SIEBENTES KAPITEL
Unter denen aber, die am Morgen aufgestanden waren, befanden sich Urbano und Pascasio, zwei Indianer aus einem und demselben Dorfe. Sie wuschen sich gegenseitig die Striemen aus und schmierten Fett hinein, das sie sich gleich den anderen vom Koch hatten geben lassen.
Es war noch finster, und alle Burschen wurden zur Arbeit aufgerufen. Sie marschierten ab. Nur wenige Schritte waren sie gegangen, als Urbano zu Pascasio, der neben ihm ging, sagte: »Jetzt, Hermanito!«
Wie Katzen schlichen sich beide aus dem Trupp hinaus, verkrochen sich hinter den Bäumen und eilten zurück zu den Hütten. Der Capataz, der die Burschen begleitete, konnte das Verschwinden in der Finsternis nicht sehen; und hätte er es gesehen, würde er vermutet haben, dass die Burschen zurückliefen, weil sie etwas vergessen hatten.
Sie erreichten die Hütte. Dort hatten sie bereits ihre Bündelchen mit Trockenfleisch, Tortillas und gekochten Bohnen gepackt. Sie griffen die Bündelchen, rannten quer über den Platz und verschwanden im Dickicht.
»Wir müssen vom Wege abweichen und einen Umweg mache n,« riet Urbano.
»Erst gegen Mittag können sie mit Sicherheit wissen, dass wir uns fortgemacht haben«, sagte Pascasio halblaut, als fürchtete er, es könnte ihn jemand hören. »Vielleicht haben wir Glück, und sie erfahren es nicht bis zum nächsten Morgen. «
Am zweiten Tag gegen Mittag, als sie gerade einen Fluss durchwateten, hörte sie hinter sich das Rufen der zwei Capataces, die auf Pferden hinterher geschickt worden waren, um die Flüchtigen zurückzubringen.
Urbano konnte das Ufer nicht erreichen und wurde mitten im
Fluss mit dem Lasso eingefangen.
Pascasio jedoch war bereits dem Ufer näher und entwischte. Gewandt kroch er am Gestrüpp eines niedrigen Felsens hoch. La Mecha hetzte auf seinem Pferde hinter ihm her. Das Pferd aber vermochte den steilen Felsen nicht zu erklimmen, obgleich der Reiter mehrere Male versuchte, es hochzutreiben.
Pascasio war jetzt oben auf der Kuppe des Felsens angelangt. Er sah, dass, auch wenn er vielleicht auf der anderen Seite hinunterklettern und im Dickicht sich verkriechen würde, er doch nicht entkommen könnte. Er musste bald wieder auf den Pfad zurück, und dort würde er bestimmt von dem Reiter eingeholt.
La Mecha rief ihm zu, herunterzugleiten und freiwillig mit zurück zum Camp zu gehen. Pascasio gab keine Antwort. Er stand dort auf der Kuppe, abwartend, was La Mecha tun würde. Je nachdem musste er sein Verhalten einrichten, um möglicherweise doch noch zu entkommen. Als er seinen Posten nicht aufgab, stieg La Mecha vom Pferde und begann an dem Felsen hochzuklettern.
Inzwischen war nun auch El Faldon am Ufer angekommen, seinen Gefangenen am Lasso vor sich hertreibend. Er sah La Mecha am Felsen hochklimmen. Gleichzeitig bemerkte er, dass Pascasio auf der anderen Seite hinunter zu klettern versuchte. Es hätte ihm glücken können, und vielleicht hätte er einen genügenden Vorsprung gewonnen. Möglicherweise wäre es ihm sogar gelungen, das Pferd des La Mecha zu bekommen, darauf weiterzureiten, und nach einem langen Weg das Pferd wieder freizulassen; denn das Pferd zu behalten, hatte seine Nachteile, weil die Hufe leichter verfolgt werden konnten als die nackten Füße der Flüchtlinge, die nur auf lehmigem Grund ihre Eindrücke zurückliegen. Als El Faldon bemerkte, was Pascasio zu tun gedachte, band er seinen Gefangenen an einen Baum fest, so, dass er sich nicht rühren konnte. Dann lief er rasch um den Felsblock herum, mit der Absicht, dort Pascasio abzufangen.
Pascasio sah das rechtzeitig und kroch wieder auf die Kuppe, der inzwischen La Mecha sehr nahe gekommen war.
Als nun Pascasio fand, dass er nach keiner Richtung hin entweichen konnte, hob er einen großen Stein auf und warf ihn mit aller Kraft dem La Mecha auf den Schädel. Der Schädel zertrümmerte und Pascasio, nicht zufrieden damit, sprang dem abstürzenden La Mecha nach und erreichte ihn auf dem Boden. Der Stein war mit La Mecha heruntergefallen und lag dicht zur Hand. Pascasio nahm ihn auf, und was vom Schädel noch übrig geblieben war, hieb er nun auch noch in Stücke.
Dann sprang er auf und blickte um sich, seinen Freund zu suchen. Nach wenigen Schritten fand er ihn, an den Baum gebunden. Sein Machete war ihm entfallen, als er auf den Felsblock kletterte. Er ging ihn nun suchen, um die Bande seines Freundes durchschneiden zu können, denn sie aufzuknüpfen hätte zu lange gedauert.
Auf der anderen Seite hatte aber El Faldon jetzt bemerkt dass Pascasio nicht mehr auf der Kuppe war, also hier auf dieser Seite heruntergekrochen sein musste und offenbar jetzt bereits in die Hände des La Mecha gefallen war.
Er lief rasch zurück. Als er auf dieser Seite anlangte, hatte Pascasio seinen Machete gefunden und kam nun gerade auf den Baum zu, wo sein Freund angebunden war.
Als er El Faldon kommen sah, sprang er zurück zum Fels. Er hoffte, sich für einige Sekunden verbergen und dann El Faldon von hinten angreifen zu können; denn dass La Mecha bereits tot war, wusste El Faldon ja nicht.
Dicht am Fuße des Felsblocks angekommen, fiel sein Blick auf den Revolver, den der getötete La Mecha im Gurt trug. Hätte er früher an den Revolver gedacht und später an seine Machete, würde er wahrscheinlich gewonnen haben. Er sah jetzt die Gelegenheit die sich ihm bot klar genug. Mit einem heftigen Ruck zog er den Revolver heraus und wandte sich, um El
Faldon entgegenzugehen. Aber als er sich drehte, sah er vor sich El Faldon mit dem Revolver in der Hand.
Pascasio hatte nie in seinem Leben einen Revolver in den Fingern gehabt.
Er wusste nur, und selbst das nur unbestimmt dass man unten am Abzug ziehen musste, damit ein Schuss losginge.
Er packte den Revolver in beide Hände und zog am Abzug. Der Schuss ging auch wirklich los. Aber der Schuss ging viel früher los, als er erwartete. So hatte er vergessen, den Revolver auf El Faldon zu richten, und die Kugel flitschte irgendwo in das Dickicht.
Alles das konnte El Faldon freilich nicht wissen. Er nahm an, dass der Schuss ihm gälte. Darum wartete er auch nicht eine Sekunde. Er drückte ab, den Revolver auf Pascasio gerichtet.
Der Schuss traf gut. Pascasio sprang hoch, drehte sich, noch im Sprung, halb um, fiel hart zur Erde und war tot.
»Und dich sollte ich eigentlich auch gleich niederknallen«, sagte El Faldon zu Urbano, der, immer noch an den Baum gebunden, alledem hilflos zusehen musste.
»Warum tust du es denn nicht, du Coyote?« sagte Urbano frech.
»Dir werde ich beibringen, mich zu duzen, du dreckiger Hund«. El Faldon hob die Peitsche und hieb sie dem gebundenen Muchacho ein Dutzend Mal quer über das Gesicht.
»Damit du weißt, wie du Schwein mich anzureden hast«, rief El Faldon, als er die Peitsche wieder in den Gürtel steckte.
Urbano aber war, obgleich völlig wehrlos, nicht unterzukriegen. »Dich werden wir schon, auch noch erwischen, eines Tages, warte nur!« sagte er.
