ERSTES KAPITEL
1
Der Politische Chef im Distrikt Ost war Don Casimiro Azcona. Wie ein jeder Jefe Politico, so war auch Don Casimiro in erster Linie auf sein eigenes Wohl bedacht. Er diente dem Vaterlande, nicht dem Vaterlande und dessen Bewohnern zuliebe, sondern um an dem Vaterlande zu verdienen auf Kosten des Volkes. In dieser Weise lässt es sich angenehmer arbeiten und, vor allen Dingen, besser leben. Kann man als Diener des Staates nicht mehr verdienen, als wenn man eine Schenkwirtschaft betreibt, so liegt durchaus kein Grund vor, warum man den Ehrgeiz haben soll, seine schönen Kräfte in den Dienst der Nation zu stellen. Nachdem er mit Erfolg zuerst an sich selbst gedacht hatte, schenkte er genügend Aufmerksamkeit seiner Familie. Darauf folgten seine intimen Freunde. Diese Freunde hatten ihm geholfen, einen Staatsposten zu erhaschen; und er musste sie sich warm halten, damit sie ihn auf jenem Posten sitzen ließen, so lange, bis einer von ihnen die Zeit für gekommen erachtete, nun für sich selbst jenen Posten zu erobern.
Alle seine Familienmitglieder, bis in das fernste Glied: Neffen, Vettern, Schwager, Onkel, Brüder, Gevattern und deren Neffen, Vettern, Schwager, Söhne und Gevattern, waren versorgt worden. Sie blieben so lange in ihren Ämtern als Steuerverwalter, Bürgermeister, Postmeister, Polizeichef, Friedensrichter, Marktkommissar, Gesundheitsinspektor, wie er sich selbst im Amte halten konnte. Darum waren sie alle auf seiner Seite, was immer er auch tat. Er mochte stehlen, soviel er wollte. Er durfte nur nicht etwa ihnen, wenn sie stahlen, mit Untersuchungen, Nachprüfungen und mit Gesetzen ankommen. Alles, was sie taten, gesetzlich oder ungesetzlich, er hatte es gutzuheißen.
Diese Art des Verwaltens des Staatswohles fing oben an der Spitze so an, ging so weiter bei den Ministerien, setzte sich so fort bei den Generalen, äußerte sich in gleicher Weise bei den Gouverneuren der verschiedenen Staaten und ging so hinunter bis zu dem Alkalden der kleinsten Gemeinde.
Das Ganze nannte man in Zeitungen und Schullesebüchern: die weise und wohlgeordnete Organisation der Republik. Da oben wenig, meist gar keine Fähigkeiten vorhanden waren, so erwartete man unten noch weniger. Die Bevölkerung war froh, dass sie leben durfte. Wenn der Nachbar unerwartet ermordet wurde, weil er sich um die Misswirtschaft der Verwaltung und um gar zu rücksichtsloses Stehlen und Bestechen der Beamten ereiferte, so waren seine nächsten Nachbarn und Freunde erfreut, dass es diesmal nicht sie selbst getroffen hatte. Die Ermordeten wurden eingegraben und waren vergessen. Man erinnerte sich ihrer nur, dass man gelegentlich sagte: »Warum musste er sich denn das Maul verbrennen?«
2
Don Casimiro hatte einen Freund, Don Gabriel Ordunez. Ursprünglich war dieser Don Gabriel Viehhändler gewesen, hatte jedoch so ziemlich alles, was er besaß, verspielt, und das, was übrig blieb, versoffen. Dann machte er einen Laden auf, bis ihm der Laden eines Tages von seinen Gläubigern wieder zugemacht wurde.
Er war ein Freund des Don Casimiro seit ihrer gemeinsamen Schulzeit. Und als er eines Tages Don Casimiro vorlamentierte, wie schlecht es ihm ginge und wie sehr er ständig vom Unglück verfolgt sei, sagte ihm Don Casimiro: »Ich werde sehen, was sich für dich tun lässt.«
Einige Wochen später, als Don Casimiro auf einer Inspektionsreise durch jenen Distrikt kam, traf er Don Gabriel irgendwo wieder an. Don Gabriel erinnerte ihn an sein Unglück, und weil Don Casimiro ein gutes Herz besaß und seine Freunde nicht leiden sehen konnte, sagte er: »Ich habe nicht viel für dich. Es ist alles besetzt. Und alle kleben wie Pech. Aber ich habe da einen kleinen Ort mit Indianern: Bujvilum. Böse Burschen da. Lassen sich nicht unterkriegen. Rebellieren gegen alles. Wenn ich Soldaten hinschicke, lassen wir stets alle Häuser niederbrennen. Aber wir können keinen erwischen. Machen sich immer rechtzeitig davon, in die Dschungel, wo wir sie nicht herausholen können. Wenn alles abgebrannt ist und wir die Maisfelder niedergelegt haben, kommen sie nach einer Weile zurück und bauen ihr Dorf wieder auf, als ob nichts geschehen wäre. Und da lassen wir sie dann wieder in Ruhe. Steuern können wir keine von ihnen kriegen. Wenn du da hinwillst, dann mache ich dich zum Ortssekretär. Eröffnest eine Schule. Und ich gebe dir die alleinige Erlaubnis, Branntwein zu verkaufen. Du machst eine Cárcel auf, ein Gefängnis. Ist die Hauptsache. Das übrige weißt du ja. Wenn du also da hinwillst, die Stelle kannst du haben. Eine andere habe ich zur Zeit nicht für dich.«
Don Gabriel war im Besitz eines guten Revolvers, und er war ein ganz vorzüglicher Scharfschütze. Weil die Indianer keine Revolver besaßen und auch keine kaufen konnten, da sie kein Geld hatten, und es außerdem streng verboten war, ihnen Revolver oder Gewehre zu verkaufen, von Vorderladern zum Jagen abgesehen, so nahm Don Gabriel die Stelle an. Er würde auch die Bewachung des kochenden Pechkessels in der Hölle angenommen haben, wenn man ihm den Posten angeboten hätte. Er saß so tief drin im eigenen Pech, dass ihm keine Wahl blieb. In ehrenhafter Arbeit einen Ausweg aus seinen wirtschaftlichen Nöten zu suchen, hatte er seit beinahe zwanzig Jahren aufgegeben. Ein Posten im Staate ist schon immer das Sicherste. Man hat nur die Augen aufzumachen und aufzuhalten, um rasch zu ergreifen, was mit der Nasenspitze irgendwo hervorlugt.
In die Einzelheiten seines neuen Amtes brauchte Don Gabriel nicht eingeweiht zu werden. Besondere Verwaltungsgesetze bestanden für jenen Ort nicht. Und hätten sie auch bestanden, Don Gabriel brauchte sich nicht darum zu bemühen, sie zu kennen, viel weniger, sie gar zu beachten. Er war ja doch ein Freund des Jefe Politico, handelte nach bestem Ermessen und nach bestem Gutdünken. Jeden Monat hatte er an den Jefe einen Report zu senden, in dem er die Zahl der Geburten berichtete, die Zahl der Todesfälle, die Zahl des Viehes. Falls er genötigt sein sollte, einige Indianer zu erschießen, so konnte er das berichten, oder er konnte es auch sein lassen. Es war nur darauf zu achten, wenn er solche Vorkommnisse meldete, dass er nicht vergaß, hinzuzusetzen, dass er sich in Notwehr befunden habe und dass der Erschossene den Gouverneur öffentlich beschimpft habe. Eine Untersuchung wurde nicht eingeleitet, weil das Geld kostete. Und außerdem, weil man von einem Sekretär, besonders wenn er ein Freund des Politischen Chefs ist und von dem für das Amt empfohlen wurde, nicht glaubt, dass er in einem Report schwindelt.
