Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik
|
http://nemesis.marxists.org
|
||||||||||||
Wir arbeiteten, so gut es ging. Beim ersten Alarmzeichen verschwand alles, was wichtig und geheim war, unter der Bluse der Maschinenschreiberin, die man nicht gut durchsuchen konnte. Das Zimmer war voll von Verstecken. Serrati, der Sekretär der Angestelltengewerkschaft, saß in einer Ecke über der Schreibmaschine und stellte Material für den „SindacatoRosso" her, unser Gewerkschaftsblatt, das als erstes verboten wurde. Roveda, der Sekretär des Holzarbeiterverbandes, arbeitete, wie immer, unverdrossen. (Heute schreibt er aus dem Zuchthaus lebensprühende Briefe und macht den anderen Mut.) Die Maschinenschreiberin hämmerte den ganzen Tag auf ihrer Underwood. Aus Sparsamkeitsgründen aßen wir zu Mittag eine Kleinigkeit im Büro. Sie bereitete uns den Tee auf russische Art ... Trotz allem waren wir guter Laune, auch in den letzten Tagen des Monats. Gelegentliche Sistierungen, Haussuchungen und Misshandlungen konnten uns nicht mehr aus der Fassung bringen. Terracini, ewig in Bewegung, richtete, wo er ging und stand, sein „fliegendes Büro" ein und begann zu schreiben. Trotz seines zierlichen und schmächtigen Aussehens war er ein unermüdlicher Arbeiter. Seine vielseitige Tätigkeit trug ihm rücksichtslose Verfolgung und den ersten Platz unter den vom Sondergericht in dem Prozess gegen die Kommunistische Partei Verurteilten ein. Die Polizei ließ ihn keinen Augenblick in Ruhe, aber er verstand es, nötigenfalls spurlos zu verschwinden. Als Journalist, Redner und Organisator hat er unermüdlich für die Partei gearbeitet. In der Anklageschrift des Staatsanwalts beim Sondergericht heißt es über ihn: „Seine Tätigkeit beweist, dass er zu den bewährtesten Führern der Kommunistischen Partei gehört." Die Polizei suchte nach „Zellen", auch im Gewerkschaftskomitee. Die Polizisten waren verzweifelt. Die Parole in den Polizeipräsidien des Königreichs Italien lautete damals: „Jagd nach kommunistischen Zellen!" Sie waren wie besessen! Der Polizeipräsident von Mailand hatte alle seine Agenten zum Rapport versammelt und die Losung ausgegeben: „Die kommunistischen Zellen müssen ausfindig gemacht werden." Würdig und gemessen hatte er versucht, seinen Untergebenen klarzumachen, was eigentlich eine Zelle sei, aber in Wirklichkeit wussten die armen Kerle nach der donnernden Rede ihres Chefs, die mit den üblichen Hochrufen auf den Duce endete, noch weniger als vorher. Das Schlimme war, dass der Polizeipräsident selber nicht viel von der Sache verstand. Man kann sich also vorstellen, wie die armen Polizisten sich abgequält haben. Es waren arme Teufel, die Mussolini zur Verteidigung des Regimes gedungen hatte. Arbeitslose, Deklassierte, zum größten Teil Südländer, die aus irgendeinem Dorf im glühendheißen Kalabrien oder Apulien nach Mailand verschlagen worden waren. Sie fühlten sich in der Großstadt verloren, wichen ängstlich den Autos aus, starrten geblendet in die Lichterpracht der Schaufenster, wollten für ihr Leben gern gratis ins Theater oder ins Kino gehen und sich die mehr oder weniger entblößten Busen der Damen ein bisschen aus der Nähe ansehen. Kurz, sie wollten leben, um dann nach der Heimkehr vor ihren Landsleuten mit ihren Erlebnissen zu prahlen. Diese Bauernjungen waren die Stützen des Regimes, und im Kopf gingen ihnen die „Zellen" und die hochtönenden Reden ihres Chefs De Sanctis, des Polizeipräsidenten von Mailand, herum. Was sie für Fehler machten! Ständig gab es Haussuchungen, Sistierungen, Bespitzelungen, Verhöre, stunden und tagelang mussten sie herumstehen, um den Zellen auf die Spur zu kommen. Jeder verhaftete Genosse musste lange Verhöre über sich ergehen lassen. Die Polizei wurde nicht klug aus der Sache. Einen von vielen Vorfällen dieser Art will ich hier erzählen. Eines Tages arbeitete ich in aller Ruhe mit dem Genossen Terracini zusammen, als eine Bande von Polizisten „streng gesetzmäßig" in das Büro eindrang. Die Maschinenschreiberin bekam einen Schreck, und Lupo begann wütend zu bellen. „Hände hoch!" Dann zeigte man uns einen Haussuchungsbefehl und durchsuchte uns. Papiere, Bücher, Zeitungen — alles wurde durcheinander gebracht. Überall steckten die Polizisten ihre Nase hinein und brachten alles dem Maresciallo, der — ich habe nie begreifen können, nach welchen Gesichtspunkten — die zu beschlagnahmenden Papiere prüfte und auswählte. Terracini arbeitete seelenruhig weiter, und die Maschinenschreiberin bemühte sich, die durchgesehenen Papiere wieder einzuordnen. Ich und der Hund, der noch immer knurrte, warteten ab. Plötzlich entdeckte einer der Polizisten hinten in einem Schrank zwei Koffer aus gelbem Kunstleder. Die Haussuchung war zu Ende. Die Polizisten triumphierten. „Kommen Sie mit!" befahl der Maresciallo mir und Terracini. Von der ganzen Schar umringt, brachen wir mit den Koffern auf. Die Polizisten strahlten. Der Maresciallo wandte sich an den Genossen Terracini: „Herr Rechtsanwalt, diesmal haben Sie die Partie verloren. Wir haben sie entdeckt ..." Terracini putzte ruhig seine Brille und erwiderte: „Was haben Sie entdeckt?" Der Maresciallo wies auf die beiden Koffer. „Ich weiß, ich weiß", fuhr er fort und strich sich den Bart, „Sie stellen sich dumm, aber in San Fedele werden wir ja sehen ..." „Ich bin auch neugierig, was in diesen Koffern ist", sagte Terracini zu mir. Ich gab keine Antwort, da ich mir das Lachen verbeißen musste. „Ich sage Ihnen, Herr Rechtsanwalt", erklärte der Maresciallo siegesgewiss, „in den Koffern sind die Zellen!" Dann hüllte er sich in finsteres Schweigen. Ich weiß noch, was für einen Blick der Genosse Terracini mir zuwarf und was für ein wütendes Gesicht der Polizeipräsident machte, als er den Inhalt der Koffer erblickte. Wenige Stunden später kehrten wir in unser Büro zurück. Die Genossen Picelli und Borin, beide Abgeordnete, der erste ein Arbeiter aus Parma, der zweite ein Hafenarbeiter aus Venedig, suchten ihre Koffer, in denen sie bei ihren häufigen Propagandareisen ihre Socken, Taschentücher und Hemden unterzubringen pflegten. Die Koffer wurden später zurückgebracht. Den Maresciallo, der die beiden Koffer mit „Zellen" beschlagnahmt hatte, habe ich nicht wiedergesehen. Die Zensur und die ständige Überwachung erschwerten unsere Arbeit und machten es den Genossen fast unmöglich, uns im Büro aufzusuchen, ohne festgenommen, durchsucht und sehr häufig von den Polizisten oder auf dem Präsidium misshandelt zu werden. Die Polizei wusste, dass wir illegale Zeitungen herausgaben, in denen alles stand, was