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Fjodor Gladkow - Zement (1925)
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IX. Der Bremsberg

Die Massen

Vor und hinter sich empfand Gleb nicht den und jenen Menschen, sondern nur die ganze Menschenlawine. Schweißgebadet brach er mit der Hacke Zementschiefer und Feldspat heraus. Wie Ameisenscharen bedeckten Tausende, ihre Hacken schwingend, den ganzen Abhang — von den Schloten, den Werkgebäuden und den Steinhalden bis zu den obeliskenhaften Masten der elektrischen Förderbahn.
Ü ber dem Meer zogen Wolkenballen dahin, die ersten Frühlingsblumen flatterten in Schwärmen über das Grün der Berge. Wie opalfarbener Rauch schimmerten Sträucher zwischen den Steinblöcken und in den Felsenrissen. Zur Rechten und zur Linken erhoben sich hier abschüssige Berge, tief unten breitete sich das himmelblaue, grenzenlose Meer. Und zwischen Bergen und Meer — tiefer Luftraum.
Ingenieur Kleist leitete persönlich die Arbeiten, unterstützt von gesetzten Technikern und flinken Gruppenführern, die sich diensteifrig in seiner Nähe hielten. Leicht gebeugt, auf seinen dicken Stock gestützt, traf er ruhig und kühl, mit kaum erhobener Stimme seine Anordnungen.
Ingenieur Kleist ist ein der Sowjetrepublik ergebener Spezialist. Der Arbeiter Gleb Tschumalow kann jetzt Freund des Ingenieurs Kleist sein... War das etwa kein Sieg?
In sich gekehrt, blieb Kleist unweit von Gleb stehen, überblickte den Schwung der Arbeit auf den Bergen, und Gleb sah in seinen Augen Stolz und Erregung aufleuchten.
Er schob seinen Helm in den Nacken, wischte sich die Schweißtropfen vom Gesicht und lächelte fröhlich.
„Na, Hermann Hermannowitsch, erinnern Sie sich noch? Sie haben gesagt, wir brauchten für diese Geschichte einen Monat; sehen Sie sich an, was die Leute fertig bringen, wenn Enthusiasmus sie beseelt. Zum dritten Mal sind sie heute angetreten, und die Arbeiten sind schon beinahe beendet."
Kleist lächelte; seine Würde beibehaltend, sagte er trocken:
„Ja, ja. Mit solchem Arbeiterschwung lassen sich Wunder vollbringen. Trotzdem ist es ein unökonomischer Kräfteverschleiß. Hier fehlt die Planung und organisierte Arbeitsteilung. Enthusiasmus ist wie ein Wolkenbruch: nicht anhaltend und schädlich."
„Wenn alles in Trümmern liegt, kann man nur so anfangen, Hermann Hermannowitsch. Haben wir einmal ein festes Fundament gelegt und alles in Ordnung gebracht, werden wir die Produktion auch planmäßig bewältigen lernen. Übrigens — Enthusiasmus ist kein Wolkenbruch, sondern Feuerbrand, ein Feuerbrand der Seele, der niemals in uns erlischt."
Auf seinen Stock gestützt, ging Kleist den Berg hinauf zu den wie Flammen aufsteigenden Obelisken der Förderbahn. Dann blieb er stehen und sann.
Wer weiß, vielleicht ist das wirklich ein neuer Tag. Vielleicht fängt ein anderes Leben an, ein noch nie geschautes, glückliches Leben.
Es roch unerträglich nach glühenden Steinen und versengtem Gras. Der Staub brannte in Mund und Augen.
In den Bergen läuteten Glocken.
Schön ist's. Alles gewaltig und unermesslich. Die Sonne voller Leben wie der Mensch. Sie speist jede Zelle seines Körpers mit Blut, beseelt ihn mit Wünschen und Glauben an die Zukunft.
