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B. Traven - Die Rebellion der Gehenkten (1936)
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ZWEITES KAPITEL

Von dem Tage, an dem seine Frau erkrankte, bis eine Woche nach ihrer Beerdigung lebte Candido in einer Art von Dämmerung. Er vermochte nicht zu denken. Sein Empfinden war stumpf geworden.
Er hätte nicht mit Bestimmtheit sagen können, ob er wache oder träume.
Als er den Sarg kaufte, die Kerzen und die Kruke mit fünf Litern Aguardiente zur Bewirtung seiner Freunde, gab er das Geld, das er im Gürtel trug, aus, ohne auch nur ein einziges Mal darüber nachzudenken, wie er zu dem Gelde gekommen sei, und was der Besitz und das Aufbrauchen des Geldes für ihn und sein Schicksal bedeuteten. Gesetzt den Fall, er hätte kein Geld gehabt, so würde sich ein Ausweg gefunden haben, die Beerdigung dennoch in genügend würdiger Weise zu vollziehen. Seine Frau wäre begraben worden, eingewickelt in die beiden Petates, oder seine Freunde und Sippengenossen würden ihm geholfen haben, eine Kiste schlecht und recht anzufertigen. Jedoch das Ausgeben des Geldes begann, förmlich ohne seinen Willen, in jenem Augenblick, als der Doktor zehn Pesos verlangte.
Die folgenden Ausgaben tat er wie in einer Betäubtheit. Er würde, obgleich ehrlich in seinem Charakter, selbst Geld ausgegeben haben, das ihm zur Beförderung an eine andere Person übergeben worden wäre, ohne in jenen Stunden dumpfen Schmerzes auch nur eine Sekunde unterscheiden zu können, was recht und unrecht sei.
Und so war in den drei Wochen, die seit dem Tode seiner Frau vergangen waren, nicht ein einziges Mal in ihm die Erkenntnis wach geworden, dass er mit den Verausgabungen jenes Geldes sein ferneres Schicksal entschieden hatte.
In seiner Siedlung war keine Gelegenheit, Geld auszugeben.
Das Feld spendete jedem, was er brauchte, um seinen Magen zu füllen. Aber er musste drei kleine Saugschweinchen kaufen, denn Schweine sind, schon des Fettes wegen, in dem Haushalt der indianischen Bauern kaum zu entbehren.
Es zerbrach ihm aber auch noch beim Ausgraben eines Steines sein einziger Machete, den er besaß, und er zerbrach so dicht an dem Heft, dass selbst der Stumpf nicht mehr zu gebrauchen war. Der Machete würde ihn drei Pesos kosten, so rechnete er. Und die Schweinchen könnte er wohl für vier Reales das Stück kaufen, wenn sie sehr klein waren und er sich Mühe machte, auf dem Markte in Jovel nach billigen Schweinchen zu suchen. Das waren vier Pesos fünfzig Centavos, die er brauchte.
Als er nun beschloss, am nächsten Tage, an dem der Markt war, nach Jovel zu wandern, suchte er das Geld zusammen, das er für den Handel benötigte. Wie die aller übrigen Indianer seiner Nation, die in Dörfern und Siedlungen wohnen, so war es auch seine Gewohnheit, Geld in einen alten Fetzen einzuwickeln und im Boden seiner Hütte einzuscharren. Wenn das Geld oder ein Teil herausgenommen worden war, so wurde es beim Wiedereingraben an einer anderen Stelle der Hütte vergraben, häufig unter dem Feuerplatz, der sich ja auch auf dem nackten Boden befand.
Candido suchte sein Geld hervor, und als er es in die Hand nahm, tat er einen Ausruf des Erstaunens. Es waren mehr als sechsundzwanzig Pesos, die ihm, seine ursprünglichen Pesos eingerechnet, verblieben waren.