die„Unitä" nicht drucken konnte. Sie suchte nach den Zellen und den illegalen Druckereien und nahm alle Leute fest, die sie in der Nähe unserer Büros mit Paketen oder Bündeln zu Gesicht bekam. Sie nahm willkürliche Verhaftungen vor und belästigte die Arbeiter in den Betrieben. Einmal fand man bei einem festgenommenen Arbeiter einen Zettel folgenden Inhalts: „Sei morgen früh pünktlich um zehn an der üblichen Stelle. Dort wird ein Genosse dich erwarten. Als Erkennungszeichen halte die ,Sportzeitung' zusammengefaltet in der Hand." Die „Sportzeitung" war auf hellrotem Papier gedruckt. An diesem Sonntag wurden alle, die man mit dieser Zeitung auf der Straße traf (sie wird in Mailand sehr viel gelesen), aufs Polizeipräsidium gebracht. Es waren Hunderte. Die Versammlung aber fand ohne Störung statt. Als wir die Kampagne für die Entsendung einer Arbeiterdelegation nach der Sowjetunion eröffneten, wurde ich festgenommen und aufs Polizeipräsidium gebracht. (Das kam häufig vor, und manchmal behielten sie mich auch da, Oft geschah es zweimal in einer Woche.) „Sie gehen nach Russland, nicht wahr?" fragte mich der Polizeipräsident. „Sie sollen die Arbeiterdelegation begleiten?" „Ich weiß nichts von der Delegation", antwortete ich. „Erzählen Sie keine Märchen! Übrigens bin ich überzeugt, dass die Regierung die Ausreise nicht verbieten wird", fügte er hinzu. „Meinen Sie?" fragte ich. „Selbstverständlich, denn wenn auch parteilose Arbeiter und Reformisten dabei sind, werden sie nach ihrer Rückkehr schöne Geschichten über Russland erzählen." „Ja", sagte ich, „das kann ich mir denken." „Sagen Sie also dem Komitee, sie sollen Pässe beantragen und nicht, wie üblich, eine Festnahme an der Grenze riskieren", fuhr er fort. „Was Sie wissen, weiß ich auch. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Es besteht doch ein Komitee ..." Vor ihm auf dem Tisch lagen die „Unita" und einige illegale Zeitungen. Er erreichte nichts. Die Folge war, dass meine Überwachung verschärft wurde. Wenn ich mir einen Wagen nahm, nahmen meine Verfolger auch einen. Als ich einmal das einzige Auto an einer Haltestelle nahm, stieg ein Polizist mit ein und setzte sich neben den Chauffeur. Ich musste verzichten. Wie oft ich während meiner zweijährigen Arbeit das möblierte Zimmer gewechselt habe, ist kaum zu sagen. An vielen Stellen habe ich nur einen Monat gewohnt. Einmal, als ich ein möbliertes Zimmer entdeckt hatte, ging ich am Morgen hin und mietete es. Am Abend erschien ich mit meinem Koffer. Die Wirtin machte einen verstörten Eindruck. „Hören Sie", sagte sie zu mir, „Sie sind sicher ein anständiger Mensch, aber als Sie heute morgen fortgegangen sind, ist einer von der Polizei zu mir gekommen und hat sich Ihr Zimmer zeigen lassen. Er hat mir gesagt, dass Sie Kommunist sind. Ich weiß nicht, was das eigentlich ist, aber ich möchte nicht, dass die Polizei in meine Wohnung kommt. Ich muss Ihnen kündigen. Bleiben Sie die vierzehn Tage und suchen Sie sich inzwischen ein anderes Zimmer." In den vierzehn Tagen schlief ich nicht mehr als vier-oder fünfmal in dem Zimmer. Die übrigen Nächte verbrachte ich auf der Wache. In der letzten Zeit hatte ich mehr Glück. Ich geriet an einen ehemaligen Gerichtsschreiber, einen Volksparteiler, der sich als wütender Antifaschist gebärdete, wenn er sicher war, mit wem er es zu tun hatte. Er war gesetzkundig, und niemals ist einer meiner Wirte so darauf versessen gewesen, mich vor den Übergriffen der Polizei zu bewahren, wie er. Er war ein guter Kerl. „Früher", pflegte er zu sagen, „kamen Verbrecher und Halunken vor Gericht. Heute laufen die Halunken frei herum. Wer ein dreckiges Hemd trägt, kann sich alles erlauben, kann andere Leute verhaften und belästigen. Warum werden die Komplicen von dem Pettine nicht verhaftet?" Das war ein siebzehnjähriger Faschist, der seine Mutter umgebracht hatte. „Weil sie die Faschistenführer von Mailand sind!" Einmal, als ich im Gefängnis war, hatten mich meine Wächter aus den Augen verloren und suchten verzweifelt nach mir. Erschrocken liefen sie die Treppen auf und ab. Trotz aller Überwachung konnte ich aber an sämtlichen Versammlungen teilnehmen. Der Polizeipräsident behauptete, ich sei ein ganz geriebener Bursche und besteche die Agenten. In Wirklichkeit waren die Polizisten ziemlich dumm. Dafür waren sie sehr bösartig. Die Furcht vor Strafe und die langen ergebnislosen Jagden versetzten sie in Wut. Sie entschädigten sich dadurch, dass sie auf der Wache alle verprügelten, die ihnen in die Finger gerieten. Diese halblegale Arbeit war mit großen Unannehmlichkeiten verbunden. Vor allem war man auch den faschistischen Banden bekannt. Man musste den faschistischen Kalender genau kennen, um zu vermeiden, dass man am Abend vor den Feiertagen oder in den Tagen, in denen die Feste sich drängten, in seiner Wohnung erwischt wurde. Für die Genossen, die illegal arbeiteten, war das Leben in dieser Beziehung weniger gefährlich. Sie riskierten gleichzeitig mehr und weniger. Ich gedenke der Genossen, die im „Schatten" gelebt und dabei Jahr für Jahr intensiv gearbeitet haben. Es entstanden merkwürdige Situationen. Ein Genosse, der illegal lebte und gesucht wurde, hatte zwei Kinder (das eine war schon ziemlich groß), die nach den Gesetzen nicht existierten! Sie waren auf dem Standesamt nicht gemeldet. Arme Kinderchen! Man konnte sie nicht einmal mit anderen Kindern spielen lassen, weil man befürchten musste, dass sie ihren Vater in aller Unschuld in Gefahr brachten. Von Zeit zu Zeit mussten sie sich immer wieder einen anderen Familiennamen einprägen. „Weißt du, ich heiße jetzt nicht mehr Madi, ich heiße ... Papa, wie heißen wir jetzt?" Eines Tages spielte eines der Kinder mit viereckigen Papierstückchen und malte mit dem Bleistift Zeichen darauf. „Was machst du da, Kleiner?" fragte ich. „Ich mache eine Geheimschrift." Der Vater war gezwungen, den ganzen Tag im Hause zu arbeiten, und musste nach beendetem Tagewerk dem Kleinen Unterricht erteilen, weil man sie nicht mit falschen Papieren in die Schule schicken konnte. So viel List war notwendig, damit man arbeiten konnte! Einmal wollte ich zum Zentralkomitee der Partei und schloss mich, um nicht erwischt zu werden, einem Pilgerzug an, der nach Rom ging. Es war im Jahre der Feier zum siebenhundertsten Todestag für den heiligen Franz von Assisi. Um sich beim Vatikan und bei der Geistlichkeit beliebt zu machen, legte der Faschismus großes Gewicht auf diese Feier. Die Pilger, die sich nach Rom begaben, erhielten verbilligte Eisenbahnfahrkarten und andere Vergünstigungen. Ich