SIEBENTES KAPITEL
1
Don Gabriel sah seine Frau eingewoben in ein langes Geschwätz mit Don Rafaels Frau. Da ihn dieses Gerede nicht interessierte, schlenderte er auf dem Platze herum, in der Hoffnung, jemand zu finden, mit dem er schwätzen könnte.
Männer ereifern sich über ödes Geschwätz nur dann, wenn es sich um Geschwätz zwischen Weibern handelt. Aber wenn Männer zusammengeraten, sind sie hundertmal schwatzhafter und tausendmal ausdauernder in ödem Gequassel als ein halbes Dutzend Fischweiber. Der Unterschied ist nur der, dass der Mann seine ermüdenden Schwätzereien für intelligente Gespräche über politische und ökonomische Fragen hält, während er die Sabbereien der Frauen als inhaltloses Gewäsch beurteilt. Vorurteilslos betrachtet, sind aber die stundenlangen Schwätzereien der Männer nicht um eine Haselnuss wertvoller und ideenreicher als die Klatschereien der Frauen. Die
Interessengebiete sind ein wenig verschieden, aber Zweck und Resultat der Geschwätze sind gleichwertig.
Bei diesem Herumschlendern kam Don Gabriel endlich in den Portico, wo sich die Fondas befanden. Er war sicher, hier einen Händler oder einen bekannten Arriero, den Führer eines Maultierpackzuges, anzutreffen, mit dem er die nächsten Stunden verreden könnte.
Es war an diesem Tage nicht viel Verkehr in den Kolonnaden. Einige indianische Träger hockten neben ihren Lasten, rauchten dicke Zigarren und sahen zu, wie ihre Bohnen weich kochten, die in einem Kesselchen an dem Feuer standen, das außerhalb des Portico auf dem Platze lässig schmokte.
Zwei Maultiertreiber flickten an Tragsätteln herum, zerrten das Gras, den trockenen Zacate, aus den Polstern heraus, zupften es lose und stopften es dann wieder hinein, um die Sättel weich zu machen. Die Sättel sahen nun aus wie die aufgedunsenen Matratzen eines Brautbettes aus einem Abzahlungsgeschäft. Waren diese Sättel dann einen Tag im Gebrauch, dann fühlten sie sich ebenso brettig, steif, knochig, flach und schwindsüchtig wie die Matratze jenes Brautbettes nach der Hochzeitsnacht an. Die Maultiere gewöhnten sich an diesen raschen Wechsel in der Weichheit ihrer Sättel genauso der Not gehorchend, wie das junge Ehepaar, derselben Not gehorchend, hofft, gelegentlich eine Woche mit der Abzahlung im Rückstand bleiben zu dürfen, wenn es den Möbelhändler bei guter Laune erhält, dadurch, dass es sich der minderwertigen Waren wegen nicht bei ihm beschwert. An den Pfosten und Pfeilern der Kolonnaden standen, hängten und lungerten einige Männer herum, Indianer und Mestizen, die nicht genau wussten, warum sie eigentlich auf der Welt seien. Der Ort gewöhnte sich an solche Männer hier wie überall in der weiten mexikanischen Republik, und es würde hier, wie in anderen Orten, das Bild nicht vollständig gewesen sein, wenn jene herumlungernden Burschen und Greise gefehlt hätten. Irgendwo verbringen sie die Nacht, aber niemand weiß mit Bestimmtheit zu sagen, wo. Und irgendwie finden sie eine gelegentliche Tortilla und wohl gar eine gerollte Tortilla vollgestopft mit Frijoles und Chili, aber niemand weiß, wann und von wem sie kommt. Fragt sie jemand, was sie sind und was sie hier tun, dann sagen sie, sie seien Mozos, Burschen, die auf Reisende warten, um sie zu begleiten.
Braucht aber ein Reisender dann wirklich einmal einen Mozo, weil sein eigener krank geworden ist, dann fordern sie einen so hohen Lohn, dass der Reisende dafür drei sehr geübte und erfahrene Pferdeburschen und Packburschen bekommen kann, wenn er sie unter den berufsmäßigen Burschen sucht. Die berufsmäßigen Treiber und Begleitburschen drücken sich nicht in diesen Orten herum, wo Arbeitsgelegenheiten nur zufällig zu haben sind. Sobald die berufsmäßigen Mozos mit einem Auftrag zu Ende sind, gehen sie von Hotel zu Hotel, von Fonda zu Fonda, um Reisende aufzusuchen, denen sie ihre Dienste anbieten. Die herumlungernden Burschen dagegen warten darauf, dass ein Reisender in Not um einen Begleiter ist, damit sie die Preise selbst machen können.
2
In einer solchen Not um einen zuverlässigen und vertrauenswürdigen Pferdeburschen befand sich Don Ramon Velasquez, der im Portico in einer Hängematte schaukelte. Das eine Bein ließ er links über die Hängematte hinaushängen und das andere Bein rechts. Die Hände hatte er hinten über den Kopf gefaltet, und mit weiten glasigen Augen stierte er hinauf in das Dach, als wolle er die Dachziegel zählen, die zerbrochen waren.
Er war bereits drei Tage hier am Orte und konnte nicht weiter, weil er keinen Burschen hatte. Bis hierher war er ohne Burschen gereist. Er hatte gehofft, hier einen indianischen Burschen mit Hilfe des Sekretärs anwerben zu können. Aber das war ihm nicht geglückt, weil der Sekretär nicht anwesend war. Mit keinem der herumlungernden Vagabunden konnte er über den Dienstpreis einig werden. Und abgesehen von dem Lohn, es wollte keiner sich mehr als zwei Tagereisen weit von dem Ort seines schönen faulen Lebens entfernen. Don Ramon hätte nicht nur die zwei Tage der Begleitung bezahlen müssen, sondern auch die zwei Tage, die der Bursche allein zurückwanderte.
Beinahe war er mit einem der Herumlungernden einig geworden hinsichtlich des Lohnes für die vier Tage. Als es aber zu den Einzelheiten kam, wollte der Bursche ein Pferd zum Reiten gestellt haben, das Don Ramon hier am Orte hätte mieten müssen. Damit nicht genug, verlangte der Bursche aber auch noch, dass ein zweiter Bursche mitzöge, der von Don Ramon gleichfalls bezahlt werden sollte und gleichfalls ein Pferd haben müsste; denn der erste Bursche erklärte, dass er die zwei Tage nicht allein zurückreisen wolle, weil auf den Wegen Indianer seien, die zuweilen morden, wenn sie dazu Gelegenheit finden.
Unter diesen Umständen gab Don Ramon es endlich auf, mit den Vagabunden weiterzuverhandeln. Nun wollte er auf die
Rückkehr des Sekretärs warten, der ihm vielleicht einen zuverlässigen Burschen stellen könnte. Wenn er es nicht könnte, dann würde er warten, bis eine Maultierkarawane denselben Weg zöge, den er sich vorgenommen hatte.
3
Als Don Gabriel den Portico entlanggeschlendert kam, hörte er sich plötzlich anrufen: »Hombre, Don Gabriel, Hijo de mi alma, was tun Sie denn hier in diesem gottvergessenen Kojotenbau?« Es war Don Ramon, der, die Schritte Don Gabriels hörend, den Kopf zur Seite gewandt hatte und den Ankommenden gleich erkannte. Er ließ sich aus der Hängematte gleiten, ging auf Don Gabriel zu, ihn, nach mexikanischer Sitte, umarmend, und sagte: »Sie hätte ich ganz gewiss hier nicht erwartet. Wen auf Gottes weiter Erde kann man hier auch antreffen mit einem zivilisierten Gesicht unter dem Hut! Zigarette?«
»Gracias!« sagte Don Gabriel und zog die Zündhölzer hervor. Wer eine Zigarette geschenkt bekommt, muss als Erwiderung das Zündhölzchen liefern, um das Zündholzmonopol der Schweden nicht zu schädigen und um zu verhindern, dass die Schweden in Lateinamerika Gesetze erzwingen, aufgrund deren mit Gefängnis nicht unter zwei Jahren jeder bestraft wird, der etwa den Versuch machen sollte, seine Zigarette an einer bereits glimmenden anderen Zigarette anzuzünden oder gar, was viel böser ist, die Zigarette an einem glühenden Stöckchen, das aus dem Campfeuer gezogen wird, anzurauchen. Das eine haben die schwedischen Zündholzmonopolisten durch geschickte Propaganda ja schon erreicht, dass niemals mehr als zwei Mann an demselben Zündholz ihre Zigarette anzünden, weil der dritte Mann, der etwa dasselbe Hölzchen gebrauchen sollte, an dem schon zwei andere ihre Zigaretten angeleuchtet haben, für den Rest seines Lebens von dauerndem Unglück verfolgt wird, aus welchem Bann er sich nur dadurch befreien kann, dass er in einer lateinamerikanischen Republik eine Revolution anzettelt mit dem Zweck, an Stelle eines monopolfeindlichen Präsidenten einen monopolfreundlichen auf den Thron zu setzen.
