnen dort zu Gesicht kam, war ihnen neu und fremd, erfüllte sie mit ängstlicher Neugier, die sie hinter übertriebener Schnoddrigkeit zu verbergen suchten. Furchtsam schauten sie nach den großen geheimnisvollen grauen Schuppen hinüber, deren Türen mit weißen Schildern bedeckt waren. Rote Tafeln standen auf Pfählen überall auf dem Hof herum. Ein junger Mann in weißem Kittel, ein Blatt Papier in der Hand, kam jetzt über den Hof zu ihrer Gruppe. Er rief einzeln die Namen auf, führte sie dann alle um eine große Halle herum durch einen weißgestrichenen Gang mit vielen Türen, Stufen hinab, wieder durch mehrere Türen. Die Frauen von den Männern streng getrennt, wurden die Stammgäste des »Nassen Dreieck« in zwei großen Kellerräumen untergebracht.
»Sie müssen sich durchaus ruhig verhalten, Rauchen ist strengstens untersagt. - Kein Mann darf zu den Frauen hinüber. - Polizeiliche Vorschrift!« schärfte der im weißen Kittel allen ein und verschwand.
Als die Männer vorhin das Gebäude betreten hatten, nahmen sie unwillkürlich alle ihre Kopfbedeckung ab und behielten sie in der Hand. Jetzt saßen sie eingeschüchtert ganz still auf ihren Plätzen, die grobe Holzbänke ihnen boten, hatten die blaugeäderten Hände schwer auf die spitzen Knie gelegt und harrten geduldig des Kommenden. Einige nickten ein. Nach und nach begann es zu murmeln, immer lauter und lauter. Die Worte klapperten herum, prasselten gegen die kahlen Wände des leeren Raumes, von wo sie als hohlklingendes Echo nochmals in das aufquellende Gemurmel zurückfielen.
Sich ganz verlassen fühlend, saßen die Frauen in dem ihnen zugewiesenen Raume und unterhielten sich in kleinen Gruppen flüsternd. Sie waren scheu und verängstigt, weil die Männer nicht da waren.
Auf einen Sprung kam Aufnahmeleiter Scharfenstein - das war der Brutale mit der Goldbrille - nach unten zu den Männern, warf einen Blick in den Raum und verschwand wieder. Dann eilte er zu den Frauen hinüber. An der Tür des Raumes stehen bleibend, suchte er mit den Augen die Einäugige. Als er sie entdeckte, winkte er ihr mit dem Zeigefinger zu, ihm zu folgen. Die einäugige Käthe arrangierte ihre Augenklappe ein wenig, stand auf und lief kaltschnäuzig hinter dem Mann her.
Der quecksilbrige Scharfenstein war immer ein paar Meter voraus. Oben gelangten sie in einen großen Saal, dessen Fußboden mit Brettern, Balken und Leitungskabeln in wirrem Durcheinander bedeckt war. Springend und kletternd mussten sie sich ihren Weg bahnen. An merkwürdig seltsamen Kulissen und Aufbauten kamen sie vorbei. Die Atelierarbeiter, an denen die Einäugige vorbeikam, schüttelten unwillkürlich ihre Köpfe und schauten diesem am Filmhimmel neu aufgehenden »Star« lachend nach. Sie tat, als bemerke sie das alles gar nicht.