Die geraden Linien der Gleise liefen auf den Rippen der Schwellen in die Schlucht, zu den Ausbeutungsstellen hinab und nach oben in den Kiefer der Kopfstation. Noch eine Stunde, und die stählernen Saiten der Drahtseile werden sich spannen, sich wie glühende Fäden durch die Luft ziehen, und mit ehernem Klang werden die Loren anlaufen — hinauf und herab — hinauf und herab.
Polja Mechowa, der Lockenkopf, kletterte müde den Berg hinauf, sich auf ihren Spaten stützend. Sie stolperte oft, schrie dann jedes Mal auf und lachte.
Auf einem Felsen zwischen den Obelisken stand Luchawa in schwarzer Bluse ohne Gürtel, die Brust entblößt; er signalisierte mit beiden Armen Befehle.
„Ach, bin ich müde, Tschumalow! Stütz mich schwaches
Weib."
Polja legte Gleb die Hand auf die Schulter. Er fasste sie unter und setzte sie auf einen steinernen Vorsprung.
Mit geschultertem Spaten kam Dascha vorbei, gefolgt von einer Schar Frauen, ebenfalls mit Spaten. Sie stiegen zur Kopfstation hinauf, um die Wege auszubessern. „Sieh da, meine Dascha, die Anführerin! War mal ein nettes Frauchen."
Er umarmte sie, als sie vorüberging, und drückte sie an sich.
Dascha lachte, riss ihm mutwillig den Helm vom Kopf und warf ihn bergab. Dann befreite sie sich aus seiner Umarmung und lief lachend weiter. Er wollte ihr folgen, überlegte es sich aber und sah ihr nur nach. Ein Weilchen stand er noch, dann kletterte er auf den Steinplatten langsam hinunter und hob seinen Helm auf.
Polja schmunzelte listig, seufzte und sagte neidisch: „Dascha ist eine richtige Bolschewikin, und ich habe Riesenrespekt vor ihr. Aber in dich ist sie verliebt wie eine Braut, Tschumalow."
„Du träumst wohl, Genossin Mechowa?" „Was! Sag bloß, du merkst nichts davon!" „Bisher habe ich nur das Gegenteil bemerkt", erwiderte Gleb bissig. „Sie ist mit mir umgesprungen, wie man mit Ehemännern nicht umgeht."
„Nicht möglich!" rief Polja lachend. „Glaub ich dir nicht, Tschumalow. Hast wohl als eifersüchtiger Gatte den Despoten herausgekehrt, wie?"
Er hielt ihren spöttischen Blick nicht aus und wandte sich verlegen ab.
„Ach, ihr Männer, ihr Männer! Wie patriarchalisch ihr noch seid! Ihr traut euch noch nicht, die Frau zu achten."
„Entschuldige, auf mich trifft das nicht zu." „Gerade auf dich, werter Genosse."
An jenem Abend hatte Dascha nicht mehr so mit ihm gesprochen wie noch die Woche zuvor. Mit unbeholfenen, kargen Worten hatte sie ihm von ihrem Abenteuer in der Schlucht erzählt. Im Schein der elektrischen Lampe hatte sie ausgesehen wie ein junges Mädchen: ganz strahlendes Staunen, ihre weitgeöffneten Augen blickten ihn vertrauensvoll und mit zärtlichem Lächeln an. Als sie dann erzählte, wie sie von der Droschke gesprungen war und wie sie der bärtige Kerl zur Schlinge geführt hatte, da war Gleb erregt im Zimmer auf und ab gelaufen. Nicht Angst um Dascha, nicht Wut auf Badjin war es gewesen, was ihn erschütterte, sondern ihr hoher Mut. Und das eine hatte er tief und endgültig gefühlt: Nie wieder würde er ihr ein grobes Wort sagen, nie wieder eine kränkende Frage stellen oder sich ihr mit aufdringlicher Zärtlichkeit nähern. Er hatte ihr zugehört, zitternd und ohne die Augen von ihrem Gesicht abwenden zu können.
„Dascha! Aber das ist doch der sichere Tod gewesen! Ich begreife nicht, welches Wunder dich gerettet hat. Du hast recht, Liebste: Nicht nur einander — uns selber kennen wir wahrscheinlich nicht einmal."
