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Bela Illes - Die Generalprobe (1929)
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I.

Der Rote Soldat Peter Kovacs wurde nach fünfwöchiger Behandlung als gesund aus dem Karolyi-Krankenhaus entlassen. Es war einige Minuten nach 12 Uhr mittags, als er die Tür des Krankenhauses hinter sich zumachte. Er nahm seine Mütze ab, um sich den leichten Wind von der Donau her voll ins Gesicht wehen zu lassen, das trotz der überstandenen Krankheit rot und gesund aussah. Mit der linken Hand strich er sich über sein dunkelblondes Haar und — ohne besonderen Grund — lachte er, zwei Reihen großer weißer Zähne zeigend. Als er sich langsam zur Kaserne begab, betrachtete er verwundert mit den nussbraunen weitgeöffneten Augen die Stadt. Er fühlte sich sehr wohl in diesem Augenblick: er war jung, kräftig und gesund. Drei Stunden später stand er um Haaresbreite dem Tode nahe. Dass ich nichts verwirre: Peter wurde am vierundzwanzigsten Juni, dem vierten Monat der proletarischen Revolution in Ungarn, aus dem Krankenhaus entlassen.
Frühmorgens wusch ein scharfer Regen durch die ganze Stadt. Die Sonne trocknete bereits die Spuren des Regens, der Staub flog noch in dünnen Strichen unter den Rädern der fahrenden Wagen. Von der Donau her brachte der Wind frische Luft. Peter sah dem Wind entgegen, nahm ihn vergnügt auf, lachte ihm zu, spielte mit ihm. Als er aber auf den Arpadweg kam, ließ seine gute Laune nach, er konnte die Stadt, die er seit dem 1. Mai jetzt zum ersten Mal wieder sah, gar nicht wieder erkennen, und wenn er sich noch so
sehr umsah. Ja, die Häuser sitzen alle an ihrem alten Platz, auch die Straßenbahnen laufen auf den alten Schienen, aber die Menschen... Es ist doch sonderbar, dass alle Leute so essigsaure Gesichter haben, als ob sie alle aus der Nase bluteten. Die Straßenbahnen sind überfüllt — die Menschen hängen in Trauben an den Stufen. Darum kommen sie auch so langsam vorwärts. Aus den Häusern, wenn auch nicht überall, hängen noch die Maiflaggen, aber der Regen wusch, die Sonne sog die blutrote Farbe aus. Die ganze Stadt war müde und schlechter Laune.
Ins Eingangstor gelehnt rauchten zwei Rote Soldaten friedlich ihre Pfeifen.
— Wohin, wohin? — fragt der eine, der alte Liptak.
— Ich will mich in der Bataillonskanzlei melden. Ich bin heute aus dem Krankenhaus entlassen worden.
— Geheilt? — Ja.
— Na, dann mach einen schönen Spaziergang.
Peter sah den Mann mit dem graumelierten Schnurrbart verwundert an; die Mütze burschenhaft zurückgeschoben, lehnte er mit dem Rücken an dem Tor und biss seine Zähne in die Kirschholzpfeife.
— Mach keine faulen Witze, Genosse Liptak.
— Na, wieso denn?
— Meinetwegen kannst du auch hineingehen, nur wirst du keinen finden. Der Oberleutnant hat alle Mann mitgenommen. Nur uns hat er hier zurückgelassen, wir sollen acht geben — dass die Mauer nicht einstürzt.
— Der Genosse Bataillonskommandant ist mit dem ganzen Bataillon zur Kriegsübung ausgerückt — erklärte der andere Soldat. — Sie kommen erst morgen vormittag zurück. Bis dahin bleibt auch das Bureau geschlossen — nur wir zwei Marode sind zurückgeblieben.
— Was, zum Teufel soll ich bis morgen früh anfangen?
Peter war nicht hungrig, aber um irgendwie die Zeit totzuschlagen, ging er in ein Restaurant und aß zwei Teller Kürbisgemüse. Während des Essens fiel ihm ein, das Vernünftigste wäre, zu Pojtek aufs Rathaus zu gehen.
Vor dem Rathaus ging es lebhaft zu. Eine Menge Leute kamen durchs Tor heraus, andere wollten hinein. Auf dem Balkon flatterte eine tiefrote Fahne. Ein bewaffneter Roter Wachmann ging vor dem Haus auf und ab. Peter blieb eine Weile stehen — betrachtete das bewegte Leben und Treiben und freute sich daran. Von irgendwo aus der Richtung der Donau her, nicht weit entfernt, hörte man Kanonendonner.
— Sie haben eine neue Art von Kanonen erfunden, mit denen werden jetzt Versuche gemacht — sagte ein hagerer bebrillter Mann, der auf die Straßenbahn wartete, zu den Umstehenden.
Peter ging in den ersten Stock hinauf, dort wusste er plötzlich nicht, wo er Pojteks Zimmer suchen sollte. Aber bevor er sich noch erkundigen konnte, kam gerade aus dem zweiten Stock der Genosse Pojtek die Treppe herunter. Er lief direkt auf Peter zu und er wäre an ihm vorbeigerannt, wenn Peter sich nicht vor ihn hingestellt hätte.
— Genosse Pojtek...
Pojtek ließ sich nicht aufhalten.
— Du bist es? — fragte er verwirrt und rannte auch schon weiter. Peter ging ihm nach — so aufgeregt hatte er Pojtek noch nie gesehen. Ohne ein Wort zu sagen, ohne zu grüßen, eilte er durch ein großes, dunkles Vorzimmer und trat ohne anzuklopfen in ein anderes Zimmer. Peter überall hinter ihm her, ohne zu wissen, wo es hinging, bis sie beim Vorsitzenden des Vollzugs-
rats waren. Peter gegenüber saß in einem breiten Lederstuhl der Vorsitzende, neben ihm stand, die Telefonmuschel am Ohr, Potyondi — wie immer im blauen Arbeitskittel. Pojtek sagte etwas zu dem grauhaarigen Vorsitzenden — in einem Ton, wie wenn er ein Regiment kommandierte — , doch konnte man nur schwer verstehen, was er sagte, denn gleichzeitig schrie Potyondi ins Telefon. Noch vier — fünf Menschen waren im Zimmer, die sich gleichfalls laut unterhielten. Peter wollte schon wieder hinaus. Aber Pojtek rief ihm zu:
— Warte! Du weißt nicht, wohin du gehen musst und willst fortrennen. Geh schnell zur Kaserne hinunter und sieh nach, ob es wirklich wahr ist... ob es wahr ist, dass die Kaserne leer ist?