besorgte mir einen Pilgerausweis und machte mich mit einer Gesellschaft von Betschwestern und Priestern auf den Weg. Es war eine sehr interessante Reise. Die ganze Nacht Gebete und Psalmen! Einzigartig war die Reise insofern, als ich mir wegen der Polizei keine Sorgen zu machen brauchte. Von Mailand bis Rom bekam ich weder den Zweispitz eines Carabiniere noch die schwarze Quaste eines Mitgliedes der faschistischen Miliz zu sehen. Ich war in einem Abteil mit mehreren interessanten Typen. „Sehen Sie", meinte einer von ihnen, „der Faschismus muss mit unserer Kraft rechnen. Wir Katholiken sind die ungeheure Mehrzahl ..." „Ja, ja", meinte ein anderer, „mir haben sie den Kopf zerschlagen, weil ich an ihren Umzügen nicht teilnehmen wollte." „Ein guter Katholik", erklärte der erste, „soll sich dem Stärkeren niemals widersetzen. Hindernisse muss man umgehen." „Mir sind die Faschisten, die Kommunisten und die Katholikerl gleichgültig", sagte ein gut gekleideter Mann. „Ich habe die Gelegenheit wahrgenommen, mir ohne große Kosten Rom anzusehen, weiter nichts." „Wie kann man so reden!" unterbrach ihn eine nicht mehr junge Frau. „Seien Sie nur ruhig, Schwester Angela, Sie machen es ja auch so. Tun Sie nicht so fromm!" sagte der Mann. „Schon gut, aber man darf doch nicht so reden, glauben muss man schon ..." „Ich will mir Rom ansehen", sagte ein anderer. „Es soll eine sehr schöne Stadt sein, und außerdem will ich den Abgeordneten aus meiner Gegend aufsuchen. Können Sie mir sagen, warum man so viel Wesen von diesem heiligen Franz macht? Der muss eine sehr angesehene Persönlichkeit gewesen sein. Ich möchte nur wissen, wenn die Faschisten den heiligen Franz so großartig feiern, warum in meiner Gegend eine 358 Genossenschaft, die ausgerechnet, Katholische Genossenschaft der Söhne des heiligen Franz' hieß, kurz und klein geschlagen worden ist." Mir gegenüber las die Schwester Angela in den „Blümlein des heiligen Franz", während ihr Nachbar ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie lächelte. In den Gängen des Zuges wimmelte es von Menschen. Es waren fast alles Paare, die ein zerknirschtes Gesicht machten, wenn ein Priester erschien, aber, nach ihrem Benehmen zu urteilen, bestimmt nicht vom heiligen Franz sprachen. „Ich muss ins Innenministerium", sagte einer, „wegen der Pacht der Gefängnisarbeiten in meinem Bezirk." „Hast du Empfehlungen?" fragte ein anderer. „Ich habe einen Brief, aber ich glaube, der ist mehr wert als jede Empfehlung." Er schlug sich auf die Brieftasche. „Gott sei gelobt!" grüßte ein hochgewachsener hagerer Priester. „Gelobt sei sein heiliger Name!" antworteten die beiden einstimmig und verneigten sich vor dem Priester. Dann fügten sie mit gedämpfter Stimme hinzu: „Alter Quatschkopf!" Ich saß in meiner Ecke und grübelte, bis ich einschlief. Geweckt wurde ich von einem noch sehr jungen Priester. Er fragte mich: „Aus welchem Kirchspiel sind Sie?" Ich tat verschlafen, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Daran hatte ich nicht gedacht. Dann fiel mir der Name einer Kirche in der Nahe unseres Büros ein: „Ich bin von San Babila." „In diesem Wagen sind alle von Santa Radegonda. Wie kommen Sie hierher?" „Das weiß ich nicht. Ich habe nicht gewusst, dass wir in Abteilungen eingeteilt würden." „Das macht nichts", sagte der Priester, „Sie werden auf dem Bahnhof mit den Pilgern von Santa Radegonda aussteigen. Draußen auf dem Platz stellen Sie sich dann hinter die Fahne Ihres Kirchspiels. Ordnung muss sein. Gott sei gelobt!" „Sind wir schon in Rom?" fragte ich. „Ja, in wenigen Minuten sind wir in der Hauptstadt der katholischen Welt, zu den Füßen Seiner Heiligkeit Pius XI." „Vielen Dank", erwiderte ich. Wir verließen den Bahnhof in geschlossenem Zuge. Die Priester liefen geschäftig von der Spitze bis zum Ende des Zuges. Sie erinnerten an Schäferhunde, die immer um die Herde kreisen. Ich hatte beschlossen, den Zug rechtzeitig im Stich zu lassen. Die Römer betrachteten uns mit mitleidigem Lächeln. Der Zug schmolz immer mehr zusammen. Auch ich machte mich aus dem Staube. Wenn die Versammlungsberichte und die Resolutionen veröffentlicht wurden, war es immer besonders schlimm, und auszubaden hatten es immer wir „Legale". Jeder, der den wütenden Polizisten nach der Strafpredigt des Polizeichefs in die Hände lief, wurde aufs Polizeipräsidium gebracht. Einmal, als ich im Vorzimmer wartete, bis ich an die Reihe kam, hörte ich eine dieser Predigten mit an. „Ihr seid Schlafmützen! Ihr erwischt immer nur diejenigen, die gerade im Bett liegen. Die Kommunisten machen Versammlungen, halten Sitzungen ihres Zentralkomitees ab, veranstalten Blitzversammlungen vor den Betrieben, und ihr kommt immer zu spät. Es ist eine Schande. Idioten seid ihr!" Daraufhin enteilten die Idioten, um möglichst viele Leute beim Schopf zu packen. Nach der Rückkehr vom Zentralkomitee wurde ich festgenommen und aufs Polizeipräsidium gebracht. „Sie sind auf einer Sitzung des Zentralkomitees gewesen", erklärte mir der Polizeipräsident, als ich vor ihm stand. „Ich? Nicht einmal im Traum! Ich bin ein einfacher Gewerkschaftsarbeiter. " Er unterbrach mich wütend. „Glauben Sie, dass ich ein solcher Idiot bin wie die Polizisten, die Sie entwischen lassen? Da irren Sie sich sehr. Ich lasse Sie verhaften, wenn es mir passt. Haben Sie verstanden?" brüllte er. „Ich weiß, Herr Polizeipräsident, dass Sie mich jederzeit verhaften lassen, können. Ich habe es erlebt. Aber nehmen wir einmal an, dass es mir gelungen ist, mich davonzumachen und an der Sitzung des ZK der Kommunistischen Partei teilzunehmen — dann können Sie mich also nicht jederzeit verhaften lassen!" erwiderte ich. „Ja, weil diese Idioten schlafen. Aber das herrliche Leben wird bald ein Ende haben ... Gehen Sie jetzt!" Ein herrliches Leben nannte er das! Auch der Aufenthalt in den Restaurants war mit Schwierigkeiten verbunden, weil sich immer ein Polizist bei dem Inhaber erkundigte, ob wir Kontakt mit dem Personal hätten, ob wir unsere Post dorthin kommen ließen und so weiter. Nach zwei oder drei Mahlzeiten musste man das Restaurant wechseln, weil nicht nur der Inhaber uns schief ansah, sondern auch provozierende Faschisten erschienen. Einmal wollten sie uns sogar verprügeln. „Wo sind die Kommunisten?" fragten sie den Inhaber von oben herab. „Bei mir verkehren keine Kommunisten." „Wir haben aber erfahren, dass sie hier essen", sagte der Führer der Bande. Offenbar kannten sie uns nicht. „Nehmen Sie sich in acht, wenn Sie keinen Ärger haben wollen!" drohte er beim Fortgehen. Die Polizisten gaben die Hinweise, und