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B. Traven - Die Rebellion der Gehenkten (1936)
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FÜNFTES KAPITEL

Es war tiefe Nacht, als die neue Mannschaft im Camp Sur anlangte. Die Leute, völlig erschöpft von dem langen Marsch durch den Dschungel und von dem Waten in dickem und zähem Morast, liegen nicht nur ihre Packen, sondern auch ihre eigenen Körper zu Boden fallen, um liegenzubleiben, wo sie waren. Erst eine halbe Stunde später begannen sie nach Essen zu suchen. Der Koch sagte, dass er nichts für sie habe, und wenn sie selbst nichts mitgebracht hätten, dann müssten sie bis morgen warten, ehe er ihnen zu essen geben, könne; außerdem sei er selbst müde und habe jetzt keine Lust, noch mehr zu arbeiten, und wo denn die Köchin sei, die ihm versprochen worden war. Der Capataz La Tumba, der den Trupp hergeleitet hatte, sagte, die Köchin werde sich morgen bei dem Koch einfinden, jetzt sei sie bei ihrem Bruder.
Die Angekommenen zündeten Feuer an und wärmten sich die wenigen Bohnen auf, die sie vom Marsch übrig behalten hatten.
Einige der Burschen, die in diesem Camp bereits seit Monaten arbeiteten und in der Nähe der Küche herumstanden, kamen herzu, um sich die Neuen anzusehen. Vielleicht waren Bekannte darunter. Sie setzten sich zu den Feuern, zündeten sich ihre Zigarren an und sahen zu, wie sich die Neuen ihr mageres Mahl bereiteten.
»Dabei werdet ihr gewiss nicht fett«, sagte einer zu der Gruppe, bei der er sich hingesetzt hatte.
»Man kann nur essen, was man hat«, war die Antwort.
»Ist Don Felix mit euch gekommen?«
»Nein, er ist im Hauptcamp geblieben, nach den Geschirren zu sehen und den neuen Proviant zu verrechnen, der in dieser oder der nächsten Woche erwartet wird.«
»War einer von euch schon einmal in einer Monteria?« fragte ein anderer.
»Ich nicht«, gab einer müde zur Antwort, »und ich denke auch nicht dass ein anderer hier von unserer Kolonne die Bekanntschaft gemacht hat.«
Santiago, einer der Ochsenknechte, lachte laut auf. »Bekanntschaft gemacht. Verflucht, das ist gut gesagt. Bekanntschaft gemacht. Junge, Junge, hier werdet ihr Bekanntschaften machen mit Höllen und Teufeln.«
Darauf war es eine Weile still unter den Leuten. Die Alten rauchten, und die Neuen warteten, dass ihre Bohnen und ihr Kaffee heiß werden sollten.
Die neuen Leute, die herumsaßen, blickten plötzlich auf, als hätten sie das Fauchen eines Tigers vernommen.
»Was ist denn das, da weiter drin im Gebüsch, da drüben?« fragte Antonio, ein Indio von Sactan, seine Ohren gespitzt haltend wie ein wachsamer Hund.
»Meinst du vielleicht das Wimmern, Winseln, Klagen und Gurgeln, das da aus jenem Gebüsch am Fluss kommt?« fragte Santiago, zog die Augenbrauen hoch und griente.
»Ja. Es hört sich an, als ob Tiere gequält werden und man ihnen die Mäuler zugebunden hat.«
»Was hast du doch für ein feines Öhrchen!« spottete Santiago. »Ich bin gewiss, du kannst einen Floh hören, wenn er den Zapateado auf einem abgeschlissenen Seidenfetzen tanzt. Aus dir kann etwas werden mit solchen feinen Ohren. Du hast richtig gehört, Muchacho.«
»Sehr richtig gehört«, mischte sich Matias ein. »In der Tat, da werden Tiere gequält, und man hat ihnen die Mäuler zugebunden, damit man ihr Schreien nicht hört. Denn ihr Schreien könnte Acacio, der sich jetzt gerade zu seiner fetten, schiefnasigen Cristina gequetscht haben wird, ärgern. Himmel, was ist das Luder fett, aber sie hat sicher einen weichen Ursch, und er wird schon wissen, warum er sie überall mit sich herumschleppt und ihr halbe Kisten parfümierte Seife kauft, wenn der Türke ankommt.«
»Und wozu werden denn die armen Tiere so gequält?« fragte Antonio.
Die alten Boyeros brüllten ein kurzes Lachen heraus, das wie ein stumpfes Husten klang.
»Die armen Tiere!« sagte Santiago. »Ja, die armen Tiere werden grausam gequält, und das ist es, warum sie so jammern und winseln mit zugebundenem Maul.« Er lachte wieder.