Irgendwo hinter Kulissenwänden blitzte unerträglich grell ein Licht auf, in das man gar nicht hineinsehen konnte - so blendete es die Augen. Plötzlich stand die Einäugige vor einer Menschengruppe. Alle sahen so gut genährt aus und hatten etwas sehr Gepflegtes. Eine junge Dame mit einem Wachspuppengesicht saß graziös auf einem Stuhl hingelehnt. Sie klemmte sich jetzt ein Einglas ins Auge und fing an, die Einäugige in ganz unverfrorener Weise von oben bis unten zu beäugeln. Alle lächelten, aber durchaus nicht diskret. Scharfenstein blickte in der Pose eines sehr selbstbewussten Malers, der sein neuestes Gemälde zeigt, um sich und fragte das Monokel-Dämchen gespannt: »Nun, habe ich zu viel gesagt???«
Diese betrachtete noch immer mit neugierigem Staunen die Frau mit der schwarzen Augenklappe. In ihrer Stimme lag Anerkennung, als sie sagte:
»Dolle Sache, - wo haben Sie die bloß aufgegabelt?«
Die umstehenden Männer bestätigten ihr Urteil:
»Wirklich ganz ausgezeichnet! Charmant!«
Der Aufnahmeleiter lächelte geschmeichelt, wandte sich dann an die Einäugige und (als wollte er zeigen, wie er mit dieser Art Menschen umzugehen verstand) sagte - von oben herab, jovial - zu ihr:
»Nu ab, - kannst wieder gehen, - seid da unten aber hübsch artig!«
Die Einäugige kehrte zu den übrigen Frauen zurück. Alle waren neugierig und wollten genau wissen, wo sie gewesen war, was sie gesehen hatte. Sie aber setzte sich still in eine Ecke und gab nur kurze, abweisende Antworten. Äpfelchen war empört: »Jetzt bildet sie sich wunder was ein!«
Inzwischen war ein Friseur mit seinem Gehilfen zu den Männern gekommen. Einzeln mussten sie vortreten und sich kritisch betrachten lassen. Gewisse »Schönheits«-Fehler, die der Haarkünstler feststellte, wurden sofort korrigiert. Einem wurde ein blutunterlaufenes blaues Auge angeschminkt; einem anderen die Haare mit Fett eingeschmiert und zur Sechsertolle gelegt. Die meisten aber entsprachen unverändert dem erwünschten Typ.
Der geschmeidige Lockenpriester verschwand wieder, seinen Schminkkasten gravitätisch unter den Arm geklemmt. Sein Helfer blieb unten bei den Männern. Diesen bestürmten sie jetzt mit tausend Fragen.
»Kollege«, sagten sie vertraulich, »wie lange dauert's denn noch? Gibts denn hier nischt zu schilen, ick meene (verbesserte sich der Frager) zu essen?«
Der junge Kerl kam sich beinahe vor wie der Regisseur in höchsteigener Person. Er suchte den Leuten zu imponieren, indem er ihnen fantastische Dinge erzählte und sich an ihren erstaunten Gesichtern ergötzte.
»Die Hauptdarstellerin bekommt achthundert Mark für einen Tag!« protzte er.
»Achthundert Mark???«
Die Hörer staunten, als ob dieser Schnauzenschinder selbst die Primadonna wäre.
»Das ist noch gar nichts«, fuhr er wichtigtuend fort, »in unserem letzten Film erhielt ein Schauspieler für die dreizehn Drehtage fünfzigtausend!«
Triumphierend blickte er sich um wie ein Schwergewichtler, der eben einen neuen Weltrekord verbrochen hatte. Alle murmelten staunend und bemühten sich, von dieser für sie fast unvorstellbar großen Summe einen schwachen Begriff zu bekommen.
»Wat macht der denn mit det ville Jeld?« fragte einer schüchtern.
»Junge, Junge - der kann aber leben!« sagte ein anderer.
Stern grinste boshaft: »Dafier kriejen die andern desto wenjer - irgendwo muß't doch herkomm'n... «
Der Zahme Willi war anderer Meinung: »Weeste, Albert, so een Mensch hat aber ooch janz andre Ausjaben wie unsereener, muss immer tiptop in Schale sein un so...«
Thiele blickte sinnend vor sich hin: »Fuffzigdausend Märker, bloß een Hundertstel davon möcht ich hab'n.«
Der Zahme spuckte verächtlich auf den Fußboden: »Ick wär schon mit'n Dausendstel zufrieden!«
Die Männer sahen sich an und brachen in ein dröhnendes Lachen aus.
