DRITTES KAPITEL
Am Montag zog der Trupp ab zur Monteria. Es waren fünfunddreißig Mann, darunter die beiden Jungen. Außerdem gingen im Trupp vier Frauen, die ihre Männer nicht verlassen wollten und darum mit ihnen in die Monterias marschierten, mutig genug, alle Leiden mit ihren Männern gemeinsam zu ertragen und sich als wahre Gehilfinnen und Gefährtinnen zu offenbaren.
Auf dem Marsch, ehe der Trupp den großen Dschungel erreichte, schlossen sich kleinere Gruppen an, bestehend aus Leuten, die Don Gabriel in den indianischen Dörfern und in den Domänen angeworben hatte, und die sich bereit hielten für den Tag, an dem der Haupttrupp durch die Gegend kam.
Der Trupp der Caobaleute wuchs mit jeder Meile, die er weitermarschierte. Als er endlich an der letzten Siedlung am Eingang zum Dschungel angelangt war, betrug die Zahl der Angeworbenen hundertzwanzig.
Hinzu kamen vierzehn Frauen und neun Kinder unter zwölf Jahren. Kinder, die älter waren oder älter zu sein schienen, zählten nicht als Kinder, sondern bereits als Arbeiter für halben Lohn.
Drei merkwürdige Burschen waren mit aufgenommen worden, die sich anschlossen, als der Trupp eines der kleinen Dörfer, durch die er kam, verließ.
Als die Leute Don Gabriel fragten, ob er sie nicht mit zu den Monterias nehmen wolle, sah sie Don Gabriel eine Weile an und sagte. »Wenn ihr tüchtig arbeiten wollt, kann ich euch dort in den Monterias wohl recht gut unterbringen.« In Wahrheit hätte er sie küssen mögen, dass sie seinen Trupp um drei so kräftige Männer vergrößerten. Sie kosteten ihn keinen Vorschuss, keine Auslagen irgendwelcher Art, ausgenommen die paar Kilo schwarze Bohnen, die sie auf dem Marsch essen würden. Aber sie brachten ihm je 50 Pesos Kommission ein. Das war Geld, vom Himmel gefallen. Er hütete sich freilich, sie zu fragen, wer sie seien und wo sie herkämen. Die Namen, die sie nannten, schrieb er in seine Listen, ohne mit einer Miene anzudeuten, dass er die Richtigkeit der Namen bezweifelte.
»Schenkt man dir 'nen fetten Hahn, frag nicht, ob er krähen kann.«
Merkwürdig erschienen die drei Burschen darum, weil sie, nach ihrem Aussehen zu urteilen, sich schon seit einigen Wochen hier her. umgetrieben haben mussten und auch nicht das kleinste Bündelchen bei sich hatten.
»Ihr seht verflucht verlumpt aus und verludert«, äußerte Don Gabriel, lediglich um in Gegenwart der Capataces etwas zu sagen und sich vor der Mannschaft zu rechtfertigen, dass er keine entsprungenen Sträflinge von der Straße auflese oder gar Gehenkte vom Galgen schneide, um Leute zu bekommen.
Er wusste die Antwort, die er erhalten würde, im voraus. Und zu seiner großen Genugtuung kam diese Antwort wirklich: »Wir haben auf Sie, Patron, hier seit mehreren Wochen gewartet, um Arbeit in den Monterias zu erhalten. Wir hörten, dass Sie in diesem Monat hier durchmarschieren würden, aber wir wussten nicht den Tag, und da haben wir alle unsere schönen Sachen Stück für Stück hergeben müssen, um etwas zu essen zu haben.«
»Freilich«, sagte darauf Don Gabriel, »das ist wohl zu verstehen. Ich kann den Tag nicht vorausbestimmen, wie ihr euch das wohl auch recht gut selbst denken könnt. Ich werde hier aufgehalten und dort, und so verspätet sich der Marsch. Gut, ich werde euch mitnehmen, aber nur aus reinem Mitleid, als guter Christ, weil ich es nicht verantworten könnte, hier jemand in der Wildnis sterben zu lassen, der willens ist, durch ehrliche Arbeit sein Leben zu fristen.«
Die Namen, die sie sagten, und die Don Gabriel in die Listen schrieb, lauteten: Martin Trinidad Castelazo, Juan Mendez,
Lucio Ortiz.