»Seid keine weißen Lämmlein«, erklärte nun Pedro den neuen Leuten. »Tiere, arme Tiere! Es sind keine Tiere, die da gequält werden und wimmern, ihr Esel. Es sind zwanzig Schläger, Hacheros, die da wimmern. Sie sind gehenkt für drei Stunden oder vier, weil sie heute, gestern und vorgestern keine vier Tonnen schaffen konnten. Was vier Tonnen bedeutet, werdet ihr in drei Tagen lernen. Zwei Tonnen täglich ist die kräftige Leistung eines geübten Schlägers, der stark ist wie ein Ochse. Und nun verlangt der stinkige Hund Acacio vier Tonnen, und wer sie nicht schafft, henkt die halbe Nacht, zusammengeknotet nicht an allen Vieren, nein, gleich an allen Fünfen damit auch ja nichts vergessen wird, und den Kopf mit eingequetscht Und dann die Moskitos herum, gerade da am versumpften Dreck und rote Ameisen in ganzen Völkern. Ich brauche euch wohl nicht mehr darüber zu erzählen. In einer Woche wisst ihr mehr darüber, aus eigener Erfahrung. Dann seid ihr eingeweiht in die Geheimnisse einer Monteria, die den Gebrüdern Montellano gehört, und seid Soldaten des Regimentes der Colgados, der Gehenkten.«
»Ich habe geglaubt, dass hier nur gepeitscht würde, wie auf den Fincas oder wie in den Campos, wo die Rebellen hingeschickt wer den, um dort zu verrecken, weil sie das Maul aufrissen gegen einen Jefe Politico oder sich beschweren wollten gegen Geldstrafen oder Zwangsarbeit.« Martin Trinidad schien weltliche Erfahrung zu haben. Er war einer der drei Verlumpten, die sich der Kolonne au dem Wege angeschlossen hatten und ohne abgestempelten Vertrag geblieben waren. Auf dem ganzen, drei Wochen dauernden Marsch durch den Dschungel hatten diese drei Vagabunden kaum ein Wort mit ihren Gefährten gesprochen. Die drei waren immer zusammen und sprachen nur unter sich, ohne scheinbar je einen anderen ihre Weggenossen zu beachten. Jetzt, zum ersten Male, seit sie der Kolonne angehörten, sprach einer von ihnen, Martin.
Santiago sah ihn mit halb zugekniffenen Augen an, zugleich ein wenig misstrauisch, als betrachte er ihn mit der Vorsicht, die der ehrliche Arbeiter gegenüber einem Spitzel hat.
»Wo bist du denn her, Hombre?« fragte er ihn.
»Yucatan.«
»Gottverflucht, das ist sehr weit her. Wie kommst du denn hier her? Fugitivo? Ausgebrochen?«
»Ausgerückt, manito, lass uns sagen.« »Ja, lass uns das so sagen. Und wenn du dreimal gehenkt sein wirst, dann werde ich dir alles glauben, was du mir erzählst. Denn siehst du, Brüderchen, wer hier nicht gehenkt wird und nicht gepeitscht, bei dem ist etwas nicht in Ordnung. Nur ausgepeitscht, verdammt noch mal, da kannst du uns immer noch etwas vorheucheln. Aber gehenkt, gut und vorschriftsmäßig gehenkt, so wie es El Rasgon, La Mecha und El Faldon verstehen, da hört das Heucheln auf, da macht keiner mehr mit, der nicht ganz sauber auf der Brust ist. Ich denke, du weißt, was ich meine und wie ich es meine. Celso und Andres werden ja noch mit dir und deinen beiden dicken Freunden das Kreuzverhör vornehmen, damit wir wissen, wem du angehörst. Bange hat niemand hier, und wir schneiden dir in einer schönen, heißen Sommernacht so schön und lieblich die Kehle durch, nur zwanzig Schritt von der Schlafhütte entfernt, dass du gar nicht spürst, wie die stinkige
Seele eines Denunciante zur Hölle saust. Siehst du, es tut uns nichts. Wir werden nicht erschossen, denn das kann sich hier niemand erlauben, der von uns jeden Tag vier Tonnen haben möchte. Ein Erschossener kann keine Bäume mehr schlagen. Wir können nur gehenkt werden. Und daran sind wir nun bald so sehr gewöhnt, dass es nichts mehr hilft. Es gab eine Zeit, da wurden wir gepeitscht, wenn wir nicht mehr als zwei Tonnen hatten. Auch daran gewöhnten wir uns. Es half nichts mehr. Im Gegenteil, es wurde jeden Tag weniger als zwei Tonnen und immer weniger. Dann kamen die Montellanos mit ihrer neuen Erfindung, dem Henker. Das ist nur grausam, entsetzlich grausam, so lange du gehenkt bist. Am nächsten Tag kannst du wieder arbeiten, und schaffst vier Tonnen. Kriechst raus aus deiner Hütte drei Stunden vor Sonnenaufgang und wieder hinein, müde wie ein Stein, vier Stunden nach Sonnenuntergang. So gut hat dir das Henken getan, dass die Erinnerung daran, die Erinnerung allein, und die Furcht, noch einmal gehenkt zu werden, es dir möglich macht, vier Tonnen zu schaffen, wenn bereits eine Tonne dir das Fell von den Händen schält als wäre es nur mit Spucke aufgeklebt. Aber, wir sind nun gerade so dicht dabei, dass auch das Henken nicht mehr fruchtet. Den Celso können sie schon nicht mehr mit Henken mürbe kriegen. Wenn er vier Stunden gehenkt hat, und El Guapo kommt ihn abzuknüpfen, dann blökt ihn der Celso an: >He, du stinkiger Hurenbengel, ich bin jetzt gerade dabei, mich bequem zu fühlen und war so recht schön beim Einnicken, und da musst du elendes Stinktier herbeischleichen und mich in meinem süßen Schlummer stören.< Celso, wisst ihr, war der erste, der sich nichts mehr draus machte. Aber jetzt sind wir schon ein halbes Dutzend. Der Trick ist: Menschen können wie Ochsen und Esel werden, die sich nicht rühren, so lange sie auch gepeitscht und gestochen werden mögen, wenn sie erst einmal den richtigen Rebellensinn in sich 'reingefressen haben.«
Martin Trinidad sagte nichts. Er brach sich ein Stück harter
Tortilla ab und löffelte damit die Bohnen aus einem Tonscherben, in dem er sie angewärmt hatte. Seine beiden Gefährten, Juan Mendez und Lucio Ortiz, knabberten an einem Streifen zähen Trockenfleisches und tranken dazu dünnen Kaffee.
