Neuntes Kapitel
Dr. Leete und seine Frau waren offenbar nicht wenig erstaunt, als sie bei ihrem Eintritt hörten, dass ich diesen Morgen ganz allein in der Stadt gewesen, und waren angenehm davon berührt, zu sehen, dass ich so wenig aufgeregt durch diesen Gang zu sein schien.
»Ihr Spaziergang ist jedenfalls sehr interessant gewesen«, sagte Frau Leete, als wir uns zum Frühstück gesetzt hatten. »Sie müssen viel Neues gesehen haben.«
»Ich habe sehr wenig gesehen, was nicht neu war«, erwiderte ich. »Aber was mich am meisten überraschte, war, dass ich weder Läden noch Banken in den Straßen fand. Was haben Sie mit den Kaufleuten und Bankiers gemacht? Haben Sie sie vielleicht aufgehängt, wie es zu meiner Zeit die Anarchisten wollten?«
»So schlimm nicht«, entgegnete Dr. Leete. »Wir haben sie ganz einfach abgeschafft. Ihre Tätigkeit ist in der neuen Welt veraltet.«
»Wer verkauft Ihnen, was Sie zu kaufen wünschen?« fragte ich.
»Heutzutage wird weder verkauft noch gekauft; die Verteilung der Waren geschieht auf andere Weise. Was die Bankiers betrifft, so brauchen wir diese Herren nicht, da wir kein Geld haben.«
»Fräulein Leete«, sagte ich und wandte mich an Edith, »ich fürchte, Ihr Vater macht sich lustig über mich. Ich kann es ihm nicht verdenken, denn meine außerordentliche Naivität fordert ihn dazu heraus. Aber in der Tat, meine Leichtgläubigkeit bezüglich der möglichen Veränderungen im sozialen Leben hat ihre Grenzen.«
»Es fällt meinem Vater gewiss nicht ein, zu scherzen«, antwortete sie mit einem beruhigenden Lächeln.
Die Unterhaltung wendete sich dann auf die Moden der
Damen im 19. Jahrhundert, ich denke auf Veranlassung von Frau Leete, und erst nach dem Frühstück, als der Doktor mich aufgefordert hatte, mit ihm auf das Dach zu gehen, was sein Lieblingsplatz zu sein schien, nahm er das frühere Gespräch wieder auf.
»Sie waren erstaunt«, bemerkte er, »als ich sagte, wir brauchten weder Geld noch Handel, aber einiges Nachdenken wird Ihnen sagen, dass zu Ihrer Zeit beide lediglich existierten, weil das Geschäft des Produzierens in Privathänden war, dass sie aber gegenwärtig überflüssig sind.«
»Diese Folgerung kann ich im Augenblick nicht verstehen«, sagte ich.
»Das ist sehr einfach«, erwiderte Dr. Leete. »Solange unzählige unabhängige Leute, zwischen denen kein Zusammenhang bestand, die verschiedensten für Leben und Komfort nötigen Dinge produzierten, waren endlose Tauschmittel für die einzelnen Individuen erforderlich, damit sie sich mit dem, was sie bedurften, versehen konnten. Diese Tauschmittel bildeten den Handel, und das Geld war notwendig als Medium. Sobald aber die Nation einziger Produzent aller Arten von Bedürfnissen wurde, brauchten die Individuen keine Tauschmittel mehr, um zu erlangen, was sie nötig hatten. Alles war an einer Quelle zu haben und nichts konnte von anderswoher bezogen werden. Ein System direkter Verteilung im nationalen Warenlager trat an die Stelle des Handels, und dazu war Geld unnötig.«
»Wie wird diese Verteilung gehandhabt?« fragte ich. »Nach dem denkbar einfachsten Plan«, erwiderte Dr. Leete. »Am Anfang jeden Jahres wird jedem Bürger in den öffentlichen Geschäftsbüchern ein Betrag als Kredit gutgeschrieben, welcher seinem Anteile an dem jährlichen Erwerb der Nation entspricht, und er erhält eine Kreditkarte, mittelst deren er in den öffentlichen Niederlagen, die es in jedem Gemeinwesen gibt, zu jeder Zeit erhält, was er braucht. Sie sehen, diese Einrichtung macht jeden Geschäftsverkehr zwischen Individuen und Konsumenten unnötig. Vielleicht möchten Sie wissen, wie so eine Kreditkarte aussieht?«
