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Georges Navel - Werktage (1945)
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ARBEIT IM FRÜHLING

Wir hatten auf dem Grundstück eines Großindustriellen aus Paris oder der Auvergne Löcher von zwei mal zwei Meter ausgehoben, um mächtige Orangenbäume umzupflanzen, die mit der anhaftenden Erde und in Kübeln herangescharft wurden.
Es war ein heikles Stück Arbeit, sie vom Lastwagen herunterzubekommen. Die Bohlen konnten rutschen und fünfhundert Kilo Erde den Leib eines Mannes zerquetschen. Bevor der Baum den Boden berührte, wurde er aufgerichtet, um das Knicken der Äste zu verhüten; dann schob man ihn auf andere Bohlen mit Walzen darunter.
Ich trug meinen Teil zur Arbeit bei, ohne Murren, ohne mich zu drücken und ohne mich ablenken zu lassen; ich gab im Gegenteil alles, was ich an Geistesgegenwart, gutem Willen und Aufmerksamkeit aufbringen konnte. Vielleicht hatte ich beim Suppekochen gelernt, dass unsere Bewegungen glücklicher sind, wenn sie vom Verstand geleitet werden und das Bewusstsein an ihnen teilnimmt. Die größte Ermüdung kommt daher, dass man abwesend ist und ohne Interesse für das, was man tut. Die Arbeit konnte ein Spiel sein, ein Komplex von Schwierigkeiten, die durch wohlüberlegte Bewegungen zu überwinden sind.
Wenn der Baum bis an den Rand der ausgehobenen Grube befördert war, stellten wir aus Erde eine schiefe Ebene her, auf der er langsam hinabglitt. Ich hatte mit einer Brechstange die Walzen voranbewegt, eine nach der anderen untergelegt, doch dabei immer meine Bewegungen überwacht. In dem wachen Leben fand ich ein Vergnügen, das beim stumpfen Schaffen immer fehlt. Es gab eine Welt, in der ich nicht Müller und nicht Schulze war, sondern nur ein Mensch mit Geschick vor einer Aufgabe, und darin fand ich mehr Freude als beim Sport oder beim Spiel.
Wenn der Baum hinuntergeglitten war, schafften wir ihn zu viert durch Hin- und Herdrehen in die Mitte der Grube. Dabei ging es etwas durcheinander. Jeder zerrte in die Kreuz und in die Quer und schrie dabei: „Hierher!" Ich wunderte mich, dass Männer, die doch an diese Arbeit gewöhnt waren, noch keine dem „Backbord" und „Steuerbord" entsprechenden Ausdrücke gefunden hatten, um ihren Anstrengungen die gleiche Richtung zu geben. Man schaffte es dennoch. Es schien mir. dass die Menschen nicht einmal bei der Arbeit ganz wach sind.
Der Baum war aus seinem Kübel heraus, das Loch zugeschüttet. Reichlich begossen, brauchte er jetzt nur noch dem Mistral und dem Ostwind zu trotzen, in einer Gegend, die weniger begünstigt war als die Seealpen, aus denen er stammte.
Der Frühling war gekommen, der Frühling der Küste, ein ganz anderer Frühling als der bei uns zu Hause, der, unter dem Schnee gärt und nach der Schneeschmelze den Erdgeruch ausströmt, in Blumen und Grün ausbricht und den Menschen mit seiner Umgebung verjüngt. Hier war es der seit Januar dem Winter beigemischte Frühling inmitten der immergrünen Pinien und Korkeichen. Ein sicheres Anzeichen: die zunehmenden Tage und der knospende Weinstock.
Die kleine Gruppe, drei Piemontesen und ein Spanier, arbeitete mit nacktem Oberkörper. Man fühlte sich wohl: den Rücken im Schatten oder noch besser in der Sonne, die Glieder von der Kleidung befreit, die Augen voll vom Blau des Himmels, sobald man den Kopf hob. Am Fuß des Abhanges breitete sich das Meer aus. Selbst beim Schwingen der Spitzhacke fühlte ich mich leicht, kaum von dieser Welt.
Der Schatten der Zweige zeichnete gleichsam Tätowierungen auf unsere nackte Haut. Von Zeit zu Zeit sagte einer zum anderen: „Schönes Wetter, was?", darin lag alles. Ich war glücklich, wie es die Tiere sind, Hund, Vogel, Krokodil, wenn der Hunger sie nicht quält, und es nichts gibt, worunter sie leiden.

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