Die Leute der neuen Kolonne, die ursprünglich in zerstreuten Gruppen gegessen hatten, drängten nun, während sie aus ihren Tontöpfchen Bohnen aßen und aus Blechkännchen ihren Kaffee tranken, langsam näher und näher zu den alten Boyeros, Matias, Pedro, Santiago, Cirilo, Fidel, die bei der ersten Gruppe saßen.
Andres, der intelligenteste Bursche unter den Boyeros, war nicht unter ihnen. Mit mehreren Jungen war er zur Hauptweide geschickt worden, um frische Ochsen herbeizutreiben und ermüdete und schlecht genährte Ochsen zu jener Weide in die Ferien zur Erholung zu bringen. Die Weide lag sechs Leguas weit entfernt an einem See, und weil der größte Teil des Weges versumpft war, mochte es drei Tage dauern, ehe er wieder zurück war.
»Werden die Schläger jeden Abend gehenkt?« fragte Antonio.
»Natürlich nicht«, sagte Matias. »Dann würden sie zu rasch Paludismo, Sumpffieber, weißt du, bekommen und absausen. Es sausen so schon genug ab, kaum eine Woche, dass wir nicht zwei oder drei einkratzen.«
»Was weißt du denn überhaupt?« unterbrach ihn Pedro. Er, als Alter, hatte wie die übrigen Alten ein reges Verlangen, von seinen Erfahrungen und Kenntnissen zu sprechen, als er sah, wie Santiago so sehr aufmerksame Zuhörer fand. »Was weißt denn du?« wiederholte er. »Natürlich werden die Schläger nicht jeden Abend gehenkt. Wie auch wir, die Boyeros, die Ochsenburschen, wenn ihr das besser versteht, nicht jeden Abend gehenkt werden. Darum sitzen wir ja auch hier und können unsere Zigarren rauchen und euch kleinen unschuldigen Knaben die verkleisterten Gucklöcher auswaschen.«
»Die Sache ist die«, sagte Cirilo, »und das Ergebnis ein solches - und so kommen wir auf langen Umwegen zur wahren Kenntnis dessen, was hier vor sich geht.«
»Hört nicht auf den Kaplan«, sagte Santiago mit grunzendem Lachen. »Es ist ihm heute ein Jochbalken aufs Hirn gefallen, und er hat sich noch nicht davon erholt. Darum redet er, ohne zu wissen was. Und morgen wird er noch dümmer sein. Was ich nun sagen wollte, ist so und nicht anders. Vor fünf Tagen oder sechs ist, der jüngste der drei Montellanos hier angelangt. In seiner Monteria ist das Gelände ersoffen und wird wahrscheinlich erst wieder trocken im Januar sein oder später. Und was den Brüdern da fehlt, müssen sie nun hier dreifach herausholen. Acacio ist der böseste der drei. Er ist im Frühjahr in seine Monteria gezogen mit achtzig Leuten, alle gesunde und kräftige Leute von den Fincas, darunter noch ein Dutzend Frauen und vielleicht zwanzig Kinder. Wisst ihr, wie viel er von den achtzig übrig hatte, als er von seiner Monteria abmarschieren musste? Dreiundzwanzig. Alle anderen tot. Die meisten zu Tode gepeitscht oder zu Tode gehenkt; andere vom Fieber geholt; zehn vom Sumpf verschluckt; vier geflohen und im Dschungel verkommen; ein paar von Schlangen gebissen; vier von Tigern und Pumas geschnappt. Zwei wurden von Tigern gefressen, während sie gehenkt waren. Was kann einer tun gegen Tiger, wenn er gehenkt ist und keinen Finger rühren kann. Von den Dutzend Frauen sind drei nicht mehr richtig in ihrem Kopf; eine, eine junge Fette, deren Mann er erschoss, hat er sich für seinen persönlichen Bedarf angeeignet, und sie liegt nun mit ihm im Bett; zwei flohen mit ihren Männern und verkamen gleich ihren Männern; eine peitschte er, bis sie zusammenbrach, weil sie ihren Mann aufgehetzt hatte, wegzurennen. Er ließ sie liegen, und weil niemand in der Nähe war, ihr aufzuhelfen, wurde sie von wilden Schweinen, den so genannten Tabalis, weggeschleppt und stückweise aufgefressen. Von den zwanzig Kindern leben zwei, und die sind jetzt vom Fieber gepackt.«
»Ein erfolgreicher Ladino, wie ihr seht«, sagte Fidel.