3
Bujvilum war ein unabhängiger Pueblo der Indianer. Er war bevölkert von den Bachajones, einem Stamm der Tseltales. Die Bachajones sind sehr rührige Indianer, fleißige Ackerbauer und eifrige Viehzüchter. Ihr Vieh waren Ziegen und Schafes sowie reichlich Schweine. Die Schweine lieferten ihnen Fleisch und Fett. Aus dem Verkauf der Schweine an herumziehende Aufkäufer erzielten sie das Geld für Dinge, die sie selbst nicht anfertigen konnten und die sie in den größeren Orten der Region kauften, wie Machetes, Äxte, Baumwollstoffe, Nadeln, Schießpulver und Schrot.
Aus der Wolle der Schafe fertigten die Frauen Decken, Röcke, Überwürfe, so genannte Jorongos, Haarbänder zum Einflechten, Gürtel, genannt Fajas, und viele andere nützliche Gebrauchsartikel. Da diese Sachen sehr dauerhaft waren, so vermochten sie diese selbstverfertigten Waren auf dem großen Markte von Jovel an den Tagen des Tianguis zu guten Preisen zu verkaufen. Ihre Waren fanden sich stets begehrt, und sie konnten nie genug anfertigen, um den Bedarf zu decken.
Die Erde von Bujvilum ist sehr mager. Darum war sie von den spanischen Kolonisatoren nicht gar zu gierig verlangt worden. Als Mexiko unabhängig geworden war, versuchten Ladinos, sich hier sesshaft zu machen. Aber die Indianer verstanden es gut, den Ladinos den Aufenthalt so zu verärgern, dass die Ladinos immer wieder abzogen, wenigstens die, die am Leben blieben. Außerhalb ihres Distriktes taten die Indianer wohl selten, wenn überhaupt, jemand etwas zuleide, es sei denn, dass sie ihm, aus guten Gründen, Vergeltung geschworen hatten.
Die Bachajones rebellierten gegen die Regierung und gegen Individuen immer nur dann, wenn man sie in ihrem Distrikt nicht in Ruhe ließ. Durchziehende Reisende und Händler waren im Ort sicher, wenn sie nur einen Tag und eine Nacht im Ort verbrachten.
Versuchten sie aber, ihren Aufenthalt länger auszudehnen, wurden die Indianer misstrauisch, weil sie glaubten, es möchte ein Vorwand sein, sich hier festzusetzen und anzusiedeln. War der Neuangekommene nach zwei Tagen noch immer im Ort, so wurde ihm nahe gelegt, seine Zeit sei abgelaufen und dass er gut daran täte, die folgende Nacht im nächsten Ort zu verbringen. Hörte er nicht auf die Warnung, so war er am nächsten Morgen ermordet, ganz sicher aber am darauf folgenden Tage. Seine Waren oder sonstigen Besitztümer fanden sich unangetastet im Korridor des Cabildo, wo er geschlafen hatte.
Die Regierung oder, genauer gesagt, der Gouverneur versuchten stets aufs neue, den Ort unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht, weil sie so sehr um das Wohlergehen jener Indianer besorgt waren, als vielmehr darum, weil sie von diesen fleißigen Leuten keine Steuern erheben konnten. Gouverneur zu sein ist ohne irgendwelchen Reiz, wenn keine Steuern hereinkommen. Nun, ganz ohne Steuerzahlung waren die Indianer dort ja freilich nicht. Wenn sie ein Schwein oder einige Ziegen nach einem anderen Ort brachten, um sie auf dem Markte zu verkaufen, so mussten sie ihre Marktgebühr entrichten. Außerdem erhob der Bürgermeister für jedes verkaufte Tier ein Kopfgeld, für Ziegen einen Peso und für Schweine zwei Pesos für das erwachsene Tier. Für Jungtiere weniger.
Kamen sie mit ihren Tieren durch kleinere Orte, wo sie nicht zu verkaufen gedachten, weil keine Käufer da waren oder weil die Preise schlecht waren, so erhob der Alkalde eine Gebühr von zwanzig Centavos für jedes Stück Vieh, das durch den Ort getrieben wurde. Nur selten konnten sie Orte umgehen, weil die Pfade immer nur durch Orte führten und des Busches oder felsiger Gebirge wegen Pfade nicht beliebig gewählt werden konnten. Auch wenn die Indianer ihre Waren verkaufen wollten, so mussten sie Marktgebühren bezahlen; und wenn sie kein Geld hatten, dann wurden ihnen so viele ihrer Waren abgenommen, dass die Marktgebühr überreichlich gedeckt war. Gegen diese Abgaben wendeten die Bachajones nichts ein. Jeder andere Indianer zahlte sie auch. Und sie hätten auch schon darum nichts einwenden können, weil sie in anderen Orten ebenso wenig Macht besaßen.
Dann plötzlich schickte der Gouverneur zwanzig Soldaten unter einem Offizier nach Bujvilum. Alle Männer und Jungen, die nicht rechtzeitig in die nahen Dschungel geflohen waren, wurden eingefangen, und sie mussten den Cabildo, das Stadthaus, aufbauen. Es wurde, weil anderes Baumaterial nicht zu haben war, aus Lehmfladen errichtet. Es bekam einen großen Raum, der die Amtsstube des Sekretärs wurde. Es erhielt einen zweiten Raum, der die Schulstube wurde.
Ein dritter Raum diente als Wohnung für den Sekretär, und ein vierter Raum wurde die Cárcel, das Gefängnis. Das Gefängnis war ungemein wichtig. Wie überall auf Erden. Mit dem Bauen des Gefängnisses beginnt überall die Organisation eines zivilisierten Staates.
War der Cabildo fertig, dann wurde er eingeweiht. Der neue Sekretär stiftete einige Raketen und ähnliches Feuerwerk, das unter großem Geschrei des Abends abgebrannt wurde. Er stiftete ferner ein Fässchen Branntwein, um die Indianer versöhnlich zu stimmen. Er hielt eine Rede, in der er viel von Patria und von Amor para la Patria, Vaterland und Vaterlandsliebe, sprach, und er gelobte, seine Geschäfte con Honradeza y Justicia, mit Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit, zu führen. Dann redete der Jefe der Indianer. Er versprach im Namen seines Stammes, den Sekretär in allen gerechten Handlungen mit aller seiner Macht zu unterstützen und das Wohl des Ortes und aller seiner indianischen Bewohner mit Freuden zu fördern. An den Gouverneur wurde eine Botschaft geschickt, in der von dem guten Einvernehmen, das zwischen den Indianern und dem
Vertreter der Regierung, das war der Sekretär, bestand, berichtet wurde. Der Gouverneur sandte eine Dankesbotschaft mit dem Gelöbnis, dem Ort allen seinen Schutz angedeihen zu lassen.
Dann wurde das Telefon gelegt, das den Ort mit dem nächsten Municipio, wo die Garnison lag, verband.
Die Indianer, die mit ihren Familien in die Dschungel geflohen waren, kamen zurück mit ihrem Vieh, und sie begannen ihre Felder aufs neue zu bestellen.
Es herrschte Friede, Versöhnlichkeit und Eintracht. Sobald das Telefon gelegt war, kam eine kleine Kommission, gesandt vom Gesundheitsamt, und die Indianer wurden alle geimpft und bekamen einige Dosen Quinina. Zwei Wochen darauf traten die Soldaten vor dem Cabildo an, wurden in Achtungstellung kommandiert, und dann warfen sie ihre Gewehre über die Schultern und marschierten heim zu ihrer Garnison.
