MELISKA
In eine Zellenversammlung der Kommunistischen Partei in Krakau trat eines Abends eine Frau und fragte, ob sie in die Partei eintreten könne. Sie war noch jung, hatte eine elastische, straffe Gestalt, das Gesicht war allerdings schmal und von einer seltsamen Blässe; aber gerade in dem Augenblick, da sie ihr Anliegen vorbrachte, wurde es von einem hellen Rot überflammt, was ihr einen Anflug von Wärme gab und sie beinahe schön machte.
In der Zelle, es war die Straßenzelle eine kleinen Krakauer Vorortes, waren elf Arbeiter, zwei Frauen und ein junger Student, die die Frau ob ihres Verlangens zuerst alle sonderbar ansahen. Man bat sie, sich zu setzen, was sie auch ohne Ziererei tat, und dann fragte sie der Polleiter, ein schnurriger, kleiner Schlosser aus einer benachbarten Garage, warum sie das wollte.
Die Frau antwortete: "Das ist eine einfache Geschichte." Und dann erzählte sie sie. "Ich bin", sagte sie, "die Witwe eines Arbeiters, der in den großen Eisenwerken von R. gearbeitet hat. Ich war nur drei Jahre verheiratet, aber ich führte eine recht glückliche Ehe. Mein Mann war genau so jung wie ich, fleißig, verdiente sein gutes Geld, und er wollte in der Welt vorwärtskommen. Er hatte es schon bis zum Vorarbeiter gebracht und stand überall in Gunst und Ansehen. Er sagte mir, dass wir es bestimmt auch noch weiter brächten und dass er sicher bald Meister und später Abteilungsleiter würde.
Mir war das alles eigentlich gleich, oder vielleicht auch nicht ganz, denn ich freute mich, dass Stephan, so hieß mein Mann, allgemein als ein tüchtiger Kerl galt und dass er beinahe alle halbe Jahre ein paar Zloty mehr heimbrachte, auch wenn wir nichts Besonderes davon hatten, denn Stephan legte den größten Teil von dem, was er verdiente, auf die Seite. Er hielt das für richtiger, weil er das Geld lieber einmal für eine größere Sache ausgeben und nicht verplempern wollte.
Nun passierte es Stephan vor ungefähr drei Monaten, dass er sich
bei dem Einrichten einer Kurbelwelle die Hand verletzte und zehn Tage feiern musste. Er nahm das nicht tragisch, denn es war sein erster Krankenurlaub innerhalb von sieben Jahren. Als er aber nach den zehn Tagen wieder in die Fabrik zurückkehrte, sah er, dass an seiner Stelle bereits ein gewisser Wischkowski stand, auch einer von denen, die es zu etwas bringen wollten, und Stephan musste sozusagen in die Reserve rücken.
Er nahm auch das auf die leichte Schulter, weil er das Gefühl hatte, er würde diesen Wischkowski schon wieder einholen. Aber nach den ersten acht Tagen merkte er, dass das nicht einfach war. Wischkowski war flinker und vor allen Dingen gerissener als er. So rückte Stephan immer mehr an die zweite Stelle, und es schien so, als ob ihn dieser Wischkowski nicht nur überflügelt hätte, sondern als wäre er überhaupt auf einen zweiten Platz zurückgedrängt und sein ganzer Vormarsch zu Ende.
Zum Teil kam es allerdings auch davon, dass Stephans Verletzung schwerer war, als es zuerst ausgesehen hatte. Der Arm schwoll durch die Arbeit wieder an, gewisse Handgriffe, die in der Hauptsache Stephans Aufstieg gefördert hatten, wurden schwer oder beinahe unmöglich, und schließlich zeigte sich, dass es Stephan überhaupt unmöglich war, die Arbeit, in der er gerade stand, fortzusetzen, und er war jeden Tag nahe daran, das auch zuzugeben und seine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz zu beantragen. Da das bestimmt eine Lohnherabsetzung bedeutete, ja sozusagen den materiellen Abstieg einleiten musste, war Stephan nicht gerade erfreut darüber.
Aber nicht nur das war es, was ihn kopfhängerisch machte. Ihm war in diesen Tagen und Wochen klar geworden, dass in seinem ganzen Leben ein Riss oder ein Fehler war. Sein Streben nach oben war falsch, und für ihn, der von ganz unten kam - sein Vater war Taglöhner auf einem großen Gut gewesen -, weder richtig noch das Gegebene. Ja, er erkannte: in dem allen war ein Fehler gewesen, und es kam nicht darauf an, dass er als einzelner höher stieg, sondern dass sie, die von unten kamen, als Klasse aufstiegen. Er sagte mir das, und wir sprachen darüber.
Mir war auch das die erste Zeit nicht gerade wichtig. Ich hatte Stephan gern, er hatte mich gern, das war mir genug und füllte mein Leben aus. Jetzt aber, als er davon sprach, als er mir erzählte, dass sein Aufstieg nur durch die Unterdrückung, ja durch die Ausbeutung anderer möglich gewesen sein, fing ich an, darüber nachzudenken, ihm langsam recht zu geben, und wir konnten stundenlang über all diese Dinge sprechen. Wir hatten ja auch Zeit dazu. Es ging Stephan wieder schlechter, sein Arm hatte sich aufs Neue entzündet, und er musste zum zweiten Male zu Hause bleiben.
Wir sprachen jetzt auch über vieles andere. Wir waren beide katholisch, nicht weiter fromm, aber wir hatten alles hinter uns, Firmelung, waren katholisch getraut, und ich war auch manchmal in die Kirche gegangen. Stephan weniger, denn man lacht ja heute darüber, wenn Männer in die Kirche gehen, und Stephan wollte nicht, dass man über ihn lachte. Wir lasen natürlich die katholische Zeitung, auch katholische Bücher. Nun bestellten wir eine Arbeiterzeitung. Es war eine sozialdemokratische, die Gewerkschaftszeitung. Stephan trat sogar einer Gewerkschaft bei, obwohl er vorher noch von ihnen als den Pestbeulen in einem guten Betrieb gesprochen hatte, und dann brachte er auch manchmal die Zettel mit, die eure Genossen in seinem Betrieb verteilten und die er früher im besten Falle als Dreck bezeichnet hatte.