— Ja, es ist wahr. Ich komme gerade von dort. Das ganze Bataillon ist zur Übung ausgerückt.
— ... zum Teufel noch mal!
Potyondi warf die Hörmuschel auf den Tisch.
— Die Zentrale lässt die nationalen Sozialdemokraten hochleben! Sie verbindet nicht!
Ein blonder großer, breitschultriger Arbeiter — der Präsident des Revolutionstribunals — sagte in ruhigem Ton:
— Sozialdemokratische Gegenrevolution.
— Aber, Genosse! — sagte der grauhaarige Vorsitzende vorwurfsvoll.
— Wir müssen den Fabrikbataillonen das Signal geben — fuhr er ruhig fort.
— Verstehst du denn nicht? — schlug Pojtek mit der Faust auf den Tisch — , laut Vereinbarung sollte das Signal zur Versammlung die Sirene der Mautnerschen Fabrik geben, und im Hofe der Fabrik sollten sich dann alle sammeln. Aber gerade die Fabrik Mautner ist in den Händen der Gegenrevolutionäre...
— Hast du nicht gesagt, sie beschießen die Stadt mit Monitoren...
— Ja, das ist richtig. Die Monitore beschießen die Stadt, aber die Mautnersche Fabrik ist auch in ihren Händen. Bei Mautner befindet sich der Feuerwehrschuppen, dort befanden sich auch eine Menge Gewehre, mit einem Wort, das ist die größere Gefahr.
— Hm.
— Unsere Pflicht, Genossen, ist jetzt — sagte ein kleiner, hässlicher, schiefmäuliger Mann mit fahlem Gesicht, der Parteisekretär Fellner — , unsere Pflicht ist jetzt, das Rathaus zu schützen. Wir müssen die Tore schließen...
— Ochse! — rief ihm Potyondi zu.
— Wir müssen Zeit gewinnen, Genossen — sagte Pojtek. — Ich gehe in die Fabrik Mautner hinunter, um zu verhindern, dass sie zum Angriff übergehen, bevor wir uns gesammelt haben. Wir müssen die Arbeiter eiligst zusammenberufen. In der Kaserne sind bestimmt noch Gewehre.
Potyondi nickte zustimmend mit dem Kopf.
— Du kommst mit mir — sagte Pojtek zu Peter gewandt und rannte vor, ohne eine Antwort von ihm zu erwarten. Peter konnte ihn erst beim Ausgangstor erreichen.
Peter war kaum ein paar Minuten im Rathaus gewesen, aber während dieser kurzen Zeit hatte sich das Straßenbild vollständig verändert. Die Umgebung des Rathauses war leer — der erste Schutzmann stand mitten auf dem Fahrweg und beobachtete, zum Himmel hinaufstarrend, die aufsteigenden Schrapnellwolken. Ein Straßenbahnwagen blieb gerade vor dem Rathaus stehen — die Fahrenden zerstreuten sich eiligst. Von der Pester Seite kam ein Auto mit roter Fahne angesaust, es blieb nicht vor dem Rathaus stehen, sondern fuhr weiter in der Richtung zur Kaserne hin.
Weiter — näher zum Vaczerweg — sah die Straße wieder anders aus: das Trottoir gedrängt von Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, aber auch viele Männer darunter, Arbeiter, die nach dem Mittagessen in die Betriebe zurückwollten. Sie warteten auf irgend etwas, sie wussten selbst nicht worauf. Es musste etwas geschehen sein, das fühlte jeder, aber keiner wusste, was. Ganz in der Nähe aber, wo sich dieses „Etwas" befand, war der Vaczerweg leer. Auf den langen, breiten, nach Pest zu laufenden Fabrikstraßen: standen die hochragenden roten Schornsteine Wache, nur vereinzelt sah man Menschen im weiten Umkreis. Ein Straßenbahnwagen raste Pest zu, ein Lastauto keuchte mit ihm um die Wette.
Die Mautnersche Lederfabrik, mit der Rückseite zur Donau, zeigt zum Vaezerweg hin eine hohe eiserne Wand, ein riesiges eisernes Tor. Der Weg wird hier ganz schmal. Das gegenüberliegende einstöckige Haus ist kaum einige Meter vom eisernen Tor entfernt. Die Dachrinne des Hauses liegt kaum einen Meter höher als die eisernen Spieße, die aus der Fabrikmauer herausragen. Das Fabriktor steht offen, auf dem dahinterstehenden Pförtnerhaus ist eine rotweißgrüne Fahne gehisst.
— Wohin? — halten zwei bewaffnete Feuerwehrmänner vor dem Fabrikeingang Pojtek an.
— In die Fabrik.
Der eine Feuerwehrmann verzieht den Mund, der andere zuckt bloß mit der Achsel. Das eiserne Tor wird hinter Peter und Pojtek zugeschlagen.
Im Fabrikhof, den Rücken dem Tor zu, stehen in langer Reihe die bewaffneten Feuerwehrmänner. Gegenüber — in etwas kürzerer Reihe, bewaffnete Arbeiter. Zwischen den zwei Reihen steht der Feuerwehrkommandant, neben ihm drei, vier Soldaten. Sie haben keine Sterne, keine Achselzeichen — nur eine Kokarde in den Nationalfarben auf der linken Brust — , doch man erkennt sofort: es sind Offiziere. Der eine spricht zu den Arbeitern.
— ... die nationale Sozialdemokratie... Freiheit... die wahren Führer der Arbeiterschaft... die Entente schickt Lebensmittel, schickt Kleider... die nationale Sozialdemokratie...
Zunächst bemerkt man Pojtek nicht. Er steht regungslos da. Die zwei Feuerwehrmänner stehen starr hinter ihm und bewegen sich auch dann noch nicht, als Pojtek langsam vorwärts geht in der Richtung, wo die Offiziere stehen. Der Offizier hält einen Augenblick inne — dieser Augenblick genügt — , und plötzlich ertönt Pojteks Stimme:
— Genossen! Der revolutionäre Vollzugsrat!... Weiter kommt er nicht. Plötzlich springen vier, fünf
Leute auf ihn zu. Peter reißt einen Angreifer — einen festen Kerl — von ihm weg, da fassen ihn schon sechs eiserne Fäuste — einer stellt ihm ein Bein — sie schlagen mit dem Gewehrkolben zu — , noch einen Schlag von hinten auf die linke Schulter, und nun liegt auch er da auf dem Boden neben Pojtek. Das Blut strömt durch Pojteks Mund und Nase. Sein kurz geschnittenes, borstiges schwarzes Haar und die ergrauenden Schläfen sind voller Blut.
Die Reihen der Soldaten lösen sich auf, alles drängt sich in wildem Durcheinander um die Raufenden herum.
— Zurück! Jeder an seinen Platz! Achtung, stillgestanden !
In der Mitte lagen Pojtek und Peter, und nur die beiden, die sie niedergeschlagen hatten, standen noch bei ihnen.
— Aufstehen! — schrie ein großer breitschultriger Husarenoffizier mit sonnenverbranntem Gesicht und zeigte mit dem Stock auf Pojtek.
Da sich Pojtek und Peter nicht rührten, griffen je zwei Feuerwehrmänner unter ihre Arme und hielten
sie aufrecht.
— Was hattet ihr hier zu suchen? — brüllte der
Husarenoffizier sie an.
Peter schwieg — betäubt wischt sich Pojtek mit dem Rockärmel das Blut vom Mund ab. Mit dem Blut speit er zwei seiner Zähne aus.
— Warum seid ihr hierher gekommen? Was habt ihr hier zu suchen? — wiederholte der Offizier.
Pojtek blickte auf die bewaffneten Arbeiter, er strengte sich an, möglichst laut zu sprechen.
— Genossen! Der...
— Stopft ihm das Maul!
Die Offiziere berieten eine Weile leise unter sich. Der Husarenoffizier schlug mit dem Stock um sich her, ein anderer Offizier schüttelte zweifelnd den Kopf. Aus der Reihe der bewaffneten Arbeiter tritt ein Mann heraus und lehnt sein Gewehr an die Wand. Der Feuerwehrkommandant springt auf ihn zu und packt ihn an der Schulter und schüttelt ihn.
An die Wand mit ihnen! — brüllt der Husarenoffizier den Feuerwehrleuten, die Pojtek und Peter halten, zu.
Peter und Pojtek stehen vor der eisernen Wand, ihnen gegenüber die sechs bewaffneten Feuerwehrleute. Peter senkt den Kopf, Pojtek blickt dem Husarenoffizier, der hinter den Feuerwehrleuten steht, fest ins Auge. — Plötzlich ertönt scharf und schrill irgendwo in der Nähe eine Fabriksirene. Pojteks blutiger Mund verzieht sich zu einem leisen Lächeln. Er blickt auf die in militärischer Reihe aufgestellten Arbeiter hin — plötzlich wendet sich auch der Husarenoffizier dorthin — , ein Arbeiter nach dem anderen wirft das Gewehr zu Boden.
— Man hat uns betrogen! — sagt der erste, der aus der Reihe trat.
Die Feuerwehrleute umzingeln schnell die Arbeitergruppe und führen sie in den hinteren nach der Donau liegenden Teil des Hofs. Vorn bleiben kaum fünfzig Bewaffnete zurück. Die Offiziere scharen sich wieder zusammen und beraten, um die Gefangenen kümmert sich niemand. Jetzt heult die Sirene gleichzeitig an mehreren Stellen den Arbeitern zu, die Waffen zu ergreifen.
— Die Schlacht ist gewonnen — flüstert Pojtek Peter zu.
Eine Weile vergeht, ohne dass etwas geschieht. Alles wartet, alle wissen, dass etwas geschehen muss, aber niemand wagt, das erste Wort auszusprechen. Nur die Sirenen heulen in die Stille.
Vom Dach des gegenüberliegenden einstöckigen Hauses knattert ein Maschinengewehr auf. Die ersten Kugeln prallen an der eisernen Wand ab — die folgenden wühlen den Staub inmitten des Fabrikhofs auf. Auch die Feuerwehrleute haben ein Maschinengewehr. Pojtek und Peter werfen sich platt auf den Boden. Über ihnen tobt das Feuergefecht.
Das Maschinengewehr, das die Fabrik beschießt, steht hinter dem Aufgang des einstöckigen Hauses — der bedienende Soldat ruft von Zeit zu Zeit etwas in die Fabrik hinunter. Pojtek erkennt Goldmanns kreischende Stimme.
— Wer gegen uns kämpft...
Die Roten versuchen die eiserne Mauer auf einer Leiter zu erklettern. Ein Roter Soldat kommt bis zu den eisernen Spießen — das Maschinengewehr der Feuerwehrleute bestreicht ihn: und hinterlässt ein paar rote Punkte auf seiner Brust. Er fällt neben Peter hin, mit dem Gesicht nach oben. Seine Augen bleiben offen. Peter erkennt in ihm den Soldaten mit dem grauen Schnurrbart, mit dem er vor einigen Stunden vor der Kaserne gesprochen hatte.
— Der alte Liptak — sagte Pojtek.
— Wer gegen uns kämpft... — schreit Goldmann. Ringsherum heulen unaufhörlich die Fabriksirenen.
Im vorderen Teil des Hofs befinden sich nur noch dreißig Bewaffnete, die anderen haben sich nach dem hinteren Teil des Hofs zurückgezogen. Die Feuerwehrleute liegen hinter einem großen Holzhaufen. Der Feuerwehrkommandant ist verschwunden. Um sechs Uhr abends wird notgedrungen das Tor geöffnet. Bewaffnete Arbeiterschaft besetzt die Fabrik.
Potyondi brachte Pojtek und Peter mit einem Auto auf das Rathaus. Unterwegs hielten bewaffnete Arbeiter mehrere Male das Auto an. Auf dem Platz vor dem Rathaus hielten Arbeiterfrauen, mit kleinen Kavalleriegewehren über der Schulter, Wache. Mitten auf dem Platz kochten sie auf offenem Feuer in riesigen Kesseln Suppe und Fleisch für die kämpfenden Soldaten.
Das Zimmer des Vollzugsrats war leer, nur Fellner war dageblieben. Wie ein geprügeltes Kind saß er da in einem riesigen Lehnstuhl. Sein Gesicht war blassgrün
vor Angst.
— Ums Himmels Willen — fragte er zitternd — , hat
es Verwundete gegeben?
Peter ging mit dem die Anklage führenden Kommissar ins Rathaus, hinauf in Pojteks Zimmer. Es ist acht Uhr morgens, die Zeit des Arbeitsbeginns.
— Gleich wird Szamuely hier sein — sagte Pojtek.| Lass uns hinuntergehen, wir können dann mit ihm zusammen zu Mautner fahren.
Als Peter und Pojtek zum Eingangstor des Rathauses hinunterkamen, war Szamuelys Auto schon im Anfahren. Vorne ein Maschinengewehr, dahinter in Lederjacke und Ledermütze Szamuely selbst.
— Fahren Sie mit — Genossen! Nach der Fabrik Mautner — sagte er zum Chauffeur. — Na? — wandte er sich zu Pojtek.
— Ja, wenn uns die Sozialdemokraten verraten — wandte sich nach einer Weile Pojtek zu ihm hin — , wenn unsere Verbündeten uns in den Rücken fallen...
Ich habe Angst, es auszusprechen, Genosse Szamuely, aber wenn ich es auch nicht ausspreche, die Tatsache besteht doch: es wühlt einem immer im Kopf herum, dass all die ungeheueren Anstrengungen, das viele Blut, alles, alles vergebens ist... Bei soviel Feinden...
Szamuely sah Pojtek an, und es schien, wie wenn der ganze Mensch aus zwei ernsten, prüfenden Augen bestünde.
— Ja — sagte er leise — , wir haben maßlos viel Feinde. Eines der Resultate unserer Revolution ist, dass wir heute noch mehr Feinde haben als vor einigen Monaten. Heute marschieren auch die französischen Soldaten gegen uns auf, die abgeschickt wurden, um Moskau zu erobern. Denken wir doch nicht nationalistisch, Genossen, es ist ein großes, ein wichtiges Resultat, dass wir den Kampf der russischen Genossen erleichtert haben. Ja — sagte er plötzlich mit einer ganz anderen Stimme, was sagt der Militärkommandant? Weshalb war er während der Kämpfe nicht da?
Pojtek und Peter sahen sich an.
— Den Militärkommandanten haben wir ganz vergessen — sagte Pojtek leise.
— Schön.
Von der Fabrik aus riefen sie in der Kaserne an. Der Militärkommandant — Somogyi — war von der Nachtübung nicht zurückgekehrt. Niemand wusste, wohin er verschwunden war.
Szamuely warf die Telefonmuschel hin.
— Den Schuft lasse ich aufhängen!
Auf den Schultern der Arbeiter Gewehre. In dem offenen Tor ein Maschinengewehr. Auf dem hinteren Teil des Hofs blickt ein Kanonenrohr nach der Donau.
— Na, Genosse, wie konnte das passieren — sagte Szamuely zu einem alten Arbeiter.
— Mit leerem Magen kann man sich schon einmal irren — lautete die Antwort.
— Die russischen Arbeiter haben nicht halb soviel zu essen wie wir und kämpfen doch an hundert Fronten.
— Entschuldigen Sie, Genosse Szamuely, dass ich Sie unterbreche — sagte Pojtek — , die Arbeiter sind versammelt, sie warten auf uns.
Szamuely stieg auf einen Holzhaufen mitten im Hof. Stürmische Hochrufe. Pojtek eröffnete die Versammlung, dann hat Szamuely das Wort. Er spricht heiser und müde. Die Arbeiter hören ihn ruhig, ohne Zwischenrufe, an.
— Das russische Beispiel... die rücksichtslose Diktatur... die Vernichtung des Feindes... Denn es gibt keine andere Macht als die Macht der Arbeitenden, und wer gegen die Macht der Arbeitenden zum Gewehr greift, der wird durch das Gewehr getötet.
Seine Stimme wird während des Sprechens immer klarer, immer schärfer. Sein vorwärts geschleuderter Arm wirft einen langen Schatten auf die weiße Mauer.
»¦
Pojtek lebt mit Frau und zwei Kindern in einem kleinen Zimmer genau so wie während des Krieges.
— Warum verschaffst du dir keine anständige Wohnung? — bedrängt ihn die Frau. — Die anderen...
— Das eilt nicht — antwortete Pojtek energisch.
In einer Tonschüssel steht Kürbisgemüse auf dem Tisch.
— Nimm, Genosse — sagt Pojtek zu Peter gewandt. — Jeder bekommt ein Stück Brot, die Kinder ein großes Stück, die Großen ein kleineres.
— Die Füße der Kinder hängen aus den Schuhen heraus. Lajcsis Hosen sind am Hintern so oft geflickt, dass kein Fleckchen mehr Platz hat. Wo ich's nähe, reißt's daneben aus.
— Es ist Sommer, wir erfrieren nicht.
— Sagen Sie, Genosse Kovacs, ist es nicht ein Verbrechen, die Kinder hungern zu lassen? Alles gehört uns und die Kin...
— Unsinn, wer hungert denn? In sechs Wochen ist dein Geburtstag, dann essen wir Fleisch.
Die Frau lächelt. Ihr strenges hungriges Gesicht wird freundlich. Für einen Augenblick sah sie der kleinen Schneiderin ähnlich, die Pojtek vor sieben Jahren auf der Mückeninsel kennen gelernt hat, und sie sah auch jener Frau ähnlich, die im Januar dem Redner, der bremsen wollte, Schneeballen ins Gesicht geworfen hatte. Aber ihr Lächeln wird bald wieder bitter, und nach einer Weile sagt sie fast weinend:
— Wer wird diese sechs Wochen erleben?
— Im Krieg wurde auf uns geschossen, und doch sind wir am Leben. Es ist ebenso möglich, dass ich von morgen an — trotzdem ich Metallarbeiter bin — Bauer werde — , sagte Peter und gab dem Gespräch plötzlich eine andere Wendung.
— Bauer, sagte weinerlich der kleine Lajcsi.
— Dann können Sie wenigstens dafür sorgen, dass wir auch manchmal einen menschenwürdigen Bissen bekommen — sagte leise Frau Pojtek.
— Genug! Weib! Ich höre nur klagen, wenn ich zu Hause bin.
Pojtek schlug mit der Faust auf den Tisch. Klappernd tanzten die Teller.
Auf dem Karolyischen Gut in Kaposztasmegyer begann die Ernte. Peter lebt, arbeitet dort unter den Landarbeitern. Stellt sich in die Reihe der Erntearbeiter ein.
— Der Volkskommissar steigt einer jungen Frau nach — flüstern sich die Bauern zu. — Es dauert bestimmt keine Stunde mehr, und er wirft die Sense fort.
Peter arbeitet mit den anderen, bis es dunkel wird, geht aber auch dann noch nicht nach Hause, er bleibt draußen auf dem Feld. Am Lagerfeuer unterhalten sich die Alten.