Freilich dauerte dies Erstaunen, so viel Geld vor sich zu sehen, nur eine halbe Minute. In der nächsten halben Minute kamen ihm die Herkunft des Geldes und dessen teilweiser Verbrauch zu vollem Bewusstsein. Und zum Bewusstsein kam ihm gleichfalls, dass er nicht nur seine Frau verloren hatte, sondern auch die Freiheit, über sich selbst bestimmen zu können. Er war nun Sklave des Don Gabriel, der ihn zu den
Monterias schickte und ihn von seiner Erde und dem Grabe seiner Frau trennte.
Eine schwache Hoffnung nur verblieb ihm: dass Don Gabriel ihn vergessen habe. Das erschien Candido besonders deshalb möglich, weil Don Gabriel ihm ja nicht die 200 Pesos ausgehändigt hatte, nachdem die Zahlung an den Arzt überflüssig geworden war. Der Vertrag war von dem Agenten also nicht vollständig erfüllt worden.
Am nächsten Morgen, lange vor Sonnenaufgang, nahm Candido seine beiden Söhne und machte sich auf den Weg nach Jovel. Er trug eine schwere Last von Mais auf dem Rücken. Dem größeren Jungen war eine Last von trockenem Futtergras aufgeladen, dem kleineren ein Sack mit Schafwolle.
Es waren die Produkte, die Candido in Jovel zu verkaufen gedachte, um für den Erlös Salz, Rohzucker und ein Stück weißen Baumwollstoffes einzukaufen. Sechs Pesos trug er als bares Geld mit sich.
Noch vor Mittag hatte er alle seine Geschäfte beendet. Seine Produkte waren verkauft, wie gewöhnlich zu einem lächerlich geringen Preis. Die Schweinchen, die er erworben hatte, trug er in einem Sack auf dem Rücken. Sie quiekten und krabbelten an seinem Rücken herum. Aber das machte ihm mehr Freude denn Ärger, weil es bewies, dass er gesunde Tierchen erhandelt hatte, von denen er wusste, er würde sie hochbringen.
Er war nun auf dem Wege zur Eisenhandlung >El Globo<, wo er einen neuen Machete zu kaufen gedachte. Den Sack legte er vor der offenen Tür ab und gab ihn seinen Jungen zur Bewachung. Dann trat er verlegen und schüchtern in den Laden, nicht als ob er Käufer wäre, der mit barem Gelde kam, um dem Händler Verdienst zu bringen, sondern als wäre er ein Bettler, der jeden Augenblick erwartete, mit einem Fußtritt in den Hintern hinausgeworfen zu werden.
Kaum war er eingetreten, als jemand zu ihm sagte: »Aha, da bist du ja, Chamulito. Auf dich warte ich gerade.«
Candido blickte auf und sah Don Gabriel vor sich stehen, den Enganchador, den Werbeagenten.
Es war die Gewohnheit Don Gabriels, wie die der meisten Ladinos, sich den ganzen Tag über damit zu beschäftigen, von einem Laden zu einem andern zu gehen, dort mit den Inhabern zu schnattern und zu sehen, ob nicht ein Bekannter anzutreffen war. Zwischendurch wurde mehrere Male eine Cantina aufgesucht, um durch einige heftige Comitecos die Kehle zu waschen und mit anderen alten oder neugewonnenen Bekannten Unsinn zu reden. Freilich meinte jeder, dass alles, was er redete, wichtig sei und insbesondere auf die Politik des Landes Einfluss habe. War die Kehle ausgeschwenkt, wurde der Rundgang in die Läden der Stadt fortgesetzt. So ging der Tag vorüber. Der Abend gab erneut Gelegenheit, in die Cantina zu gehen und nunmehr statt nur eine copita gleich ein halbes Dutzend die Gurgel hinunter zu schütten. Darauf wurde ein Rundgang um die Plaza getan, und dann war es Zeit zum Abendessen. Das Abendessen musste gut mit Flüssigkeit abgedeckt werden, was als genügender Vorwand galt, abermals zu sehen, wen man in einer der Cantinas treffen mochte. Die eigentliche Arbeit der Caballeros, die unbedingt notwendig war, um die Zivilisation in Gang zu halten, wurde so zwischendurch hier und da angetastet; einige Minuten wurden auf rein geschäftliche Dinge verwendet.