Und als sie dann im Dunkeln lagen — er im Bett, sie auf dem Fußboden —, hatte Dascha ihn zärtlich gerufen. „Gleb, schläfst du?"
„Liebste, Daschalein! Kann ich denn jetzt schlafen?" Dascha hatte liebevoll gelacht und dann nach einigem Schweigen listig gefragt: „Nun, und wenn ich damals mit Badjin geschlafen hätte? Nehmen wir's einmal an. Was würdest du dazu sagen?"
Gleb hatte sich gewundert. Dascha hatte ihn mit diesem grausamen Scherz nicht verletzt. Sie hatte ihn prüfen wollen — prüfen in einem Augenblick, da Heuchelei unmöglich war, da er sich entweder als Mensch oder als Tier erweisen musste. Er hatte in dieser Sekunde nur eins gefühlt: Dascha war ihm teurer, ihm mehr geworden als Frau. In seinem Herzen war eine Zärtlichkeit zu ihr aufgestiegen wie zu einem neuen Freunde, wie er ihn noch nie besessen. Er hätte vor Liebe zu ihr weinen und ihr um jeden Preis beweisen mögen, dass ihr Glück ihm über alles ging.
„Wozu sagst du mir das, Liebste? Mag gewesen sein, was will, du bist mir jetzt das Teuerste." Dascha hatte aufgeatmet.
„Weiß nicht, aber etwas Neues ist in mein Leben getreten. Irgendwie neu, besser ... sehe ich mich und dich auch."
Sie war eine Weile still gewesen, hatte dann zu seufzen angefangen und sich auf ihrem Lager hin und her geworfen; schließlich war sie aufgesprungen und leise an sein Bett getreten. Behutsam und zart hatte er sie in die Arme genommen, geküsst und neben sich gelegt.
Sawtschuk arbeitete jetzt als Vormann einer Gleisbauabteilung; er nagelte Schienen an die Schwellen und schwang seinen Hammer mit der Raserei eines Arbeitstrunkenen.
Gleb schulterte seine Hacke und kletterte den Berghang hinauf, wo Eisenbahner gerade die Sträucher abschlugen, sie bahnten der zweiten Arbeitskolonne den Weg.
„Hau zu, Sawtschuk, immer drauf! Damit in deiner Böttcherei recht bald die Sägen singen." „Machen wir, verdammt noch eins! Wir hauen uns schon durch zu unseren Mädels."
Die letzten Schienen wurden an den Schwellen befestigt. Die Trossen liefen wie Schlangen durch die Flaschen und krochen nach unten, wo sie im Menschengewühle verschwanden.
Rotarmisten standen, auf ihre Gewehre gestützt, an der Sohle des Passes und hielten Wache. Über ihnen und neben ihnen grünten dichte Büsche und Lebensbäume.
Zerschlagen, mit zitternden Gliedern, wankte Sergej aus der Reihe. Er ging zur Mechowa und ließ sich neben ihr auf die Steine fallen.
„Na, werter Intelligenzler? Nicht wahr, die Wurzeln der kommunistischen Arbeit sind nicht immer süß?"
Sie strich ihm zärtlich übers Haar, und er lächelte verwirrt und schuldbewusst. Schweißtropfen rollten ihm über Nase und Kinn. „Ich bin ganz aufgewühlt, Polja. Solche Tage sind selten im Leben. Wie groß das alles ist, welcher Schwung, welche Kraft! Das lässt den Menschen wachsen und macht ihn unbezwingbar. Sitzen wir ein Weilchen, Polja, und träumen."

Blutiger Einsatz

Die ersten Schüsse waren im Arbeitslärm nicht zu hören. Die Rotarmisten am Pass liefen hin und her: sie gingen hinter Steinhaufen in Deckung, stürmten einzeln vor und schossen hastig durcheinander.
Luchawa schwenkte die Arme. Mit überschnappender Stimme schrie er: „Genossen! Ruhe! Alle bleiben auf ihrem Platz! Die Arbeit geht weiter! Keine Panik, Genossen!"