Don Ramon und Don Gabriel ließen sich auf eine schiefe wacklige Bank nieder, die auf dem trockenen Lehmboden des Portico stand.
4
Die beiden Caballeros waren alte Bekannte. Sie hatten sich schon als Jungen gekannt und waren dann später oft bei ihrem Viehhandel und anderen Geschäften zuweilen tagelang am selben Ort und im selben Gasthof gewesen, und unzählige Male hatten sie sich auf Reisen durch den Staat auf den Wegen oder in fernen Ranchos getroffen.
»Handeln Sie immer noch mit Vieh?« fragte Don Gabriel. »Nein, geraume Zeit schon nicht mehr«, gab Don Ramon zur Antwort. »Es ist jetzt nicht viel dabei zu verdienen. Die Preise sind schlecht. Seit einiger Zeit habe ich ein bei weitem besseres Geschäft an der Hand. Bringt mehr ein, ist sicherer, und man hat weniger Verluste. Bin Agent für die Monterias, zuweilen auch für Kaffeeplantagen. Werbe Peones an, Kontraktarbeiter. Für jeden Mann, den ich nach Hucutsin bringe und dort am Heiligenfest der Candelaria abliefere und in Kontrakt übergebe, erhalte ich von den Kompanien dreißig gute blanke Pesos. Wenn ich die Leute aber gar bis zur Monteria hinbringe, bekomme ich für jeden Kopf fünfzig Pesos. Ausgaben habe ich nur gerade für mein Essen, wenn ich auf den Fincas, Ranchos und in den unabhängigen Indianerdörfern herumziehe, um die Burschen aufzukaufen. Verluste entstehen nur, wenn mir einer auf den Wegen durch den Busch wegstirbt oder so gut fortläuft, dass wir ihn nicht mehr einfangen können. Aber das kommt selten vor. Glänzendes Geschäft, sage ich Ihnen, Don Gabriel. Ein Drittel, in einigen der Monterias sogar die Hälfte der Peones sterben innerhalb eines Jahres weg. Da muss Ersatz geschafft werden. Und so habe ich ein ewig gut laufendes Geschäft, das ganze Jahr hindurch. Hundertmal besser als Handel mit Vieh oder Schweinen, Pferden oder Mules.« Er streifte die Asche seiner Zigarette ab und wartete darauf, dass Don Gabriel etwas von sich sagen sollte.
Aber Don Gabriel war in Gedanken versunken. Er sah eine goldene Zukunft für sich aufsteigen, und er gedachte, diese Gelegenheit hier zu benutzen, um Einzelheiten zu erfahren, in welcher Weise sich ein solches Geschäft abwickelt. Jedoch unterließ er es, so plump draufloszufragen, weil er fürchtete, dass Don Ramon eine Konkurrenz unbequem sein möchte und er ihn irreführen würde, sollte er zu deutlich fragen. Er überlegte, wie er Don Ramon verlocken könnte, die Geheimnisse des Geschäftsganges preiszugeben.
Als er nichts erwiderte und in seinem Schweigen verharrte, klopfte ihm endlich Don Ramon freundschaftlich aufs Knie und fragte: »Und was tun Sie denn jetzt, Amigo? Immer noch Viehhandel oder Waren?«
»Ich habe einen Posten«, erwiderte Don Gabriel, »Secretario in Bujvilum.«
»Schlecht, Amigo, schlecht, sehr schlechtes Geschäft«, sagte Don Ramon, während er den Mund sauer verzog, »in diesen indianischen Dörfern ist kein heiler Peso zu verdienen. Die Leute haben ja nichts. Und wenn sie einen Fünfziger klimpern haben, kaufen sie Aguardiente. Wie kann denn da ein Secretario auf seine Kosten kommen! Ich selbst war einmal in einem solchen Sumpfloch. Zwei Jahre. Masse Arbeit. Immer in Angst, dass einem hinterrücks ein Machete in die Gedärme gejagt wird oder dass einem eine halbe Pfundladung gehackter Bleistücke den Schädel von den Schultern reißt; und wenn Sie diese stete Angst nicht zu haben brauchen, dann sind Sie zu gutmütig mit diesem Ungeziefer und verhungern bei den armseligen paar Pesos, die Sie aus Ihrem jammernden Kramladen herausquetschen.«
»Sie haben recht, Don Ramon, so ist es, ganz genau so ist es. Aber ich habe nichts Besseres.«
»Was tun Sie denn hier in Cahancu?«
»Auf der Durchreise«, sagte Don Gabriel. »Habe einen
Burschen nach Jovel zu bringen zur Aburteilung. Hat da einen erschlagen. Ich wollte die Sache am Ort abmachen; aber er hatte kein Geld. Stehen lassen kann ich den Fall nicht. Er ist zu schwer. Um mich in der Autorität zu halten, muss ich da etwas tun, sonst habe ich jede Woche einen Mord, bis es so weit kommt, dass vielleicht gar reisende Händler nicht mehr sicher sind und ich selbst mich nicht mehr aus dem Hause wagen kann am hellen Tage, wie es dem Sekretär in Bicocac erging, bis er endlich für ein paar Wochen Soldaten hingesetzt bekam. Mit den Soldaten am Orte ist es auch so eine Sache. Mehr Stehlen und dann ewig Händeleien der Weiber wegen. Ich vermeide lieber Soldaten, solange ich kann. Verschlechtert das Geschäft, und man hat mehr Unfrieden und Unruhe als vorher.«
»Wie alt ist der Bursche, den Sie nach Jovel transportieren?« fragte Don Ramon.
»Ich schätze achtundzwanzig.«
»Stark und gesund?«
»Wie ein Bulle im vierten Jahr«, sagte Don Gabriel. »Wie hoch wollten Sie ihn denn bestrafen, des Mordes wegen? Ich meine la Multa?«
»Mit fünfzig Pesos hätte ich ihn gehen lassen. Aber er hatte nicht einmal fünf und keine Aussicht, je den Rest zu kriegen. Nicht genug Schweine und Schafe, und der Mais hat keinen Preis.«
»Hören Sie, Amigo«, sagte Don Ramon nach einem kurzen Überlegen, »haben Sie den Fall zu Bericht gegeben und geschrieben, dass Sie den Mann nach Jovel überführen zur Aburteilung?«
»Nein, das habe ich nicht getan. Die Post wäre auch nicht früher da als ich. Wir haben keine regelmäßige Post, und ich kann Briefe nur mitgeben, wenn jemand durchkommt oder wenn einer unserer Leute, der genug Verstand hat, zu Markte geht.« Don Ramon klopfte seinen Freund abermals aufs Knie und sagte: »Ich denke, wir können ein Geschäft miteinander machen. Verkaufen Sie mir den Burschen für die Multa und zehn Pesos mehr für die Kosten, die Sie hatten. Ich schicke den Mann mit einem Trupp in die Monterias. Ich verliere nichts dabei. Die sechzig Pesos, die ich Ihnen für ihn bezahle, werden ihm aufs Konto gebucht, genauso gut, wie das Werbegeld, das ich für jeden Mann bekomme, auf sein Konto gebucht wird.«
5
Don Gabriel sagte weder ja noch nein. Darum glaubte Don Ramon, dass er vielleicht Gewissensbisse habe, den Mann zu verkaufen. Er beeilte sich, diese schädlichen Gedanken in Don Gabriel zu zerstören, ehe sie gefährlich für ihn werden konnten und dem Handel Schaden zufügten.
