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Georges Navel - Werktage (1945)
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Als ich die Maschinenarbeit vor ungefähr zehn Jahren aufgab, glaubte ich nicht, dass ich jemals wieder zu ihr zurückkehren würde. Ich hatte die schöne Schieblehre aufbewahrt, die ich als Lehrling gekauft hatte, dazu ein paar mit viel Geduld hergestellte Winkelmaße, einen kleinen Werkzeughammer und einen Körner — nur meine Zeugnisse nicht. Ich wusste nicht, dass ich das Handwerk noch einmal brauchen würde, das ich mit gutem Willen aber nur durch Zufall erlernt hatte, als ich mit fünfzehn Jahren nicht länger Hilfsarbeiter bleiben wollte.
Nun überdachte ich meine Lage. Wieder wollte ich nicht länger Tagelöhner, Saisonarbeiter, Landarbeiter oder Erdarbeiter sein. Zunächst einmal, um mehr zu verdienen. Ich würde neue Verpflichtungen auf mich nehmen, nicht mehr so frei sein. Ich hatte alle Möglichkeiten, mir außerhalb meines Berufes mein Brot zu verdienen, erschöpft. Nun war ich ein fertiger Mann, ich brauchte mich nicht mehr durch mühselige Arbeiten im Freien zu stählen. Die Anforderungen meines Berufes als Werkzeugschlosser würden mir eine bessere, glücklichere und intensivere Nutzung meiner Fähigkeiten gestatten. Ich sehnte mich nach schwierigen Aufgaben.
Ich hatte keine Zeugnisse mehr, um mich, wieder in Paris, einstellen zu lassen. Ich hatte Vertrauen zu meinen Händen. Ein übertriebenes Vertrauen: der Beruf verlangt nicht nur Kenntnisse, sondern auch Übung. Ich würde mich völlig absondern. Ich würde mich ganz und gar meiner Arbeit widmen. Ich spürte eine imaginäre Feile in meinen Händen. Man würde mich einen Versuch machen lassen. Ich hatte Vertrauen. Ich kannte nicht die Schranke der Zeugniskontrolle.
Die Zeugnisse sind das „freie" Frankreich. In Amerika soll kein Mensch danach fragen. Ford stellt den eben aus Sing-Sing Entlassenen ein, ohne Rechenschaft darüber zu fordern, wo er seine Zeit zugebracht hat. Bei uns dagegen will man verwurzelte Leute. Die Fragen, die einem in den Einstellungsbüros der Industrie und des Handels gestellt werden, sind schon geradezu Polizeiverhöre. Man sieht im Menschen nur ein Werkzeug, das von Geburt bis zum Verschleiß spezialisiert bleiben muss.
Mit fünfzig Jahren weiß ein Arbeiter, dass sein Alter ihm nicht mehr erlaubt, den Arbeitgeber zu wechseln. Die Industrie will nur junge Leute, deren Jugend von der Welt nichts als die Maschinen sehen will. Man muss beweisen, dass man weder zu neugierig noch zu unstet ist. Die Strenge der Einstellungsbüros verschärft sich. Man fürchtet sich nicht, einen unfähigen Facharbeiter einzustellen, wohl aber einen Kommunisten, einen Aufrührer. Da liegt der Haken. Immer gut Acht geben, dass ein ehemaliger Betriebsrat, der entlassen wurde und für sechs Monate oder ein Jahr boykottiert wird, sich nicht mit falschen Zeugnissen oder unter einem anderen Namen einstellen lasst.
Ein größeres Maß an Freiheit würde indessen nur von Nutzen sein. Früher hatten in allen Berufen die Männer, die sich Gesellen nannten, ihre Wanderschaft durch Frankreich oder gar durch Europa hinter sich. Wenn ein Mensch dadurch einbüßt, dass er sich mit anderen Arbeiten als denen seines Berufes abgibt, so gewinnt er doch dabei an Lebenserfahrung und Gewandtheit. Krisen treffen ihn nicht unvorbereitet, er ist imstande, sich einer Tätigkeit zuzuwenden, die ihm geläufig ist und braucht nicht die Stempelstellen heimzusuchen. Land und Leute kennen lernen ist auch eine Form, sich zu bilden.
Das ist freilich nicht der Standpunkt der Personalchefs. Nicht einmal ungelernte Arbeiter dürfen nach Belieben vom Baugewerbe zur Industrie hinüberwechseln. Gibt es beim Bau keine Arbeit, weist man sie in den Fabriken zurück, wenn sie nicht schlau genug sind, falsche Zeugnisse vorzuzeigen, was allerdings immer schwieriger wird.