Er schrieb ihnen keine Kontrakte aus und hielt es für weiser, ihnen zu empfehlen, auf dem Lagerfelde des Trupps außerhalb des Städtchens zu bleiben und sich nicht unnötig vorzudrängen. Er kannte seine Leute und wusste, dass ihm diese drei Burschen nicht weglaufen würden, ob sie Kontrakte hatten oder nicht. Was sie taten, wenn sie erst einmal in der Monteria abgeliefert waren, kümmerte ihn nicht mehr, sobald er die Kommission für ihre Ablieferung in der Tasche hatte.
Als der Trupp gegen Hucutsin wanderte, saß am Wege, einige hundert Schritte vor den ersten Häusern des Städtchens, ein junges Indianermädchen. Sie war barfuss und hatte neben sich einen schweren Packen liegen.
Im Augenblick, als die ersten Leute des Trupps aus dem Gebüsch hervorkamen, sprang das Mädchen auf und lief auf eine Erhebung zu, von wo aus sie den Zug, der an ihr in seiner ganzen Länge vorm beimarschieren musste, gut übersehen konnte.
Mit raschen Augen überflog sie jedes Gesicht, das an ihr vorüberzog. Die Männer, von ihren Packen niedergedrückt, gingen müde und gebeugt. Mit ihren Armen verdeckten sie zum Teil ihre Gesichter, weil sie ihre Hände gebrauchten, um die harten Tragriemen, die über ihre Stirnen liefen, genügend lose zu halten, damit ihre Schläfen nicht zu hart gepresst werden sollten, was ihnen heftige Schmerzen bereitete.
Es erforderte darum die volle Aufmerksamkeit des Mädchens, die Gesichter der Leute zu erkennen.
Mehr als der halbe Trupp war bereits an ihr vorüber, und sie sah am Zuge entlang, halb mit Enttäuschung, halb mit Hoffnung. Aber sowohl Hoffnung als Enttäuschung erloschen in ihren Augen, als sie sich plötzlich hochreckte, beide Arme in die Luft warf und rief. »Candido, mi querido hermano, mein geliebter Bruder!«
Candido, tief gebückt dahintrottend, seine Blicke auf den Weg gerichtet, zuckte zusammen. Eine kurze Sekunde lang machte er den Eindruck, als wollte er stehen bleiben. Dann jedoch fiel er in den gewohnten Trott. Neben ihm marschierten seine beiden Jungen, wie ihr Vater Packen tragend, und wie er gebückt dahinmarschierend, seine Schritte und Gesten getreulich nachahmend in der Erwartung, von den Männern des Zuges als vollwertige Mitglieder angesehen zu werden.
Als das Mädchen sah, dass ihr Ruf von dem, dem er galt, nicht beachtet worden war, lief sie einige Schritt mit dem Zuge, um abermals das Gesicht dessen zu erforschen, den sie angerufen hatte. Als sie einige Schritt voraus war, kam sie von der Anhöhe herunter, sprang dicht zu Candido heran und rief:
»Candido, lieber Bruder, kennst du mich nicht?« Jetzt richtete sich Candido auf, blieb stehen und starrte das Mädchen an, als sähe er nicht klar.
Gleichzeitig aber ließen seine beiden Jungen ihre Packen heruntergleiten, liefen auf das Mädchen zu und riefen erfreut: »Tante Modesta!« Sie ergriffen jeder eine der Hände des Mädchens und küssten sie.
Candido verharrte noch für mehrere Sekunden in seinem Erstaunen, während der Zug unbekümmert weitermarschierte, und nur einige der Männer, die am nächsten waren, für eine Sekunde aufgeblickt hatten. Sie alle waren zu müde, um sich um irgend etwas zu kümmern, das sie nicht selbst anging.
