XIV. Empfang der Büßer
Über Golgatha nach Canossa
An einem sonnigen Tage erlebte Polja wieder so erhebende, aufrüttelnde Stunden wie bei der nächtlichen Enteignung und in den Tagen des Kampfes mit den Weiß-Grünen. Wieder glühte sie vor Begeisterung und Freude, und ihr Gesicht verriet nichts von Grübelei, Gram oder Verwirrung.
Sie setzte sich mit Shidki, Tschibis, Gleb und Sergej ins Motorboot.
Tschibis hob die Hand und kommandierte: „Los geht's, Freunde! Haltet euch fest! Mit Volldampf voraus, Matrose!"
Und er ließ seine Hand auf die Schulter des Matrosen fallen, der ein schmutziges, verunstaltetes und zerschrammtes Gesicht hatte und ein Knäuel Werg in den Fingern hielt.
Fern an der Reede, in heißem Sonnendunst, lag ein Dampfer, aus dem Wasser wachsend wie eine riesige Klippe. Das war der erste Dampfer mit „Büßern" an Bord.
Das Spiegelbild der Landungsbrücke auf dem grünen Wellengekräusel zerfiel in Stücke, die unter der schimmernden Ölschicht verschwanden. Am Bug brachen sich Sturzwellen mit kristallenem Klirren. Am Heck, hinter Glebs Rücken, schäumte eine hohe Woge, die erstarrt zu sein schien. An den Molen spielten zwei Delphine und rollten wie eiserne Räder übereinander. Funken spritzten
von ihren runden Rücken und stachen schmerzhaft in die Augen.
Am Kai und auf den massiven Landungsbrücken wimmelte eine unübersehbare Menschenmenge. Man hatte seit langer Zeit kein Schiff mehr gesehen. Die letzten waren mit den Weißen verschwunden. Man war ausgehungert nach dem Anblick von Schiffen und empfand deshalb die Ankunft dieses Dampfers als ein Ereignis.
Sergej sah auf die schwarze Silhouette des Dampfers und kaute am Nagel seines kleinen Fingers. Gleb schlug ihm auf die Hand, aber er konnte es nicht lassen. „Da haben wir's. Über Golgatha nach Canossa. Das ist der Weg der Konterrevolution."
Shidki schielte zu Sergej hinüber, und seine Nasenflügel blähten sich.
„Lass das, Serjosha! Das sind Intellektuellenphantasien. So reden nur Feinde des Sozialismus."
Sergej jedoch redete mit sich selbst — vielleicht aber auch zu allen: „Auf diesem Schiff befinden sich dreihundert Mann und vierzehn Offiziere. Als man sie in Tuapse zurückwies, haben sie gesagt: ,Das Schiff fährt nicht zurück. Man soll uns irgendwohin schicken.' Herrlich! Sie bringen uns schrecklich viel Energie mit. Die müssen wir ausnützen. Ausnützen und umformen."
Shidki stierte Sergej an.
„Und wie viel haben sie uns genommen? Wie viel Blut und Kraft — hast du das ausgerechnet? Man wird schwindlig, wenn man nur daran denkt." „Na und?"
Polja warf Sergej einen Blick zu und lachte auf. Sie war aufgeblüht in frühlingshafter Freude, und ihre Wimpern und Brauen sprühten in der Sonne.
„Ach, Serjosha! Unsere wackeren Genossinnen würden dich schön zerpflücken, wenn sie deine Weisheiten hörten!"
Gleb beobachtete die Delphine. Es drehten sich da zwei große Schwungräder, eins hinter dem anderen — tauchten
auf und versanken. Mit ihren säbelscharfen Rücken durchschnitten sie das Wasser. Verschwanden sie in der Tiefe, so schloss sich das Wasser über ihnen, ohne Wellen zu schlagen und ohne Spritzer. Ebenso gewaltig und beschwingt sausen die Räder der Dieselmotoren im Werk und laden die Atmosphäre mit elektrischer Spannung. Einst sind es viele gewesen, jetzt sind es nur zwei. Ihr Leben verkörpert sich jetzt dort, in dem kraterförmigen Bergeinschnitt: dort kriechen zwei Schildkröten, zwei Loren — die eine hangaufwärts, die andere hangabwärts, und hinter ihnen in langer Kette viele andere. Diese Delphinräder aber, mit tierischem Blut geladen, tauchen die kostbare Sonnenenergie verschwenderisch in die Meerestiefen.