Er sagte: »Was geschieht denn mit dem Mann in Jovel, das frage ich Sie? Er bekommt fünf Jahre oder zehn in einer Strafkolonie, oder er sitzt sie im Gefängnis ab. Das Gefängnis überlebt er keine drei Monate. Er hält das nicht aus, tagein und tagaus zwischen kalten Mauern und hinter eisernen Gittern zu sitzen. Wenn er den Himmel nicht über sich sieht und Bäume und Gras um sich, welkt er in einigen Wochen an Heimweh dahin. Dagegen ist keine Rettung. Besser für ihn die Füsilierung. Und diese Gnade wird ihm nicht erwiesen, weil sein Mord nur ein Totschlag ist. Wenn er eine Strafe verdient hat, kann er die ebenso gut in der Monteria abmachen, wo seine Arbeit nützlicher ist als die Arbeit in dem Gefängnis oder wo er sonst hinkommen mag. In der Monteria muss er hart arbeiten. Richtig. Aber er ist zähe, und er ist hartes Arbeiten gewöhnt. Er ist immer im Freien unter offenem Himmel, befindet sich unter seinesgleichen. Unter uns gesagt, Don Gabriel, Sie erweisen dem Mann eine wirkliche Gnade, wenn Sie ihn mir überlassen.«
Don Gabriel zeigte eine gleichgültige Geste und sagte: »Ich habe kein Interesse an dem Mann, und ich habe keinen Grund, ihm eine Gnade zu erweisen oder nicht zu erweisen. Was geht mich ein Indianer an!«
Hier aber unterbrach er sich, ohne es zu wollen. Es tauchte vor ihm das Bild auf, als er Gregorio mit seiner Frau und seinen Kindern am Wege hockend angetroffen hatte in dem Augenblick, als er Abschied von ihnen nahm. Ihm selbst hatte
Gregorio nie etwas zuleide getan. Er bekam eine Anwandlung von Mitleid. Ein Mitleid, nicht, wie er es gegenüber einem anderen Menschen empfunden haben würde, sondern ein Mitleid, wie er es gegenüber einem leidenden Pferde haben würde, das ihn mit traurigen Augen ansieht und mit einer darin glimmenden Hoffnung, dass ihm der Mensch helfen könne, da sich ja ein Gott seiner nicht erbarmt. Es war gewiss nicht, in diesem Augenblick wenigstens nicht, das Geld, das er verdienen konnte, was Don Gabriel bewog, auf den Vorschlag des Don Ramon einzugehen. Er dachte nach, und er kam zu der Überzeugung, dass es wirklich für Gregorio besser sei, wenn er ihn anstatt ins Gefängnis in die Monteria schicke. Ober aus dem Gefängnis oder aus der Strafkolonie je zurückkehrte, war fraglich. Er mochte fünf Jahre bekommen, oder acht, oder gar zehn. Es kam darauf an, in welcher Laune sich der Richter befand, ob er sich mit seiner Frau am Morgen gezankt hatte, ob ihm das Frühstück nicht geschmeckt hatte, ob ihm eine seiner Geliebten, die er aushielt, Schwierigkeiten machte, ob er letzte Nacht betrunken gewesen war, ob ihm der vorgeführte Indianer gefiel oder ob er ihn anekelte, ob er wieder einmal ein Exempel festsetzen wollte, ob er ein hübsches Mädchen unter den Zuhörern im Verhandlungsraum erblickte, in der er einen sympathischen oder einen strengen oder einen brutalen Eindruck erwecken wollte, je nachdem, auf welche Weise er hoffte, das weibliche Wesen am besten auf sich aufmerksam machen zu können. Auf alle solche Dinge, Einflüsse und Umgebungen kam es an, ob der Indianer Gregorio gar freigesprochen wurde oder ob er zwei, fünf, vierzehn, zwanzig Jahre Gefängnis bekam, oder ob er füsiliert wurde. Der angeklagte Indianer wusste nichts von einem Verteidiger. Er hatte kein Geld. Der Form wegen, damit man den Staat als einen zivilisierten Staat vor der Welt bezeichnen konnte, wurde dem Indianer ein Verteidiger gestellt, dessen Aufgabe darin bestand, nur einmal das Wort zu ergreifen und zu sagen: >Ich bitte um mildernde Umstände für den
Angeklagten! < Dann nahm er seine Papiere auf und verließ den Raum, um zu einer Verhandlung zu gehen, an der er etwas verdiente, denn er musste leben und eine Familie versorgen.
Wenn auch Don Gabriel alle diese Kleinigkeiten in einer Gerichtsverhandlung gegen einen unwissenden indianischen Landmann nicht in Erwägung zog, weil er sich um solche Einzelheiten nicht kümmerte, so wusste er doch, dass Gregorio im Gerichtsraum vor einer Welt stehen würde, die für ihn auf der anderen Seite eines unentdeckten Planeten liegt. Dahingegen aber war dem Burschen die Welt der Monterias so nahe wie die Welt seines Heimatdorfes. Es erforderte in der Tat kein langes Nachdenken, um Don Gabriel zu der Überzeugung zu führen, dass die Monteria für Gregorio nach dem Gesetz zwar eine Ungerechtigkeit war, dass aber nach Beurteilung der menschlichen Verhältnisse, die Gregorio zu begreifen vermochte, die Monteria eine Lösung bot, die er, wenn er hätte wählen dürfen und wählen können, vorziehen würde. Don Gabriel betrachtete sich nicht als Menschenverkäufer, wie sich ebenso wenig Don Ramon je als Menschenhändler fühlte. Er ließ Gregorio herbeirufen.
6
»Du weißt doch, Muchacho«, redete ihn Don Gabriel an, »was man mit dir in Jovel machen wird. Wahrscheinlich füsilieren. «
»Ja, das weiß ich, Patroncito.«
»Und wenn man dich nicht füsiliert«, fuhr Don Gabriel fort, »dann sperrt man dich für zwanzig Jahre in die Carcel. Da siehst du weder den Himmel noch die Sonne. Und man peitscht dich auch noch aus.«
»Das weiß ich, Patroncito«, wiederholte Gregorio. »Hier ist ein Caballero, Gregorio«, Don Gabriel deutete auf Don Ramon, »er ist willens, dich mit nach der Monteria zu nehmen. Da bist du immer im Freien. Immer im Wald. Siehst die Tiere und die Vögel. Und da arbeitest du mit anderen Burschen, auch Indios wie du, die mit dir sprechen können und mit denen du sprechen kannst. Du arbeitest tüchtig, dann tut dir niemand etwas zuleide. Du verdienst deine Multa ab und das Kontraktgeld. In drei Jahren bist du wieder frei, und du kannst dann nach Hause gehen, zu deiner Mujer und zu deinen Hijos.«
»Das will ich wohl gern, Patroncito«, sagte Gregorio.
»In drei Jahren ist im Ort alles vergessen, und du lebst dann dort wie vorher, friedlich und fröhlich. «
»Ja, mein Herrchen.«
»Dann bist du also damit einverstanden, dass du in die Monteria gehst, hier mit dem Caballero, mit Don Ramon?« fragte Don Gabriel.
»Ja, Patroncito.«
»Dann werde ich dafür sorgen, dass du nicht in das Gefängnis kommst, und wir werden hier gleich den Kontrakt machen«, sagte Don Gabriel.
7
Der Vertrag wurde aufgesetzt. Das Konto, das Gregorio übernahm auf seinen Lohn von zwei Reales, fünfundzwanzig Centavos, täglich, waren sechzig Pesos, die Don Gabriel für die Überlassung des Burschen erhielt. Fünfzig Pesos Multa und zehn Pesos Kosten. Ferner fünfzig Pesos, die von der Kompanie an den Agenten für den Arbeiter bezahlt wurden, die aber der Arbeiter auf sein Konto angerechnet bekam. Endlich kamen noch hinzu fünfundzwanzig Pesos Stempelkosten, die el Presidente Municipal in Hucutsin für jeden Mann erhob und wodurch der Kontrakt seine amtliche Bestätigung erhielt.
Hucutsin war der nächste Ort im Bereich der Monterias. Durch diese fünfundzwanzig Pesos Stempelkosten übernahm der Bürgermeister von Hucutsin die Verpflichtung, jeden Mann, der von seinem Kontrakt entlief, wieder einzufangen und an die Kompanie zurückzubringen. Die Kosten des Einfangens und des Zurücktransportierens hatte der Arbeiter zu übernehmen und auf sein Konto verbuchen zu lassen.