Doch Tausende von Menschen rannten bereits nach allen Seiten — bergab, nach rechts, nach links, stürzten hin, rannten weiter. An verschiedenen Stellen versuchten manche den Strom aufzuhalten — hoben die Arme, drohten mit Spaten und Hacken.
Gleb kletterte auf einen Felsblock und kommandierte: „Genossen Kommunisten, zu mir!"
Der Spitzentrupp der Baugewerkschaft stürzte zu Gleb, andere folgten einzeln oder in Gruppen. „Haaalt! Haaalt!"
Die Leute wälzten sich unaufhaltsam hinunter, liefen auseinander und verschwanden zwischen Sträuchern und Felsen.
„So ein Gesindel. Haben den Kopf verloren." „Rollen und rennen... wie die Ratten... Ist das ein Volk!"
„Gibt eben allerlei Volk; das eine stürmt, das andere türmt."
Gleb traf unverdrossen seine Anordnungen. „Lauft runter, Genossen! Sawtschuk! Dascha! Beruhigt die Leute. Sorgt dafür, dass sie umkehren."
Sawtschuk, Dascha und noch einige Arbeiter fassten sich bei den Händen, um einander Halt zu geben, und liefen in einer Kette den Berg hinunter.
Gleb winkte die Arbeiter zu sich heran und rief: „Genossen, zu mir! Holt Gewehre! Auf zur Förderbahn!"
Rasch ging er über die Schwellen nach oben zu den Obelisken. Ein Trupp Arbeiter stürzte ihm nach.
Die Metallarbeiter und Elektroinstallateure aber arbeiteten ruhig und schweigend weiter, doch in ihren Augen flackerte die Unruhe.
Luchawa und Sergej verteilten Gewehre und Patronen, und alle, die ein Gewehr bekamen, konnten ein erfreutes Lächeln nicht unterdrücken. Jeder einzelne empfand die Feierlichkeit und die Bedeutung des Augenblicks; mit strengen Gesichtern setzten sie die Patronenstreifen ein und traten schweigend zur Seite. Der Hauer Mitka, der Harmonikaspieler mit dem rasierten bläulichen Schädel, drängte sich gewaltsam zu Gleb vor und brüllte: „Los, lasst mich durch, Jungs! Nicht wegstoßen, bitte! Ich weiß genau, wo mein Platz ist. Ich habe auf diesen Tag vielleicht sehnsüchtiger gewartet als auf meine Geburt."
Er streckte schon von weitem die Hände aus, versuchte gierig, ein Gewehr zu erwischen, und ärgerte sich, wenn er beiseite gedrängt wurde.
Einige Minuten später schwärmte der Trupp aus und eilte zum Pass hinauf.
Polja kletterte dicht neben Gleb über die Steine. Er spürte ihre weiche Schulter und hörte ihr schnelles Atmen.
„Willst du also unbedingt mit, Genossin Mechowa? Wozu denn?"
„Warum soll ich denn nicht mit? Warum kannst du dabeisein und ich nicht?"
„Bei mir liegt die Sache doch etwas anders, aber dir ist ein Rock an die Beine gewachsen."
Polja wurde wütend und prustete verächtlich.
An manchen Stellen wechselten Rotarmisten und Arbeiter vorn die Stellung, machten halt und schossen kniend. Weit entfernt — auf dem Meer oder hinter den Bergen — heulten Sirenen.
„Das sind doch Kugeln, Gleb! Ich hab schon so ewig keine mehr gehört."
Gleb ging, das Gewehr schussbereit. An seiner Seite hielt auch Polja das Gewehr im Anschlag. Ihre langen Locken glänzten in der Sonne.
Glebs Plan war einfach und klar. Sein Trupp sollte den Banditen in den Rücken fallen, sie aus dem Wäldchen jagen und auf dem kahlen Berghang vor die Gewehre der Rotarmisten treiben. Die Rotarmisten sollten sie dann vernichten. Gleb selbst wollte von der Höhe aus den Kampf leiten.
„Hörst du, Gleb, sie sind nahe, schießen vom Gipfel aus. Sicherlich wollten sie Panik stiften und dann den Bremsberg zerstören."
Gleb antwortete nicht. Er kletterte den Steilhang hinauf, blieb oft stehen und sah sich nach dem Bremsberg um. Polja hielt mit ihm Schritt.
Tief unten drängte sich eine dichte Menschenmasse zusammen; aus diesem Gewühl lösten sich ganze Gruppen und einzelne Gestalten und krochen auf den Bahnschwellen in langer Reihe bergan.
Der Gipfel glich einer grünen Kuppel. Ein eisernes Stativ, ein Zeichen von Feldmessern, leuchtete rostrot in der Sonne.
Sie krochen auf den Berggrat. Von hier aus eröffnete sich ihnen ein weiter Ausblick: Haine und Gehölz, Täler und Hügel. In der Ferne blauten andere, noch höhere Bergketten, und darüber schimmerten einzelne Gipfel, mit rosa Schnee bedeckt.
Tschumalow und Polja legten sich auf das feinkörnige Geröll. Es roch nach versengtem Gras und dem Schwefeldunst des erhitzten Zementschiefers. „Ich sehe nichts, Gleb. Wo sind sie?" Polja erhob sich auf die Knie und streckte die Hand aus. Gleb zog Polja am Rock. Ein weiches Knacken, und ein Häkchen, der Seitenverschluss riss. Polja lachte auf und setzte sich neben Gleb. „Einen Haken hast du mir abgerissen, du Bär! Was soll
ich jetzt machen?"
Sie holte eine Nadel heraus und steckte den Rock zusammen.
Rechts vom Gipfel türmte sich eine Felswand auf, die der Ruine einer uralten Festung glich und mit einem Dickicht aus Lebensbäumen, Kornelkirschen und Heckenrosen bewachsen war. Zwischen den Felsen schlich, von Sträuchern gedeckt, raubtierhaft ein sonnenverbrannter Kosak ohne Pelzmütze, das Gewehr im Anschlag. Er hockte sich nieder,
drückte sich an die Steine, verschwand und tauchte dann wieder auf.
„Ich schieß ihn gleich nieder, Gleb. Ich halt's nicht aus." Das Gewehr zitterte in Poljas Händen, ihre Augen funkelten.
„Liegenbleiben, sag ich dir! Sonst schmeiß ich dich den Abgrund runter."
Gleb riss drohend die Augen auf.
Er lief rasch bergab in Richtung des Kosaken und entschwand aus Poljas Blickfeld. Dann tauchte er für einen Moment, zur Erde geduckt, zwischen den Ruinen auf.
Der Kosak blieb stehen, warf erschreckt den Kopf hoch und legte an.
Polja schlug das Herz so laut, dass ihr der Atem stockte, und es schien ihr, als krachten die Schüsse im Walde tief unten.
War es Gleb gelungen, sich zu verbergen, oder hatte der Kosak ihn entdeckt?
Aufspringen, hinlaufen. Nein, sie schafft es nicht mehr...
Sie legte rasch an und drückte auf den Abzug, hörte jedoch den Schuss nicht, spürte nur einen Stoß gegen die Schulter und in den Ohren den Luftdruck.
Sie sprang auf und rannte zu den Felsen — dorthin, wo Gleb war. Geröll und Staub wirbelten von den Steinplatten auf und brannten ihr auf Wangen und Stirn.
Vor einem Felsblock rangen Gleb und der Kosak in den Büschen, die von ihrer Last niederbrachen. Unter Poljas Füßen klirrte Glebs weggeworfenes Gewehr.
Wahnsinn in den Augen, mit Schaum und Speichel beschmiert, keuchend, röchelnd wand sich der Kosak in Glebs Armen und zerrte ihn mit sich zum Rande der Schlucht.
