Siebenundzwanzigstes Kapitel
In meinem alten Leben war ich immer am Sonntagnachmittag, ich kann nicht sagen warum? besonders schwermütig, die Farben schienen zu bleichen und alles war höchst uninteressant. Die Stunden, die mich gewöhnlich leicht auf ihren Schwingen dahintrugen, verloren ihre Flugkraft und schleppten sich gegen Tagesende nur so dahin. Vielleicht machte es die Gedankenverbindung, dass ich, trotz meiner gänzlich veränderten Umstände, am Nachmittag meines ersten Sonntags im 20. Jahrhundert im höchsten Grade deprimiert war.
Diese Niedergeschlagenheit war jedoch nicht ohne Grund, nicht die vage Schwermut, von der ich gesprochen, sondern ein gewisses gerechtfertigtes Gefühl, das durch meine Lage veranlasst war. Die Predigt von Mr. Barton mit der beständigen Anspielung auf die große moralische Kluft zwischen dem Jahrhundert, dem ich angehörte und dem, in dem ich mich befand, hatte mein Gefühl der Vereinsamung stark angeregt. Er hatte wohlüberlegt und philosophisch gesprochen, aber seine Worte konnten nicht verfehlen, mir den Eindruck zu machen, dass Mitleid gemischt mit Neugierde und Abneigung gegen mich, den Repräsentanten einer verabscheuten Zeit, meine ganze Umgebung erfüllen musste.
Die ungewöhnliche Freundlichkeit, mit welcher mich Dr. Leete und seine Familie behandelten, und namentlich die Güte Ediths hatten bisher verhindert, dass ich ihr wirkliches Gefühl gegen mich, welches dasselbe sein musste, als das der ganzen Generation, welcher sie angehörten, völlig empfinden konnte. Diese Erkenntnis hätte ich, was Dr. Leete und seine liebenswürdige Frau betraf, wie peinvoll sie auch immer war, ertragen können, aber die Überzeugung, dass Edith diese Gefühle teilen würde, war mehr, als ich ertragen konnte.
Die niederschmetternde Wirkung, welche diese verspätete Einsicht einer offenbaren Tatsache auf mich hatte, öffnete mir die Augen für einen Umstand, den die Leser vielleicht schon erraten haben, - ich liebte Edith.
War das befremdend? Die Gelegenheit, bei welcher unsere Vertraulichkeit begonnen hatte, als ihre Hände mich aus dem Strudel des Wahnsinns gezogen hatten; die Tatsache, dass ihre Teilnahme der Lebensatem war, der mich in diesem neuen Leben aufrechterhielt und mir ermöglichte, es zu tragen; meine Gewohnheit, auf sie als die Vermittlerin zwischen mir und der Welt um mich herum zu blicken - dies waren Umstände, welche ein Resultat vorherbestimmt hatten, welches ihre bewundernswerte persönliche Liebenswürdigkeit allein gerechtfertigt haben würde. Es war ganz unvermeidlich, dass sie mir ganz anders erschien, als es gewöhnlich bei Liebhabern der Fall, als die einzige Frau in der Welt. Jetzt, da mir plötzlich die Torheit der Hoffnungen, die ich zu hegen begann, bewusst wurde, litt ich nicht allein, was ein anderer Liebhaber leiden konnte, sondern es kam eine öde Einsamkeit, eine vollständige Hilflosigkeit, wie sie kein anderer, noch so unglücklicher Liebhaber gefühlt haben würde, über mich.
Meine Wirte sahen offenbar, dass ich niedergeschlagen war und taten ihr Bestes, mich zu zerstreuen. Edith besonders, wie ich sehen konnte, war betrübt um meinetwillen; aber wie die Liebhaber einmal verkehrt sind, lag für mich, der einmal so töricht gewesen war zu träumen, etwas mehr von ihr zu erhalten, in ihrer Freundlichkeit, die ich nur als Mitleid erkannte, keine Tugend mehr.