Die Landungsbrücken lagen schon weit zurück. Die zackigen, kupfern schimmernden Berge, in violetten Dunst gehüllt, wiegten sich, schwammen ins Meer. Das Motorboot hüpfte auf den Wellen, und das Schiff hob und senkte sich und verdeckte wie ein Wolkenkratzer den halben Himmel. Tschibis, Shidki, Polja — sie alle waren scharf umrissen und schienen winzig klein wie in einem konvexen Spiegel. Auch er, Gleb, war klein, und nur sein Herz war groß — größer als er selbst.
Sergej sah mit feuchten Augen wie gebannt auf den Dampfer und knabberte an seinem kleinen Finger.
Aus dem Innern des Dampfers hallte ehernes Dröhnen.
Oben, an Deck, stand eine aschgesichtige Menschenmenge, starrte hinunter, winkte mit Tausenden von Händen und heulte. Hoch oben, hinter dem Gewirr von Tauen und Winden, wirbelte taubengrauer Rauch. Unten, auf den öligen Wellen, plätscherte, knatterte wie ein Maschinengewehr das kleine Motorboot mit der roten Fahne am Heck — ein drohendes Fünkchen der RSFSR.
Ein betresster Engländer — wahrscheinlich der Kapitän — stand, auf die Reling gestützt, am Fallreep und sah teilnahmslos herab auf das in den Wellen fliegende Motorboot.
Das ferne Ufer flammte und glühte wie ein blühendes Mohnfeld.
Im Innern des Dampfers dröhnte es eisern wie dumpfes Donnergrollen.
Zahnlose Wölfe
Die grauen Menschen standen zu einem verschwitzten, stinkenden Haufen geballt. Auferstandene Leichen, wie mit Schimmel überzogen. Man konnte nicht unterscheiden, wer Offizier und wer Soldat war.
Shidki sprach mit dem betressten Engländer und sah selbst wie ein Engländer aus.
Tschibis, in gelbem Leder, sagte kalt und deutlich: „Offiziere vortreten! Die anderen zurück!"
Die Menge gab ein Stück Deck frei. Der Platz wirkte wie eine Richtstätte.
Hastig drängten sich zerlumpte Gestalten durch die Menge, die Gesichter schmutzig und vor Hunger geschwollen.
Polja lachte übermütig. „Sieh nur, Gleb, wie Gehenkte sehen sie aus. Und sie haben den Damen die Händchen geküsst. Voller Fäulnis wie Aaskäfer."
Tschibis' Stimme war ruhig und klanglos. „Ihr seid unsere Feinde. Ihr hasst uns. Ihr habt Tausende von uns vernichtet — Arbeiter und Bauern. Ihr seid hergekommen und habt gehofft, hier nicht den Tod, sondern das Leben zu finden. In welcher Absicht seid ihr nach Sowjetrussland gekommen?"
Ein alter Mann mit silbrigen Borsten um den Mund trat vor.
„Wir fürchten uns nicht vor der Antwort, o nein! Wir sind nur todmüde. Ein geschlagener Feind ist kein Feind mehr. Haben wir denn weniger durchgemacht als ihr? Außer der
Heimat haben wir nichts, und außerhalb der Heimat gibt es für uns nichts. Das ist unser Fluch, und dieser Fluch ist unsere Sühne. Mag die Heimat Qual und Tod von uns fordern. Wir sind bereit, wir ergeben uns in alles. Diese Freude werdet ihr uns nicht rauben."
Während er sprach, blickte er Tschibis nicht an, sondern hob den Kopf feierlich zur Sonne.
Tschibis schwieg und musterte ihn scharf durch die Wimpern.
Alle schwiegen, und in diesem Schweigen lag eine unerträgliche Spannung.