— Der ist nicht aus Budapest — sagt wohlwollend ein alter Knecht mit Bezug auf Peter.
— Na — na, warte nur, wie es enden wird! Gewiss will er Abgeordneter werden, oder er hat noch schlimmere Gedanken im Kopf.
— Das ist schon möglich.
An dem Feuer, wo Peter sitzt, wird über Angelegenheiten des Landes, des Volkes diskutiert.
— Was hat uns denn Bela Kun aus Russland mitgebracht?
— Hat er uns nicht das Land gegeben?
— Das Land gehörte bisher dem Grafen, jetzt gehört es uns: uns allen.
— Es gehört uns! Nicht mir! Es gehört uns allen! Es ist Gemeingut!
— Mir gehört es nicht, das weiß ich.
— Ich sage ja nicht, dass es dir gehört, Gevatter. Es gehört nicht mir, nicht euch, nicht einem Dritten: es gehört uns allen.
— Tja, mir gehört es nicht.
— Ist es denn nicht besser so? Wir arbeiten gemeinsam und essen gemeinsam, was wächst.
— Hm. Jeden Tag werden einige Wagen Lebensmittel in die Stadt gebracht, das Vieh wird davon getrieben, Eier, Milch, alles geht hin, und nichts wird von dort für uns hergebracht. Gemeingut. Es gehört allen. Gemeingut.
— Die Sense hat der städtische Arbeiter gemacht. Auch die Maschine, mit der wir dreschen, und die Stiefel...
— Weder die Sense noch die Maschine gehören mir. Und Stiefel... siehst du nicht, dass ich barfuss laufe?
Peter erzählt, belehrt, auch vom benachbarten Lager sammeln sich die Menschen, aber jetzt ist alles stumm. Peter spricht, aber niemand fragt etwas, niemand antwortet auf seine Fragen. Die Nacht ist warm, das Feuer lodert, aber Peter friert. Um die Leute zum Sprechen zu bringen, mischt er fremde Worte in das Gespräch, schon fragt einer, was das eigentlich heißt: kollektive Arbeit?
— Worüber sinnt ihr nach, Gevatter? — wendet er sich zum rauchenden Alten, der vorher missachtend über „Gemeingut" gesprochen hatte.
— Ich betrachte den Himmelswagen — und er zeigt mit dem Pfeifenstiel nach dem Himmel. — Ein großer Wagen, den sieht jeder. Ich glaube, der bringt dem armen Häusler das Land. Vielleicht gelangt er einmal hierher, oder auch nicht.
— Der Herr Verwalter wohnt auch jetzt im Schloss.
— Er wohnt jetzt auch dort, aber er heißt nicht mehr Herr Verwalter, sondern Genosse Produktionskommissar — sagte der Alte. — Denn Gott verlässt die Herren nicht. Ihnen steht die Welt auch dann offen, wenn alles uns gehört.
Am nächsten Tag ging Peter nach Neupest. Er legte den Weg zu Fuß zurück. Er brachte es nicht über sich, den Wagen zu benutzen, den der Verwalter für sich beanspruchte. Er hatte eine zweistündige Unterredung mit Pojtek. Sie gingen ins Sowjethaus, von dort in das Parteisekretariat. An beiden Stellen hörte man 6ie an, aber nirgends konnten sie was ausrichten.
— Die Genossen glauben, wir hören zum ersten Mal, dass die Bauern unzufrieden sind? Wir wissen wohl, dass die Bauern Land haben wollen, aber es hilft nichts, wir können es ihnen nicht ausliefern. Wir können die Stadt nicht verhungern lassen. Und übrigens... die Genossen sind doch Marxisten — nicht wahr? Na also — wir sind für den Sozialismus und nicht für das Privateigentum — , das müsst ihr als Kommunisten verstehen. Nein, wir geben keinen Boden, was immer auch der Bauer sagt! Sozialismus...
— Und in Russland...
— Wir können nicht einfach das russische System übertragen. Bei uns liegen die Verhältnisse ganz anders. Da ist die Millionenstadt und das winzige Land dazu ...
Am nächsten Tage war Peter schon auf dem Wege nach der Front. Am Abend des dritten Tages sah er zum ersten Mal das Lagerfeuer der Rumänen am anderen Ufer der Theiß. Er ging allein durch das Weidengebüsch am Ufer des Flusses. Die Theiß klagt leise — von den Maramaroser Karpathen trägt sie das Jammern und Fluchen der russinischen Bauern nach Süden zu, dorthin, wo auf Befehl der serbischen Offiziersjunker die Peitschenhiebe auf den Nacken der Bauern niedersausen. Am Himmel funkeln Millionen Sterne.
— Parole — rief ihm der Wachtposten zu.
— Moskau.
— Keine Angst, Kumpel! — erwiderte der Soldat. Vom anderen Ufer fielen Schüsse.
— Den Rumänen da drüben juckts — sagte der Wachtposten. — Warte nur, wir werden euch schon helfen, dass ihr schwarz werdet.
Feuer anmachen ist verboten. Die Rumänen sparen nicht mit Kanonenkugeln. Die Soldaten unterhalten sich im Dunkel, nur die glimmenden Zigaretten beleuchten ein unrasiertes Gesicht.
— Was hat uns die Revolution gebracht? Vor der Revolution hatte ich es besser.
— Du hast ein schwaches Gedächtnis, Bruder! Hast du schon vergessen, wo uns damals der Schuh drückte!
— Wenn du gar so schlau bist, sag uns doch, inwiefern es uns jetzt besser geht als vorher?
— Unter der Regierung Karolyi hatten wir besser zu essen und mussten nicht in den Krieg. Eine anständige Wohnung für unsere Familie bekommen wir jetzt auch nicht. Und dann der Krieg... Was wir erobert haben, wurde zurückgegeben. Wir werden nur an der Strippe herumgezerrt und das Ende von allem ist, dass es immer schlimmer wird. Krieg gegen die ganze Welt... wie soll das enden?
Peter wurde es schwer, etwas zu sagen. Er hätte lieber mit der Faust als mit dem Mund geantwortet. Während er noch an einer Antwort herumkaute, führte schon der lange blonde rotwangige Zugkommandant das Wort.
— Also, wenn du's wissen willst, spitze deine Ohren scharf, ich will dir sagen, wie es enden soll. Aber, bevor ich noch beginne — sei mir nicht böse, Bruder — , ich sag's gerade heraus, was ich denke, nämlich: dass du ein großer Esel bist, Genosse. Wer kann denn das Ende sehen, wenn er noch am allerersten Anfang steht? Du fragst, was dir die Revolution gebracht hat? Was zum Teufel willst du in vier Monaten erreichen? Die Revolution gab dir die Fabrik; das genügt dir nicht, du möchtest, dass die Fabrik jetzt allein arbeitet und zehnmal soviel einbringt als vorher durch die Arbeit der Menschen. Wenn du Wunder haben willst, lieber Bruder, dann gehe zu den Pfaffen, die erzählen dir Wunder, dass dir die Luft wegbleibt. Von der Revolution aber erwarte keine Wunder, sondern sozialistischen Aufbau.
— Wo steckt denn dieser wunderbare Sozialismus, vielleicht im Himmel?
— Wo? Ich hab' ihn hier in der Tasche, ich werd' ihn gleich herausfischen. Hatte ich nicht recht, als ich vorher sagte, dass du ein Esel bist, Bruder? Im Mutterleib hast du neun Monate auf ein bisschen Milch gewartet, und jetzt willst du in vier Monaten den Sozialismus haben. Damals hat man dir noch nicht die Ohren voll gestopft, die Entente so und so, die Entente schickt Lebensmittel, die Entente schickt Kleidung, die Entente schickt eine Turmuhr mit goldener Kette — erst aber gib das Gewehr aus der Hand. Spuck' dir in die Faust und der Sozialismus ist schon da. Wenn du dein Maul aufmachst und darauf wartest, dass dir die gebratene Gans in den Mund fliegt, dann wartest du vergebens. Es kann aber auch passieren, dass dir jemand so zart über den Mund fährt, dass du gleich zwei Zähne herausspuckst.
— Weshalb haben wir den Tschechen die eroberten Gebiete wieder zurückgegeben?
— Frage deine alten, teueren Genossen, weshalb sie den Rückzug erzwungen haben? Deine lieben Genossen — dass sie der Herrgott segne, wie ich es ihnen
wünsche — , das sind die Richtigen, jammern immerfort, wir brauchen keinen Terror, wir brauchen keinen Krieg, sie fassen uns an den Händen, verbinden uns die Augen, und wenn es ihnen dann gelingt, uns das Gewehr aus der Hand zu schlagen, dann kommen sie gleich angerannt: Na, Genossen, warum schießt ihr nicht, warum kämpft ihr nicht? diese Schweinehunde.
Von Budapest brachte die Eisenbahn immer neue und neue Truppen. Die Front wurde immer dichter, man spürte es der Luft an, dass etwas geschehen musste.

„Lieber Bruder und Genosse Pojtek!
Ich habe Deinen Brief erhalten und er war eine große Freude für mich, besonders freuten mich die verschiedenen Nachrichten. Lasst nicht locker, Bruder! Schlagt die Schufte, wo ihr sie trefft. Hol' der Teufel das Gesindel, dies ist die Abrechnung. Wenn Du schreibst, dass Szamuely sagte, man muss den Schwätzern auf den Kopf hauen, ist das sehr richtig, wir wissen auch, dass, wenn Szamuely was verspricht, er es auch ausführt, der spricht nicht in die Luft hinein, das weiß jeder Kommunist. Wenn ich daran denke, welches Unheil diese Hunde verursachten, dass sie solange jammerten und solange die Gegenrevolutionäre mästeten, bis die Unseren gezwungen waren, den Krieg gegen die Tschechen einzustellen und die siegreichen roten Truppen zurückzuziehen — dann sage ich, lieber Genosse, ist der Galgen zu wenig für diese Bande. Denn wie Du weißt, wie wir alle wissen und tagtäglich hier beobachten können, lässt es sich nicht mehr leugnen, dass die Räumung der Slowakei die Rote Armee schwer getroffen hat und sie ist nicht mehr die Rote Armee, die die tschechischen Truppen triumphierend vertrieben hat, dass sie auseinander liefen wie die Hasen, — heute ist die Rote Armee viel weniger wert. Die Offiziere waren reichlich frech geworden, seitdem Böhm abgehauen ist, sind sie wieder etwas stiller, man sagt, der dicke Landler klopft ihnen ordentlich auf die Finger. Wenn wir jetzt die Rumänen schlagen, wird gewiss alles wieder in Ordnung kommen, haltet Ihr Euch feste dran, teuere Genossen, dass wir hier nicht vergebens bluten, dass wir nicht vergebens kämpfen! Drüben am andern Ufer der Theiß sind nicht nur Rumänen, sondern eine Menge gewesener ungarischer Offiziere. Die führen die Rumänen. Sagt den Frauen zu Hause, dass sie nicht solche Jammerbriefe schreiben, denn wenn sie den Männern hier die Köpfe vollweinen, können wir unmöglich kämpfen, und die Rumänen werden uns schlagen und dann kommt wieder die alte Welt zurück, und dann werden wir wieder nicht für unsere, sondern für die Interessen der Bourgeoisie leiden müssen. Ich habe jetzt wieder die Hoffnung, dass wir die Rumänen schlagen werden, denn es gibt hier an der Front viele gute Bolschewiken, und auch die Bauernjungen kämpfen gern, um das Land den Rumänen zu entreißen. Ich grüße all die guten Genossen und haltet Euch feste dran! Ich grüße auch Deine Frau und die Kinder.
Mit Bolschewiki-Gruß
Dein brüderlicher Genosse
Peter Kovacs.
NB.: Goldmann ist auch hier, er lässt auch alle guten Genossen grüßen, und dass Ihr alle feste dran geht."

Der Generalstabschef schüttelte seinem Gast kräftig die Hand: — Also auf Wiedersehen, Paul! Der konnte sich gar nicht trennen. — Ich glaube — fing er wieder an — ich glaube,... es wäre doch gut, wenn wir gleichzeitig auch in Budapest etwas machten. Wenn die Truppen erfahren, dass in Budapest ein Aufstand...
— Ich sagte schon — unterbrach Tombor seinen Besucher — ich sagte schon, alles ist in Ordnung und ich trage die volle Verantwortung. Wir haben keine Unterstützung nötig von Budapest. Am Ende würdet ihr meine Arbeit zerstören. Ich verstehe nicht, wozu es nötig sein sollte, einen Aufstand zu organisieren, wenn ich, wenn wir hier alles vorbereitet haben. Was soll das heißen? Soll das ein Misstrauen gegen mich sein?
Er sprach flüsternd, aber er war so erregt, dass er unwillkürlich einzelne Worte laut hervorstieß.