4
Der Sekretär bekam fünfzehn Pesos Gehalt im Monat von der Regierung. Davon konnte er mit seiner zahlreichen Familie natürlich nicht leben. Aber die Regierung erwartete auch gar nicht, dass er von diesem Gehalte leben sollte.
Er war ja Sekretär eines Ortes, in dem fleißige und betriebsame Indianer wohnten.
Es erwartete ja auch niemand von einem Gouverneur oder von einem Polizeichef oder von einem Bürgermeister oder Steuerverwalter oder einem Richter, dass er von seinem Gehalt lebte. Auch der Politische Chef des Distriktes dachte nicht daran, dass er von seinem Gehalt leben müsse.
Der Sekretär musste nun selbst versuchen, wie er zu einem guten Einkommen gelangte. Der Politische Chef erwartete von ihm, dass er ihm reichlich von seinem Einkommen abgab, wie auch ein Polizeichef verlangt, dass alle Polizisten, die unter seinem Kommando stehen, ihm von ihren Nebeneinnahmen genügend abgeben, damit er sie in ihrem Amte lassen kann. Auf welche Weise sie auf ihre Nebeneinnahmen kommen, ist nicht seine Sache. Sie haben ja alle einen Kopf von Hause aus mitbekommen, und er hat jedem einen guten Revolver gegeben und sie mit reichlicher Autorität ausgestattet.
Und der Sekretär arbeitet und arbeitet, um sein Einkommen zu erhöhen und die Wünsche des Politischen Chefs zu befriedigen, der ihm alle zwei Wochen schreibt, dass er wieder eine Consideracion, das ist eine Auffrischung in Silber, benötigt, und wo sie bleibt. Je nach der Art, wie der Sekretär arbeitet, vergehen sechs Monate oder zehn oder sogar achtzehn in Ruhe.
Dann findet er eines Morgens seine beste Kuh erstochen. Eine Woche darauf seine letzte Kuh. Dann hat sein Pferd einen schweren Machetehieb am Bein. Dann ist eines Tages die
Telefonleitung zerschnitten. Er geht die Leitung absuchen. An einer Stelle des Weges, wo der Busch sehr dicht ist, findet er ein schönes rotes neues Wollband. Er bückt sich, um es aufzuheben, und ein Machete saust gerade noch so dicht an seinem Kopfe vorbei. Er wagt sich nicht mehr aus dem Cabildo heraus. Telefonieren kann er nicht. An einem Abend steht er, eine Zigarette rauchend, im Portico des Cabildos, um nach dem Wetter zu sehen. Als er wieder hineingehen will und gerade die Tür zuziehen möchte, kracht ein Schuss. Eine dicke Schrotkugel fährt durch seinen Hut, eine andere schlägt in die Tür.
Der Cabildo steht hundert Schritte entfernt von dem nächsten Jacal des Dorfes.
Am nächsten Morgen verladet er sich und seine Familie auf Pferde und zieht ab, um nie wiederzukommen. Keiner kommt, um sich von ihm zu verabschieden. Das Dorf ist wie tot. Aber er weiß, dass hinter den Bambusstäben der Jacale einige hundert Augen ihn abwandern sehen.
Geht er nicht, so ist er zwei oder drei oder zehn Tage später tot. Einige Wochen darauf kommen die Soldaten. Der Jefe Politico hat seit drei Monaten keinen Report bekommen und kommandiert darum die Soldaten nach dem Ort.
Die Soldaten suchen die Hütten ab. Sie finden keinen Menschen daheim. Selbst das Kochgeschirr ist fortgeräumt. Die Soldaten brennen alle Häuser nieder. Den Cabildo mit dem aufgebrochenen Gefängnis lassen sie stehen. Ihre Marschrationen haben sie aufgegessen. Und weil sie in keinem Hause auch nur eine trockene Tortilla finden, ziehen sie wieder ab. Nach einigen Monaten beschließt der Gouverneur, den Ort aufs neue unter die Kontrolle und Steuergewalt der Regierung zu bringen. Der Jefe Politico hat einen Freund, dem er ein Amt geben muss, weil der Freund ewig vom Unglück verfolgt ist und in Geldnöten steckt.
Die Soldaten kommen an und bringen den neuen Sekretär mit seiner Familie gleich mit. Aber der neue Sekretär hat keine Wohnung. Der Cabildo ist inzwischen niedergebrannt. Wo er einst stand, sprießt drahtiges Gras und keimender Busch.
Das Dorf ist wieder aufgebaut. Die Maisfelder grünen. Aber keine Menschenseele ist im Dorf, keine Ziege, kein Schaf. Kein Kochgeschirr ist in den Jacales.
Der Dschungel ist tief, dunkel und drohend. Er hat keine Pfade. Aber er hat Moräste, Tigerkatzen, Schlangen und Moskitos. Der Sergeant, der die Soldaten führt, ist Indianer. Er weiß, was Dschungel und Busch bedeuten. Er denkt nicht daran, in dem Dschungel Indianer zu fangen, um den Cabildo aufzubauen. Aber das Dorf ist wieder aufgebaut. Die Maisfelder und die Bohnenfelder grünen verheißungsvoll. Steuern winken. Der Jefe Politico, der immer und ewig in Geldnöten ist und der darum seinen Freund zum neuen Sekretär gemacht hat, kann das Dorf nicht in Frieden lassen. Er braucht das Geld, das herausgeholt werden kann, wenn der Sekretär gut auf dem Posten ist. Er schickt Botschaft in ein anderes unabhängiges indianisches Dorf, das näher der Garnison liegt. Und er befiehlt dem indianischen Jefe jenes Dorfes, zwanzig seiner Leute zu schicken, die hier, ohne dass sie für ihre Arbeit bezahlt werden, ohne dass sie ihr Essen dafür bekommen, den Cabildo aufzubauen haben. Denn der neue Sekretär braucht eine Amtsstube, eine Wohnung, eine Telefonleitung und ein Gefängnis.
Der Cabildo wird eingeweiht. Die Indianer kehren zurück aus dem Dschungel. Es werden Raketen abgebrannt und Reden gehalten, in denen viel von La Patria gefaselt wird. Die Soldaten werfen ihre Gewehre über die Schulter und ziehen ab. Nach zehn Monaten oder zwölf fliegt eines Tages an dem Kopf des neuen Sekretärs ein Machete noch gerade so haardicht vorbei. Das Dorf wird niedergebrannt. Dann wächst wieder drahtiges Gras auf der Stelle, wo der neue Cabildo mit dem Gefängnis stand, und dann kommen die Soldaten wieder.
So geht das nun seit zweihundert Jahren. Es wiederholt sich wie die lieben Jahreszeiten. Ob Revolutionen und Militärrevolten oder nicht. Ob Präsidenten ermordet werden oder ob sie nach Europa aus Gesundheitsrücksichten gehen, um nicht ermordet zu werden.
Und das alles wiederholt sich nicht darum, weil die unabhängigen Indianer Barbaren, Rebellen und Mörder sind oder weil sie sich nicht einordnen können in die Organisation eines gerecht verwalteten Staates, sondern es geschieht darum, weil Gouverneure und Politische Chefs und andere Beamte ewig in Geldnöten sind, spielen, protzen, ein Heer von Parasiten, die sich Freunde und Verwandte nennen, um sich dulden und um sich ertragen und weil sie dreimal mehr Frauen haben, als sie ernähren, kleiden und bejuwelen können.