Nachdem sie einige Stunden hier unten zugebracht hatten, wurde plötzlich die Tür aufgerissen: »Los, alle rauf zur Aufnahme!«
Schwerfällig erhoben sich die Leute und trotteten hinter dem Mann einher. Auch sie turnten und stolperten, wie vorhin die Einäugige, über die Kabelschlangen hinweg zur anderen Seite an der großen Halle, wo die Dekorationen standen. Schauspieler, Angestellte, Arbeiter - alles lief und brüllte dort durcheinander. Hoch auf einer Plattform saßen Beleuchter und probierten an Scheinwerfern herum.
Jetzt kamen auch die Frauen von unten herauf; sie waren ehrlich erfreut, ihre »Kerls« wohlbehalten wieder zu sehen.
Alle wurden nun in die Dekoration hineingeführt. Erstaunt sahen sie sich um: das war ja fast wie in Muttchens »Nassem Dreieck«! Und doch war alles so eigentümlich anders, so kalt und ungemütlich. Die Leute wussten selbst nicht, woran das lag. Scharfenstein, der allgegenwärtige Aufnahmeleiter, kam angeflitzt, hieß das Pennervölkchen an den Tischen Platz nehmen, bellte aufgeregt mit ihnen herum. Auch der Regisseur gab jetzt verschiedene Anweisungen.
Der Scharfenstein sah alles und war überall. Fortwährend kommandierte er:
»So setzt euch doch auf die Stühle hin, - tut, als wenn ihr in eurer Kneipe seid, - nicht so hölzern, nicht so steif. - Der Verhungerte da, 'n bisschen vorrücken, so! Die da mit der Augenklappe, - hier mit ran an den Tisch!«
Er überschrie sich fast: »Nicht in den Apparat sehen! Nicht das Bier beim Probieren trinken, -
bloß so machen, als ob-------Bühne, Kerl, wo biste
denn? Rasch, Zigaretten verteilen! So, jetzt feste qualmen!«
Die armen Teufel aus dem »Nassen Dreieck« gaben sich bereitwillig die größte Mühe, so zu sein, wie sie nicht waren, saßen steif und fremd da. Es dauerte sehr lange, bis der Regisseur zufrieden war und mit dem Drehen begonnen werden konnte.
»Aufnahme! - Licht!«
Grell überflutete es den Raum, über dem oben geheimnisvoll ein dunkler Abgrund hing. Der unerträglich grelle Schein der Projektoren biss den Leuten in die Augen; sie blinzelten und wischten sich mit den Händen die Nässe hinweg. Strahlendweiß erglänzte das Wolkenspiel des Zigarettenqualms über ihren Köpfen. Endlich war die erste Qual überstanden!
Diese Aufnahme war beendet. »Licht aus!« Stockdunkel wurde es jetzt plötzlich. Eine kurze Pause... Dann folgte wieder Aufnahme nach Aufnahme.
Die Leute gossen das Bier nur so in den Hals, rauchten wie Fabrikschlote! Dabei mussten sie fort-
gesetzt grölen. Schließlich schwankten sie hin und her, weil ihnen von dem ganzen ungewohnten Theater der Kopf schwindelte. Pause!
Ganz benommen stieg die Elendskolonne nach ihrem Keller hinab. Dort traktierte man sie freigebig mit - trockenen Schrippen und Malzkaffee!!!
Fast keiner sprach ein Wort. Zusammengeduckt saßen sie da. Dann wieder: »Rauf zur Aufnahme!« Es war noch nicht alles fertig. Die Kunden standen herum und warteten darauf, dass sie in die Dekoration geführt wurden. Thiele sah interessiert zu, wie einige Leute abseits dabei waren, eine neue Dekoration aufzustellen. Ein junger Arbeiter, der in seine Nähe kam, sprach ihn an:
»Von wo haben sie euch eigentlich geholt?«
Darüber aufgeklärt, forschte er weiter: »Habt ihr denn was ausgemacht? Ich meine, haben sie euch gesagt, was ihr bezahlt bekommt?«
Thiele stutzte: »Donnerwetter! Ja, richtig - darüber hätte man doch vor allem Klarheit haben müssen!«
Keiner von ihnen hatte daran gedacht, sich vorher Gewissheit zu verschaffen.