— Aber... um Gottes Willen — beruhigte ihn sein Besucher. — Wie kannst du auch nur für einen Augenblick an so etwas denken. Alle haben das vollste Vertrauen zu dir. Alle wissen, welche gefährliche, wichtige und erfolgreiche Arbeit du hier leistest. Wenn die Herren trotzdem etwas beunruhigt sind, so ist das allein auf den neuernannten Oberkommandanten zurückzuführen. Man sagt, dieser Landler sei...
— Aber wieso denn! Ich sagte schon: Wenn ihr mich in meiner Arbeit nicht stört, kann ich für alles garantieren. Die Rumänen wissen, wo wir angreifen — sie werden sich an dieser Stelle verteidigen. Wir wissen auch, wo sie ihren Gegenangriff machen, und dort bleibt die Front offen. Was wollt ihr noch? Die Karten sind so gemischt, dass hundert Landlers nichts mehr daran ändern können. Also, lieber Freund, es bleibt für die Herren von Budapest, wenn's ihnen noch so unangenehm ist, nichts anderes übrig, als die Ereignisse hier abzuwarten. Auf Wiedersehen, Paul!

Telegramm. Budapest, 13. Juli 1919. 9 Uhr.
Herrn Clemenceau, Präsident der Friedenskonferenz,
Paris.
Da die Rumänen gegen den Willen der Entente zum Angriff übergegangen sind, waren wir gezwungen, die Theiß zu überschreiten, um so dem Willen der Entente den Rumänen gegenüber Geltung zu verschaffen.
Kun Bela.

Alle wissen es: Morgen früh —
Die Lagerfeuer mussten gelöscht werden, weil die Rumänen von Zeit zu Zeit drüben am Ufer zwischen den Weiden aus Maschinengewehren herüberpfiffen.
Doch die Soldaten hatten keine Lust zu schlafen.
— Erzähle was, Alter, erzähle doch — drängte Goldmann Antalfy immerfort. Antalfy ließ sich bitten, und erst als er das viele Bitten gründlich genossen hatte, begann er zu sprechen. Dann aber quollen die Worte nur so aus seinem Mund.
— Zum Teufel, was soll ich wieder erzählen, dass| man keine Ruhe vor euch hat.
— Erzähle was du willst, erzähle nur.
— Über Russland! — fuhr Peter dazwischen.
— Über Russland?
— Ja.
— Also über Russland. Gleich, wartet nur — Sibirien — nein, Oktober — das kennt ihr auch schon — jetzt hab' ich's, das ist das Richtige. Ja. Also, wer kennt von euch, ihr tapferen Helden, wer kann mir sagen, wer die Esser sind?
— Die Esser?
— Weiß der Teufel.
— Du wirst es uns schon erzählen.
— Ich sehe, dass ich euch das auch erklären muss.
Also, die Esser sind dasselbe auf russisch, was die Sozialdemokraten auf ungarisch sind: Anfangs gehen sie mit den Bolschewiki zusammen, aber nicht darum, weil sie so sehr für die Revolution wären, sondern weil diese Schufte glauben, dass sie uns auf diese Weise am ehesten ins Verderben stürzen. Ich sage, sie sind dasselbe wie unsere Sozialdemokraten, sie sind nur keine solchen Jammerlappen, die Esser machen nicht gleich in die Hosen, wenn sie einen Kindersäbel sehen. Also, das sind die Esser. Das wisst ihr jetzt. Aber damit wisst ihr noch nicht alles. Ihr müsst auch noch wissen, was der Kreml ist. Na, keiner von euch weiß, was der Kreml ist? Also der Kreml in Moskau ist so was, wie die Burg in Ofen, nur dass sie sich nicht ähnlich sehen, der Kreml ist viel größer und auch älter, und schöner, denn bei Häusern ist es nicht so wie bei den Frauen, oft sind die älteren die begehrenswertesten, obzwar — na, aber jetzt ist nicht davon die Rede. Mit einem Wort: so sieht der Kreml aus, da wohnten auch wir, die ungarische Bolschewiki-Kompagnie. Dort sah ich auch zum ersten Mal Lenin — ob ihr's glaubt oder nicht, er wohnte auf demselben Flur wie wir. Und als — aber ich will jetzt nicht davon reden. Mit einem Wort, wir wohnten im Kreml, und an dem Tag, von dem ich erzähle, planten wir ein großes Gulaschessen, wir hatten auch Fleisch, und auch Paprika hatten wir irgendwie herbeigefischt. Die gerösteten Zwiebeln rochen so schön, dass der Zar gern davon gekostet hätte. Ich sagte, die Zwiebeln waren gerade im besten Rösten — ich bin fertig mit dem Kartoffelschälen" meldete Joscha Veres — , da kommt plötzlich Szamuely gerannt und fängt an zu brüllen, dass es nur so wackelte: los, Jungs, los! Ich kann doch nicht die Zwiebeln anbrennen lassen — sagte ich zu ihm — , da aber sich alle auf die Beine machten, schlüpfte ich schnell in mein Hemd, nahm das Gewehr und rannte den anderen nach. Die waren schon über die Brücke und ich konnte schreien wie ich wollte, damit ich sie einholen könnte, sie blieben nicht stehen. Wir rasten, dass mir die Zunge heraushing. Das ist kein Geschäft für einen vernünftigen Menschen — denke ich mir — , das ist 'ne Sache für Rennpferde, aber ich renne nur immer weiter. Dann hörte ich Szamuelys wildes Fluchen, und auch die anderen zerrten tüchtig am Bart des Allmächtigen. Na — sag ich — , da ist was passiert, wenn ich die andern erreiche, werde ich schon erfahren, was denn zum Teufel los ist. Aber bevor ich sie noch erreicht hatte, brüllte Kun: Nieder, Jungs, nieder! Kaum, dass ich mich auf den Bauch warf, da pfiffen schon die Kugeln über meinem Kopf: mit einem Maschinengewehr schossen die Hunde aus einem großen Eckhaus auf uns. Auch wir eröffnen das Feuer. Wir fluchen wie wahnsinnig — dann kommandieren zwanzig zugleich: Sturm, Sturm, Herrgotthimmelsakrament! Das Tor stürzt ein, hinauf über die Treppe. Feuer! Feuer! Ich stolpere. Ich falle über Jocka Veres, armer Kerl — mit zerschossenem Kopf rollte er vor meine Füße hin. Na, wartet, ihr Kerle! Mit dem Gewehrkolben schlag ich dem Hund auf den Kopf. Noch einmal drauf! Im Nachbarzimmer explodiert eine Handgranate — zum Teufel noch mal — ein Verwundeter beißt mir ins Bein, ich trete ihm in die Visage. Feuer einstellen! So haben sich die Schweine ergeben. So haben wir das Telegraphenamt von den Essers zurückerobert; sie benahmen sich wie unsere Sozialdemokraten: beteuerten solange, dass wir keine aufrichtigeren Freunde hätten als sie, bis sie, die Schweine, dachten, wir schlafen — und das Messer gegen uns erhoben. Aber ich sage euch, wir setzten ihnen das Messer an die Kehle, das sie auf unseren Rücken richteten. Denn die Esser sind hinterlistig — daran kann man sie am besten erkennen; den Bolschewiken aber könnt ihr daran erkennen, dass er nicht auf den Kopf gefallen ist und immer dorthin schlägt, wo es juckt. Mmm...