Don Ramon nahm seine Liste her, schrieb den Namen Gregorios ein, den Ort, aus dem er stammte, den Bürgen, in diesem Falle Don Gabriel, und die Summe, mit der das Konto begann. Gregorio kleckste hinter seinen Namen ein paar Striche als seine Unterschrift. Damit war er eine Verpflichtung von hundertfünfunddreißig Pesos eingegangen. Bei seinem Lohn von fünfundzwanzig Centavos täglich bedeutete das eine Arbeit von fünfhundertvierzig Tagen. Jedes Hemd, das er während seiner Kontraktzeit aus der Tienda der Kompanie kaufen musste, jedes Päckchen Tabak, jeder Basthut, jede Decke wurde, solange nicht das alte Konto abgearbeitet war, auf ein neues Konto geschrieben. War das ursprüngliche Konto nach fünfhundertvierzig Tagen abgearbeitet, so begann die Abarbeitung des neuen Kontos, das durch notwendige Käufe, die der Mann in den fünfhundertvierzig Tagen vollzogen hatte, höher war als das ursprüngliche Konto, das im Kontrakt verzeichnet stand. Der Arbeiter durfte die Monteria nicht verlassen, solange er auch nur zehn Centavos Schulden bei der Kompanie hatte.
Auf diese Weise war der Indianer Gregorio durch die große Güte und Barmherzigkeit seiner intelligenteren und gut katholischen Mitbürger und Mitmenschen vor dem Gefängnis, das andere seiner christlichen Mitmenschen für ihn gebaut hatten und für ihn bereithielten, bewahrt worden. Die Hoffnung, seine Frau, seine Kinder, seine Mutter, seine Freunde und sein Heimatdorf wieder zu sehen, erfüllte sich, genau ausgerechnet, nach zweitausendsechshundertvierunddreißig Jahren, unter der Voraussetzung, dass er in der Tienda der Kompanie nichts, wäre es auch nur einen Sandalriemen, mehr kaufte, als er unbedingt brauchte.
8
Die zunächstliegenden erfreulichen Ereignisse, die Don Ramon und Don Gabriel auskosteten, waren, dass Don Ramon nun für seine Weiterreise einen zuverlässigen Burschen bekam, der ihn nur das magere Essen kostete, und dass Don Gabriel in seiner Tasche den Scheck einer Kompanie trug, der ihm in Jovel in jedem Laden ohne Abzug mit sechzig Pesos eingelöst wurde. Diese sechzig Pesos, eine Summe, die Don Gabriel seit zwei Jahren nicht auf einmal in seiner Tasche gehabt hatte, machten ihn ehrgeizig. In den besten Zeiten seiner Tätigkeit als Viehhändler hatte er an einem Kopf nicht soviel verdient wie hier mit der Ausübung einer Barmherzigkeit an einem Indianer.
Don Ramon machte gegenüber seinem alten Freunde Don Gabriel keine Geheimnisse aus den Geschäften, die er abschloss. Er erzählte ihm alle Einzelheiten und Tricks, die angewandt werden mussten, wenn etwas verdient werden sollte. Es musste nur offener Menschenraub vermieden werden, und auch das mit der Einschränkung, dass der Raub nicht so vor sich ging, dass man ihn als Raub beweisen konnte. Der mexikanische Bürger war frei und unabhängig. Sklaverei war streng verboten und wurde schwer bestraft. Kein mexikanischer Bürger, Kreole, Mestize oder Indianer, durfte als Sklave gehalten oder als Sklave verkauft werden. Schuldverpflichtung war keine Sklaverei. Der Mensch, jeder Mensch, war frei, eine Schuldverpflichtung einzugehen oder sie nicht einzugehen; und wenn sie, etwa durch Todesdrohung oder durch Folterung, erzwungen worden war, so war sie vor dem Gesetz ungültig. Wenn ein so hochzivilisiertes Land, wie es England ist, eine Schuldhaft kennt und ausübt, wenn andere hochzivilisierte Länder eine umschriebene Schuldhaft zulassen durch Gefangensetzen eines Menschen, der sich weigert, den Offenbarungseid zu leisten, so liegt kein Grund vor, Mexiko als unzivilisiertes Land zu bezeichnen, wenn die Diktatur Schuldverpflichtungen anerkennt und deren Einlösungen durch staatliche Macht unterstützt.
Wer eine Schuld eingegangen ist, muss sie bezahlen. Das ist gutes altes römisches Recht, geachtet bei jeder Nation, die sich zivilisiert nennt. Wer die Schuld, die er gemacht hat, nicht mit barem Gelde bezahlen kann, muss sie bezahlen mit dem, was er besitzt. Besitzt er nichts anderes als seine Arbeitskraft, so muss er eben mit seiner Arbeitskraft bezahlen. Der Proletarier, der ohne elegante Nussbaummöbel nicht leben zu können glaubt und sie darum auf Abzahlung nimmt, darf sich nicht wundern, wenn seine Freizügigkeit beschränkt wird und er in Sklaverei gerät. Niemand zwingt den Indianer, Schulden zu machen, sich zu betrinken, kostspieliges Feuerwerk zu Ehren der Heiligen abzubrennen, seiner Frau Glasperlenhalsketten und glitzernde Ohrringe zu kaufen. »Und überdies und alles in allem gesehen«, sagte Don Ramon, die Gesetzmäßigkeit und Christlichkeit seines Geschäftes erklärend, »die Monterias und die Kaffeeplantagen müssen Arbeiter haben, wenn die Wohlfahrt des Landes gefördert werden soll und die Republik geachtet, angesehen und respektiert unter den zivilisierten Nationen der Erde dastehen soll. Nur Arbeit, harte, unermüdliche und ausdauernde Arbeit, kann unsere geliebte Republik in die Höhe bringen. Das sagt auch schon unser verehrter Präsident in seiner Neujahrsproklamation an das Volk.«
»Ja, das ist richtig«, bestätigte Don Gabriel, »das hat er hundertmal gesagt. Und es ist die reine, ungeschminkte Wahrheit.«
»Richtig, Amigo mio«, sagte Don Ramon, »Viehhandel ist viel grausamer und mitleidloser. Das habe ich oft genug erfahren. Da ist ein schönes, lammfrommes Pferd, gewöhnt an eine gütige Behandlung und an freundliche Worte. Und da kommt der Käufer, ein roher, brutaler Bursche, von dem bekannt ist, dass er seine Tiere bestialisch behandelt. Er betastet das Pferd. Das Tier, instinktiv, fühlt unter den abtastenden Händen des Käufers die Brutalität des Mannes. Es zittert, und Schweiß bricht ihm aus. Aber es wird nicht gefragt, ob es zu jenem Käufer gehen will oder nicht. Der Verkäufer braucht Geld und muss das Pferd verkaufen. Ich kann die Mules und Pferde nicht fragen, ob sie zu jenem Manne gehen wollen oder nicht. Das wäre lächerlich. Aber ich frage jeden Peon, ob er in die Monteria gehen will oder nicht. Haben wir hier den Gregorio nicht auch erst gefragt, ob er lieber ins Gefängnis geht oder in die Monteria? Wir haben ihn gefragt. Und was hat er geantwortet?«
»Dass er vorzieht, in die Monteria zu gehen«, sagte Don Gabriel. »Richtig«, bestätigte Don Ramon. »Und sehen Sie, lieber Freund, so ist es mit diesem Geschäft. Es geht durchaus ehrlich zu. Niemand wird gezwungen. Aber es muss doch auch eingesehen werden, dass die Schulden, die jemand gemacht hat, bezahlt werden müssen. Die Sache bei dem Geschäft ist, die Leute davon zu überzeugen, dass sie ihre Schulden bezahlen müssen und dass sie hier eine Gelegenheit finden, ihre Schulden bezahlen zu können.«
9
Don Gabriel war nicht langsam im Begreifen. Er sah, dass hier Vermögen zu machen waren, leicht und ohne Risiko für Verluste. Er hielt sich nicht für dümmer als Don Ramon, und er war überzeugt, dass er dieses Geschäft genauso erfolgreich betreiben könnte wie Don Ramon. Intelligenz war nicht vonnöten. In dem Distrikt, den er kannte, waren Tausende von verschuldeten Peones und unabhängigen Indianern. Allein in seinem Ort hatte er mehr als ein Dutzend Leute, die bei ihm tief genug verschuldet waren, dass er ein Recht hatte, jene Schulden einzutreiben auf jede nur erdenkliche Art und Weise, die das Gesetz nicht ausdrücklich verbot. Den Leuten einen Kontrakt für eine Monteria anzubieten, um sie von der Schuld zu befreien, war nicht ungesetzlich. Im Gegenteil, die Regierung sah es gern, dass Schulden bezahlt wurden. Und die Regierung war noch viel mehr darauf bedacht, dass die Kompanien, die ihre Lizenzen und Konzessionen hatten und dafür hohe Abgaben bezahlten, immer reichlich mit Arbeitern versorgt waren, damit produziert und ausgeführt werden konnte. Je mehr ausgeführt wurde, um so besser waren die Finanzen des Landes und um so höher stand der Kurswert seines Geldes und seiner Staatsanleihen auf den Weltmärkten in New York und London. Die Monterias und Kaffeeplantagen mit Arbeitern zu versorgen und stets versorgt zu halten, war darum eine hochpatriotische Tat, ebenbürtig der glorreichen Handlung, für die Ehre des Vaterlandes auf Erden elendiglich zu verbluten, um des Paradieses und aller himmlischen Freuden im Jenseits gewiss zu sein.