Die Kirche haben sich die Bachajones rechtzeitig vom Nacken zu halten verstanden. Von ihr sind sie verschont geblieben, weil sie es mit den ersten Pfaffen und Mönchen ebenso machten wie nun mit den Sekretären. Indianern braucht man keinen Rat zu geben und keine Bibelsprüche einzuhämmern. Sie benötigen auch keine kommunistischen und sozialistischen Parteiprogramme. Alles, was sie wollen, ist, in Frieden gelassen zu werden.
5
Es geschah zuweilen, dass Bujvilum fünf Jahre und länger keinen Sekretär bekam. Der Ort hatte dieses Glück, wenn er vergessen wurde. Und er wurde am leichtesten vergessen, wenn sich die oberen Machthaber in den Haaren lagen.
Ein neuer Gouverneur war gewählt worden. Er behauptete, die Majorität zu haben, und trat sein Amt an. Aber sein Gegenkandidat, der unterlegen war, behauptete und bewies, dass schwere Wahlbetrügereien vorgekommen seien und dass, wenn jene Betrügereien nicht gewesen wären, er der gewählte Gouverneur sein würde.
So trat auch der Gegenkandidat sein Amt an und errichtete seine Regierung in einer anderen Stadt des Staates. Er beeilte sich, alle seine Freunde rasch einzunisten, damit sie ihn unterstützen sollten.
Der gewählte Gouverneur tat das gleiche, um ein großes Gefolge zu haben. Das beste und sicherste Gefolge ist immer das, das durch die Gefolgschaft verdient.
Weil aber unter diesen beiden neuen Gouverneuren keine Einigkeit erzielt wurde, so hielt sich der frühere Gouverneur, aus patriotischen Gründen, für verpflichtet, ebenfalls im Amt zu bleiben. Die Federalregierung, die in diesem Streit nicht untätig bleiben wollte, um nicht die Kontrolle über den Staat zu verlieren, bestimmte einen provisorischen Gouverneur, der gleichfalls sein Amt antrat.
Nun gibt es ja in Mexiko immer zwei Regierungen. Die Zivilregierung und die Militärregierung. Jeder Staat hat zwei Regenten, den Gouverneur und den Jefe de las Operaciones Militares. Dieser Jefe ist der Militärchef der Federaltruppen, die in dem Staate in Garnison liegen. Da dieser General für den öffentlichen Frieden im Staate von der Federalregierung verantwortlich gemacht wurde, so hielt er sich in diesem Falle für verpflichtet, nun ebenfalls einen provisorischen Gouverneur einzusetzen, weil er dem von der Federalregierung eingesetzten provisorischen Gouverneur das Vertrauen und damit den militärischen Schutz verweigerte. So geschah es, dass in dem Staate fünf Gouverneure zu gleicher Zeit im Amt waren, die sich alle gegenseitig bekämpften, weil keiner dem andern nachgeben wollte, jeder seinen langen Schwanz von Freunden und Verwandten hatte und jeder darauf bedacht war, die Zeit seiner Herrschaft, auch wenn sie kurz sein sollte, gut auszunutzen, um für den Rest seines Lebens von irgendwelchen Geldnöten verschont zu bleiben. Alle betonten, dass sie von reiner und uneigennütziger Vaterlandsliebe geleitet waren. Ähnliche Kämpfe kamen auch unter den Jefes Politicos zuweilen vor.
Und dies waren die Zeiten, in denen die Indianer unabhängiger Dörfer, die in fernen Regionen lagen, Frieden hatten; denn es ist ja schon bei den Hunden so: Wenn um den Schinken gekämpft wird, lässt man die Knochen vorläufig einmal in Ruhe; die Knochen kommen an die Reihe, wenn über den Schinken entschieden ist. Über den Schinken war entschieden. Diejenigen, die zu fern waren, um zu helfen, die Schinken aufzuteilen, mussten sich mit den Knochen begnügen. Und Knochen waren überall in dem weiten Lande. Jeder, der arbeitete, jeder, der produzierte, jeder, der verdiente, war ein Knochen, den bis in die Poren hinein abzunagen jeder für seine Aufgabe ansah, der einen Posten hatte. Sowohl von außen wie von innen betrachtet, gewann man den Eindruck, dass einen Posten zu haben nichts weiter bedeutete, als eine Gelegenheit zu haben, sich zu bereichern.
Eine gesetzliche Verfolgung war nur dann zu befürchten, wenn der Verdacht bestand, dass der Inhaber eines Postens der Regierung unfreundlich gegenüberstand und etwa gar von wahrer Demokratie krächzte. Das war das einzige Verbrechen, dessen sich ein Beamter schuldig machen konnte. Über alle übrigen Verbrechen und Misswirtschaften saß er selbst zu Gericht. Wo ein Gauner oben auf der Leiter sitzt, da sitzen auf allen Sprossen ebenfalls nur Gauner. Der Unterschied ist nur der, dass die einen weiter unten sitzen als die andern.
Diejenigen, die weiter unten saßen, waren die Financiers, die Fabrikanten, die Latifundienbesitzer, die Minenkompanien, die Plantagenbesitzer, die Finqueros.
6
Don Gabriel war ja kein Säugling mehr. Er wusste, wie es Sekretären in den unabhängigen Pueblos der Indianer erging. Hunderte von Beispielen waren ihm wie allen Leuten im Staat bekannt. Aber er wusste auch, ebenfalls von Hunderten von Beispielen, wie viel ein Sekretär einer solchen indianischen Gemeinde verdienen konnte, wenn er tüchtig auf dem Posten war. Und das gab für ihn den Ausschlag, den ihm angebotenen Posten mit Jubel anzunehmen.
Wie alle Sekretäre es vor ihm getan hatten, so nahm auch er sich vor, den gefundenen Knochen so rasch abzunagen, wie das nur angängig war, und sich dann ebenso rasch, ehe sich die Indianerin wilde Wut verbissen, wieder aus dem Staube zu machen. Die Indianer waren durchaus nicht böse veranlagt. Sie waren friedlich, wenn man sie in Frieden ließ. Sie waren nicht kriegerisch. Sie waren friedliche Ackerbauer. Ackerbauer sind überall friedlicher Natur, wenn man sie in ihrem Bereich nicht belästigt. Sie haben keinen anderen Wunsch, als in Frieden ihre Felder zu bestellen, ihre Familien zu erhalten, ihre Kinder großzubringen und ein ruhiges Alter zu genießen. Landwirtschaft verbietet kriegerischen Geist. Felder und Herden verkommen, wenn man auf dem Kriegspfade sein muss. Und wenn die einen auf kriegerischen Zügen die Felder ihrer Nachbarn verwüsten, so sind die Nachbarn, denen die Felder verwüstet wurden, aus Selbsterhaltungstrieb gezwungen, morgen in die Felder ihrer Angreifer einzubrechen. Abenteuerlust gebiert keine Ackerbauer. Abenteuerlust und kriegerischer Geist erwachen nur, wenn die eigene Erde den Ackerbauern nicht mehr ernährt.
Don Gabriel kannte Bujvilum, und er kannte die Bachajones. Als Viehhändler hatte er mit ihnen oft genug zu tun gehabt, und immer war er mit seinen Geschäften bei ihnen gut ins klare gekommen. Weil er wusste, die Leute waren friedlicher Natur, so hatte er auch keine Furcht, als Sekretär zu ihnen zu gehen.