Antalfy war mit seiner Erzählung zu Ende und gähnte am Schluss mit weitgeöffnetem Mund.
— Warst du denn Koch in Russland — fragte Goldmann.
— Ob ich Koch war? Dreck! Ich war alles, was man brauchte. Schuster, Schneider, Koch, Lehrer, Arzt, Pfarrer, Soldat. Ich war Bolschewik.
— Was war dein Handwerk vor dem Krieg?
— Wie oft wollt ihr das noch fragen? Ich war Schauspielkünstler.
— Hast Komödie gespielt?
— Ja. Ich zog einen solchen Wasserkopf über wie deinen und stellte so blödsinnige Fragen wie du — die Leute lachten über mich und bezahlten in bar.
— Es ist Zeit zum Schlafengehen, Jungens. Morgen ist auch ein Tag.
— So heißt es.
Die roten Truppen haben die Theiß überschritten. Die Rumänen gaben ihre Stellungen drüben am Ufer nicht umsonst her, aber sie waren nur solange große Helden, bis die Unseren am anderen Ufer festen Fuß gefasst hatten. Dann aber waren sie flott auf den Beinen. Und die Unseren ihnen nach.
Zwei Tage und zwei Nächte ging alles wie geschmiert. Am dritten Tage merkten wir, dass die Rumänen uns in den Rücken fielen. Wir wurden nicht geschlagen, doch wir mussten zurück. Und das war viel schwerer als vorrücken: die Rumänen beschossen die Straßen mit Kanonen, die Franzosen aus Szegedin streuten von Flugzeugen Bomben herunter.
— Diese Bomben waren für die russischen Bolschewisten bestimmt, da wir aber zu lebendig wurden, streuten sie sie schon über uns aus. Hol' der Teufel den, der dies Ungeheuer erfunden hat. Ja, Jungs, lasst den Kopf nicht hängen. Das wird auch noch anders werden, wir werden auch noch einmal vorrücken — dass sie die Hölle verschlinge! — , spornt Antalfy die stark verkleinerte Kompanie an.
Die Kanonen der Rumänen arbeiten noch immerfort, die Unseren aber antworten gar nicht auf das heisere Bellen. Die Kanonen waren noch in Stellung, aber die roten Kanoniere hatten ihre Geschütze schon im Stich gelassen.
Jetzt fällt das Maschinengewehr von Goldmanns Schulter herab. Er ist angeschossen worden und kann sich nur schwer aufrichten.
— Die Hunde haben mich angeschossen.
Peter hält ihn fest, damit er nicht umfällt, er macht sich am Maschinengewehr zu schaffen.
— Hierher, Jungs, hierher! Nehmen wir's hoch, das Maschinengewehr darf nicht den Rumänen in die| Hände fallen.
Er schreit, niemand kümmert sich darum. Die Rumänen verstärken den Kugelregen — beeilt euch, Jungs, schießt — wer nicht die Beine hebt, lässt seinen Kopf| hier. Lauft! Lauft!
Die Flüchtenden weichen dem Maschinengewehr aus, eine Menge anderer Gewehre liegt auf der Straße verstreut. Das Gewehr hindert jetzt nur, hindert beim Laufen.
— Himmelsakrament, ist das der Sozialismus?
— Ich erschlage den Schuft, der mich hierher geführt hat, hierher, auf diese Schlachtbank, wie einen tollen Hund.
— Von Budapest aus können sie leicht Befehle erteilen.
Von links kommt rumänische Kavallerie. Keiner hält sie auf. Oben kreist ein französisches Flugzeug.
Ta ta ta ta-ta-ta-ta-ta-ta.
Das Maschinengewehr von oben macht gründliche Arbeit.
An der Szolnoker Brücke stoßen die flüchtenden Roten aufeinander. Ein Pferd wird toll, bäumt sich auf, reißt ein Stück vom Geländer mit — schleudert den Wagen in die Theiß, — eine Anzahl Soldaten fallen mit ins Wasser.
— Hilfe! Hilfe!
Vom anderen Ufer will ein Auto über die Brücke. Es bleibt stecken. Einer springt aus dem Wagen und bahnt sich zu Fuß den Weg über die Brücke. Der andere Mitfahrende, in schwarzer Lederjacke, bleibt im Auto sitzen, er fuchtelt mit einer Handgranate herum, brüllt dem Chauffeur ins Ohr, aber das Dröhnen, Knattern, das Wehgeschrei, das Röcheln verschlingen seine Stimme.
Der Mann, der aus dem Wagen stieg, hat sich fast bis zum rumänischen Ufer durchgeschlagen, er steht am Brückenende, wo vorher der Trainwagen ins Wasser sauste. Ein staubiger, dreckiger, zerknitterter roter Soldat. Stumm sieht er der tollen Flucht zu.
Peter windet sich neben ihm her — sieht ihn an, erkennt ihn. Nein, doch nicht — überlegt er — aber doch — nein...
Immer mehr und mehr Leute starren den regungslosen roten Soldaten an, fast wird er ins Wasser geschoben, so viele drängen sich um ihn her.
— Na, ihr Helden —
— Genosse Kun! Béla Kun!
— Na, ihr Helden — wo habt ihr euere Gewehre gelassen? fragt Kun mit müder, heiserer Stimme.
— Ta-ta-ta-ta-ta-ta-ta.
— Von den Rumänen her fällt ein Schrapnell in das Auto. Die Handgranate in der Hand des Mannes im Lederrock explodiert.
— Ta-ta-ta-ta-ta-ta.
Auf der Szolnoker Seite brennt ein mit Schindeln gedecktes Haus in hellen Flammen.

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