»Halt deine stinkige Fresse. Du gräbst jetzt die beiden ein. Du denkst doch nicht etwa, dass ich das tun werde.«
»Ich grabe nur meinen Kameraden ein, aber keinen Capataz.«
»Das werden wir ja sehen.« El Faldon begann sich unbehaglich zu fühlen. Er sah sich um und schien zu erwarten, dass im nächsten Augenblick einige andere indianische Burschen, die vielleicht geflohen waren, hinter den Büschen hervorschleichen würden.
Sehr vorsichtig band er Urbano los, jedoch so, dass Urbano keinen Angriff auf ihn unternehmen konnte. Während der Indianer noch oben an den Händen und über der Brust gebunden war, band ihm El Faldon die Beine so, dass Urbano nur gerade einen sehr kurzen Schritt machen konnte. Dann ging El Faldon hinüber, wo Pascasio tot am Boden lag, nahm ihm den Revolver ab, den der Bursche hatte fallen lassen, und steckte ihn in seinen Gurt.
Das getan, zog er seinen eigenen Revolver, spannte den Hahn, und nun endlich band er Urbano auch an den Händen und über der Brust los. Die letzte Schleife aufziehend, sprang er zurück, den gespannten Revolver auf Urbano gerichtet. »Hebe das stinkende Schwein auf und trage ihn da weiter in das Gebüsch hinein, hinter den Felsblock, damit er hier nicht im Wege liegt.«
Während Urbano tat, wie ihm befohlen, stand El Faldon einige Schritte hinter ihm und hielt das Lasso so, dass er im Augenblick, falls Urbano irgend etwas tun, würde, was dem Aufseher verdächtig erschien, er der Leine nur einen festen Ruck zu geben brauchte, um Urbano gefesselt auf die Erde zu werfen. Urbano sah ein, dass er weder entweichen noch sich wehren konnte. Als er Pascasio hinter den Felsblock getragen hatte, ordnete El Faldon an, nun auch den Körper des La Mecha nahe dorthin zu schleppen. Urbano tat es. Dann hieß ihn El Faldon eine Grube auszuwerfen. Dazu hätte er freilich den Machete gebraucht. Aber El Faldon war klug genug, einzusehen, dass, sobald Urbano den Machete in der Hand haben würde, er in einer gutgewählten Sekunde die Fesseln an seinen Füßen durchhacken und fortrennen könne. Wenn er sehr geschickt war, konnte es geschehen, dass er gleichzeitig einen Stein in der Hand hatte, und ehe El Faldon den Revolver hochschwang, ihm auch schon der Stein an den Schädel flog.
Er hieß darum Urbano, einen Ast abzubrechen. Mit Hilfe dieses Astes warf Urbano die Grube aus.
Es ging langsam und schlecht genug. Aber endlich war doch die Grube gegraben und El Faldon sagte:
»Leg La Mecha hinein.«
Urbano hob den Körper auf, zerrte ihn zur Grube und kollerte ihn, mit den Füßen nachhelfend, in die Grube.
»Kannst das wohl auch ein wenig christlicher tun«, sagte El Faldon. »Er ist kein verrecktes Schwein.«
»Das wird Gott wohl besser wissen, was er ist«, sagte Urbano.
»Tritt zurück!« kommandierte El Faldon.
Der Capataz ging nahe zu dem Leichnam, nahm den Hut ab, bekreuzigte sich und bekreuzigte den Toten. Er achtete bei dieser kurzen Handlung aber sehr gut darauf, dass er Urbano geschickt an der straffen Leine hielt.
Dann wollte er zurücktreten und Urbano die Grube zuschütten lassen, als er sich noch einer anderen Zeremonie erinnerte, die er bis jetzt vergessen hatte.
Unerwartet zog er den Lasso an, und Urbano stürzte lang auf den Boden.
»Du bleibst so liegen, bis ich dich aufstehen heiße. Wenn du auch nur den Kopf hebst, brenne ich dir sechs aufgeschlitzte Kugeln in deinen Kadaver.«
Urbano rührte sich nicht.
El Faldon, immer mit einem Auge den hingestreckten Urbano betrachtend, durchsuchte nun die Taschen des Getöteten. Er fand vier Pesos und dreiundzwanzig Centavos, die er sich einsteckte. Dann schnallte er ihm noch den Patronengürtel ab und untersuchte den nackten Bauch, ob nicht La Mecha vielleicht einen mit Geld gefüllten Gürtel auf dem bloßen Leibe trage. Er fand nichts. Keine weiteren Schätze wies der Leichnam auf. Damit war die wichtige Zeremonie, die El Faldon beinahe vergessen hätte, beendet.
»So, nun kannst du aufstehen, du Schwein!« rief er Urbano an. »Und schütte die Grube zu!«
Kaum war die Erde aufgefüllt, als El Faldon schon sagte: »Los! Wir kommen heute kaum noch an im Camp.«
»Und Pascasio?« fragte Urbano. »Soll ich den nicht auch eingraben?«
»Was denn sonst noch?« antwortete El Faldon. »Lass das Aas für die Geier und wilden Schweine.«
»Das hätte ich nur wissen sollen«, sagte darauf Urbano. »Hätte ich gewusst, dass nur der Hund eingegraben würde, dann hätte ich überhaupt keine Grube gemacht.«
»Darum habe ich dich ja auch beide hier herschleppen lassen, damit du glauben solltest, du werdest beide eingraben. Aber das dreckige verlauste Schwein bleibt liegen, wo es liegt. Hat kein christliches Begräbnis verdient. Los nun mit dir!«
El Faldon ging zu dem Pferde, auf dem La Mecha geritten war, und das er an einen Baum gebunden hatte, als er abstieg, um Pascasio auf den Felsen nachzuklettern.
»Ich sollte dich eigentlich hinter den Pferden herschleifen«, sagte El Faldon. Aber ich will mich lieber beeilen, ins Camp zurückzukommen. Verflucht noch mal, wir werden es kaum noch heute Nacht erreichen.«
Er zog den Lasso an, und Urbano sauste wie ein Klotz auf den Boden. El Faldon, den Revolver in der Hand, ging auf ihn zu und warf ihm einige Schleifen der Leine über die Hände. »Steh auf und dreh dich um!« Er band ihm die Hände auf dem Rücken, und dann löste er die Fesseln von den Füßen. Setz dich nun auf den Gaul.«
Ungelenkig wie jemand, der nie auf einem Pferde geritten ist, kletterte Urbano auf das Tier.
Inzwischen war es tiefe Nacht geworden. Der Himmel völlig mit schwarzen Wolken bedeckt. Der Weg morastig. Die Pferde kamen nur schwer voran. Mehrere Male waren sie vom Pfade abgekommen und nur mit Mühe hatten sie den Weg wieder finden können. Es waren nur die Pferde, die ihn gefunden hatten. jetzt aber begannen selbst die Pferde unsicher zu werden; denn sie stockten alle zehn Schritt und versuchten bald links, bald rechts abzubiegen, was freilich des Morastes wegen geschehen mochte; immerhin ließ es El Faldon die Gefahr erkennen, dass er sich im Dschungel verlieren mochte.
In dieser Jahreszeit war der Himmel beinahe den ganzen Tag hindurch bedeckt nur gelegentlich kam die Sonne durch, und wenn sie hindurchkam, war es nur, um die Dschungelwanderer davon zu unterrichten, dass sie nicht nur den Weg verloren hatten, sondern einen halben Tag lang in falscher Richtung geritten waren.
El Faldon beschloss deshalb, an der Stelle, wo sie sich jetzt befanden, Lager zu machen, gut oder schlecht, wie es war. Er brauchte nicht besorgt zu sein, dass Urbano fliehen würde, jetzt in der Nacht bestimmt nicht. Verhungert wäre er als Indianer wohl schwerlich, weil er genügend Pflanzen im Dschungel gefunden hätte, die ihm ein dürftiges Mahl boten. Aber es gab lange Strecken, wo er nicht einmal junge Palmen angetroffen haben würde, deren Herz er essen konnte. Aber das Essen allein war keine genügende Sicherheit für einen einzelnen Mann, um den langen Dschungel erfolgreich zu durchwandern. Es gelang El Faldon mit Hilfe Urbanos, ein Feuer anzufachen, das sie wärmte, und an dem sie ihre Fetzen, die teils durch den Fluss, teils durch die vom Regen triefenden Büsche völlig durchnässt waren, trocknen konnten.