Sowohl Don Gabriel als auch Don Ramon würden sofort gezogen und dem, der an ihrem Patriotismus etwa gezweifelt hätte, eine in die Eingeweide gebrannt haben oder gleich ein halbes Dutzend. Das geliebte Vaterland über alles. Es schadete dem Indianer absolut gar nichts, wenn er durch seine Arbeit in den Monterias auch etwas dazu beitrug, das Vaterland, dem er Leben, Obdach und Nationalität verdankte, in Ansehen, Ruhm und finanzieller Kaufkraft zu fördern. Denn was ist der Mensch, selbst ein unwissender armer Indianer, ohne Vaterland, ohne Staatsangehörigkeit und ohne Recht, sich Angehöriger der edelsten, tapfersten und ruhmreichsten Nation zu nennen? Er ist nichts. Ein Wurm. Ein Floh. Eine Laus. Ein schwankendes Rohr, das jeder Sturm zerbricht. Er ist verloren im weiten Universum. Ein Staubkrümelchen, hin und her geweht nach Belieben eines jeden Windhauches. Aus dieser bejammernswerten Existenz eines Staubkrümelchens einen Indianer zu erlösen, ihn zu einem individuellen Bürger des Staates zu erheben, ihm die Möglichkeit zu geben, am Wohl des Staates mitzuwirken und an der Stabilität seiner finanziellen Sicherheit innerhalb der internationalen Börsensäle mitzuarbeiten, war eine lobenswerte Tat, an der selbst die Kirche ihr Wohlgefallen haben musste. Denn auch die Kirche verlor, wenn die allgemeinen Geschäfte litten.
Was hat der verlauste Indianer in seinem Dorf? Gar nichts. Und was tut er zur Förderung der Ehre des Landes? Noch viel weniger. Er bezahlt weder Steuern noch Abgaben. Nicht gerechnet allerdings die hohen Steuern, die er bezahlt für jedes Glas Branntwein, das er trinkt; für jede Zigarette, die er raucht; für jedes Stück Baumwollstoff, das er kauft und das darum unnötig verteuert wird, weil Fabrikanten und Händler hohe Steuern bezahlen, die auf den Preis aufgeschlagen werden müssen. Aber er hat die Pflicht, mehr für den Staat zu tun, als nur gerade auf dem Umwege persönlichen Genießens dem Staate Steuern zuzuführen.
Diese Pflicht kann er am besten dadurch erfüllen, dass er alle seine Kräfte, bis zum letzten Atemzug, in den heiligen und ehrenvollen Dienst der Produktionsförderung für die Ausfuhr stellt. Mit Vieh zu handeln ist egoistisch. Den Indianer dagegen heranzuziehen, dass er wichtiges Material für eine konkurrenzfähige Produktivkraft des Staates wird, ist eine patriotische Tat. Mit der unerschütterlichen Überzeugung im Herzen, eine patriotische Tat zu begehen, kann man weder Unrecht noch Grausamkeit verüben, weder kann man Familienbande zerstören noch einem Individuum alles das rauben, was ihm Inbegriff seines Lebenszweckes ist. Jede Untat kann man vor sich selbst, vor aller Welt und auch vor der Kirche entschuldigen und sogar heiligen, sofern man die rechte Formel findet.
10
Don Ramon fand die rechte Formel. Genauer gesagt, er entdeckte sie in den Reden des Diktators und knetete sie für seinen eigenen Gebrauch zurecht.
Bei seiner Tätigkeit des Auftriebes der Arbeiter für die Monterias und die Kaffeeplantagen musste er, falls er Geschäfte machen und seine Auftraggeber zufrieden stellen wollte, alle Verbrechen begehen, die sich nur begehen lassen. Fälschungen von Konten der Indianer waren die geringsten Verbrechen, die er verübte, um Leute in den Kontrakt zu bekommen.
Er war zuweilen freigebig und verteilte reichlich Branntwein in einem Orte, wo der Sekretär den alleinigen Branntweinausschank hatte. Dadurch verdiente der Sekretär, und durch das Verdienen wurde er sehr weitherzig.
War genügend Branntwein konsumiert, dann begannen einige Indianer streitsüchtig zu werden. Es gelang Don Ramon, den Streit anzufeuern durch gewisse Tricks. Der Streit artete nun aus in blutige Schlägereien. Waren genügend Männer in jene Schlägereien, oft durch Totschläge erweitert, verwickelt, dann wurden alle Männer verhaftet. Am nächsten Morgen erhielt jeder fünfzig oder achtzig Pesos Multa vom Sekretär aufgedonnert. Don Ramon bezahlte die Multas an den Sekretär, und die Männer hatten ein hohes Konto zu ihren Lasten. Der Sekretär bestätigte die Kontrakte, und Don Ramon bekam auf einen Hieb fünfzehn oder zwanzig Mann für die Monterias. Wer den Kontrakt nicht einging, wurde vom Sekretär beschuldigt, den Totschlag verübt zu haben. Er hatte die Wahl, dem Richter vorgeführt zu werden oder mit Don Ramon in die Monterias zu gehen. Er zog ohne Ausnahme die Monteria vor.
Es gelang nicht immer, die Männer in einen Streit untereinander zu hetzen. Entweder sie waren verträglicher, als es dem Agenten lieb war, oder, und das war häufig, die Frauen und Mütter der Männer versuchten mit allen nur denkbaren Verlockungen und Einflüssen, die Männer, wenn sie trunken waren, in die heimatlichen Hütten zu bringen. Waren die Männer erst einmal in ihren Jacales, dann war es ein leichtes für die Frauen, sie durch Zärtlichkeit oder energisches Zupacken zu bewegen, sich niederzulegen, um ihren Rausch auszuschlafen. Schliefen sie, dann blieben sie gewöhnlich liegen, bis sie nüchtern waren.
Zuweilen aber glückte es den Agenten, die Männer, wenn sie halb betrunken waren, zu veranlassen, Geld anzunehmen als Vorschuss auf einen Kontrakt. Hatten sie den Vorschuss angenommen und ihren Bürgen genannt, dann war der Vertrag gültig, und die Agenten hatten ihren Mann.
Dann wieder gebrauchten die Agenten die Anwesenheit herumziehender Händler, um die Leute zu verlocken, Waren einzukaufen, für die sie Geld benötigten. Die Agenten waren nur allzu willig, den Leuten jede Summe vorzustrecken als Vorschuss auf einen Kontrakt.
Mit Hilfe korrupter, geldgieriger Sekretäre und anderer Beamten wurde oft ein ganzer Trupp von Indianern, die durch einen Ort reisten, um irgendwohin zu Markte oder zu einem Heiligenfest zu ziehen, umzingelt und eingefangen. Sie wurden dann beschuldigt, dass sie eine ansteckende Krankheit hätten oder dass sie nicht geimpft seien oder dass sie aus einem Orte kämen, der wegen Viehseuche oder der schwarzen Pocken wegen unter Quarantäne stünde. Die Leute wussten nicht, was geschah und wie es geschah. Aber wenn sie aus diesem Tumult endlich aufwachten, fanden sie sich als Peones in einer Monteria, aus der sie nicht entweichen konnten.