7
Drei Jahre lang hatten die Bachajones keinen Sekretär gehabt. Ihr letzter Sekretär war in seinem Bett gestorben, am Fieber oder an einer Magenverrenkung. Jedenfalls war er auf eine natürliche Weise aus dem Leben geschieden. Gewiss hatte er nicht die Zeit gehabt, es so weit zu treiben, bis ihm die Bleistücke um den Kopf flogen, um ihn zu warnen, dass es nun an der Zeit sei, seine Familie und sich selbst fortzuschaffen. Seine Frau blieb noch einige Monate mit den Kindern allein dort, und sie besorgte die Amtsgeschäfte. Als sie dann ihre Tienda ausverkauft hatte, kehrte sie nach ihrem Heimatort, Shcuchuitz, zurück.
Dann war der Ort ohne Sekretär geblieben, weil der Politische Chef keinen geeigneten Mann fand, der hingehen wollte, und weil die, die hingehen wollten, kein Wort Tseltal sprechen konnten. Wie jeder Sekretär, so brachte auch Don Gabriel einen Peloton Soldaten mit sich; in diesem Falle nicht, um ihn zu beschützen, sondern weil dies für ihn das einzige Dokument war, das die Indianer lesen konnten und das besagte, dass Don Gabriel der neue und rechtmäßig eingesetzte Sekretär sei, der hier die Regierung vertreten solle.
Die Indianer, die wie immer, wenn sich Soldaten dem Ort näherten, auch diesmal im Dschungel verschwunden waren, kamen aber sehr bald hervor, als sie sahen, dass die Soldaten friedlich vor dem Cabildo ihre Gewehre zusammenstellten, ihre Campfeuer anzündeten und sich, nachdem sie abgekocht hatten, zum Schlafen niederlegten, ohne in das Dorf zu gehen und die Hütten zu durchsuchen.
Als einige Indianer als Vorposten in das Dorf zurückkehrten, kauften ihnen die Soldaten Hühner und Eier ab und bezahlten mit gutem Geld, ohne zu stehlen. Sie gingen dann, als sie ihren Kauf abgeschlossen hatten, wieder zu ihrem Lager zurück, um für den Abend zu kochen.
Am Morgen darauf hisste Don Gabriel auf einem hohen Pfahl vor dem Cabildo die Landesflagge, die Soldaten standen in Achtungstellung, und der Trompeter blies die Fahnensignale. Dann zogen die Soldaten ab.
Am Abend holte Don Gabriel die Flagge wieder ein und brannte einiges Feuerwerk ab. Branntwein brauchte er nicht zu verausgaben, weil diejenigen Männer, die ins Dorf zurückgekehrt waren, in ihren Jacales blieben.
Noch am selben Abend gingen einige Burschen in den Dschungel, um den Leuten zu sagen, dass die Soldaten fortmarschiert seien und dass nur der Nuevo Secretario mit seiner Frau im Cabildo wäre.
Am Morgen schwelte aus allen Jacales der Rauch friedlicher Herdfeuer.
Nach und nach kamen die Männer zum Cabildo, und der Jefe der Indianer führte sich bei dem neuen Secretario ein und stellte seine Delegados, seine erwählten Räte, vor.
Als sie sahen, dass Don Gabriel inzwischen schon die Tienda eröffnet hatte, begannen sie gleich einzukaufen. Ein wenig später kamen auch schon die Frauen und Kinder und kauften Salz, Nadeln, Zwirn, Süßigkeiten, Tabak, Kaffee.
Der Cabildo, nur aus dünnen Staketen gebaut, mit Lehm beworfen und einem Palmdach überdeckt, war in einem jämmerlichen Zustand.
Ohne dass Don Gabriel ein Wort gesagt hätte, kamen die Männer am Nachmittag und begannen das Haus und besonders das undichte Dach auszubessern. Sie ersetzten auch die halb verfaulte Tür des Gefängnisses durch eine neue starke hölzerne Gittertür. »Damit die Mörder und Verbrecher nicht fortlaufen können«, sagte der Jefe, als seine Männer die neue Tür heranschleppten. Don Gabriel gab jedem Manne, der an dem Cabildo gearbeitet hatte, eine Copita, ein Gläschen Branntwein, damit sie auf den Geschmack kommen sollten. Der Jefe nahm keinen, er erklärte, er tränke keinen Aguardiente, kein Feuerwasser.
Am Abend sagte Don Gabriel zu seiner Frau: »Du, der Viejo, der Cacique, trinkt nicht. Das stimmt mir nicht.«
»Er wird schon auch trinken«, sagte die Frau zuversichtlich. »Er wäre der erste, den ich kennen lerne. Biete ihm an, wenn er allein mit dir ist.«
8
Von den Einkünften aus dem Laden konnte Don Gabriel nicht reich werden. Einmal war der Laden nicht groß. Er war ein kleines Winkelchen in der Wohnstube. Von hier aus war eine Öffnung durch die Lehmwand gebrochen. Diese Öffnung wurde durch ein starkes Stück Brett geschlossen. Unten an dem Brett befanden sich zwei Schleifen aus Bast, die irgendwie so an Pflöcken in der Wand befestigt waren, dass jenes Brett herunter und hinauf geklappt werden konnte. Wenn es heruntergeklappt war, dann war die Öffnung in der Wand offen wie ein offenes Fenster. Unter das Brett wurden nun zwei Stäbe gestellt, deren oberes Ende in ausgehöhlte Nocken des Brettes fasste, damit sie nicht umfielen. Wenn das Brett heruntergeklappt war und auf jenen Stäben ruhte, so war das Brett der Ladentisch, und der Laden war offen. War das Brett hochgeklappt, so war der Laden geschlossen. Wer etwas kaufen wollte, blieb draußen, außerhalb des Hauses, vor der Öffnung stehen und wartete so lange geduldig und ohne zu rufen oder in die Hände zu klatschen, bis Don Gabriel oder seine Frau gelegentlich bemerkten, dass jemand im Laden war, wie man anderswo sagen würde.
Der Laden war wenig reichhaltig. Niemand hatte Don Gabriel auch nur auf Kredit gegeben, selbst dann nicht, als er sagte, dass er zum Secretario ernannt worden sei. Er konnte für den Ankauf von Waren nur gerade so viel anlegen, wie er bares Geld besaß. Und das war nicht viel. Einige Pesos mehr, die er sich von Freunden und von Verwandten seiner Frau hatte borgen können, waren für andere Dinge, für das Haus und die Reise draufgegangen. Nur ein Fass Branntwein wurde ihm auf Kredit gegeben, zu erheblich erhöhtem Preise und gegen einen Zweimonatsbrief, zahlbar am letzten Tage des zweiten Monats ohne besondere Präsentation oder Mahnung. Der Fabrikant des Aguardiente sicherte ihm aber zu, dass, wenn er den Brief am
Verfalltage einlöse, er in Zukunft das Feuerwasser zu dem üblichen Händlerpreis bekommen würde gegen Einmonatsbrief. Die Frau des Don Gabriel musste als Bürgschaft unterschreiben.
Aguardiente darf in Mexiko an Indianer nicht verkauft werden auf Kredit. In kleinen Orten mit reiner indianischer Bevölkerung darf überhaupt kein Branntwein verkauft werden. Aber Don Gabriel hatte ja von dem Jefe Politico eine besondere Lizenz für den Verkauf von Branntwein erhalten. Und wie der Gouverneur für den Staat, so der Politische Chef für seinen Distrikt, konnte er Gesetze aufheben oder Gesetze erlassen je nach Gutdünken oder Ermessen.