Gegen Abend, nachdem ich mich den größten Teil des Nachmittags in mein Zimmer zurückgezogen hatte, erging ich mich in dem Garten. Der Himmel war bedeckt und ein herbstlicher Hauch in der warmen, ruhigen Luft. Als ich mich in der Nähe des unterirdischen Gemachs befand, betrat ich dasselbe und setzte mich nieder. »Dies«, sagte ich zu mir, »ist das einzige Heim, das ich habe. Ich will hier bleiben und es nicht wieder verlassen.«Ich suchte Hilfe bei der mir vertrauten Umgebung und versuchte einen traurigen Trost darin zu finden, die Vergangenheit in mir aufleben zu lassen und die Gestalten und Gesichter zurückzurufen, die in meinem früheren Leben um mich gewesen waren. Es war vergebens. Es war kein Leben mehr darin. Die Sterne hatten schon fast hundert Jahre lang auf das Grab von Edith Bartlett und die Gräber der ganzen Nation geblickt.
Die Vergangenheit war tot, zermalmt unter der Last eines Jahrhunderts und von der Gegenwart war ich ausgeschlossen. Nirgends war ein Platz für mich. Ich war weder tot noch eigentlich lebendig.
»Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen gefolgt bin.«
Ich blickte auf. Edith stand in der Tür des unterirdischen Raumes und blickte mich lächelnd an, aber mit Augen voll teilnehmenden Schmerzes.
»Schicken Sie mich weg, wenn ich Ihnen lästig bin«, sagte sie; »aber wir sahen, dass Sie verstimmt waren, und Sie wissen, Sie haben mir versprochen, es mir zu sagen, wenn dem so wäre. Sie haben Ihr Wort nicht gehalten.«
Ich stand auf und ging zur Tür; ich versuchte zu lächeln, aber ich glaube, das missglückte mir völlig, denn der Anblick ihrer Lieblichkeit rief mir die Ursache meines Elends noch empfindlicher ins Gedächtnis.
»Ich fühle mich etwas einsam, das ist alles«, sagte ich, »ist Ihnen niemals der Gedanke gekommen, dass meine Lage noch viel hilfloser ist als die irgend eines menschlichen Wesens je zuvor und dass es wirklich eines neuen Wortes bedarf, um sie zu beschreiben?«
»O, Sie müssen nicht so sprechen - Sie müssen nicht so fühlen - Sie dürfen nicht!« rief sie mit feuchten Augen.
»Sind wir nicht Ihre Freunde? Sie sind selbst daran schuld wenn Sie es uns nicht sein lassen wollen. Sie brauchen sich nicht allein zu fühlen.«
»Sie sind gut gegen mich, mehr als ich verstehen kann«, sagte ich, »aber glauben Sie nicht, dass ich weiß, es ist nur Mitleid, süßes Mitleid, aber immer nur Mitleid. Ich müsste ein Tor sein, wenn ich nicht wüsste, dass ich Ihnen nicht wie andere Männer Ihrer Nation erscheinen kann, sondern wie ein fremdes Ungeheuer, ein schiffbrüchige Kreatur aus einem unbekannten Meer, dessen Hilflosigkeit trotz ihrer Seltsamkeit Ihr Mitleid erregt. Da Sie so freundlich waren, bin ich so töricht gewesen, fast zu vergessen, dass dies so sein müsste und mir einzubilden, ich könnte mit der Zeit in diesem Jahrhundert naturalisiert werden, so dass ich wie eines von Ihnen fühlen und Ihnen wie ein anderer Mann in Ihrer Umgebung erscheinen könnte. Aber Mr. Bartons Predigt lehrte mich, wie eitel ein solcher Gedanke ist, wie groß Ihnen der Abgrund zwischen uns erscheinen muss.«
»O diese abscheuliche Predigt«, rief sie, und weinte laut in ihrer Teilnahme, »ich wollte nicht, dass Sie sie hören sollten. Was weiß er von Ihnen? Er hat in alten staubigen Büchern über Ihre Zeit gelesen, das ist alles, was kümmern Sie sich um ihn, um sich durch das, was er sagte, beunruhigen zu lassen? Ist denn das nichts für Sie, dass wir, die wir Sie kennen, anders denken? Ist Ihnen nicht mehr daran gelegen, was wir von Ihnen denken, als was er denkt, der Sie niemals gesehen hat? O, Mr. West, Sie wissen nicht, Sie können sich nicht denken, wie ich fühle, dass ich Sie so elend sehe. Ich kann das nicht ertragen. Was kann ich Ihnen sagen? Wie kann ich Sie davon überzeugen, dass wir so anders für Sie fühlen als Sie denken?«
Wie damals, als sie in der anderen Krisis meines Geschickes zu mir kam, streckte sie mir mit einer Gebärde, als wollte sie mir helfen, ihre beiden Hände entgegen; und wie damals ergriff ich sie; ihr Busen wogte in heftiger
Erregung und das Zittern ihrer Finger in meinen Händen bewiesen ihr tiefes Gefühl. In ihrem Gesicht kämpfte Mitleid, wie göttlicher Zorn gegen die Hindernisse, die es zur Ohnmacht verdammten. Weibliche Teilnahme trug nie ein lieblicheres Gewand.
