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Bela Illes - Die Generalprobe (1929)
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VI.

Der Frühling, der Frühling kam eilig.
Im Herbst, in den ersten Tagen, war die Stadt ganz wie im Frühling. Jetzt Mitte März — erschien Budapest, wie wenn ein Sturm, ein Wolkenbruch, eine Feuersbrunst drohte.
Es schien, als ob der Kampf für einen Augenblick innehielt.
Es gab einen Augenblick, wo nur noch wenige an die Herbstblumenrevolution glaubten.
Demokratie?
Diktatur?
Wieso! Französische Soldaten sind in Budapest. Afrikanische. Die Tschechen, die Rumänen, die Serben kommen immer näher.
Nein! Nein! Niemals!
Kohlennot. Das Brot wird alle.
Diktatur?
Demokratie?
Alles ist gleich, für einen Augenblick.
Dann werden die Wahlen für die Nationalversammlung ausgeschrieben.
Die Sozialdemokratische Partei führt das Wort.
Rot wird das Parlament — brüllen die Plakate der Sozialdemokratie.
Nur übertüncht! Achtung! antworten wir. — Jeder Arbeiter gebe einen Tagelohn für den Wahlfond — schreit Kunfi.
— Keinen Heller für die Wahlen! — lautet die Botschaft Bela Kuns aus dem Gefängnis.
Ein gewesener Stabsoffizier führt in den Spalten einer bürgerlichen Zeitung Beweise dafür an, dass das einzige ernst zu nehmende Heer in Europa die Rote Armee sei.
In Transdanubien droht die Bauernrevolution----------
Bodenaufteilung! Bürgerwehr! Sozialisierung!
Menschen! Ungarn, wacht auf! Gefahr, Vernichtung droht der ungarischen Nation.
Kohlennot!
Was soll werden? Was soll werden? Was sollen wir essen?
Die Stadt wird früh dunkel, — aber bis zum Morgen sind die Straßen belebt. Wer will, wer kann heute schlafen?
Arbeiter, es gibt kein Brot!
Tausende von neuen Plakaten — alle verkünden kategorisch ihre Wahrheit, und alle steigern nur die Unruhe.
Tausend Schreckensnachrichten.
Franzosen besetzen das Land---------
Die Rumänen---------
Nein! Nein! Niemals!
Tausende neue Plakate, dann plötzlich Stille.
Druckerstreik.
Eine Million von Schreckensnachrichten---------
Die Regierung ist zurückgetreten!---------
Die Franzosen----------
Die Serben----------
Die Russen----------
— Weißt du, Peter, was es Neues gibt? — weckte mich Pojtek am frühen Morgen. — Die russische Rote Armee hat Tarnopol eingenommen. Die Rote Armee ist in Galizien, ist in unserer Nachbarschaft.
— Wahrhaftig? Oder ist das auch nur?
— Unsere Radiostation hat die Meldung aufgefangen. Jetzt also----------
— Ist die Regierung deshalb zurückgetreten?
— Nicht deshalb, sondern wegen der Note des französischen Majors Vix. Wilson und Kollegen haben wieder ein Stück von Ungarn abgebissen. Die Regierung glaubt natürlich, dass das entscheidend ist, was in Paris ausgekocht wird. Inzwischen aber haben die russischen Genossen Tarnopol erreicht. Ich bin deshalb so früh gekommen, weil du noch heute Vormittag nach Szolnok fahren musst. Du bringst einen sehr wichtigen Befehl dorthin.
— Ich verstehe.
— Wenn du den Befehl übergeben hast, fährst du sofort zurück. Du wirst hier gebraucht.
— Ich verstehe.
Es war nicht leicht, mich in den Wagen hineinzupressen, aber es gelang doch. Ich stand den ganzen Weg, aber ich brauchte keine Angst zu haben, hinzufallen. Wie stark der Zug auch schüttelte, ich stand auf festem Boden — ringsum ein so dichter Menschenkreis, dass ich mich nicht einmal umdrehen konnte. So sah ich auch den Herrn nicht, der hinter meinem Rücken eine politische Debatte führte.
— Hunderttausend Franzosen sind in Fiume gelandet, mit Artillerie, Tanks, Flugzeugen und sonstigem Kriegsmaterial. Es dauert keine Woche, und sie marschieren in Budapest ein. Hunderttausend Franzosen. Wissen Sie, was das bedeutet? Die werden schon Ordnung schaffen!
— Die Russen haben die Karpathen überschritten —
sie sind auf ungarischem Boden. Wissen Sie, was das bedeutet? Vierzigtausend Bolschewiken!
— Die Bolschewiki? Wieso denn! Die sind doch aus
Moskau verjagt.
— Sie haben die Karpathen überschritten!
— Vierzigtausend russische Bolschewiken! Nicht einer weniger. Die werden Ordnung schaffen.
— Märchen. Nehmen Sie doch Ihre Haxen von meinen Füßen.
— Machen Sie mir das erst mal vor! Auf meinen stehen wieder andere!
— Das ist doch stark!
— Sachte, das wird noch viel schlimmer.
Ich wollte erst Sonnabend früh zurückkommen, aber ich war schon Freitag abend in Budapest. Als ich mich durch die Halle des Ostbahnhofs auf den Platz hinausdrängte, war es schon ziemlich dunkel, aber die Lampen brannten noch nicht. Leiser Regen fiel wie durch ein Sieb. Ich blieb einen Augenblick vor dem Bahnhof stehen und reckte meine Glieder. Die Reise hatte mich ermüdet.
Ich merkte sofort, dass der Streik der Drucker noch nicht zu Ende war, nirgends war eine Zeitung zu sehen. Die Straße war auch sonst still, viel stiller als gewöhnlich. Während ich, an einen Laternenpfahl gelehnt, vor mich hinsah, zog ein kleiner Trupp Soldaten in festem Schritt unmittelbar an mir vorbei, in der Richtung zum Bahnhofseingang. Als der letzte Soldat an mir vorbei ging, erhellte sich plötzlich die Lampe über meinem Kopf. Das Licht fiel auf das rote Band an den Mützen der Soldaten. Zugleich erblitzten auch die Bajonette, aber ich sah nur die roten Bändchen. Ich vergaß meine Müdigkeit und rannte den Soldaten nach.
— Was ist los, Genossen? Wohin? Was ist geschehen? Die Soldaten gaben keine Antwort. Auf das Kommandowort ihres Führers hielten sie die Gewehre schussbereit und zogen in den Bahnhof ein.
Die Laternen verlöschten wieder, die Straßenbahnen blieben stehen.
— Halt!
Ein Soldat hält ein Auto an. Richtet den Revolver auf den Schofför.
— Halt! Aussteigen!
— Was gibt’s? Was gibt’s?
— Der Schofför bleibt an seinem Platz, der Fahrgast steigt aus. Ich beschlagnahme das Auto für die Arbeiterregierung.
— Was? Was sagen Sie? Wie soll ich das verstehen?
— Scher dich zum Teufel! Ich werde dir hier noch Erklärungen abgeben, du dreckiger Bourgeois. Raus, oder ich hol' dich in Stücken heraus!
— Genosse — wende ich mich zu dem Soldaten — was ist geschehen?
— Was geschehen ist? Wir haben gesiegt — das ist alles. In die Visegrader Gasse, sagte er zum Schofför und stieg anstelle des erschrockenen Bourgeois mit dem Zylinderhut in das Auto.
— Ich komme mit.
Ich warte nicht auf Antwort, setze mich einfach in das riesige Auto hinein.
— In die Visegrader Gasse! Abfahren!
In das Parteisekretariat kann man nur sehr schwer hinein. Menschen über Menschen drängen sich auf der Straße, die Treppe ist voll von Soldaten und Zivilisten. Vom Balkon spricht jemand zu der sich drängenden Menge. Auf der dunklen Treppe sprechen mehrere Redner.
— Es lebe die Diktatur des Proletariats! Nieder mit
der Bourgeoisie!