»Du redest nur, wenn du gefragt bist, Hijito, mein Söhnchen.« Santiago sah Fidel an, als ob er etwas verbrochen hätte. »Und damit du mir nicht mehr reinredest, nimm diese schön gewickelte Zigarre.« Es war aber nicht eine Zigarre des Santiago. Santiago hatte vorsichtig eine Zigarre aus der eigenen Hemdtasche des Fidel herausgezerrt und sie ihm hingereicht mit einer Geste, als mache er ihm ein Geschenk.
Fidel besah sich die Zigarre, drehte sie um und um, und sagte dann, sie dicht an das Feuer haltend:
»Nun sieh doch einer nur hierher, wickelt der Mann sich seine Zigarren nach meinem Muster. Also kann ich doch etwas besser als du, Santo, sonst würdest du mir nicht meine Zigarren so schön nachmachen.«
Er tastete gegen seine Hemdtasche, um dort die Zigarre herauszufischen und sie mit der zu vergleichen, die ihm Santiago gegeben hatte. Als er nun die Zigarre nicht fand, sagte er: »Das hätte ich doch wirklich vorher wissen können, dass du keine Zigarren wegschenkst. Leicht, eine Zigarre zu verschenken, wenn du sie mir vorher aus der Tasche stiehlst. Schadet nichts, ich bin froh, dass mir niemand, nicht einmal du, meine Sorte von elegant gewickelten Zigarren nachmachen kann. Niemand hier, das könnt ihr mir glauben, alle die ihr nun hier beisammensitzt, kann mir meine Zigarren nachmachen.«
»Und wenn du nicht ruhig bist«, sagte nun Santiago zu ihm, »dann gebe ich dir eins aufs Schindeldach, und du gehst heim in deine Hütte. Wie kann ich denn hier den ehrlichen und aufgeweckten Leuten etwas erzählen, wenn du mir ewig dazwischen kommst mit deinen Zigarren. Du weißt recht gut, dass ich die Sorte, die du drehst, nicht vertrauen kann. Und um nun wieder auf das schlanke Pferd zu kommen, von dem wir sprachen und das uns in den Schitthaufen setzen ließ, also, nachdem der Acacio alle Leute, oder die meisten, glücklich verscharrt hatte, und dann auch noch seine Monteria im Sumpf versackt war, kam er hier angefegt mit den paar Männchen, die ihm geblieben waren. Auf dem Wege hierher sind ihm noch fünf ausgerückt, und jetzt sind zwei Capataces hinter ihnen her, sie wieder zu fangen. Sie werden sie auch kriegen, arme Burschen. Wenn sie auch noch so gut rennen, gegen Pferde können sie nicht aufkommen. Vielleicht hängen sie sich auf oder schneiden sich die Kehlen durch, wenn sie sehen, sie werden gefangen und können nicht weiter. Es bleibt ihnen nicht ein Strich am Leibe heil, wenn sie zurückgebracht werden. Und da kam nun der Acacio hier vor sechs Tagen oder so an. Das erste, was er tat, war, dass er eine gute Idee ausheckte. Er musste das einbringen, was er in der Monteria, die er bis jetzt bewirtschaftet hatte, in diesem Jahr verlor. Er ordnete an, dass jeder Schläger vier Tonnen täglich zu liefern habe, und wer weniger als vier Tonnen leiste, bekomme den Tag nicht berechnet und außerdem würde es ihm beigebracht, wie man vier Tonnen den Tag schaffen kann, wenn man nur will. Peitschen hatte ihm nichts geholfen, und er wusste, dass es hier erst recht nichts helfen würde. So versuchte er es mit Massenhenken. Und ihr kommt gerade zur rechten Zeit, um die Musik des ersten Massenhenkens zu genießen. Wir, die Boyeros, haben auch schon die neue Verordnung erhalten. Heute morgen. Er reitet jetzt täglich die Felder, wo geschlagen wurde, ab und bestimmt, wie viel Trozas jeder Boyero täglich abzuschleppen und am Tumbo aufzuhäufen hat, wenn ihm der Tag berechnet werden soll. Und so, während wir heute Abend hier alle friedlich und gemütlich ums Feuer sitzen und uns hübsche Geschichten erzählen, könnt ihr wahrscheinlich morgen Abend um etwa dieselbe Zeit uns von drüben, aus dem Dickicht am Sumpfloch heraus, wimmern hören, und dann werden die Schläger hier sitzen und zuhören.«
»Was kann man dagegen nur machen?« fragte einer der neu herangekommenen Burschen. Er kam von einem unabhängigen
Dorfe und hatte sich in die Monteria verkauft, um Geld für seine Heirat zu verdienen.
»Ja, was denkt ihr wohl was man dagegen machen kann?« Fidel wiederholte die Frage. Dann blickte er alle der Reihe nach an, spitzte die Lippen und sagte: »Was man dagegen machen kann? Das kommt immer darauf an, was wir für eine Sorte von Indios sind.«
»Was meinst du damit?« fragte ein anderer der Neuen.