Man muss es sich leicht machen im Leben und die arbeiten lassen, die keine Caballeros sind und nicht genügend Fett im Obergehäuse haben, um ernten zu können, ohne zu pflügen.
Es waren Minuten-Gelegenheiten, die Don Gabriel auszunützen verstand. In einer solchen Minuten-Gelegenheit hatte er Candido den Kontrakt aufhängen können, und jetzt war wieder eine solche Minuten-Gelegenheit, wo er den Kontrakt einzukassieren gedachte.
In den Läden herumzulaufen und dort für halbe Stunden zu stehen und zu schwatzen, war denn doch nicht so geschäftlich wertlos wie es leicht erscheinen mochte. Wäre er nicht hier, scheinbar nutzlos, im Laden gewesen, hätte er Candido nicht getroffen, um ihm etwas Wichtiges sagen zu können.
»Das weißt du doch, Chamula, dass Montag der Trupp abmarschiert, zu dem du gehörst und der in die Monterias zieht.«
»Patroncito, mein liebes Herrchen, ich habe doch aber das Geld nicht genommen, weil meine Frau tot war, ehe der Doktor kam.«
»Die zweihundert Pesos liegen für dich bereit in der Botica, kannst sie dort haben, wann du willst.«
Die zweihundert Pesos waren natürlich nicht in der Botica oder sonst irgendwo hinterlegt. Sollte Candido die zweihundert Pesos wirklich verlangen, für die er jetzt gar keine Verwendung mehr hatte, so war reichlich Zeit, sie zu hinterlegen oder sie ihm völlig aus seinen Gedanken herauszureden.
Candido wurde hartnäckig, ohne aufsässig zu werden. »Ich habe die zweihundert Pesos nicht angenommen, Jefecito, und darum habe ich auch keinen Kontrakt für die Monteria.«
»Du hast aber fünfzig Pesos angenommen, oder vielleicht nicht?«
»Ja, aber die fünfzig kann ich zurückgeben.«
Don Gabriel wurde stutzig und etwas verwirrt. Es bestand Gefahr, dass er den Mann verlor.
»Komme mir hier nicht mit Geschichten, die du mir erzählen willst«, sagte er. »Ob du die fünfzig Pesos bringst oder nicht, befreit dich nicht aus dem Kontrakt, dem du vor Zeugen zugestimmt hast.
Auch das Vorschussgeld hast du vor Zeugen angenommen. Wenn du auch nur drei Pesos Vorschuss annimmst, bist du im Kontrakt. Oder soll ich dich vielleicht zur Polizei bringen, wo man dir sagen wird, wer hier im Recht ist, du oder ich?«
Don Gabriel wartete auf eine Antwort. Dabei kam ihm ein neuer Gedanke. »Du willst gewiss nicht fortlaufen, Chamula? Das werde ich gleich verhindern.«
Candido wusste, was nun geschehen würde. Mit einem Satz war er zur Tür hinaus. Es wäre ihm vielleicht geglückt zu entkommen, hätten nicht vor der Tür seine beiden Jungen gehockt, die er nicht allein in der Stadt zurücklassen konnte. Er rief sie an, ihm zu folgen. Aber ehe sie aufspringen konnten, hatte Don Gabriel beide fest an den Armen gepackt.
Er rief nun mit gellender Stimme: »Policia! Policia! Acá, acá!«
Das Municipalidad-Gebäude war gleich gegenüber der Straße, wo es die eine volle Längsseite der Plaza einnahm. In der vierten Tür war die Comandancia de Policia, und vor der offenen Tür standen und hockten stets einige Polizisten herum, die auf Befehle ihres Kommandanten warteten. Don Gabriels Ruf war noch nicht ganz verhallt, als auch schon drei Polizisten, ihre Holzknüppel schwingend, mit einem kurzen Keuchen vor der Eisenhandlung angehetzt kamen.
