| IV.Knapp ein Dutzend Gäste waren im »Nassen Dreieck« anwesend; die  meisten von ihnen saßen zusammengekrümmt an den Tischen und pennten.  Draußen herrschte so ein richtiges »Sauwetter«. Durch die Scheiben,  gegen die unablässig der kalte Herbstregen spülte, sah man wie durch  einen Nebel die langweiligen Fassaden der Mietskasernen jenseits der  Panke, die heute noch grauer, noch trostloser aussahen als sonst. Nass  glänzten die schwarzen Dächer. Man fühlte sich einigermaßen wohl, weil  man im Trocknen hocken konnte.Im Hinterzimmer des »Nassen Dreieck«  saßen die Weiber um einen großen Tisch herum, auf dem Berge farbigen  Papiers aufgehäuft waren. Einige Frauen zerschnitten es in kleine  Stücke, andere zogen dieses Papierschnitzel auf Bindfäden, die dann  aussahen wie die Schwänze, welche von Schuljungen an ihre Drachen  gebunden werden. Beim geplanten »Blumenfest« sollten diese Strippen als  Girlanden oder als »Blumenregen« von der Decke herabhängen. Nach  Frauenart ging es ziemlich lebhaft dabei zu; und während ihre welken,  rauen Hände flott arbeiteten, schwatzten und tratschten ihre Zungen  nicht minder fleißig. Da war die Blonde Berta, wie man behauptet - die  Tochter eines Sanitätsrates aus Oberschlesien, die dafür bekannt war,  nur über ganz besonders Gepfeffertes lachen zu können. Heute quietschte  und juchzte sie in einem fort und rief immer wieder: »Hör auf! Hör auf!  Oh! Ich kann nicht mehr. Kinder, ich mache mir ganz nass!«
 Äpfelchen, eine kleine Bucklige, auf deren Wangen die Schwindsuchtrosen  grell blühten, erzählte die allen längst bekannte Sache mit dem Baron,  der auf ihren Buckel angeblich so pervers scharf war und sie deshalb  partout heiraten wollte. Sie erzählte diese Geschichte mit einem  solchen Ernst, dass man fast annehmen konnte, sie glaubte selbst daran.  Die anderen Weiber zogen sie auf und hatten ihren Spaß mit ihr.
 Jetzt war die Einäugige, die bisher geschwiegen hatte, an der Reihe,  aus ihrem Leben etwas zum besten zu geben. Vorsichtig schaute sie nach  der Uhr, die über der Theke hing, um sich zu überzeugen, dass der Zahme  Willi vorläufig noch nicht kommen würde. Dieser liebte nämlich einen  derartigen Austausch von Vertraulichkeiten unter den Weibern ganz und  gar nicht. Er hatte seine Gründe dafür!
 Nachdem Käthe, die Einäugige, ihre dünnen, trocknen Lippen mit der  Zunge angefeuchtet hatte, begann sie zu erzählen. Alles lauschte  gespannt. Als sie die feinen Herren erwähnte, zu denen sie als  Vierzehnjährige von ihrem eigenen Vater mit Kragenknöpfen hausieren  geschickt wurde, warfen sich die Weiber lüsterne Blicke zu, machten  keineswegs zweideutige Bemerkungen und wollten alles ganz genau wissen.
 »Een so'n bessern Herrn sollt' ich 'n Tripper verschafft ha'm«, fuhr  Käthe ungeniert fort. »Det wa aber eenfach jlatt jelogen«, beteuerte  sie. Dann schilderte sie, wie man sie eines Morgens ganz früh aus dem  Bette geholt und durch die Polizei in ein Krankenhaus gebracht hatte.