Aber El Faldon war doch vorsichtig genug, Urbano gut zu fesseln, ehe er sich in seine Decke rollte und nahe dem Feuer zum Schlafe hinhockte. Es regnete mehrmals in der Nacht, und beide, sowohl El Faldon als auch sein Gefangener, waren froh, als es endlich Morgen war und sie ihren Marsch fortsetzen konnten.
Don Acacio und El Pechero, einer seiner Capataces, hatten sich gerade zum Essen hingesetzt, als El Faldon mit Urbano am Lasso in den Portico der Oficina trat.
»Wo ist denn La Mecha?« fragte Don Acacio.
»Erschlagen von dem Bachajon.«
»Und der Bachajon?«
»Erschossen von mir, als er auf mich schoss.«
»Also zwei Mann verloren, einen Capataz und einen Peon. Dich werde ich ja ein zweites Mal schicken, wenn wieder einer hier fortrennt. Das ist mir nie geschehen in all den Jahren, dass ich außer einem entwischten Muchacho auch noch meinen besten Capataz verliere. Mir ist nie einer entwischt.
Ich habe sie alle hergekriegt, auch wenn ich zwei oder drei Tage hinter ihnen herreiten musste. Da hast du also nur den einen mitgebracht?«
»Si, Patron.«
»He, du, komm mal hier 'rein.« rief Don Acacio zur Tür hinaus, ohne aufzustehen.
Urbano kam zur offenen Tür. Die Hände waren ihm noch immer gebunden.
»Also du wolltest mir hier ausrücken? Das ist ja gut. Bestehlen wolltest du mich.«
Don Acacio riss sich ein Stück Tortilla ab und tunkte es in die Brühe, als er das sagte.
»Ich wollte nicht stehlen, Patroncito.«
»Du schuldest mir doch noch über hundertfünfzig Pesos, und wenn du ausrückst, ohne deine Schulden abgearbeitet zu haben, dann stiehlst du doch mein Geld. Das Einbringen kostet dich
hundert Pesos mehr auf dein Konto.« »Si, Patroncito.«
»Dein companero, wie heißt er denn, ja, Pascasio, schuldete mir hundertzwanzig Pesos. Du bist mit ihm weggerannt; er ist verreckt und kann seine Schuld nun nicht runterarbeiten. Diese hundertzwanzig Pesos gehen jetzt ebenfalls auf dein Konto.«
»Si, Patroncito.«
»Mein guter Gehilfe, La Mecha, schuldete mir zweihundertdreißig Pesos. Wie er mir so viel schulden konnte, das kann ich mir nicht gut erklären. Aber immer gesoffen und gehurt, und ewig hier zwanzig Pesos und da zwanzig Pesos für französische Pillen, damit er seinen Laufburschen kurieren konnte, der ihm ewig wegrannte und nie weit genug rannte, um ihn endlich in Ruhe zu lassen. Du bist schuld, dass mir ein tüchtiger Capataz verreckte und nun von wilden Schweinen gefressen wird, und so gehen seine zweihundertdreißig Pesos auch noch auf dein Konto. Wie viel das alles zusammen ist, mag ich jetzt nicht ausrechnen. Ich esse gerade, und da will ich keine Kopfschmerzen haben. Aber das eine kann ich dir sagen, wie heißt du denn, ja, Urbano, das eine kann ich dir sagen, ehe du dieses Konto runterhast, bin ich ein Greis und du auch. Aber das macht nichts, es ist auf deinem Konto.«
»Si, Patroncito.«
»Gehe rüber zur Cocina de los obreros und lasse dir dein Essen geben. Dann wartest du. Wenn ich verdaut habe und mein Schläfchen gemacht, dann werden wir beide einmal ernstlich miteinander reden. Unter vier Augen.«
»Con su permiso, Patroncita«, sagte Urbano. Er machte eine Verbeugung und ging hinaus.
»Das ist ja hier die reine Meuterei geworden«, sagte Don Acacio zu El Pechero und zu El Faldon, der sich nun ebenfalls an den Tisch gesetzt hatte und seine Suppe zu löffeln begann. »Meine beiden Brüder sind zu gutmütig. Die haben hier die
Muchachos alle machen lassen, was sie wollten. Darum ist keine Caoba aufgeschlichtet; kein Capataz weiß, was er zu tun hat; und wir alle können uns Weihnachten in Tabasco auf die Straße stellen und Bauern um einen Centavo anbetteln, weil wir den verlausten Indianern alles Geld, das wir in langen Jahren so bitterhart verdienten, als Vorschuss gegeben haben, damit sie sich besaufen können und die paar noch brauchbaren Capataces, die ich mir persönlich herangebildet habe, mit einem gewöhnlichen Stein erschlagen. Ich werde hier schon aufräumen. Diese Gutmütigkeit mit den verlausten Schweinen hat mir nun lange genug gedauert, und wenn sie nun gar noch wegrennen und aufsässig werden wollen, dann bin ich am Ende meiner Geduld.
Jetzt werde ich einmal mit einem kräftigen Besen den Stall ausfegen. Heute noch werde ich damit anfangen.«
Urbano, nachdem er gegessen hatte, saß unter dem Dach der Arbeiterküche in einer halb ermüdeten und halb dumpfen Stimmung. Für einen Augenblick dachte er daran, abermals zu fliehen. Obgleich, er wusste, dass ihm die Flucht diesmal noch viel weniger glücken würde als das vorige Mal, wo er Pascasio zum Gefährten hatte, fand er in dem Gedanken an eine erneute Flucht eine Hoffnung auf Befreiung. Diesmal würde er sich heftig wehren, die Capataces mit Steinen oder einer Keule angreifen, nicht um zu entkommen, was aussichtslos war, sondern um, wie es Pascasio geschehen war, niedergeschossen zu werden. War er niedergeschossen, so konnte Don Acacio sich nicht mehr an ihm vergreifen, und was mit seinem Leichnam geschah, konnte ihm so gleichgültig sein, wie es jetzt Pascasio war, der nichts fühlte, ob ihn Tiger fraßen oder Schweine annagten oder Ratten beknabberten, oder ob Fliegen ihre Eier in seine Schusswunden legten.
Von der Stelle aus, wo Urbano saß, konnte er noch gerade das dahinströmende Ufer glitzern sehen.
Es schwammen abgebrochene Äste in dem lehmigen Wasser.
Wohin sie strömten, wusste Urbano nicht, denn keiner der Muchachos hatte irgendwelche Kenntnis vom Lauf des Flusses. Keiner machte sich Gedanken darüber.
Aber als Urbano dem strömenden Wasser nachblickte, kam ihm der Gedanke, dass dort, wo das Wasser hinziehe, wohl Frieden sein müsse und dort wahrscheinlich schöne Dörfer an den Ufern lägen, wo Menschen wohnten - Menschen mit guten Herzen und mit Liebe zu allen ihren Nachbarn. Der Fluss strömte eilig dahin, seine Wellen überschlugen sich, weil sie offenbar nicht rasch genug die fernen Dörfer am Rande des Himmels erreichen konnten, wo Friede war und Güte.
Vor zwei Wochen war ein Muchacho in dem Fluss ertrunken. Er hatte mit anderen Muchachos Trozas am Ufer aufgeschichtet. Als er oben auf den Stämmen stand, um die nächste Troza heraufzuziehen, begannen einige der Stämme abzurollen, und der Bursche kollerte mit einigen runden Trozas, die ihm folgten, das Ufer hinunter und fiel in den Fluss. Er konnte nicht schwimmen, wurde vom Wasser abgetrieben und in quirlende Strudel geworfen. Am nächsten Tag fand man ihn tot, eine Meile abwärts, nahe dem Ufer, wo der Körper in abgetriebenem Geäst, das sich verfangen hatte, festgehalten worden war.
Urbano hatte ihn herausfischen helfen. Er erinnerte sich jetzt, wie friedlich das Gesicht des Burschen gewesen war. Nicht eine Spur des Grauens und Schreckens, wie sie in den Gesichtern der Muchachos sich zeigten, die beim Henken oder nach einer grausamen Peitschung starben, war in den Gesichtszügen jenes Ertrunkenen zu sehen. Gewiss hatte er bereits von ferne jene friedlichen Dörfer erblicken können, denen der Fluss zueilte.