»Er meint gar nichts damit«, sagte Santiago. »Aber ich habe vor einigen Nächten einen Muchacho singen hören. Er sang fest in das Wimmern und Stöhnen der Gehenkten hinein, und es schien sie zu beruhigen.«
»Du wirst dich doch noch erinnern, wie der Gesang war?« Cirilo kannte den Gesang, aber er wollte, dass Santiago jetzt im Beisein der Neuen den Gesang wiedergebe.
»Freilich kann ich mich erinnern. Solche Lieder braucht man nur einmal zu hören, und man vergisst sie sein ganzes Leben nicht. Das ging so: Unser Dasein ist so billig geworden, dass es uns nichts kostet, unsere Henker zu morden; wenn wir uns nicht mehr wie Menschen betragen, so mögen sich die, die uns henken, darüber beklagen.«
»Ich verstehe kein Wort davon«, sagte Antonio.
Matias lachte auf, kurz und hart. »Es gibt Lieder, die man nicht zu verstehen braucht und deren Melodie klar wird, wenn man tut, was im Liede gesungen wird.«
Ein anderer der Neuen fragte: »Wehren sie sich denn nicht, wenn sie zusammengeknotet und gehenkt werden?«
»Es wehrt sich auch das Schwein, wenn du es schlachten willst«, sagte Procoro. »Die geben dir zwei saftige Hiebe mit der Keule auf den Schädel, und wenn du wieder zur Besinnung kommst, hängst du lustig an einem Ast, und die roten Ameisen kriechen dir in die Nasenlöcher und in die Ohren, wo diese
Bestien Fett 'reingeschmiert haben, damit die Ameisen gleich in ganzen Heereszügen kommen sollen.
Am nächsten Tag hast du einen so dicken Schädel und ein solches Brummen drin, dass du beim nächstenmal keinen Finger rührst, wenn sie dich wieder henken wollen. Du bist dann heilfroh, dass sie kein Fett in den Hintern schmieren oder vorne hin. Was auch recht lieblich ist. Die Moskitos kriegst du umsonst, ohne Fett. Als besonderes Labsal für dich füllen dir die Hunde eine Kanne heißen Kaffee in den Rachen, dass du schwitzt, bis du denkst, du musst nun explodieren, und dann sollst du mal sehen, wie dick die Moskitos angeflitzt kommen.«
»La Mecha, diese schiefäugige Bestie, hat einen neuen Trick entdeckt, den kennt ihr noch nicht.«
Santiago wandte sich an die alten Leute. »Frag hier Procoro. Zeig mal her, du.«
Procoro hatte kein Hemd an. Er drehte seinen nackten Rücken zum Licht des Feuers.
Santiago führte seinen Finger an dünnen Linien, die sich auf Procoros Rücken befanden, auf und ab, um sie zu zeigen. »Hier hat der stinkige Coyote, La Mecha, nachdem er den Procoro aufgehenkt hatte, mit einem Dorn Risse in das Fell eingeschnitten, damit Moskitos, Ameisen, Maden und weiß der Teufel was sonst noch für Insektenzeug es bequemer haben sollten. Was denkt ihr grünen Jüngelchen denn eigentlich, wo ihr seid? In einer Finca? Oder in euren Dörfern, wo euch nur Flöhe und Läuse fressen? Ihr seid nicht in der Vorhalle der Hölle, hier seid ihr bereits am andern Ende der Hölle.«
»Das hast du sehr gut gesagt, Santo«, bestätigte Fidel, »am anderen Ende der Hölle. Ja, am anderen Ende der Hölle. Richtig. Denn hier würde selbst der grimmigste der Teufel nicht mehr mitmachen und sich lieber in einen weichen Stuhl setzen, eine Flasche Comiteco vornehmen und sich dann elendiglich schämen.«
Candido und seine Schwester Modesta saßen mit einer Gruppe von Männern ihres Stammes an einem kleinen Feuerchen, einige dreißig Schritte entfernt von der großen Gruppe, wo es so lebhaft zuging. Die beiden kleinen Jungen schliefen. Infolge der Entfernung vernahmen die Leute, die hier saßen, nichts von den Schilderungen, die den Neuen das Blut in den Adern stocken ließen. Freilich hörten sie zuweilen das Wimmern, Klagen und Winseln im Dschungel, wenn der Wind es ihnen zuwehte. Aber sie machten sich keine besonderen Gedanken darüber.
Im Dschungel, bei Tag und bei Nacht, gibt es viele Arten der Täuschungen des Gehörs.
Von den Oficinas her lachten und grölten die Capataces. Zwei oder drei sangen mit rostigen und gequetschten Stimmen. Hin und wieder erklang das schrille Quieken eines besoffenen Mädchens. Da waren nur zwei Frauenzimmer, mit denen sich die fünf Capataces begnügen mussten, und die sie von der. versumpften Monterias des Don Acacio mit sich geschleift hatten.