Es geschah, dass ein Händler oder ein Ranchero irgendwo auf den Wegen ermordet und ausgeraubt worden war. Entweder die Tat war wirklich geschehen, oder es war ein Gerücht in Umlauf gebracht worden, dass die Tat geschehen sei, obgleich niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, wer der ermordete oder angeblich ermordete Händler sei, wie er heiße, wo er wohne und wer ihn vermisse.
Aber auf den Wegen, die von unabhängigen Indianern begangen wurden, lagen Gegenstände verstreut, die dem Ausgeraubten angeblich gehört hatten. Die Indianer hoben die Sachen auf, weil sie glaubten, es seien herrenlose Dinge. Im nächsten Ort wurden sie eingefangen und untersucht. Die Sachen wurden bei einzelnen gefunden, und der ganze Trupp, oft einschließlich der Frauen und Kinder, wurde des Mordes und Raubes angeklagt und zur Strafe einem Agenten übergeben, der den Trupp in die Monterias führte. Irgendwer hatte die Telefonleitungen abgeschnitten und einige Meter Draht gestohlen. Das Dorf unabhängiger Indianer, das jener Stelle, wo die Telefonleitung beschädigt war, am nächsten lag, wurde von Soldaten umstellt. Alle Männer wurden gefangen genommen, drei oder vier wurden gehenkt, an einem Baum in der Plaza des Ortes, und zwei Dutzend gesunder und starker Männer wurden als Strafe in die Monterias verschickt. Wer die Telefonleitung abgeschnitten hatte, ob es vielleicht aus guten Gründen gar ein Agent oder einer seiner Mitarbeiter getan haben mochte, wurde nie untersucht. Indianer wurden beschuldigt, und mit dieser Beschuldigung war das Untersuchungsverfahren abgeschlossen.
Es wurde für brauchbare Arbeiter genügend hohe Provision bezahlt, so dass es sich wahrlich lohnte, jede Tat zu verüben, um Arbeiter für die Kompanien anzuwerben.
Nun kam es freilich vor, dass die Agenten es so wild trieben, dass selbst Finqueros, reiche Gutsbesitzer, Beschwerde bei der Regierung gegen die Brutalität der Agenten erhoben. Zuweilen war es Menschlichkeit, was die Finqueros bewog, die Regierung auf die Zustände aufmerksam zu machen. Aber genau besehen, waren die Finqueros und andere Besitzer großer Latifundien nicht sehr interessiert an dem Schicksal unabhängiger Indianer.
Die unabhängigen Indianer und deren Ortschaften waren gegen das Interesse der Latifundienbesitzer gerichtet. Es mochte ja einigen Familien der Peones, die als unbewegliches Gut zu einer Finca gehörten und die den Arbeiterstamm der Finca bildeten und so für die Finca einen Wert an Geld hatten wie die Viehherden, einfallen, die Finca zu verlassen, sobald sie schuldenfrei waren, und sich einer unabhängigen indianischen Kommune anzuschließen. Dadurch hätten die Finqueros mit der Zeit ihre Arbeiter verloren. Für den Wohlstand der Finqueros war es darum vorteilhaft, wenn die unabhängigen Indianer nicht zuviel Freude an ihrer Unabhängigkeit fanden. Peones einer Finca konnten von den Agenten nur mit Erlaubnis des Finqueros angeworben werden. Aus diesen Gründen waren die Peones einer Finca sicherer und geschützter vor den Werbeagenten als die unabhängigen Indianer. Jedoch ein anderes, bestimmtes Interesse kam hinzu, was die Latifundienbesitzer veranlasste, zuweilen Beschwerde zu führen gegen unrechtmäßige und gewaltsame Anwerbungen von Indianern für die Monterias.
Wurden unabhängige Indianer gar zu brutal und gar zu ungerecht von unbarmherzigen Agenten und geldgierigen Unterbeamten behandelt, dann verließen die Indianer ihre Dörfer, rotteten sich zusammen, versteckten sich im Dschungel und Busch und bildeten Räuberbanden, die alle Wege unsicher machten und selbst das Eigentum an Vieh und Gebäuden der Fincas nicht mehr achteten. Der Schaden, der angerichtet wurde, ehe die Regierung Militär schicken konnte, war so groß, dass die Finqueros jede Ursache hatten, den Werbeagenten nicht gar zu weit gehende unbeschränkte Handlungen widerspruchslos zu gestatten. Waren der Beschwerden endlich zu viele und waren Anwerbungen geschehen, die durchaus den Charakter von Verbrechen hatten, und geschah es gar, dass irgendwie Nachrichten in amerikanischen Zeitungen erschienen, die über barbarische Zustände in Mexiko berichteten, unter Angabe von Beispielen, dann wurden einige Agenten in Haft genommen und vor Gericht gestellt. Die Verteidigung der Agenten beschränkte sich stets nur auf einen Punkt: Patriotismus. Alles, was sie getan hatten, war nicht aus Geschäftsgründen geschehen, viel weniger aus Geldgier, sondern aus reinem unverfälschtem Patriotismus.
Das war leicht zu beweisen. Der Präsident der Republik hatte gegen gutes Geld Lizenzen an fremde Kompanien gegeben, um den Reichtum des Landes an begehrten Edelhölzern auszunutzen. Je mehr diese Naturreichtümer des Landes ausgenutzt wurden, um so höher und um so besser wurde der Kredit des Landes auf dem internationalen Markt. Es war darum eine hochpatriotische Tat, jene Reichtümer der übrigen Welt zugänglich zu machen. Aber die Kompanien konnten diese Reichtümer nicht ausbeuten, wenn sie keine Arbeiter hatten. Ohne Arbeiter waren auch die besten Lizenzen wertlos, und der Reichtum des Landes verfaulte in fernen Dschungeln und Urwäldern. Arbeiter heranzuschaffen wurde somit eine patriotische Tat. Kamen die Arbeiter nicht freiwillig, so mussten sie gewaltsam herbeigebracht werden, um den Wohlstand des Landes zu fördern. Das war ihre Pflicht als Staatsbürger, wie es die Pflicht der Staatsbürger ist, in die brüllenden Rachen wildgewordener Kanonen zu marschieren, wenn es die Regierung des Staates befiehlt. Das Individuum hat kein eigenes Recht an seinem Leben, noch viel weniger an seiner Arbeitskraft, wenn der Staat anders darüber urteilt als das Individuum. Gegen eine solche Logik konnte sich kein Richter verschließen. Der Richter war Angestellter des Staates, und er verdankte seine Existenz als Richter, seine hohe soziale Stellung und seine zukünftige Laufbahn dem Lande und dessen Wohlfahrt. Die Verhandlung, zu der nie ein vergewaltigter Indianer als Zeuge geladen war, weil Indianer als Zeugen unzuverlässig waren und sie nur als Angeklagte ein Recht hatten, vor dem Richter zu erscheinen, kam damit zu Ende, dass der Richter den angeklagten Agenten im Namen des Landes dankte für die harte und unerfreuliche Arbeit, die jene Agenten zu tun gezwungen waren, um die Wohlfahrt und den Reichtum des Landes zu fördern. Der Indianer hatte ja sonst nichts, was er dem Staate hätte opfern können; so war es nur seine von Gott bestimmte Pflicht und Schuldigkeit, der Größe und dem Ruhm des Landes dadurch zu dienen, dass er in den Monterias arbeitete.
Freilich wurde immer den Agenten gesagt, sie sollten nicht zu weit gehen in ihren Werbungen und sollten die persönlichen Rechte des Indianers, der ja auch Mensch sei und ein getaufter Katholik wie alle anderen, in gebührender Weise achten. Die Agenten versprachen das zu tun, und sie versprachen es unter der Beteuerung, dass sie nie ein Unrecht verübten, sondern dass alles gerecht und gesetzlich zuginge, wie man sich aus den Büchern, den Konten und den Verrechnungen der Konten jederzeit überzeugen könne.