»Na«, fuhr der junge Arbeiter fort, »dann passt bloß auf, dass sie euch nicht übers Ohr hauen! Die wollen an euch und durch euch verdienen, sogar noch an den paar Kröten, die euch von Rechts wegen zustehen. Ihr solltet wirklich beizeiten fragen, was sie euch geben wollen.«
Thiele sprach später mit Stern und dem Zahmen darüber. Willi meinte: »Habt euch doch nich so; wia wer'n nachher schon sehen!«
»Ja, nachher, wenn es zu spät ist«, erwiderte Thiele. Auch Stern stimmte ihm zu.
»Komm«, sagte er, »wolln mal mit dem Flimmeronkel een Wörtken red'n.«
Scharfenstein, der ihnen zufällig gerade über den Weg lief, wollte nichts hören:
»Dazu hab' ich doch jetzt keine Zeit, - hab' doch wirklich Wichtigeres zu tun!«
Als der Atelierarbeiter wieder in Thieles Nähe kam, erkundigte er sich nach dem Ergebnis.
»Wo kann man euch heute abend sprechen?« fragte er, als er von Scharfensteins Verhalten erfahren hatte. Thiele schlug das »Nasse Dreieck« als Treffpunkt vor.
Die Vorbereitungen für die letzte Aufnahme waren jetzt beendet. Wieder ging es los. Der Regisseur, ein zwerghaft kleines Kerlchen, mühte sich ab, den Leuten etwas beizubringen. Mit dünner, schriller Stimme redete er auf sie ein. Dazu machte er mit den Händen Bewegungen wie ein Rummelplatzhypnotiseur:
»Ganz traurig müsst ihr jetzt sein - ganz traurig. Denkt doch mal an eure liebe Mutter - - - an Weihnachten! So, jetzt müsst ihr weinen, - nu los doch, heult doch! Versteht ihr denn nicht? Weinen sollt ihr!«
Er flehte und jammerte und brachte sich fast um. Ein rasch herbeigeholtes Grammophon musste zur Unterstützung seiner vergeblichen Bemühungen, die verhärteten Sünder zum Weinen zu bringen, das in doppeltem Sinne traurige Lied von der »Rasenbank am Eiterngrab« hergeben. Teils aus natürlicher Gutmütigkeit, teils auch, um bloß die quälende Stimme des auf ihre Tränen versessenen Regisseurs nicht mehr hören zu müssen, gaben die lieben Leutchen sich wirklich ehrliche Mühe, ihm sein Verlangen zu erfüllen. Aber dieser geheuchelten Traurigkeit gegenüber wollten ihre an ganz andere Erfahrungen gewöhnten Tränendrüsen auch nicht die Spur eines Tropfens hergeben.
Nun trat wieder Herr Scharfenstein in Funktion. Er hielt schon längst eine kleine Schüssel geschälter Zwiebeln bereit, die er nun unter den stümperhaften Akteuren und Aktricen verteilen ließ. Auf diese Weise wurde der Funktion der streikenden Tränendrüsen nachgeholfen. Das oft bewährte Mittel tat seine Dienste. Nass rollten den Leuten Zwiebeltränen über die Backen. Der Regisseur war befriedigt.
Für heute machte man Schluss mit den Aufnahmen. Der weißbekittelte Listen-Mann, der heute morgen ihre Namen verlesen hatte, kam zu ihnen und zahlte ihnen ihre »Gage« aus. Den meisten von ihnen wurden zwei, einigen wenigen »Prominenten« drei Mark in die Hand gedrückt. Dann wurden sie in Gnaden entlassen. Die Leute aus dem »Nassen Dreieck« drehten die Silberlinge hin und her und wussten nicht recht, ob sie nun zufrieden sein oder sich ärgern sollten.
Als sie im verhangenen Lastauto wieder durch die Straßen sausten, saßen sie, mit bösen oder stumpfen Gesichtern, schweigend da.