»Was gibt es, Don Gabriel? Haben die beiden Jungen etwas gestohlen?« fragte der eine.
»Nimm die beiden Bastarde rüber zur Comandancia und halte sie gut fest. Ich komme sofort selbst, um mit dem Jefe zu reden.«
»Muy bien, Don Gabriel, zu Ihren geschätzten Diensten!« sagten die Polizisten pflichteifrig und zerrten die Jungen hinter sich her.
Die Jungen, ihren Packen auf dem Rücken, begannen nun entsetzlich zu schreien, als ob sie erschlagen werden sollten, und riefen mit voller Kraft ihrer jungen Stimmen: »Tate! Tate! Vater! Vater!«
Candido war, trotz der Schwere seines Packens, ein gutes Stück weit gerannt und hatte bereits die Hälfte der Plaza überquert. Er war sicher, dass seine Jungen ihm dicht auf den Füßen folgten. Er wusste, wie gut sie zu rennen vermochten, wenn sie hinter einem Hasen oder einem jungen Affen her waren.
Als er jedoch seine Jungen schreien hörte und sich umblickte, sah er sie zum Cabildo gezerrt. So blieb ihm nichts anderes zu tun, als umzukehren und ebenfalls zur Comandancia zu gehen.
Sobald er in die Wache trat, ließen die Polizisten seine Jungen los. Die stürmten auf ihren Vater zu und klammerten sich, Schutz suchend, an seinen Beinen fest.
»Warte hier, Chamula, bis Don Gabriel kommt, er hat eine Anklage gegen dich.«
Im Portico des Cabildo waren Bänke aufgestellt, die gegen die Wände des Gebäudes lehnten. Hier sagen die Leute, die zu warten hatten, bis sie aufgerufen wurden. Im Gebäude befanden sich außer der Municipalidad, der Gemeindeverwaltung und der Polizeikommandantur auch der Calabos, das Polizeigefängnis.
Auf einer der Bänke, dicht beim Eingang zur Comandancia, saßen Polizisten, die hier auf Befehle warteten. Nachdem Candido eine Weile in dem Vorzimmer herumgestanden war, ohne dass sich jemand um ihn kümmerte, ging er endlich hinaus und hockte sich im Portico nieder. Entlaufen konnte er nicht leicht, weil die Polizisten nahebei auf der Bank saßen.
Es währte eine Viertelstunde, ehe Don Gabriel gemächlich herangeschlendert kam. Er trat in die vordere Amtsstube und fragte den schläfrigen Schreiber: »Don Alejo hier?« Don Alejo war der Polizeikommandant.
»Im Augenblick nicht, Don Gabriel. Er ist mit einem Diputado einen Aperitivo, einen Appetitanreizer, trinken gegangen. Aber er wird in kurzer Zeit zurück sein.«
»Bueno. Ich werde wiederkommen. Hasta luego.«
»Zu Ihren geschätzten Diensten, Don Gabriel«, sagte der Schreiber höflich.
Draußen im Portico stand Don Gabriel eine Weile, zündete sich mit Andacht eine Zigarette an, blickte über die Plaza hinweg, sah dann auf den hingekauerten Candido und sagte zu ihm: »Vergiss das nicht, Chamula, mir läuft keiner fort. Auch du nicht. Wen ich geangelt habe, den halte ich fest.«
Er reichte den Polizisten sein Päckchen mit Zigaretten hin. Jeder zupfte sich vorsichtig, und mit langen Fingern, eine Zigarette heraus und sagte: »Muchas gracias, Don Gabriel!«
Während er sich drehte, um fortzugehen, warf er beiläufig hin: »Und dass ihr gut auf den Chamula aufpasst, Hombres.«
»Keine Sorge, Don Gabriel, er läuft uns nicht fort.«
Candido zog den Sack, in dem er die Schweinchen trug, zu sich heran. Er öffnete den Sack ein wenig, langte mit der Hand hinein und streichelte und tätschelte die jungen Tiere. Die Schweinchen quiekten und versuchten, sich zur Öffnung des Sackes hinauszukratzen.