Nun trat Candido zur Seite und aus dem Zug heraus. Er ließ sich auf die Knie nieder, um den Packen heruntergleiten zu lassen. Sobald der Packen den Boden berührte, quiekten die jungen Schweinchen, die er noch immer mit sich schleppte, da er nicht wusste, wo er sie hätte lassen können, denn es war ihm keine Erlaubnis gegeben worden, heim zu seinem mageren Höfchen zu gehen, mit seinen Nachbarn und Freunden zu sprechen und ihnen sein Gut anzuvertrauen.
Er streckte seinen Rücken gerade und sah auf seine Schwester.
Modesta war das jüngste Kind seiner Eltern. Er, als der älteste Sohn, hatte für diese Schwester von ihrer Geburt an eine besondere Vorliebe, der er praktischen Ausdruck geben konnte, als sein Vater infolge einer Verwundung, verursacht durch einen Absturz in eine Schlucht, gestorben war und er das Oberhaupt der Familie wurde. Seine Mutter starb ein Jahr darauf an den Pocken und ließ ihn nun als einzigen Versorger seiner Schwester zurück. Die beiden älteren Schwestern hatten indianische Kleinbauern, campesinos, geheiratet und lebten in deren Dörfern.
Es war Modesta, die ihren Bruder gedrängt hatte, zu heiraten; ihretwegen jedoch zögerte er eine lange Zeit.
Als aber dann endlich Candido selbst daran dachte, eine Frau zu nehmen, suchte er für Modesta eine Stelle als Dienstmädchen bei einem Kaufmann in Jolatepec, wo sie nur zwei Pesos im Monat Lohn erhielt, aber dafür die Erlaubnis bekam, ihren Bruder zwei Sonntage in jedem Monat besuchen zu dürfen. Meist wurde es freilich nur ein Sonntag im Monat, weil die Frau des Kaufmanns, wie das überall so geht, stets einen Grund fand, die freien Sonntage des Mädchens für sich zu beanspruchen.
Immerhin, diese wenigen Sonntage genügten, dass sich Modesta ihrem Bruder und dessen Frau mehr und mehr zugetan fühlte, und es war vorauszusehen, dass Modesta wahrscheinlich nie heiraten würde, nur um sich nicht von ihrem Bruder und dessen Familie trennen zu müssen.
Die letzten Leute des Zuges marschierten jetzt an der hier hocken. den Gruppe vorüber. Hinter ihnen ritt Epitacio, einer der Capataces, der den Zug abschloss und die Nachhinkenden auftrieb.
»Olla, Chamula, los, los! Corre, corre!« rief er Candido an. »Bald sind wir im Lager, da kannst du lange genug hocken und deine faulen Hinterbacken anwärmen. Vorwärts, adelante, adelante!« Er zwitschte die Peitsche durch die Luft und rief dann einen anderen Mann an, der sich gleichfalls hingehockt hatte, um seinen Packen zu ordnen.
Candido spannte den Tragriemen über seine Stirn und richtete sich hoch. Seine Jungen nahmen ihre Packen auf. Modesta rannte zurück zu dem Platz am Wege, wo sie ihren Packen abgelegt hatte, steckte ihren Kopf in die Tragschleife, wippte ihre Knie mit dem federnden Ruck eines erfahrenen Trägers hoch und kam auf Candido wieder zu.
»Gehst du nach Hucutsin, Schwesterchen?« fragte Candido, gebückt und schwerfällig unter seinem Packen vorantrabend.
»Ja, Bruder, ich gehe nach Hucutsin.«
»Hast du dort eine neue gute Stelle gefunden? Hucutsin ist viel, viel größer als Chamo und ebenso groß wie Vitztan. Bekommst gewiss mehr Lohn, als dir Dona Paulina zahlte.«
Modesta sagte nichts, denn sie liefen nun in raschem Schritt, um den Zug einzuholen.
Der Trupp marschierte durch die Stadt, wo die Einwohner in den Türen und vor den Häusern standen und die müde vorbeiziehenden Indianer mit ähnlicher Erregung betrachteten, wie anderswo durchmarschierende Soldaten angeglotzt zu werden pflegen.