»Wenn ich mir den Stein an ein Bein binde, dann gehe ich rasch unter; dann ist alles vorüber, und kein Don Acacio kann mich noch peitschen.«
In dem Augenblick hörte er Don Acacio rufen: »He, du, wo steckst du denn? Hierher! Nun werden wir uns einmal etwas erzählen!«
Urbano war so gewöhnt zu gehorchen, dass er jeglichen eigenen Gedanken aufgab im selben Augenblick, als das Kommando eines Herrn auf ihn eindrang.
Während er mit raschen Schritten zur Oficina zulief, rief er: »A sus ordenes, Patroncito, hier bin ich, Ihren Befehlen folgend!«
Don Acacio hatte eine Zigarette im Munde, als er aus der Oficina kam. In der Hand zwitschte er eine dicke Mulepeitsche, die von vielem Gebrauch bereits auszufransen begann. Während er über den Platz schritt, wickelte er die Schleife um das Handgelenk.
Urbano war dicht herangekommen.
»So, und nun wollen wir einmal für eine Weile unter uns sein, Bachajon. Damit du lernst, dass hier nicht fortgelaufen wird, bis du den letzten Centavo deines Kontos runtergearbeitet hast.«
Von der Oficina her pfiff jemand die abgerissene Melodie des Walzers »Sobre las Olas«. Don Acacio wandte sich um und sah, dass seine Chinita, wie er seine Bettgenossin nannte, auf dem rohen Geländer des Portio saß und ihre nackten Beine hin und her schwenkte, während sie an einer Zigarre rauchte.
»Komm doch näher mit deinem Geschäft, mi Chulito!« rief sie. »Es ist so selten, dass man hier ein Vergnügen hat, und ich sterbe vor Langeweile.«
»Halt dein freches Maul und marsch, 'rein!« rief Acacio, »oder ich nehme dich gleich hinterher auch noch vor.«
»Nicht einmal das wird einem hier gegönnt; na, gut, ich bin am längsten hier gewesen«, sagte das Mädchen ärgerlich. Sie ging aber dennoch in den Bungalow.
»Komm weg von hier«, sagte Acacio zu Urbano. »Wir brauchen keine Zuschauer bei dem Geschäft, das wir beide miteinander abzumachen haben. Runter an den Fluss, wo dich niemand hören kann.«
Sie schritten die Uferböschung hinunter. Die dicke Mulepeitsche schwang vor den Augen Urbanos hin und her, und sie hob sich seltsam gegen das dahinströmende Wasser des Flusses ab. Es war ihm, als zerschnitte die Peitsche den Fluss, der den friedlichen Dörfern seiner Träume zueilte.
Aber damit erwachte in ihm auch gleichzeitig die schmerzhafte Erinnerung an die Nacht, da er mit einem Dutzend seiner Kameraden an den Füßen aufgehenkt und erbarmungslos gepeitscht wurde, weil es ihnen unmöglich gewesen war, alle Trozas in der verlangten Zeit abzuschleppen. Das war nur gerade drei Tage her. Die Striemen an seinem Körper waren noch frisch und ungeheilt. Und plötzlich bekam er entsetzliche Furcht vor den neuen Schlägen, die auf die alten Wunden fallen und ihm Schmerzen bereiten würden; Schmerzen, von denen er nicht glaubte, dass er sie werde überleben können. Diese Furcht verwandelte sich innerhalb einer Sekunde zu einer Verzweiflung, die ihm einen Mut gab, wie er ihn nie in sich gefühlt hatte; der ihm ganz fremd war, als ob er nicht zu ihm gehöre.
Etwa zehn Schritte vom Ufer entfernt stand ein dicker Baumstrunk, der durch Altersschwäche Saft und Kraft verloren hatte. Kein einziges, grünes Blatt zeigte sich an den Ästen, die mit verrenkten Gesten traurig und spukhaft in die freie Luft hineinstachen. Außer diesem abgestorbenen Baum war auf eine lange Strecke der Uferböschung hin kein anderer Baum zu sehen. Nur niedriges Gestrüpp und Gebüsch, das aussah, als ob es das nächste Hochwasser nicht werde überleben können, klebte hier und da wie zufällig hingefallen an der Böschung.
»Dort zu dem Baum!« kommandierte Don Acacio. »Da werde ich mit dir abrechnen, Bachajon, und da sind wir ohne Zeugen und ohne das gierige Glotzen der Huren, die denken, alles hier ist für uns lautere Freude und Erholung, und wir haben Geld wie Hundeschitt.«
Urbano näherte sich dem Baum.
»Gottverdammt noch mal, que chingue tu matricula, da haben wir doch den Mecate vergessen. Du bleibst ja nicht auf deinen beiden Krücken stehen, wenn ich dich nicht anbinde. Raufgesaust, und hol mir einen Lasso!«
Urbano rannte die Böschung hinauf, alle Viere gebrauchend. Zwei Minuten später kam er, den Lasso in der Hand, die Böschung wieder herunter. Auf halbem Wege zögerte er plötzlich. Das Wasser des Flusses zog so friedlich dahin. Niemand quälte es, niemand prügelte es. Er kniff die Augen schmerzlich zusammen und erinnerte sich der grausamen Prügelung in der Nacht, wo Fetzen von blutigem Fleisch herumspritzten und den Burschen in die Mäuler sprang.
Als er jetzt den nackten Baumstrunk betrachtete, dachte er, dass dieser selbe Baumstrunk in wenigen Minuten mit den blutenden Fetzen seines Fleisches besudelt sein würde.
Jetzt war er nur noch zehn Schritte von dem Baum entfernt, an dem Don Acacio gelehnt stand, sich eine neue Zigarette drehend. Drei Schritte von dem Baum entfernt, lag ein Stein, etwas größer als der Kopf eines Mannes.
Urbano stierte auf den Stein. Es kam ihm die Erinnerung an Pascasio, der einen solchen Stein aufgenommen und damit seinem Verfolger La Mecha den Schädel zertrümmert hatte. Aber gleichzeitig führte ihn der Stein zurück in die Gedanken, die er kurz vorher gehabt hatte, als er von friedlichen Dörfern träumte, denen die Wasser des Flusses zueilten. Seine Hände zuckten. Er bückte sich halb nieder, um den Stein aufzuheben und gedachte, rasch auf den Fluss zuzulaufen, im Laufen den Lasso an seinen Fuß zu binden, dann an das andere Ende den Stein zu wickeln und weit in den Fluss hineinzulaufen, bis er den Boden verliere.
Er musste es jetzt tun, noch in dieser Sekunde, sagte er zu sich, während ihm der Atem stockte und er zögernd näher zum Ufer kam. In der nächsten Sekunde wird es zu spät sein. Er musste es jetzt tun. Täte er es jetzt, dann würde der traurig aussehende Baum nicht mit seinem Blut und seinen abgerissenen und herausgerissenen Fleischfetzen bespritzt werden.
Er presste den lange zurückgehaltenen Atem in einem kurzen Stoß hervor mit einem »Si, ahora!«
»Was sagst du?« fragte Den Acacio. »Da ist ja nun endlich der Lasso. Mit dem Gesicht an den Baum, und die Hände hoch.«
Acacio zündete sich die Zigarette an, die er soeben gedreht hatte. Dem Ufer entlang blies ein Wind, der in seiner Stärke stetig wechselte. Acacio hatte bereits drei Zündfädchen angestrichen; jedes wurde ausgeblasen, sobald es an die Zigarette kam.
Er fluchte. Versuchte abermals, und abermals erlosch das Zündkerzchen. Nun trat er vom Baum einen Schritt zurück, als wolle er Platz für Urbano machen. Während er den Schritt tat, hielt er beide Hände gehöhlt vor sein Gesicht, im Innern der Hände das frisch gezündete Fädchen haltend. Er hielt seine Augen dicht auf das Ende der Zigarette und die kleine zitternde Flamme des Kerzchens gerichtet, die sich alle Mühe gab, wieder mit dem Winde zu reisen, ohne ihre Pflicht erfüllt zu haben.
Urbano, den Lasso hinreichend, sah die dicke Peitsche an Don Acacios Handgelenk baumeln.
Ohne es zu wollen, ohne auch nur zu denken, stieß er jetzt mit der Faust seines freien Armes Don Acacio gegen den Baum, so dass dessen Hinterkopf an den Stamm brummte.
