IX.
  Ich hatte gefürchtet, meine Kleidung würde auffallen. Auch schien es  mir keine besondere Empfehlung, dass ich kein Gepäck hatte. Im  Gegenteil. Ich merkte schon am Bahnhof, dass die meisten Kollegen genau  so abgerissene Kleider hatten wie ich und dass fast keiner einen Koffer  hatte, fast alle trugen ihre wenigen Sachen in Zeitungspapier  eingewickelt. Unterwegs erfuhr ich auch, dass meine  Schauspielerkollegen deswegen so arm waren, weil die Bolschewiken sie  ausgeraubt hatten. Alle waren sie von den Bolschewiken ausgeraubt  worden. Dass man sie ausgeraubt hatte, das war noch gar nichts, aber  die meisten waren fürchterlich gepeinigt, ja, zum Tode verurteilt  worden und nur ihre besondere Geistesgegenwart, ihr außerordentlicher  Mut oder ein unerhörter Zufall hatte sie vor dem Foltertod gerettet.  Wenn jemand unsere Gespräche von Budapest bis Salgotarjan mit angehört  hätte, er wäre zu der Überzeugung gekommen, dass die Bolschewiken ihre  gefährlichsten Feinde in den Provinzschauspielern sähen und in erster  Linie mit diesen abrechnen wollten. 
    Eine der interessantesten und nicht einmal unwahrscheinlichsten Geschichten war  die, die Antalfy zum Besten gab. 
    — Ich habe mich mit Bela Kun selbst überworfen — fing er an. — Gleich  in den ersten Tagen, Anfang April, bekam ich einen Brief von ihm. Er  bat mich zu sich. Na, dachte ich, ich will mir den Kerl mal von der  Nähe ansehen und ihm meine Meinung sagen. Also, ich ging zu ihm hin.  Das wisst ihr ja, er wohnte im Hotel Hungaria, im Sowjethaus. Vom Hotel  Hungaria will ich jetzt weiter nichts erzählen, ihr kennt es ja  wahrscheinlich alle — das Hotel hatte sich im Wesentlichen nicht viel  geändert, nur dass es voll von gestohlenen Gegenständen war, und auf  Schritt und Tritt traf man einen bewaffneten Leninburschen. Ich sage,  ich gehe zu Kun. Er wartet mir mit Sekt und Zigarren auf. — Ich kam  nicht hierher, um mit Ihnen Brüderschaft zu trinken— sagte ich— ich  glaubte, Sie wollten mich in einer ernsten Angelegenheit sprechen. —  Natürlich will ich Sie in einer ernsten Angelegenheit sprechen, Genosse  Antalfy — sagte er. Ich wollte sie ersuchen, als Direktor die Leitung  des Nationaltheaters zu übernehmen.— Vor allem bin ich nicht Ihr  Genosse — erwiderte ich darauf — und dann ist es wohl besser, wenn Sie  mich überhaupt um nichts ersuchen, ich übernehme auf keinen Fall die  Leitung des Nationaltheaters, wenigstens solange nicht, wie Sie die  Macht usurpiert haben, denn — merken Sie sich das — ich bin mein Leben  lang ein anständiger, christlicher Magyar gewesen, und der bleibe ich  bis zu meinem Tod, — ob es Ihnen gefällt oder nicht. — Na — sagte Bela  Kun — was Ihre Christlichkeit anbelangt, das lässt sich leicht ändern.  Hier im Nachbarzimmer befindet sich ein Rabbiner, der würde schon die  Beschneidung besorgen. Mit dem Magyarentum wird es auch nicht viel  Schwierigkeiten geben — ich gebe mich zufrieden, wenn Sie in meiner  Anwesenheit die Nationalflagge mit dem heiligen Mariabild dreimal  bespucken. — Darauf können Sie warten — sagte ich lächelnd — ich werde  Sie bespucken, wenn Sie zum Galgen geführt werden. Da stieg ihm das  Blut in den Kopf. Na, wir werden schon sehen — sagte er und öffnete die  Tür des Nachbarzimmers. — Komm her, Adolf — schrie er in das Zimmer  hinein — und ein ekliger, sommersprossiger, rothaariger, jüdischer  Rotzjunge kam aus dem Zimmer hervor, in jeder Hand hielt er einen  Riesenrevolver und fuchtelte damit herum. Er sprach etwa zwei Minuten  mit Kun — was sie sprachen, weiß ich nicht, denn Gott sei Dank,  verstehe ich kein Wort von diesem jüdischen Kauderwelsch, aber ich  wusste dass von mir die Rede war, denn Kun deutete immerfort auf mich  und es war leicht zu erraten, was mich erwartete, denn der eklige rote  Adolf schrie dreimal nacheinander Gajdes. Na, ich werd' dir's schon  zeigen, du stinkiger Christ — sagte er, zu mir gewandt. — Deiner  Großmutter kannst du's zeigen — antwortete ich, und wollte dem Rotzkerl  eine runterhauen, als man mir von hinten eine Schlinge um den Hals warf  und mich zu Boden schleuderte. Im nächsten Augenblick sprangen etwa  zehn Terroristen, zehn Judenbengels auf mich zu, 
    —  ich will die Sache hier nicht verschönern —  sie hielten 