— Im Namen der revolutionären Arbeiter und
Bauern! ----------
Der Soldat bahnt sich mit Worten und Fäusten den Weg durch das Gedränge — ich ihm überall nach, bis wir endlich oben sind.
— Otto!
Otto ist äußerlich ruhig, reicht mir die Hand und schickt mich gleich weiter.
— Du musst sofort nach Neupest, zu Pojtek. Du findest ihn im Stadthaus. Hier deine Legitimation. Beeile dich!
— Was ist geschehen?
— Beeile dich. Requiriere ein Auto. Hast du einen Revolver? Geben Sie ihm einen Revolver, Genosse Simon.
Das Telefon klingelt.
— Genosse Simon, sechs Gewehre zur Börse. Sie melden sich bei Szamuely — schreit Otto.
Vor dem Tor treffe ich Goldmann. Goldmann fällt mir um den Hals.
— Wir haben gesiegt! — schreit er los.
— Wie kam das? Wie?----------
— Unterwegs! Halt! Aussteigen! Im Namen des Proletariats! Dieses Auto gehört den Arbeitern! Steig ein, Peter! Nach Neupest — verstehen Sie, Genosse Schofför? Nach Neupest zum Stadthaus.
Das Auto rast den Vacser Weg entlang, hinaus nach Neupest.
— Die Sache kam so — fing Goldmann an — kam so.
Nein, nein, ich kann jetzt nicht erzählen! Wir haben gesiegt — brüllt er aus voller Kehle.
Der Schofför wendet sich erschrocken nach hinten.
— Genosse befehlen?
— Wir haben gesiegt! — schreit Goldmann.
— Halt!
Zwei Soldaten hielten das Auto auf.
— Im Namen des Proletariats — brüllt uns der eine Soldat an.
Ich zeige meine Legitimation. Ein Stück weißes Papier mit dem Stempel der Kommunistischen Partei.
— Gut!
Es hörte auf zu regnen. Die Laternen brannten. Das Auto raste vorwärts. Goldmann stellt sich auf den Sitz und brüllt in die Welt hinaus:
— Wir haben gesiegt! Gesiegt!
Neupest. Vor dem Stadthaus ein bewaffneter Wachposten. Wohin?
— Zum Genossen Pojtek.
— In welcher Angelegenheit?
Ich zeige meine Legitimation. Der Soldat salutiert.
— Passieren. Erster Stock, 5.
Das Zimmer ist voll von Leuten, Arbeitern und Soldaten. Rauch. Lärm. Ich sehe mich um und bemerke Pojtek erst, als er zu mir spricht.
— Gut, dass du kommst, Peter!
— Pojtek!
Ich will ihn umarmen, er wehrt ab.
— Wir haben keine Zeit, du musst dich beeilen. Du gehst in die Kaserne. Fellner, der sozialdemokratische Parteisekretär — Genosse Fellner ist bereits da. Geh los!
— Was hab ich da zu tun?
— Du sprichst zu den Soldaten.
— Was soll ich dort sagen?
— Hier ist der Aufruf, lies ihn unterwegs. Das weitere
ü berlasse ich dir selbst. Goldmann, du gehst zu den Feuerwehrmannschaften.
Auf der Treppe unter einer Gaslaterne lese ich den Aufruf----------beschließt die Vereinigung beider Parteien ----------Die Sozialdemokratische Partei Ungarns ----------Die Diktatur des Proletariats----------das
Klassenheer des Proletariats----------das Militärbündnis
mit der Sowjet-Regierung----------
— Wir haben gesiegt — brüllt Goldmann mir ins Ohr. Vor der Kaserne ein bewaffneter Wachposten. Ich
zeige meine Legitimation: er salutiert, öffnet das Tor und vor lauter Eifer klopft er mir auch noch auf die Schulter.
Unter dem Tor brennt kein Licht, der Hof ist fast ganz dunkel, nur einige Fackeln leuchten. Das Fackellicht ist zu schwach, die Soldaten, die Leute voneinander zu unterscheiden: ich sehe nur die zusammenfließende, zusammengeschweißte Soldatenmasse, die den weiten viereckigen Hof bis in die letzte Lücke füllt und fast sprengt.
Fellner steht auf einem Tisch und redet mit ausgebreiteten Armen. Hinter ihm — auf einem anderen Tisch — ein Soldat. Der Soldat ist gut einen Kopf größer als Fellner, die riesigen Schultern bringen den angespannten Feldrock fast zum Platzen. Wie er die Fackel in der Hand hoch nach oben reckt, sieht er wie eine Statue aus.
— ... und was Paris uns verweigert hat, wird uns Moskau geben!
— Hoch! Eljen!
Aus dem schiefen Mund des kleinen Fellner fließen die schönen Worte, — seine Stimme schwingt — aber, was er sagt... Ich höre zu — ich begreife es nicht. Ein Mensch, der so spricht, der so etwas sagt, soll mein Genosse sein? Erst glaube ich, ich höre nicht gut, ich gehe näher zum Tisch, ich dränge mich fast bis zum Tisch heran — jetzt ist kein Zweifel mehr, dass ich mich nicht verhört habe. Ja, Genosse Fellner ist ein Nationalist und kein Bolschewik. Ein Nationalist! Ein Nationalist!!!
Fellner sieht mich an — erkennt mich anscheinend, er nickt mir zu — , seine Stimme dröhnt noch stärker.... die Kraft der Arbeiterschaft... eine Klasse, eine Partei... das Beispiel der russischen Genossen.
Jetzt ist er Revolutionär. Mir wird heiß. Um mich herum jubeln die jungen Soldaten, ihre Uniform ist die Uniform des Kaisers — aber an ihren Mützen tragen sie stolz das rote Band. Sie sind glücklich, sorglos — wir haben gesiegt. Ich bin auch glücklich, ich höre nicht mehr, was Fellner spricht, nur seine Stimme klingt an mein Ohr. Ich bin überaus glücklich. Ich möchte die ganze Welt umarmen. Ich möchte jedem ins Ohr brüllen: Wir haben gesiegt! Als Fellner seine Rede beendet hat und ich mich auf den Tisch stelle, kommt nur ein einziges Wort aus meiner Kehle:
— Wir haben gesiegt!
Die Soldaten nehmen mich auf die Schulter
— Wir haben gesiegt! Wir haben gesiegt! Es lebe die Diktatur des Proletariats! Eljen! Eljen!
Als die Hochrufe für einen Augenblick aufhören, nimmt der Soldat mit der Fackel das Wort auf. Er spricht mit dröhnender Stimme.
— Wir sind zwar die Soldaten eines kleinen Landes — einen Schritt breit ist dieses Land nur, doch wir kämpfen für die größte Sache der Menschheit. Wir sind die ersten, die allerersten, die sich an die Seite der russischen Genossen gestellt haben — auf den Kampfplatz!
Ich ging mit Fellner zusammen nach dem Stadthaus zurück. Vom Sehen kannte ich ihn schon, aber persönlich sprach ich ihn jetzt zum ersten Mal. Er war besonders freundlich zu mir, aber ich musste immer daran denken, und wenn ich es noch so sehr zu unterdrücken versuchte, dass er schwere Strafen für die Kommunisten gefordert hatte, als sie eingesperrt waren und entschieden dafür war, die des Kommunismus verdächtigen Arbeiter aus den Fabriken hinauszuwerfen. Jetzt fasste er mich beim Arm und nannte mich Bruder.
— Ich bin so glücklich, unendlich glücklich, liebster Bruder Kovacs, dass wir die Lösung gefunden haben. Es gibt keine Kommunistische und es gibt keine Sozialdemokratische Partei, der Bruderkrieg ist zu Ende, es gibt nur eine Partei: die einheitliche Sozialistische Partei, und uns gehört die Macht im Lande. Dieser Bruderkampf war entsetzlich, wie schön werden wir jetzt in Ruhe und Frieden arbeiten können.
— - Glauben Sie, dass wir jetzt dauernd in Frieden leben werden?