Ich sah mich gezwungen, eine List anzuwenden. Meine Geldmittel gingen zur Neige, die Wirtin drängte. Die Personalchefs sind Beamte. Die Direktoren sind anderweitig beschäftigt und können nicht damit belästigt werden, eine Entscheidung zugunsten eines Arbeiters ohne Zeugnisse zu treffen.
Selbst wenn der erste Eindruck günstig war, gelang es mir nicht durchzusetzen, dass man mich eine Probearbeit machen ließ. Blieb also die List. Nach wohlgelungener Tarnungsprozedur wurde ich bei Citroen vorstellig.
Lange musste ich in einer Schlange vor einem Tor warten, dann stand ich vor dem Personalchef, der die Einstellungen vornahm. Er saß vor einem kleinen Tisch in seiner Wachtstube, seinem Leichenschauhaus, seinem Gefängnis, seinem Friedhof, seinem Gestapo-Vorzimmer. Gleich würde ich verhört, dann aufgehängt werden von diesem stämmigen Kerl, einem grauhaarigen und gesetzten Angestellten, der kälter als ein Möbelstück war, ein Polizeiinspektor im Ruhestand, der hier offensichtlich sein früheres Handwerk weiter ausübte. Er hatte mit mir geredet, ohne den Kopf zu heben. Dann hob er ihn bei jeder neuen Frage und durchbohrte mich mit seinen Blicken. Ich fühlte mich schuldig. Schuldig, keinen Kühler, keinen Anlasser im Herzen zu haben und nicht mit Benzin getrieben zu werden, sondern ein lebendiges Wesen mit Gems- und Spatzenblut unter der Haut zu sein, schuldig, Schaufel, Sonne und Moos geliebt zu haben.
Von meinem ältesten Zeugnis hatte ich den Briefkopf genommen und ihn mit einem Klebestreifen auf neues Papier geklebt — eine ausgesprochene Antiquararbeit, bei der ich die Wirkung des Alters dadurch hervorrief, dass ich das neue Papier mit nackten Füßen auf dem gebohnerten Fußboden des Gasthofes hin und her rieb. Dieses Zeugnis schien ihm in Ordnung, aber wertlos, da es von einer Provinzfirma stammte. Das andere, neuere untersuchte er, indem er es gegen das Licht hielt; eine leichte Radierung erschien ihm verdächtig. Fiasko. Ich sollte die Papiere beglaubigen lassen.
Ein schwerer Schlag für einen, der so weit ist, dass er seine Mittagsmahlzeit durch eine Tasse Milchkaffee und ein Hörnchen ersetzen muss. Mehr Glück hatte ich einige Tage später in einer Flugzeugfabrik.
Es gibt ein Angstgefühl bei der Arbeitssuche, das dem des Landstreichers gleicht, der bei anbrechender Dunkelheit ein Obdach sucht, oder dem des Bauern, wenn im Frühling die Trockenheit zu lange anhält. Auch im Besitz gültiger Papiere entgeht ihm kein Arbeiter. Mit dem Zusammenschrumpfen des Geldbeutels sinkt sein Herz. Arbeiter oder Bauer, vor Nahrungssorgen unterscheiden die Menschen sich kaum. Geld ist Macht, aber wer von uns kann Ersparnisse machen? Mögen doch die, die mir nicht glauben, einmal versuchen, ein paar Jahre unser Dasein zu leben.
Das riesige Pariser Weichbild wirkt deprimierend in den Vierteln, in die man zum ersten Male den Fuß setzt. Man zieht einen Stadtplan hervor, um sich zurechtzufinden. Die von Fabriken gesäumten Seine-Ufer speien öligen Schmutz aus. Die Luft riecht schlecht, sie ist von den hohen Schornsteinen verpestet. Man fühlt sich elend inmitten der industriellen Hässlichkeit.
Angst vor der Not. Der Arbeiter auf Stellungssuche — häufig vergebliches Herumlaufen — empfindet, dass nichts ihm gehört. Er hat nur seine Kleider. Das Dach überm Kopf, seine Nahrung, alles kann zum Teufel gehen. Er ist sogar erstaunt darüber, dass er am Leben hängt, da er, um es zu bewahren, um Fabriktore und -mauern herumstreichen muss. Er fühlt seine ganze Ohnmacht und die Unsicherheit seiner Lage. Das ist bedrückend und fast eine Offenbarung. Von Zeit zu Zeit verjagt er mit einem gezwungenen Lächeln oder mit einem Zucken seines Augenlids die Trübsal, die ihn überkommt — wie man Fliegen verjagt.