 »Von da ha'm se mir in eene Erziehungsanstalt gebracht; da wollten se  eene Anständije aus mir machen, so sagten se. Eenes scheenen Dages bin  ick aber jetürmt. Vonwejen liebevolle Behandlung un so! Nee, ick danke!  - Brr! - Na un denn bin ick nach eene Adresse jejangen, die mir drin  eene jejeben hatte; von da bin ick denn weiter nach Hamburg gemacht, wo  ick in eenen wirklich pikfeinen Salong angestellt wurde. Na un später -  - - wo ick eenunzwanzig war, da konnten se mir nich mehr brauchen, da  bin ick dann zurückjekommen nach Berlin. Janz keß bin ick persönlich  nach de Dicksenstraße zum >Fleischbeschauer< jejangen un habe mir  den Freipass (d. h. Kontrollbuch) jeholt. De erste Zeit wohnte ick mit  Vadern zusammen in eenen nassen Keller, wat natierlich een bißken  unbequem war, denn man hat doch schließlich ooch sein Schamjefiehl,  nich wah? Wenn een Freier in die Bude kam, musste der Olle immer erst  raus un
 draußen warten, bis wir fertig warn. Nu-------un
 eenes Dags kam mir der Willi in de Quere. Damals handelte er mit  >Spezial<. Wat er vakoofte, fabrizierte er sich selbst. Ick weeß  det noch wie heite: Ick holte ihm immer for zwanzig Pfennige zwee
 Pfund Schlemmkreide, for'n Jroschen Wiener Kalk un for'n Sechser  Zinnoberrot. Det Janze hat er denn ordentlich jemengt un eenen Eßlöffel  voll ist er denn in Papierbeutel. Uff die hatte er vorher schon eenen  Stempel ruffjedrickt: >Möbel-Putz Ideal<. So'ne Tiete vakoofte er  fo zwee Jroschen. Det Jeschäft ging damals janz jut; bis Willi een  Diebeken jemacht hatte. Dadruff kriegte er zwee Jahre. Wat ick da  durchjemacht habe, det kann ick eich jar nich erzählen. Als er wieder  rauskam, da war er fertig, - na un denn ha'm wir nachher keene Bleibe  jehabt, un denn jing det eben so weiter, wie det manchmal so jehn  duht...«
 Im »Nassen Dreieck« war es inzwischen voller und voller geworden. Die  von der »Fahrt« zurückgekehrten »Kunden« standen um den heißen Ofen  herum, um ihre nassen Lumpen am Leibe trocknen zu lassen. Ein ekler,  scharf nach Schweiß riechender Dampf stieg auf. Die Frauen machten  Schluss mit der Arbeit, packten ihren Papierkram zusammen und gingen zu  den Männern. Die Einäugige sah zu, wie der Hausdiener ein Plakat malte.  Als er damit fertig war, half sie ihm, einen passenden Platz zum  Aufhängen zu suchen, besorgte von München einige Reißnägel und reichte  sie ihm zu. Neugierig kamen die Gäste herzu und buchstabierten:
 Achtung! Achtung!Sonnabend über Acht Tage!
 Großes Blumenfest der Notverordnung
 Eintritt frei! Idioten erhalten Vorzugskarten!
 Laut Notverordnung: Garderobenzwang! Herren Gesellschaftskleid. Damen:  Deklotiert. Ehemalige Insassen von Heilanstalten und Trinkerheimen nur  durch Einführung zugelassen oder sind an die Leine zu führen.  Tanzleitung und Einladung von Weltmeister Veilchenauge.-------
 Das Komitee.
 Alle freuten sich schon im voraus auf den Klamauk und das Gaudium. Wilhelm Thiele hatte sich inzwischen schon an sein neues Leben  gewöhnt. Anfangs fiel es ihm unsagbar schwer; besonders mit der  Bettelei war es oftmals fürchterlich. Öffnete eine junge Frau oder ein  Kind die Tür und fragte nach seinem Begehr, schien es ihm fast  unmöglich, seine Bitte um eine Gabe zu äußern. Schließlich aber gewöhnt  sich der Mensch unter dem Zwang der Verhältnisse an alles. Allmählich  stumpft man ab, bekommt ein dickes Fell über die feinnervigen Organe  des Innenlebens, wird zu einer Art Robot, der alle Impulse für sein Tun  und Lassen von fremden Bewegungskräften, unabhängig von eigenem Denken  und Fühlen, erhält. Wie wäre es sonst überhaupt möglich, ein solches  Hundeleben zu ertragen???Noch immer schlief Thiele mit dem Zahmen  Willi und der Einäugigen zusammen auf dem Boden in der Wiesenstraße. In  der ersten Zeit hatte er jeden Tag seine erbettelten Groschen bis zum  letzten Pfennig in Muttchens Kasse wandern lassen und lebte nur von den  Stullen, die er vom
 Fechten brachte. Auf die Dauer ging das aber nicht so weiter: er wollte  wieder heraus aus dem Dreck! Jetzt hatte er sich sogar schon ein paar  Mark beiseite legen können, hatte sich im »Nassen Dreieck« von einem  andern Kunden für einige Mark ein Paar getragene, aber noch gut  erhaltene Schuhe gekauft. Jeden zweiten Tag und des Sonntags aß er bei  Muttchen für zwei Groschen etwas Warmes. Sein Wunschtraum war, im  Logierhaus ein Bett nehmen zu können. Die sieben Groschen pro Tag hätte  er mit Mühe und Not jetzt schon aufbringen können; aber dann wäre es  mit dem warmen Essen vorbei gewesen.