Es war schon 8 Uhr, als der Wagen vor dem »Nassen Dreieck« hielt. Die Zurückgebliebenen sahen die Gesichter der »Filmleute« und lächelten schadenfroh. Alles drängte jetzt an die Theke, um den heimlichen Ärger hinunterzuspülen.
Etwa eine Stunde später kam der junge Atelierarbeiter. Zunächst sprach er eine Weile mit Thiele allein, der bald darauf aufsprang und alle, die heute da draußen im Filmatelier waren, in den hinteren Raum rief. Auch die nicht direkt Beteiligten wurden neugierig und drängten nach hinten. Das war in dem ewigen Einerlei des »Nassen Dreieck« mal etwas Neues. Keiner wollte sich das Erwartete entgehen lassen.
Thiele stellte sich auf einen Stuhl und erhob wortlos die rechte Hand. Der Lärm ließ sofort nach, alle schauten gespannt auf ihn. Es dauerte aber doch eine kleine Weile, bis es so still geworden war, dass er reden und von jedem verstanden werden konnte. Dann begann er ganz sachlich:
»Wir waren nun heute da draußen beim Film und haben beinahe zwölf Stunden da zugebracht. Ich glaube, ein jeder von uns hat wohl im stillen gedacht, etwas mehr dafür zu kriegen. Man hat uns aber mit diesen paar Kröten abgespeist. Die Bande denkt, weil wir Penner sind, können sie mit uns machen, was sie wollen. Sie meinen, wenn man uns een paar elende Lausebeene auf'n Disch legt, sin wa zufried'n. Jewiss, et is ejal, ob wir hier rumsitzen oder da den Klaumauk mitmachen, und mit rausjefahren sind wir ja alle schließlich janz jerne, weil wir hofften, een bißken zu vadienen; aber so-o-o-o, nee, so hab ick mir die Sache doch nich jedacht!«
Alle hatten aufmerksam zugehört. Einige machten jetzt beifällige Bemerkungen.
»Jawoll, Willem hat janz recht -, die Dickköppe wolln uns bloß ausmisten. Solln sich ihr'n Dreck alleene machen!«
Thiele wollte weiterreden, hatte aber plötzlich den Faden verloren. Verlegen suchte er nach einem Anhaltspunkt. Da traf sein Blick die brennenden Augen der Schwarzen Minna, die ihn ermutigend anblickten. Sofort konnte er wieder weiter:
»Und dann hat der Kollege hier erzählt, dass sie sonst, wenn sie sich Leute vom Arbeitsnachweis holen, viel mehr bezahlen müssen. Wir müssen uns mal überlegen, wat wir morjen da machen wollen.«
Thiele war noch nicht ganz fertig - da brüllte hinten ein junger Kerl los:
»Bravo, Willem - recht haste, wia sin doch schließlich nich so doof, uns von die blöden Stuppen uff de Nudel schieben zu lassen!«
Thiele sprang vom Stuhl herab. Alle klatschten jetzt Beifall und waren begeistert. Stolz schaute die Schwarze Minna auf Wilhelm. Ein alter Kunde mit grauem Vollbart stand auf, machte sich bemerkbar und fing hüstelnd an zu sprechen. »Lauter!« riefen die Hintenstehenden. »Sperrt eire Ohren doch uff! Ich rede schon laut jenuch. Ick sage eich bloß det eene, wia könn zufrieden sinn, dat wia die paar Mark vadien könn, wia könnse alle jut jebrauchen. Un ick jloobe, wenn wia die Leite jetz Theater machen, schmeißen se uns raus und denn ha'm wia janischt. Wat ihr da wollt, det is doch allet Quatsch; bei die Zeiten muss ma zefrieden sinn mit jedem Sechser, 'n Pfennig is besser wie janischt!«
Große Unruhe unter den Zuhörern machte sich bemerkbar. Einige warfen dem Graubart recht unzarte Bemerkungen an den Kopf:
»Olle Quasseltute! - Dreckiger Wasserpollack! Deemlichst Aas! Lass dia deinen Sauerkohl abhacken un schmor'n dia!«
Der junge Atelierarbeiter hatte zunächst lächelnd zugehört, machte jetzt aber ein ernstes Gesicht und stand auf. Alle schwiegen erwartungsvoll.