Ein Bauer kann sich auch in einem schlechten Jahr angesichts seines Ackers stark fühlen. Feld und Haus sind sein Eigentum. Wenn er Pächter ist, hat er einen Pachtvertrag; er hat immer die Gewähr, das Nötigste zu produzieren. Das Geld kann ihm ausgehen, nicht aber, was er zum Leben braucht.
Für den Arbeiter dagegen wird es tragisch, sobald er Arbeit sucht. Rasch ist er am Ende seiner Ersparnisse, wenn sich die Suche ein wenig in die Länge zieht.
Erst bei der Arbeit wird er wieder stark, wieder sicher erst, wenn er von neuem mit Menschen in Berührung ist, die wie er ihre Arme verdingen, um leben zu können, wenn es ihm nach dem Alleinsein von neuem erlaubt ist, sich im Kreise wieder gefundener Kameraden sein Leben zu verdienen, wenn er frei geworden ist in dem Gefängnis, an dessen Mauern er entlangstrich.
Vor der Einstellung — meine Zeugnisse waren in Ordnung befunden worden — musste ich eine Probearbeit machen. Ich merkte rasch, dass ich an Geschicklichkeit verloren hatte.
Ein Kollege in meinem Alter suchte mich am Schraubstock auf. Er hätte mich übersehen, in seine Arbeit vertieft bleiben können, aber er unterbrach sich, um sich zu vergewissern, ob ich auch alle notwendigen Werkzeuge hätte. Er brachte mir ein paar Feilen und eine elektrische Birne. Während meiner Arbeit kam er noch einmal, um zu sehen, ob mein Probestück gut ausfallen würde.
Fürs erste nur das. Ich merkte, dass sich die Atmosphäre in den Fabriken seit 1936 geändert hatte. Es war, als empfingen mich alle Arbeiter mit den Worten: „Du gehörst zu uns."
Wieder war ich in der Welt des Metalls: Viel Rauch, wenig Luft und jenes beklemmende Gefühl, schmerzlich für die Menschen, die an das Leben im Freien gewöhnt sind. Die Lunge leidet, der Blick sucht einen Fetzen Himmel und stößt gegen die blaugestrichenen Glasscheiben der wie Sägeblätter gezackten Dächer. Sobald man aber die Hand eines Kameraden gedrückt hat, sobald sich ein Unbekannter als Mensch erweist, sagt man sich: ,Ich kann es hier aushalten wie die anderen, wie er, wie alle, die da am Schraubstock oder an den Maschinen stehen.'
Was in der Fabrikwelt von der Natur übrig bleibt, ist der Mensch, der Gefährte, das Ebenbild, der Mitmensch. Für sich allein würde man darin krepieren. Keine Bäume, keine Pflanzen, keine Hunde mehr, eine ganz und gar künstliche Welt, die menschliche Emsigkeit erbaut hat. Nichts als harte, dichte Materie. Der Stoff, aus dem Hände gemacht sind, ist recht zerbrechlich daneben. In der kalten Welt des Metalls wirkt es beruhigend, einem Kameraden zu begegnen.
Die Halle war von einem Klirren erfüllt, als zerschlüge man überall in gleichmäßigem, scharfem, tönendem Rhythmus zahllose Flaschen. Mittags, wenn alles stillstand, empfanden die Ohren mit Behagen die entstandene Leere. Es war ein erträglicher Lärm.
Ich hatte zwölf Stunden zu meiner Probearbeit gebraucht, die zugestandene Frist überschritten. Unruhig packte ich mein Werkzeug zusammen, beschämt, dass ich es nicht besser gekonnt hatte. Der Betriebsvertrauensmann war zu mir gekommen, um mich zu beruhigen: Es fehlte der Fabrik an gelernten Arbeitern, man konnte mich in einer einfacheren Produktionsstufe beschäftigen; er würde sich dafür einsetzen. Man atmet freier in einer Fabrik, in der die Arbeiter organisiert sind und sich solidarisch fühlen. Zu anderen Zeiten, ohne unseren Vertrauensmann, hätte ich wieder auf der Straße gelegen. Ich trat als Fabrikationsschlosser in die Abteilung Kurbelstangen und -zapfen ein. Wir waren etwa zu fünfzig in einer Ecke der Halle, auf mehrere Werkbankreihen verteilt.