Für einen ganz kurzen Moment war Urbano über seine Tat erstaunt, jedoch ebenso rasch kam ihm zur vollen Erkenntnis, dass es nun zu spät sei, seine unbewusst vollbrachte Handlung hiermit abzuschließen.
Das war Meuterei. Er würde unter entsetzlichsten Qualen für diesen Faustschlag zu Tode gehenkt werden.
Die Furcht vor der grausamen Peinigung, die ihn jetzt erwartete, war mehr als alle anderen Gedanken und Gefühle die Ursache, dass er sich nun gezwungen sah, die einmal begonnene Handlung völlig zu Ende zu führen.
Don Acacio hielt die gehöhlten Hände noch immer vor dem Gesicht, die Zigarette hatte endlich Feuer gefangen. Es war ihm nicht voll zum Bewusstsein gekommen, dass Urbano ihn gestoßen hatte. Er dachte, Urbano sei in einem Sandloch ausgeglitten und darum gegen ihn gefallen. Hätte er noch in derselben Sekunde begriffen, was wirklich geschehen war, vielleicht hätte er sich retten können.
Aber Urbano handelte so blitzschnell, wie es nur einem Indianer möglich ist, der auf nackten Füßen steht und dessen Hände und Arme in einem steten Kampf im Feld und Dschungel so geübt worden sind, dass sie keinen Fehlgriff tun, wenn sie einmal in Bewegung gesetzt sind. Sie werden hundertmal rascher und sicherer vom Instinkt geleitet, als von dem Wissen dessen, dem sie angehören.
An seinem eigenen Körper hatte Urbano gestern gelernt, wie ein Mann einen anderen an einen Baum zu fesseln vermag, ohne dass sein Opfer es verhindern kann, wenn der Mann, der den Lasso hält, einen Vorsprung von einer Sekunde hat.
Im selben Augenblick, als Don Acacio gegen den Baum prallte, die gehöhlten Hände noch vor dem Gesicht, waren diese beiden Hände auch schon geknebelt und am Baum festgezogen.
Erst jetzt kam Acacio zum Bewusstsein, was geschah. Er stieß mit dem Stiefel gegen das vorgestellte nackte Bein Urbanos. Aber Urbano hatte das vorausgesehen, weil es die einzige Bewegung war, die Acacio zu tun noch frei war. Rasch hatte er sich gebückt und seinen Unterleib zurückgeschnellt. So traf ihn der Stiefel zwar gegen das Bein, aber ohne ihn aus dem Gleichgewicht zu werfen.
Während er sich bückte, war er aber auch schon ebenso rasch mit dem Lasso um den Stamm gesprungen und hatte bereits eine Schleife über Acacios Unterschenkeln. Er zog die Schleife fest an und begann in derselben Sekunde noch oben an den Händen und unten an den Beinen Knoten zu machen und die nächste Schleife Acacio um den Hals zu ziehen und den Hals fest gegen den Stamm zu binden.
Jetzt endlich erkannte Don Acacio, dass er verloren war. Er hätte Urbano die ganze Monteria als Geschenk versprechen können, um damit sein Leben zu erkaufen, der Indianer würde darauf nicht eingegangen sein. Er war viel zu erfahren, als dass er einem Ladino auch nur ein Wort geglaubt hätte.
Für sein Schicksal war es nun gleich, ob er Don Acacio freiließ oder ob er ihn tötete. Aus diesem Grunde zweifelte Acacio nicht eine Sekunde daran, dass Urbano die Tat, die er begonnen hatte, zu Ende führen würde. Es bestand nicht einmal die Hoffnung, dass, käme jetzt ein Capataz zufällig die Böschung herunter, er gerettet werden könnte. Ehe die Hilfe nahe genug kam, war dem Gefesselten auch schon der Schädel zertrümmert oder die Kehle aufgerissen.
Jedoch, trotz seiner hoffnungslosen Lage bettelte Don Acacio so wenig um Gnade, wie die Burschen je um Gnade oder Nachsicht bettelten, wenn sie gehenkt oder gepeitscht wurden.
Obgleich er persönlich Urbano nie gepeitscht oder auch nur einmal mit den Stiefeln in den Hintern getreten hatte, wusste er doch recht gut, dass er von den drei Brüdern derjenige war, der von allen Leuten, sogar einige Capataces eingeschlossen, am meisten gehasst wurde. Er hätte sich nicht gewundert, wenn einer der Burschen, die an und für sich frech waren, wie besonders der Chamula Celso und der Boyero Santiago, der Boyero Fidel, oder intelligent und erfahren wie der Boyero Andres, ihm irgendwo im Dschungel aufgelauert und ihn hinterrücks erschlagen hätten. Aber dass ein so furchtsames und eingeschüchtertes Würmchen wie es Urbano war, ihn jetzt am Kragen hatte, und dass er von dessen stinkenden Händen ermordet werden würde, das ärgerte ihn und erboste ihn so sehr, dass er die hoffnungslose Lage, in der er sich befand, jetzt ganz und gar vergessen konnte.
Sein Mund war noch frei. Und den gebrauchte er nun. Nicht, um damit um Hilfe zu rufen. Bis an den letzten Tag seines Daseins würde er sich geschämt haben, hätte er eines dreckigen und verlausten Indianers wegen um Hilfe geschrieen. Er hätte nicht mehr einer der Herren hier sein können, denn jeder Muchacho würde hinter ihm her gelacht haben.
»Du gottverfluchter Hurensohn einer läusefressenden Hündin, was ist denn dir in deinem verblödeten Schädel eingefallen?« schrie er. »Denkst, weil du mich hier angepappt hast, ich könnte mich nicht rühren. Warte nur einen Augenblick, du stinkender Hund, und ich werde dir zeigen, wie ich loskomme. Und dann kamst du einmal anfangen, die Heilige Jungfrau im Himmel, gottverflucht noch mal, um den letzten Segen anzubimmeln. Machst du mich jetzt los, du mistiges Schwein, oder soll ich vielleicht hier noch warten bis nächste Ostern.«
Urbano bekam Angst. Obwohl er sehen konnte, dass er Don Acacio gut und haltbar gefesselt hatte, fürchtete er doch, dass sich Don Acacio, vielleicht durch irgendwelche magischen oder überirdischen Kräfte, befreien könnte. Er fühlte sich ihm gegenüber wie gegenüber einem Tiger, den er gefangen und gefesselt habe, dem er aber zutraue, dass er mit den letzten Fasern seiner Kraft und seiner Wut die Fesseln zerreißen und dann auf ihn springen würde.
Für einige Sekunden trat er unschlüssig herum. Nur wenige Schritte entfernt sah er das dahinströmende Wasser, das am sandigen Ufer entlangwusch.
Don Acacio schrie aufs neue: »Lässt du mich jetzt los oder nicht, du räudiger Hund!«
Urbano sprang nun dicht an den Stamm und zerrte Don Acacio den Revolver aus dem Gurt. Er wusste nicht, wie ihn zu gebrauchen. Er hielt ihn in beiden Händen, auf den Leib Don
Acacios gerichtet. Er zog und drückte mit seinen Fingern an der Waffe herum, aber es ging kein Schuss los, weil der Zug des Automatic nicht gespannt war.
»Und so ein blödes Vieh von einem verstinkten dreckigen Schwein will mich erschießen!« rief Don Acacio. Dann lachte er grimmig auf, als er erneut an seinen Fesseln zerrte und fand, dass er nicht loskommen konnte.
Urbano warf den Revolver in einem weiten Bogen von sich, als er einsah, dass er ihn nicht gebrauchen konnte.