die faschistischen Banden besorgten das übrige. Einmal ging ich in ein Restaurant an der Porta Ludovica, nicht weit vom Stadtzentrum (ich weiß nicht, das wievielte es war), als die Faschisten erschienen. Sie suchten aber nicht uns, sondern fielen über zwei oder drei junge Leute her. Was war geschehen? Nach dem Attentat Zanibonis auf den Duce waren die Häuserwände der Stadt mit Hilfe einer Schablone mit Bildern von Mussolini geschmückt worden. Darunter stand: „Nicht berühren! Lebensgefährlich! "Überall verunzierten diese Bilder die Wände. Niemand wagte es, sie anzurühren. Nach zwei oder drei Tagen waren einige der Bilder mit Hörnern geschmückt. An jenem Abend nun verprügelten die Faschisten die jungen Leute, weil sie dem Duce die Hörner aufgesetzt haben sollten. Trotzdem tauchten jeden Tag neue Duce-Bilder mit Hörnern auf, nicht nur am Stadtrand, sondern auch im Zentrum. Wenige Tage danach verschwanden die Bilder, und zwar auf Veranlassung der Faschisten, die sie hatten anbringen lassen. Eines Tages hielt mich ein Polizist an, der mir gefolgt war. Er entschuldigte sich und sagte dann: „Ich bin entlassen worden!" Er hatte ein Leichenbittergesicht. „Acht Monate haben mir noch gefehlt für die Mindestpension. Ich bin vom Kriege her tuberkulös. Jetzt haben sie mich entlassen. Eine Gemeinheit ist das! Das haben sie doch vorher gewusst, dass ich tuberkulös bin. Was soll ich jetzt machen?" „Es lohnt sich also nicht", sagte ich, „Arbeiter zu misshandeln, um Karriere zu machen. Sie werden auf die Straße gesetzt, damit man Sie nicht zu pensionieren braucht. Nun wissen Sie, wie es zugeht im Leben." Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten. Darf ich? Ich möchte nämlich, dass Sie mir eine Empfehlung für den Abgeordneten Lo Sardo geben, einen kommunistischen Abgeordneten aus Sizilien" — heute sitzt er ebenfalls im Zuchthaus —, „der aus meiner Stadt ist, damit er beim Ministerium gegen diese Ungerechtigkeit protestiert." „Sie wollen wohl nicht nur entlassen werden, sondern sich auch noch die Knochen brechen lassen? Wenn ein kommunistischer Abgeordneter sich wirklich für Sie verwenden würde, würde er das Gegenteil erreichen." „Aber er ist doch Abgeordneter, und Abgeordnete werden respektiert." „Ja, aber nicht die kommunistischen ... Sie sehen ja, wie es Ihnen ergeht. Bisher haben Sie das Interesse der Unternehmer, der Reichen gegen die Arbeiter vertreten, und jetzt werden Sie als kranker Mann auf die Straße gesetzt und müssen sich Arbeit suchen. Lernen Sie wenigstens daraus!" Ich ließ ihn mit seiner Verzweiflung stehen. Ich bekam einen anderen Verfolger. In den ersten Tagen war er sehr eifrig. Als er dann merkte, dass ich, wenigstens damals, ziemlich regelmäßige Gewohnheiten hatte, erklärte er mir eines Tages: „Hören Sie, es ist recht langweilig für mich, immer hinter Ihnen her zu sein, und für Sie ist das sicher auch lästig. Morgen nehme ich mir Urlaub." Er war ein wunderlicher Kauz. Aber er war mir nur kurze Zeit zugeteilt, denn auch die Leibwächter wurden kontrolliert. Einmal aß ich in einem toscanischen Restaurant. Der Inhaber stammte aus Neapel, die Kellner waren aus Mailand, der Wein war unbekannter Herkunft. Eines Tages nahm an meinem Tische ein Mann Platz, der wie ein Notariatsschreiber aussah. Er trug eine Brille, sein abgetragener Anzug glänzte, sein Hut war von ehrwürdigem Alter. Er hatte einen Haufen Zeitungen aller Richtungen bei sich. Ich warf einen Blick auf das Streifband einer Zeitung und las: „Für den Herrn Polizeipräsidenten von Mailand." Es ist immer gut, wenn man Bescheid weiß. Der Mann war sehr gesprächig. „Sie beschäftigen sich nicht mit Politik?" Ich verneinte. „Es ist sicher schwer, sich bei den vielen Parteien heute zu orientieren, aber ich habe Übung darin. Da ist zum Beispiel die Polemik zwischen Sozialisten, Kommunisten und Reformisten, die sehr interessant ist. Die Kommunisten sind im Grunde die Sozialisten aus der Zeit vor zwanzig Jahren, also eine revolutionäre Partei. Die andern arbeiten legal. Ich verfolge diese Polemik mit größtem Interesse, wie übrigens auch die Diskussion für den Parteitag der Kommunisten. Ich glaube aber nicht, dass die Regierung ihn erlauben wird." „Davon verstehe ich nichts." „Wenn man nicht sämtliche Zeitungen verfolgt, findet man sich bestimmt nicht zurecht. Ich lese dreißig bis vierzig Zeitungen täglich und bin immer auf dem laufenden." In diesem Ton ging es weiter ... Mehrere Tage hintereinander wurde ich auf diese Weise von dem Schreiberling des Polizeipräsidenten, der sich wichtig machen wollte, informiert. Unsere Versammlungen fanden an den verschiedensten Orten statt, auf Kirchhöfen, auf Booten, auf Heuböden. Ein Provinzialkongress tagte einmal in einer verlassenen Mühle und ein andermal in einem verfallenen Schloss. Dort blieben wir mehrere Tage. Abends legten wir uns immer sehr früh auf die Säcke mit trockenem Laub, die die Genossen in der Gegend uns beschafft hatten, um kein Licht brennen zu müssen und keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es regnete, das Wetter war scheußlich, alles war sehr unbequem — und doch waren wir guter Dinge. Im Winter 1925 tagte das ZK einmal im Hochgebirge. Sieben Stunden war ich unterwegs, bis ich da oben anlangte. Mit den Carabinieri konnte ich niemals ohne Stock gehen, wohl aber brachte ich es fertig, auf den Berg hinaufzuklettern, auf dem eine Hütte für die Bergsteiger stand. Hier oben waren wir außer Gefahr. Einen Grenzposten gab es hier nicht, und Bergsteiger kamen nur sonntags. Wir konnten in Ruhe diskutieren. Unsere Wachposten, die Jungkommunisten, konnten alle Täler übersehen. Als die Tagung beendet war, ertönte inmitten der schweigenden Berge in dieser Hütte, die uns als Versammlungsraum, als Schlafzimmer und als Küche gedient hatte, ernst und feierlich die „Internationale". Andächtig und tief bewegt sangen die Männer, die an den Kerker und an täglichen Kampf gewöhnt waren, die Hymne der Revolution. Dann rasteten wir wenige Stunden, um uns mit frischem Schwung in den Kampf zu stürzen. Als die Diskussion für den Parteitag begann, wurde die Lage für uns „Legale" sehr schwierig. Die Überwachung wurde verschärft. Ich konnte keinen Schritt mehr tun. Jeder Versuch war zwecklos. Und doch musste ich zum Parteitag. Ich hatte noch nie gefehlt. Allerdings war die Polizei in Mailand besser ausgerüstet als die in Fossano, und der Polizeipräsident De Sanctis verfügte über weit stärkere Mittel und Kräfte als Herr D'Avanzo in Fossano. Wenn ich nachts nach Hause kam, wurde der Polizist, der mir den ganzen Tag gefolgt