So änderte sich unser Leben. Wir wurden durch die Krankheit auch äußerlich tiefer gedrängt, denn das Geld, das wir von der Krankenkasse bekamen, reichte natürlich lange nicht, um unsern Haushalt zu bestreiten. Aber wir hatten ja noch unsere Ersparnisse und waren so einige Wochen vor Not und Hunger gesichert. Schlimm war nur, dass es Stephan noch immer nicht besser gehen wollte. Die Hand war zu einem schwarzen Klumpen angeschwollen, und die Ärzte bestanden darauf, dass sie abgenommen werden müsse. Da wir beide nichts dagegen tun konnten und Stephan außerdem behauptete, ein Leben ohne die rechte Hand wäre besser als tot mit beiden Händen, ließ sich Stephan die Hand abnehmen. Es zeigte sich leider, dass auch das nichts mehr half. Das Gift, das sich in der Hand gebildet hatte, hatte bereits den ganzen Körper verseucht.
Das war bitter und schwer, aber es musste ertragen werden, und Stephan, der selber der Tapfere war, versuchte auch alles, um es mir leichter zu machen. Wir sprachen wieder viel von dem anderen Weg des Arbeiters und der Arbeiterklasse nach oben. Manchmal kam zu diesen Gesprächen ein Kollege von Stephan, ein gewisser Pawlyk, und dann redeten wir zu dritt vom Klassenkampf, von den Lehren Karl Marx', von der Revolution und von Lenin. Der alte Pawlyk war zwei Jahre als Monteur in der Sowjetunion gewesen, und wir sprachen auch viel über Russland.
Stephan ging es bei all dem schlechter und schlechter, und eines Abends, kurz nachdem die Ärzte wieder bei ihm gewesen waren, rief er mich zu sich und sagte mir, dass es zu Ende ginge. Er war dabei weder traurig noch verzweifelt, und er hatte nur einen Wunsch: ich musste ihm versprechen, auf dem neuen Weg, den wir zusammen beschritten hatten, weiterzugehen, ihn, Stephan, sozusagen fortzusetzen. Vor allen Dingen weil er selber das Gefühl hatte, dass er durch sein früheres Leben etwas getan habe, was in irgendeiner Form gesühnt werden müsse, und da er es selber nicht mehr könne, müsse ich es tun.
Er starb dann ziemlich schnell. Der alte Pawlyk und ich haben ihn zusammen begraben. Ich habe danach noch lange mit dem alten Pawlyk, der übrigens auch einer von euch ist, über die letzten Worte von Stephan gesprochen. Er hat mir auch eure Adresse gegeben, und da bin ich nun."
Die Frau hatte das alles sehr schlicht gesagt, beinahe monoton, aber es hatte sich über die anderen wie ein Stück ihres eigenen Lebens gelegt, und als die Frau sagte: "Und da bin ich nun", seufzten sie auf, als wäre das alles, was eben gesagt worden ist, nicht aus der Frau, sondern aus ihnen gekommen, und als der Polleiter nun
fragte, was man der Frau antworten solle, sagten alle: "Ja, es ist gut, dass du da bist. Du bist auch bestimmt hier richtig", und sie solle nur bleiben.
Die Frau blieb, und sie kam nun regelmäßig jede Woche, einmal dahin und einmal dorthin, denn die Zelle tagte, wie fast alle kommunistischen Zellen in Polen, in der Hauptsache illegal, und die Lokale oder Wohnungen, wo man sich traf, wurden jedesmal gewechselt. Sie beteiligte sich auch sonst an allem, was die Genossen taten. Durch die kleinen politischen Vorträge, die ein alter Metallarbeiter alle vierzehn Tage in einem versteckten Gartenhaus hielt, wurde sie näher mit den Zielen des Kommunismus bekannt. In den Nachmittagskursen für Propagandisten lernte sie das ABC der kommunistischen Agitation kennen, und als sie die ersten sechs Kursstunden hinter sich hatte, holten sie die Genossen auch zur Haus- und Hofpropaganda.
Das war eine schwierige Arbeit. Es war nicht leicht für die polnischen Arbeiter, in die Häuser zu gehen und ihre Zeitungen und Flugblätter zu verteilen. Die Polizei, viele Hausbewohner, die Hausverwalter und auch ein großer Teil der Jugendlichen, die in den nationalen Verbänden waren, passten höllisch auf. Und wer bei dieser Propaganda gefasst wurde, kam ins Gefängnis, wurde geschlagen und geprügelt und meistens auch für Monate und Jahre dort behalten.
Aber die Frau, die jetzt allgemein auf den Namen Meliska hörte, verstand ihre Sache. Ja, es war ganz gleich, ob man sie auf der Straße oder vor dem Haus als Posten aufstellte, ob sie den Anmarsch oder den Abmarsch der kleinen Kolonne - es waren meistens drei oder vier, die zusammenarbeiteten - deckte, immer ging alles gut, immer kamen sie alle wieder zurück, und sie hatten auch immer Erfolge.
Wenn es einmal hart auf hart ging, konnten die verfolgte Genossin oder der verfolgte Genosse ihr Material, wenn sie es nicht schon im Hause weggeworfen hatten, meistens noch an Meliska weitergeben, und Meliska, die einen ausgesprochen bürgerlichen Eindruck machte, verstand es ausgezeichnet, durch den Kordon der Häscher zu kommen, einfach indem sie an den Männern vorbeiging, denn es fiel den Beamten nie ein, in der kleinen, adretten und gut angezogenen Frau eine Kommunistin zu vermuten.