Die Industrie verlangt viel. Das Auge ist nicht imstande, die Präzisionsarbeit der Hände auf ein hundertstel Millimeter zu kontrollieren. Ein Zimmermann sieht genau, wenn er beim Sägen von seinem blauen Strich auf einem Sparren abkommt, ebenso wie ein Maurer leicht feststellt, ob die Mauer, die er errichtet, senkrecht ansteigt. Bei unserer Arbeit an den Kolbenstangen spielte der Tastsinn die Hauptrolle.
Die Stangen kamen maschinenfertig zu uns herüber. Um ein vollkommenes Ineinanderpassen der Kolbenstangen und ihres Kopfes zu erreichen, musste ein gleichmäßig verteiltes Reiben mit der Feile genügen. Aber die Art der Arbeit gestattete nicht den Gebrauch eines Messinstruments. Die Hand arbeitete blind; um sie zu leiten, hätten die Augen die Schärfe eines Mikroskops haben müssen.
Trotz der Präzision der Maschinen fiel kein Stück genau so aus wie das andere. Man prüfte die Teile, indem man mit der feinfühligen Behutsamkeit eines Blinden die Kolbenstange in ihren Kopf einpasste und dabei den Grad des Klemmens feststellte, oder indem man das Stück mit ausgestrecktem Arm vors Auge hielt, um sich zu vergewissern, ob die ineinander geschobenen Teile lichtundurchlässig blieben, ob das Licht nicht hindurchdrang, wie zwischen zwei Fensterläden. Das eine Auge zugekniffen, das andere weit aufgerissen, schnitten fünfzig Mann vor ihrer Lampe die gleiche Grimasse, die Augen geblendet vom grellen Lampenlicht.
Die Arbeit verlangte frische Kräfte, eine Art Bereitschaft der Nerven für die Anspannung, welche sie vom Tast- und Gesichtssinn forderte. Um das Metall zu formen, musste man eins mit ihm werden, sich ihm vermählen, nur noch mit ihm leben, in dauernder Beziehung mit dem Geknabber der kleinen Feile stehen, es in sich aufnehmen und in seinem Innern messen. Man möchte fast sagen, dass die Präzisionsarbeit, die Mechanik, ein gedankliches Doppelleben im Menschen nicht zulässt, sondern von ihm ein völliges Einswerden mit seiner Arbeit verlangt. Vor lauter Aufmerksamkeit fühlte ich meine eigene Schwere nicht mehr, obwohl mir der gebeugte Rücken weh tat und ich das Bedürfnis hatte, mich einmal zu recken und tief Atem zu holen. Trotz des Gefühls, so leer zu sein wie eine Trommel, freute ich mich bei meiner stets schwierigen Arbeit, ein Mensch zu sein, Kräfte und Fähigkeiten vereint im Kampf gegen die widerspenstige Materie.
Wenn die Kurbelstangen mit ihren scharfen Gussnähten öltriefend ankamen, musste man ein paar Mal ordentlich über den Grat feilen und sie abwischen, um sie ohne Widerstreben und ohne sich zu verletzen in die Hand nehmen zu können. Wenn sie nach unserer Arbeit vom Polieren zurückkamen, waren es prächtige Stücke. Nickel und Kupfer blitzten und fühlten sich so glatt an wie ein Feuerzeug.
Die Arbeit an den Kurbelzapfen war angenehmer. Jeder Zapfen kam in zwei Teilen an. Das war klare, mess- und kontrollierbare Präzisionsarbeit. Ein kleines Messinstrument orientierte uns bei der Arbeit.
Um schnell und gut zu schaffen, kämpften wir mit der Zeit wie Läufer, die einen Rekord um ein paar Sekunden überflügeln wollen. Man gab uns sehr wenig Zeit für jedes Stück. Es war eine Notwendigkeit, sich zu beeilen, es war aber auch ein Spiel. Auf der Platte eines kleinen, gusseisernen Tisches stand ein kleines Messinstrument. Zu ihm kehrte man rasch zurück, sobald die Feile ein paar Hundertstel heruntergeschliffen hatte. Noch einmal spannte man das Stück sachte und flink in den Schraubstock, strich ein paar Mal behutsam mit der Feile darüber und kam so an das vorgeschriebene Maß heran. Hin und her zwischen Schraubstock und Messapparat, in jedem Handgriff Präzision und Gewandtheit. Man prüfte mit äußerster Sorgfalt. Der letzte Schliff wurde auf einem über die Tischplatte gespannten Schmirgelpapier gegeben; dabei war die Aufmerksamkeit auf das Spiel der Finger gerichtet, um den Reibedruck gleichmäßig über das ganze Stück zu verteilen. Es war eine rhythmische; unmittelbar von der Intelligenz gelenkte Arbeit. Ich hätte sie jedem beliebigen Spiel vorgezogen. Was nicht hinderte, dass ich mich nach Feierabend, wenn die Anspannung vorüber war, erschöpfter fühlte als sonst.