war, abgelöst. Aus dem Fenster sah ich unten auf der Straße meinen Freund auf und ab gehen. Eines Morgens, als ich zu einer Versammlung gehen wollte, versuchte ich eine neue Methode. Der Polizist postierte sich immer gegenüber der Tür meines Hauses auf der anderen Straßenseite. So konnte er die Lage besser übersehen, weil auf der Straßenseite, auf der mein Haus lag, der Verkehr zu stark war. Manchmal war es mir gelungen, hinter seinem Rücken zu entwischen. Wenige Schritte vor meinem Haustor war eine Straßenbahnhaltestelle. Ich hatte einen einfachen Plan und setzte ihn in die Tat um. Vom Fenster aus sah ich den Polizisten an seinem gewohnten Platz. Ich ging hinunter. Als ich unten war, wartete ich, bis die Straßenbahn, die langsam anzufahren pflegte, das Haustor versperrte. Die Straßenbahnen fahren immer mit Anhänger. Es bereitete mir keine Schwierigkeiten, das Haustor zu verlassen und neben der Straßenbahn her zu gehen, die mich dem Polizisten verbarg. Dann verschwand ich in einer Bar. Während mein Kaffee zurechtgemacht wurde, beobachtete ich meinen Wächter. Er starrte noch immer auf das Haustor. Nachdem ich meinen Kaffee getrunken hatte, wartete ich eine andere Straßenbahn ab, um ein Stück nebenher zu gehen und dann in einem Zigarrenladen zu verschwinden. Mit Hilfe von vier Straßenbahnen gelang es mir, ihn hinters Licht zu führen. Es war die einzig mögliche Methode. Autos hatten keinen Zweck mehr. Auf fahrende Straßenbahnen konnte ich nicht aufspringen. Mein Haus hatte nur einen Ausgang, und durch das Fenster konnte ich nicht, weil ich im fünften Stock wohnte. Diese Methode, die ich nur in Ausnahmefällen anwandte, um nicht aufzufallen, ermöglichte mir die Teilnahme am Parteitag. Es war ganz einfach. Aber damit waren noch nicht alle Hindernisse überwunden. Ich musste ins Ausland. Ich war fast sicher, dass es gut gehen würde. Es war ja immer gut gegangen. Ungestört kam ich hin und wieder zurück. Wir waren Gäste unserer „großen lateinischen Schwester", wie die nationalistischen und faschistischen Zeitungen sich gelegentlich ausdrücken, weil wir dort inkognito waren. Der III. Parteitag der Kommunistischen Partei Italiens ist besonders wichtig gewesen. Auf diesem Parteitag wurde über alle Fragen mit den „linken" Anhängern Bordigas gründlich diskutiert. Er begann am 21. Januar 1926, zwei Jahre nach dem Tode Lenins und fünf Jahre nach der Gründung der Partei. Die Internationale und die Bruderparteien waren durch Abordnungen vertreten. Die Rückkehr nach Mailand verlief ohne Störungen. Ich reiste mit Gramsci zusammen. Kaum bekamen die Polizisten mich zu Gesicht, als sie mich zu ihrem Vorgesetzten, dem Polizeipräsidenten, brachten. Nie habe ich ihn so wütend gesehen. „Wo sind Sie in den letzten vierzehn Tagen gewesen?" „Ich mache darauf aufmerksam", antwortete ich, „dass ich nicht unter Polizeiaufsicht stehe und dorthin gehe, wo es mir passt." „Mäßigen Sie sich!" tobte der Polizeipräsident, rot vor Wut. „Sonst lasse ich Sie einsperren. Sie wissen, mit mir ist nicht zu spaßen. Aber die Herrlichkeit wird bald ein Ende haben. Sie sind auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei gewesen, das wissen wir. Auch Serrati, Gramsci und Togliatti waren da ... Wollen Sie das bestreiten?" „Ich bin italienischer Bürger", erwiderte ich, „ich habe gesagt, dass ich nicht unter Polizeiaufsicht stehe. In Wirklichkeit allerdings bin ich noch schlimmer daran, weil ich vom Morgen bis zum Abend beobachtet werde. Jedenfalls kann ich gehen, wohin es mir passt. Was meine Teilnahme am Parteitag betrifft, so bin ich zu keiner Auskunft verpflichtet." „Sie sind wunderliche Käuze", sagte der Polizeipräsident schon ruhiger. „Warum diskutieren Sie nicht, wie die anderen Parteien, in aller Öffentlichkeit?" „Ü ber die Vorbereitung des Parteitages ist in unserer Zeitung ausführlich geschrieben worden." „Schön, aber über den Parteitag nicht. Haben Sie Angst? Ich weiß, dass er vielleicht genehmigt worden wäre, wenn Sie darum gebeten hätten." „Vielleicht", antwortete ich. „Wir haben unsere Erfahrungen. Wir wissen zum Beispiel, dass sich nicht einmal fünf Genossen versammeln dürfen." „Sie waren also auf dem Parteitag? Sagen Sie es doch!" „Ich habe bereits gesagt, dass ich darauf nicht antworte, auch wenn Sie mich einsperren lassen." „Hören Sie, ich muss unbedingt wissen, wo der Parteitag stattgefunden hat. In der gleichen Lage wie ich sind die 72 Polizeipräsidenten der verschiedenen Provinzen. Ich frage Sie also, ob der Parteitag der Kommunistischen Partei Italiens in der Provinz Mailand stattgefunden hat. Ja oder nein? Weiter will ich nichts wissen, dann können Sie gehen." Das also war die große Sorge des Herrn Polizeipräsidenten. Mussolini musste wohl getobt haben. Wahrscheinlich hatte er der Sicherheitspolizei gründlich den Kopf gewaschen und dem armen Polizeipräsidenten, der das Pech gehabt hatte, unserem Parteitag Gastfreundschaft zu gewähren, furchtbare Strafen angedroht. Der Polizeipräsident hing an meinen Lippen. Ich bin überzeugt, dass er mich vor lauter Freude nach Hause geschickt hätte, wenn ich geantwortet hätte. „Ich weiß von nichts." Sein Gesicht zuckte nervös. Er erhob sich und schien über mich herfallen zu wollen. Ich erhob mich ebenfalls. „Warum geben Sie mir keine klare Antwort?" fragte er schließlich beherrscht. „Weil ich nicht dazu verpflichtet bin." „Ich weiß, ihr Kommunisten habt dicke Köpfe, aber wir kriegen euch klein. Es sind Gesetze in Vorbereitung ..." Er hielt inne. „Das wissen wir, und wir werden uns wehren." Am 7. April 1926 schoss der Engländer Gibson auf Mussolini. Daraufhin wurden unsere Räumlichkeiten überfallen, wurden die Arbeiter terrorisiert, fanden neue Verhaftungen statt. Bald darauf traten die Verbandsgesetze in Kraft .Wir mussten unsere Mitgliederlisten einreichen. Ich wurde aufs Polizeipräsidium bestellt. „Sie müssen die Mitgliederliste des Provinzialverbandes Mailand Ihrer Partei abliefern", erklärte mir der Polizeipräsident. „Wenden Sie sich an den Sekretär des Provinzialverbandes Mailand." „Wer ist das?" fragte der Polizeipräsident. Die Partei hatte angeordnet, dass die Sekretäre der Provinzialverbände Abgeordnete sein sollten, weil diese damals nicht verhaftet werden konnten. „Der Sekretär des Provinzialverbandes ist der Abgeordnete Bendini." „Immer die Abgeordneten! Aber die kommen auch noch an die Reihe!" Damals verloren wir Serrati. Wir waren zu einer Versammlung in den Bergen aufgebrochen. Serrati freute sich doppelt, einmal auf die Arbeit für die Partei, außerdem auf die Bergtour. Ein Stück des Weges