Nach ein paar Wochen ließ man sie auch selber in die Häuser gehen. Sie lernte, wie man anklopfte, wie man mit den Leuten sprach, wie man sich, wenn man zufällig auf renitente Männer oder Frauen stieß oder auf irgendeinen Regierungsbeamten, geschickt aus der Affäre zog. Meliska brachte sogar in diese Arbeit gewisse Neuerungen, die die Genossen und Genossinnen noch besser vor Verdächtigungen und Verhaftungen schützten. Sie hatte zum Beispiel immer ein paar Hefte der katholischen Mission oder der Heilsarmee in ihrer Tasche, und wenn sie plötzlich auf Leute stieß, die gefährlich werden konnten, zog sie diese hervor, entschuldigte sich und sagte: "Ich habe nur prüfen wollen, ob Sie auch zu den Abnehmern der kommunistische Hetzblätter gehören!" und verteilte oder verkaufte dann die Kirchenhefte.
Meliska hatte aber auch sonst Erfolg durch ihre Art und durch ihr einfaches, freundliches Wesen. Sie warb hie und da sogar neue Mitglieder, und die Genossen waren mit ihr zufrieden. Deswegen zog man sie bald zu wichtigeren Arbeiten heran. Sie kam von der Zelle in die Leitung ihres Stadtteils, leitete dort die Arbeit unter den Frauen und half später in der Agitpropabteilung der Stadtteilleitung mit. Sie kümmerte sich da in der Hauptsache um die kleine Zeitung, die der Stadtteil herausgab, um Flugblätter und um ähnliche Sachen. Da sie sich auf der anderen Seite durch kleine Einladungen und durch allerlei Kaffeefeiern eine gewisse Sonderstellung im Block erobert hatte, in dem sie wohnte - sie galt allgemein als eine ihre Freiheit feiernde junge Witwe -, konnte sie sogar einen Teil des Materials in ihrer Wohnung herstellen, denn es wäre keinem Menschen eingefallen, in ihr eine kommunistische Funktionärin, noch dazu eine so wichtige, zu vermuten.
Ein paar Wochen später trat etwas ein, wobei Meliska ihren Mut, ihre Tapferkeit und ihre sonstigen Fähigkeiten noch besser unter Beweis stellen konnte. In der großen Maschinenfabrik, in der Stephan gearbeitet hatte, war ein Streik ausgebrochen. Wie fast alle Streiks in Polen ging er gegen Lohnkürzungen, und er war auch wie alle Streiks sehr heftig.
Die Arbeiterschaft selber war gespalten. Die illegale Kommunistische Partei und die Roten Gewerkschaften hatten die Führung. Es waren aber auch große Teile der in den reformistischen Gewerkschaften organisierten Arbeiter auf Seiten der Streiker; die ersten Tage, bevor es zu größeren Tumulten kam, auch die örtliche Leitung der reformistischen Gewerkschaften. Ja, es war eine schwere Zeit, und die Stadtteilleitung, in der Meliska arbeitete und in deren Gebiet der Betrieb lag, war Tag und Nacht auf den Beinen. Es mussten fliegende Küchen eingerichtet werden. Die Frauen schafften die Kinder der Streiker in andere Stadtgebiete. Eiligst wurde eine Verbandstation geschaffen, denn es war schon am vierten Streiktag zu ernsten Plänkeleien mit der Polizei gekommen. Die Genossen setzten eine Menge Flugblätter auf, ließen sie abziehen und vertrieben sie dann. Der alte Pawlyk und ein anderer Genosse stellten unaufhörlich neue Streikposten und Kontrollstreifen für die Streikposten zusammen, und so gab es noch viele dringende Arbeiten, die alle auf den Schultern der mit der Streikleitung zusammenarbeitenden Stadtteilleitung lagen.
Trotzdem bröckelte der Streik langsam ab. In der Hauptsache, weil die örtlichen Gewerkschaftsfunktionäre nach den ersten Zusammenstößen mit der Polizei auf die Seite der Regierung abschwenkten und zur Einstellung des Streiks und zu Verhandlungen rieten. Aber noch mehr, weil ein großer Teil der Arbeiter gleich vom ersten Tage des Streiks an im Betrieb festgehalten worden war. Die Leute verweigerten zwar auch eine Zeitlang die Arbeit, aber sie wussten ja nicht, dass es draußen noch immer hart auf hart ging, und als ihnen von den Gewerkschaftsfunktionären, zu denen auch ein revolutionärer
Gewerkschaftsfunktionär getreten war - ein Spitzel, wie sich später herausstellte -, mitgeteilt wurde: "Es streikt nur noch ein armes Bäckerdutzend, nebenbei wilde, gefährliche Kerle, und es ist besser, wenn ihr die Arbeit wiederaufnehmt!" gingen sie an ihre Motoren und Maschinen und stellten das Streiken ein.
So arbeitete beinahe ein Drittel der Belegschaft wieder, außerdem die notorischen Streikbrecher, die heute in jeder größeren Fabrik sind, der größte Teil der Beamten und ein paar Kolonnen der Technischen Nothilfe, die aus jungen Studenten und Bürgersöhnen zusammengestellt waren.
Die Streikleitung, die erfahren hatte, aus welchen Gründen die Arbeiter, die im Betrieb zurückgehalten wurden, die Arbeit wiederaufgenommen, beschloss, mit ihnen in Verbindung zu treten. Sie hoffte bestimmt - denn es waren ja auch Genossen dabei -, dass die Leute, wenn sie die Wahrheit über den Streik erführen, die Arbeit von neuem verweigern würden.