Solche Schönheit und solche Güte machten mich weich, und die einzige passende Antwort schien mir zu sein, dass ich ihr die Wahrheit sagte. Ich hatte zwar nicht die geringste Hoffnung, aber ich fürchtete auch nicht, dass sie böse werden würde. Dazu war sie zu mitleidsvoll. So sagte ich denn: »Es ist sehr undankbar von mir, dass ich mit der Güte, die Sie mir schon gezeigt haben und jetzt wieder zeigen, nicht zufrieden bin. Aber sollten Sie so blind sein, nicht zu sehen, dass dies zu meinem Glücke nicht genügt? Sehen Sie nicht, dass es so ist, weil ich wahnsinnig genug bin, Sie zu lieben?«
Bei meinen letzten Worten errötete sie tief und schlug die Augen nieder, machte aber keinen Versuch, ihre Hände aus den meinigen zu befreien. Sie stand einige Augenblicke so und atmete tief. Dann errötete sie noch mehr als zuvor und schlug die Augen mit bezauberndem Lächeln auf.
»Wissen Sie gewiss, dass Sie nicht blind sind?« sagte sie. Das war alles, aber es war genug, denn es sagte mir, so unerklärlich und unglaublich es sein mag, dass diese strahlende Tochter eines goldenen Jahrhunderts mir nicht nur ihr Mitgefühl, sondern auch ihre Liebe geschenkt habe. Ich dachte, es müsste eine wonnige Sinnestäuschung sein, selbst noch, als ich sie in meine Arme schloss. »Wenn ich von Sinnen bin«, rief ich, »so lassen Sie mich so bleiben.«
»Ich bin es, die Sie von Sinnen halten müssen«, hauchte sie, und entzog sich meinen Armen, als ich eben die Süßigkeit ihrer Lippen gekostet hatte. »O, o, was müssen Sie von mir denken, dass ich mich beinahe einem Manne an den Hals werfe, den ich erst seit einer Woche kenne. Es war nicht meine Absicht, dass Sie es so bald erraten sollten, aber Sie taten mir so leid, so dass ich nicht wusste, was ich sagte. Nein, nein, Sie dürfen mich nicht wieder berühren, bevor Sie wissen wer ich bin. Dann, mein Herr, sollen Sie mich sehr demütig um Verzeihung bitten, dass Sie denken -und ich weiß Sie tun es, - dass ich Ihnen so schnell meine Liebe gezeigt habe. Wenn Sie wissen wer ich bin, werden Sie gestehen müssen, dass es nur Pflicht und Schuldigkeit war, Sie auf den ersten Blick zu lieben, und dass kein Mädchen von richtigem Gefühl an meiner Stelle anders konnte.«
Wie man voraussetzen kann, wäre ich ganz zufrieden gewesen, auf Erläuterungen zu verzichten, aber Edith war entschlossen, dass nicht mehr geküsst werden sollte, bis sie von allem Verdacht der Übereilung in dem Geschenk ihrer Liebe gerechtfertigt sein würde, und ich folgte gerne dem lieblichen Rätsel in das Haus. Als wir zu ihrer Mutter kamen, flüsterte sie ihr errötend etwas ins Ohr und lief davon.