Sie waren alt und schwammig. Zudem besagen sie nichts, aber auch gar nichts, was irgendeinen Mann irgendwo auf Erden hätte reizen können. Sie wussten das. Und sie wussten auch, dass sie auf der allerletzten Station angelangt waren. Obwohl ihnen auch nicht eine einzige Krankheit fehlte, die sie sich in ihrem anstrengenden Leben nach und nach hatten erwerben können, waren sie hier immer noch willkommen. Niemand hatte sie gezwungen, mit den Capataces hierher zu ziehen. Sehnlichst würden sie gewünscht haben, dass man sie mit Gewalt hier hergebracht hätte, um wenigstens protestieren zu können und darum zehn Centavos im Preise höher zu stehen. Als sich aber niemand geneigt zeigte, selbst nicht einmal diese verdreckten Capataces, sie zu vergewaltigen und als persönliches Eigentum zu erklären, waren sie froh gewesen, dass ihnen Don Acacio erlaubte, mitzukommen und ihnen sogar noch
Pferde zum Reiten stellte. Sie wären auch zu Fuß marschiert, hätten sie keine Tiere bekommen.
Gar nicht so selten hatten sie übrigens sogar die Genugtuung gehabt dass sich selbst Don Acacio in der Notlage befand, die eine oder die andere, mehrere Male beide zu gleicher Stunde, in seine Oficina zu rufen.
Aber keiner der Capataces und keiner sonst, der sich vielleicht gelegentlich der einen oder anderen annahm, hätte irgendwelche Rechte auf Privatbesitz geltend gemacht. Dessen hätte sich ein jeder geschämt, so wenig Scham sie auch kannten. Es gab niemals eine Prügelei unter den Capataces dieser Frauen wegen, weil keiner Privilegien beanspruchte. Ein jeder würde Privilegien als eine Beleidigung angesehen haben. Die Frauen begannen nun mit krächzender Stimme zu singen, und zwei der Capataces fielen in den fürchterlich klingenden Gesang mit ein.
El Guapo trat in die offene Tür. Er schwankte einige Male hin und her. Dann rief er in das Haus:
»He, Faldon und du, Mecha, und ihr stinkigen Kröten, kommt raus.«
Mit den  stinkigen Kröten bezeichnete  er zwei  kleine Indianerjungen, die in der Oficina bedienten. »Laternen!« rief er den Jungen zu.
Die Jungen nahmen zwei Laternen und zündeten sie an der traurig schmökenden Kerze an, die auf dem rohen Tisch stand.
»Wir wollen die Schweine runter lassen. Die hängen nun lange genug; sonst sind sie morgen zu krumm und können nicht schlagen«, sagte El Guapo, ungewiss mit beiden Armen in der Luft herumfegend.
»Können wir nicht mitkommen und sehen, wie ihr die Burschen aufknüpft und abknüpft?« Die eine der Frauen kam zur Tür.
»Ich möchte das auch gerne sehen«, sagte die andere, sich das
Hemd, das ihr bis an den Nabel offen stand, heraufziehend.
El Guapo stieß der nächsten seine offene Hand so heftig quer ins Gesicht, dass sie bis zur gegenüberliegenden Wand zurücktaumelte.
»Ihr verlausten und verdreckten Säue bleibt hier. Und wenn ich je eine von euch Huren in der Nähe finde, wo die Muchachos henken, ich schlage euch den Schädel zu Brei. Verflucht noch mal! Könnt ihr denn eure Schachteln nicht vollkriegen, dass ihr auch noch Theater haben wollt? Lasst euch ja nicht dort in der Nähe sehen, wenn ihr am Leben bleiben wollt.«
»Los!« rief er seinen Kollegen zu. »Abhenken. Haben schon zu lange gebaumelt.«
Die drei Capataces gingen zwischen den Gruppen, die auf dem Platze lagerten, hindurch, ohne sich mehr um sie zu bekümmern, als wären das nur gerade Sträucher, an denen sie vorbeizugehen hatten.
»Wo wollen sie denn hin?« fragte Antonio leise Fidel, der neben ihm saß.
»Die gehen los, Castigados, die Bestraften, abhenken.«
»Lass uns gehen und zusehen«, riet einer der Neuen und sprang auf.
Matias riss ihn heftig nieder. Du lässt das bleiben, wenn dir dein Fell lieb ist. Brauchst nur in die Nähe zu kommen, wenn die Capataces aufknüpfen oder abknüpfen und gleich bist du an der Reihe. Wo Hiebe ausgeteilt werden, da machst du immer besser einen Umweg, sonst fallen welche für dich ab.«
»Nur abwarten«, sagte darauf Santiago halblaut. »Es kommt auch einmal der Tag, wo wir aufknüpfen und abknüpfen werden. Und wo wir gerade dort nahe herangehen, wo Hiebe fallen, nicht um welche abzukriegen, sondern um sie auszuteilen. Diese Hunde vergessen immer, dass man einen Burschen nicht ewig peitschen kann. Eines Tages lernt er es, wie gepeitscht wird und wen er zu peitschen hat, um in seiner Seele wieder ruhig zu werden.«
Sein Blick fiel auf Martin Trinidad, den einen der drei Landstreicher. Für einige Sekunden sah er ihn an, als wolle er dessen Gedanken ergründen. Dann sagte er: »Was siehst du mich denn so an? Wenn du ein Horcher bist, sage es nur. In ein paar Tagen wissen wir es. Und einen Tag später horchst du nicht mehr.«
Martin Trinidad grinste. »Wenn du nicht willst, dass ich horche, dann sprich nicht, wenn ich hier sitze. Ich habe dich nicht eingeladen. Du bist zu uns hier hergekommen, und wir nicht zu dir.«
Santiago nickte und zog den Mundwinkel breit. Seine Zigarre war ausgegangen. Er zündete sie aufs neue an mit einem glimmenden Ästchen, das er aus dem Feuer zog.