»Sie sehen«, schloss Don Ramon seine Erklärung des Geschäfts, »es geht völlig geölt. Ich habe so ziemlich ganz freie Hand, und ich stehe mich vorzüglich mit dem Gouverneur und mit allen sonstigen Autoritäten, die mir unverdaulichen Salat machen könnten. Die Jefes Politicos, die Präsidenten der Ortschaften und die Polizeichefs wollen ja auch leben. Und das vergesse ich nie. Was liegt denn an so einem verlausten Indianer! Ob der lebt oder nicht lebt, das tut der Welt kein Kopfweh. Aber dass er arbeitet, das ist schon wichtiger. Wir kümmern uns ja auch nur um Ochsen und Pferde, die arbeiten; wenn sie nicht zu gebrauchen sind, weder zum Arbeiten noch zum Verkaufen, dann kümmert uns ihre Existenz nicht einen Cent.«
11
Don Gabriel hatte geglaubt, man könnte in dieses Geschäft ohne irgendwelche Vorbereitungen gelangen und gleich von Anbeginn auf eigenen Füßen stehen. Jedoch Don Ramons lange und ausführliche Erläuterungen ließen darauf schließen, dass es doch vielleicht besser sei, vorläufig erst einmal als Geschäftsteilhaber mitzumachen. Es mochte sein, dass da irgendwelche Kniffe der verschiedensten Arten hier und da in Frage kamen, die man gut kennen musste, um sich ungerupft aus möglichen Schlingen ziehen zu können.
Auf alle Fälle war er klug genug, die Gelegenheit, die sich ihm hier so ganz und gar unerwartet bot, nicht aus den Händen schlüpfen zu lassen.
»Während Sie mir das Geschäft in seinen Einzelheiten klarmachten, Don Ramon, habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, ob es nicht besser für Sie sei, einen Geschäftsteilhaber aufzunehmen. Um gleich auf den Kern zu kommen und ohne erst lange daran herumzukratzen: Wie denken Sie darüber, wenn wir beide in Zukunft dieses Geschäft gemeinschaftlich machen würden?« Don Ramon war über den Vorschlag verblüfft. Aber guter Kaufmann, der er war, sah er sofort ein, dass sich hier Vorteile boten wenn er Don Gabriel in das Geschäft aufnahm. Don Gabriel kannte Regionen, die Don Ramon so gut wie unbekannt waren. Er war befreundet mit zahlreichen anderen Sekretären indianischer Ortschaften, er stand auf gutem Fuße mit dem Jefe Politico, und er kannte alle Finqueros der Distrikte, wo sich gute Märkte zum Aufkauf indianischer Hände befanden. Durch Don Gabriel als Teilhaber konnte Don Ramon den Umfang seines Geschäfts erheblich ausdehnen.
Noch etwas anderes kam hinzu, was Don Ramon veranlasste, die Aufnahme eines Teilhabers mit sehr freundlichen Augen zu betrachten.
Es war dies: Don Ramon brachte gewöhnlich die angeworbenen Indianer nur bis Hucutsin, wo er sie am Tage des Heiligenfestes der Candelaria an die Aufseher der Monterias ablieferte, nachdem die Verträge von dem Ortsvorsteher in Hucutsin bestätigt worden waren Er übernahm die Verantwortlichkeit für das Eintreffen der angeworbenen Leute nur bis zu diesem Orte und bis zum Tage des Candelariafestes. Dafür erhielt er für jedes Paar gesunder Hände dreißig Pesos. Brachte er jedoch die Angeworbenen bis zu der Monteria, von der er die Aufträge erhalten hatte, so bekam er für jeden Mann fünfzig Pesos. Einige Kompanien zahlten ihm sogar sechzig. Die Arbeit des Transportes der Leute von Hucutsin bis zu den Monterias war leicht, verglichen mit dem Herumziehen im Lande, um Leute für den Kontrakt zu werben. Aber diese Arbeit des Transportes durch den Dschungel war gefährlich und ermüdend. Nur einmal hatte er einen solchen Transport übernommen. Zur Hilfe gebrauchte er Ladinos. Und diese mexikanischen Treiber waren teuer. Sie waren unzuverlässig gegenüber Widerspenstigkeiten der Indianer auf dem Marsche. Sie erhielten nur ihren festen Lohn und kümmerten sich nicht allzu sehr darum, wenn Leute ausbrachen und fortliefen. Sie ließen sich auf keinen Kampf um die Beute ein. Mit einem Teilhaber dagegen war das eine andere Sache. Der Teilhaber war interessiert am Geschäft, und er war darum Tag und Nacht auf dem Posten, dass auch nicht ein Mann verloren ging.
Jeder einzelne Mann war teuer. Der Agent hatte die Schulden für ihn bezahlt, ihm vielleicht auch noch Vorschuss gegeben, um den Kontrakt zu versüßen. Dazu kamen die Kontraktkosten bei der Behörde in Hucutsin. Zuweilen war eine bare Summe von hundertfünfzig Pesos in dem angeworbenen Manne festgelegt. Das Einfangen eines Mannes konnte Wochen dauern. Es mochte aber auch geschehen, dass der Mann nie gefunden wurde.
Entweder er war auf seiner Flucht im Dschungel verkommen, oder er hatte ein Dorf oder eine Gegend erreicht, wo er sich gut verbergen konnte, weil er unter Freunden seines Volkes war und jedem verdächtigen Mexikaner, der in jene Gegend kommen sollte, geschickt auszuweichen verstand.
Zwei Mann im Geschäft konnten besser und erfolgreicher arbeiten als einer. Während des Anwerbens ging jeder seinen eigenen Weg in die Regionen, die er am besten kannte. Dadurch war es möglich, in kürzerer Zeit mehr Leute anzuwerben. Es ließ sich auch leichter einrichten, nicht nur für die Monterias, sondern auch für die Kaffeeplantagen Indianer anzuwerben, so das Geschäft in großem Umfang zu betreiben und über das ganze Jahr hindurch auszuüben. Die Monterias arbeiteten ununterbrochen, während die Kaffeeplantagen große Mengen von Arbeitern nur in bestimmten Zeiten im Jahre benötigten, besonders während der Ernte. Diese Leute wurden nur für zwei oder drei Monate verpflichtet; sie zogen nach der Ernte oder nach der Arbeit des Ausreinigens der Plantagen wieder in ihre Dörfer zurück. Sie waren leichter anzuwerben. Es kostete oft so gut wie gar keine Arbeit, tausend Indianer für die Kaffeeplantagen zu erhalten, weil Hunderte, die in der vergangenen Ernte in den Kaffeedistrikten gearbeitet hatten, sich freiwillig anboten, sobald nur ein ihnen bekannter Agent in das Dorf kam, wo er geschickt verstand, sie freigebig mit Branntwein zu beduseln und ihnen Vorschüsse aufzudrängen.
12
Don Ramon überlegte rasch. Aber so rasch er sich auch entschied, Don Gabriel als Teilhaber aufzunehmen, so vergaß er dennoch nicht, Vorteile und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Ein Nachteil war, dass Don Gabriel sich zu einem harten Konkurrenten in den Bezirken, die Don Ramon als seine eigenen betrachtete, entwickeln mochte, um eines guten Tages das ganze Geschäft allein zu machen. Um diesen Nachteil gleich von Anbeginn sich so gut bezahlen zu lassen, dass spätere Verluste infolge einer harten Konkurrenz des Don Gabriel ausgeglichen waren, darum setzte Don Ramon seine Bedingungen auf.
»Das wäre so übel nicht, Don Gabriel«, sagte er nachdenklich. »Wir sind gute Freunde und können wohl recht sauber zusammenarbeiten. Aber sehen Sie, Sie sind hier eigentlich nur Lehrling. Ich muss Sie in das Geschäft einführen, sozusagen einlernen. Ich habe das Geschäft mit viel Mühe aufgebaut. Mehrere Schüsse und Machetehiebe habe ich in meinem Kadaver sitzen als eine dauernde Erinnerung an meine eigene Lehrzeit. Ich vermag Ihnen Hunderte von guten Winken zu geben und Ihnen vorzügliche Tricks zu lehren, so dass Ihnen mancher Schuss und mancher Stich erspart bleiben. Um die Wahrheit zu gestehen, ich habe nie daran gedacht, je einen Teilhaber aufzunehmen; denn ich kann das alles recht gut allein machen. Beweis: Ich betreibe dieses Geschäft seit mehreren Jahren und mit einem so guten Erfolg, dass ich ein ganz molliges Häufchen klingender Silberlinge auf die trockene Seite gebracht habe.«
»Glaube ich gern, Don Ramon«, sagte Don Gabriel. Er sagte es mit einem anerkennenden Ton in seiner Stimme, hinter dem die leise Furcht lauerte, dass Don Ramon vielleicht der
Teilhaberschaft nicht günstig geneigt sein möchte.