 Während der Zahme Willi mit dem Dicken Stern und einigen Weibern an der  Theke stand und sie eine Weiße nach der andern tranken, saß Thiele am  Tisch und verzehrte einen Napf voll Löffelerbsen. Die Einäugige saß  ihm, ihn unauffällig beobachtend, gegenüber. Ohne aufzusehen fühlte er  diese Blicke und machte sich seine Gedanken darüber. Er wusste, dass  Willi ihr nie etwas Warmes zum Essen kaufte, weil er der Ansicht war,  dergleichen sei Luxus für Leute wie sie. Ihre heißhungrigen Blicke aber  verrieten nur allzu deutlich, wie überaus gern sie einmal etwas anderes  als immer nur Stullen und Schrippen gegessen haben würde. Von diesen  Gedanken angeregt, schob Thiele ihr seine noch halbvolle Schüssel über  den Tisch hin einladend zu:
 »Da! Wenn de weiteressen willst? Anstecken wirste dir ja nich; ich bin ja  jesund!«
 »Aach!« seufzte sie gedehnt, »det is det
 wenigste; aber du bist doch selber noch nich satt...«
 Mit einer gemacht prahlerischen Pose nickte Thiele ihr aufmunternd zu und sagte  von oben herab:
 »Wenn ick wollte, könnte ick mir ja noch eene Portion jeben lassen; ick habe  noch Jeld.«
 Beruhigt nahm die Einäugige jetzt den Napf an sich und aß ihn leer. Die  Schüssel beiseite schiebend, fuhr sie sich mit dem Handrücken über den  Mund, schaute Thiele zufrieden an und sagte:
 »Hat jut jeschmeckt; mal wat anderet. Aber du weest ja, wie komisch  Willi in die Sachen is.« Dabei blickte sie ängstlich nach vorn, wo  Willi, schon erheblich angesäuselt, noch immer weitersoff. Sie stand  auf und ging zu ihm. Thiele folgte ihr. Willi am Rock ziehend, sagte  sie halb zitternd, halb schroff: »Du sollst nich so viel drinken!«
 Wütend drehte sich der Zahme um und fuhr sie an: »Lass mir in Ruhe, Mensch! Jeh  los!«
 Und Thiele bemerkend, fuhr er fort:
 »Komm her, oller Junge, drink een mit. Lass die Weiber meckern. Det  Leben is doch bloß im Suff zu erdragen. Ha'k recht oder stimmt's? Wat?«
 Er nahm einen zünftigen Schluck aus dem Landwehrtopf und fing an, das  Bruchstück eines alten Schlagers zu grölen...
 Albert Stern bemerkte einen Bekannten, der eben zur Tür des »Nassen Dreieck«  hereinkam.
 »Ah!« rief er laut, worauf auch Willi sich umdrehte und, lebhaft winkend, dem  Ankömmling zurief:
 »Schaler Hermann, oller Kronensohn, komm, jenehmige eenen!«
 Die beiden begrüßend, blickte der Hinzugetretene fragend auf Thiele.
 »Hier«, stellte der Zahme mit versoffener Stimme vor: »Det is mein  Freund un Schlummerjenosse Thiele,-------un det hier (gegen Thiele  gewendet), det is mein oller Freind Hermann, Naturforscher un  Fuhrwerksbesitzer in eener Person... « Der Zahme Willi reichte Hermann  die Molle Bier und sagte: »So, nu drink erst mal, ollet Sumpfhuhn!«
 Mit einer ausdrucksvollen Grimasse lehnte der Aufgeforderte ab: »Ick  koofe mir meinen Becher alleene; - du weest, ick habe nie mit andern  zusammen aus eenen Topp drinken können.« Auf Thieles erstaunten Blick  hin erklärte er weiter: »Det schmeckt mir nich, - ick ekele mir  neemlich.«
 Der Dicke Stern lachte laut los: »Williken, lass den Mann; drinken wir eben  unser Dröppken alleene...«
 Hermann bestellte sich einen Becher, aus dem er sogleich einen  kräftigen Schluck nahm. Er war ein merkwürdiger Kerl, dieser  Schalbruder. Man hätte ihn auf fünfzig, aber auch auf sechzig Jahre  schätzen können. Die Haut seines Gesichts war von Wind und Wetter rau  und fest und hatte eine gesunde Farbe. Buschige rote Brauen saßen über  unwahrscheinlich kleinen munteren Augen; unter einer kräftigen Nase  hing ungepflegt ein struppiger Bart. Seine Hände waren groß und  kräftig. Etwas ungemein Komisches gab aber die Kleidung dieses
 Menschen. Sie bestand sozusagen nur aus nachlässig zugeflickten  Löchern, eine Vogelscheuche würde diesem Kostüm gegenüber noch elegant  erschienen sein. Als dieses Unikum sein Bier ausgetrunken hatte und  sich wieder verabschiedete, fühlte Thiele beim Handschlag, dass die  Hand des Schalers innen hart und rau wie ein Reibeisen war. Der Beruf  brachte das mit sich.
 Thiele kehrte zur Einäugigen, die dumpf und brütend im Hinterzimmer  allein am Tisch saß, zurück. Sie tat ihm leid. Tröstend sagte er zu  ihr: »Mach dir nischt draus!«
 Abweisend die Schultern hochziehend, erwiderte sie kalt: »Ach wat, ick bin det  schon jewöhnt.«
 Mitleidig ergriff Thiele ihre Hand und streichelte sie zärtlich. Da sprang die  Einäugige auf und lief nach vorn.
 Thiele nahm sich vor, bei passender Gelegenheit einmal mit dem Zahmen  über die Einäugige zu sprechen. Er fand, dass jener sie nicht richtig  behandelte.