»Morgen wird euch Celso von oben bis unten betrachten, euch drei«, sagte er endlich. »Celso hat ein gutes Auge.«
»Wir haben sechs gute Augen«, erwiderte Martin Trinidad. Seine beiden Freunde lachten, und Juan Mendez sagte: »Ja, wir haben sechs sehr gute Augen, sonst wären wir vielleicht nicht hier. Was sagst du, Hermanito?« wandte er sich an Lucio Ortiz. Lucio antwortete: »Wir drei können sehen für sechs.«
Er schien das als Witz zu betrachten, denn er lachte laut heraus.
»Da kommen sie zurück, besoffen wie Lederstrippen«. Santiago deutete mit dem Kopf zu den drei Capataces, die aus dem Dickicht herauskamen und auf die Oficina zugingen.
»Nun können wir zu den Jungen gehen.« Fidel stand auf.
Zehn andere Burschen erhoben sich. Fidel und noch zwei gingen zu der großen Schlafhütte und brachten Laternen herbei, die sie am Feuer anzündeten. Dann ging die Gruppe hinüber zum Dickicht.
Auf dem Boden lagen acht Klumpen Mensch. Sie waren völlig in sich zusammengequetscht, als wären sie für lange in engen runden Fässern aufbewahrt gewesen. jeder hatte nichts weiter an als ein Stück zerlumpter Baumwollhose. Sie stöhnten und ächzten wie Leute, die aus tiefem Schlaf gerissen werden und noch zu müde sind, um völlig aufzuwachen. Sie kollerten sich auf dem Boden herum und begannen, Glied um Glied langsam auszustrecken, um wieder gelenkig zu werden; denn Arme und Beine waren in sich verkrampft und eingeschlafen.
Die Lassos, an denen die Klumpen hingen, waren mit einigen geübten Griffen der Capataces aufgeknotet worden, und man hatte die Körper einfach zu Boden fallen lassen, ohne sich weiter darum zu bekümmern. Die Aufseher wussten, dass die übrigen Muchachos ihren Kameraden helfen würden.
Die Augen der Abgehenkten waren blutig und verquollen. Der Körper an hundert Stellen entzündet von Beulen, verursacht von den Stichen der Moskitos und den Bissen der roten Ameisen. Dutzende von kirschgroßen und Hunderte von sehr kleinen Zecken hatten sich in die Haut so heftig eingebissen, dass ihre Köpfe völlig eingegraben waren. Es kostete Mühe und Geduld, alle die Zecken wieder herauszuziehen, ohne dass die Köpfe im Fleisch stecken blieben, denn dann gab es böse, schwer heilende Wunden.
Die alten Burschen hoben ihre Kameraden, die noch immer halb wie im Traum waren, auf und schleppten sie dicht an das Flussufer. Hier nahmen sie jeden Körper auf ihre Arme und steckten ihn ins fließende Wasser, um die glühenden Moskitostiche zu kühlen und die Ameisen und Spinnen abzuwaschen. Nachdem die Körper abgewaschen waren, zerrten sie jeden an das Ufer, und nun begannen sie, die Glieder zu strecken und zu massieren.
»Es ist nicht ganz so schlimm, wenn wir hier dicht bei den
Hütten gehenkt werden«, sagte Santiago zu Antonio, der ihm half, Lorenzo, einen der gehenkten Schläger, wieder zum Bewusstsein zu bringen.
»Schlimmer ist es, wenn einer ganz allein, aus besonders schwerer Strafe, weit fort vom Lager gehenkt wird, wo er von Wildschweinen oder von Dschungelhunden angefressen wird, und er sich nicht wehren kann.«
»Eine andere Auffrischung, wie Don Felix sie nennt, ist auch recht schön«, erklärte Matias. »Don Felix hat sie erfunden. Um elf Uhr morgens wird der Muchacho hergenommen, und auf einem weiten Platz, wo kein Baum steht und kein Dach, wird er nackt fest zusammengeschnürt und dann in den heißen Sand gegraben bis über das Maul, so dass nur die Nase, die Augen und der Schädel frei bleiben, alles natürlich unter der brütenden Sonne. Ich kann jedem von euch neuen unerfahrenen Lämmchen hier sagen: wenn du einmal so eingegraben warst, du zitterst wie ein Ziegenbärtchen, wenn dir Don Felix sagt: du machst heute vier Tonnen oder du wirst morgen drei Stunden eingescharrt. Dein ganzes Leben scheint dir nicht so lang zu sein wie diese drei Stunden.«
Die entsetzlich grausame Strafe des Henkens war gerade darum so erfolgreich, kostete darum so selten ein Leben, weil die indianischen Burschen ungemein kräftig und gesund waren und meistens am Tage nach der Folterung arbeiten konnten, als wäre ihnen kaum etwas geschehen. Die Montellanos hatten aus ihrer langjährigen Erfahrung in den Monterias gelernt, dass das Henken der faulen Burschen< weit wirksamer war als das Auspeitschen. Vom Henken und vom Einscharren blieben keine wunden Rücken, die an der Arbeit hinderten, zurück. Was zurückblieb und so sehr wirksam war, das war die Furcht, abermals jene Stunden entsetzlicher Qualen durchzumachen, Stunden, die zu Ewigkeiten wurden, angefüllt von stetem Schrecken, weil in der Finsternis der Nacht die Gehenkten nichts sehen konnten, was sich ihnen näherte, und wenn sich etwas Bedrohliches näherte, so konnten sie sich nicht wehren.