Ein kleiner blutjunger Offizier schrie hysterisch auf. „Man hat mich betrogen. Ich war verblendet. Ich bin ein Mörder, ja. Lasst mich mein Leben rechtfertigen. Wenn ich auch sterben soll — aber ich will mich rechtfertigen."
Tschibis machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ausgezeichnet. Aber wie wollen Sie beweisen, dass Sie die Wahrheit sprechen?"
Der kleine Offizier lief auf ihn zu und riss sich den Hemdkragen auf. „Erschießen Sie mich auf der Stelle! Erschießen Sie mich!"
Tschibis winkte wieder kalt ab. „Gehen Sie auf Ihren Platz! Sie können zurückfahren, ohne an Land zu gehen."
Der Offizier warf die Arme hoch. Die Hemdärmel rutschten ihm bis zu den Schultern zurück.
„Sie können mich nicht töten! Sie können nicht. Ich will leben ... leben!"
Man fasste ihn unter die Arme und führte ihn zur Seite. Dort schrie er mit überschnappender Stimme immer daselbe. „... leben!... leben!"
Polja verzog das Gesicht und lächelte, und ihre Augen waren groß und rund vor Freude.
„Was für schwache Nerven diese Aaskäfer haben! Warum haben sie sich uns ergeben, Gleb? Rede du mit ihnen, Serjosha. Mich verstehen sie nicht."
Sergej starrte auf Tschibis' Hinterkopf und sagte empört:
„Haben Sie doch den Mut, Tschibis, und reden Sie, wie es unserer würdig ist. Nehmen Sie die schwere Rolle auf sich — mit Feinden wie mit Menschen zu sprechen."
Tschibis wandte sich gemächlich um und murmelte zwischen den Zähnen: „Ich schicke Sie gleich an Land, Genosse Iwagin. Was fällt Ihnen ein?"
Die Menge stierte Tschibis flehentlich an, duckte sich fröstelnd zusammen und schwieg.
Zerlumpte Soldaten waren auf die Lüftungsrohre geklettert und begafften unentwegt die Leute, aus denen sie nicht klug werden konnten.
Gleb sah auf den stinkenden Haufen, auf die verschwitzten, verklebten Gesichter — niemand tat ihm leid, er fand es nur interessant und komisch.
Wölfe. Da stehen sie nun, die Wölfe! Mit blutunterlaufenen Augen sind sie durch die Weiten der Republik gerast. Drei Jahre voll Flammen und unendlicher Leiden! Im Kampfe hat er diese Menschen hassen gelernt, denn der Tod hat über ihm getobt in Sturm und Wetter, die Nächte sind im Krieg rot gewesen von Feuersbrünsten und die Tage vergiftet von Blut und Rauch. Und nun — nun stehen sie vor ihm, die Wölfe. Ihre Augen sind erloschen und ihre Kiefer zahnlos geworden. Er hörte Tschibis zu und feixte. Gut so! Nur zu wenig: Es muss weher tun, noch weher.
Aus dem Offiziershaufen trat ein Mann mit breiten Backenknochen. Sein Kopf zuckte, nervöse Zuckungen verzerrten auch das Gesicht.
„Sie ... Sie mit Ihrem Hohn. Sie glauben, Sie hätten uns kleingekriegt und... eck..." (sein Kopf zuckte) „und wären uns überlegen? Ihr seid — Säuglinge... eck... Wir sind doch schon längst abgestumpft und fühlen nichts mehr. Ihr wisst nicht, wie schrecklich das ist, wenn der Mensch zerfällt... eck... Ich bin fertig."
Er wandte sich müde ab.
Tschibis grinste und sah dem Offizier gespannt nach.
Die Kühnheit und der herausfordernde Ton des Mannes hatten sein Interesse geweckt.
„Sie haben recht. Aber Sie spielen sich hier vergebens auf. Sie wissen nur zu gut, wie hart unsere Schläge waren. Nicht wahr? Ungerechtigkeit und Leichtfertigkeit kann man uns nicht vorwerfen."
Der Mann, zerrüttet, wie er war, ging, ohne sich umzusehen.
Die Offiziere schwiegen, ihre Gesichter waren leichengrau.
Tschibis sah nach der Sonne, lächelte plötzlich und hob den Arm.
„Im Namen der Werktätigen rufen wir euch auf, eure Kraft der Sowjetrepublik zur Verfügung zu stellen."
Weiter war nichts mehr zu verstehen. Ein heilloses Durcheinander brach aus. Menschen mit irren Gesichtern stürzten auf Tschibis zu. Er schrie, die Mechowa schrie, Sergej schrie. Auch Gleb schrie; was er schrie — davon behielt er kein Wort. Ein Soldat mit nackter Schulter lag bäuchlings auf dem Deck und schluchzte laut. Ein anderer fluchte heiser und erstickte fast vor Glück.
Sergej zitterte an Armen und Beinen. Um sich zu beruhigen, ging er zur Seite.
Die Maste schwankten wie Halme in der Luft. Die Antenne zwischen den Masten tönte wie eine Harfe. Die Winden drehten sich in tollem Frühlingsreigen. Meer und Himmel waren voll leuchtender Wellen. Und Sergej hielt das Leben für unsterblich, und die Vögel im wirbelnden Flug ihrer schlagenden Schwingen wirkten auf ihn wie Blüten der Luft.
Shidki sprach mit dem betressten Engländer. Die Pfeife im Munde des Kapitäns zitterte aufgeregt. Er nahm all seine Willenskraft zusammen, um sich ruhig und würdevoll zu geben. Mit einem Ruck hob er die flache Hand wie ein Automat an den Mützenschirm und schritt wie ein Kamel mit wackelndem dickem Hintern zur Kommandokabine. Shidki sah ihm nach und lachte. Als er Sergej erblickte, zwinkerte er ihm zu und blähte seine asiatischen Nasenflügel.
Die rote Fahne
Gleb stand in einem Schwarm Kosaken — Frontsoldaten aus Don- und Kubanstanizen.
Ein bärtiger, barfüßiger Kosak in zerlumptem Beschmet (Anm.: Orientalisches Kleidungsstück: halblanger gesteppter, mantelartiger Überrock.) hielt einen roten Tuchfetzen in der Hand. Die Leute stanken nach Schweiß und Schmutz und drängten sich von allen Seiten an Gleb heran. Ihre Kleidung war bunt zusammengewürfelt: Tscherkessenröcke, zerrissene Russenhemden, eigenartige Kittel. Auch türkische Feze sah man hier und dort.
„Diese Fahne hier ist rot. Sie ist zwar nur ein Lappen, und dein Blick, Genosse, ist an rote Luft gewöhnt. Du musst mit dem Herzen schauen, Kamerad. Ich sag's dir ganz offen, Genosse: Unser Schicksal, unser Blut ist diese Fahne. Ich bin ein Kosak, Soldat, das sind auch alles Soldaten, vom Kuban und vom Don, alte Soldaten. Aber alle sind wir den gleichen Leidensweg gegangen. Stimmt's,
Jungs? Habe ich recht, Freunde?"
Ein einziges Aufseufzen ging durch die Menge. „Rrrecht
hast du, Kosak! So ist es!"
Der Kosak knüllte den roten Fetzen zusammen und breitete ihn dann wieder vor Gleb aus. Im Sonnenlicht waren
Klumpen und Krusten darauf zu sehen.
Gleb nahm das Tuch und befühlte die Blutflecke. „Warte mal, Bruder! Das ist doch... Zum Teufel — das
ist doch ein Hemd! Von einem Gefallenen, wie? Warum
ist es so blutig?"
„Na ja doch ... Kosakenblut. So kehren wir zurück — mit dem eigenen Blut."
Heiß brannten die Augen des Kosaken. Seltsamerweise wirkte er dadurch rothaarig.