»Sie bemerken«, fuhr er fort, während ich neugierig die Karte betrachtete, die er mir gegeben hatte, »dass diese Karte auf einen gewissen Betrag in Dollars ausgestellt ist. Wir haben das alte Wort (Dollar) beibehalten, aber nicht den Gegenstand. Der Ausdruck, wie wir ihn brauchen, entspricht keinem wirklichen Dinge, sondern dient bloß als algebraisches Symbol, die Werte der Produkte miteinander zu vergleichen. Zu diesem Ende werden sie alle nach Dollars und Cents abgeschätzt, grade wie in Ihrer Zeit. Der Wert dessen, was ich mir geben lasse, wird auf der Karte von dem Beamten vorgemerkt, welcher aus diesen Reihen und Feldern den Preis dessen, was ich bestelle, ausstanzt.«
»Wenn Sie etwas von Ihrem Nachbar kaufen wollen«, fragte ich, »können Sie den Preis dafür auf diesen Kredit anweisen?«
»Erstens«, antwortete Dr. Leete, »haben uns unsere Nachbarn nichts zu verkaufen, aber jedenfalls würde unser Kredit nicht übertragbar sein, er ist rein persönlich. Ehe die Nation daran denken könnte, so eine Übertragung, wie Sie meinen, zu honorieren, müsste sie genaue Erkundigungen über die näheren Umstände des Geschäftes einziehen, um die absolute Rechtlichkeit verbürgen zu können. Für Abschaffung des Geldes war schon, abgesehen von allem anderen, der eine Grund genug, dass der Besitz desselben kein Beweis für den rechtlichen Erwerb war. Es war ebenso gut in den Händen des Diebes und Mörders, als derer, welche es durch Fleiß erworben hatten. Heutzutage tauschen die Leute aus Freundschaft Gunst und Gaben untereinander, aber Kaufen und Verkaufen steht nicht im Einklang mit gegenseitigem Wohlwollen und mit Selbstlosigkeit, die zwischen Bürgern herrschen sollten, noch auch mit der Gemeinschaftlichkeit der Interessen, welche die Grundlage des sozialen Systems ist. Nach unseren Begriffen ist Kaufen und Verkaufen in allen seinen Bestrebungen ganz entschieden unsozial. Es ist ein Bestreben, auf Kosten anderer einen Gewinn zu machen, und keine Gesellschaft, deren Bürger eine solche Schule durchgemacht haben, kann sich über einen auch nur sehr tiefen Grad der Zivilisation erheben.«
»Wie ist es, wenn Sie in einem Jahre mehr ausgeben, als Ihnen die Karte erlaubt?« fragte ich.
»Die Verwilligung ist so reichlich bemessen, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass wir nicht alles brauchen«, entgegnete Dr. Leete. »Aber wenn ungewöhnliche Ausgaben sie einmal erschöpfen sollten, so können wir einen bestimmten Vorschuss auf den Kredit des nächsten Jahres erhalten; dies wird jedoch nicht gerne gesehen und für den Vermerk eines solchen Vorschusses wird ein großer Abzug berechnet.«
»Wenn Sie die Verwilligung nicht aufbrauchen, so vermute ich, häuft sie sich an?«
»Das ist bis zu einem gewissen Grade erlaubt, wenn eine besondere Ausgabe bevorsteht. Aber, wenn nicht das Gegenteil angemeldet wird, so setzt man voraus, dass der Bürger, der über seinen Kredit nicht völlig verfügt, keine Veranlassung dazu hatte, und die Differenz fällt dem allgemeinen Überschuss zu.«
»Dieses System stachelt die Bürger aber nicht zur Sparsamkeit an«, bemerkte ich.
