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Berta Lask - Leuna 1921 (1927)
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2. Szene

Nacht. Zimmer des Direktors Weinbrand. Angestelltenrat Knappe kommt.

Direktor Weinbrand: Sie scheinen wenig Schlaf zu brauchen, Herr Angestelltenrat Knappe. Vor zwei Stunden waren Sie erst hier, und jetzt stören Sie mich schon wieder. (Er gähnt)

Knappe: Ich war der Meinung, dass in dieser Nacht niemand, der zum Leunawerk gehört, Ruhe zum Schlafen findet.

Direktor Weinbrand: Sie haben mich eben aus tieÂfem Schlaf geweckt.

Knappe: Um so schlimmer für Sie! - Verzeihen Sie, Herr Direktor! Ich bin übernächtigt und aufgeregt. Ich bin wieder hierhergekommen, um zu hören, ob Sie die Verbindung mit den Truppen hergestellt haben. (Die Stimme erhebend) Ich wiederhole noch einmal, Herr Direktor: Das Leunawerk kann kampflos übergeben werden. Die Arbeiterkampftruppen sind abgerückt.

(Lichtbild der fahrenden Autokolonne)

Direktor Weinbrand: Ich wiederhole noch einmal, Herr Knappe, die Verbindung mit den Truppen ist nicht herzustellen. Es ist zu spät dafür. Die Truppen sind auf dem Marsch und nicht zu erreichen. Ich habe es vergeblich versucht.

Knappe: Herr Direktor, ich weiß, dass die Direktion in Verbindung mit den Truppen steht. Ich weiß, dass Kuriere ständige Verbindung halten.

Direktor Weinbrand: Sie wissen? - So! Sie sind wohl im Nachrichtendienst der Auf ständischen tätig?

Knappe: Herr Direktor, ich diene der Direktion seit drei Jahren treu.

Direktor Weinbrand: Sie scheinen trotzdem mit der Arbeiterschaft stark zu sympathisieren, trotz aller Ausschreitungen.

Knappe: Ich bin ein treuer Angestellter des Werkes. Ich will das Beste für alle. Aber wir wechseln hier

unnütze Worte. Die Zeit vergeht. Herr Direktor, ich beschwöre Sie, nehmen Sie die Verbindung mit den Truppen auf! Das Werk ist in tadellosem Zustand und kann kampflos übergeben werden. (Direktor Weinbrand schweigt) Herr Direktor, es handelt sich um Menschenleben. Es handelt sich vielleicht um viele Menschenleben. Ursache zum Blutvergießen ist nicht vorhanden.

Direktor Weinbrand: Das hätten sich die Herren Arbeiter früher überlegen sollen. Nicht wir haben uns bewaffnet, sondern die Arbeiterschaft hat die Waffen ergriffen.

Knappe:   Sie   sind   immer   bewaffnet.   Sie  stehen immer Gewehr bei Fuß.

Direktor Weinbrand: Wie?

Knappe: Ãœber dieses Thema - ach, jetzt nicht. Herr Direktor, es handelt sich nicht nur um Menschenleben; es handelt sich auch um die Bauten und Maschinen des Leunawerkes. (Direktor schweigt)

Herr Direktor, es handelt sich nicht nur um Menschenleben, Bauten und Maschinen, es handelt sich auch um die für das deutsche Volk lebenswichtige Produktion von Düngemitteln. Noch hat die Produktion im Leunawerk nicht ganz aufgehört.

Direktor Weinbrand (auffahrend): Noch nicht aufgehört? Ich gab doch vor zwei Tagen Befehl zur Stilllegung. Bei Artilleriebeschießung darf doch nicht produziert werden.

Knappe: Also Artilleriebeschießung um jeden Preis! Nicht Volkswohl, nicht Menschenleben, nicht Sachwerte sind Ihnen wichtig, nur die unbeschränkte Macht.

Direktor Weinbrand (eisig): Philosophieren Sie nicht zu so später Stunde, Herr Knappe! Es könnte Ihren Kopf anstrengen. Ich sagte Ihnen, dass eine Verbindung mit den Truppen nicht mehr aufgenommen werden kann und dass von der Arbeiterschaft die Konsequenzen dieses sinnlosen Aufstandes getragen werden müssen. Ich bitte, meine Nachtruhe nicht länger zu stören.

(Direktor Weinbrand geht hinaus)

Knappe: Und ich Narr träumte von Versöhnung und Arbeitsgemeinschaft!

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