Oben, in der Oficina und im Bungalow, hockten die beiden Capataces und das Mädchen des Don Acacio. Einige Bruchstücke der Stimmlaute Acacios waren zu ihnen heraufgeweht. Aber was sie hörten, war dünn und unzusammenhängend. El Faldon sagte zu El Pechero, die beide im Portica saßen: »Der hat den Burschen aber jetzt einmal kräftig beim Wickel, verflucht noch mal. Ich möchte doch nicht in dessen Fell verkrochen sein. Hör nur, wie Cacho auf ihn losbrüllt.«
»Ich werde da mal über den Rand hinunterpiepsen«, sagte das Mädchen, »vielleicht kann ich etwas sehen.«
»Sie lassen das besser bleiben, Senorita«, riet ihr El Faldon, »Don Cacho kann verflucht unangenehm werden, wenn er Sie dabei erwischt. Wir haben das hier nicht gern. Das hat Ihnen doch Don Cacho deutlich gesagt.«
»Also, nicht einmal die kleinste Unterhaltung kann man hier haben«, erwiderte das Mädchen mit einem Seufzer. »Ich wünschte, ich wäre wieder in einem guten Hause in El Carmen. Da geht's doch lustiger her.«
»Wir sind auch nicht zum Vergnügen hier, Senorita«, sagte El Pechero gelangweilt. »Teufel, ich werde mich jetzt auf das Bett legen, verflucht noch mal. Früh um drei muss ich wieder raus. Ewige Jungfrau, ich möchte doch gern wissen, warum ich hier in diese Wildnis gelangen musste, wo man nichts als reingepißten Café in den Flaschen hat, der noch dazu selten und teuer ist.« Er gähnte und ging zu dem Bungalow, wo die Capataces ihre Schlafstellen hatten.
In diesem Augenblick peitschte ein heftiger kurzer Schrei vom Fluss herauf. Aber niemand hier oben bei der Oficina kümmerte sich darum. Aus dem Dickicht kam jetzt Martin Trinidad, einer der drei Landstreicher. Er war auf dem Wege zur Oficina, um in der Geschirrhütte seine Axt gegen eine neue umzutauschen.
Er hörte den Schrei und ging nun nahe zum Rande der Böschung, legte sich hin, und kroch am Boden entlang, um nicht von unten aus gesehen zu werden. Es war nicht klug gehandelt, nahe zu gehen, wo Hiebe ausgeteilt werden. Verborgen hinter einem Gebüsch steckte er nun vorsichtig den Kopf über den Rand der Böschung. Von hier aus vermochte er das Ufer auf eine lange Strecke hin zu übersehen.
Urbano nahm den Stein auf und ging auf Don Acacio zu.
»Das wirst du nicht tun, du Hund!« rief Acacio.
»No«, sagte Urbano kurz. »Das nicht. Zu gut für dich. Zu gut für einen Ladino.«
Urbano ließ den Stein fallen. Acacio atmete auf. Nun richtete Urbano seine Augen auf etwas im Fluss, das Don Acacio, dessen Gesicht der Böschung zugekehrt war, und der auch wegen der Fesselung seines Halses den Kopf nur wenig zu wenden vermochte, nicht sehen konnte. Er sah lediglich, dass Urbano seinen Mund breit zog und in seinen Augen ein hartes Glimmern aufblitzte.
Der Bursche hob die Schultern hoch und watete, beinahe nur die Zehenspitzen gebrauchend, in den Fluss, auf eine Art, als wolle er ein Tier überraschen.
Aber das war es nicht. Im Wasser schwamm ein abgerissener Strauch, der fingerlange, eisenharte Dornen trug. Der Strauch zog rasch daher, kam näher und entfernte sich wieder.
Als wolle er einen aufgeschnellten Fisch fangen, so sprang Urbano auf den eilig dahinschwimmenden Strauch zu. Er haschte ihn gerade, als er wieder weiter vom Ufer abschwemmen wollte, um im Strudel fortgerissen zu werden.
Urbano zerrte den Strauch völlig heraus und kam mit dem triefenden Gestrüpp auf Don Acacio zu.
Er hielt ihm den Strauch dicht vor die Augen.
»Siehst du die Dornen, du Henker?« Er stülpte die Lippen auf und grinste.
»Los machst du mich, bei der Heiligen Jungfrau!«
»Ich mache dich los in einer Minute, Verdugo«, sagte Urbano, während er ein Ästchen von dem Strauch abbrach. Dann nahm er das Ästchen so in seine Hand, dass der stärkste Dorn zwischen den Fingern seiner geballten Faust lang hervorstand.
Mit breitem Grinsen sagte er, Acacio den Dorn so dicht ans Gesicht haltend, dass die Spitze ihm in die Backen stach: »Mit diesem Dorn steche ich dir deine beiden ekligen Augen aus. Du sollst nie wieder einen Burschen henken oder peitschen, und nie wieder sollst du die Sonne sehen und niemals wieder das Antlitz deiner Mutter.«
»Bist du denn wahnsinnig geworden, Muchacho?« schrie Don Acacio, bleich im Gesicht werdend.
»Wir alle, alle Muchachos sind wahnsinnig. Ihr habt uns wahnsinnig gemacht. Uns alle.«
»Dafür werden dich die Soldaten füsilieren, Man wird dir dafür den Kopf abhacken.«
»Niemand wird mich füsilieren. Niemand wird mir den Kopf abhacken. Niemand wird mich peitschen dafür. Selbst um deine Rache betrüge ich dich, du Bestie von einem Henker. Denn ich gehe dort in den Fluss, und ihr mögt mich suchen kommen. Aber dann fühle ich kein Henken mehr.«
»Bei der Heiligen Jungfrau, Muchacho, tu das nicht! Du kommst in die Hölle, Muchacho!«
Als ob er fürchte, dass er vielleicht schwankend werden könne, oder dass vielleicht in dieser Sekunde noch Acacio Hilfe kommen möchte, stieß Urbano mit einem heftigen Ruck zu.
Don Acacio brüllte einen entsetzlichen Schrei hinaus. Es war kein Schrei des Schmerzes, sondern ein Schrei des Entsetzens, des Grauens. Es war das erste wirkliche Entsetzen, das Don Acacio je in seinem Leben gefühlt hatte. Sofort, ohne auch nur erneut Atem zu holen, stieß Urbano ein zweites Mal zu. Wässriges Blut tropfte aus den Augenhöhlen, und Acacio neigte den Kopf, weil ihm das Blut in den Mund zu laufen begann. Er murmelte: »Madre Santisima, Madre de Nuestro Senor.«
Urbano blickte zurück nach oben. Er bemerkte den Kopf eines Mannes, der sich nicht regte, sondern der nur auf ihn hinuntersah.
Mit raschen Fingern öffnete Urbano den leichten Strick, der ihm als Gürtel zum Festhalten seiner zerlumpten weißen Baumwollhose diente. Er nahm den Stein auf und schob ihn in die Hose. Dann band er den Strick wieder fest. Von einem herabhängenden Ende des Lassos, mit dem Don Acacio gefesselt war, drehte er flink eine Litze los, biss sie durch und band sie sich unter dem Stein um die Hüfte.
Noch während er knüpfte, rannte er in den Fluss. Der Strudel erfasste ihn und schleuderte ihn mehrere Male um sich selbst, lange ehe er die Mitte erreicht hatte. Sein Kopf tauchte nur einmal auf.
Dann verschwand er.
Als Urbano nicht mehr zum Vorschein kam, kletterte Martin Trinidad vorsichtig die Böschung hinunter. Behutsam ging er auf Don Acacio zu und sah ihn eine Weile an.
Er blickte umher, sah den Revolver liegen, hob ihn auf und schob ihn vorn in seine Hose. Wieder kam er dicht zu Don Acacio heran und schnallte ihm den Patronengürtel ab. Don
Acacio gab keinen Laut von sich. Wahrscheinlich fühlte er nicht einmal, dass jemand an seinem Körper hantierte.
Mit dem Patronengürtel, ebenfalls in die Hose geschoben, lief Martin Trinidad eiligst unten an der Böschung ein gutes Stück entlang, bis er sich überzeugte, dass ihn niemand beobachten konnte.
Er nahm den Patronengürtel heraus, sah sich um, und grub ihn ein. Darauf lief er abermals fünfzig Schritte, sah sich die Stelle gut an, um sie nicht zu vergessen, und grub hier den Revolver ein. Das getan, kroch er an der Böschung hinauf, kam weit hinter der ersten Hütte wieder hervor und ging auf die Geschirrhütte zu, nachdem er seine Axt auf dem Wege dorthin aufgehoben hatte.
Der Junge in der Geschirrhütte rief El Faldon, um die neue Axt auszugeben.
»Wo ist die alte, die du abgibst?« fragte er Martin.