»Dies ist auch gar nicht die Absicht«, war die Antwort. »Die Nation ist reich und wünscht nicht, dass das Volk sich irgend einen Genuss versagt. In Ihren Tagen musste man Vorräte und Geld aufstapeln auf die Zeit des Mangels und für die Kinder. Diese Notwendigkeit macht aus Sparsamkeit eine Tugend. Aber gegenwärtig würde sie nicht einen so löblichen Zweck haben, und da sie ihren Nutzen verloren hat, hört sie auf, als Tugend angesehen zu werden. Niemand ist mehr besorgt für das Morgen, weder seiner selbst noch seiner Kinder wegen, denn die Nation kommt für Nahrung, Erziehung und behaglichen Unterhalt eines jeden Bürgers auf von der Wiege bis zum Grabe.«
»Das ist eine umfassende Gewährleistung!« sagte ich. »Wo liegt die Gewissheit, dass der Wert der Arbeit eines Mannes die Nation für ihre für ihn gemachten Auslagen entschädigt? Im allgemeinen mag die Gesellschaft imstande sein, alle ihre Mitglieder zu unterhalten, aber einige müssen doch weniger verdienen, als für ihren Unterhalt genügt, und andere mehr; und das bringt uns wieder auf die Lohnfrage, von welcher Sie bisher noch nicht gesprochen haben. Grade bei dieser Frage brach gestern Abend unser Gespräch ab; und ich wiederhole, dass ich in diesem Punkte ein national industrielles System wie das Ihrige für schwer durchführbar halte. Wie, frage ich noch einmal, können Sie das Verhältnis der Löhne und Vergütungen in den vielerlei verschiedenen, unberechenbaren Berufen, welche für den Dienst der Gesellschaft nötig sind, befriedigend für alle feststellen? In unserer Zeit bestimmte der Marktpreis den Wert aller verschiedenen Arbeit, wie der Waren. Der Arbeitgeber zahlte sowenig, der Arbeiter nahm soviel als möglich. Es war vom Standpunkte der Ethik kein schönes System, ich gebe das zu; aber es gab uns wenigstens eine allgemeine Formel zur Feststellung einer Frage, welche Zehntausendmahl täglich geregelt werden musste, wenn die Welt vorwärts kommen sollte. Kein anderer praktischer Weg, es zu tun, schien uns möglich.«
»Ja«, entgegnete Dr. Leete, »es war der einzige praktische Weg unter einem System, welches jedes Individuum in seinen Interessen jedem anderen feindlich gegenüberstellte; aber es wäre ein Jammer gewesen, wenn die Menschheit nicht auf einen besseren Plan hätte verfallen können, denn der Ihrige war nur die Anwendung des teuflischen Grundsatzes: »Deine Not ist meine Gelegenheit« auf die gegenseitigen Beziehungen der Menschen zueinander. Die Belohnung für irgendeinen Dienst wurde nicht nach seiner Schwierigkeit und Gefahr bemessen, denn überall scheint die gefährlichste, schwerste und schmutzigste Arbeit von den Klassen getan worden zu sein, die am schlechtesten bezahlt wurden; sondern einzig und allein nach der Größe der augenblicklichen Verlegenheit, in welcher diejenigen waren, welche den Dienst verlangten.« »Das gebe ich alles zu«, sagte ich; »aber unser Plan, die Preise nach dem Marktpreise zu bemessen, war trotz seinen Mängeln ein praktischer Plan; und ich kann mir nicht denken, was für einen befriedigenden Ersatz dafür Sie ausgetüftelt haben. Da der Staat der einzig mögliche Arbeitgeber ist, so gibt es natürlich keinen Marktpreis für die Arbeit. Löhne aller Art werden vom Staate willkürlich festgestellt. Ich kann mir keine verwickeitere und heiklere Aufgabe denken, die, man mag es machen wie man will, allgemeine Unzufriedenheit erzeugt.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, erwiderte Dr. Leete, »aber ich glaube, Sie übertreiben die Schwierigkeit. Nehmen wir an, ein Kollegium von vernünftigen, wohlmeinenden Männern sei beauftragt, die Löhne für alle Arten von Geschäften unter einem System festzustellen, welches, wie das unsrige, allen Beschäftigung gewährleistet und die Wahl des Berufes freilässt. Sehen Sie nicht ein, dass, wie unbefriedigend auch immer die erste Feststellung ausfallen möchte, die Irrtümer sich bald durch sich selbst verbessern würden? Die bevorzugten Geschäfte würden zu viele Freiwillige und die entgegengesetzten zu wenige haben, so lange bis die Irrtümer ausgeglichen wären. Aber das gehört eigentlich nicht hierher; denn, trotzdem, dass der Plan ganz praktisch wäre, gehört er nicht unserem Systeme an.«
»Wie regulieren Sie nun aber die Löhne?« war meine wiederholte Frage.