»Zankt euch nicht; das hat ja keinen Zweck!« sagte er begütigend. »Könnt ihr euer wohlverdientes Geld gebrauchen, oder habt ihr soviel übrig, um den Leuten, die doch Pulver genug haben, noch was zu schenken? Sonst rennt ihr euch nach 'n paar Plautzpfennige die Hacken ab; hier aber, wo's um euern rechtmäßigen Lohn geht, wollt ihr still sein? Wenn ihr durchaus darauf verzichten wollt, nun gut, - das ist eure Sache!
Wundert euch denn aber nicht, wenn sie euch obendrein noch für dämlich halten und sich über euch lustig machen. Das wollt ihr doch wohl nicht? Ich weiß bestimmt, dass sie in den nächsten Tagen auf euch angewiesen sind. Die Dekorationen sind aufgebaut, keine andern so schnell zu beschaffen. Jeder Tag kostet sie - ob sie drehen oder nicht -einige Tausend Mark Ateliermiete. Ehe sie die opfern, bezahlen sie euch lieber ein paar Mark mehr. Wenn ihr aber wirklich so blöde sein wollt und
euch mit dem Gebotenen begnügt, zahlen sie später andern armen Teufeln auch nicht mehr. Also: Seid wachsam und fordert ganz dreist, was euch zusteht.«
Der junge Arbeiter war fertig. Es herrschte einige Augenblicke völlige Stille im Raum. Die Leute mussten erst verdauen, was ihnen da so plausibel gesagt worden war. Dann aber brach die Begeisterung los: man klatschte, schrie und lachte durcheinander. Alle waren jetzt Feuer und Flamme.
Thiele besprach noch mit Stern und dem Atelierarbeiter, wie sie die Sache morgen deichseln wollten. Dann ging er bald nach hinten schlafen. In Muttchens Logis waren heute alle Betten belegt!
Thiele lag noch lange wach. Er malte sich aus, wie er wohl früher in seiner Eigenschaft als Wiegemeister unter ähnlichen Umständen gehandelt haben würde. Fast schämte er sich ein wenig. Wie merkwürdig war es doch, dass er heute über viele Dinge ganz anders urteilte als damals! Was war er bloß für ein Trauerkloß von Kerl gewesen; er kannte sich kaum wieder. Direkt feindselig stand der Thiele von heute dem von damals gegenüber!
Am anderen Morgen kletterte die Elite aus dem »Nassen Dreieck« wieder auf die Lastwagen, um zum Filmatelier hinauszufahren. Als die Chauffeure die Plandecken an den Seiten herunterlassen wollten, verhinderten die aufgeklärten Kunden das ganz energisch. Die beiden Fahrer waren ratlos, fuhren erst dann los, nachdem der eine von ihnen telefoniert hatte.
Die Schupoposten, an denen die auffälligen beiden Lastwagen vorübersausten, wurden nervös und schauten unsicher hinterdrein. Die bürgerlichen Passanten drehten ängstlich die Köpfe weg und liefen dann schneller ihres Weges. Der durch das Telefongespräch schon informierte Scharfenstein stand auf dem Hof des Filmateliers und erwartete die beiden Autos in böser Stimmung. Scharf und schneidig brüllte er die ihn herausfordernd anblickenden Stammgäste des »Nassen Dreieck« an:
»Was fällt euch denn ein? Ihr seid wohl verrückt geworden, solche Schweinereien zu machen???«
Der Dicke Stern kniff Thiele in den Arm, flüsterte ihm leise zu: »Pass bloß uff, wat der jleich for 'ne Labbe machen wird! Schade, det wa keen Knipskasten bei uns ha'm!«
Seelenruhig gingen sie dann auf Scharfenstein zu:
»Wir haben ein Wörtchen mit Ihnen zu reden.«
Bestürzt trat der einen Schritt zurück, seine hinter der Goldbrille weit aufgerissenen Augen zuckten nervös. Dann brüllte er los:
»Fangt bloß nicht solche Mätzken mit mir an, das kann ich nicht vertragen! Nu los! Ich habe keine Zeit zu vertrödeln!« Seine Stimme hatte einen weinerlichen Unterton.