 Bis ein Uhr nachts war der Zahme nicht von der Theke wegzubringen  gewesen. Endlich weigerte sich Muttchen, ihm noch mehr auszuschenken.  Er habe bereits übergenug, sagte sie, und außerdem habe er bereits eine  solche Latte bei ihr stehen, dass sie nichts mehr pumpen wolle. Er  solle erst einmal seine Schulden bei ihr abbezahlen. Wütend wollte er  etwas erwidern, wagte aber doch nicht, allzu laut zu schimpfen, sondern  räsonierte nur so vor sich hin. Als er sah, dass das nichts fruchtete,  ging er ---d.h. er wollte gehen. Er war aber so betrunken, dass er hin  und her taumelte und ohne Hilfe nicht weit gekommen wäre. Thiele und  die Einäugige schleppten ihn mühsam die Straße entlang.
 Da beide die Unmöglichkeit erkannten, den schwerbetrunkenen Kerl die  Treppe zu ihrem gemeinsamen Bodenquartier hinaufzuschaffen, ohne die  Aufmerksamkeit der Hausbewohner zu erregen, entschlossen sie sich  notgedrungen, der kalten Herbstwitterung zum Trotz, die Nacht im Freien  zu verbringen. Mit ihrer bisherigen »schönen« Schlafgelegenheit wäre es  zu Ende gewesen. So schleppten sie also die bleischwere Bierleiche des  Zahmen Willi in einen nahe gelegenen Park, wo sie ihn auf einer Bank  derart hinlegten, dass auch für sie beide noch ein Plätzchen zum  Beieinandersitzen übrig blieb. Nass und kalt fielen die Tropfen des  Nachttaus aus den Baumzweigen auf sie herab. Ganz dicht rückten die  beiden aneinander, um nicht zu sehr zu frieren.
 Wie schon so viele Nächte des Elends ging auch diese schließlich zu  Ende. Am anderen Morgen, wieder im »Nassen Dreieck« eingetrudelt, saß  der Zahme mit brummendem Schädel da und trank schweigsam seinen  Morgenkaffee, den Muttchen ihnen gutherzigerweise auf Pump gegeben  hatte. Sein Gesicht sah blassgrün aus, und die Augen waren dick  geschwollen. Ehe er wie üblich wieder auf »Fahrt« ging, ließ er sich  vom Muttchen die Aufrechnung vom gestrigen Abend zeigen, die er  verdammt hoch fand. Muttchen liebte es nicht, wenn man in solchen  Dingen viel redete, und sagte ihm kurzangebunden: wenn er glaube, dass
 sie ihn übers Ohr gehauen habe, dann solle er man in Zukunft dahin  gehen, wo man ihm pumpe und sich obendrein dafür noch dummkommen lasse.  Schweigend nahm er das hin.
 Auf dem Wege zu ihrem heutigen Fechtbezirk schritten Thiele und der  Zahme eine Weile schweigend nebeneinander hin. Vorsichtig tastend, fing  Thiele zuerst an zu sprechen. Anscheinend so beiläufig brachte er das  Gespräch auf die Einäugige und meinte, es sei doch eigentlich nicht  richtig und nicht gut, wie er (Willi) sie behandle, -das arme Aas  könnte einem mitunter direkt leid tun. Mit halboffenem Munde starrte  der Zahme ihn an. Seine Stimme schnappte förmlich über, als er Thiele  zubrüllte:
 »Kümmere dir jefälligst um den Dreck in deine eijene Neese!«
 Und wenn das Luder sich erlauben würde, ihn bei anderen Leuten  anzuschwärzen, dann wollte er ihr schon die Mandeln streicheln. Im  übrigen sollte Thiele ihm den Buckel runterrutschen und zum Teufel  gehen. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, sich von solchem Drecksack  wie Thiele Vorschriften machen zu lassen. Mit wutverzerrtem Gesicht war  er stehen geblieben und schrie zuletzt so laut, dass die  Vorübergehenden aufmerksam wurden.
 Thiele war im höchsten Grade bestürzt. Eine solche Wirkung seiner  arglos gemeinten Worte hatte er nicht erwartet. Verständnislos stierte  er dem Zahmen nach, der ihm den Rücken zugekehrt hatte und erbost  davongegangen war.
 Erst am Abend trafen sich die beiden im »Nassen Dreieck« wieder. Als  Thiele das Lokal betrat, stand der andere an der Theke und war schon  wieder halb besoffen. Thiele, der gespannt nach ihm hinblickte,  bemerkend, wandte sich der Zahme absichtlich von ihm ab. In der  Erkenntnis, dass ein Aussöhnungsversuch jetzt zwecklos sei, ging Thiele  nach dem Hinterzimmer. Die Einäugige fabrizierte mit den anderen Frauen  wieder Blumenregen und nickte ihm, als sie ihn bemerkte, flüchtig zu.  Dann beugte sie sich wieder über ihre Arbeit.