Jetzt sollte ich von allem Sonderbaren, das ich erlebt hatte, das Allersonderbarste erfahren. Von Mrs. Leete erfuhr ich, dass Edith die Urenkelin von niemand anderem als meiner verlorenen Braut, Edith Bartlett, war.
Nachdem sie mich vierzehn Jahre betrauert hatte, schloss sie eine Ehe aus Achtung und hinterließ einen Sohn, der Mrs. Leetes Vater war. Mrs. Leete hatte ihre Großmutter nie gesehen, aber viel von ihr gehört, und als ihre Tochter geboren wurde, gab sie ihr den Namen Edith. Dieser Umstand mag dahin geführt haben, das Interesse zu vermehren, welches das Mädchen, als es heranwuchs, an allem nahm, was ihre Urgroßmutter betraf und namentlich an der tragischen Geschichte von dem vermeintlichen Tode ihres Bräutigams bei dem Brande seines Hauses. Diese Geschichte war darnach angetan, die Teilnahme eines romantischen Mädchens zu erregen, und der Umstand, dass das Blut der unglücklichen Heldin in ihren eigenen Adern floss, erhöhte natürlich Ediths Interesse daran. Ein Portrait von Edith Bartlett und einige ihrer Papiere, worunter ein Paket mit meinen eigenen Briefen, gehörte zu den Familienerbstücken. Das Bild stellt ein sehr schönes junges Mädchen dar, von der man sich leicht allerlei Zartes und Romantisches denken konnte. Meine Briefe gaben Edith Stoff, sich ein deutliches Bild von meiner Persönlichkeit zu machen und beides zusammen genügte, die traurige, alte Geschichte in ihr aufleben zu lassen. Sie pflegte ihren Eltern halb scherzend zu sagen, sie würde niemals heiraten, bis sie einen Liebhaber wie Julian West gefunden hätte, und einen solchen gäbe es heutzutage nicht.
Dies alles war natürlich eine Schwärmerei eines Mädchens, das niemals mit einer eigenen Liebesgeschichte beschäftigt war, und würde keine ernsten Folgen gehabt haben, wenn nicht an jenem Morgen in ihres Vaters Garten das verschüttete Gewölbe entdeckt und die Identität seines Bewohners enthüllt worden wäre, denn, als die anscheinend leblose Gestalt in das Haus getragen worden war, wurde das Gesicht in dem Medaillon, das auf der Brust gefunden wurde, augenblicklich als das von Edith Bartlett erkannt, und hierdurch in Verbindung mit den anderen Umständen erfuhren sie, dass ich kein anderer war als Julian West. Selbst wenn kein Gedanke an meine Wiederbelebung gewesen wäre, sagte Mrs. Leete, glaube sie, dass dieses Ereignis entscheidend auf das Leben ihrer Tochter gewirkt haben würde. Die Vermutung, dass eine Anordnung des Schicksals vorliege, welches ihr Los mit dem meinen verband, würde fast für jede Frau einen unwiderstehlichen Reiz gehabt haben.
Ob sie nun, als ich nach einigen Stunden ins Leben zurück kam und von Anfang an mich mit besonderem Vertrauen an sie zu wenden und einen besonderen Trost in ihrer Gesellschaft zu finden schien, zu schnell gewesen wäre, mir auf mein erstes Zeichen ihre Liebe zu schenken, könnte ich nun selbst beurteilen. Wenn ich so dächte, müsse ich bedenken, dass dies das 20. und nicht das 19. Jahrhundert wäre, und Liebe jetzt schneller erblühe und sich offener äußere als damals.
Von Mrs. Leete ging ich zu Edith. Als ich sie fand, nahm ich zuerst ihre beiden Hände in die meinigen und war lange in die Betrachtung ihres Gesichts verloren. Bei diesem Blicke lebte die Erinnerung an jene andere Edith, von welcher ich durch ein so schreckliches Erlebnis getrennt worden war, wieder auf, und mein Herz war voll zärtlicher, mitleidiger aber auch wonniger Gefühle. Denn sie, die mir meinen Verlust so fühlbar machte, wollte mich dafür entschädigen. Es war mir, als ob aus ihren Augen Edith Barlett auf mich sähe und mir Trost zulächelte. Mein Los war nicht nur das seltsamste, sondern auch das glücklichste, das je einem Manne zugefallen war. Ein doppeltes Wunder war für mich vollbracht worden. Ich war nicht allein und freundlos in dieser fremden Welt. Meine Liebe, die ich für verloren gehalten hatte, war zu meinem Trost wieder verkörpert. Als ich endlich das liebliche Mädchen im Entzücken von Dankbarkeit und Zärtlichkeit in meine Arme schloss, waren die beiden Ediths in meinen Gedanken vereinigt und konnten von nun an nicht mehr deutlich unterschieden werden. Bald fand ich, dass Edith ebenso verwirrt war. Eine seltsamere Unterhaltung, als die unsere an diesem Nachmittage, ist gewiss nie zwischen Neuverlobten geführt worden. Sie wünschte, dass ich mehr von Edith Bartlett und wie ich sie geliebt hätte, spräche, als davon, wie ich sie selbst liebe, und belohnte meine zärtlichen Worte über eine andre mit Tränen und Lächeln und Händedrücken.
»Sie dürfen mich nicht zu sehr um meiner selbst willen lieben«, sagte sie. »Ich werde an ihrer Stelle sehr eifersüchtig sein und nicht dulden, dass Sie sie vergessen. Ich will Ihnen etwas Sonderbares sagen. Glauben Sie nicht, dass Geister manchmal auf die Erde zurückkehren, ein Werk zu vollbringen, das ihnen am Herzen gelegen hatte? Wenn ich Ihnen nun sagte, dass ich manchmal gedacht, ihr Geist lebe in mir, - dass mein wahrer Name Edith Bartlett, nicht Edith Leete sei, was würden Sie dazu sagen? Ich kann es nicht wissen, niemand von uns kann ja eigentlich sagen, wer wir sind; aber ich kann es fühlen. Wundern Sie sich darüber, wenn Sie sehen, wie mein Leben durch sie beeinflusst worden ist? So, sehen Sie, brauchen Sie sich gar keine Mühe zu geben, mich überhaupt zu lieben, wenn Sie nur ihr treu bleiben. Ich werde nicht so leicht eifersüchtig werden.«
Dr. Leete war ausgegangen und ich sah ihn erst später. Er war allem Anscheine nach auf die Nachricht, die ich ihm brachte, vorbereitet und> schüttelte mir herzlich die Hand.
»Unter gewöhnlichen Umständen, Mr. West, würde ich sagen, dass diese Verlobung nach etwas kurzer Bekanntschaft eingegangen worden ist; aber das sind entschieden keine gewöhnlichen Umstände. Um offen zu sein, sollte ich Ihnen sagen«, fügte er lachend bei, »dass Sie, obwohl ich mit Freuden in die Verlobung willige, mir nicht zu danken brauchen, denn meine Einwilligung ist eine reine Förmlichkeit. Sobald das Geheimnis mit dem Medaillon heraus war, glaube ich, musste es so kommen. Du lieber Gott, glauben Sie, wenn Edith nicht dagewesen wäre, das Gelübde ihrer Urgroßmutter einzulösen, fürchte ich, die Treue meiner Frau würde einen harten Kampf zu kämpfen gehabt haben.«
Am Abend war der Garten in Mondschein gebadet und Edith und ich wanderten dort bis Mitternacht auf und ab und versuchten uns mit unserem Glück vertraut zu machen.
»Was hätte ich nur tun sollen, wenn Sie mich nicht geliebt hätten?« rief sie. »Ich fürchtete, Sie würden es nicht. Was hätte ich denn tun sollen, und ich fühlte doch, dass ich Ihnen geweiht war? Sobald Sie zum Leben kamen, war ich sicher, als ob sie es mir gesagt hätte, dass ich die Ihrige sein musste, weil jene es nicht sein konnte, aber das konnte nur sein, wenn Sie wollten. O, wie gerne hätte ich Ihnen an jenem Morgen, da Sie sich so fremd unter uns fühlten, gesagt, wer ich bin, aber ich wagte nicht den Mund zu öffnen und wollte nicht, dass Vater oder Mutter -«
»Das muss es gewesen sein, was Sie Ihren Vater mir nicht sagen lassen wollten!« rief ich, indem ich mich des Gesprächs erinnerte, das ich belauscht hatte, als ich aus meiner Betäubung erwachte.