Dr. Leete antwortete erst nach einigen Augenblicken gedankenvollen Schweigens. »Die alte Ordnung der Dinge«, sagte er endlich, »ist mir natürlich bekannt genug, um zu verstehen, was Sie eigentlich mit dieser Frage meinen; und doch ist die gegenwärtige Ordnung in diesem Punkte so völlig abweichend, dass ich nicht recht weiß, wie ich Ihre Frage am besten beantworten soll. Sie fragen, wie wir die Löhne regulieren; ich kann darauf nur antworten, dass es in dem modernen sozialen Haushalt nichts gibt, was den Löhnen Ihrer Zeit entspräche.«
»Ich vermute, Sie meinen, dass Sie kein Geld haben, womit Sie Löhne bezahlen«, sagte ich. »Aber der dem Arbeiter bei dem Regierungs-Warenlager gegebene Kredit entspricht dem, was wir Lohn nannten. Wie wird die Höhe des gegebenen Kredits in den einzelnen Fächern bestimmt? Mit welchem Rechtstitel beansprucht der einzelne seinen Anteil? Was ist die Grundlage der Verteilung?«
»Sein Rechtstitel«, erwiderte Dr. Leete, »ist seine Menschheit. Die Grundlage seines Anspruchs ist die Tatsache, dass er Mensch ist.«
»Die Tatsache, dass er Mensch ist!« wiederholte ich ungläubig. »Ist's möglich, dass Sie meinen, dass alle denselben Anteil haben?«
»Ganz gewiss.«
Man kann nicht erwarten, dass die Leser dieses Buches, welche niemals eine andere Einrichtung gekannt, noch die geschichtlichen Berichte früherer Epochen, in welchen ein ganz anderes System herrschte, sorgfältig studiert haben, das Staunen verstehen werden, in welches mich Dr. Leetes einfache Behauptung versetzte.
»Sie sehen«, sagte er lächelnd, »wir haben nicht nur keine Münze, in der wir die Löhne bezahlen, sondern wie
gesagt, wir haben überhaupt nichts, was dem Begriff von Löhnen entspricht.« Nun hatte ich mich hinreichend gesammelt, um einigen Urteilen über diese erstaunliche Einrichtung Ausdruck zu geben, die mir als Mann des 19. Jahrhunderts, der ich nun einmal war, zunächst einfielen.
»Manche Leute arbeiten doppelt soviel als andere!« rief ich aus. »Sind die geschickten Arbeiter mit einem Plan
zufrieden, der sie in eine Klasse mit den mittelmäßigen wirft?« »Wir geben keinen Grund zu irgendeiner Klage über Ungerechtigkeit«, entgegnete Dr. Leete, »indem wir von allen genau denselben Grad von Dienst verlangen.« »Ich möchte wissen, wie Sie das können, wenn keine zwei Männer sich an Kräften gleich sind.«
»Nichts ist einfacher«, war Dr. Leetes Antwort. »Wir verlangen von allen gleiche Anstrengung, d.h. wir verlangen von jedem, dass er den besten Dienst leistet, den er leisten kann.«
»Angenommen, alle arbeiten nach besten Kräften«, antwortete ich, »das Resultat wird bei dem einen zweimal größer sein, als bei dem anderen.«
»Sehr wahr«, erwiderte Dr. Leete, »aber das Resultat hat gar nichts mit der Frage zu tun, diese handelt vom Verdienst. Verdienst ist eine Frage der Moral und das Resultat eine der materiellen Quantität. Es wäre eine sonderbare Logik, eine Frage der Moral mit einem materiellen Maßstab bemessen zu wollen. Die Größe der Bemühung allein ist für die Frage des Verdienstes angemessen. Alle Menschen, die nach besten Kräften arbeiten, tun gleiche Arbeit. Die Begabung eines Menschen bestimmt nur das Maß seiner Pflicht. Der Mann mit großen Anlagen, der nicht alles tut, was er tun könnte, aber immerhin mehr als ein Mann mit geringen Anlagen, der sein Bestes tut, steht in den Augen seiner Mitmenschen nicht in solcher Achtung als der andere und stirbt als Schuldner seiner Mitmenschen. Der Schöpfer teilt den Menschen ihre Aufgaben nach ihren Fähigkeiten zu; wir verlangen lediglich ihre Erfüllung.«