 An diesem Abend gab es noch einen kleinen Skandal. Als der Zahme Willi  zum Tisch der arbeitenden Weiber kam, packte er die Einäugige, die ihn  gar nicht bemerkt hatte, beim Haar und stieß ihren Kopf brutal nach  vorn, dass ihr Gesicht auf die Tischplatte klatschte. Nicht einen Laut  gab die Misshandelte von sich. Gleichmütig blickte der Zahme auf die  über ihn fluchenden Weiber, gab der Einäugigen noch mit der Faust einen  Stoß ins Genick und wandte sich dann mit umnebeltem Blick nach Thiele,  den er wütend anbrüllte:
 »Passt dir wat nich? He, du-u-u? Mach de Fresse uff, wenn de wat zu  sagen hast. Feine Dame, die da-------soll ick woll behandeln wie 'ne  Prinzessin, diese kleene Sechsernutte... «
 Thiele riss all seine Selbstbeherrschung zusammen. Der armen  verschüchterten Frau wegen, auf die sonst alles zurückgefallen wäre.
 Als der Zahme sah, dass Thiele ruhig blieb, ging er mit einem blöden Lachen zur  Theke zurück, um weiter zu saufen.
 An diesem Abend nahm sich Thiele zum ersten Mal in Muttchens  Logierräumen ein Bett. Der Hausdiener, der ihn nach hinten brachte,  belehrte ihn, was ein Logiergast tun dürfe und was nicht. Mit acht  anderen Kunden schlief er in der engen Stube zusammen.
 Nachdem er sich in der Küche unter der Wasserleitung gründlich  gewaschen hatte, ging er frühzeitig zu Bett. Seit vielen Wochen zum  ersten Male konnte er die Kleider vom Leibe ziehen. Welche Wohltat! Wie  neugeboren fühlte er sich. Auf der weichen Unterlage drehte und  streckte er wohlig den vom Pennen auf dem Treppenboden zerschundenen  Körper. Sofort schlief er ein, so fest ein, dass er nicht einmal  bemerkte, wie seine Zimmergenossen ihr Lager aufsuchten.
 Früh am Morgen, als es noch dunkel war, wachte er auf. Die Luft im  Zimmer war dick und setzte sich kratzend in der Kehle fest. Aus den  Betten der Stubengenossen vernahm er lautes Stöhnen, Prusten und  Schnarchen. Er drehte sich auf die andere Seite und versuchte wieder  einzuschlafen, was ihm aber misslang. Unruhig wälzte er sich hin und  her, grübelte, dachte an die beiden, mit denen er so viele Wochen lang  oben auf dem Boden geschlafen hatte. Es tat ihm leid, dass er den  Zahmen Willi so gegen sich aufgebracht hatte. Seine Absicht war doch  nur gut gewesen, nur ganz freundschaftlich wollte er mit ihm über die  Einäugige sprechen, deren freudlos-armseliges Leben ihn beinahe mehr  schmerzte als sein eigenes Elend. Stundenlang lag er mit offen Augen  und dachte nach.
 Der Schläfer im Bett zu seiner Linken regte sich jetzt, und als Thiele  hinsah, erkannte er den Dicken Stern, der in einer knallroten  Unterjacke unter der Bettdecke hervorkroch. Mit einem Grinsen, das  unzertrennlich zu seinem Gesicht zu gehören schien, blickte er Thiele  an und sagte:
 »Na weeßte, det ist aber wirklich 'ne Überraschung!«
 Dann setzte er sich aufrecht ins Bett und kramte aus seinen Kleidern  eine Mutzpfeife hervor, die er stopfte und anzündete. Den Qualm in  dichten Wolken auspaffend, stöhnte er behaglich: »Jetzt fehlt nur noch  der Kaffee ans Bett...«
 Auch Wilhelm Thieles rechter Nachbar war lebendig geworden. Er hatte  diesen sonderbaren Kauz bisher noch nie im »Nassen Dreieck« gesehen.  Sein verhutzeltes Gesicht war voll grauer Stoppeln; auch das Kopfhaar  war borstig und grau. Unter einer auffallend flachen Stirn saßen ein  Paar so jugendlich blanker Augen, dass sie gut und gern einem  Zwanzigjährigen hätten zugehören können. Lebhaft blitzend fuhren sie  beständig umher und nahmen jeden Blick eines Beobachters sofort derart  gefangen, dass man alles übrige an ihrem Besitzer beinahe übersah.
 Im Bette kauernd, machte der Alte eine komisch wirkende Verbeugung  gegen Thiele und begann wie ein aufgezogenes Uhrwerk zu schnarren:
 »Ah, sieh da, ein neuer Herr Mitschläfer! Gestatten, mein  Verehrtester-------man muss doch wissen, mit wem man nebeneinander  liegt-------, Paul
 Krüger ist mein Name; - Paul Krüger, ganz leicht zu merken. Haben Sie -  hem, haben Sie Lumpen-Krüger gekannt? Ja, Lumpen-Krüger! Oh, der
 hatte viel Geld-------aber mit dem habe ich nichts
 zu tun. Sie sind wohl neu hier, wie? Na, wir werden uns ja noch oft  genug sehen. Wenn man erst einmal hier gelandet ist, gibt's schwer ein  Zurück. Komischer Laden, das hier, mein Herr; werden es ja noch merken.«
 Umständlich kroch er aus dem Bett, zog die abgetretenen Stiefel auf  seine nackten Füße, die an dünnen haarigen Beinen saßen, und fuhr dann  in seine viel zu lange Harmonikahose. Grinsend beobachtete der Dicke  Stern diesen Vorgang und sagte zu Thiele:
 »Du, det es dir der Schlankste; drei Häuser hat er versoffen - traut man ihm  jar nich zu, dem ollen Knacker, wat?«
 »Hab ich auch, hab ich auch«, kreischte der Alte und klappte  blitzschnell mit den Augendeckeln. Immer weiter vor sich hinbrabbelnd,  verschwand er hinter der Küchentür.