In demselben Augenblick, als Polja mit dem Gewehrkolben auf den Kopf des Kosaken ausholte, umklammerte Gleb mit einem Arm dessen Hals, packte mit dem anderen sein Handgelenk und brach ihm den Arm. Der Kosak
knirschte mit den Zähnen und heulte auf. Gleb presste seinen Hals zusammen, bis er selbst am ganzen Körper zitterte. Polja sah, dass beide im nächsten Augenblick in den Abgrund stürzen mussten, und versetzte dem Kosaken mit dem Kolben einen furchtbaren Hieb in die Seite. Der Mann wurde schlaff, brüllte dumpf auf, und seine Knie knickten
ein.
„Ich kann nicht mehr! Aus!"
Glebs Hand glitt vom Halse des Kosaken und hielt ihm den anderen Arm fest. Der Kosak sah Gleb mit den Augen eines gefangenen Tieres an, und sein heißer Atem ging pfeifend. Aus Nase und Mund rann ihm eine schleimigblutige Brühe. Der sonnverbrannte Schädel zuckte, er verschluckte sich an Speichel und Blut und brüllte wieder dumpf: „Lass mich! Ich kann nicht mehr! Ich gebe auf!"
Polja krallte sich in Glebs Schulter und zerrte ihn zurück. „Schnell fort von hier, Gleb! Siehst du denn nicht — eine Falle!" Gleb blickte sie verständnislos an und ließ den Kosaken los.
Auch er keuchte und röchelte und riss sich die Fetzen des Hemdes vom Leibe. Dann griff er nach der Revolvertasche, doch sie war leer.
Vom Kampf erschöpft, sah der Kosak umher, fuhr zusammen, fletschte die blutigen Zähne und sprang hastig
zum Abgrund.
„Haa, Schufte, verdammte, niederträchtige! Wollt einem Kosaken an den Hals? Fangt den Kosaken im Flug!" Er kreischte auf, nahm Anlauf und flog kopfüber in den
Abgrund.
Gleb lief zum Rande der Schlucht und sah, wie der Körper des Kosaken tief unten über die Steine kobolzte, gegen Felsvorsprünge prallte, sich in der Luft überschlug und bald hierhin, bald dahin purzelte.
Poljas Hand zog ihn vom Abgrund zurück.
Aus dem Wäldchen liefen die Banditen in zerstreutem Haufen, stolperten, schossen, überschlugen sich. Schüsse ballerten, und hinter dem Gipfel, wo die Rotarmisten in Deckung lagen, stieg Staub auf. Polja lag auf dem Bauch und feuerte ebenfalls. Der Kolben schlug ihr schmerzhaft gegen die Schulter; doch in wilder Begeisterung zog sie knackend durch, zielte und schoss auf die in der Ferne hüpfenden Gestalten.

Der Hebel schaltet

Wie Geigen sangen die Scheiben der Seilbahn, und ihre in verschiedenen Neigungen und vielfachen Überschneidungen schwingenden eisernen Speichen schwirrten wie schwarze Flügel. Die Stahltrossen rollten wie Spinnfäden in den Felgenrinnen auf und wickelten sich wieder ab. Die Monteure, Arbeiter und Komsomolzen, mit Luchawa und Kleist an der Spitze, beobachteten das Spiel des elektrischen Triebwerks und lauschten der wiedererwachten Maschinenmusik.
Die Menschenmassen, die wie eine Lawine bergab fluteten, brodelten vor Erregung. Von der Kopfstation bis zum Fuße des Berges, wo sich Steinhaufen zu Pyramiden türmten, zogen die Menschen in zwei Strömen hinab, zwischen denen die vier Saiten liefen.
Von der Sohle kroch, an ein Drahtseil geklammert, eine unten abgestumpfte Schildkröte herauf.
Ü ber die in Stufen liegenden Felsplatten stieg in ungeordnetem Haufen der bewaffnete Arbeitertrupp vom Pass herab, während die Rotarmisten wieder an ihre alten Plätze gingen. An der Spitze des Arbeitertrupps gingen Gleb und die Mechowa. Hinter ihnen wurde, auf Gewehren gebettet, die Leiche eines Genossen getragen.