Thiele wollte wütend antworten, er bezwang sich aber, als er das zynische Grinsen des Dicken Stern sah, der, scheinbar beschwichtigend, sagte:
»Nu lass doch den Mann jetzt, Willem; du siehst doch, er hat keene Zeit nich...«
Scharfenstein warf einen erstaunten, aber misstrauischen Blick auf den Dicken, der ihn treuherzig angrinste und seelenruhig fortfuhr:
»Also warten wa hier, bis der jute Mann sich herablässt, Zeit for uns zu ha'm!«
Als ob diese Angelegenheit für ihn erledigt sei, drehte er sich gemütlich um und sagte zu den übrigen, die inzwischen von den beiden Lastautos herabgeklettert waren:
»Also, Kinnerkens, damit wa uns nich so de Beene in'n Bauch stehn duhn, schlage ich vor, det wa uns deweile uff unse Jummikaleschen placieren...«
Hilf- und fassungslos musste Scharfenstein zusehen, wie alle wieder auf die Wagen zurückkletterten und sich's bequem machten.
Stern und Thiele waren bei ihm stehen geblieben; sie warteten, dass der sonst so sprechwütige Aufnahmeleiter seine Sprache wieder finden würde.
Neugierig sahen einige der auf dem Hof beschäftigten Arbeiter zu ihnen hinüber. Aus allen Fenstern schauten schon Leute heraus.
So in die Enge getrieben, wusste sich Scharfenstein keinen Rat mehr. Wütend bullerte er:
»Nu, los, denn kommt mit!«
Er ging voraus; schweigend schritten Thiele und der Dicke Stern hinter ihm her.
Einige Herren kamen Scharfenstein aufgeregt entgegengelaufen und wollten wissen, was passiert sei.
Ohne sie zu beachten, lief er wie ein gereizter Stier weiter. Die beiden »Querulanten« blieben ihm kalt lächelnd auf den Fersen.
Scharfenstein hatte heute seinen schwarzen Tag! Den Leuten aus dem »Nassen Dreieck« aber kam es vor, als habe die Sonne nie heller geschienen. Das Licht aller Scheinwerfer zusammen war gar nichts dagegen!
Auch die Atelierarbeiter blinzelten sich vergnügt zu, wenn das blasse Gesicht des Aufnahmeleiters irgendwo auftauchte.
Abends, als die vollbepackten beiden Lastautos wieder durch die Straßen rollten, blieben die Menschen verblüfft stehen, schauten sich kopfschüttelnd an und gaben ihrer Verwunderung Ausdruck, dass dieses Lumpenpack da oben auf den beiden Wagen so ausgelassen lustig war. In dieser Stimmung kamen sie »zu Hause« an.
Im »Nassen Dreieck« hatte man noch nie so viele freudige Gesichter gesehen! Der Sieg über Scharfenstein wurde ausgiebig gefeiert. Jeder feiert Siege auf seine Art. Die Nassen Dreieckler besoffen sich bis dort hinaus! Sie wussten es nicht, ja sie ahnten nicht einmal, dass man derartige »Siege« auch anders feiern kann. Besoffensein, das war für sie das höchste der Gefühle! In diesem Zustande sprangen und tanzten sie herum, johlten und keiften, fluchten und prügelten sie sich. Ein Höllenlärm brach los.
Die Hände dieser Menschen waren nicht mehr gewöhnt, Geld zu halten, es rutschte ihnen zwischen den Fingern durch, fiel auf den schmutzigen Schanktisch und - - - rollte unfehlbar in Muttchens geräumige Kasse! Mit den Fressalien, die hinter dem Eisengitter aufgestapelt lagen, nudelten sie sich wie Mastgänse und spülten jeden Bissen mit Spiritus »fini« hinunter.