Niemand weiß besser als der Indianer aus den Regionen nahe den Dschungeln, welche Grauen der Dschungel birgt. Was aber das Henken und die Wehrlosigkeit des Gehenkten in der Nacht, in den Tiefen des Dschungels, für den Indianer so unerträglich und unerklärbar grauenhaft macht, ist seine nicht zu unterdrückende Furcht vor Geistern und Gespenstern, sein Aberglaube an das Wiederkehren der Toten, die er, allein in der Nacht, überall zu sehen glaubt. Ein Weißer, über Nacht eingesperrt in die Schreckenskammer eines Wachsfigurenmuseums oder in die unterirdische Gruft eines Mausoleums, kann nicht so leiden wie ein primitiver Indianer, aufgehenkt und wehrlos in der Nacht im Dschungel und ohne Feuer in der Nähe. Die Montellanos waren klug und erfahren genug, die Burschen, von bestimmten harten Ausnahmen abgesehen, nicht zu weit vom Lager zu henken. Hätten sie die Burschen tief in den Dschungel, weit von ihrem Lager gehenkt, so wäre am Morgen keiner mehr am Leben gewesen. Sie wären von Geistern und Gespenstern erwürgt worden. Bei einigen hätte man sogar Merkmale des Erwürgens an der Kehle gefunden, verursacht freilich nicht von Geistern, sondern von der ungemein heftigen Einbildungskraft dieser natürlichen und völlig ungeschulten Menschen.
Nachdem alle Gehenkten dann endlich von ihren Kameraden aufgefrischt waren und man ihnen heißen Kaffee und ein Gericht aufgewärmter Bohnen eingefüllt hatte, erhoben sie sich vom Feuer, und, schwankend wie Betrunkene, gingen sie auf die Schlafhütten zu, um sich niederzulegen. So war es nun gegen elf Uhr geworden.
Morgens um halb vier kam La Mecha in die Schlafhütten und trat den Burschen mit seinen Stiefeln in den Bauch, als Morgengruß. Das brachte sie mit einem Ruck auf.
Sie waren noch so erfüllt von den Schmerzen und dem Grauen des Gehenktseins am vergangenen Abend, dass sie verstört und hastig mit der ungewaschenen Hand die schwarzen Bohnen, kaum richtig warm geworden, aus dem Topfe fischten und den Klumpen in den Mund steckten - so rasch, dass sie an der festen Masse beinahe erstickten. Mit der anderen Hand packten sie das Blechkännchen, das dünnen, lauwarmen Kaffee enthielt, und spülten den Bohnenteig, der sich in der Röhre festgeklebt hatte, hinunter. Dann, den Mund weit aufgeblasen von dem neuen Bohnenteig, den sie nachgeschoben hatten, warfen sie ihre Äxte auf die Schultern und rannten, wie verfolgt, in den Dschungel, um heute sicher vier Tonnen zu schaffen.
Nur einen einzigen Gedanken hatten sie während dieses Tages und während der nächsten drei Wochen: Por todos los Santos, um aller Heiligen willen, Gott, lasse mich vier Tonnen heute schaffen, damit ich nicht gehenkt werde!
Aber Gott war auf Erden vor zweitausend Jahren und erlöste alle Menschen. Er vergaß die Indianer.
Deren Land war freilich damals nicht bekannt. Und als es endlich gefunden wurde, war das erste, was die Entdecker taten, ein Kreuz am Meeresufer zu errichten und eine heilige Messe zu halten. An diesem Vorgang leiden die Indianer heute noch.
»Und sicher«, sagte eines Abends, wenige Tage später und ganz unerwartet Martin Trinidad: »Gott war auf Erden und erlöste die Menschen vor zweitausend Jahren. Das nächste Mal sind wir dran.«
»Vielleicht«, meinte schläfrig Pedro, einer der Ochsenknechte, der etwas von Kirche und von Curas kannte. »Vielleicht. Vielleicht aber müssen wir abermals zweitausend Jahre warten, um endlich an die Reihe zu kommen.«
Darauf sagte Celso trocken und ohne irgendein Aufhebens davon zu machen: »Warum auf den Erlöser warten? Erlöse dich, mein Bruder, und dann wird auch dein Erlöser kommen.«

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