»Nicht so ungeduldig, ihr kleinen Racker«, sagte Candido. Dann, sich zu seinen beiden Jungen wendend: »Die sind aber einmal lebhaft und gesund, die werden gute fette Puercos machen.«
»Ja, Tate«, erwiderten die Jungen gleichzeitig, »das sind sehr hübsche Tierchen.«
Candido wickelte ein Fünf-Centavo-Stück aus seinem Wollgürtel hervor und sagte zu seinem Ältesten: »Angelino, hier nimm den Quinto und laufe da um diese Ecke herum, da ist der Markt, kaufe für den Quinto Mais; ich werde den kleinen hungrigen Dingern etwas zu fressen geben.«
Der Junge sprang fort. In einigen Minuten kam er zurück, den gekauften Mais in seinem kurzen, wollenen Überwurf tragend. Dem Indianer, obgleich sein Geld ebenso gut ist, wie das der
Ladinos, wird nichts in Papier eingewickelt, auch werden ihm keine Tüten gegeben. Wozu auch? Er kann das Gekaufte, sei es Zucker, Salz, Kaffee, in seinen Hut schütten, oder in seinen Überwurf, oder er kann seine Hosen unten zubinden und die Ware in die Hosenbeine füllen. Er erwartet keine andere Bedienung beim Händler, obgleich ohne die indianischen Kleinbauern als Käufer der gesamte Handel der Stadt vernichtet würde und alle Händler so gut wie verhungern müssten. Denn die Indianer, die wöchentlich oder zweimal im Monat zur Stadt kommen, um zu handeln, belaufe n sich auf nicht weniger als zwanzigtausend, wenn nicht fünfundzwanzigtausend; sie sind an Gesamtzahl doppelt so stark wie die ganze Bevölkerung der Stadt, die von ihnen lebt.
Als die Schweinchen mit Wohlbehagen ihren Mais kauten und Candido und seine Jungen ihnen dabei vergnügt zusahen, kam der Commandante zurück. Er beachtete den auf den Steinboden gekauerten Indianer nicht, weil im Portico zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht Indianer herumhockten.
Einige Minuten später erschien auch Don Gabriel.
»Wie geht es Ihnen, Don Alejo?« fragte er.
»Regular, Don Gabriel, nichts Besonderes.«
»Don Alejo, ich habe da einen Chamula draußen. Sperren Sie ihn ein bis Montag. Ich zahle die Verpflegung.«
»Und welche Anklage bringen Sie, Don Gabriel? Ohne Anklage kann ich niemand hier einsperren. Ich muss etwas ins Buch schreiben.«
»Kontraktbruch. Oder genauer: Versuchter Kontraktbruch.«
»Das genügt.« Der Kommandant rief: »Un hombre!« Einer der Polizisten sprang auf, rannte zur Tür, grüßte militärisch und sagte: »A sus ordenes, mi Jefe!«
»Bringe den Chamula 'rein, den Chamula des Don Gabriel!« »A sus ordenes, mi Jefe!« Der Polizist ging zur Tür und rief im selben Ton, wie ihn soeben der Kommandant ihm gegenüber gebraucht hatte: »He, Chamula, komm hierher und springe, oder ich bringe dich auf deine faulen Beine.«
Candido band den Sack zu, in dem die Schweinchen quiekten, nahm den Sack und seinen Packen auf und folgte dem Polizisten.
»Was hast du denn da im Sack, Chamula?« fragte der Kommandant.