legten wir zusammen zurück. Dann trennten wir uns, um uns am Versammlungsort wieder zu treffen. Ich habe ihn erst im Krematorium wiedergesehen. Es war ein schwerer Schlag für uns. Die Polizei war in heller Aufregung. Man befürchtete eine Demonstration. Die sterbliche Hülle Serratis — er war in der Nähe von Asso in der Provinz Como ums Leben gekommen — wurde bei Nacht nach Mailand überführt und auf dem Friedhof von Mailand in einem unterirdischen Gewölbe beigesetzt. Wir erhielten die Erlaubnis, die bereits geschlossene Gruft zu besichtigen. Die Nachricht machte gewaltigen Eindruck, nicht nur in Mailand, sondern in ganz Italien. Die Leiche war unerwartet eingetroffen. Ich war der erste, der an der Gruft Wache hielt. Sogleich strömten Menschen herbei. Ich hatte ein Heft für die Unterschriften der Besucher auf die Gruft gelegt. Angestellte, Arbeiter, Bauern, Jugendliche, Frauen und Soldaten zeichneten sich ein. Nach kurzer Zeit war die Gruft mit roten Blumen bedeckt, und das Heft war mit Unterschriften gefüllt. Da traf unter der Führung eines Kommissars die Polizei ein. „Wer sind Sie? Fort mit den Blumen hier! Wo ist das Verzeichnis mit den Unterschriften?" fragte er noch außer Atem. „Ich bin ein Freund des Toten und vertrete die Familie. Die Blumen entferne ich nicht. Das Verzeichnis ist hier", antwortete ich. Er nahm das Heft und schlug es auf. Alle Seiten waren leer. Die beschriebenen Blätter waren bereits verschwunden, auch aus meinen Taschen. „Wo sind die beschriebenen Blätter?" drängte der Beamte. Ich zuckte die Achseln. „Fort mit den Blumen hier!" „Ich sage Ihnen nochmals, dass ich die Blumen nicht entferne. Welches Gesetz verbietet Blumenspenden zu Ehren eines Verstorbenen? Habt ihr auch vor den Toten Angst?" „Wir haben vor niemand Angst. Lassen Sie den Ort räumen", befahl er den Polizisten, „und schaffen Sie die Blumen fort!" Die Polizisten begannen, die protestierenden Besucher brutal auseinander zutreiben. Ich beauftragte einen Genossen, die Besucher darauf hinzuweisen, dass sie die Blumen beim Eintritt verstecken sollten. Sämtliche Blumen wurden auf den Kehrichthaufen geworfen. Der Kommissar entfernte sich. Es kamen immer mehr Leute, besonders gegen Abend. Es waren sehr viele Arbeiter darunter. Fast alle zogen rote Nelken — die Männer unter der Jacke, die Frauen aus der Handtasche — hervor und legten sie auf der Gruft nieder. Viele neigten sich, um den Sarg zu küssen. Ein Soldat brach in Tränen aus, und wir mussten ihn fortschaffen, ehe die Polizisten eingriffen. Unter den Augen der Polizisten hatte die Gruft sich wieder mit Blumen bedeckt. Am Abend kam der Kommissar und erklärte, er habe Befehl, die Gruft schließen zu lassen. Wir erreichten, dass wir die Gruft photographieren lassen durften. Wir gingen mit drei riesigen Kränzen hin. Der eine war von der Kommunistischen Internationale, der andere von der Kommunistischen Partei Italiens und der dritte vom Provinzialverband Mailand. Mehrere Polizisten waren dabei. Einer erzählte mir, dass er Serrati gekannt habe. Auch ein Abgeordneter aus Mailand (er ist jetzt im Gefängnis) war dabei. Während der Photograph seine Vorbereitungen traf, verwickelten wir die Polizisten in ein Gespräch. Sie konnten es nicht fassen, dass sie die Ehre hatten, mit einem Abgeordneten zu sprechen. So bemerkten sie es nicht gleich, dass die Kränze große rote Bänder trugen mit der Aufschrift „Die Kommunistische Internationale", „Die Kommunistische Partei Italiens" und „Der Provinzialverband Mailand der Kommunistischen Partei". Als sie es bemerkten, war die Aufnahme schon gemacht. Während sie sich die Platte — eine war schon verschwunden — aushändigen ließen, brachten die Genossen die Bänder in Sicherheit. „Wer hat die Bänder?" fragte der erboste Maresciallo. „Ich", sagte eine der anwesenden Genossinnen. „Heraus damit!" Er wollte sie durchsuchen. „Hände weg!" schrie sie. Die Polizisten zogen ab mit der Platte und der Genossin, die später nach einer Strafpredigt wieder entlassen wurde. Bald danach entfernten auch wir uns mit der wohlerhaltenen Platte und den Bändern ... Am Tage der Trauerfeier erschien eine ungeheure Menge an der Grabstätte, obwohl dies aus „Gründen der öffentlichen Ordnung" verboten worden war. Selbst die Faschisten gaben zu, dass es mindestens zehntausend Menschen waren. Viele standen weit entfernt von dem geschlossenen Gitter. Der Eintritt wurde nicht einmal dem Sohn und dem Bruder gestattet. Es gab Verhaftungen und Verletzungen. Einige Tage danach durften die Familie und die Partei — insgesamt vierzehn Personen, außerdem mehr als fünfzig Polizisten, Carabinieri und Beamte des Polizeipräsidiums — der Feuerbestattung des armen Serrati beiwohnen. In einer kleinen Urne ruht nun die Asche eines der besten italienischen Revolutionäre, der sein ganzes Leben der Sache des Proletariats geweiht hat. Ich erinnere mich noch seiner Worte auf dem Parteitag von Lyon im Januar 1926: „Jetzt, wo ich wieder bei euch bin, fühle ich neuen Mut. Mein einziger Wunsch ist, der Kommunistischen Internationale zu dienen." In Serratis Wohnung traf ich Lazzari. „Wenn wenigstens ich gestorben wäre", sagte er bei der Begrüßung. „Er hätte noch viel Arbeit für das Proletariat leisten können. Ich bin ein alter Mann. Was habt ihr Kommunisten dem Proletariat mit der Spaltung für Schaden zugefügt!" „Mein lieber Constantino", erwiderte ich ihm, „du klagst uns an, wir hätten dem Proletariat Schaden zugefügt, und sagst dann, dass Serrati, der doch Kommunist war, für das Proletariat hätte arbeiten können." Schluchzend sagte er: „Ich verstehe nichts mehr." Ich trat an Serratis Stelle als Sekretär des Verbandes der Angestellten. Erst vor wenigen Monaten hatten wir auf einer Provinzialkonferenz die Führung des Verbandes erobert. Man spürte, dass Unheil in der Luft lag. Am 11. September kam das Attentat Lucettis auf den Duce. Es folgten die üblichen Demolierungen, Verhaftungen und Misshandlungen. Auch Tote gab es. Gleich danach wurden die geringen Bewegungsmöglichkeiten neuerlich eingeschränkt. Terracini und Bibolotti wurden am 12. September verhaftet und nicht wieder freigelassen. Die Verhaftung erfolgte auf Grund von Material, das bei einem Kurier beschlagnahmt worden war. Ich wurde gesucht, konnte aber, nachdem dieser Sturm vorübergebraust war, die Arbeit wieder aufnehmen. Verhaftet wurde ich auch, doch fand man trotz eifrigen Bemühens kein Mittel, mich in den Prozess hineinzuziehen, wie es später geschah, und nach dem Verhör wurde ich entlassen. Man konnte sich nicht mehr rühren. Wir fühlten, dass die Maschen des Netzes