— Na ja, wir werden vielleicht an den Grenzen noch einen kleinen Krieg führen müssen, aber das werden schon die Armee und die russischen Genossen besorgen. Die Russen sind schon auf ungarischem Boden.
— Sie sind erst in Galizien.
— Soviel ich weiß, haben sie bereits die Karpathen überschritten.
Auf dem Stadthaus ging es noch immer lebhaft zu. Ständig kommen Leute wegen Anweisungen, wegen Ratschlägen, wegen Legitimationen. Das Telefon klingelt unaufhörlich.
— Willst du dich nicht hinlegen, Peter? Hier im Nebenzimmer ist ein Diwan.
— Nein, ich leg mich jetzt doch nicht hin.
— Morgen gibt's auch wieder zu tun.
Am frühen Morgen bringt ein Kurier den ersten Befehl des Revolutionären Vollzugsrates:
Belagerungszustand!
Wir bekommen auch ein riesiges Plakat:
„ Es lebe das Bündnis zwischen Sowjetungarn und Sowjetrussland!"
Ein wunderschöner Frühlingsmorgen. Wenn die Natur unseren Befehlen gehorchte, könnte der Himmel auch nicht röter sein im Osten.
Die Spuren des gestrigen Regens sind noch nicht verdunstet. Millionen kleiner Wasserspiegel werfen die Sonnenstrahlen zurück.
Frühmorgens fuhr ich mit Pojtek zum Bahnhof. Am Eingang standen rote Soldaten und begrüßten uns herzlich.
— Was denken Sie, Genosse Pojtek — fragte der alte Liptak, der sich die Soldatenkoppel um den Arbeiterkittel geschnallt hatte — was denken Sie, Genosse Pojtek, werden die deutschen Genossen es uns nachmachen?
— Ganz gewiss. Es gibt keinen anderen Weg: Sozialismus oder neuer Weltkrieg. Die alte Welt ist tot.
Der alte Liptak lehnte sein Gewehr an die Mauer und drehte sich eine Zigarette.
— Tot? — brummte er währenddessen — Friede ihrer Asche.
— Wir müssen auf der Hut sein, Genossen, sagte Pojtek — die alte Welt ist tot, aber die Menschen leben noch, die jene Welt erzeugt hat.
— Sehen Sie das Gewehr hier, Genosse Pojtek?
— Ich sehe es.
— Also. Mehr sag ich nicht.
— Richtig, Genosse Liptak.
Vom Bahnhof fuhren wir zu den Wasserwerken, dann zurück nach dem Vaczer-Weg. Noch vor Beginn der Arbeit kamen wir in die Maschinenfabrik. Das Auto fährt in den Hof ein — eine unendliche Menge von Arbeitern umringt uns. Pojtek stellt sich im Auto auf, beginnt zu sprechen, minutenlang kommt er nicht zu Wort.
— Es lebe die Diktatur des Proletariats!
— Nieder mit der Bourgeoisie!
— Hoch! Eljen!
Die Arbeiter sind glücklich, wie es die Soldaten in den ersten Tagen der Herbstblumenrevolution waren. Sie sind trunken vor Freude. Sie jauchzen wie Kinder.
Wir versuchen, mit der Fabriksirene die Arbeiter zur Ruhe zu bringen, aber es wird nur für einige Augenblicke still. Pojtek widmete seine ersten Worte dem großen Lehrmeister, der Russischen Bolschewistischen Partei — und jetzt brach die Begeisterung hundertfach verstärkt aus. Der Krieg, der Hunger, alle Leiden gehören der Vergangenheit an und kehren nicht mehr wieder. Die Arbeiter toben vor Begeisterung, plötzlich ertönt ein revolutionäres Lied, der Hof erdröhnt vom Gesang. Von der Donau her bringt der Wind den Widerhall: die Matrosen eines Dampfers fallen in unseren Gesang ein. Die leuchtend roten Fahnen flattern über der Fabrik.
— Wir haben die Macht übernommen! Schützt die Revolution! — diese zwei Sätze waren Pojteks Rede.
Er stieg aus dem Auto, verlor sich unter den Arbeitern — er vergaß alles, genau wie ich: er jubelte, jauchzte — schrie aus voller Brust: Hoch! Eljen! Wir konnten die große Freude nicht ertragen, wir mussten sie mit den Tausenden von Arbeiterbrüdern teilen.
Als wir in die Fabrik kamen, war dort die Arbeit schon im Gange. Wir zogen von Werkstatt zu Werkstatt.
Pojtek sprach überall ein paar Worte. Er sprach in einem ganz anderen Ton wie Fellner am gestrigen Abend. Er sprach nicht vom Frieden, — er sprach vom Kampf, Von kommenden schweren Kämpfen. Wir müssen alle Feinde des Proletariats niederwerfen, wenn wir leben wollen. Er sagte nicht, dass uns Moskau das geben wird, was uns Paris versagte. Wir müssen die Revolution mit der Waffe in der Hand weiterführen.
Während Pojtek sprach, ließen die Arbeiter die Maschinen leer laufen, sie lauschten nur auf seine Worte. Als er zu Ende war, stimmten die Arbeiter zu, aber sie jubelten nicht, wie die Arbeiter in der Ganzschen Fabrik. Ich merkte, dass der eine oder der andere ältere Arbeiter nachdenklich den Kopf hängen ließ, die Lippen zusammenpresste und den Kopf schüttelte. Andere wieder nickten ungläubig mit dem Kopf, wie wenn sie sich selbst gut zureden wollten. Die Maschinen gaben denen Recht, die Pojtek aus vollem Herzen zustimmten. Die Maschinen ratterten: ja — ja— ja.
— Ist es wahr, dass die Russen schon auf ungarischem Boden sind?
— Sie sind erst in Galizien — antwortet Pojtek.
— Wann werden sie hier sein?
— Das lässt sich nicht vorher sagen.
— Es kann schlimm werden, wenn sie lange auf sich warten lassen.
— Was heißt das? Halten wir ungarischen Arbeiter das Gewehr nicht fest in der Hand?
— Gewehr?
— Still, Kohut! Aber Kollege Kohut! Aber Kohut...
— Gut, gut — sagt Kohut verlegen — ich weiß auch, was die Pflicht der Arbeiter ist. Ich bin seit zwölf Jahren organisiert. Ich glaube nur, wir haben die Revolution nicht dazu gemacht, dass man uns wieder das Gewehr
in die Hand drückt... Karolyi brachte den Frieden...
— Wer soll die Revolution beschützen, wenn nicht die
Arbeiterschaft? Der Bourgeois, dem wir alles abgenommen haben?
— Gewiß, gewiss. Ich sage ja nicht, ich sage nur. Ja,
der Krieg...
Als wir hinausgingen, trafen wir Lehotai, den ersten Vertrauensmann, auf dem Hof. Er begrüßte uns lärmend und freudig.
— Ich komme gerade vom Stadthaus! Ich suchte Sie, Genosse Pojtek. Ich wollte wissen, was und wie?...
— Die Fabrik wird natürlich Gemeingut. Produktionskommissar. Betriebsrat — genaue Einzelheiten kann ich erst in einigen Tagen angeben. Für die ganze Stadt wird ein Bevollmächtigter die Sozialisierungsarbeiten leiten, ich glaube, der ältere Goldmann, der Ingenieur, wird Sozialisierungskommissar.
Lehotai machte ein langes Gesicht.
— Goldmann?
— Ja — sagt Pojtek ganz entschieden. — Ein verlässlicher Kommunist und auch als Fachmann erstklassig...
— Gewiß, gewiss — stimmt Lehotai zu.
Er begleitet uns noch bis zum Tor hinaus und wartet, bis das Auto abfährt.
Ü berall, wo wir vorbeifahren, hängen blutrote Fahnen von den Häusern herab.
— Die Bourgeoisie beeilt sich besonders, die Häuser zu beflaggen — sagt Pojtek lächelnd. — Es wäre interessant, zu erfahren, wer die Eifrigsten waren! Bestimmt viele, die gerade keinen Grund haben, sich zu freuen.