Man versuchte diese Verbindung zuerst mit kleinen Vorstößen gegen die Absperrungsketten herzustellen, aber diese Ketten waren dichter, als man gedacht hatte. Auch die sonstigen Mittel, Hinüberwerfen von Aufrufen über die Zäune und Mauern des Betriebes, waren nicht möglich, und so musste man einen anderen Weg suchen. Die ihn fand, war die Genossin Meliska.
Sie suchte die Frauen der Männer auf, die man gewaltsam im Betrieb festhielt, und sagte ihnen, dass man Verbindung mit den Männern herstellen müsse. "Sie brauchen doch sicher saubere Wäsche, Brot und so weiter, und wir müssen ihnen auch mitteilen, wie es daheim zugeht." Es war wirklich nicht schwer, die Frauen von der Notwendigkeit dieser Verbindung zu überzeugen. Sie schickten noch am gleichen Tage eine Petition zur Polizei, und es gelang ihnen auch durchzusetzen, dass sie zu einer bestimmten Stunde ins Werk kommen durften, um mit ihren Männern zu sprechen.
Meliska selber hatte sich als die Frau eines Genossen ausgegeben,
der auch in der Fabrik war. Der Genosse war reichlich erstaunt, als ihm Meliska als seine Frau zugeführt wurde. Aber Meliska zerrte ihn eilig auf die Seite und zischte ihm zu: "Ich komme von der Stadtteilleitung." Jetzt begriff er alles, und als ihm Meliska erzählte, dass der Kampf keineswegs beendet sei oder vor dem Zusammenbruch stehe und dass man sie belogen und betrogen habe, versprach er, sofort mit den anderen Genossen zu sprechen. "Und", sagte er, "wenn ihr weiter mit uns in Verbindung bleibt, wird es uns sicher auch möglich sein, die Arbeiter, die mit uns eingeschlossen sind, wieder zum Niederlegen der Arbeit und zum Weiterstreiken zu bringen."
Meliska brachte aber schon einen bestimmten Plan mit. Nach diesem Plan wollten am übernächsten Tag die Streikenden zwei Scheinangriffe auf die großen Eingangstore machen, zu gleicher Zeit aber einen Hauptangriff auf ein kleines Tor im Süden. "In derselben Stunde - wir werden die Mittagspause dazu nehmen, und auch ich und die anderen Frauen sind dann wieder im Betrieb - musst du und müssen deine Kameraden nun den schändlichen Verrat der Gewerkschaftsfunktionäre und unseres ehemaligen Genossen entlarven, einen Zug bilden und mit dem Zug von innen gegen das kleine Tor vorstoßen!" Die Genossen hofften durch diesen doppelten Angriff die Wachen zu verwirren und zu überrumpeln, ihre Kette und das Torgitter zu durchbrechen, beide Züge zu vereinigen, dadurch das Werk vollständig zum Erliegen zu bringen und die Kraft und die Streikfreude der Arbeiter wieder zu erhöhen.
Es glückte auch. Die Polizei und die Wachtruppen ließen sich durch die beiden Scheinangriffe täuschen, der Hauptvorstoß kam tatsächlich unmittelbar bis an den Betrieb. Hinter der Mauer hörten die Streikenden bereits die Genossen. Auch Meliska sprach und eine andere Frau, und ein paar Minuten später konnten sich die Eingeschlossenen mit den angreifenden Streikern vereinigen.
Da es ein paar Burschen geglückt war, vor dem Auszug aus dem Werk die große Turbine, also die gesamte Kraftquelle des Werkes, zum Erliegen zu bringen, stand das Werk wirklich zwei Tage still.
Allerdings wurde noch immer kein Sieg der Streiker daraus. Die Regierung und die Werkleitung ließen jetzt Genietruppen kommen, die das Kraftwerk wieder instand setzen mussten, und da außerdem zur Unterstützung der Ortspolizei Militär aufgeboten und jede Rebellion und Demonstration im Keim erstickt wurde, mussten die Streiker nach weiteren zehn Tagen in die neue Lohnsenkung einwilligen, allerdings nicht in die volle, das hatte ihre Tapferkeit verhindert.
Während dieser Streiktage hatte sich nun gezeigt, dass die guten Verbindungen, die die Partei früher mit den Kasernen, besonders mit den Rekruten hatte, stark gelitten hatten, ja, sogar gerissen waren. Deswegen konnte es auch geschehen, dass die Dragoner, aber auch die zur Bewachung der Fabrik aufgebotene Infanterie beinahe restlos auf die Befehle ihrer Offiziere hörten und es nur ganz vereinzelt zu Sympathiekundgebungen zwischen der Arbeiterschaft und den Soldaten gekommen war. Das war wirklich ein großer Fehler, und die gesamte Stadtleitung stellte, neben der Aufklärung über den verlorenen Streik, als Aufgabe für die nächsten Monate: die wenigen Verbindungen, die noch zu den Kasernen vorhanden sind, müssen sofort verstärkt und ausgebaut werden.
Meliska, die gerade wegen ihres Verhaltens beim Streik von der Gebietsleitung gelobt worden war und zu gleicher Zeit von der Arbeit in der Stadtteilleitung in die Stadtleitung aufrückte, meldete sich auch zu dieser Arbeit. Sie sollte eigentlich nur einzelne Genossinnen für die Arbeit unter den Soldaten aussuchen. Diese sollten sich, ohne jede Verbindung mit anderen Partei- und Jugendgenossen, die auch unter den Rekruten arbeiteten, an einzelne Soldaten heranmachen, um sie im Sinne der Partei zu bearbeiten. Da es aber nötig war, besonders rasch in die beiden in Krakau liegenden Infanterieregimenter einzudringen, weil dort viele von den Rekruten unmittelbar aus den Großbetrieben kamen, also für eine Propaganda bestimmt zugänglich waren, machte sie selber einen Versuch, auch um die Arbeit und das ganze Milieu dieser Arbeit persönlich kennenzulernen.