»Das ist gewiss sehr schöne Philosophie«, sagte ich, »und doch erscheint es grausam, dass der Mann, der zweimal soviel schafft, als ein anderer, wenn auch beide nach besten Kräften arbeiten, nur denselben Anteil erhalten
soll.«
»Scheint es Ihnen wirklich so?« antwortete Dr. Leete. »Das überrascht mich sehr. Heutzutage ist die gewöhnliche Ansicht, dass ein Mann, der doppelt soviel schaffen kann als ein anderer mit demselben Kraftaufwand, anstatt dafür belohnt zu werden, bestraft werden müsste, wenn er es nicht täte. Wenn ein Pferd eine schwerere Last zog als eine Ziege, haben Sie vermutlich im 19. Jahrhundert das Pferd belohnt. Wir würden es tüchtig gepeitscht haben, wenn es das nicht getan hätte, denn da es viel stärker ist, so ist es seine Schuldigkeit. Es ist wunderbar, wie ethische Grundsätze sich ändern können!« Der Doktor sagte dies mit solchem Augenblinzeln, dass ich lachen musste, und sagte:
»Ich vermute, der wahre Grund dafür, dass wir Leute wegen ihrer Befähigung belohnten, während wir die von Pferden und Ziegen lediglich als Maßstab für die von ihnen zu verlangenden Dienste ansahen, war, dass die unvernünftigen Tiere natürlich nach besten Kräften arbeiteten, während Menschen zu solcher Arbeit nur durch eine dem Resultat entsprechende Belohnung vermocht werden konnten. Das bringt mich auf die Frage, warum Sie nicht, es sei denn, dass die Menschennatur sich in hundert Jahren wesentlich verändert hätte, dieselbe Notwendigkeit fühlen.«
»Das tun wir«, erwiderte Dr. Leete. »Ich denke, in dieser Beziehung hat sich die menschliche Natur seit Ihrer
Zeit nicht geändert. Sie ist noch immer so beschaffen, dass es nötig ist, besondere Preise auszusetzen, um die besten Bemühungen des Durchschnittsmenschen in irgendeiner Richtung herauszufordern.«
»Aber welche Veranlassung«, fragte ich, »kann ein Mann haben, sich die beste Mühe zu geben, wenn sein Einkommen, er mag viel oder wenig zuwege gebracht haben, dasselbe bleibt? Edle Charaktere mögen durch Hingabe an das öffentliche Wohl veranlasst werden, aber ist nicht der Durchschnittsmensch geneigt, auf der Pflugschar auszuruhen und zu denken, dass es sich nicht lohnt, sich besonders anzustrengen, da sein Einkommen weder durch die Anstrengung erhöht, noch ohne dieselbe vermindert wird?«
»Glauben Sie denn wirklich«, antwortete mein Gefährte, »dass die menschliche Natur unempfänglich für andere Beweggründe als Furcht vor Mangel und Liebe zum Prunk ist, weil Sie annehmen, dass Sicherheit und Gleichheit des Lebensunterhalts genügen, jede andere Anregung zur Anstrengung zu ersticken? Ihre Zeitgenossen haben doch das nicht geglaubt, obgleich sie es sich mögen eingebildet haben. Wenn es sich um die höchste Anstrengung, die entschiedenste Selbstverleugnung handelte, verließen sie sich auf ganz andere Reizmittel. Nicht höherer Lohn, sondern Ehre, Dankbarkeit der Mitmenschen, Patriotismus und Begeisterung für die Pflicht waren die Beweggründe, welche sie ihren Soldaten vorhielten, wenn es galt, für das Vaterland zu sterben, und es gab niemals eine Zeit, wo diese Beweggründe nicht das Beste und Edelste im Menschen hervorgerufen hätten. Und dies nicht allein, sondern wenn Sie die Liebe zum Geld