Im Stadthaus saßen schon die zwei aufgelösten Parteien beisammen, die Ortsleitungen der Sozialdemokratischen — und der Kommunistischen Partei. Stundenlang wurde beraten. Mittags wurde der dreigliedrige Vollzugsausschuss für die Stadt Budapest gewählt. Pojtek wurde Mitglied der Exekutive, und auf seinen Vorschlag wurde ich zum Sekretär ernannt.
— Worin besteht meine Arbeit?
— Das lässt sich nicht so einfach bestimmen. Du wirst viel zu tun haben.
— Ich möchte es aber wissen.
— Du wirst es schon erfahren.

Sowjetungarn. Sowjetrussland. Budapest. Moskau. Csepeler Radiostation.
— Die Ungarische Räterepublik verlangt den Genossen Lenin zum Apparat.
— Die Ungarische Räterepublik? Ungarische Räterepublik?
— Hier Lenin. Bitte Bela Kun zum Apparat.
— ... Das ungarische Proletariat, das in der gestrigen Nacht die Staatsmacht erobert und die Diktatur des Proletariats aufgerichtet hat — begrüßt den Genossen Lenin, als den Führer der Weltrevolution, bekundet seine revolutionäre Solidarität und übersendet dem gesamten russischen revolutionären Proletariat die heißesten Grüße. — Die Sozialdemokratische Partei hat sich auf den Boden der Kommunisten gestellt, die zwei Parteien haben sich vereinigt. Die Ungarische Räterepublik bietet der Russischen Sowjetrepublik einen Schutz- und Trutzbund an. Wir wenden uns mit der Waffe in der Hand gegen jeden Feind des Proletariats...
Hier Moskau...
Hier Csepel...
Hier Lenin. Heiße Grüße an die proletarische Regierung der Ungarischen Räterepublik und in erster Reihe an den Genossen Bela Kun. Ihre Grüße habe ich dem Kongress der Russischen Partei der Bolschewiki übermittelt. — Unendlicher Beifall...
Hier Moskau...
Hier Csepel...
Pojtek las die Nachricht laut vor.
Tränen rollten über sein Gesicht.
Ich sitze in einem großen, dreifenstrigen Zimmer. Auf dem alten, abgebrauchten Schreibtisch tanzen die Sonnenstrahlen — Tinte, Feder, Papier liegen auf dem Schreibtisch und das wichtigste Stück — der Stempel des Vollzugsausschusses. Mein Zimmer ist von morgens bis abends mit Menschen voll gepfropft.
— Bitte, Genosse Kovacs...
Eine alte Arbeiterfrau jammert, dass sie keine Wohnung hat. Ihr Mann ist auf dem serbischen Kriegsschauplatz gefallen.
Befehl! An das Wohnungsamt. Die Frau bedankt sich vielmals. Ich bekomme Angst — vielleicht wird der Befehl nichts nützen!
Am nächsten Tag ist die Frau wiederum da: sie wollte sich bedanken, für die erhaltene Wohnung. Zwei Zimmer im ersten Stock. Zwei Zimmer!
Ich versuche, die Leute rasch abzufertigen. In schnellem Nacheinander kommen die neuen Gesichter — blasse, abgemagerte, kränkliche Gesichter — Arbeitergesichter, die die Spuren des Krieges tragen.
— Ich habe nichts zum Heizen...
— Vor zwei Wochen bekam ich ein Zimmer, ich habe aber kein einziges Möbelstück. Die Kinder liegen auf dem Boden.
— Der Arzt sagt, meine Tochter Annuska geht dabei zugrunde. Sie ist erst zwölf Jahre alt und spuckt schon Blut. Glauben Sie mir, Genosse, der Arzt sagt, sie geht zugrunde, wenn ich ihr nicht Milch, Eier und Fleisch gebe. Sie geht zugrunde. Wie soll ich ihr Fleisch kaufen? Mein Mann ist in Kriegsgefangenschaft. Es reicht nicht einmal fürs Brot...
— Ich will nur sagen, Genosse. Ich will nur sagen, die Kleider fallen von mir ab. Die Füße sehen aus den Schuhen heraus...
Der Vollzugsausschuss ordnet an...
Am ersten Tag hatte ich noch Angst, ob meine Befehle genügend beachtet würden, aber als am nächsten Tag sich unter den Bittstellern auch solche einfanden, die für meine „segnende Güte" danken wollten, — drückte ich die Feder noch fester an. Alles gehört der Arbeiterklasse. Wir haben gesiegt. Nun kann den Armen geholfen werden. Wer sich an mich wendet, der hat es gut getroffen.
Drei Tage dauerte die Freude.
Am Morgen des vierten Tages, als ich eben meinen Mantel ablegte und mich an das Befehlschreiben machte, ließ mich Pojtek rufen.
Pojtek arbeitete im zweiten Stock. Und im Vergleich zu meinem Zimmer, war seines ein kleines Loch. Gerade als ich hereinkam, führte er mit nervösen Handbewegungen seine Frau hinaus.
— Gut, schön, gut, ich verspreche es, ich verspreche alles, nur stör mich nicht bei der Arbeit.
— Du versprichst alles, das weiß ich, aber ich weiß auch, dass du diese Versprechungen nicht ernst nimmst. Seit drei Tagen war er nicht mehr zu Hause, und ich weiß nicht einmal, ob er etwas Warmes isst — wandte sich die Frau jetzt zu mir.
— Genug — sagte Pojtek etwas betont. — Ich habe zu tun.
— Du arbeitest dich tot. Du denkst an nichts und niemanden. Du arbeitest dich tot. — Ich habe dich holen lassen — sagte Pojtek zu mir,
— weil ich dich fragen wollte, ob du deinen Verstand ganz oder nur halb verloren hast?
Vor Staunen sperrte ich Mund und Nase auf. Ich sagte keinen Ton auf die nicht gerade liebenswürdige Frage.
— Du verteilst ja das ganze Land — fuhr Pojtek fort. Ich wartete bis die Frau das Zimmer verlassen hatte,
— sie ging ohne zu grüßen — und erst als wir allein waren, bekam ich die Sprache wieder.
— Es gibt Leute genug, die Not leiden — sagte ich — sie haben lange genug gehungert.
— Es ist wahr — sagte Pojtek — der ungarische Prolet hat viel gelitten, aber du willst auf etwas eigenartige Weise dieser Not ein Ende machen. Du willst das Meer mit dem Hut ausschöpfen.
— Ich verstehe nicht.
— Weißt du, was wir sozialisiert haben? Heruntergewirtschaftete Fabriken, leere Magazine. Die Arbeiter, die Soldaten, das ganze Land hungrig und abgerissen. Hier kann Flickarbeit nicht helfen. Alles Material, alle Güter, die ganze Kraft muss dazu verwandt werden, um die Produktion neu zu organisieren, um die sozialistische Wirtschaft aufzubauen. Gerade so, wie wir die Macht erobert haben, werden wir auch diese Arbeit schaffen, aber dazu ist nötig, dass wir die proletarische Diktatur
nicht mit einem Hochzeitsschmaus beginnen, sondern mit Arbeit, mit unermüdlicher Arbeit. Verstehst du!
— Und den Proleten haben wir nichts zu geben? Pojtek sah mir scharf in die Augen. Ich hielt seinem
Blick stand und senkte erst dann meine Augen, als ich merkte, wie eingefallen sein Gesicht in den paar Tagen geworden war. Die Backenknochen sprangen hervor, die Augen waren eingesunken.
— Bist du krank, Pojtek? — fragte ich ihn.
— Wir haben einen großen Fehler gemacht, einen schweren Fehler. Wir hätten unsere Partei nicht aufgeben sollen, jetzt sind wir mit Haut und Haar diesen ... ausgeliefert. Setz dich, Peter, und hör zu...
Das Ende der Unterredung war, dass ich nicht mehr Sekretär des Vollzugsausschusses war. Ich kam in das Parteisekretariat, neben Fellner. Meine Aufgabe war die Vorbereitung der Rätewahlen.
Neben Fellner hatte ich kein rosiges Leben. Beim Vollzugsausschuss hatte ich von morgens bis abends zu tun, jetzt bekam ich überhaupt keine Arbeit.
— Erst müssen Sie sich einarbeiten, Genosse, dann können Sie arbeiten — sagte Fellner immerzu.
— Wie zum Teufel soll ich mich einarbeiten, wenn Sie mir nicht einmal gestatten, dass ich hinrieche, wenn irgend etwas geschieht?
— Sie meinen wohl, dass ich Kontrolle nötig habe? Ich war schon Sozialist, als Sie noch die Muttermilch saugten.
— Das weiß ich. Gerade deshalb könnte ich von Ihnen bestimmt viel lernen, Genosse Fellner.
— Hm ja, das ist wahr. Also gut. Von morgen an führe ich Sie in die Arbeit ein. Jetzt aber muss ich in die Stadt fahren.
— Es wäre wohl an der Zeit, mit den Vorbereitungsarbeiten zu den Wahlen zu beginnen — nahm ich am nächsten Tag das Gespräch auf.
— Seien Sie beruhigt, alles wird zur Zeit fertig. Ich
muss jetzt zum Betriebsrat. Ich muss das Sekretariat abschließen, denn hier befinden sich wichtige Schriften und auch Geld.
— Und wo soll ich hingehen?
— Darüber soll ich mir auch noch den Kopf zerbrechen?
Was sollte ich tun, ich musste das Sekretariat verlassen, und um irgendeinen Nutzen von diesem Zwangsspaziergang zu haben — ging ich auf den Vaczer-Weg, in die Fabrikgegend hinaus.
— Gut, dass Sie kommen — empfing mich Lehotai, der Produktionskommissar der Mautnerschen Fabrik. — Ich wollte gerade zu Ihnen gehen, Genosse Kovacs. Ich habe eine Beschwerde.
— Wo fehlt's, Genosse Lehotai?
— Es handelt sich um Missstände in der Lebensmittelversorgung. Ich muss sagen... Also ja. Gestern wurden in der Fabrik Hühner an die Arbeiter ausgegeben.
— Hühner? Sehr schön. Ich weiß nicht mehr, wie ein Huhn aussieht.
— Sie wissen es nicht? Hm, ja. Wie gesagt, Genosse Kovacs, wurden gestern Hühner verteilt. Gewiß — alles gehört den Arbeitern, nur dass es viel Proleten und wenig Hühner gibt. Denken Sie nur! Auf jeden dritten Proleten kam ein Huhn — die anderen kommen angeblich die nächste und übernächste Woche an die Reihe. Gut. Ich würde ja nichts sagen. Ich würde kein Wort über die Sache verlieren, wenn ich nicht zufällig erfahren hätte, dass in der Fabrik Wolfner die Verteilung von Hühnern in dem Verhältnis vorgenommen wurde, dass von zehn Arbeitern vier je ein Huhn bekamen — dort kommen also die anderen nicht in drei, sondern in zweieinhalb Wochen an die Reihe. Selbstverständlich fragen dann unsere Arbeiter — und das mit vollem Recht — , ist das die Gerechtigkeit der proletarischen Diktatur? Ist der Prolet aus der Wolfnerschen Fabrik mehr wert als der Prolet aus der Mautnerschen Fabrik?
— Aber Genosse Lehotai! Das ist doch kindisch!
— Kindisch sagen Sie? Vielleicht wäre das an sich kindisch zu nennen, aber wenn wir hinzunehmen, dass Genosse Strein, der bei der Verteilung der Hühner sich gerade in der Wolfnerschen Fabrik aufhielt — Genosse Strein ist seit elf Jahren organisiert, in jeder Hinsicht ein zuverlässiger Revolutionär, wenn er es sagt, können Sie ruhig Gift drauf nehmen. Genosse Strein sagt also: in der Wolfnerschen Fabrik wurden lauter fette Hühner ausgegeben, die unseren aber waren so mager, wie die sieben Hungerjahre aus der Bibel. Meine Frau lachte mich aus, als ich es nach Hause brachte. Wenn die Genossen solche Unterschiede zwischen Fabrik und Fabrik, zwischen Arbeiter und Arbeiter machen... Der Gewerkschaftssekretär selbst sagte, dass man so etwas nicht zulassen darf...
Ich sprach eine gute halbe Stunde mit Lehotai, aber ich fühlte selbst, dass es nur leeres Dreschen war. In gedrückter Stimmung ging ich in die Elektrizitätswerke hinüber.
— Gut, dass Sie kommen, Genosse Kovacs. Was sagen Sie zur Kandidatenliste des Sekretariats?
— Was für eine Liste?
— Zur Kandidatenliste für die Rätewahlen, die Fellner gestern persönlich zu den einzelnen Bezirkssekretariaten gebracht hat. Ich muss sagen, eine fabelhafte Zusammenstellung! Außer Pojtek ist kein Kommunist aufgestellt.
— Ich weiß von gar keiner Liste. Die Aufstellung von
Kandidaten ist nicht Sache des Sekretariats.
— Es wird gut sein, der Sache nachzugehen, Genosse Kovacs.
— Selbstverständlich werde ich der Sache nachgehen. Aber ich muss sagen, ich verstehe das Ganze nicht, es muss ein Missverständnis sein.
— Wahrscheinlich eine Schweinerei — sagte Hoffmann, der erste Vertrauensmann der Elektrizitätswerke. Fellner ist zu allem imstande. Hören Sie nur, — gestern sagte er ganz offen, er sei enttäuscht, er habe sich die Diktatur ganz anders vorgestellt. Außerdem sagte er noch, dass die Macht jetzt nicht in den Händen der Proleten sei, und dass nur die Gewerkschaften die wahren Interessen der Arbeiterschaft vertreten.
— Fellner ist ein dummer Kerl.
— Ich glaube eher, er ist ein Schuft. Auf alle Fälle wird es gut sein, ihm auf die Finger zu sehen.
— Sagen Sie, Genosse Fellner — fing ich einfach an — , wer hat die Kandidatenlisten für die Rätewahlen zusammengestellt?
— Das ist Sache der Bezirke.
— Sie haben doch fertige Listen an die Bezirke abgegeben.
— So? Sie spionieren also? Ich hab mir's gleich gedacht, dass Sie zu diesem Zweck hierher geschickt wurden. Seien Sie beruhigt, Sie werden hier nicht lange herumspionieren.
Er sprang auf und rannte aus dem Zimmer heraus. Er schlug die Tür hinter sich zu, dass es nur so wackelte. Ich hätte große Lust gehabt, ihm eine ins Gesicht zu hauen, aber ich beherrschte mich. Ich schloss das Zimmer ab und eilte nach dem Stadthaus.
Pojteks Vorzimmer war voll von Menschen, Rote Soldaten, Arbeiter und besonders viel Frauen. Es war nicht leicht, außer der Reihe zu Pojtek hereinzukommen.
— Nur ganz kurz, Peter.
Pojteks Gesicht war aschfahl, unrasiert, die Augen rot von der nächtlichen Arbeit, und trotzdem sprach er und disponierte er so sicher und so frisch, wie wenn er von Müdigkeit nichts wüsste.
— Auf all das hättest du gefasst sein sollen — sagte er, als ich ihm die Geschichte erzählte. — Unsere tapferen Genossen machen noch schönere Dinge.
— Aber weshalb fährt die Partei nicht dazwischen?
— Welche? Die Gemeinsame? Nein, die Partei fährt nicht dazwischen. Wir können uns auf die Partei nicht stützen, wir können uns nur auf die Massen selbst verlassen. Wir müssen die Massen auf unseren Standpunkt bringen. Die Organisationen haben wir aus den Händen gegeben. Dein Platz ist nicht im Bureau — gewiss, du musst auch dort deine Augen offen halten — aber die Wahlen wirst du nicht in Fellners Zimmer vorbereiten, sondern in den Fabriken. Und was die von Fellner fabrizierten Kandidatenlisten anbetrifft...