 In Muttchens Schnapsbude sah Thiele sich vergeblich nach der Einäugigen  um. Der Zahme sei gerade vor einem Augenblick auf Fahrt gestiegen,  erzählte man ihm. Auch am Abend war die Einäugige nicht zu sehen. Willi  schien gegenwärtig seine Saufsträhne zu haben und stand schon wieder  benebelt an der Theke.
 Muttchens weibliche Stammgäste erzählten Thiele, dass der Zahme die  Einäugige mächtig abgebürstet habe, als sie gestern nacht »nach Hause«  gegangen seien. Mit zerschlagener Nase und zer-
 schundenem Gesicht habe man sie in der Nähe des »Nassen Dreieck«  herumlungern gesehen. Den Frauen gegenüber hatte sie geäußert, dass sie  mit dem versoffenen Schwein nichts mehr zu tun haben wolle. Aber  anstreichen würde sie ihm das schon noch, diesem »schofeln Luden«...
 Dieser tobte am anderen Morgen wie ein Irrsinniger in der Kneipe herum.  Aus seinen wüsten Schimpfereien erfuhr man schließlich den Grund seiner  Wut. Seine Schickse hatte ihm den Boden vermasselt! Oben auf der  Bodentreppe hatte sie sich heimlich hingesetzt und sich - gründlich  entleert!!! Als er (der Zahme) dann vorige Nacht zwar solo, aber doch  völlig ahnungslos zu seiner geliebten Matratze emporschleichen wollte,  sei die Hölle über ihn losgebrochen. Mit Knütteln und Fäusten habe man  blindlings auf ihn eingeschlagen und ihm zugerufen, dass man nicht  daran denke, sich von solchem Pennerzeug das Haus verdrecken zu lassen.
 Einmütige Empörung über diese Schandtat der Einäugigen erfüllte das »Nasse  Dreieck«.
 »So een jemeinet Aas.«
 »So 'ne scheinheilige Töle, eenen anständigen Penner den Boden zu vermasseln!«
 Durch diese Solidaritätskundgebungen gewissermaßen geschmeichelt, soff  der Zahme Molle um Molle, die ihm von seinen Saufkumpanen als Beileid  gespendet wurden. Wie ein gereizter Stier lief er herum und brüllte von  Zeit zu Zeit immer wieder:
 »Ick haue se zu Puppendreck, wenn se ma unter de Finger kommt - det vafluchte  Mistvieh, det!«
 Die so Bedrohte blieb aber verschwunden; nichts mehr war von ihr zu  sehen noch zu hören. Nach einigen Tagen hatte der Zahme Willi sich  anscheinend ausgetobt. Mit einer ins Grünliche schimmernden  Leichenblässe im Gesicht saß er bei den Weibern und klagte ihnen sein  Leid. Um ihm gefällig zu sein, kramten sie vor ihm alle nur  erdenklichen Schlechtigkeiten aus, die sie der Einäugigen anhingen. Er  bekam Mitleid mit sich selbst und fing jämmerlich an zu heulen. Der  Dicke Stern kam und tätschelte ihm tröstend die Backen:
 »Aber Williken, sei doch een Mann! Kopp hoch, Mensch! Nu ja, lass det  Wasser man loofen; det schadt nischt - irgendwo muss et ja schließlich  doch rauskommen ... « Mit diesen Worten ging er zur Theke zurück und  ließ sich von Muttchen einen Korn geben.
 Das Sauwetter wollte nicht abreißen. Der Himmel blieb grau; ohne  Unterbrechung prasselte der Regen gegen die Scheiben. Bei dem Wetter  gingen viele der Kunden erst gar nicht hinaus, sondern saßen herum oder  fläzten den Kopf auf die Tischplatte und pennten. Jeder, der von  draußen kam, vermehrte den ekelerregenden Geruch nasser Kleider, der so  widerwärtig jede empfindliche Nase belästigt und einem fast den Atem  benimmt.
 Im Hinterraume arbeiteten die Weiber mit einigen jungen Burschen und  dem Hausdiener an der Fertigstellung der Blumendekoration. Der
 »Blumenregen« wurde an die Decke genagelt. Das Fest stand vor der Tür.
 Heute kam Thiele schon früh von der Fahrt zurück. Er hatte keine rechte  Lust gehabt. Die Sache mit der Einäugigen wollte ihm nicht aus dem Kopf  kommen. Und dazu noch dieses Wetter! Die Kleider klebten ihm förmlich  am Leibe fest, sie waren zum Auswringen. Am Ofen wärmte er sich  zunächst ein bisschen; dann holte er sich eine Tasse Kaffee und setzte  sich an einen leeren Tisch. Immer mehr Kunden kehrten vorzeitig aus  ihren Revieren zurück, schlenkerten mit gequältem Lachen das  Regenwasser von ihren Mützen oder Hüten und fluchten gottesjämmerlich,  wobei sie sich wie nasse Köter schüttelten. Thiele sah vorn an der  Theke den dicken Schädel von Albert Stern auftauchen; nicht lange  danach kam letzterer zu ihm an den Tisch.
 »Na, det is ja een dollet Wetter heite«, schimpfte er.
 »Sauwetter, verdammt noch mal«, bestätigte Thiele.
 Nachdem beide eine Weile geschwiegen hatten, platzte Stern plötzlich los:  »Willi ha'm se in't Krankenhaus jebracht!«
 »Wat de nich saachst?!« rief Thiele ungläubig erstaunt.
 »Jeje, det stimmt schon, wat ick sage«, bekräftigte Stern und fuhr  fort: »Det mit de Käthe is den Jungen mächtig an de Nieren jejangen, -  da hat er sich sein bißken, vastehste, janz wegsaufen wolln. Seine  Kaidaunen werdn ja scheene Oogen gemacht ha'm, als so plötzlich - uff  een Ruck - een janzer Liter >Brennabor< runterjekluckert kam.  Junge, Junge, - wenn ick ma det so vorstelle,----brrr!«
 Er schüttelte sich, als ob er eine Gänsegalle verschluckt hätte.
 »Ick muss ma direktemang zu Muttchen bejeben un det ieble Jefiehl niit'n  Körnken runterspielen.«
 Am nächsten Besuchstag gingen sie zu Willi ins Krankenhaus. In der  sauberen blau-weiß-gestreiften Krankenkleidung war er fast nicht wieder  zu erkennen. Ziemlich hinfällig und blass sah er aus.
 »Wie Braunbier mit Spucke!« glossierte der gutgenährt aussehende Stern.  Man hatte dem Zahmen den Magen ausgepumpt und ihn zunächst auf strenge  Diät gesetzt. Im allgemeinen fühlte er sich wieder leidlich wohl; nur  im Magen und in den Eingeweiden brannte und stach es noch in einem  fort. Nach seinem Befinden befragt, erwiderte der jetzt wirklich recht  zahme Willi süß-sauer lachend: »Ick lebe hier wie ne Made in'n Speck!«
 Was ihn am meisten beunruhigte und was er von seinem Besuch vor allem  erfahren wollte, war, ob seine Käthe inzwischen wieder im »Nassen  Dreieck« gewesen sei. Als das verneint wurde, war er sehr enttäuscht.  Jetzt wollte nun er so schnell wie möglich aus diesem »stinkijen  Karbolkasten« wieder hinaus.
 Am kommenden Sonnabend sollte das vielbesprochene Blumenfest  stattfinden. In den letzten Tagen davor hielten die Stammgäste des  »Nassen Dreieck« ihre Bettelsechser fest, damit sie beim Fest etwas  springenlassen konnten.
 Der langersehnte Tag war endlich da! Schon am späten Nachmittag ging  der Rummel los. Der Saftladen war zum Bersten voll. Dicker, beißender  Qualm von Zweipfennig-Zigaretten und billigstem Pfeifenknaster hing wie  ein undurchdringlicher Wolkenhimmel unter der Decke, aus dem die  Buntpapierbehänge, rhythmisch bewegt, phantastisch herabbaumelten. Im  hinteren Raume war der Hauptbetrieb. Auf einer Handharmonika wurde zum  Tanze aufgespielt, wobei der Spieler mit wackliger Stimme den zotigen  Kehrreim grölte. In der Mitte des überfüllten Raumes ballten sich die  Tanzenden wie ein Wespenschwarm zusammen, der sich schwerfällig hin und  her schob. Ein ekelhafter, widerlicher Geruch von schwitzenden,  schmutzigen Frauenleibern erfüllte jeden Winkel dieses »Tanzsaales«.