analysieren, welche zu Ihrer Zeit der allgemeine Sporn zur Anstrengung war, finden Sie, dass die Furcht vor Mangel und das Verlangen nach Prunk nur zwei der verschiedenen Beweggründe waren, welche das Streben nach Geld repräsentierten; die anderen, und bei vielen die wichtigsten, waren Verlangen nach Gewalt, nach sozialer Stellung, und Ansehen wegen Geschicklichkeit und Erfolgs. So sehen Sie, dass wir, obgleich wir die Armut mit ihren Tränen und den Prunk mit seinen Ausschweifungen vertrieben haben, den größeren Teil der Beweggründe, welchen die Liebe zum Geld zugrunde lag, oder diejenigen, welche zu größerer Anstrengung anregten, nicht angetastet haben. Die gröberen Motive, die uns nicht mehr berühren, sind durch edlere ersetzt worden, die den Lohneinnehmern Ihrer Zeit vollständig fremd waren. Gegenwärtig, da die ganze Industrie im Dienste der Nation steht, reizen Liebe zum Vaterland und zur Menschheit den Arbeiter an, wie sie in Ihren Tagen den Soldaten anreizten. Die industrielle Armee verdient diesen Namen nicht allein wegen ihrer vollkommenen Organisation, sondern auch wegen der feurigen Opferwilligkeit, welche ihre Mitglieder beseelt.
Aber wie Sie die Motive der Vaterlandsliebe mit der Liebe zum Ruhm ergänzten, um die Tapferkeit Ihrer Soldaten anzuregen, so tun wir. Da unser industrielles System auf dem Grundsatze beruht, dass wir von jedem Manne verlangen, dass er sein Bestes tue, so müssen die Mittel, durch die wir die Arbeiter hierzu anspornen, ein sehr wesentlicher Teil unseres Systems sein. Fleiß im nationalen Dienste ist bei uns der einzige, aber gewisse Weg zu öffentlichem Ruhm, gesellschaftlicher Auszeichnung und geschäftlicher Macht. Was eines Mannes Dienste in der Gesellschaft gelten, bestimmt seinen Rang in derselben. Im Vergleich mit der Wirkung unserer sozialen Einrichtung, dass wir die Männer antreiben, im Geschäft voll Eifer zu sein, halten wir die Lehren von beißender Armut und üppigem Prunk, auf die Sie sich verließen, für ebenso schwach und erfolglos, als sie barbarisch waren.«
»Es würde mich sehr interessieren«, sagte ich, »zu erfahren, worin diese soziale Einrichtung besteht.«
»Das System in seinen Einzelheiten«, erwiderte Dr. Leete, »ist natürlich sehr weitläufig, denn die ganze Organisation unserer industriellen Armee hängt damit zusammen; aber ein paar Worte werden Ihnen einen allgemeinen Begriff davon geben.«
In diesem Augenblicke wurde unser Gespräch angenehm durch Edith Leete unterbrochen, welche auf dem luftigen Balkon, wo wir saßen, erschien. Sie war im Straßenanzug und wollte mit ihrem Vater über etwas sprechen, was sie für ihn besorgen sollte.
»Da fällt mir ein, Edith«, sagte er, als sie im Begriff war, uns wieder zu verlassen, »sollte es Herrn West nicht interessieren, den Laden zu besuchen? Ich habe mit ihm über unser System der Verteilung gesprochen und vielleicht möchte er es gerne in seiner Anwendung kennen lernen.«
»Meine Tochter«, fügte er sich an mich wendend bei, »ist eine unermüdliche Ladenbesucherin und kann Ihnen über die Läden mehr sagen als ich.«
Der Vorschlag war mir natürlich höchst angenehm und Edith war freundlich genug zu sagen, dass sie sich meiner Begleitung freuen würde; so verließen wir das Haus zusammen. |
Hinweis: Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen. Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist nicht gestattet.
| |