Mitten im Satz trat der Vorsitzende des Exekutiv-Komitees ins Zimmer. Ein riesengroßer Mann mit grauem Kopf und glattrasiertem Gesicht, ein pensionierter Krankenkassenbeamter. Er sah mich groß an, wie wenn er sich wunderte, dass ich noch lebe. Er nickte nur leicht mit dem Kopf, als ich grüßte.
— Ich muss dringend mit Ihnen sprechen, Genosse Pojtek.
— Bitte.
— Es ist eine vertrauliche Sache.
— Sie können ruhig vor dem Genossen Kovacs sprechen, er ist Angestellter des Parteisekretariats.
— Ich weiß, ich weiß, aber...
Pojtek winkte mir mit den Augen, dass ich mich entfernen sollte. Fünf Minuten später rief er mich herein. Der Vorsitzende des Komitees ging auf und ab. Pojtek sah mir, mit dem Rücken an den Schreibtisch gelehnt, scharf in die Augen.
— Es handelt sich darum, Genosse Kovacs, dass Genosse Fellner eine Beschwerde gegen dich eingelegt hat. Ich habe selbstverständlich keinen Hehl aus dem gemacht, was du mir über Fellner erzählt hast. Wir bringen die Angelegenheit vor die Parteileitung. Sie gehört nicht zur Zuständigkeit des Vollzugskomitees.
— Meiner Ansicht nach wäre es richtig — sagte der Vorsitzende — wenn Genosse Kovacs bis zur Entscheidung der Parteileitung wieder im Komitee beschäftigt würde. Wir sind ohnehin mit Arbeit so überhäuft, dass wir zweimal soviel Leute benötigen, als wir haben.
— Das auf keinen Fall — erklärte Pojtek. — Nein. Wir müssen das Resultat der Untersuchung abwarten. Solange bleibt Genosse Kovacs im Sekretariat.
Die Untersuchung ist heute noch nicht abgeschlossen, ich glaube, sie wurde gar nicht eingeleitet. Fellner tat so, wie wenn nichts geschehen wäre — von Arbeit aber kein Wort. So hatte ich genügend Zeit, von Fabrik zu Fabrik zu gehen. Auf die energische Forderung Pojteks wurden die Kandidatenlisten Fellners zurückgezogen und die Bezirksparteiversammlungen stellten die Kandidaten für die Wahl der Arbeiterräte auf.
In meinem Wohnbezirk hielten wir die Versammlung zur Aufstellung der Kandidatenlisten in einem langen, niedrigen, halbdunklen Saal ab. Der Saal war früher ein jüdisches Ersatzbethaus gewesen. Die Bänke standen an ihrem alten Platz, aber auf den einfachen Bänken saßen jetzt anstatt der inbrünstig betenden Juden laut debattierende Arbeiter, die Frauen waren besonders lebhaft. —
Die Arbeiter und die Frauen wählten in Ungarn zum ersten Mal. In ihrer Begeisterung merkten sie nicht, dass bei Aufstellung der Kandidaten zwischen den Mitgliedern der ehemaligen Sozialdemokratischen und denen der Kommunistischen Partei ein scharfer Kampf geführt wurde. Für die ersteren sprach Lehotai — natürlich im Namen der Partei und im Interesse der Diktatur. Er betonte, dass wir erprobte, in der Arbeiterbewegung altbewährte Genossen aufstellen müssten. Im Namen der Unseren sprach ich. Natürlich wies ich auf die Interessen der Partei und auf die Wichtigkeit der Diktatur hin. Aber ich sagte ausdrücklich, dass wir entschlossene, mutige und zuverlässige Revolutionäre in die Arbeiterräte wählen müssten. Die Arbeiter stimmten uns beiden mit Begeisterung zu.
— Vor einundzwanzig Jahren wurde ich aus der Stadt, wo ich in Arbeit stand, ausgewiesen und in meinen Heimatsort abgeschoben, weil ich sagte, der Arbeiter ist auch ein Mensch. Ich saß mit Bokanyi im Vaczer Gefängnis zusammen. Zu Graf Tiszas Zeiten war der Arbeiter ein Hund — nur die Herren durften abstimmen, wir mussten kuschen. Marx sagt, der Arbeiter ist auch ein Geschöpf Gottes — und Lenin und auch Bela Kun haben diese Wahrheit durchgeführt. Auch der Genosse Pojtek. Wir haben die Proletarische Diktatur, und jetzt heißt es für die Herren: kusch. Marx hat's vorausgesagt — es lebe die Diktatur des Proletariats.
— Hoch! Eljen!
Der Bezirk stellte neun Kandidaten für den städtischen Arbeiterrat auf: von diesen waren sieben ehemalige Sozialdemokraten und zwei ehemalige Kommunisten. Ich wurde auch als Kandidat aufgestellt. Bei der Wahl wurden fast alle Kandidaten einstimmig gewählt. Von morgens bis abends wählten die Proleten — die halbe Nacht durch wurden im Stadthaus die Stimmen gezählt.
Es war schon lange nach Mitternacht, als ich endlich nach Hause kam. Ich knipste das Licht an, warf mich in einen Lehnstuhl und saß lange Zeit fast bewegungslos da. Ich hatte nicht einmal soviel Kraft, meine Kleider auszuziehen, trotzdem ich es wirklich nötig gehabt hätte zu schlafen — es war schon lange her, dass ich mich einmal richtig ausgeschlafen hatte.
Ich wohne schon seit zwei Wochen hier — in einem requirierten Zimmer — , aber ich fühle mich noch immer sehr fremd da. Ich habe natürlich früher nie in einem so eleganten Zimmer gewohnt, es passte mir auch nicht sehr, dass mir das Wohnungsamt gerade dieses Zimmer zugewiesen hatte: ausgerechnet in der Villa eines Bankdirektors — der reichste Mann der Stadt. Es hieß, der Bankdirektor sei Mitte März nach Wien geflüchtet. Seine Frau war dageblieben. Als ich einzog, zeigte sie mir das Zimmer. Eine schlanke, etwas kleine Frau — das einzige, was mir von ihrem Äußeren im Gedächtnis blieb: ist ihr dunkelrotes — rostfarbenes Haar.
— Die Bolschewiken sind nicht so grausam — sagte sie, als ich ihr den Befehl des Wohnungsamtes zeigte — sie sind nicht so grausam, wie man erzählt hat — sagte sie lächelnd. — Meinen Mann haben sie vertrieben, aber damit ich mich nicht langweile, schicken sie mir einen viel jüngeren Mann.
Sie reichte mir die Hand. Sie hatte eine lange, schmale Hand, aber sie war nicht so zart, wie ich gedacht hätte. Sie schüttelte meine Hand fest wie ein Mann. Ich sah sie einige Mal, aber ich sprach nie mit ihr. Ich sage, hauptsächlich ist mir ihr rostfarbenes Haar im Gedächtnis geblieben.
Ich überlegte mir gerade, was richtiger wäre: morgen früh erst in die Ganzsche Fabrik zu gehen und dann nach Rakospalota oder umgekehrt — als es plötzlich an der Tür klopfte.
— Herein!
— Entschuldigen Sie, Genosse Kovacs, dass ich Sie so spät störe. Ich sah, dass bei Ihnen noch Licht ist, und da entschloss ich mich, bei Ihnen einzubrechen, wie ich mir's schon lange vorgenommen hatte. Ich sage, ich hatte schon lange im Sinn, diesen Schritt zu tun, denn ich möchte Sie sehr gern näher kennen lernen, ein wenig mit Ihnen plaudern — ich hatte nur bisher nicht den richtigen Mut. Sie wissen ja, das Frauenvolk ist feige und noch dazu eine Bourgeoisfrau. Gestatten Sie, dass ich mich setze?
— Bitte.
Die rothaarige Frau schob einen Stuhl gerade unmittelbar vor mich hin und setzte sich mir gegenüber, Ich betrachtete sie eigentlich jetzt zum ersten Mal etwas gründlicher, wo sie mit übereinander geschlagenen Beinen, mit einer Zigarette im Mund und mit ihren grauen Augen, neugierig mein Gesicht studierend, unmittelbar vor mir saß. Sie verbreitete einen Duft, wie wenn ihr Kleid aus Blumenkelchen wäre.
— Eine Zigarette kann ich Ihnen anbieten, Genosse Kovacs, aber Feuer müssen Sie schon geben.
— In welcher Angelegenheit...
— Erst bitte ich um Feuer. So, ich danke. Sie rauchen nicht, Genosse Kovacs? Also, — wie Sie denken.
— In welcher Angelegenheit-----------
— Ein wenig Geduld. Sie machen mir Angst, wenn Sie so drängen. Die Sache ist nämlich nicht so einfach. Ich fürchte, Sie werden mich ausschelten, oder was noch schlimmer ist, Sie werden mich auslachen.
— Erzählen Sie ganz ruhig. Ich werde Sie keinesfalls auslachen, und ich schelte auch nicht ohne Grund.
— Also soll ich reden? Gut. Wir haben die Proletarische Diktatur — das heißt, Sie befehlen, und ich gehorche. Aber wie ich sagte — es ist nicht so leicht zu erklären, weshalb ich Sie belästige, lieber Genosse. Aber
— wie soll ich's nur sagen — ein innerer Zwang — ein
kategorischer Imperativ — würde vielleicht Kant sagen. Sie kennen doch Kant, Genosse Kovacs?
— Nein, ich kenne ihn nicht.
— Na ja — das ist auch weiter nicht wichtig — sagte die schöne Frau und blies mir den Rauch ins Gesicht. — Ein veralteter Philosoph, der keine Antwort auf die heutigen Fragen geben kann. Der Held von heute ist Lenin, der die Proletarische Diktatur ausgedacht hat. Ich wiederum kenne — leider nicht Lenin. Ich möchte ihn gern kennen lernen. — Ich habe an der Universität Philosophie studiert, so dass ich die nötige Vorbildung besitze, um ihn zu verstehen, aber Lenin schreibt — leider — nur russisch und ich spreche außer Ungarisch nur die Kultursprachen. Ich war nicht vorahnend genug — ich habe mich für die Proletarische Diktatur nicht vorbereitet. So blieb mir nichts anderes übrig, lieber Genosse, als mich an Sie, an meinen einzigen Bolschewiki-Bekannten zu wenden, dass Sie mir das Wesen des Bolschewismus erklären. Ich lese täglich das Parteiblatt — Vörös-Ujsag — aber das befasst sich auch nur mit den praktischen Tagesfragen, und ich kann nicht glauben, ich halte es für gänzlich ausgeschlossen, dass sich eine neue Religion, eine menschheitbefreiende Religion in solchen Kleinigkeiten erschöpfe, wie Requirierung von Wohnungen, Alkoholverbot, Revolutionstribunal — mit einem Wort, ich erwarte etwas anderes von der neuen Religion. Diese Dinge — nicht wahr — sind nur Nebenerscheinungen, nur Mittel, das Ziel — davon bin ich überzeugt — liegt viel tiefer. Das ist mir klar. Das Weitere will ich von Ihnen erfahren, lieber Genosse, Sie werden mir erklären, worin die Idee besteht, für die man so leicht sein Leben hingibt. Also — was ist Bolschewismus?
— Es hat nicht viel Sinn, dass wir uns darüber unterhalten.
— Das ist ein Vorurteil, Genosse Kovacs. Es ist ein Vorurteil, zu glauben, dass, weil ich saubere Fingernägel habe, es sich nicht lohnt, mit mir über ernste Dinge zu reden. Ich sagte, ich besitze die innere Vorbildung dazu. Und auch der Sozialismus ist nicht ganz neu für mich — . wenn Sie mal Zeit haben, zeige ich Ihnen meine Bibliothek, wenn sie bis dahin nicht beschlagnahmt wird. Also?
— Hören Sie, wenn Sie soviel gelesen haben, brauchen Sie doch von mir, dem ungebildeten Arbeiter, nichts zu lernen?
— Das eine wissen Sie bestimmt besser als ich. Es ist ja Ihre Religion. Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie Ihre eigene Religion nicht kennen?
— Ich habe keine Religion.
— Ich dachte, den Bolschewismus.
— Der Bolschewismus ist keine Religion.
— Was denn?
— Was? Die alte Welt ist tot. Sie war schlecht, wir reißen sie nieder. Wir bauen eine neue — das ist alles.
Ich fühlte, dass meine Erklärung nicht sehr glücklich war, aber ich war wirklich nicht in der Verfassung, Erklärungen abzugeben und besonders dieser Frau nicht, die sich so zur Schau trug, mir ihren Geruch aufzwang, dass ich nicht mehr neben ihr sitzen konnte. Ich stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Jetzt stand auch die rothaarige Frau auf, glättete ihren Rock und stellte sich mir in den Weg.
— Wissen Sie, Genosse Kovacs, ich denke mir... Aber gut. Ich debattiere nicht, ich akzeptiere Ihre Erklärung. Solch einfache Erklärungen haben auch ihren Vorteil, aber sie haben auch eine Schattenseite. Sie geben keine Auskunft über die Teilfragen... Ich will Ihnen gleich ein Beispiel sagen. Die alte Welt ist tot. Wenn wir diese Behauptung auf das gegenseitige Verhältnis der Geschlechter beziehen, bedeutet das ungefähr soviel, dass die Ehe in ihrer alten Form aufhört, vielleicht hört auch die alte Form der Liebe auf, — vielleicht hört sogar die Liebe selbst auf. Aber die andere Hälfte Ihrer Definition: wir bauen eine neue Welt — sagt nur, dass das Verhältnis der Geschlechter zueinander anders geregelt wird. Wahrscheinlich so, dass jeder das bekommt, was er benötigt, aber wie das geschieht, das besagt dieser Ausspruch nicht. Freie Liebe, Gruppenehe oder ein bisher unbekanntes Projekt der Lösung...
— Ich glaube, die Frage ist heute gar nicht so wichtig.
— Sie irren sich. Diese Frage gehört zu denen, die als erste auftauchen und diese Frage interessiert — ohne Ausnahme — jeden Menschen, ob Proletarier oder Bourgeois. Hier ist zum Beispiel — ich nehme einen, von dem ich ein Recht habe zu sprechen — mein eigener Fall. Mein Mann ist nach Wien geflüchtet und kann nicht zurückkommen, weil er ein Feind der Proletarischen Diktatur ist. Ich blieb hier, ich denke auch gar nicht daran fortzugehen, denn ich bin — trotz meiner Klassenlage — im Wesen Sozialistin. Jetzt also — ja, ich muss noch erwähnen, dass ich im ganzen nur einunddreißig Jahre alt bin. Ich blieb also ohne Mann hier zurück. Was ist jetzt meine Pflicht? Muss ich auf Grund der alten bürgerlichen Ehemoral meinem Mann treu bleiben? Oder hab' ich ohne Auflösung meiner Ehe das Recht — auf die Liebe eines anderen Mannes? Oder muss ich erst die Ehe lösen und...
— Es gibt zwanzigerlei Möglichkeiten, aber keine von diesen ist befriedigend. Irgend etwas muss ich doch unternehmen, denn die gestrige Situation----------Geben Sie mir also einen Rat, Genosse Kovacs, einen Rat in einem konkreten Fall.
Als sich die schöne Frau mir in den Weg stellte, blieb ich stehen und während sie sprach, standen wir einander ganz nah gegenüber. Die Frau sprach flüsternd, aber so heftig, wie ein feuriger Volksredner, der die Masse zum Aufstand aufruft und auch ihre Augen funkelten, wie wenn sie das Feuer der Weltrevolution schürten. Bei den letzten Worten packte sie mich beim Arm und drückte ihn so fest, dass ich durch den Rock ihre Fingernägel spürte. Ihr feuchter, roter Mund war einige Zentimeter von meinem Mund entfernt.
— Also geben Sie mir einen Rat, Genosse Kovacs...
Sie zitterte. Fast hätte sie mich angebissen. Ihr Zittern steckte auch mich an. Wäre ich nicht so todmüde gewesen, hätte ich mich vielleicht nicht beherrschen können, aber so hatte ich noch soviel Selbstbesinnung, dass ich meinen Arm los riss und einige Schritte nach rückwärts machte. Ich bekam Angst vor der Frau. Ich glaubte nicht, dass sie nur meine Küsse
— nur den Mann in mir — haben wollte. Sie spielte doch mit mir wie mit einem Kind.
Einige Augenblicke standen wir stumm, keuchend einander gegenüber.
— Auf diese Frage — sagte ich mit heiserer Stimme,
— auf eine solche Frage kann ich nicht antworten. Es ist nicht mein Fach.
Die rothaarige Frau lachte hell auf. Sie lachte, dass ihr ganzer Körper zitterte.
— Es ist nicht Ihr Fach? Ha — ha — ha — ha — ha — ! Es gehört nicht zu Ihnen! Ha — ha — ha! Vielleicht — ha — ha — vielleicht muss ich mich an den Vollzugsrat wenden. Ha — ha — ha — ha— , oder vielleicht an den Sozialisierungskommissar? Nur das eine sagen Sie mir noch, Genosse Kovacs...
— Es tut mir wirklich leid, ich kann Ihnen nichts mehr sagen. Ich bin so müde, dass ich kaum meinen Mund bewegen kann.
Die Frau sah mich von Kopf bis zu Fuß an, sagte mir leise gute Nacht und ließ mich allein. Ich warf mich mit den Kleidern aufs Bett und nach einigen Minuten schlief ich fest. Ich schlief nicht sehr lange, noch vor Sonnenaufgang weckte mich Goldmann.
— Das Kriegskommissariat hat angerufen. Morgens um vier Probemobilisierung. Szanto inspiziert die Fabrik-Bataillone. Na — kriech schon 'raus, du bist ja fauler als ein Erzbischof!
Vor Beginn der Eröffnungssitzung des Arbeiterrats sprach mich auf dem Flur des Stadthauses ein großer, schlanker junger Mann an.
— Na, Genosse Kovacs, den alten Kameraden erkennen Sie gar nicht mehr?
— Um ehrlich zu sein...
— Ja gewiss, gewiss. Na, macht nichts. Ich bin Genosse Somogyi — oder erinnern Sie sich so besser — Oberleutnant Somogyi. Gewesener Oberleutnant. Erinnern Sie sich, aus dem Interniertenlager?
— Gewiß erinnere ich mich, Oberleutnant Somogyi. Wie kommen Sie denn hierher?
— Eine eigentümliche Frage — lachte Somogyi und verzog sein Gesicht. — Ich glaube, Kommunisten haben hier ihren Platz — das wissen Sie ja, dass ich nicht erst seit heute Kommunist bin. Ich war schon damals Kommunist, als ich Adjutant beim Lagerkommandanten war. Ich habe meine Rolle gut gespielt — was? Ich war saugrob — alles dachte, ich sei der größte Bolschewistenfresser — hintenrum aber half ich den Genossen um so mehr. Ich rettete wenigstens fünfzig Leuten das Leben — unter anderen rettete ich auch Ihr Leben, lieber Genosse Kovacs.
— So? Wirklich? Ich danke Ihnen.
— Ich tat es nicht des Dankes willen — sagte der Oberleutnant — unter Genossen ist für so etwas kein Raum — aber... sagen Sie, Genosse Kovacs, ist dieser Fellner ein verlässlicher Kommunist?
— Gewiß. Ein revolutionärer Kommunist. Weshalb fragen Sie?
— Es handelt sich darum, dass die Arbeiterbataillone bewährte Befehlshaber benötigen — zuverlässige Kommunisten und erprobte Soldaten. Ich habe mit Fellner schon gesprochen — ich habe eine Empfehlung hier... mit einem Wort...
Im Sitzungssaal erwischte ich Fellner.
— Sagen Sie, Genosse Fellner, soll tatsächlich der Oberleutnant Somogyi als Befehlshaber den Arbeiterbataillonen zugeteilt werden? — Wissen Sie, wer dieser Mann ist?
— Ich weiß, Genosse Böhm hat ihn hierher geschickt. Ich glaube, das müsste Ihnen genügen.
— Das genügt mir nicht! Ich kenne Somogyi aus dem Interniertenlager — er ist der niederträchtigste Bluthund.
Fellner sah mich zweifelnd an und zuckte mit den Achseln. In diesem Augenblick stimmte das Orchester die Internationale an.
Als die Eröffnungsreden zu Ende waren und die Vorsitzenden gewählt worden waren, begann der ältere Goldmann seinen Vortrag über die Sozialisierung. Ein kleiner, hagerer Mann, mit etwas vorgebeugtem Rücken, eine Hornbrille auf der Nase — äußerlich ein richtiger Stubengelehrter, gar nicht sympathisch. Er sprach anfangs schleppend, die Stimme hörte sich unangenehm an, so dass niemand sich viel von diesem Vortrag versprach.
Wir saßen im großen Saal des Stadthauses auf den Stühlen, auf welchen vor noch nicht langer Zeit die "Stadtväter" gesessen hatten — Goldmann stand auf dem Podium — hinter dem geschnitzten, ehrwürdigen Lehnstuhl des Bürgermeisters.... Das Wesentliche an der Sache ist nicht, dass wir einigen Tausenden oder Zehntausenden das Einkommen ohne Arbeitsleistung unmöglich machen — dieses ohne Arbeit erworbene Einkommen, verteilt auf die Millionen von Arbeitern, würde nichts bedeuten — das Wesentliche ist, dass wir die Produktion nach der Ausschaltung der Bourgeoisie aus dem Produktionsprozess derart organisieren...
Goldmann weckte nur langsam das Interesse der Zuhörer, aber später packte er uns um so mehr. Er sprach kein Wort von den geschichtlichen Vorgängen. Kein Wort über die Rolle des Proletariats. Kapitalistische Produktionsweise... Anarchie der Produktion... sozialistische Produktionsweise — alles Dinge, über die wir gelesen hatten, aber als diese Fragen auf die Tagesordnung kamen, dachte man gar nicht daran, dass sie auch zur Revolution gehören. Anfangs — sprach man natürlich viel von diesen Dingen, weil man nur auf Grund einer veränderten Produktionsweise eine Verbesserung der Lebensverhältnisse erhoffte, — später dachten wir nur daran, wie wir diese Schufte niederschlagen, dann... dann als der Kampf einsetzte, der ernste, harte, entscheidende Kampf — ja — da dachten wir nur an den Sieg — und jetzt brachte uns Goldmann all diese Dinge wieder in Erinnerung. Das ist der Kern der proletarischen Diktatur — sagte er — die Verwirklichung des Sozialismus.
Die Verwirklichung des Sozialismus — wiederholte ich bei mir und im ersten Augenblick, als ich nicht mehr Goldmann zuhöre, sondern darüber nachdenke, wie wird dann die Welt aussehen — ja, da fühle ich! jetzt muss ich aufspringen und hinausbrüllen: hört zu, hört zu: die Verwirklichung des Sozialismus ist nur eine Frage der Zeit, ja, wir werden glücklich sein, alle werden glücklich sein. Ja, die Verwirklichung des Sozialismus ist auf dem Marsch. Die Verwirklichung des Sozialismus. Ja, ja, — der Kampf geht darum — für den Sozialismus — für den Sozialismus. Wie werden die Menschen leben? Wie wird die Welt aussehen?
Ich höre wieder zu — aber ich habe den Zusammenhang verloren. Ich höre nur Zahlen, weiß aber nicht, was diese Zahlen bedeuten.
Der Vortrag ist zu Ende. Kein Händeklatschen, kein Wort fällt — einige Augenblicke sitzen wir lautlos auf unseren Sitzen. Neben mir atmete der alte Liptak, der Metallarbeiter, tief auf.

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