Der Trupp stieg bis zum Maschinenhaus und legte die
Waffen ab. Die Gesichter der Arbeiter waren mit Schmutz bedeckt. Der Leichnam, der an Stelle des Kopfes einen blutigen Fleischklumpen hatte, wurde auf die betonierte Plattform gelegt. Sich stoßend und drängend, strömten die Leute herbei.
Stumm, mit strengen, schmerzerfüllten Gesichtern standen die Arbeiter Schulter an Schulter und starrten auf den jungen Burschen, der da tot zu ihren Füßen lag. Der blutüberströmte Kopf ließ nicht mehr den Harmonikaspieler Mitka erkennen. Mitten im Gedränge verbanden Komsomolzinnen verwundete Genossen.
Eine junge Stimme überschlug sich vor Erregung. „Ach, hat's dich erwischt, Bruder ... Mitka! Was soll man da sagen. Und warst so ein lustiger Bursche!"
Neue Scharen drängten sich heran, blieben reglos vor dem Leichnam stehen und stöhnten vor Schmerz auf.
Kleist trat auf Gleb zu und drückte ihm schweigend die Hand.
Dascha ging vorbei und sah ihn mit feuchten Augen an, in denen aber eine neue Freude und Verwunderung leuchteten.
Und hat sie nicht recht? Die Hauptsache bleiben die Massen, die Arbeit, das beflügelte Spiel der Räder und dass nachts das Werk seine elektrischen Mondaugen öffnet und in den Arbeiterwohnungen die Fäden in den erloschenen eisklaren Glühbirnen wieder aufleuchten.
Dann werden sich aus den Kratern der Schlote bald wieder schwarze Rauchwolken wälzen und schwebende Schildkröten zu den Pieren fliegen und von da zu den Höhen und in den Steinbrüchen den Schiefer verschlingen.
Luchawa stand neben den Maschinen, rief etwas nach unten und schwang die Arme.
Die Räder bebten und blieben stehen.
Gleb lief die Stufen hinab, die unter die Maschinen führten, in gleicher Höhe mit der Plattform stand eine breite, flache Lore, mit dem Silberstaub der Verwesung bedeckt.
Gleb lief wieder hinauf und schrie den Menschen zu: „Genossen, hebt den Toten auf, legt ihn auf die Lore! Wir wollen ihn mit aller Feierlichkeit hinunterlassen. Er soll seinen Weg durch die Massen nehmen. Alle sollen ihn sehen und ihm die letzte Ehre erweisen."
Schweigend hoben die Arbeiter den Toten auf und legten ihn vorsichtig auf die Lore.
Jemand bat in weichem, traurigem Ton: „Genossen! Seine Hacke. Sein Gewehr. Legt sie doch neben ihn, Genossen!"
Gleb stellte sich zwischen die blauen Obelisken und machte eine weitausladende Armbewegung. „Abfahrt! Sputet euch!"
Unter Stimmengebraus glitt die Lore auf den Schienen bergab, schwebte wie ein Vogel in der Luft.
Gleb legte die Hände als Trichter an den Mund und rief:
„Genossen, das ist ein Opfer der Arbeit und des Kampfes. Weint nicht! Schluchzt nicht! Freut euch der lebendigen Siege. Bald wird die Fabrik dröhnen von Feuer und Maschinen. Wir gehen zusammen an den großen Aufbau des Sozialismus. Ja, Blut wurde vergossen, viel Leiden, viel Schwierigkeiten waren auf unserem Wege und werden noch sein. Aber dieser Weg des Kampfes führt zum Glück, zum endgültigen Sieg über die Welt der Gewalt. Mit eigener Hand schaffen wir uns unsere Welt. Mit dem Namen Lenins auf den Lippen, mit dem Glauben an das grenzenlose Glück verzehnfachen wir unsere Kräfte im Kampf um die Zukunft."
Die Lore mit dem Leichnam des gefallenen Jungen, des lustigen Harmonikaspielers, glitt abwärts, durch die Menschenmassen hindurch, und alle empfingen und begleiteten diesen Katafalk mit entblößtem Haupt, und die Gesichter waren traurig und streng.

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