    mich fest und banden mich an Händen und Füßen. Ins Gajdes mit ihm! —  schrie Kun heiser vor Wut. Sie nahmen mich vom Boden auf und schleppten  mich ins Gajdes. Gajdes — dies wisst ihr ja wohl — ist eine dunkle,  feuchte und entsetzlich stinkende Kammer. Na — ich will weiter keine  Einzelheiten erzählen, wie das Loch aussah, pfui, es schaudert mich  noch heute. Zwei Tage und zwei Nächte lag ich ohne Essen und ohne  Trinken auf einem Misthaufen. Am dritten Tag öffnete sich die Tür, und  mit einer großen Schüssel in der Hand, kam der sommersprossige Adolf  herein. — Na, dreckiger Christenbengel — sagte er — heut wirst du  krepieren. Vor deinem Tode aber musst du diese große Schüssel voller  Schalet auffressen. — Eine jüdische Speise soll ich essen? — sagte ich  mit tiefer Entrüstung — nein, das erlebst du nicht, du Saujude! Du  kannst mich töten, aber demütigen lass ich mich nicht! — Na, wir  werden's ja sehen — antwortete der Jude. — Das wirst du auch sehen —  antwortete ich lächelnd — aber was du noch lieber sehen möchtest, meine  verborgenen Schätze, die wirst du niemals sehen, du Halunke; wenn ich  dir nur ein Viertel von dem überlasse, was ich in der Erde vergraben  habe, könntest du noch immer ein Herr sein, solange du lebst, du  Bandit. — Der gnädige Herr hat Schätze vergraben? — fragte jetzt unter  tiefen Verbeugungen der sommersprossige Ganef. Ja, ich hab' Schätze  vergraben, du Schuft, du — sagte ich lächelnd. 
    — Das möcht' dir passen, was? Eine volle Stunde bettelte mich der  Mordbube an, dass ich ihm verrate, wo ich die Schätze vergraben habe.  Na — sagte ich ihm, nachdem er mich eine Stunde lang angefleht hatte —  darüber lässt sich reden, Adolf, aber erst, wenn du vorher in meiner  Gegenwart ein faustgroßes Stück Paprikaspeck auffrisst. — Oh weh, nur  das verlangen Sie nicht von mir, gnädiger Herr, Sie wissen doch, dass  die jüdische Religion das Essen von Speck verbietet.— Na, Adolf— sage  ich zu ihm 
    — solange du nicht den Speck gegessen hast, verhandle ich überhaupt  nicht mit dir. Der Jude weinte, flehte mich an, versprach alles, was es  nur gibt, aber ich blieb standhaft, schließlich zwang er sich den Speck  hinunter. Als er unter lautem Weinen und Jammern den Speck zu Ende  gegessen hatte, sagte ich zu ihm: Löse schnell die Stricke von meinem  Körper und wir gehen. Ich zeige dir, wo meine Schätze vergraben sind,  du sollst auch einmal einen guten Tag haben, du Mistkerl. — Glauben Sie  mir, gnädiger Herr — begann er, während er mit dem Loslösen der Stricke  beschäftigt war, aber ich schnitt ihm das Wort ab. — Wenn du die  Schätze haben willst, Adolf, dann halte in meiner Anwesenheit das Maul! 
    — Ich schweige schon, gnädiger Herr, ich halte schon mein Maul, wenn es  der gnädige Herr so befiehlt — und wir gingen los. Ich bringe ihn in  das Hauptgajdes, den Schweine-Magyaren — sagte Adolf beim Ausgang der  Hungaria, und die herumstehenden Terroristen öffneten uns unter lautem  Gelächter das Tor. 
    —  Wozu noch viel Worte machen —  fuhr Antalfy fort, da wir vom Fenster in der  Ferne Salgotarjan sahen. 
    —  Wir gingen auf den Gellertberg hinauf und ich zeigte 
    Adolf den Ort, wo die Schätze vergraben waren. Die 
    Turmuhr auf der Kirche der inneren Stadt schlug gerade 
    Mitternacht, als Adolf zu graben begann. Er grub und 
    grub, dass der Schweiß nur so tropfte, ich lag auf dem 
    Rasen und rauchte eine Zigarette. Es vergingen etwa 
    zwei Stunden, die Grube war auch schon etwa zwei Meter tief, als ich  plötzlich merkte, dass meine Zigaretten ausgegangen waren. — Na, jetzt  hab' ich genug von dieser Geschichte — dachte ich — und versetzte Adolf  mit dem linken Fuß einen Tritt in den Hintern, dass er direkt mit dem  Kopf in die selbstgegrabene Grube sauste. Das Weitere war nur noch ein  Kinderspiel. Ich schaufelte die Erde über dem Halunken zu und ging nach  Hause schlafen. 
    Es ist möglich, dass nicht alle der Geschichte ohne weiteres Glauben  schenkten, aber eins war erreicht: über die Schreckensgeschichten der  Diktatur fiel kein Wort mehr. 
    Der Zug blieb stehen. 
    —  Salgotarjan! —  schrie der Schaffner.  | 
  
    
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