„In Gallipoli haben wir gesagt: Genug, Jungs! Nach Hause! Und der Kosak Gubaty, der war unser Kopf. Man hat ihn und uns eingefangen. Und man hat uns wie Hammel zur Schlachtbank getrieben. Mit Ladestöcken hat man uns geprügelt. Mich und alle hier. Uns bis aufs Blut und ihn, den Gubaty, bis auf die Knochen. Er ist draufgegangen, wir haben uns wieder erholt. Gubaty hat gesagt: ,Zieht mir das Hemd aus!' Wir haben es ihm ausgezogen. ,Reißt es mittendurch', hat er gesagt. ,Das soll eure Blutfahne sein, Jungs. Das ist mein Blut und euer Blut. Ich krepiere. Nehmt die Fahne mit meinem Blut. Das wird eure Fahne sein, das wird der Weg zur Freiheit sein, zum bolschewistischen Bruder.' Das hat der Kosak Gubaty gesagt, unser Vater. Und diese Fahne bleibt bei uns bis zum Tod. Ich habe sie an meiner Brust getragen, um sie vor frechen Blicken zu schützen."
Gleb nahm den Helm ab und sah ohne Helm genauso aus wie alle.
„Eine gute Fahne, wirklich. Das ist kostbares Blut. Ihr habt sie noch nicht vergessen, die Höllentage? Fürs Leben bleiben sie einem im Gedächtnis. Wie Narben von Wunden. Wir haben Denikin verdroschen und Wrangel. Und was haben wir für eine Fahne? Genauso eine wie ihr, voller Blut. Aber schaut mal! Seht, was für ein Werk, ein Riese ist das! Es ist noch kalt. Über den toten Punkt haben wir es schon gebracht, aber es ist noch blind. Wer wird es mit seinem Blut wieder zum Leben erwecken? Nur wir Arbeitsleute. Und uns kann keiner besiegen."
„Na ja doch! Wir alle sind für Arbeit. Und für diese Schinder, für die ausländischen und unsere, ist Arbeiterblut reines Gift!"
Das Mädchen an der Reling
Ein Mädchen stand an der Reling und schaute zur Stadt hinüber. Von hinten sah es aus wie ein Backfisch; sein Haar war schwarz mit strahlenden Lichtern.
Sergej war es, als hätte er sie schon in der Menge gesehen. Die Augen waren ihm bekannt vorgekommen.
Als er sie jetzt wieder an der Reling sah, trat er neben sie. Er sagte nichts. Sie schauten zusammen zur Stadt hinüber. Nichts weiter. Im Schweigen liegen oft unvergessliche Augenblicke innerer Verbundenheit.
Wie ein rotes Mohnfeld wogte der Kai. Der Mohn verträgt es nicht, wenn Wind über ihn streicht. Spielt der Wind wie eine Katze mit den Blütenblättern, fürchten sie das Kitzeln. Schmerzlos lösen sie sich vom Stengel und lachen sterbend mit dem Wind. So war der Kai verblasst und leer geworden. Die Leute hatten sich satt gesehen und gingen nun nach Hause. Die Stadt und die Berge atmeten in steinerner Glut. Die Straßen waren blassgrau wie Asche, und aus Wellen durchsichtigen Grüns strebten die Schlote des Werkes zu den Bergen auf. Animalisches Leben entströmte dem smaragdenen Meeresgekräusel. Die Häuser flossen wie zergehend hinein. Berge, Stadt und Meer flimmerten in opalisierendem Licht und rauchigem Dunst. Empfand es das Mädchen an der Reling?
Sergej empfand es und fragte mit den Augen das Mädchen danach. Wo hatte er sie früher schon gesehen? Nirgends. Oder vielleicht im Traum. Sie sah ihn an und lächelte.
Dann sagte sie — mehr zu sich selbst als zu ihm: „Ja, ich habe es erwartet, den ganzen Weg erwartet. Und nun ... nun habe ich alles erlebt. Wie ihr es versteht, zu quälen. Zu quälen und durch Freude zu erschüttern. Das ist es eben — beides zugleich. Ihr seid schreckliche Menschen, ihr Kommunisten."
Sergej antwortete, ohne sie anzusehen: „Warum denn?