Beim Aufheulen der Sirene um halb drei Uhr verließ die Gruppe der Schlosser wie ein Spatzenschwarm die Werkbänke. Jeder hatte es eilig, dem Lärm zu entkommen, die Straße wieder zu sehen. Die Ablösung stand schon an unseren Schraubstöcken. Die Pariser Arbeiter haben oft mehr als eine Stunde Fahrt, um von ihrer Wohnung zur Arbeit zu gelangen. Ich war vor fünf Uhr auf den Beinen, um die erste Untergrundbahn in der Frühe zu bekommen. Ich schritt durch stille Straßen. Das Wasser plätscherte in den Abflussrinnen wie Quellen, die hervorbrechen möchten. Es war ein großes, ruhiges Murmeln, das Gehen tat gut. An der Haltestelle der Untergrundbahn wartete ich, bis das Gitter geöffnet wurde. Der Angestellte, der mir meine Fahrkarte aushändigte, gab mir das Kleingeld zurück mit einem Lächeln, das einen Morgengruß unter Frühaufstehern bedeutete, zu einer Stunde, da sie noch nicht zahlreich sind.
Eine halbe Stunde Fahrt, dann ein anderer Zug, der sich zwischen Abstellgleisen und Häuserreihen hindurchschlängelte, die Seine überquerte, an einem Friedhof vorüber, durch eine Fabriklandschaft und neue Stadtteile rollte. Ein paar Minuten zu Fuß in der frischen Luft, bevor man eingesperrt wird. Und manchmal ein Wunder, ein Windstoß, ein weither kommender Duft, ein Vogelruf, der aus vergangenen Zeiten zu mir drang, aus der Zeit unter freiem Himmel.
Wenn ich um halb drei nach achtstündiger Schicht die Fabrik verließ, landete ich dreiviertel Stunden später im Gewühl des Bahnhofs Saint-Lazare und war ebenso müde, als hätte ich eine Nacht im Zuge von Marseille nach Paris verbracht. Im Autobus, der mich vom rechten aufs linke Seine-Ufer beförderte, schlief ich ein.
Acht Stunden Fabrik genügen, um die Energie eines Menschen zu erschöpfen. Was er der Arbeit gibt, ist nicht nur seine Zeit, sondern sein Leben, die ganze Frische seiner Kraft. Auch wenn er bei der Arbeit selbst nicht unglücklich war, nicht unter der Eintönigkeit, unter Überanstrengung gelitten hat, kommt er verbraucht, geschwächt und abgestumpft aus der Fabrik, seine Phantasie ist tot. Nur das Kino kann ihm noch aus seiner Müdigkeit den Auftrieb geben, den ihm das Innenleben versagt. Ich war nicht mehr das glückliche Lebewesen, das ich im Süden unter freiem Himmel zu sein vermochte.
In Paris verdiente ich meinen Lebensunterhalt besser als anderswo. Und Verdienen ist wichtig. Die Vierzigstundenwoche, die dank der Gewerkschaftseinheit erkämpft worden war, hatte das Dasein des Arbeiters erträglicher gemacht. Trotz der drohenden Kriegsgefahr und der wiederholten Mobilmachungsängste brachte Paris seit 1936 mehr Kinder zur Welt. Die Arbeiter hatten Vertrauen in die Zukunft. Die Welt würde nicht immer sinnlos bleiben. Die Jugend in den Fabriken war schöner, intelligenter, lebendiger als früher, sie erholte sich dank der Vierzigstundenwoche durch Freiluftspiele und in Zeltlagern von der körperlichen Zerrüttung durch die Arbeit in geschlossenen Räumen. Trotz der Erschöpfung bei Arbeitsschluss schien mir die Fabrik schon einer neuen, einer fröhlicheren Welt anzugehören. Eines Tages würde die Fabrik uns gehören. Wir würden nicht mehr für den Krieg arbeiten. Ich fühlte mich mit den Menschen um mich her durch gemeinsames Hoffen verbunden. Sie waren aus ihrer Gleichgültigkeit, ihrer Passivität herausgetreten. Wie niemals vorher fühlte ich mich endlich unter meinesgleichen, unter Arbeitern, die bewusst geworden waren. Es gibt eine spezifische Traurigkeit des Arbeiterdaseins, von der man nur durch die Teilnahme an der Politik geheilt werden kann. Im Herzen war ich mit meiner Klasse im Einklang.

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