Landesgesetze sind ja ganz gut. Aber es müssen immer Beamte da sein, die den Landesgesetzen Achtung verschaffen. Und diese Beamten, die Macht und Autorität haben, Landesgesetzen Achtung zu verschaffen, sind in ihrem Bereich stark genug, die Gesetze auszulegen, abzuändern, außer Kraft zu setzen oder zu verschärfen, ganz wie es ihnen beliebt. Andernfalls hätte ja eine Diktatur keinen Sinn, und man könnte sich mit einer Demokratie oder einer konstitutionellen Monarchie abfinden. Ein Unterschied muss doch bemerkbar sein. Und der Diktator, der oben an der Spitze steht, könnte ohne gute Freunde, die unten Autorität und Macht haben, seine Diktatur nicht lange aufrechterhalten. Don Gabriel verkaufte am zweiten Tage vier kleine Gläschen. Am dritten Tage eines. Am vierten Tage keines. Am fünften Tage zwei. Am sechsten, einem Sonntag, keines.
An diesem Abend sagte Don Gabriel zu seiner Frau: »Wenn ich keinen Kredit gebe, verkaufe ich das Fass Branntwein in vier Monaten nicht, und wer in sechs Wochen meinen Schuldbrief bezahlt, das weiß ich nicht.«
»Natürlich musst du Kredit geben, Tonto, du Narr«, gab die Frau zur Antwort. »Die Burschen bezahlen schon, wenn sie Schweine verkaufen oder Mais oder Wolle.« Nach einer Woche hatte Don Gabriel einen Peso und dreißig Centavos eingenommen aus dem Laden und aus dem Verkauf des Branntweins.
Verhungern konnte er ja nicht. Er hatte sich Hühner mitgebracht und vier kleine Schweinchen.
Die Leute im Dorf waren nicht unfreundlich zu ihm. Es brachte heute einer ein Huhn als Geschenk, morgen einer ein Zickelchen, übermorgen ein anderer ein Red voll Mais, den nächsten Tag ein anderer einen dicken Buschen goldmatter Bananen. Der Jefe der Indianer hatte ihm vom Kommuneland einen Garten und ein Feld zugewiesen. Der Häuptling schickte auch gleich Burschen, die Garten und Feld für ihn bestellten. Aber was Don Gabriel brauchte, das war Geld. Mais, Hühner, Eier kann man nicht aufhäufen, wenn man nicht auf Großhandel eingerichtet ist und dem Verkehr nahe liegt. Doch wozu hatte er hier im Ort die Macht? Wenn man die Macht hat, muss man sie gebrauchen. Man muss sie rasch gebrauchen, ehe man sie verliert.
9
Zwei arabische Händler kamen auf ihrer Reise durch den Ort. Sie hatten allerlei Nützliches und eine gute Menge Überflüssiges zu verkaufen. Zündhölzer, Stickwolle in allen Farben, bedruckte Baumwollstoffe, Knöpfe, vielfarbige Haarkämme aus Zelluloid, Haarnadeln, Nähnadeln, weißes Hemdentuch, Messer, Löffel, buntbemalte Tassen aus Emaille, Schießpulver, Zündhütchen, Glasperlen, glitzernde Ohrringe und Fingerringe, kohlensaures Natron, Quinina, Heiligenbildchen mit einem Spiegel auf der Rückseite, bunte Seidenbänder, Zwirne.
Der Indianer ist nicht viel anders geartet als alle übrigen Menschen. Die Frauen lieben bunte Bänder und glimmernde Halskettchen und glitzernde Ohrringe, neben den wichtigen Dingen, die für Kleidung und für das Haus gebraucht werden, sind sie, wie alle übrigen Frauen auf Erden, immer geneigt, unzählige Dinge zu kaufen, die ihnen Freude machen oder ihnen Zufriedenheit geben oder um sich von anderen Frauen in irgendeiner Weise zu unterscheiden, um eine größere Aufmerksamkeit ihres Mannes oder ihres Erwählten auf sich zu lenken. Wie überall, so wird auch hier der Mann mit Lachen, mit Freundlichkeit oder mit Tränen und Verärgertsein veranlasst, seine Frau einkaufen zu lassen, was sie gern haben möchte. Und wie auch anderswo kauft der Mann allerlei Dinge ein, die an sich wenig von Nutzen sind, von denen er aber weiß oder glaubt, dass sie seiner Frau Freude machen oder das Herz seiner Erwählten für sein Begehren leichter öffnen. Die Händler, die mit ihren Packmules in den Dörfern der Indianer herumziehen, wissen aus langer Erfahrung, wie sie Geschäfte zu machen haben. Was sie nicht mit sich haben, können sie nicht verkaufen. Aber was sie bei sich führen, das wissen sie loszuwerden für gute Preise, ob es der Indianer gebrauchen kann oder nicht. Wie allen anderen guten Kaufleuten war es auch ihnen völlig gleichgültig, ob die Sachen, die sie zum Verkauf anboten, nützlich waren oder schundig; für sie war es nur wichtig, dass die Sachen verkaufsfähig waren und einen guten Verdienst zuließen. Reisende Händler, ganz gleich, ob Mexikaner oder Libanesen, die in einen Ort kommen, um ihre Waren zu verkaufen, gehen zuerst zum Alkalden, dem Ortsvorsteher, um sich ihm vorzustellen. Es ist eine Form der Höflichkeit. Der Alkalde fragt zuweilen nach den Lizenzen und nach den Steuerquittungen, und er sagt ihnen, dass sie keinen Branntwein verkaufen dürfen.
Die beiden Syrier kamen auch hier zuerst zu Don Gabriel. Er war zwar nicht Alkalde. Denn Alkalde war hier der von den Indianern gewählte Jefe. Aber die Händler betrachteten den Secretario als die eigentliche Autorität, und Don Gabriel würde es ihnen gewiss sehr übel genommen haben, wenn sie das nicht getan hätten. Als sie sahen, dass er einen Branntweinhandel unterhielt, nahmen sie erst einmal eine Runde, in die sie ihn selbst mit einbezogen, um die Zeche zu erweitern. Dann fragten sie ihn, ob sie im Cabildo übernachten und bei ihm essen könnten. Das gab abermals einen Verdienst für ihn.
Die beiden Händler bezahlten reichlich die Federaltaxe für das Land, sie zahlten die Staatstaxe für den Staat, sie zahlten ihre Steuer für die Municipalidad, in der sie wohnhaft waren. Sie bezahlten außerdem eine besondere Lizenztaxe für herumziehende Händler.
Don Gabriel prüfte ihre Lizenzen und Steuerquittungen nicht nach. Es war für ihn ohne Belang, was andere an den Händlern verdienten.
Er kam, als die Copitas ausgetrunken waren, gleich auf den Kern: »Hier ist eine besondere Kommunalsteuer zu entrichten; für jeden Händler jeden Tag ein Peso.«
»Aber«, wandte der eine Araber ein, »wir zahlen unsere Municipalidad-Taxe ja bereits in Jovel.«
»Was ihr Spitzbuben in Jovel zahlt, geht mich hier gar nichts an«, sagte er kurz. »Ihr wollt hier am Ort Geschäfte machen, und da müsst ihr eben Steuern bezahlen. Wenn ihr nicht bezahlt, gebe ich euch keine Erlaubnis, eure Waren hier auszulegen oder in die Häuser der Leute zu gehen, und in einer Stunde habt ihr den Ort zu verlassen.«
»Das ist aber eine Ungerechtigkeit«, sagte der andere der Händler.
Darauf antwortete Don Gabriel: »Ich bin hier el Secretario, und ich weiß darum, ob hier am Ort Steuer bezahlt wird oder nicht.« Die Araber bezahlten ihre Steuer.
»Eine Quittung brauche ich euch nicht zu schreiben«, sagte er, als er das Geld empfing. »Ich bin ja hier am Ort, und in einem anderen Ort fragt euch niemand nach einer Quittung von hier.« So hatten sie keinen Beweis, wenn sie Beschwerde hätten führen wollen. Die Beschwerde hätte auch dann keinen besonderen Erfolg gehabt, wenn sie eine Quittung hätten vorzeigen können. Diktaturen und Militär erkennen Beschwerden und das Recht zum Beschweren nicht an, und wer Lärm schlägt, wird erschossen, weil er die Ruhe stört und die Autorität verächtlich macht. Don Gabriel ließ sich aber den Fang nicht entgehen. Wenn man einen Fisch am Haken hat, muss man ihn festhalten. »Ich bekomme hier kein Gehalt«, sagte er. »Mein Gehalt ist, dass ich das Recht habe, hier einen Laden zu unterhalten und Branntwein zu verkaufen. Ihr verkauft dasselbe, was ich hier in meiner Tienda habe, und wenn ihr verkauft, kann ich nicht verkaufen. Ihr müsst mir jeder einen Peso Konkurrenztaxe für jeden Tag bezahlen, wenigstens aber jeder zwei Pesos, um meinen Schaden ein wenig auszugleichen.«
Die beiden Händler zahlten auch dieses Geld. Es ist überall so, wenn auf ein Päckchen Zigaretten ein halber Cent Steuer gelegt wird, dann verkauft der Händler das Päckchen nicht um einen halben Cent teurer, sondern um fünf Cents. >Um abzurunden<, wie er sagt. Er begründet den erhöhten Preis mit der neuen Steuer.
Hier gingen alle Waren der Händler sofort um fünfzig Prozent hoch. Die Indianer, die kaufen mussten, weil sie die Waren benötigten, bezahlten. Don Gabriel, der als Secretario die Indianer gegen Wucher und Ausbeutung schützen sollte, konnte gegen die Wucherpreise nichts einwenden, weil er ja als Autorität den Händlern die Handelserlaubnis am Ort gegeben hatte.
10
Don Gabriel war gefällig und gütig. Als er sah, dass mehrere der Indianer Hemdenstoffe und andere notwendige Dinge kaufen wollten, aber kein Geld hatten, bot er ihnen Kredit an. Ganz freiwillig.
»Du willst drei Pesos geliehen haben, Hipolito?« fragte er. »Ja, Don Gabriel, ich habe kein Hemd, und meine Mujer sagt, wir müssen einige Meter Stoff haben.«
»Du kannst gern drei Pesos haben«, sagte Don Gabriel. »Wer bürgt für dich?«
»Mein Bruder Eleoso.«
»Bring ihn her.«
»Hier bin ich«, sagte Eleoso. »Du bürgst für Hipolito?« fragte Don Gabriel. »Freilich, er ist ja mein Bruder.«
»Wann verkaufst du deine beiden Schweine, Hipolito?« fragte Don Gabriel.
»In fünf Wochen, Don Gabriel. Ich habe schon mit Do n Roberto gesprochen. Er ist der Händler, der hier immer herkommt, um Schweine und Ziegen zu kaufen.«
»Dann gibst du mir in fünf Wochen fünf Pesos, nicht wahr, Hipolito?« rechnete Don Gabriel.
»Freilich gebe ich dir dann fünf Pesos«, sagte Hipolito. »Du bürgst für die fünf Pesos in fünf Wochen, Eleoso?« fragte Don Gabriel. »Und für jede Woche mehr einen Peso mehr?« setzte er hinzu. »Freilich bürge ich für meinen Bruder«, sagte Eleoso.
»Gut, hier hast du drei Pesos.« Don Gabriel gab Hipolito das Geld, wofür er sofort Hemdenstoff kaufte.
Don Gabriel verborgte alles bare Geld, das er im Hause hatte, an die Indianer, die von den Händlern kaufen wollten. Und weil die Leute so schnell und leicht Geld bekamen, kauften sie bis zum letzten Centavo.
11
Einige Wochen darauf kamen Viehhändler. »Ihr wollt hier Vieh aufkaufen?« fragte Don Gabriel, nachdem sie einige Runden getrunken hatten.
»Natürlich, wir kommen hier regelmäßig her«, sagten sie, »wir haben hier alte Kundschaft.«
»Ihr kennt doch hier die Ortssteuer?« fragte Don Gabriel. »Wir zahlen unsere Steuer an unserem Wohnort und die Kommunalsteuer im Schlachthof.«
»Das geht mich hier nichts an, was ihr sonstwo zahlt«, sagte Don Gabriel. »Für jedes Schwein, das ihr hier aufkauft, habt ihr hier einen und einen halben Peso Steuer zu zahlen, für jedes Schaf einen Peso und für jede Ziege achtzig Centavos. Wenn ihr nicht zahlt, kann ich euch keine Erlaubnis zum Handel geben, und ich gebe den Bewohnern hier keine Erlaubnis, an euch zu verkaufen.« Die Händler hatten nun schon den weiten Weg gemacht, und sie wollten sich die Kundschaft des Ortes erhalten. Der Preis, den die Indianer für ihre Tiere bekamen, war niedriger, als sie erwartet hatten, weil die Händler die Steuer von dem Ankaufspreis herunterhandeln mussten, um auf ihre Kosten zu kommen. Die Indianer wollten zu den Preisen nicht verkaufen und sagten, dass sie die Tiere dann selbst nach Jovel treiben würden, wo sie ihre guten alten Preise sicher bekämen.
Die Händler wurden ärgerlich und wollten nichts kaufen und an anderen Orten sich umsehen. Aber wenn sie nichts kauften, dann konnte Don Gabriel die Steuer nicht erheben. Don Gabriel ließ abermals den Fisch, den er am Haken hielt, nicht entwischen.
Er rief den Jefe der Indianer zu sich. Wenn immer Don Gabriel etwas bei den Indianern erzwingen wollte, von dem er befürchtete, es könnte zu heftigem Widerspruch führen und lange erklärende Reden nötig machen, dann ließ er die anerkannte Autorität der Indianer, ihren eigenen Häuptling, entscheiden. In diesem Falle wurde er selbst nur der bescheidene Secretario, der unter der Autorität des Präsidenten des Ortes stand. Denn das eigentliche Oberhaupt der Gemeinde war stets ein Indianer, zugehörig dem Stamm, der in dem Orte seit Jahrhunderten ansässig war. Dieser Ortsvorsteher wurde von den Indianern jedes Jahr gewählt; jedes Jahr ein anderer von den angesehenen und befähigten Männern ihres Stammes. Der Secretario war lediglich nur der Vertreter der Regierung, der, weil die Indianer nicht lesen und schreiben konnten, den Verkehr des Ortes mit der Regierung aufrechterhielt. Er hatte kein Recht, etwas zu verfügen oder anzuordnen ohne Einwilligung des indianischen Jefe. So besagte das Gesetz. Und das Gesetz war so geschaffen worden nicht aus Liebe zu den Indianern und nicht aus Achtung vor ihren natürlichen Rechten, sondern weil es die einzige Möglichkeit bot, dass die Regierung mit den selbständigen Indianern in Frieden leben konnte. Militärische Expeditionen waren teuer. Und wenn es den Soldaten gelang, die Dörfer der Indianer zu zerstören, so wurden die Indianer heimatlos, bildeten Banden und zogen raubend, mordend und plündernd in den Regionen der mexikanischen Farmen und Dörfer herum, durch Niederbrennen von Haciendas und ganzen Ortschaften, durch Abschlachten alles Viehes, das sie antrafen, durch Verbrennen aller angebauten Felder, durch Zerstören der Telegraphenleitungen und Brücken, durch Mitschleppen aller Pferde und Mules, die auf den Weiden waren, so viel Schaden stiftend, dass die Regierung sich beeilte, mit den Banden Frieden zu schließen. Die Indianer zeigten gar keine Liebe, in Banden herumzuziehen. Sie zogen es vor, ruhig in ihren Dörfern, umgeben von ihren Familien, zu leben, ihre Äcker zu bestellen und ihr Vieh aufzuzüchten. Nicht nur die Regierung, sondern das ganze Land hatte nur Nutzen davon, wenn die Indianer in Frieden gelassen wurden.