»Hier, sie ist umgebogen.«
»Natürlich«, sagte El Faldon, »habe ich mir doch gedacht. Made in Germany. Billig wie Hundeschitt auf der Gasse und wertlos wie eine zertretene Zündholzschachtel. Da, nimm die hier. Sie ist nicht gerade neu. Aber das ist eine amerikanische. Die biegt sich nicht um und springt auch nicht aus. Wie viel hast du denn heute bis jetzt geschlagen?«
»Ich glaube nicht, dass es heute drei Tonnen werden.«
El Faldon, nachdem er die neue Axt ausgegeben und in die Liste eingetragen hatte, hielt sich noch eine Weile in der Bodega auf, sah sich das Lager an, und um auch in dieser Hinsicht nicht müßig gewesen zu sein, sagte er zu dem Jungen, der hier aufräumte und, wenn er nichts anderes zu tun hatte, Äxte einfettete, damit sie nicht verrosteten, und Lassos und Riemen abrieb, damit sie nicht verpilzten und vermoderten: »Das ist hier eine gottverfluchte Dreckwirtschaft und Sauerei. Zum Teufel noch mal, was tust du denn eigentlich hier den ganzen Tag? In allen Ecken wachsen Pilze, und die Kletterhaken sind so verrostet, dass sie dünn wie Streichhölzer sind. Ich werde dich mit den Kletterhaken auf einen hohen Baum schicken, damit du dir das Genick brichst. Dann wirst du lernen, sie in Fett zu halten.«
»Was kann ich denn gegen die Pilze tun, Jefecito? Es regnet ewig und nichts wird mehr trocken. Und wenn ich kein Fett geliefert kriege, wie kann ich denn alles einfetten?« verteidigte sich der Junge.
»Halt's Maul und gib hier nicht auch noch Widerworte, wenn ich zu dir spreche, oder ich haue dir eins 'rein.«
El Faldon ging zur Tür, stand eine Weile dort und sah, dass in wenigen Minuten ein neuer schwerer Regenguss herunterstürzen würde. Er war froh, dass er nicht im offenen Camp zu sein brauchte, sondern diese Woche Dienst nahe der Oficina hatte.
Er schlenderte gemächlich hinüber zum Bungalow. Auf halbem Wege blieb er stehen. »Caray«, sagte er halblaut zu sich selbst, »Cacio gibt dem Burschen aber einmal eine lange und gründliche Salbung. Die sind nun schon eine halbe Stunde da unten.« Er wandte sich zur Böschung und gedachte nahe heran zu schlendern und über den Rand zu sehen, wie sich das Geschäft der beiden abwickelte.
Dann aber kam ihm auch gleich der Gedanke: »Was geht mich denn das an, wie er dem Halunken das Fell langsam abzieht. Froh bin ich, dass er mich nicht gerufen hat, diese Arbeit zu tun.«
Es fielen einige Tropfen, und gleich darauf strömte es auch schon so heftig herunter, dass, obgleich El Faldon nur einige zwanzig Schritte bis zum Bungalow hatte, er doch eingeweicht wurde. Er trat in den Portico und schüttelte sich das Wasser von Hut und Hemd.
»Das kommt davon, wenn man sich um Dinge kümmern will, die einen nichts angehen.«
Mit jeder Minute wurde der Regen stärker und peitschender. El Faldon bekam ein unruhiges Gefühl.
Don Acacio musste ja durch und durch eingeweicht sein, außerdem war nicht anzunehmen, dass er Urbano noch immer vorhabe.
»Verfluchte Sauerei, ich muss nun wohl doch endlich mal sehen, was die beiden da unten so lange machen«, sagte er, in den Raum hineinrufend, wo auf einem der Bettgestelle Acacios Mädchen ausgestreckt lag und in einer zerfetzten Zeitschrift herumblätterte, um eine Zeile zu finden, die sie nicht bereits vorwärts und rückwärts auswendig hersagen konnte.
El Faldon nahm seine Gummi-Capa von einem Pflock in der Wand, warf sie sich über, steckte den Kopf durch den Schlitz und stülpte sich den nassen Hut auf.
Am Rande der Böschung angekommen, sah er, dass nicht Urbano, sondern Don Acacio an den Baum gebunden war. An der Kleidung erkannte er, dass es nur Acacio sein konnte. Dessen Kopf war auf die Brust gesenkt. Das dunkelbraune lange Haar hing ihm, vom Regen triefend, weit über das Gesicht. Er rüttelte an den Banden, jedoch nur noch mit schwachen Kräften. Wahrscheinlich hatte er sich bereits seit einer halben Stunde abgemüht, um loszukommen.
El Faldon hörte ein heiseres Rufen: »Jechero, Faldon, zu allen Höllen, wo steckt ihr Flojos?« Der Regen und die Entfernung verhinderten, dass jene Rufe in der Oficina gehört werden konnten. Mit langen Sätzen sprang der Capataz die Böschung hinunter.
»Endlich kommt ja einer von euch faulen Schurken. Sauft und hurt da oben rum und lasst mich in den Händen eines Wilden.«
El Faldon band ihn rasch los und packte ihn bei den Schultern, um den in sich zusammengekrümmten Körper hochzubringen. Dabei fiel das Haar aus dem Gesicht und zurück.
»Por la Madre Santisima, Jefe, was haben Sie denn da?« El Faldon bekreuzigte sich ein halbes Dutzend Mal vor Entsetzen.
»Ja, was habe ich? Zum Teufel mit dir und frag keinen Unsinn. Die Augen hat er mir ausgestochen, dieser Wilde. Und fortgerannt ist er. Wir kriegen ihn schon. Alle Capataces und alle Pferde hinter ihm her. Gleich jetzt. Que chinguen todas las madres, ich bin nichts mehr wert, zu nichts mehr zu gebrauchen.« Dabei griff er mit der rechten Hand zurück zur Hüfte, wo er seinen Revolver wusste. Er tastete aufgeregt an seinem Gürtel herum. »Que chingue este cabron, wo ist denn meine Kanone? Auch nicht einmal der Patronengürtel ist hier. Liegt er da auf dem Sand herum?« Er fühlte mit seinen Füßen am Boden entlang.
»No, Jefe«, sagte El Faldon. »Weder die Pistola noch der Gürtel ist zu sehen.«
»Dann hat dieser verfluchte Hund auch noch meinen Revolver und die Patronen mitgenommen.«
»Scheint so, Jefe, ich sehe nichts davon hier irgendwo herum. Er wird es uns nun sauer machen mit der Pistola, wenn wir ihn erwischen und wird uns wahrscheinlich ein paar damit aufbrennen.«
»Etwa Angst vor so einem verlausten und verdreckten Indianer? Ich erwürge ihn mit meinen nackten Händen, sobald ihr ihn herbringt.«
»Er kann nicht weit sein, Jefe. Ich bin sicher, wir haben ihn in einer Stunde. Bei dem Regen kann er die Graben nicht machen, er bleibt stecken.«
Während dieser Reden führte El Faldon Don Acacio hinauf zur Oficina, wo er ihn zu einem Stuhl geleitete.
Das Mädchen kam und schrie: »Oh, du armer Mensch, oh, du armer Hombre. Ich verlasse dich nicht, jetzt nicht mehr! Diese Wilden. Sind keine Christen. Sind Wilde und Heiden.«
»Halt dein gottverfluchtes, stinkiges Maul, Hurenweib, und lasse mich in Ruhe mit deinem Geplärr. Ich habe genug andere Sorgen«, schrie Acacio erbost.
»Aber, amorcito mio, ich will dich doch nur trösten«, sagte das Mädchen und begann zu weinen.
»Ich brauche deinen Trost nicht; geh zur Hölle und lass dich da huren, von wem du willst. Raus mit dir, Hurengezottel, dreckiges.«
Das Mädchen kroch in den Nebenraum, warf sich auf das Bett und versuchte, zu wimmern und zu heulen, laut genug, damit es Don Acacio hören sollte.
»Faldon!« schrie Don Acacio wütend.