Im vorderen Schankraum war man sich in die Haare geraten. Die Menschen ballten sich dort zusammen und drückten nach der Tür zu. Ein junger Kerl hatte einem alten Kunden Geld stiebitzen wollen. Er war dabei ertappt worden. Jetzt schleppten sie den Frechling auf die Straße hinaus und schlugen mitleidslos in sinnloser Wut auf ihn ein. Er schrie, suchte seinen zerbeulten Kopf unter den gekrümmten Armen zu schützen. Als man ihn endlich ließ - weil den Männern die Handknochen schmerzten, rannte er wie ein gehetztes Wild davon. Seine Peiniger torkelten in die Budike zurück und soffen unverdrossen weiter. Der Zahme Willi mitten unter ihnen.
Thiele saß mit der Schwarzen Minna und der Einäugigen im Hinterraum.
»Jetzt jagen sie ihre paar Pimperlinge durch den Schlund!« sagte er verächtlich.
»Lass se, Wilhelm, wenn't Spaß macht; se frein sich doch bloß een bißken!« erwiderte entschuldigend die Schwarze Minna.
Am nächsten Tag fuhren sie zum letzten Male nach dem Filmatelier hinaus. Scharfenstein und seine Leute waren froh, als auch dieser Tag überstanden war. Drei Kreuze machten sie, als die beiden Wagen den Hof verließen. Die Bande aus dem »Nassen Dreieck« hatte sich zuletzt doch allzu sehr wie »in der Familie« benommen.
Auf der Heimfahrt rechneten Thiele und seine Schwarze Minna ihren Reinverdienst zusammen Netto zwanzig Mark blieben ihnen übrig. Ein ganz schönes Stück Geld für ihre augenblicklichen Verhältnisse, da konnte man etwas anfangen!
Sie schmiedeten Pläne. Bei einer bekannten Frau wusste die Schwarze eine kleine Stube, die zwölf Mark Miete kosten sollte. Die Umwelt war zwar nicht so ganz ohne, die Vermieterin bewohnte die Küche und empfing dort »Herrenbesuch«. Auch sollte sie im Kopf nicht ganz richtig sein, aber immerhin...
Das Haus, in dem Frau Kneschke - die Zimmervermieterin - wohnte, war eine baufällige Kabache, die erwähnte Stube eine düstere Buchte. Zwei Meter vom Stubenfenster entfernt stieg die Brandmauer des Nachbarhauses empor. Zwei wacklige alte Stühle, ein ebensolcher Tisch, auf dem ein Wachslicht aufgeklebt war. Ein an der Wand, der Fensterseite gegenüber aufgestelltes, tief durchgelegenes eisernes Bett ergänzte das Mobilar des Raumes.
Thiele war schwer enttäuscht und gerade im Begriff, das auch zu sagen. Als er aber das vor Begeisterung glühende Gesicht der Schwarzen Minna sah, schwieg er still. Er wollte ihr die Freude nicht verderben.
»Na Willem«, fragte sie eifrig, »is det for'n Anfang nich janz scheen? Un denn is det ooch nich deier, un fo't Fenster komm'n paar Blumentöppe hinjestellt, und da uffn Stuhl - det is dein Platz!«
Thiele lachte gequält und zog sie an sich.
Sie blieben gleich da. Mit ihm zusammen machte Minna sauber, holte von nebenan, wo sie bisher mit einer Frau und deren beiden Kindern in einer Kochstube geschlafen hatte, ihre paar Habseligkeiten.
Dann saßen sie in ihrem neuen »Heim« herum, sprachen dies und das miteinander, machten Pläne. Sie bemerkten plötzlich, dass das dünne Talglicht immer kürzer wurde. Da bekamen sie Sehnsucht nach dem »Nassen Dreieck« und gingen »auf einen Sprung« hinüber.

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