Aber wenn auch das Gesetz den Indianern volle Selbstverwaltung einräumte in allen Orten, in denen die Indianer die alleinige Bevölkerung waren, so war das Gesetz nur in diesem Umfange Gesetz, wie es die Sekretäre auslegten und anwandten. Seit es Gesetze gibt, sind es immer die Auslegung und die Wirkung der Auslegung der Gesetze, die Unheil schaffen.
12
Don Gabriel konnte das, was er nun beabsichtigte, ohne die Hilfe des indianischen Jefe nicht durchführen.
»Sehen Sie, Narciso«, sagte Don Gabriel zu dem Indianer, »die Angelegenheit ist doch völlig klar. Diese neun Leute«, er nannte sie alle bei Namen, »haben sich von mir Geld geborgt, dieser so viel, der andere mehr. Sie haben mir alle Bürgen beigebracht, als ich ihnen das Geld lieh. Das Geld ist nun fällig, bei einigen schon seit einer Woche. Sie haben mir versprochen, das Geld zurückzuzahlen, sobald sie Schweine oder Schafe verkaufen. Nun sind die Händler hier, und die Leute wollen nicht verkaufen, weil ihnen die Preise nicht gefallen. Aber das ist gewiss doch nicht meine Schuld.«
»Nein, sicher nicht«, sagte der Jefe.
»Die Leute wollen auf dem Markt in Jovel verkaufen«, erklärte Don Gabriel weiter, »weil sie glauben, dort höhere Preise zu bekommen. Wenn jedoch viel Vieh aufgetrieben ist, dann sind die Preise niedriger als hier. Das ist mir freilich ganz gleich. Sehen Sie, Don Narciso«, er redete den Indianer jetzt mit Don an, um ihm zu offenbaren, dass er ihn einem Ladino für ebenbürtig halte, »sehen Sie, wenn die Leute in Jovel verkaufen, geben sie das Geld dort aus und betrinken sich noch dazu obendrein. Wie können sie mir dann das Geld zurück bezahlen, das jetzt fällig ist, und mit Bürgschaft?« Narciso ließ sofort alle die Männer, deren Namen Don Gabriel genannt hatte, von ihren Feldern herbeiholen. Er fragte jeden einzelnen, wie viel er Don Gabriel schulde, eingerechnet das, was er Don Gabriel als Zins unter Bürgschaft versprochen habe.
Don Gabriel hatte sein Büchelchen zur Hand, und er bestätigte die Summen, die jene Schuldner recht wohl im Kopfe hatten. Keiner versuchte, die Summe zu fälschen. Das taten sie nicht, weil Wort ein Wort ist und man zu seinem Wort steht. »Ihr habt doch unter Bürgschaft versprochen«, fragte Narciso, »dass ihr, sobald hier Händler in den Ort kommen, Schweine oder was ihr sonst habt verkaufen wollt, um Don Gabriel das geborgte Geld zurückzuzahlen?« Die Männer erklärten, das sei richtig, aber die Preise, die der Händler hier böte, seien viel niedriger, als er früher immer geboten und bezahlt hätte. »Daran kann ich nichts ändern«, sagte Narciso. Er wandte sich an den Händler und fragte ihn: »Warum sind denn die Preise plötzlich so niedrig? Seit Jahren sind sie nicht so niedrig gewesen.«
Der Händler suchte nach einer guten Antwort. Er sah sich um und fand, dass ihm Don Gabriel fest ins Gesicht blickte. Der Händler wollte nun sagen, dass er hier einen so hohen Betrag für jedes Stück Vieh als Gemeindetaxe zahlen müsse und dass dies der Grund sei, warum er weniger für das Vieh bezahlen könne, um es noch mit einem kleinen Gewinn an die Fleischläden verkaufen zu können. Don Gabriel ließ ihn jedoch nicht sprechen. Er sagte: »Die Steuern für die Viehhändler sind jetzt so hoch gesetzt worden, dass die Aufkäufer die alten Preise nicht mehr zahlen können.« Der Händler verstand sofort. Er durfte sich den Secretario nicht verärgern, wenn er hier Geschäfte machen wollte. Ein Sekretär kann einem Händler unter hundert Vorwänden das Geschäft so erschweren, dass der Händler weder heute noch sonst, solange dieser Sekretär am Orte ist, auch nur ein Fell kaufen kann. Was kann der Händler tun, wenn der Sekretär erklärt, dass das Vieh, das der Händler an einem anderen Orte gekauft hat und nun mit sich führt, verseucht sei und dass es sofort getötet werden müsse, um zu verhindern, dass der Ort verseucht werde? Das getötete Vieh des Händlers wird sofort verbrannt, angeblich, um eine Verbreitung der Seuche zu verhindern. Wie und wo kann der Händler beweisen, dass jenes Vieh nicht krank war? Don Gabriel wäre nicht der erste und einzige, der das und ähnliches getan hätte, wenn der Händler, oder wer sonst auch immer den Ort berührt, das Wort und die Autorität des Secretarios nicht anerkennt. Narciso, das Oberhaupt der Indianer, konnte nur nach dem urteilen, was seine Augen sahen und seine Ohren hörten. Die Leute hatten sich bei Don Gabriel verschuldet, hatten versprochen, die Schulden zu bezahlen, sobald ein Händler in den Ort käme, an den sie ihr Vieh verkaufen könnten.
Er sah ein, dass Don Gabriels Forderung zu Recht bestand und von niemand bestritten wurde. So ordnete er an, dass alle die Männer, die Schulden bei Don Gabriel hatten, ihr Vieh an den Händler zu dem Preise verkaufen müssten, den er nach seinem besten Urteil zahlen könne. Wer keine Schulden bei Don Gabriel hätte, dürfe mit seinem Vieh tun, wie es ihm gefalle.
Es waren inzwischen alle Männer des Ortes auf dem Platze vor dem Cabildo versammelt; denn die Unterhandlungen hatten sich gemächlich über einige Stunden hingezögert. Alle Männer, selbst die verschuldeten, gaben zu, dass ihr Häuptling das Urteil in diesem Streite gefällt habe, wie es recht sei. Weil keiner wusste und keiner wissen konnte, was Don Gabriel mit den Händlern unter sich verhandelt hatte, so sahen sie die Entscheidung ihres Jefe als eine durchaus gerechte an. Und da nicht der Secretario, dem keiner von ihnen traute, das Urteil gesprochen hatte, sondern ihr eigener Häuptling, so folgten sie willig, und die Händler bekamen mehr Vieh, als sie je erwartet hätten. »Wozu erst das viele Reden über die paar Pesos, die ihr mir hier abladet!« sagte Don Gabriel am Abend zu den Händlern. »Wenn ich nicht gut dahinter gewesen wäre, so hättet ihr hier nicht einen abgefaulten Ziegenschwanz mit heimgekriegt. Und nun? Seht euch das an. In keinem Ort habt ihr so viel zusammenkaufen können wie hier. Da können euch doch die paar traurigen Pesos, die für mich dabei abfallen, wirklich keinen vergeizten Kummer bereiten.«
Das Amt, das bei Beginn so kläglich ausgesehen hatte, fing an, auf jedem Grashalm Gold wachsen zu lassen. |
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