Don Ramon war in diesem Geschäft ein guter Menschenkenner geworden. Er hatte gelernt, die Finqueros, die keine Peones hergeben wollten, an schwachen Seiten und an wenig geschützten Flanken zu überraschen, lediglich dadurch, dass er, ehe er zu dem Geschäft kam, zwei oder drei Tage auf einer Finca herumhing, bis er den Finquero ausstudiert hatte und genügend gut die Verhältnisse kannte, unter denen der Finquero mit seinen Peones lebte. Sehr aufmerksam und rasch begreifend in allen Dingen, die seine Geschäfte angingen, hatte er die vage Furcht, die in dem Ton des Don Gabriel lungerte, blitzartig erhascht, und er nutzte sie sofort rücksichtslos zu seinem Vorteil aus. Er erhöhte den Satz, den er vorzuschlagen gedacht hatte, daraufhin um zwei Pesos fünfzig Centavos. »Freilich«, sagte er nun, »wenn Sie durchaus gemeinschaftlich mit mir arbeiten wollen, gut, aus reinem Herzensgefühl heraus kann ich einem guten Freunde, wie Sie es sind, Don Gabriel, nicht leicht etwas abschlagen. Recht, muy bien, machen wir die Sache gemeinschaftlich. Angenommen. Aber Sie werden einsehen, dass dadurch, dass ich mein Geschäft mit Ihnen teile, ich in etwas schadlos gehalten werden muss.«
»Natürlich, natürlich«, unterbrach ihn Don Gabriel eifrig, »das sehe ich ein. Ich bin ja kein Dummkopf. Jedoch im Vertrauen gesagt, Amigo mio, so viel Geld habe ich nicht. Ich kann im besten Falle vielleicht zweihundert, ja, wenn es sehr hart kommt, vielleicht zweihundertundfünfzig Pesos aufbringen, aber das ist das höchste.«
Auch dieses Geständnis fiel für Don Ramon auf fruchtbaren Grund. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass Don Gabriel ihm eine Summe für den Eintritt in das Geschäft zahlen sollte. Aber er nahm dieses Angebot auf. Nur nichts am Wege liegenlassen, wenn es einem von selbst in die Tasche springt und wie Geld aussieht. »Ja, also mein Vorschlag, den ich Ihnen machen will, ist dann so: Sie bezahlen mir für den Eintritt in das Geschäft zweihundert Pesos in bar aus. Für jeden Mann, den Sie heranbringen, geben Sie mir einen Anteil von sieben und einem halben Peso. Es bleiben Ihnen dann immer noch für jeden Mann zweiundzwanzigfünfzig. Wenn wir nun gar die Burschen in der Monteria selbst abliefern, bleiben Ihnen zweiundvierzig fünfzig bis zweiundfünfzig fünfzig. Das gilt für das erste Jahr unseres Zusammenarbeitens. Für das zweite Jahr geben Sie mir dann nur fünf Pesos Anteil für jeden Mann. Und nach Ablauf des zweiten Jahres arbeiten wir gleich und gleich, das soll heißen, jeder bekommt den vollen Betrag für jeden Mann, den jeder für sich selbst herangebracht hat, und wenn wir irgendwo zusammenarbeiten müssen, denn auch das kommt vor, dann wird genau auf die Hälfte geteilt, ganz gleich, wie viel jeder einzelne geschafft haben sollte. Einverstanden, Don Gabriel?« »Einverstanden«, sagte Don Gabriel. »Wort gegen Wort.«
»Wort gegen Wort, palabra de honor de caballero«, erwiderte Don Ramon. »Dann wären wir also einig. Wann können Sie mitmachen, Amigo?«
»Anfang nächsten Monats. Ich habe in Jovel nur wenig zu erledigen. Dann gehe ich zurück, reite gleich am nächsten Tage hinauf zum Distriktsort und gebe mein Amt zurück an den Politischen Chef. Ich werde mich in Jovel nach einem Manne umsehen, den ich dem Chef empfehlen kann. Oder mein Bruder kann das Amt übernehmen, bis der Chef jemand gefunden hat.«
13
»Abgemacht, mit allem einverstanden«, sagte Don Ramon. »Die zweihundert Pesos können Sie mir in zwei Raten geben. Fünfzig Pesos geben Sie mir sofort. Damit wird unsere Abmachung gültig. Die fehlenden hundertfünfzig Pesos geben Sie mir Anfang nächsten Monats. Wir treffen uns hier in Cahancu, wo wir unsern Plan entwerfen. Ich werde Sie in die Mysterien einweihen. Sie errichten Ihr Hauptquartier in Chiilum, von wo Sie in Strahlen nach allen Richtungen hin die Fincas und die unabhängigen Dörfer bearbeiten. Ich werde mich in Oshehuc aufbauen. Sobald wir hundert oder hundertzwanzig Mann beieinander haben, treiben wir ab. Vielleicht schon mit achtzig. Ist sicherer. Zu viele sind gefährlich. Ich erkläre Ihnen schon alle die Einzelheiten, wie das am besten gemacht wird. Darüber brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Nur keine Sentimentalitäten in das Geschäft einträufeln lassen. Rate es Ihnen von Anbeginn. Nüchtern und klar. Nackter Handel. Sie waren ja lange genug Viehhändler, um zu wissen, wie das geht. Wenn Sie auf jedes krumme Kalb hören wollten, das nach seiner Kuh blökt, weil es sonst nichts zu blöken weiß, dann gäbe es kein Kalbfleisch auf dem Markt. Der Markt ist es, worum es geht, Amigo mio. Die Leute wollen Kalbfleisch essen, und sie wollen außerdem ihre Fetzen in Mahagonischränke hängen. Wenn die Monterias keine Leute kriegen, dann gibt es keine schön polierten Mahagoniphonographen und keine Toilettentische für die Weiber. Wollte man sich um jedes blökende Kalb die Augen wischen, was sollten die Leute in ihre Töpfe tun? Wenn wir das Geschäft mit den Monterias nicht machen, dann machen es andere. Die Welt will bedient werden. Sie bezahlt dafür. Wir sind nicht verantwortlich für diese Welt. Denken Sie immer daran, und Sie haben zwanzig Leute in einer Woche. Liegen ewig beisammen. Jedes Jahr ein Kind. Wohin mit der Masse? Besser, wir holen sie und machen ein paar Pesos aus ihnen, als dass die Pest sie holt oder als dass sie sich gegenseitig erschlagen. Ich denke, ich brauche Ihnen mehr nicht zu sagen. Die Behörden haben Sie immer auf Ihrer Seite. Die brauchen Steuern, und noch mehr benötigen sie reichlich Nebeneinkünfte. Es geht ja nicht aus Ihrer Tasche. Wozu ist der verlauste Indio auf der Welt? Macht uns nur Scherereien. Er ist geboren, um zu arbeiten. Gut, machen wir ihm das Vergnügen, damit er weiß, wozu er da ist. Uns fällt auch nichts aus dem Himmel in die Tasche. Sie werden schon bald lernen, wie hart wir unsere Pesos verdienen müssen.«
Don Gabriel hörte aufmerksam zu, um sich kein Wort entgehen zu lassen. Die erste Hälfte hatte er ja schon als Sekretär gelernt. Die zweite Hälfte war leichter zu erlernen.
Er sah die große glänzende Zukunft, die vor ihm lag. Willig, beinahe freudig, übergab er Don Ramon die verlangten fünfzig Pesos als erste Einlage in das gemeinsame Geschäft.
So kostete Don Ramon der erworbene Gregorio jetzt nur noch zehn Pesos. So billig hatte er selten einen gesunden, starken und arbeitsgewohnten Indianer bekommen.
Er kaufte zwei bunte Kerzen bei einer Händlerin auf der gegenüberliegenden Seite der Plaza. Er trug die Kerzen in die Kirche, stellte sie auf dem Tischchen vor dem Bilde der Jungfrau auf, zündete sie an, achtete darauf, dass sie gut brannten, kniete nieder, bekreuzigte sich, betete andächtig eine Reihe >Ora pro nobis< herunter, bekreuzigte sich wieder, küsste seinen Daumennagel, verneigte sich vor dem Bilde dreimal, stand auf, verließ die Kirche und war sich bewusst, eine gottgefällige Handlung ausgeübt zu haben.
Gregorio hatte inzwischen das Pferd seines neuen Herrn gewaschen und ihm einen großen Haufen trockene Maisblätter vorgeworfen.
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