»Freilich war es das«, lachte Edith. »Haben Sie das erraten? Vater war ja nur ein Mann und dachte, Sie würden sich leichter heimisch fühlen, wenn er Ihnen sagte, wer wir wären. Er dachte durchaus nicht an mich. Aber Mutter wusste, was ich meinte und so ging mein Wille durch. Ich hätte Ihnen niemals ins Gesicht sehen können, wenn Sie gewusst hätten, wer ich bin. Es hätte mir geschienen, als dränge ich mich Ihnen auf. Ich fürchte, Sie denken, dass ich es heute tat. Das war gewiss nicht meine Absicht, denn ich weiß, dass man in Ihrer Zeit von den Mädchen erwartete, dass sie ihre Gefühle verbargen, und ich fürchtete sehr, bei Ihnen anzustoßen. O, wie schwer es für sie gewesen sein muss, immer ihre Liebe verbergen zu müssen wie eine Sünde. Warum hielten sie es für eine Schande, jemanden zu lieben, bevor sie Erlaubnis dazu hatten? Es ist so drollig, dass man auf die Erlaubnis warten soll, lieben zu dürfen. Sind etwa zu jener Zeit die Männer ärgerlich gewesen, wenn Mädchen sie liebten? So würden Frauen jetzt nicht denken und Männer auch nicht. Ich verstehe das ganz und gar nicht. Das wird eines von den sonderbaren Dingen sein, die Sie mir erklären müssen. Ich glaube nicht, dass Edith Bartlett so töricht war wie die anderen.«
Nach verschiedenen erfolglosen Versuchen uns zu trennen, bestand sie endlich darauf, dass wir uns »Gute Nacht« sagten. Ich wollte eben auf ihre Lippen den positiv letzten Kuss drücken, als sie mit unbeschreiblicher Schelmerei sagte: »ein Ding beunruhigt mich. Werden Sie auch sicher Edith Bartlett verzeihen, dass sie jemand anderes geheiratet hat? Nach den Büchern jener Zeit waren die Liebhaber damals mehr eifersüchtig als zärtlich, und deshalb frage ich. Es würde mir ein großer Stein vom Herzen sein, wenn ich sicher wäre, dass Sie auf meinen Urgroßvater nicht eifersüchtig wären, weil er Ihre Geliebte geheiratet hat. Darf ich, wenn ich in mein Zimmer gehe, dem Bild meiner Urgroßmutter sagen, dass Sie ihr ihre Treulosigkeit vergeben?«
Wird es der Leser glauben, diese mutwillige Äußerung, mochte nun die Sprecherin eine Idee davon haben oder nicht, berührte tatsächlich, und heilte zugleich mit der Berührung, einen widersinnigen Schmerz von etwas wie Eifersucht, deren ich mir dunkel bewusst gewesen bin, seitdem Mrs. Leete von Edith Bartletts Verheiratung gesprochen hatte. Selbst während ich Edith Bartletts Urenkelin in meinen Armen gehalten hatte, hatte ich vor diesem Augenblick nicht daran gedacht, dass ich es nicht hätte tun können, wenn diese Heirat nicht gewesen wäre. Die schelmische Frage Ediths verscheuchte den Nebel von meiner albernen Stimmung. Ich lachte und küsste sie.
»Sie können sie meiner vollständigen Verzeihung versichern«, sagte ich. »Doch, wenn sie einen anderen Mann als Ihren Urgroßvater geheiratet hätte, wäre das etwas ganz anderes gewesen.«
Als ich in meine Schlafstube kam, öffnete ich nicht das musikalische Telefon, um mich von süßen Melodien einschläfern zu lassen, wie ich mich gewöhnt hatte. Denn meine Gedanken machten bessere Musik als sogar ein Orchester des 20. Jahrhunderts, und sie umschwebte mich, bis ich gegen Morgen einschlief. |
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