Dieser Trupp angeworbener Arbeiter bedeutete gute Geschäfte für die gesamte Einwohnerschaft; denn es war das letzte Städtchen vor dem Dschungel und damit die letzte Gelegenheit für die Caobaleute, Einkäufe zu machen. Hier erhielten die Angeworbenen auch ihr letztes bares Geld als Vorschuss auf ihre Kontrakte. Von nun an sahen sie kein Geld mehr bis zu dem Tage, wo sie wieder hierher zurück kommen würden. Im Dschungel ist Geld wertlos. Dies war der Grund, dass die Leute alles Geld, das sie hier bekamen oder noch bei sich trugen, jetzt ausgaben. So war es nicht zu verwundern, dass die Kaufleute des Städtchens die Ankunft durchmarschierender Kontraktarbeiter mit einem warmen Wohlgefühl im Magen begrüßten.
Als Candido, wieder im Zug marschierend, Modesta an der Seite, seine Jungen ihm folgend, zu den letzten Häusern der Stadt kam und er bereits die Friedhofsteine und das weite Lagerfeld, das hinter dem Friedhof war, sehen konnte, fragte er. »Wo ist das Haus, in dem du zur Arbeit gehen wirst? Ich glaubte, du würdest bei der Familie eines Kaufmanns an der Plaza arbeiten.«
Sie äußerte einen Laut, der wie ein leichtes Stöhnen klang und sagte: »Caray, por Jesu Christo, der Packen fängt an zu drücken. Gut, dass wir im Campo sind.«
Schweigend zündete Candido ein Feuer an.
»Ich werde dir helfen, Bruder«, sagte Modesta. »Ich habe lange am Wege geruht und bin nicht so müde wie du.« Sie zog die Kaffeekännchen und die Tonschüsselchen aus den Packen und begann Kaffee zu kochen und Bohnen und Tortillas anzuwärmen. »Ihr beiden«, rief sie den Jungen zu, »ihr sucht Holz und bringt Wasser herbei!«
Candido, am Boden hockend und eine Zigarre drehend, sah seiner Schwester eine Weile zu. Dann stand er auf. »Ich werde zum Pueblo gehen und Mais für die Schweinchen kaufen.«
Er suchte nach einem Holzpflock, trieb ihn in den Boden, band jedes der Schweinchen mit einem kräftigen Bindfaden am Hinterbein fest und knüpfte die Enden in einem Knoten an dem Pflock zusammen. Die Schweinchen, die den langen Tag über in einem Klumpen zusammengeschüttelt im Sack auf dem Packen Candidos gehangen hatten, reckten ihre Beinchen, grunzten und quiekten vor Lebenslust und begannen sofort Gras auszurupfen, den Boden aufzuwühlen und sich gegenseitig um jedes vermoderte Würzelchen zu beißen, das von dem einen oder anderen aufgescharrt wurde.
Als Candido mit dem Mais zurückkam und ihn den Tieren vorgeworfen hatte, sah er ihnen eine Weile zu, rauchte an seiner Zigarre und sagte: »Es sind verflucht gute Fresser, die werden schnell groß und fett werden.«
Den Hantierungen seiner Schwester am Feuer sah er zu, als ob er Mühe habe, sich darauf zu besinnen, wo er sei und wie er hergekommen sein möge.
»Fertig«, sagte sie, »listo«. Gleich darauf: »Muchachos, hijos!« die beiden Jungen rufend, die zu einem anderen Feuer gegangen waren, wo sie zusahen, wie ein Indianer einen Hasen, den er auf dem Marsche erjagt hatte, für das Abendessen zubereitete.
Die vier saßen um das Feuer herum und aßen ihr schlichtes Mahl. Candido trank die letzten Schlückchen seines Kaffees, zog eine Zigarre hervor, die er sich vor dem Essen gedreht hatte, steckte sie mit einem glimmenden Ästchen an und stieß ein paar dicke Wolken hervor.
Die Jungen waren müde geworden und hatten sich beim Feuer ausgestreckt. Modesta deckte sie beide mit einer der zerlumpten Wolldecken zu, die sie aus dem Packen des älteren der beiden Jungen herausgezogen hatte.
»Es wird spät, Schwesterchen«, sagte Candido, aus einem langen und tiefen Schweigen heraus. »Es möchte wohl besser sein, dass du nun zu deiner neuen Herrschaft gehst.«
»Ich kann auch morgen gehen, Bruder«, antwortete das Mädchen. »Ich kann auch gehen an dem Morgen, nachdem ihr hier abmarschiert seid. Gewiss werdet ihr wohl in zwei Tagen abmarschieren.«
»Ja, in zwei Tagen, hat Don Gabriel gesagt.«
»Ich kann zur neuen Herrschaft gehen, wann ich will, Bruder. Die wissen nicht, wann ich komme, ob heute oder nächste Woche.«
Candido nickte: »Wie du willst, Schwester.«
Wieder schwiegen sie lange Zeit. Die Nacht kam. Schwer, wuchtig und plötzlich gleich einem Hammerschlag, fiel sie herab. Und noch immer saßen die beiden am Feuer, rauchend, in die dünne Glut blickend und denkend.
Rund um sie, nach jeder Richtung hin, brannten und glimmten Lagerfeuer. An ihnen hockten die Männer, schwatzend, lachend, streitend, die meisten schweigend. Mehr und mehr von ihnen kauerten sich zusammen oder rollten sich zum Schlafe ineinander, wie es Hunde tun, um sich unter ihren dünnen und zerlöcherten Decken warmzuhalten. Die Nacht begann kühl zu werden; um die Gebüsche an den Grenzen des Feldes wehten die ersten dünnen Schleier wallender Nebel.
»Ich kam am Sonntag, dich und die Kinder besuchen«, sagte da plötzlich Modesta. Ihr Gesicht war kaum zu erkennen, obgleich sie von ihrem Bruder nur um die Breite des Feuers getrennt war.
Candido zog an seiner Zigarre, ohne etwas zu sagen.
»Lauro, dein Nachbar, den ich fragte, sagte mir, dass du und die Kinder in Jovel im Arrest seien.
Mehr wusste er nicht. Ich ging dann auf den Weg, wo ich Manuel traf, der am Tage vorher von Jovel zurückgekommen war.«
»Manuel sah, was mir geschah. Er war vor dem El Globo, als Don Gabriel kam und mir gebot, mich für Montag zum Abmarsch bereit zu halten.« Candido sprach das, als ob das alles Jahre her sei.
»Ja, das erzählte mir Manuel, und ich wusste, dass du nicht zurückkommen würdest. Darauf bin ich rasch zu Onkel Diego gelaufen und habe ihm berichtet. Und Onkel Diego kam herüber. Er wird nach deinem Haus und deinem Acker sehen und dort mit der Tante wohnen. Bis du zurückkommen wirst.
Damit dir dein Haus und deine Milpa und deine Ziegen und deine Schafe nicht abhanden kommen.
Vetter Emiliano ist mit seiner Frau in das Haus des Onkels gezogen; und er kann leicht sein eigenes Feld und das des Onkels besorgen. Sein kleines Haus hat er zugemacht.«
»So habe ich alles erwartet, als ich im Hof des Gefängnisses in der Nacht lag, nicht schlafen konnte und darüber nachdachte, was nun daheim geschehen würde, wenn ich nicht zurückkomme.«
»Es war das Einzige und rein Natürliche, was wir taten«, sagte Modesta in einem Ton, als spräche sie von den Umordnungen, die in einem Haus vor sich gehen, wenn die Familie von dem Begräbnis des Vaters oder der Mutter heimkehrt.
Es war wohl der Tonfall in der Stimme seiner Schwester, der Candido veranlasste zu äußern: »Ich bin froh, dass Marcela tot ist; jetzt bin ich sehr froh darüber. Sie weiß nicht, was hier geschieht und sieht es nicht. Wie traurig würde sie gewesen sein, hätte sie das alles erleben und immer daran denken müssen, dass ich mich in die Monterias verkaufen musste, um ihr Leben zu retten. Ich würde nicht gewusst haben, was tun, um sie fröhlich zu machen. Sie wäre dennoch gestorben, vor Kummer und Herzeleid.«
»Sie hätte mit dir in die Monterias gehen können.«
»Das hätte ich ihr nicht erlaubt. Ich würde einen Freund gesucht haben, einen guten Mann, und würde ihm gesagt haben, sie zu seiner Frau zu machen, damit sie Schutz habe und nicht allein sei. Denn was hätte sie wohl tun sollen, ganz allein, für so viele Jahre?«
»Sie würde nie einen anderen Mann genommen haben, Bruder, das weiß ich. Ich würde zu ihr gegangen sein, und wir hätten die Äcker bestellt und die Ziegen und die Schafe gepflegt damit du ein wohlhabendes Haus gefunden hättest, mit großen und schönen Söhnen, wenn du eines Tages zurückgekommen wärest. Wir würden auf dich gewartet haben und an dich gedacht haben bei Tag und bei Nacht. Wir würden einen Altar in der Ecke erbaut haben mit einem Lämpchen und einer Heiligen Jungfrau, vor der wir jeden Abend und jeden Morgen für deine gesunde Wiederkehr gebetet haben würden.«
Candido schob einige frische Ästchen in das Feuer. Das Feuer war zu klein, um zu wärmen; und es gab auch kaum irgendwelches Licht. Die Jungen regten sich im Schlaf und zerrten die Decken enger um sich herum. Einer seufzte ein wenig auf, der andere plapperte ein paar unverständliche Worte in seinen Träumen; und dann waren beide wieder ruhig.
Modesta zog ihnen die Decken noch dichter. Sie tat es in einer mütterlichen Geste, nicht darum, weil die Decke vielleicht einen kühlen Windzug an die kleinen halbnackten Körper heranzulassen erlaubte, sondern um die Kinder in ihrem Schlafe fühlen zu lassen, dass sich eine liebende Hand um ihr Wohlbefinden bemühe.
»Morgen wirst du dann deinen Dienst hier aufnehmen, hermanita«, sagte da Candido, aus einem langen Schweigen heraus.
Modesta zerrte ein Maisblatt hervor, glättete es, bog es um und riss es zu verlangter Größe. Dann schüttete sie Tabak in das Blatt und drehte sich eine Zigarette. Sie tat es sehr langsam, als wolle sie eine besonders saubere gedrehte Zigarette erzeugen.
Als die Zigarette dann endlich glimmte und sie einige Züge geraucht hatte, brachte sie die Hand, in der sie die Zigarette hielt, herunter und ließ sie auf ihrem Knie ruhen. Sie sah an ihrem Bruder vorbei und richtete ihren Blick gegen den Busch, dessen tiefer Schatten sich in unruhiger Linie abhob gegen die Flächen des dunklen Himmels, die frei von Wolken waren und Sterne sehen ließen.
Sie holte tief Atem und sagte: »Ich gehe in keinen Dienst, Bruder. Ich habe meinen Dienst für Ladinos aufgegeben. Ich gehe mit dir in die Monterias. Ich habe jetzt nur einen Dienst, der wichtiger ist als alles sonst, das mich angeht, den Dienst für dich und die Kinder.«
Candido senkte seinen Kopf tief gegen das Feuer und sagte leise. »Du hättest das nicht tun sollen, Schwesterchen. Die Monterias sind nicht für Frauen und am wenigsten für junge Mädchen.«
»Dasselbe hat mir der Onkel gesagt und auch die Tante und alle Nachbarn. Aber als die mir alle das gleiche rieten, kam ich doch immer mehr zu dem Gefühl, ich könnte es nicht ertragen, dort ruhig und in Frieden zu wohnen. Ich muss mit dir und den Kindern gehen, da ihr in Not seid. Wir werden eines Tages zurückkommen; und wenn ich dich wieder in deinem Hause weiß, dann habe ich diesen Dienst vollendet, und du magst mir helfen, einen Mann für mich zu suchen, der gut ist wie du.«
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zogen sie ihre dünnen Wolldecken enger um sich, rauchten, sahen in das müde, verglimmende Feuer und erwarteten den Morgen. |
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