Meliska fing das wieder sehr geschickt an. Es war vor allen Dingen nötig, nicht über politisch bekannte Rekruten in die Kasernen einzudringen, sondern auf dem Weg über politisch unbelastete Soldaten. Solche traf man am ehesten in den kleinen Tanzsälen der Vorstädte oder unten am alten Markt in den Kaschemmen. Dabei kamen Meliska wieder ihre Jugend und ihre Frische zu Hilfe. Ja, es gelang ihr sogar ziemlich schnell, zuerst mit einem Gefreiten und dann mit einem Unteroffizier der Genietruppen anzubändeln. Dieser Unteroffizier bat sie schon nach einem Tag, ihn in der Kaserne zu besuchen, und einmal in der Kaserne, war es den Genossen nicht schwer, Meliska Verbindungen zu den Vertrauensleuten, die die Partei bereits in der Kaserne hatte, zu verschaffen.
Mit diesen wurde folgendes besprochen. Meliska bringt jedesmal, wenn sie ihren Unteroffizier besucht, Material, in der Hauptsache Flugblätter, aber auch ein paar von den Broschüren, die für die Soldaten herausgegeben wurden, in die Kaserne. Der Unteroffizier, ein gewisser Marczuk, hatte mit einem Sergeanten zusammen ein Zimmer. Aber der Sergeant, der verheiratet war, saß abends meist bei seiner Frau, und so war Meliska fast immer mit ihrem Unteroffizier allein. Auf dem Wege zu ihm, oder wenn sie von ihm geht, legt Meliska das Material im Korridor auf den Schrank, in dem das Kartenmaterial und die Schießbücher liegen. Am Morgen oder in der Nacht wird das Material von den Genossen auf dem Wege zum Klosett geholt und eilig verteilt.
Es fiel natürlich auf, dass in der Kaserne nun überall Flugblätter herumlagen und dass auch die kleinen roten Broschüren wieder auftauchten, gegen die die Kommandantur von Krakau schon seit Jahren einen harten, aber wenig erfolgreichen Kampf führte. Da die Rekruten immer sagten, sie hätten die Broschüren in ihren Schränken gefunden, mussten sie in größeren Mengen in die Kaserne geschmuggelt worden sein, und bei einiger Kontrolle musste man den Schmuggel unterbinden können.
Aber was man auch tat - man untersuchte die beurlaubten Mannschaften, die Post, die Pakete, Doppelposten wurden um den ganzen Kasernenblock aufgestellt, Offizierspatrouillen nahmen am Morgen und am Abend eilige Untersuchungen der Mannschaftsräume vor -, die Flut der Flugblätter stieg weiter, und auch die Broschüren wurden regelmäßig in größeren Mengen gefunden.
Da tat der Kommandant des Regiments etwas, was schon in anderen Kasernen mit Erfolg angewandt worden war. Er sperrte für alle Mannschaften, auch für die Unteroffiziere, den Urlaub und ließ bekanntgeben: "Diese Urlaubssperre wird erst aufgehoben, wenn man den oder die Flugblattverteiler gefunden hat und die Kaserne wieder von den roten Fetzen gesäubert ist!"
Das war wirklich ein harter Schlag sowohl für die Mannschaften als auch für die Chargen, und es setzte daraufhin eine allgemeine Kontrolle und Bespitzelung der Leute untereinander ein. Keiner traute dem anderen mehr. Sobald nachts einer den Schlafsaal verließ und auf das Klosett ging, wurde er beobachtet, und man ging ihm nach. Die Unteroffiziere stellten sogar verschiedene Posten auf, einzelne versteckten sich die ganze Nacht auf den Korridoren, und bald glückte es auch, zwar nicht Meliska, aber einem der Genossen, die das Material vom Schrank zu holen hatten, auf die Spur zu kommen.
Das war beinahe zufällig geschehen. Ein anderer Soldat hatte beobachtet, wie ein gewisser Kuszko, ein junger Genosse vom Lande, auf den Schrank hinaufgriff. Der Genosse ließ zwar sofort das Bündel, das er gerade gefasst hatte, wieder los, als er Schritte oder vielmehr ein Geräusch hörte, aber der andere, der wohl annahm, Kuszko hätte da oben heimlich etwas untergebracht, Geld oder Lebensmittel, fasste nun auch hinauf und packte die Flugblätter. Er war ziemlich erschrocken, aber er hätte bestimmt nichts verraten, denn er war der Sohn eines Arbeiters, zwar nicht politisch organisiert, aber immerhin soweit Proletarier, dass er das Nützliche solcher Flugblätter anerkannte. Aber gerade er wurde von einem leise heranschleichenden
Feldwebel gefasst, auf die Wache geschleppt und einem Verhör unterzogen.
Man bezeichnete ihn natürlich sofort als einen der Täter, und alle Beteuerungen: "Ich bin unschuldig in die ganze Sache gekommen" fruchteten nichts. Als er dann den Hergang erzählte - übrigens immer noch so, dass Kuszko nicht belastet wurde, er sagte nur: "Ich habe da einen gesehen und ich habe mir gedacht, vielleicht hat er da etwas Besonderes versteckt" usw. - war man noch genau so ungläubig. Einer der mit der Untersuchung betrauten Offiziere war aber der Meinung, es könnte nichts schaden, wenn man den größten Teil der Zettel wieder hinauf legte und den Schrank weiter beobachten ließe: "Denn wenn es stimmt, was der Mann gesagt hat, wird ja der andere sicher, sollte er nicht bereits alles für verloren halten, wiederkommen und die Zettel holen."
So war es auch. Kuszko hatte das Gefühl, wenn der Kleine nichts weiter gesehen und keinen Verdacht geschöpft hat - und das war wohl anzunehmen, denn es war auf dem Korridor weder zu einem Geschrei noch zu sonst etwas gekommen - ist es am besten, wenn ich noch einen zweiten Gang zu den Zetteln wage; und nachdem er ungefähr eine Stunde gewartet hatte, um auch nicht durch zu schnelles Herein- und Hinauslaufen in Verdacht zu kommen, kroch er noch einmal aus seinem Bett, um zum zweiten Male nach den Zetteln zu greifen.
Dabei wurde er gefasst und dem jungen Burschen gegenübergestellt. Dieser, wirklich ein tapferer Kerl, erklärte zwar, trotzdem er Kuszko natürlich erkannt hatte, er könne nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der erste mit diesem zweiten übereinstimme, denn er habe ja den ersten nur von hinten und in der Dunkelheit gesehen, "und in der Nacht sind alle Katzen grau", aber das war jetzt nicht weiter von Bedeutung. Jedenfalls war dieser zweite einer, der bestimmt mit der Verteilung der Flugblätter zu tun hatte, und da man dem ersten auch nicht ganz traute, behielt man sie beide in Haft.
Es gab nun für Meliska und für die Genossen, die die Verteilung der Flugblätter verantwortlich unter sich hatten, zwei Möglichkeiten
für die weitere Arbeit. Die erste war, die Verhaftung zwar zur Kenntnis zu nehmen, aber die Flugblätter auch weiterhin nach dem alten System in die Kaserne zu bringen. Das wäre nicht schwer gewesen, denn es gab außer Kuszko noch ungefähr ein Dutzend anderer Genossen in der Kaserne, die das Abholen und Verteilen der Flugblätter besorgen konnten, und man musste nur ein neues Versteck ausfindig machen. Die zweite war, vorläufig für einige Wochen keine Flugblätter in die Kaserne zu bringen, um den Regimentskommandeur und die Polizei in dem Glauben zu wiegen, sie hätten mit dem jungen Kuszko nicht nur den Verteiler der Flugblätter, sondern auch den Mann, der sie in die Kaserne gebracht hatte, festgenommen. Denn warum sollte Kuszko die Flugblätter nicht selber auf den Schrank gelegt haben? Die Stuben wurden ja alle Tage überraschend durchsucht, auf dem Schrank waren sie sicherer, und er konnte sie dann beliebig herunterholen und verteilen.
Bei beiden Möglichkeiten hatte man aber ausgeschaltet, dass die Polizei über Kuszko, der allgemein als ein tüchtiger Kerl galt, vielleicht eine Brücke zu Meliska schlagen konnte. Er kannte sie. Das war ein großer Fehler, denn der junge Kuszko hätte die Flugblätter sicher genau so vorsichtig abgeholt und verteilt, wenn er nicht gewusst hätte, wer sie auf den Schrank legte. An diese Möglichkeit hatten die Genossen nicht gedacht, und während man noch zwischen den beiden Varianten schwankte, spannte die Polizei bereits ihre Netze zum zweiten Male aus, und diesmal über Meliska.
Wie sich später herausstellte, war das folgendermaßen zugegangen. Der Regimentskommandeur, aber genau so die Polizei, hatten nach der geglückten Festnahme nur den einen Gedanken: wie sie die Festnahme ausnutzen und auch auf die möglichen übrigen Teilnehmer ausdehnen konnten. Sie begnügten sich deswegen nicht mit der Inhaftnahme und Sicherung des jungen Kuszko, sondern sie setzten ihn sofort unter einen gewissen Druck. Dabei machte der junge Kuszko einen Fehler. Er war selber kaum erschüttert von der Festnahme, ja, er hatte sich in den ersten Stunden der Einvernehmung und als er sah.
was für einen großen Wert sein Kommandeur und die Polizei auf die ganze Sache legten, in eine gewisse Pose und einen falschen Heroismus gesteigert. Anstatt bei den weiteren Verhören und bei den Fragen nach Mitschuldigen einfach nicht zu antworten oder das Vorhandensein von Mitschuldigen abzuleugnen, sagte er: "Ich bin ein Revolutionär, und Sie sollten wissen, dass Revolutionäre ihre Genossen weder angeben noch verraten!"
Auf so eine Antwort hatten die Männer, die das Verhör leiteten, aber nur gewartet. Die überführten den Gefangenen noch in der gleichen Nacht in das örtliche Zuchthaus, wo man mit Hilfe von Maßnahmen, die eigentlich in das Zeitalter der Inquisition gehören, schon tapferere Kerle als den jungen Kuszko zum Reden gebracht hatte. Ja, da nach den Vermutungen der Polizei die ganze Sache eilte, denn man musste annehmen, dass die Verschwörer nach diesem Schlag in ihrer Mitte ihre Spuren so schnell wie möglich verwischen würde, wendete man sofort die schlimmsten und grausigsten Folterungen an, und der junge Kuszko war tatsächlich schon nach zwei Tagen soweit, dass er sagte: "Wahrscheinlich hat eine gewisse Meliska die Flugblätter in die Kaserne gebracht."
Meliska war gerade nach einer Pause von drei Tagen das erste Mal wieder in die Kaserne gekommen. Sie musste es tun, um ihren Unteroffizier nicht aufsässig oder misstrauisch zu machen. Die Beamten versteckten sich, als sie gemeldet wurde, in einer benachbarten Kammer und drangen dann überraschend bei Marczuk ein. Meliska versuchte aus dem Fenster zu springen, aber die Polizei hatte auch unter dem Fenster Posten aufgestellt. Niemand war übrigens erstaunter als der dicke Marczuk, als er aus dem Munde seines Regimentskommandeurs hörte, dass diese spröde junge Frau, um deren Gunst er sich seit Monaten mühte und die er schon zu heiraten beschlossen hatte, weil er mit ihr nicht weiter kam, eine gefährliche Kommunistin sei, die die Kaserne mit Flugblättern überschwemmt habe. Er wurde übrigens auch verhaftet, aber später, nach seiner Degradierung zum Gemeinen, wieder freigelassen.
Meliska wurde sofort dem jungen Kuszco gegenübergestellt. Sie war erschüttert, als sie den Jungen sah. Kuszko stand mit seinem blau unterlaufenen Gesicht an der Wand und zwei Beamte mussten ihn rechts und links stützen, sonst wäre er umgefallen. Er war immer noch so tapfer, auf die Frage der Beamten, ob dieses Frauenzimmer diejenige sei, die die Flugblätter in die Kaserne gebracht habe, "Nein" zu sagen. Da Meliska aber durch ihren Fluchtversuch eigentlich bereits überführt war, die Beamten außerdem, ohne erst ins Nachbarzimmer zu gehen, sofort wieder auf den unglücklichen Kuszko einschlugen, sagte sie: "Lasst den Jungen in Ruhe. Ich gestehe selber, dass ich die Flugblätter in die Kaserne gebracht habe!"
Aber auch Meliska hätte das nicht sagen sollen, denn genau so, wie die Polizei sich zuerst auf Kuszko gestürzt hatte, stürzte sie sich jetzt auf sie, besonders weil sie durch ihre Worte zeigte, dass sie, genau wie der Junge, nicht zu der alten, zähen Sorte der Revolutionäre zählte, die selbst dann nicht sprechen, wenn sie bereits alle Grade der Folterungen und Peinigungen hinter sich haben. Sie wussten ja wohl auch, dass Meliska noch nicht der Schlusspunkt oder die Zentrale der Arbeit unter den Soldaten war, sondern nur ein weiteres Zwischenglied, über das aber der Weg zur Zentrale oder wenigstens zu den nächsten Zwischengliedern führte.
Meliska ging es also in der gleichen Nacht und in den nächsten Tagen nicht viel besser, als es dem jungen Kuszko ergangen war. Erst wurde sie nur verhört, einmal grob und einmal weniger grob, einmal zynisch und einmal mit aller Brutalität; als die Beamten aber merkten, die sie doch härter war, als sie zunächst angenommen hatten, auch mit gewichtigeren Argumenten als nur mit Fragen.
Man schlug sie ins Gesicht, dann auf den Rücken, und auf den Leib. Erst blieb sie angezogen, dann riss man ihr die Sachen vom Leib. Als sie das nicht zum Reden brachte, sondern im Gegenteil, sich alles in ihr verhärtete, schlug man sie schlimmer, riss ihr die Haare aus. begoss sie mit heißem Öl, brach ihr zwei Finger, und das alles, ohne dass sie in der Zwischenzeit auch nur eine Minute zum
Nachdenken oder zum Ausruhen gekommen war. Erst, als sie in Ohnmacht fiel und nach zwei Kübeln Wasser langsam wieder erwachte, hatte sie ein paar Minuten Ruhe vor den Folterknechten.
In diesen Minuten ging ihr nun sogar mit einer gewissen Freude auf, dass es doch ein tüchtiges Stück Arbeit gewesen sein musste, das sie in den letzten Wochen geleistet hatte. Denn wenn man sich danach mit einer solchen Bestialität auf einen Menschen stürzt, der doch nichts weiter getan hat, als ein paar Flugblätter zu verteilen, so muss doch hinter diesen Flugblättern eine Macht stehen und hinter dem Sadismus dieser Polizeischergen eine Angst. Obwohl ihr ganzer Körper wie Feuer brannte, hatte Meliska plötzlich das Gefühl, dass die Sache wert war, für sie so zu leiden, und das gab ihr die Kraft und den Mut, die sie für die nächsten Verhöre brauchte.
Diese waren noch schlimmer als die vergangenen, aber was die vertierten Schergen auch taten - und wir wollen hier nicht all die Schandtaten aufzählen, die die Folterknechte aller kapitalistischen Staaten und vor allen Dingen die des faschistischen Polen sich ersonnen haben, um gefangene Arbeiter und Arbeiterinnen im Auftrag ihrer Vorgesetzten und ihrer Geldgeber zu Sprechen zu bringen - Meliska verriet nichts, weder von wem die Blätter und Hefte stammten, von wem sie sie bekommen hatte, noch ob sie auch von anderen als dem jungen Kuszko abgeholt worden waren, selbst nicht, wie oft sie die Blätter brachte und ob sie noch auf anderen Wegen in die Kaserne gekommen waren. Da trotz neuerlichen Schlägen auch aus dem jungen Kuszko nichts mehr herauszubringen war, blieb der Polizei, nach sechs Wochen Folterungen, strenger Haft und Androhung der weitaus schwersten Zuchthausstrafe, wenn sie nicht antworten würden, nichts weiter übrig, als den ganzen Fall mit der Verhaftung der beiden abzuschließen und sie an das Gericht zur Verurteilung zu übergeben.
Hier hatte Meliska endlich die Möglichkeit, das zu sagen, was sie diesen Richter, Staatsanwälten und den wenigen Zuschauern, die zugelassen waren, schon längst sagen wollte. Wie morsch und faul ihr ganzes System, ja ihr ganzer Staat doch sein müssen, "dass sie einen
so kleinen und armen Menschen" - und sie reckte ihre dürr gewordenen Arme und ihren hageren Hals wie eine Anklage aus ihrem verschlissenen und nur mühsam wieder zusammengeflickten Kleid heraus - "sechs Wochen lang prügeln, martern und auf das sadistischste foltern, nur um zu erfahren, ob außer ihm noch andere am Verteilen von armseligen Flugblättern beteiligt wären. Flugblätter, auf denen nur stand, dass die Arbeiter, wenn sie den Soldatenrock anziehen, trotzdem Arbeiter bleiben sollen. Dass sie, wenn sie bei Streikkämpfen eingesetzt werden und schießen müssen, auf ihre Väter, auf ihre Mütter und auf ihre Brüder schießen. Und dass sie sich nie dazu aufreizen lassen sollen, in den Steikenden Staatsfeinde und Verbrecher zu sehen, denn die Staatsfeinde sind nicht die Arbeiter, sondern", und das schrie sie, so laut sie schreien konnte: "Sie, und Sie, und Sie!" und sie zeigte dabei auf den Richter, den Staatsanwalt und den Hauptmann, der im Auftrage der Militärinspektion dem Prozess beiwohnen musste.
Ja, Meliska schenkte ihnen kein Wort, wenn auch der Richter, der Staatsanwalt und die beiden Polizeibeamten, die rechts und links neben ihr postiert waren, ihren Redestrom immer wieder eindämmen wollten. Sie war auch so schamlos, sich das Kleid von der Brust zu reißen und den Richtern und Schöffen ihre zerschlagenen, blau unterlaufenen Brüste zu zeigen, auch ihren gepeitschten Rücken, ihre gebrochenen Fingergelenke, zu sagen, was man sonst noch mit ihre getrieben hatte, das Schamloseste, was man nicht einmal mit einer Dirne treibe. "Und das alles nicht aus rohem Zynismus", ja, auch das sagte sie ihnen, "sondern aus Angst!" Weil sie wüssten, was hinter ihr stünde: "die große Kraft der Arbeiterklasse, die Millionenbataillone der polnischen Arbeiter und Bauern. Der Gerichtstag nicht über uns, über mich, über den armen Kuszko, sondern über euch!" "Und", sagte sie zum Schluss, "dessen seid gewiss, was ihr auch weiter tut, und ob ihr mich auch für Jahre einsperrt, den Gerichtstag schafft ihr dadurch nicht aus der Welt. Er kommt! Er kommt bestimmt! Und dann: wehe euch!"
Es war eine harte Rede, eine schwere Rede, und die hatte die Richter und die Schöffen auch sichtlich beeindruckt, denn sie saßen lange in ihrem kleinen Beratungszimmer, und als sie wieder herauskamen, ein Mann hinter dem anderen, armselig, dem Staatsanwalt lief sogar der Schweiß über die Glatze, sahen sie wirklich nicht wie Richter oder wie Sieger aus, sondern wie Geschlagene, wie zittrige Greise, die das Schwert des Richters nicht in der Hand halten, sondern über sich spüren, groß und bedrohlich. Und so fiel das Urteil auch aus. Meliska bekam sieben Jahre Zuchthaus, "und wegen Verstocktheit und Unbotmäßigkeit der Angeklagten" bekam sie noch zwei Jahre dazu.
Der Richter fragte Meliska: "Nehmen Sie die Strafe an und haben Sie noch etwas dazu zu sagen?" Da sprang Meliska zum zweiten Male auf. Nein, sie hatte nichts dazu zu sagen, aber sie wollte den fünf zeigen, dass sie auch das ungebrochen überstehen würde, dass sie auch diese Strafe nicht erschütterte. Ungebrochen wie ein Mensch, der wenig zu verlieren hat und für den auch diese neun Jahre Zuchthaus nur ein Zeichen waren, das die Brüchigkeit der Klasse, die diese Strafe diktierte, sichtbar machte. Nein, sie hatte ihnen nichts mehr zu sagen, aber sie sang als Antwort und mit der ganzen Kraft ihrer hohen und feierlichen Stimme die Internationale.
Sie sagen den ersten Vers und sah dabei die fünf an. Sah sie so wild und leidenschaftlich, von ihrem ganzen Hass empor geworfen an, dass die fünf tatsächlich während ihres Gesanges nichts zu sagen wagten und sie nur anstarrten; der kleine Staatsanwalt, als ob da ein Rachegott vor ihnen auferstanden wäre, der Richter, als ob ein Gespenst vor ihm stünde, die beiden Beisitzer mit großen, aus dem Kopf quellenden Augen. Und auch der Hauptmann hätte beinahe seine während des ganzen Prozesses zur Schau getragenen stoische Ruhe verloren, aber da war Meliska schon mit dem ersten Vers zu Ende.
Bevor sie den zweiten anfing, trat sie einen Schritt vor, sah den fünf noch hasserfüllter in die Augen und schrie dem Richter und den beiden Beisitzern ins Gesicht: "Stehen Sie auf. Stehen Sie auf! Haben
Sie denn nicht gehört? Ich singe die Internationale!" Sie schrie das so laut, als knalle sie diesen fünf mit einer Peitsche um die Ohren. Aber jetzt wachten sie auf. "Kanaille!" schrie der Richter. "Hinaus!" Und da wurde sie auch schon gepackt. Es waren die beiden Beamten, die sie packten. Sie drehten ihr die Arme nach hinten und schleiften sie aus dem Gerichtssaal hinaus.
Sie sang weiter, und wenn ihr die beiden Polizisten auch die Arme immer schmerzhafter aus den Gelenken drehten, sie hatte nicht das Gefühl, dass sie verurteilt war und dass sie oder ihre Klasse damit eine Niederlage erlitten hätten. Im Gegenteil, sie ging noch immer wie eine Siegerin dahin. Wie die Genossen vor ein paar Wochen erfahren haben, ist sie auch heute, nach zwei Jahren Zuchthaus, noch ungebrochen. "Sie lässt euch grüßen", sagte der alte Bilewka, der sie im Zuchthaus gesprochen hatte. Er brachte auch einen Zettel von ihr für die Genossen mit. "Kämpft tapfer weiter", stand darauf. "Ich habe wie kaum eine andere erfahren, wie morsch und brüchig die Decke ist, gegen die wir stoßen. Noch ein paar Schläge, und sie bricht zusammen!" |
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