»Si, Jefe. Ich mache hier nur einen Verband fertig.«
»Schmeiß das Luder zur Tür hinaus, damit ich sie nicht mehr winseln höre. Schmeiß sie in den Fluss, damit sie hier wegkommt, so rasch wie es nur geht.«
Er stand auf, suchte nach der Comitecoflasche, tappte umher und fand jeden Gegenstand im Raum an anderer Stelle, als er ihn in seiner Erinnerung zu finden gedacht hatte. Das brachte ihn nur noch in größere Wut. Wo zum Teufel, ist denn die gottverfluchte Flasche mit der stinkenden Jauche?«
»Hier, Jefe.« El Faldon hatte die Flasche bereits in der Hand und gab sie Don Acacio, der den Stöpsel mit den Zähnen herauszog, die Flasche an den Mund setzte und einen solchen Zug tat, dass nicht ein Tropfen in der Flasche blieb. Dann warf er die Flasche in einem weiten Bogen mit aller Kraft gegen die Wand, sich nicht darum kümmernd, ob er vielleicht jemand treffen könnte.
»Was ich nicht runterschlucken kann«, schrie er, im Raum aufgeregt hin und her tappend, »ist, dass mich so ein dreckiges und verlaustes Schwein von einem braunen Biest untergekriegt hat. Das kann ich nicht runterschlucken. Daran gehe ich zugrunde.«
Er stieß sich den Kopf heftig gegen die Wand, und gleich darauf stolperte er gegen einen Stuhl, der ihm im Wege stand, und er fiel der Länge nach hin. Ohne zu überlegen, was er tat, sprang er auf und stieß sich den Kopf an der Tischecke. »Dass mir die Heilige Jungfrau vergeben möge!« schrie er, immer mehr in Wut geratend, »aber ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen, zu nichts mehr bin ich zu gebrauchen!«
»Tranquilo, Jefe, beruhigen Sie sich«, sagte El Faldon. Er kam nahe mit einigen Streifen weißen Hemdes in der Hand und einem Napf mit Wasser, in das er Aguardiente gegossen hatte.
»Setzen Sie sich hin, Jefe, hier ist der Stuhl, gleich hinter Ihnen, ich werde Ihnen die Augen verbinden.«
Don Acacio griff nach hinten, packte den Stuhl und schlug ihn gegen den Boden in Stücke. »Was tun mir jetzt die Binden noch gut!« schrie er rasend. »Hättest eine halbe Stunde früher damit ankommen sollen. Jetzt brauche ich keine mehr. Steck sie dir in den Hintern.«
Er tastete sich in den Raum, wo er sein Bett hatte und wo auf dem zweiten Bettgestell sein Mädchen lag und winselte.
»Bist du gottverfluchte Hure denn immer noch hier? Habe ich dir nicht gesagt, dass du deinen syphilitischen Kadaver im Fluss ersaufen sollst, damit du hier aus dem Wege kommst! Wird es bald, Hure.« Er hob die Faust und ging auf ihr Bett zu.
Das Mädchen duckte sich und rutschte aus dem Raum hinaus, ohne von ihm getroffen zu werden. Er merkte, dass sie ihm entwischt war. Damit kam ihm nur um so mehr ins Bewusstsein, wie hilflos er war.
»Ich kann der Hure nicht einmal mehr in die Fresse schlagen, wenn sie es verdient hat. Und dabei soll ich am Leben bleiben? Zu nichts bin ich mehr zu gebrauchen. Sogar eine so dreckige Hure kann mich anpissen, und ich muss es über mich ergehen lassen. Hunde werden mich auch noch anpissen, wenn ich an einem Baum stehe und warte, dass mich einer führen soll. Zu nichts mehr zu gebrauchen, zu nichts mehr. Und nur eines so verlausten Bachajon wegen!«
Er tastete sich wieder zur Tür.
»Was habt ihr beide denn da zu flüstern?« rief er in den ersten Raum hinaus, wo El Faldon und das Mädchen leise berieten, wie sie ihn beruhigen und ins Bett bringen könnten. Das Mädchen, seine Raserei wohl verstehend, war nicht beleidigt. Sie war im Ernst darauf bedacht, ihm jetzt eine Stütze zu sein.
»Bist wohl schon über sie her?« rief Don Acacio erbost, El Faldon meinend. »Freilich, ich bin ja zu nichts mehr zu gebrauchen. Und im selben Raum, wo ich bin, hurt ihr beide, und ich kann nichts dagegen machen. Lacht mir beide frech ins Gesicht, treuloses Gesindel, das man um sich hat.«
»Aber, Cachito, amorcito mio«, sagte das Mädchen weich und kosend, »ich liebe dich und bleibe bei dir, immer wenn du willst.«
»Aus Gnade und Mitleid, Hure!« rief Don Acacio. »Ich brauche dein Mitleid nicht. Wo ist die Flasche?«
»Mi vida«, sagte das Mädchen, »du hast nun genug getrunken. Willst du dich denn nicht niederlegen? Komm, ich helfe dir!«
»Komme mir nicht zu nahe, oder ich erwürge dich, du Kröte!«
»Gut, erwürge mich!« sagte das Mädchen näher kommend. »Erwürge mich, wenn dir das gefällt. Hier bin ich!«
Don Acacio hörte sie näher kommen und warf ihr die Tür ins Gesicht, so dass er im Schlafraum allein blieb. Er legte von innen den Balken quer über die Tür.
Das Mädchen und Faldon lauschten dicht bei der Tür und hörten, dass er zum Bett stolperte und sich dort hinsetzte.
»Gracias, Santisima«, flüsterte das Mädchen, »er legt sich hin
Wenn er ausgeschlafen hat, beginnt er sich daran zu gewöhnen und sieht das alles mit anderen Augen an.«
Faldon gluckste in der Kehle.
Das Mädchen verbesserte sich: »Ich meine, er wird dann ruhig werden und begreifen, dass ein Mensch auch so leben und rech glücklich sein kann.«
Sie entfernten sich von der Tür und begannen den Raum in Ordnung zu bringen.
»Sie müssen nun wohl zu Don Felix reiten, Senor«, sagte da Mädchen, »und ihm die Nachricht bringen, oder ist Don Severo näher?«
»Don Felix ist im Hauptcamp und von hier ist das näher. Heut ist es zu spät. Kein Mond und alles versumpft. Ich bleibe stecken. Aber gleich morgen früh.«
Im Bettraum krachte ein Schuss. Faldon brach durch die Tür. Sie fanden Don Acacio mit einem Schuss im Kopf vor dem Bett hingekauert.
»Por Jesu Cristo!« rief das Mädchen mit Entsetzen aus. »Wie ist er denn zu dem Revolver gekommen? Ich habe doch so aufgepasst, dass kein Revolver hier in der Oficina herumhing.«
Faldon stieß die Kiste an, die rundherum mit Blech beschlagen war, und die geöffnet neben dem hingesunkenen Don Acacio stand. In der Kiste waren Briefe und Dokumente, einige Bücher und einige Säckchen mit Geld. Es waren noch zwei andere Revolver in der Kiste, beide geladen. Und auch noch sechs Pappschachteln Patronen.
»Also darum hat er sich aufs Bett gesetzt«, sagte das Mädchen. »Nur um die Kiste vorzuziehen und den Revolver zu bekommen. Wie konnte ich denn wissen, dass er darin Revolver aufhebt. Ich habe nie in seinen Sachen herumgewüh1t, solange ich ihn kenne. Und ich bin nun seit zwei Jahren bei ihm. Sie können mir glauben, Senor, ich habe ihn geliebt.«
Sie kniete nieder, streichelte sein Gesicht, küsste ihn und half Faldon, den Leichnam aufs Bett zu legen.
»Ich habe ihn geliebt«, wiederholte und wiederholte sie. »Ich habe ihn geliebt und geliebt, seit ich ihn kannte.« Sie begann heftig zu weinen und warf sich vor dem Bett auf die Knie, seine Hände küssend.
Faldon war hinausgegangen.
Endlich raffte sie sich auf, brachte Wasser und ein Handtuch und begann das Gesicht Don Acacios zu waschen. Sie faltete die Hände über der Brust, kettete ihr Kreuz ab, das sie auf der Brust trug, und gab es ihm in die Hände. Dann rückte sie das Bett in die Mitte des Raumes, suchte einige Kerzen, stellte sie in Klumpen aus nassem Lehm zu Häupten und Füßen des Toten auf, zog ein schwarzes Tuch tief über ihren Kopf, rückte einen Stuhl dicht zum Bett, nahm von der Wand den Rosenkranz, und unter Weinen und Schluchzen begann sie zu beten, die Perlen gedankenlos herunterzählend. |
Hinweis: Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen. Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist nicht gestattet.
| |