 Einige der Gäste hatten sich besonders kostümiert. Äpfelchen, die  kleine bucklige Baronin in spe, hatte sich Männerhosen angezogen, die,  viel zu lang für sie, ihr immerzu unter die Absätze gerieten. Auf dem  Haupte trug sie mit vieler Würde einen Elfenring aus Papier.  Verschiedene von den Männern hatten ihre Kluft mit den schäbigen Fetzen  einiger Frauen ausgetauscht, liefen also in Weibertracht herum, wobei  sie sich, wenn ein unternehmungslustiger Schwerenöter an ihre  ausgestopften Brüste tasten wollte, wie eine alte Jungfer zierten und  mit hochgeschraubter Stimme scheinbar entrüstet abwehrten. Mit dem  Dicken Stern vor der Theke stehend, schaute Thiele sich lächelnd das  Getriebe an. Muttchen, die ihm hinter der Theke gegenüberstand, sah  schmunzelnd zu, wie ihr Hausdiener unablässig Bier und Schnaps  einschenkte. Als Thiele zufällig einen Blick zu ihr hinüberwarf,  bemerkte er zu seiner Überraschung, dass Muttchen sich zur Feier des  Tages feingemacht hatte und wirklich ganz nett aussah. Donnerwetter  noch mal, ein ganz appetitliches Frauchen! fuhr es ihm durch den Sinn.  Mit solchen Augen hatte er sie noch nie angesehen. Das Kleid stand ihr  tatsächlich sehr gut und ließ - für seine Begriffe - reichlich viel von  ihrem Körper sehen. Trotz Muttchens ausgesprochen schlanker Linie waren  die Schultern wohlgeformt, und der am vorderen Kleiderausschnitt  sichtbare Brüsteansatz schien ihm einer eingehenden Erforschung wohl  wert.
 Während er sich, scheinbar ganz Ohr, laut brüllend mit dem Dicken Stern  unterhielt, um sich des im Räume herrschenden Lärms wegen verständlich  zu machen, musste er doch immer und immer wieder zu der Frau hinter dem  Ladentisch hinblicken. Diese hatte das längst bemerkt und wohl auch das  merkwürdig Fragende, Suchende, das in seinen Blicken beredt zum  Ausdruck kam. Ihr Kleid, das ein wenig von der Schulter herabgeglitten  war, unauffällig ordnend, blickte Muttchen jetzt gerade auf Thiele,  dessen Blick dem ihrigen begegnete. Ihm schien, als habe sie ihm  zugelächelt. Auch er war ja noch ein ganz ansehnlicher Mann. Zwar  schmal, aber doch kräftig gebaut. Über blauen, etwas matten Augen  wölbte sich eine schöne hohe Stirn. Seine guterhaltenen festen Zähne in  Verbindung mit dem kleinen rötlichen Bart unter der derben Nase  verliehen seinem Gesicht einen ganz sympathischen, vertrauenerweckenden  Ausdruck. Als seine Blicke jetzt wieder zu Muttchen schweiften,  lächelte sie ihm wirklich freundlich zu. Scheinbar absichtslos ging sie  zur Tür des Hinterzimmers, um den Tanzenden zuzuschauen. Unter einem  Vorwand machte sich Thiele jetzt von dem Dicken Stern, der ihn mit  Beschlag belegt hatte, los und gesellte sich zu Muttchen. Ein wenig  kokett lächelte diese ihn an. Das Wasser lief ihm - sozusagen - im  Munde zusammen. Sich straff in Positur setzend, verbeugte er sich vor  ihr und forderte sie zum Tanz auf. Eng aneinandergeschmiegt, trippelten  sie längs der Wand hin und her. Als sie aber, von den anderen Tanzenden  weitergedrängt, in die Mitte gerieten, wurden sie buchstäblich  aneinandergepresst. Ganz benommen fühlte er den heißen Frauenkörper  durch den dünnen Kleiderstoff. Mitten im Tanze hielt er inne. Jetzt  wurden die anderen Gäste aufmerksam und riefen ihm offenbar anzügliche  Bemerkungen zu, die er aber in dem Trubel nicht verstehen konnte. Um  sich verständlich zu machen, schnitten seine Beobachter ulkige  Grimassen, begleitet von nicht mißzuverstehenden Gebärden. Er wurde  plötzlich ganz rot; Muttchen aber, der das alles nicht entgangen war,  wurde so ausgelassen, wie man sie im »Nassen Dreieck« bisher noch nie  gesehen hatte.
 Ungestört durch ernstere Zwischenfälle nahm die seltsame Lustbarkeit  ihren Fortgang. Die »Damen« ließen sich von ihren »Kavalieren«  spendieren: sie knabberten an Salzbrezeln, schleckten Negerküsse und  nippten hier oder da an den Schnapsgläsern. Einige der Tänzerinnen, die  von ihren stürmischen Partnern ganz ungeniert abgeknutscht wurden,  quietschten und juchzten wie besessen. Alle waren heute in ihrer Art  und Weise zufrieden - das graue nackte Elend des Alltags für ein paar  flüchtige Stunden vergessen.
 Spät erst waren die letzten Gäste gegangen. Nur Thiele und Muttchen  saßen noch an einem Tisch beisammen. Der Hausdiener hatte die Jalousien  heruntergelassen und war schlafen gegangen. Jetzt stand auch Muttchen  auf, drehte das Licht aus und zog Thiele an der Hand hinter den  Ladentisch zu der Tür, die in ihre eigenen Wohnräume führte. Der große  Hund, der sonst ihr Schlafzimmer bewachte, musste heute vorn im  Schankraum bleiben.
 Nur ganz wenige von Muttchens Gästen hatten bisher den Vorzug genossen,  ihre Privatgemächer zu vorgerückter Stunde betreten zu dürfen.
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