»Junge Schweinchen, Patroncito, um sie groß zu machen.«
»Gut, kannst sie mit in den Patio nehmen.« Der Kommandant sah nun die beiden indianischen Jungen mit ihren Packen auf dem Rücken. Sie waren hinter ihrem Vater hergekommen und hielten sich dicht an seinen Beinen.
,Was wollt ihr denn hier, Ninos?« fragte er.
»Das sind meine beiden Jungen, Ihre gehorsamen Diener, Patroncito«, sagte Candido höflich. Don Alejo sah Don Gabriel an.
Don Gabriel war nicht verlegen. »Am besten ist, Don Alejo, Sie sperren die Jungen mit hier ein. Die können allein nicht zurückgehen in ihr Dorf.«
»Richtig, Don Gabriel. Aber was machen Sie mit den Jungen am Montag, wenn der Vater in die Monteria marschiert?«
Don Gabriel lachte glucksend. »Ja, was können wir mit den beiden Jungen machen. Die Mutter ist tot. Ich glaube, wir können nichts Besseres tun, als sie mit ihrem Vater zur Monteria zu schicken.«
Der Kommandant nickte zustimmend, sah auf die Jungen in einer Weise, als ob er an zwanzig andere Dinge zu gleicher Zeit dächte und sagte: »Das scheint mir das Menschlichste zu sein, Don Gabriel, die Kinder nicht von ihrem Vater zu trennen. Und dabei fällt mir ein, Don Gabriel, ich habe mit Ihnen zu sprechen. Wir könnten in der Cantina eine Copita trinken.«
»Immer dabei, Don Alejo.« Sie verließen das Gebäude und schlenderten hinüber zur Cantina.
Auf dem Wege sagte Don Gabriel: »Sie wissen, Don Alejo, ich verdiene, aber ich lasse auch andere verdienen.«
»Weiß ich, Don Gabriel. Und das gerade ist es, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte.«
»Mit Vergnügen, Don Alejo, immer zu Ihren geschätzten Diensten.«
Als sie die Klapptüre der Cantina aufstießen, sagte der Kommandant: »Die Jungen sind gesund und kräftig. Warum sollen sie nicht recht gut als Ochsenfütterer und als Ochsentreiber arbeiten, um ihrem Vater zu helfen. Das ist nur ihre göttliche Pflicht gegenüber ihren Eltern.«
»Habe auch ich gedacht, Don Alejo. Und außerdem wäre es eine Grausamkeit ohnegleichen, Kinder von ihrem Vater zu trennen.«
»Eine Grausamkeit, für die es kein anderes Wort gibt als: Sünde, die nie vergeben werden kann. Salud, Don Gabriel!«
»Salud, Don Alejo!«
Der Comiteco schoss die Kehlen hinunter. Während Don Gabriel noch an der halben Zitrone saugte, um dem Branntwein einen verfeinerten Geschmack nachzusenden, rief er: »Dos mas, zwei weitere Copitas, Don Ranulfo. Hier sind zwei durstige Caballeros, trocken und mit Staub bedeckt vom Ritt durch die Wüste.«
Während Don Ranulfo ihnen den Rücken zukehrte, um die Flasche herzulangen, sagte Don Gabriel dicht am Ohr des Kommandanten: »Fünfundzwanzig Pesos, Don Alejo. Ich denke, das gleicht unsere Rechnung aus.«
»Aceptado, Don Gabriel. Immer bereit, wenn ich etwas für Sie tun kann.« Er schob das Geld ein, schwenkte das Glas hinunter, nahm eine Prise Salz auf, schüttete sie auf den
Handrücken, leckte sie mit breiter Zunge ab, und sagte dann: »Verflucht jetzt muss ich aber rennen. Entschuldigen Sie mich, Don Gabriel. Hasta luego, Don Ranulfo.« Er bewegte eine Hand gegen den Cantinero und fegte hinaus.

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