Das ist viel einfacher und tiefer: Wir sind Menschen der rückhaltlosen Tat, und unsere Gedanken und Gefühle sind das, was man geschichtliche Notwendigkeit und Wahrheit nennt. Wir sind allzu einfache und aufrichtige Menschen — weiter nichts. Deshalb hasst ihr uns auch."
„O nein! Ich glaube, das Tierhafte und die Erhabenheit des Schaffens sind hier eins. Warum? Unter euch gibt es so viele selbstlose Streiter, aber auch viele furchtbare Menschen, die den Schrecken einer Bluttat gar nicht mehr fühlen."
„Sei's drum. Aber wir werden in die Geschichte eingehen. Vergessen wird man, dass wir furchtbar waren, aber nicht vergessen wird man uns als Schöpfer und Helden."
Sie schwiegen. Das Mädchen sah auf die Wellen. Dann sagte sie leise: „Ich habe zu viel durchgemacht. Ich habe gelernt, man soll alles verzeihen — sogar rechtfertigen."
„Wir verzeihen auch. Sie haben es an sich selbst erfahren. Wir verzeihen so rückhaltlos, wie wir kämpfen."
Verwirrung, Angst, Begeisterung regten sich in der Tiefe ihrer Augen. Sie streckte Sergej ihre Hand hin. Die Hand war klein und zitterte.
„Helfen Sie mir, dass ich euch verstehen- und liebenlerne. Sie werden doch einen Briefwechsel mit mir nicht ablehnen? Nein?"
Sergej rückte befremdet und kalt von ihr ab. „Es gibt nichts, womit ich Ihnen helfen könnte: helfen kann Ihnen nur beharrliche Arbeit. Sie müssen sich auf eine neue Stromart umschalten und alles tun, um zur Welt ein neues Verhältnis zu finden. Sie gehen jetzt an Land, und vielleicht werden Sie eine Wiedergeburt erleben."
Niedergeschmettert von seinen Worten, klammerte sie sich an die Reling.
„Ach, zum zweiten Mal geboren werden ist ebenso furchtbar wie sterben."
Er antwortete nicht, wandte sich ab und ging der Menge entgegen.
Seiner Majestät Schiff in Gefangenschaft
Polja ging an der Spitze der Menge. Ihr folgten Matrosen, den Matrosen eine Rotte Kosaken und Soldaten.
Es war schwül. Das Deck glühte in der Sonne und roch brandig. Es drohte jeden Augenblick in Flammen und Rauch aufzugehen. Shidki und Gleb wurden von der Menge hochgeworfen und fielen auf dichte Bündel ausgestreckter Arme.
Der betresste Engländer sprach mit strengem Gesicht auf Tschibis ein. Die Pfeife in seiner Hand hüpfte, Tschibis aber stand vor ihm und blickte teilnahmslos aufs Meer.
Die Bolschewiki — Herren auf dem Schiff Seiner Majestät! Diese Vagabundenhorde, von Läusen und Hunger zerfressen, ist eine drohende Gewalt, im nächsten Augenblick kann sie das Schiff in die Luft sprengen und seine eiserne Disziplin verschlingen ...
Polja sprang auf eine Kiste und riss sich das rote Tuch vom Kopf. Ihr goldschimmerndes Haar flatterte. Sie schwang die Arme wie Flügel. „Es lebe die proletarische Weltrevolution!" „Hurra!... rra!"
Der blutjunge kleine Offizier schrie aus vollem Halse und klatschte in die Hände.
Der Kapitän bebte wie im Schüttelfrost und zog schnorchelnd Luft durch die erloschene Pfeife.
Tschibis schwenkte die Mütze und schritt auf die Reling zu.
„Genossen, zum Fallreep!"
Die Menge wurde mit einem Schlag still und erschlaffte unter der Last einer bangen Frage. Nur der rote Fetzen mit den dunklen Blutkrusten loderte über den Köpfen.
Das Mädchen sah Sergej durch Tränen lächelnd an. Sergej winkte ihr mit schwermütiger Freude zu.
Im Bauch des Schiffes dröhnte und klirrte Eisen, und das Deck glühte vor Hitze. |
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