sich jeden Tag enger zusammenzogen. Die Partei verstärkte ihre illegale Tätigkeit immer mehr. Es kam vor, dass die „Unitä" viermal in der Woche beschlagnahmt wurde. Langsam wurde der Schlag vorbereitet, der unsere Partei endgültig in die Illegalität treiben und die anderen, die die Möglichkeit einer so brutalen Reaktion nicht vorausgesehen hatten, vernichten sollte. Die Faschisten hatten beschlossen, den Jahrestag des Marsches auf Rom feierlich zu begehen. Infolgedessen begannen die Verhaftungen der Antifaschisten — zahlenmäßig an der Spitze standen immer die Kommunisten — nicht erst einen oder zwei, sondern schon fünf oder sechs Tage vor dem 28. Oktober. Ich wurde am 21. Oktober um fünf Uhr morgens verhaftet. Auf der Wache des Stadtbezirkskommissariats waren von den achtzehn Verhafteten elf Kommunisten, zwei Anarchisten, ein Reformist, ein Republikaner und drei gewöhnliche Verbrecher. Nach der üblichen Rundfahrt durch die Kommissariate wurden wir nach San Fedele und dann nach San Vittore gebracht. In dem Wagen waren wir zusammengepfercht wie Warenballen. In San Vittore saßen in den kleinen, für einen Häftling bestimmten Zellen je fünf Personen. Viele Häftlinge waren in den Gängen untergebracht, und jeden Tag trafen neue ein. Ich bekam gleich einen Kassiber, das heißt einen Zettel von Terracini, und wir richteten einen regelmäßigen Schriftverkehr ein. Wir waren fünf Genossen. Zwei von ihnen sitzen jetzt im Zuchthaus und zwei sind deportiert. Wir dachten an die übliche „Sistierung" wegen der Feierlichkeiten zum Jahrestag des Marsches auf Rom. In der Tat begannen am 30. Oktober die Entlassungen und dauerten bis zum nächsten Tag. Die Einstellung der Entlassungen am Mittag des 31. Oktober beunruhigte uns nicht. Die „Menschenfleischhändler" hatten, vor allem nach der anstrengenden Arbeit dieser Woche, auch ein Recht auf Sonntagsruhe. Am Montag erzählte mir der Kalfaktor: „Gestern um elf ist in Bologna ein Attentat auf Mussolini verübt worden." „Da haben wir's", sagte ich zu den anderen, „jetzt wird die Entlassung verschoben." Im Laufe des Tages fanden keine Entlassungen statt, vielmehr trafen am Abend bis nach Mitternacht immer neue Häftlinge ein. Wir lagen alle schon im Bett, als wir rufen hörten: „Benito Mussolini — eja, eja, alala!" Die Antwort war ein Chor von Flüchen. Gleich danach rief jemand: „Es lebe Lenin!" Brausender Beifall folgte, und dann ertönte die „Internationale". Hierauf klirrten Riegel und man hörte Schmerzensschreie. Das waren die Gefängniswärter, die die Zellen öffneten und nach rechts und links um sich schlugen. Niederrufe folgten. Mehrere wurden in die Strafzelle gesteckt, und die Stille der Nacht wurde von ihren Schreien zerrissen. Wir konnten nur laut protestieren. Am nächsten Morgen ging niemand zum Spaziergang. Die neuen Häftlinge, von denen viele verwundet waren, erzählten von Gewalttätigkeiten und Demolierungen. Man konnte sich nicht mehr auf der Straße sehen lassen. Dann erfuhr ich, dass die Genossen von der „Unita" mit verbundenen Köpfen eingetroffen waren. Schließlich lasen wir in den eingeschmuggelten Zeitungen von Ausnahmegesetzen, von Zwangsaufenthalt, Todesstrafe, Auflösung der Parteien, Verbot aller antifaschistischen Zeitungen ... Wir hatten das schon hinter uns. Wir dachten daran, uns Kleidung schicken zu lassen. Im günstigsten Falle erwartete uns die Deportation. Einige Tage später sah ich beim Spaziergang einige unserer Abgeordneten. Jetzt brauchten wir uns keine Illusionen mehr zu machen. Inzwischen folgte eine Messe der anderen. Am Tage des Marsches auf Rom fand ein Hochamt statt, am 31. Oktober die übliche Sonntagsmesse, am 1. November eine Messe mit „Te Deum" für die Errettung des Duce, am 4. November eine Messe anlässlich des Jahrestages des Sieges, dann wieder eine Sonntagsmesse und am 11. November eine Messe zum Geburtstag des Königs. Ich hatte meiner Zimmerwirtin geschrieben und sie gebeten, einen kleinen Koffer mit Wäsche für mich zurechtzumachen. Die Deportationskommission arbeitete bereits und fällte ohne jegliches Verhör ein Urteil nach dem anderen. Eines Morgens aber hieß es: „Sachen raus!" Sachen raus — das bedeutete, dass es weiter ging, womit jedoch nicht immer gesagt war, dass es in die Freiheit ging. In unserem Falle erschien dies ausgeschlossen. Da ich aus Gründen der öffentlichen Sicherheit im Auftrage des Stadtbezirkskommissars verhaftet worden war, würde man mich zur Feststellung aufs Polizeipräsidium bringen. Von dort würde ich bis zur Abfahrt wieder ins Gefängnis kommen. Es würde die übliche Quälerei werden, den ganzen Tag würden wir von einem Kommissariat zum andern fahren. Unten im Rundbau traf ich Berti und zahlreiche andere Genossen, von denen jetzt mehrere als Emigranten in der Sowjetunion oder in anderen Ländern leben. Sie waren alle guten Mutes, während ich nach wie vor pessimistisch dachte. Berti war derselben Ansicht, hatte aber trotzdem guten Appetit. Er hockte in einer Ecke des Aufnahmebüros und aß, während er darauf wartete, aufgerufen zu werden. Von Zeit zu Zeit wurde eine Gruppe abgeführt ... Gegen Mittag kamen die Carabinieri mit einem Sack voll Handschellen und begannen mit der Fesselung. Der als Transportführer fungierende Maresciallo rief dem Wachposten im Aufnahmebüro zu: „Wie viele kriege ich noch?" „Fünfzig", antwortete der andere. „Jesus!" sagte der Maresciallo. „Die sind mein letzter Transport heute. Dann muss ich andere hierher bringen. Im Wagen haben allenfalls dreißig Platz, wenn sie nicht zu dick sind." „Was soll ich mit den anderen machen?" fragte der Wachposten, ganz erschrocken bei dem Gedanken, noch einmal mit den Aufnahmeformalitäten anfangen zu müssen. „Sieh zu, wie du es machst. Ich komme heute nicht mehr. Ich komme morgen oder in einem Monat. Das ist ja dasselbe. Sperre sie wieder ein, sie müssen sowieso wieder hierher." Die Häftlinge drängten sich zur Fesselung, um ihren Platz nicht zu verlieren. Wir hatten es nicht so eilig. Es war ja dasselbe, der Maresciallo hatte recht. Das war unsere Rettung. Der Wachposten war verzweifelt. „Lassen Sie uns doch gehen", redeten wir ihm zu, „wir sollen ja doch entlassen werden. Die Entlassungsbefehle liegen vor Ihnen." „Das ist richtig", antwortete der Wachposten. „Rufen Sie beim Polizeipräsidium an!" „Richtig, das will ich tun." Er nahm den Hörer ab. „Hallo ... Ich möchte das Polizeipräsidium ... Hier spricht das Gefängnis San Vittore. Aufnahmebüro. Es handelt sich um folgendes. Ich habe hier siebzehn Häftlinge, die alle entlassen werden sollen ... Wir haben keine Transportmittel hier ..." „Ja, ja, es ist alles in Ordnung. Die Anweisungen sind kontrolliert." Er nahm die Antwort entgegen. Wir verhielten uns schweigend. „Sehr schön, guten Tag, empfehle mich", sagte der Wachposten und legte den Hörer auf. Er rieb sich die Hände. „Sie können gehen", sagte er. Die wenigen Minuten, die wir noch im Gefängnis waren, erschienen mir wie eine Ewigkeit. Jeden Augenblick erwartete ich einen telefonischen Gegenbefehl. Aber damals herrschte allgemeine Kopflosigkeit. Nun stand ich auf der Straße. „Ich gehe nach Hause und lasse mir gleich wunderbare Nudeln machen", sagte Tettamanti, ein guter und treuer alter Genosse. „Kommt doch mit!" „Du bist verrückt, wenn du nach Hause gehst. Begreifst du nicht, dass sie uns aus reinem Zufall entlassen haben?" sagte ich. Wir trennten uns. Ich machte einen Sprung nach Hause, weil ich damit rechnete, dass man auf dem Polizeipräsidium einige Zeit brauchen würde, um den Irrtum zu bemerken. In meiner Abwesenheit hatten die Faschisten mein Zimmer demoliert und alles fortgeschleppt, was sie gebrauchen konnten. Dann machte ich mich unsichtbar. Die andern machten es ebenso. Berti, Tettamanti und mehrere andere dagegen wurden am Tage darauf wieder festgenommen, weil sie nach Hause gegangen waren. Die Lage war furchtbar. Am Abend wurden ganze Straßen abgesperrt, und nur einer nach dem andern durfte passieren. Auf diese Weise verloren wir damals viele unserer Besten, darunter Scoccimarro und Hunderte andere. Es gab viele Verwundete und Tote. Wir wurden eifrig gesucht. Die Polizei versuchte, uns mit „List" zu fangen. Man schickte Zettel in unsere Wohnungen, in denen wir gebeten wurden, einen Augenblick ins Polizeipräsidium zu kommen, um in das Dekret über die Auflösung unseres Gewerkschaftskomitees Einsicht zu nehmen oder über dies und jenes Auskunft zu geben. Man wollte den Eindruck erwecken, dass wir uns frei bewegen konnten. Wir kannten aber schon die Liste der Deportationen. Mir waren fünf Jahre zugedacht. Später kam unser Fall vor das Sondergericht. Allein gegen die siebzehn Mitglieder des Zentralkomitees — darunter Gramsci, Terracini, Maffi, Roveda und Borin —, die alle oder fast alle noch vor den Ausnahmegesetzen verhaftet worden waren, wurden Zuchthausurteile in der Gesamthöhe von rund dreihundert Jahren gefällt. Die Anklageschrift ist der deutlichste Beweis für die Aktivität unserer Partei. Die Anklage des Staatsanwalts beim Sondergericht gegen mich betrachtete ich als eine Ehre. Sie lautete: „Giovanni Germanetto, bekannt unter dem Pseudonym Barbadirame, ist ebenfalls Mitglied des Zentralkomitees, dem er im Jahre 1926 angehört hat. Der Bericht des Polizeipräsidiums Turin vom 6. März 1927 und der des Polizeipräsidiums Mailand vom 26. März 1927 kennzeichnen ihn als bekannten und aktiven Propagandisten mit speziellen anti-militaristischen Tendenzen. Im Jahre 1922 wurde er von der Kommunistischen Partei nach Russland geschickt. Im Jahre 1923 kehrte er zurück, und im Jahre 1924 wurde gegen ihn ein Verfahren eröffnet wegen Verbrechens nach Artikel 118, Absatz 3. In demselben Jahre ging er nochmals nach Russland, wo er sich als Propagandist und als Berichterstatter für die Zeitung „Unitä" betätigte. Seine Artikel zeichnete er mit dem Pseudonym Barbadirame. Im Jahre 1926 wurde er neben seiner Eigenschaft als Mitglied des Zentralkomitees auch Mitglied des Gewerkschaftskomitees der Kommunistischen Partei. Außerdem gehörte er dem Verwaltungsrat der Verlagsgesellschaft ,Unita' in Mailand an. Der Kommissar Luciano sagt in Band 48, Blatt 178, über Germanetto: ,Er bekleidete gleichzeitig verschiedene Parteiämter. Als erfahrener Organisator und alter Gewerkschaftssekretär wurde er — er stammt aus Piemont und ist ein treuer Freund Terracinis und Gramscis — Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, Mitglied des Gewerkschaftskomitees der Partei und Redakteur der Zeitung „Unita". Seine langjährige organisatorische Praxis macht ihn zu einem wertvollen Mitarbeiter Gramscis bei der Reorganisation der Partei, und seine genaue Kenntnis der Massen macht ihn besonders geeignet zur Leitung des Gewerkschaftskomitees. Die Ämter, die er bekleidet hat, und seine Fähigkeiten erweisen ihn als einen der Hauptverantwortlichen für die Aktion, die die Partei im Jahre 1926 durchführen sollte. Er war für die Deportation vorgesehen, hat sich ihr aber entzogen und hält sich noch immer verborgen.'" Darin ist vieles ungenau und übertrieben, aber es wird dadurch bewiesen, dass ich meine Pflicht erfüllt habe. Ich blieb noch mehr als einen Monat in Mailand. Ich sollte ins Ausland gehen. Es fanden noch mehrere Versammlungen statt. Die Umstellung unserer Arbeit auf völlige Illegalität bedurfte keiner großen Anstrengungen. Ein Genosse, der Betriebsarbeiter war, sagte mir damals: „An diese Arbeit sind wir schon lange gewöhnt. Heute haben wir den Aufruf der Partei verteilt. Er hat den besten Eindruck gemacht. Viele von uns sind verhaftet worden, aber wir werden weiter arbeiten." Damals beantragten wir auch beim Allgemeinen Gewerkschaftsbund, der noch ein Büro geöffnet hatte, nochmals die Umwandlung der organisatorischen Basis und des Aktionsprogramms. Man wollte uns nicht einmal anhören. Wenige Tage danach, am 4. Januar, beschlossen die sieben in Mailand anwesenden Mitglieder des Bundesausschusses die Auflösung der alten Organisation. Am 20. Februar 1927 bildeten revolutionäre Arbeiter (Kommunisten, Sozialisten, Reformisten und Parteilose) als Vertreter der wichtigsten Berufsgruppen und Gewerkschaften auf einer Konferenz in Mailand einen provisorischen Bundesausschuss und begannen mit der illegalen Arbeit. Während ein Teil des Bundesausschusses zum Faschismus überging (Rigola, Reina und Maglione) und die übrigen (Buozzi und Sardelli) jegliche Arbeit in Italien für unmöglich erklärten, bewiesen und beweisen die Arbeiter trotz Zuchthaus und Reaktion, dass man kämpfen kann. Der Kampf geht weiter. Tausende sind gefallen, eingekerkert, geflüchtet und werden in den Zuchthäusern Italiens gemartert. Die Inseln sind voll von Deportierten. Das Sondergericht hat bereits fünf tausend Jahre Zuchthaus verhängt. Vor den Hyänen, die die Urteile fällen, wie bei den Folterungen in den Zellen des Palazzo Ducale, der Zitadelle in Brescia und des Zuchthauses in Perugia rufen unsere Genossen mit erhobenem Haupt: „Nieder mit dem Faschismus!" |
Hinweis: Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen. Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist nicht gestattet. |
|||||||||||
Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur |