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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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III. Voran

In der Spätausgabe des Nationalen Telegraphendienstes (Nummer 2012), die gegen halb elf Uhr noch als Manuskriptdruck in die Redaktionen und Korrespondenzbureaus der hauptstädtischen Presse ausgetragen wurde, befand sich mitten drin im Text folgende Meldung:


N. T. D.-Meldung. Drahtlos. Nagasaki 5./12. Wie ihr Korrespondent soeben durch Reisende aus dem Innern erfährt, sind in Shon-jan-hun schwere Unruhen ausgebrochen. Die örtlichen Behörden sollen geflüchtet sein. Shon-jan-hun ist der Zentralpunkt des Kupferminendistrikts. Man befürchtet ein Übergreifen der Unruhen auf die benachbarten Hütten- und Kohlenreviere. Die Regierung soll beschlossen haben, mit Hilfe einer stärkeren Militärmacht die Ruhe wiederherzustellen. Es ist auffallend, dass die japanische Presse bisher über die Vorgänge vollkommenes Stillschweigen bewahrt.
Am nächsten Tage liefen zwei Beschwerden im Bureau des Pressedienstes ein.


Die eine kam von der Korrespondenz-Arbeiterpresse, die einen groben Verstoß darin erblickte, dass die Nagasaki-Meldung nicht, wie das bisher üblich gewesen sei, ihr durch Ferndrucker übermittelt worden wäre. Dadurch sei für ihre Provinzabnehmer die Nachricht verspätet. Die Geschäftsleitung wies noch einmal darauf hin, dass wichtige Meldungen bis spätestens sieben Uhr abends in ihren Händen sein müssten, sonst würden diese für sie wertlos.
Die zweite Beschwerde war weit ernsterer Natur. Der Chef einer Frankfurter Weltfirma, die im Kupferhandel eine besonders überragende Stellung innehatte, schrieb eigenhändig aus seinem Privatbureau an die Direktion um Aufklärung über die japanische »Tatarennachricht, der sie wohl anscheinend zum Opfer gefallen sei.« Er bat um den Namen und die Adresse des Korrespondenten und erwartete persönlichen Anruf der Direktion im Laufe des Vormittags. Die Firma gehörte zu denen, die mit namhaften Beträgen den N.T.D. über Wasser hielten. Der Fregattenkapitän, der erst unlängst an die Spitze des inneren Dienstes für Boten und Redaktion berufen worden war, hatte dies der Fürsprache seines Vertrauensmannes jener Firma zu danken.
Daraus ergab sich folgendes: Die Nachtredakteure wurden vor den Fregattenkapitän beordert. Dort spielte sich ein fürchterlicher Auftritt ab, mit Toben und gegenseitigen Beschuldigungen und der Drohung sofortiger Entlassung. Dem Botenmeister wurde der strengste Befehl gegeben, nichts ohne Genehmigung des Kapitäns herausgehen zu lassen, und erhielt nach wenigen Minuten die schriftliche Kündigung ausgesprochen, als er sich erlaubt hatte, darauf hinzuweisen, dass dies schon seit Jahren der Fall sei und dass auch diesmal der Manuskriptspiegel dem Kapitän zur Kontrolle vorgelegen hätte. Gleichzeitig wurde eine Anzahl Boten entlassen. An den Korrespondenten in Rotterdam ging ein langes Telegramm ab, das außer allerhand Drohungen und Beleidigungen die dringendste Bitte aussprach, Näheres über die Nagasaki-Meldung und vor allem die Quelle mitzuteilen. Die Zentrale wusste zwar, dass der Rotterdamer Korrespondent den inoffiziellen, nur an Privatleute gelangenden englischen amtlichen Telegraphendienst sich zu verschaffen gewusst hatte, denn sie selbst bezahlte ja hierfür die ziemlich erheblichen Kosten. Dann nahm der Kapitän seufzend den Hörer zur Hand, um jenes Gespräch mit Frankfurt zu beginnen - er hatte sich aber vorher auf seinem Merkblatt Notiz gemacht, dass japanische Meldungen für einige Zeit vorerst zurückgestellt werden. Er selbst hatte keine Ahnung von den Dingen, und da er ja nie wissen konnte, was dem einen oder ändern jener Finanzgrößen gerade passte, so hatte er sich abgewöhnt, überhaupt noch Interesse zu zeigen. Er las nicht mal die Zeitungen und war so lange sehr gut damit verfahren.
Der C.A. P. wurde ein höfliches Entschuldigungsschreiben gesandt, Vormerkung genommen und Abhilfe versprochen.

Aber der Chef des Welthauses in Kupfer hatte an diesem Morgen andere Dinge im Kopf, als sich mit diesem Blödling von Fregattenkapitän, wie er ihn gestern noch genannt hatte, zu beschäftigen. Die Welt stand kopf. Sein ganzer Informationsdienst schien außer Rand und Band. Er klingelte nervös jetzt schon zum dritten Mal nach seinem Sekretär. »Die Mappe«, schrie er dem Eintretenden zu, der zunächst ob dieses Tones ganz verdonnert stand. »Wollen Sie sich gefälligst eilen, Herr Doktor, es sind hier keine Studien zu machen. Sie verstehen nicht, was — Sie brauchen hier nichts Neues zu lernen, du meine Güte, Herr Doktor, ich muss wirklich bitten« - ein kurzes ärgerliches Lachen. Der junge Privatdozent an der neuen Akademie, die die Firma soeben gegründet und dotiert hatte, verbeugte sich. Ihm schien der Gesprächston doch schließlich nicht eben ungewohnt. Wer weiß, was dem Alten über die Leber gekrochen ist - mochte er denken. »Wollen Sie nur jetzt meine tägliche Informationsmappe holen?! Ich vermisse Sie schon seit Stunden.« »Ich bin dabei, sie fertig zu machen. Um zwölf Uhr wünschen Sie sie sonst vorgelegt« - damit verschwand er schleunigst. Der alte Generaldirektor trommelte auf dem Schreibtisch Sturm. Eben war von dem Violinvirtuosen, dem er eine Tournee durch Amerika bezahlte, nur um einigermaßen über die dortige Stimmung auf dem laufenden zu sein - auf die Berichte seiner offiziellen Geschäftsagenten konnte er sich schon lange nicht mehr verlassen -, von diesem Mann, mit dem er zweifellos, gestand er sich jetzt ein, einen guten Blick gehabt hatte, ein ganz merkwürdiges Kabel eingegangen. Das Blatt war zerknüllt, geglättet und wieder zerknüllt, ein reines Schicksalsblatt in seiner Hand. Los Angeles. 12./5. Bisher guten Erfolg gehabt. Obwohl das Publikum merkwürdig geknickt. Geldknappheit und Andrang an den Bankschaltern lassen auf ernste Zeiten schließen. Fremde werden schief angesehen, während sich so eine Art von Mobilisation vorbereitet, worunter auch meine Kunst leidet. Hearst-Presse still, gelbe Blätter beschäftigen sich zur Ablenkung mit Huropa, Arbeiterpresse Zensurlücken. Soeben erhalte Nachricht, dass mein heutiger Abend ausfällt. Eine ungeheure Menschenmenge auf den Straßen. Nachricht aus Utah eingelaufen, dass in dortigen Kupferminen Streik ausgebrochen. Man spricht von großen Unruhen, Sprengungen und japanischen Agenten. Ich fürchte, man wird Fremde ausweisen. Kabelt, ob Tournee unterbrechen.
War dieser Mann nun ein Phantast oder hatte der richtig begriffen. Zum Spaß schickte man solches Kabeltelegramm nicht in die Welt. Heute enthielt die Inlandspresse kein Wort über Amerika.
Der Doktor riss ihn für einen Augenblick aus seinen Kombinationen, die sich bereits zu ordnen begannen. Ein Grundgedanke hatte sich kristallisiert. - Handelt es sich um Japan oder um Kupfer. - Der Doktor schlug die Mappe auf. Der andere überflog die Ausschnitte aus den Zeitungen aller Länder, die Notizen seiner Bureaus, die Anmerkungen des Sekretärs, las die blau unterstrichenen Stellen, wandte sich zu den roten Sternen, die für seine besondere Aufmerksamkeit angeordnet waren. Er fand nichts und schien nicht übel Lust zu haben, dem Mann eine gründliche Abreibung zuteil werden zu lassen. Während der schon in sich zusammenkroch, beherrschte er sich. Er ließ sich eine Verbindung mit dem Ministerialdirektor Dr. X. im Auswärtigen Amt herstellen durch den Doktor. Das wird mich ablenken, dachte er. Der X. muss etwas wissen, sicherlich. Den X, hatte er unter großen Kosten dahineingesetzt. Der Doktor pöbelte mit dem Amt um die Verbindung. Das Auswärtige Amt blieb schwerhörig. Der Alte fing wieder an, in der Mappe zu blättern, und fiel ihm eine Notiz auf, ein Zeitungsausschnitt, der schon seinem Papier nach aus einer unbedeutenden Zeitung zu stammen schien, ein Blatt, das er bisher nicht für nötig gefunden hatte zu unterstützen, ein Arbeiterblatt mit obskuren Hintermännern. Dieses Blatt brachte einen knappen Nachdruck mit Quellenangabe über gewaltige Streiks in Australien. Ein Pariser Boulevardblatt, das ausgerechnet erst abends nach zehn Uhr erschien und damit schon seinen Leserkreis andeutete, sagt man, ein Blatt, das zudem sich in besonders hämischer Weise fortgesetzt an England rieb. - Wallstreet, munkelte man, das Onkelchen über dem großen Teich - dieses wenig saubere Organ wurde da von einem Arbeiterkäsblatt plötzlich aus dem wohlverdienten Dunkel in ein bescheidenes, aber nach Lage der Dinge nicht ungefährliches Licht gesetzt. Der Alte blätterte noch einmal alles fieberhaft durch. Nein, seltsam, nur dieses Blatt brachte die Notiz. Er sah plötzlich den Doktor dankbar und lauernd an. Dann las er noch einmal Wort für Wort.
Paris. 12./5. Wie uns ein gelegentlicher Mitarbeiter soeben mitteilt, enthält die heutige Ausgabe des L'oiel de Paris die sensationelle Mitteilung, dass in nördlichen Distrikten Australiens ein großer Minenarbeiterstreik ausgebrochen ist. Es soll zu heftigen Zusammenstößen mit der Grubenpolizei gekommen sein, die schließlich aufgerieben wurde. In den Kupferdistrikten sind die Arbeiter Herren der Lage. Die Hafenarbeiter von Brisbane, Melbourne, Sidney und Adelaide haben sich mit den Streikenden solidarisch erklärt. Wir können noch mitteilen, dass, obwohl die Meldung noch unbestätigt, sie doch aller Wahrscheinlichkeit den Tatsachen nicht voraneilen dürfte; denn die Situation in Australien war seit langem gespannt. Der Minerstreik ist von uns schon längst als unmittelbar bevorstehend gemeldet worden.
Der Generaldirektor sah ordentlich erschreckt auf, als ob jemand seine Gedanken hören könnte. Also das war es, Japan und der Krieg. Japan zieht den ersten Stein - und ich Esel bin noch auf Kupfer aus. (Es mochte vielleicht zum ersten Mal sein, dass dieser schlaue Fuchs sich so gründlich verrechnete.) Er schellte wie von allen Teufeln besessen, der Doktor lief auf den Korridor hinaus und rief. Endlich, und im Eiltempo, erschien der Bureauchef. »Die Londoner Kurse« - schrie der Gewaltige. Der zog gelassen die Uhr. Sein Engagement ging darauf hin, sich durch nichts aus seiner gemessenen Reserve bringen zu lassen, zog die Uhr und sagte kühl: »Es ist soeben elf Uhr zehn. Zehn Minuten nach Beginn des offiziellen Verkehrs. Vor dreiviertel zwölf sind die ersten Notierungen nicht hier.« »So, nicht hier« - schrie aber der Alte weiter, »nicht hier, sagen Sie« — dann verschluckte er sich - »entziehen Sie sofort den Postbeamten ihre Gratifikationen. Ich denke gar nicht mehr daran, diesen Lümmels« - darauf stürmte er hinaus. Die beiden Herren sahen ihn hinüber ins Bureauhaus laufen. Er schritt direkt ins Kontor, wo er sich nur bei Jubiläen der Angestellten und bei ähnlichen Gelegenheiten sehen ließ, so zum Beispiel, als damals Deutschland den Krieg verlor. Er hatte damals dem Gedanken nachgegeben, die denken vielleicht, das trifft mich. Sie sollen mein Gesicht sehen, und außerdem werde ich ihnen ein bisschen das Gehalt erhöhen - solche Sensationen verstand der Alte. Er hatte nicht umsonst schon manchen Trust kommen und verschwinden sehen. Von Kometen hielt er nichts. Im Kontor wusste man sein Erscheinen auch zu würdigen. Obwohl er nur beim Direktor vorsprach, aber durch die langen Säle, wo die Menschen in Reihen Pult an Pult saßen, so dass sie sämtlich vom Eingang her ein Aufsichtsbeamter übersehen konnte, beinahe so scharf, dass er sehen konnte, was der einzelne schrieb und notierte - flüsterte alles, drehte und rückte sich, und eine gewaltige Stille tat sich auf. Dann flogen die Orders. Telegramme und Kabel wurden ausgefertigt. Die Stenotypisten verteilten sich in die Kojen. Die Disponenten besetzten die Telefone. Drinnen hatte der Alte seinen Stab Direktoren um sich versammelt. In einer Stunde war sein Haus in allen Weltplätzen der Situation voran. Konnte sein, wenn alle Herren ihre Pflicht taten. Der Chef der Firma hatte sich für den Krieg entschieden.

Am Spätnachmittag bekam der Chef des Hauses seinen ersten leichten Schlaganfall. Neuyork meldete Kursstürze. Kursstürze - verbreitete der N. T. D., die den Neuyorker Börsenbericht ziemlich im Monopol hatte. Waren aber auch Außenseiter, und vor allem diese Vorgänge da drüben werden sich die Blätter nicht entgehen lassen. Vorn in den politischen Teil gehört das, auf die erste Seite - das sagte sich unser Mann sofort. Mochte der N.T. D. noch so sehr bremsen, auf seine Veranlassung, er hatte inzwischen schon das fünfte Gespräch mit diesen Leuten. Denn ihm hatten sie von drüben noch ganz anders gekabelt: Deroute, vollkommene Deroute. Große Häuser sind niedergebrochen wie Streichhölzer und schienen auf Eisen zu stehen. Panik geradezu — und er hatte das vormittags schon gesehen, er allein hier am Platz. Die Leute drüben, Namen, die man hier nur mit Hochachtung nennt, haben sich geprügelt, die Haare gerauft und geweint und geschrieen wie kleine Kinder, als sei der Weltuntergang; höchst würdelos haben sich die Yankees benommen, alles das stellte unser Mann fest. Aber immer wieder kam er auf den einen Gedanken zurück: Wer hat das da drüben gewusst. Einer und dazu ein Gewaltiger muss es sein, der auch Wallstreet zu halten versteht, nur ein ganz Großer kann das, noch dazu bei diesem Sturm — dieser eine weiß, wie die Karten liegen, er hat sie schon in der Hand gehabt, als er hier in Frankfurt sie heute mittag erst aufgenommen hatte. Das konnte ein gefährliches Risiko werden, wie er noch nie eins gehalten hatte bisher. Stand auch alles noch grandios für ihn, über alle Berechnungen gut — dieser unerwartete Sturz ließ morgen London, das heute noch fest geblieben war, so dass er seine Baisseengagements glatt unterbringen konnte, Paris, wo er deutsche Schatzwechsel gekauft hatte, Berlin, Mailand und alle die kleineren Plätze folgen. Er hatte Millionen in dieser Stunde verdient, aber daran lag es ihm nicht, war die Richtung sicher genug? Es schien, alles deutete darauf hin - aber der geniale Spieler hat Ahnungen. Dafür hatte er zuviel gearbeitet, um zu begreifen, nichts fällt einem in den Schoß. Es ging, als hätte er nur auf den Knopf gedrückt, dabei hatte er nichts getan, wenigstens drüben nicht. - War das Japan? Das war die unheilschwangere bittere Frage, die ihm immer wieder aufstieg. Da wurde die Drohung zum ersten Male Wahrheit. Der Gedanke bohrte und bohrte, als ob er irgendwo eine Verankerung, die den Mann am Boden hielt, lösen wollte. Und schon fühlte sich der auch schweben. Er schwebte. Die Augen wurden so dick und begannen zu kugeln. Die Hand, mit der er so vieles zu lenken gewohnt war, wurde schwerer und schien im Gelenk wie abgeschnitten. Das Gesicht zog sich krampfhaft zusammen, ging dann wieder auseinander, man fühlte ordentlich, die Backen blühen auf, blähen sich, die Stirn weitet sich, alles will weiter auseinander gehen - der Kopf, da zog sich mit einer unsagbar schweren, harten Willensanspannung noch einmal alles wieder zusammen, konzentrierte sich und wurde pfeilspitz auf den einen Gedanken: da nebenan, im Exzelsiorhotel - ah, das ist das, das sind die gottverdammten Neger im roten Frack, die Negerkapelle, die der Manager besorgt hat, diese Violinen, jetzt schmeißen sich die ersten Violinen zusammen, alle schwirren sie oben und drücken runter, ein Netz werfen sie über und drücken nach und immer tiefer, über Augen und Mund, den verfluchten Rag, die Neger im Frack, ah - der Manager und Utah - darin fiel der Mann vom Stuhl.
Er besaß eine erstaunliche Geistesgegenwart. Als er wieder zu sich kam, das erstaunte Personal und vor allem die treuen Familienmitglieder um sich, die man vorsorglicherweise sofort benachrichtigt hatte, zwei Söhne, der eine verblödet und beide ziemlich runtergekommen, der Alte hatte mit der eigenen Kraft für sich selbst zu sehr gespart, und eine verwachsene Tochter, das Lieschen — standen schon alle um den Alten rum und probten würdige Haltung. — Als der die Augen aufschlug, war ihm ganz wohl. Er befahl, den Hotelmanager zu rufen.
Am ändern Morgen erschienen die großen und gut bedienten Tageszeitungen mit großen Überschriften, wie: Spannung zwischen Amerika und Japan; Ernste Stimmung in Washington; Riesendemonstration in San Franzisko; Japanische Agenten in der amerikanischen Kriegsindustrie entlarvt; Japanische Bomben auf die Utah Coppes Company - das war vorerst genug, um auf dem Kontinent einen Sturm zu entfesseln. Das offizielle Regierungsorgan schoss dabei den Vogel ab, es brachte mit vergleichender Statistik einen Übersichtsartikel über die militärischen und maritimen Kräfte der Gegner und zugleich eine Karte der Philippinen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass dort voraussichtlich der erste Zusammenstoß leichter Seestreitkräfte zu erwarten sei. Dann folgten einander Kabel und Telegramme Schlag auf Schlag. Die Mittagspresse arbeitete schon mit Sonderkorrespondenten, für die bekannte Schriftsteller oder der bisherige Chefredakteur ihre Namen herleihen mussten. London brachte allerdings nur Citymeldungen, doch wirkten diese gerade in diesem Zusammenhang auf das Gesicht der Morgenpresse folgend außerordentlich. Der Neuyorker Börsenbericht bereitete die gleiche Panik an der Londoner Börse vor. Stützungssyndikate wurden gebildet. Ein Korrespondent wusste sogar schon zu melden, dass in den frühen Morgenstunden in den Foyers der Fremdenhotels amerikanische Bahnenwerte, wie Reading, Illinois Central und St. Paul Missouri Beific, von würdigen Gentlemen feilgeboten wurden zu jedem Preis, wohingegen Steels und Kupferwerte bis auf weiteres von dem regulären Handelsverkehr ausgeschlossen sein sollten, da die Börsenkommission sieh heute, hieß es, weigern würde, einen Kurs dafür festzusetzen. Ein anderer, ein anscheinend Citykundiger, berichtete von der Sensation, dass ein überstarkes Angebot an englischen Minenwerten vorliege und dass am Platz Zahlungseinstellungen zu befürchten seien. »Die City kopflos«, war das Schlagwort, »England unter dem Druck der amerikanisch-japanischen Krise. Ist England bündnispflichtig?« Paris und die kleineren Plätze boten englische Anleihen an. In deutschen Schatzwechseln vollzog sich rege Nachfrage. Das Geschäft konzentrierte sich dann auf Paris, das große Posten abgab und damit zugleich seine Verluste an Konsols und Amerikanern deckte. Man atmete auf, dass Japan noch vor Jahresfrist seine letzten Anleihen zurückgekauft hatte. Unverkennbar schien für Berlin ein Umschwung zu kommen. Der Spekulationsmarkt war zwar flau, zum Teil ebenfalls derangiert, dafür aber Anleihen fest. Die stürmische Nachfrage steigerte sich noch über Schluss hinaus.
Nun griff eins ins andere. Reuter übernahm die Zusammenstellung der Presse, die der N. T. D. lieferte. Das gab für London den erwünschten Aufschluss eines anfänglichen Rätsels. Die Northclifbiätter taten das ihre hinzu, man wird sich von den Germans nicht zuvorkommen lassen. Die Regierung, hieß es, hat bisher gezögert, den wahren Sachverhalt im Hinblick auf den verantwortlichen Ernst wichtiger Entscheidungen im Schoß des Kabinetts usw. -mitten hinein verwoben dann die N. T. D.-Meldungen. Havas hatte noch bisher gezögert, sie verhielt sich sehr kühl, bis allerdings die Londoner Abendblätter keinen Zweifel mehr ließen. London, das sichtlich nervös geworden war, meldete bereits Tote und Verwundete. Eine Demonstration der Friedensliga im Zusammenstoß mit der Liga zur Bekämpfung der Übergriffe der gelben Rasse. Negerkrawalle in Liverpool gegen Amerika. Havas schwenkte ein und gab damit dem N.T.D. neuen geheimnisvollen Stoff. Beratungen über Kontinentalbund, England als Vermittler einer französisch-deutschen Annäherung, England braucht den Rücken frei, Andeutungen über Andeutungen. Berlin im Fieber. Frankfurt dagegen eisig still. Der Chef, der nachts arbeiten wollte, hatte bei Bürgermeister und Polizeichef strengste Ruhe ausgebeten. Eine Blamage war natürlich mit untergelaufen, und die misstrauische Havas hatte sie geschluckt. Die Niederländische Telegraphenagentur meldete, und dazu hatte man den Holländern ihr eigenes Kabel gelassen, Skandal so was; die N. T. D. meldet das folgende:

Tokio. 12.7. (Verspätet eingetroffen.) Die repräsentative amerikanische Baseballmannschaft der Clixton-Universität aus Ternoc im Staate Alabama ist hier eingetroffen und mit großer Zuvorkommendheit von den kaiserlichen und städtischen Behörden empfangen worden. Am Kai und in den auf dem Wege zum Hotel führenden Straßenzügen hatten sich Zehntausende von Menschen aller Berufsklassen eingefunden, die die in geschlossenem Zuge marschierende amerikanische Mannschaft mit jubelnden Zurufen begrüßten. Begeisterung rief es hervor, dass zum ersten Male wohl in der Geschichte Amerikas auch Schwarze in der Mannschaft vertreten waren. Es machte auf die Menge als Symbol der Rassenversöhnung einen überwältigenden Eindruck. Dicht vor dem Hotel wurde die Polizeikette von der Masse durchbrochen. Die jungen Athleten, die in ihrer Frische und Unbefangenheit einen wirklich vorzüglichen Eindruck auf die anwesenden Europäer hinterließen, wurden einzeln auf die Schultern gehoben und im Triumph ins Vestibül getragen. Die Begeisterung der vielen Tausende war unbeschreiblich. Die Amerikaner werden hier gegen eine ausgesuchte Mannschaft der Militärakademie spielen, der hohe Gewinnchancen eingeräumt werden. Die Amerikaner sind hier das Gespräch des Tages. Die kühnsten Kombinationen über die Festigung einer dauerhaften amerikanisch-japanischen Freundschaft sind im Umlauf und werden jedenfalls von der breiten vorurteilslosen Masse gern aufgenommen.
In der amerikanischen Presse traten die gewohnten Baseballausflüge in den Hintergrund. Schon gar die Clixton-Mannschaft, die sich in ihrer Zusammensetzung mit Farbigen einen sozialistischen Charakter gab. Die große Presse lächelte darüber. Und das besagte alles; denn es gab nur noch drei große Zeitungen in Amerika, und die waren in einer Hand, wenn auch mit Nuancen. Alle anderen waren lediglich Kopfblätter. Überhaupt brachten die Blätter nur Meldungen, knapp und schlagend. Die Tendenz machten sich die Leser selbst, seitdem der Arbeiter das Hauptkontingent stellte. Es war daher eine verteufelt schwierige Aufgabe, Politik zu machen. Aber ein amerikanischer Journalist seit Roosevelt kennt keine Schwierigkeiten. Die Börsenberichterstattung ist an Interessenten verpachtet. Der Krach am dreizehnten Juli brachte daher keine einheitliche Auffassung. Von den Vorgängen in Utah schienen sowohl Staatsdepartement wie Trusts überrascht, die Presse hatte noch keine Weisung, der Direktionschef des »Harald« aber seinen Urlaub abgebrochen. Das war das einzige, was die Leser an jenem denkwürdigen Morgen erfuhren, an dem in Berlin und Frankfurt bereits die Entscheidung über Amerikas Schicksal gefallen schien. Die ersten Nachrichten kamen über London. Der ersten Verblüffung über die ungeheure Niederlage, der die amerikanische Presse zum Opfer gefallen war, folgte die einstimmige Entschließung aller dabei beteiligten Kräfte, dem dafür Verantwortlichen eine exemplarische Bestrafung zuteil werden zu lassen. Im Weißen Haus residierte seit einigen Monaten ein Unterstaatssekretär für die öffentliche Meinung, den die Trusts dem Präsidenten auf die Nase gesetzt hatten. Dieser Mann musste entweder verrückt geworden sein oder ein gar perfides Spiel treiben. Das Messer, mit dem man gegen ihn an wollte, wurde sehr vorsichtig geschliffen. Zunächst allerdings hieß es zugeben, dass man gehandikapt sei. Der junge Roosevelt im »World« brachte die Photos von elf Japanern, die er selbst an der Grenze von Wyoming eingefangen und eigenhändig aufgehängt hätte. Es wären Agenten gewesen, denen er wichtige Dokumente habe abnehmen können. Die Dokumente seien vorerst der Regierung übergeben, die entscheiden würde, was daraus für die Öffentlichkeit schon jetzt von Nutzen sei. Doch sei die Aufgabe der Presse, eine berechtigte Unruhe nicht übermächtig werden zu lassen zum Schaden der eigenen Wehrkraft und so und man halte sich daher noch zurück. Soviel könne aber verraten werden, dass diese Individuen auf dem Wege nach Virginia gewesen seien, um die dortigen Kohlenschächte zu sprengen.
Somit hatte man allein an dieser Nachricht wenigstens vierundzwanzig Stunden Vorsprung vor den kontinentalen Bureaus. Der »Harald« trumpfte drei Stunden später weiter mit der Meldung: Kriegsrecht in Pittsburg, Jagd auf die Japaner. Nun kamen die Demonstrationen in San Franzisko und Los Angeles ins rechte Licht. Chinesen und Japaner rotten sich zusammen. Brände längs der Küste. Die gelbe Katze duckt sich zum Sprung. Geheimnisvolle Rauchsäulen im Golf von Mexiko. In allen Tonarten ging das fort. Nach zwei Tagen schwoll das Echo vom Kontinent an. Der amerikanische Gesandte in Wien ließ einem Interviewer gegenüber eine Fanfare vom Stapel. So flink und weltbekannt früher die Journalisten in Wien gewesen sein mögen. Sie waren längst vergessen. Ein Mann aus einem Obststädtchen in Kentucky, der den Sport eines eigenen Blattes betrieb, erboste sich darüber, dass der Gesandte nicht den Mut hätte, in Tokio selbst seine Meinung zu vertreten. Er hielt Wien für einen kleinen Jachtplatz am Stillen Ozean. Unser Mann sandte seinen Protest durch Rundtelegramm an 1200 Kollegen. In 2000 Papers erschien noch in derselben Nacht dieser Protest. Niemand hatte Zeit, darüber nachzudenken, ob der Mann im Recht war. Jedenfalls hatte er das Herz am rechten Fleck. Am dritten Tag sammelte sich in Washington ein Zug von einigen Tausend, die nach dem Weißen Haus zogen, Aufklärung zu verlangen. Es war ein unerhörter Zustand, schien es, dass die Regierung immer noch schwieg - sie zogen zum Sekretariat des Auswärtigen, wo gerade der Presseminister flehentlich um Auskunft bat. Die Chiffres häuften sich bergeweise. Tausende von Erfindern drahteten und funkten alle ultimativ. Die Regierung übersah die Lage bei weitem nicht. Der Präsident hatte sich geweigert, den japanischen Botschafter zu empfangen, der um eine dringliche Unterredung nachgesucht hatte. Man wird jetzt wahrscheinlich eine Note empfangen, erwartete man. Darauf war man vorbereitet. Gott sei Dank, damit konnte endlich die Regierung an die Öffentlichkeit raus. Aus Tokio keine direkte Nachricht, alltäglicher Eingang. Der Professor, den man drüben hatte, schlief oder war schon umgebracht. Nichts als Sekretärpost. Verzweifelte Lage. Eben kamen wieder Boys mit Kasten von Telegrammen. Das ganze Land verlangte energisches Eingreifen. Einer schob im Kabinett die Schuld auf den ändern, der ihm das Material vorenthalte. Der Kriegssekretär ließ sich überhaupt nicht sprechen. Es hieß, er sei zu dem Herd der Unruhen abgereist. Damals - war schon bald fünf Tage her. Und Unruhen gibt es in Amerika nicht, solange die wahre Demokratie herrscht, versteht sich. Aber die Leute auf den Straßen da unten sahen ungemütlich aus. Schrieen und schwenkten drohend die Demonstrationsfähnchen. Ah - den Presse Sekretär will man sprechen. Der Ärmste wurde auch auf die Rampe geschoben. Waren aber schon welche von unten gleich bei ihm. Die hielten ihm nun die Faust unter die Nase, ob er jetzt reden wolle. Aber der Mann war eigentlich knapp von der Hochschule weg. War mehr ein Gelehrtentyp, teutonesk, und schien ein bisschen schüchtern. Denn ihm hatten sie da drin auch nichts gesagt. Kam also über das Stottern nicht hinaus. Und als er schließlich zum besten gab, ihm sei von dem Ultimatum, das soeben an Japan abgegangen sei, nichts bekannt, da verliert selbst der Ruhigste im trockenen Amerika die Geduld. Und der Mann wurde denen unten zur Beförderung übergeben. Ein paar Minuten später hing er schon.

Diese Tage erlebte man in Europa in fieberhafter Unruhe. Solche Meldungen von Lynchjustiz und alles das, was jetzt von drüben kam, war Selbstverständlichkeit. Mehr wollte man wissen, mehr - oder wurde verschwiegen, dass japanische Unterseekreuzer bereits auf der Höhe von Havanna gesichtet worden seien? Der Inhalt der Presse wurde fade und abgestanden. Alles das interessierte die Börsenjobber, die Leute, die ihre Wechsel ausstehen hatten, war für die Geschäftsmacher. Das Volk aber und die wenigen, die darüber sprachen in repräsentativen Stellungen, die hatten alle eine bestimmte Meinung über das, was sie Volk nannten - das Volk aber will endlich die Wahrheit hören und vor allem Tatsachen. Und die Presse bemühte sich nachzuweisen, dass im Moment der höchsten Spannung, sagen wir innerhalb der Frist des Ultimatums, diese Tatsachenstille einzutreten pflegt. Die Kabinetts bleiben zunächst noch unter sich, heißt das. Und wirklich, eine ungeheure Betriebsamkeit entwickelte sich in den Regierungskabinetten. Die Chiffres gingen von Gesandten zu Gesandten und warfen immer größere Fragen auf. Überall erwies sich der Informationsdienst als durchaus mangelhaft und unzuverlässig. Spione und Delegationen, Spezialkuriere wurden reisefertig gemacht. Es macht den kläglichsten Eindruck, wenn eine Regierung ausschließlich auf Kombinationen angewiesen ist. Dazu kam die tiefe Verstimmung, die, man kann sagen allgemein, das Vorgehen Japans ausloste. Besonders die deutsche Regierung war peinlich überrascht. So gelegen es war und ein Punkt ihres Programms, gestand man sich, man war nicht darauf vorbereitet. Der Auslandsvertreter hatte keine Vollmacht, über etwaige Bündniskonstellationen zu verhandeln. Die Stimmung der Öffentlichkeit nicht geschult genug. Man hatte Mühe, jener allzu stark zur Schau getragenen Solidarität der weißen Rasse entgegenzuwirken. Ausgerechnet ein deutsches Blatt musste die Taktlosigkeit begehen, die Phrase von der gelben Gefahr aufzuwärmen. Die Regierung machte sich Sorgen. Sie waren unzuverlässig, die neuen Freunde - der japanische Botschafter hatte noch nicht mal für notwenig befunden, sich in der Wilhelmstraße sehen zu lassen, und aufsuchen konnte man ihn doch auch nicht, das war doch klar - wollte man nicht jedes Prestige einbüßen.
Bis auf Paris also, wo man über die Bestürzung, Deutschland sich aus allerhand Vertragsmaschen entwinden zu sehen, eine einheitliche Haltung einzunehmen vergaß, war die alte wie neue Welt - wie auf einen Draht aufgezogen. Man verschlang die alten Nachrichten und fieberte nach neuen, und das Gesicht war überall gleich. Natürlich nur, was die so genannte öffentliche Meinung anlangte, die die Politik macht. (Die wahre Arbeiterpresse dringt nicht in den Gesichtskreis eines Menschen von öffentlicher Bedeutung.) Nur in St. James Palaze, wo ein für England unvermeidlicher Churchill wieder die Geschicke des Imperiums leitete, warf man mit unheilschwangeren Mienen nur so um sich. Dort häuften sich die allerseltsamsten Telegramme, man darf ruhig sagen, die unerhörtesten seit Bestehen Old-Englands. Diese Kabelmeldungen und Berichte und Funksprüche, die allerdings allein in der Welt wirklich ihren tatsächlichen Geheimschlüssel hatten, waren nicht dazu angetan, in den allgemeinen Taumel zu verfallen. Sie verlangten allernüchternstes Denken, Entschlossenheit und weiten Blick. Churchill sagte sich immer wieder, in diese Dinge kann man das Kabinett nicht einweihen, dann weiß es morgen halb London. Er brütete über diesem Berg, nur von wenigen Vertrauten umgeben, die, im Dienst jenes seltsamen Amtes ergraut, noch schweigsamer geworden waren als der Chef. Und noch ehe Herr Churchill sich zu dem Gang entschloss, der nicht aufgeschoben werden konnte und wo er seine Meinungen über die ihm zugegangenen Berichte zusammenzufassen hatte, ordnete er die strengste Zensur an. Er trug sich für einen Augenblick mit dem Gedanken, die Presse überhaupt zu verbieten. Aber es wäre aufgefallen, und ein Setzerstreik war nicht in die Wege zu leiten, gerade in dieser Situation. Man zweifelte ernstlich an Churchills Verstand, als er, wenn auch nur andeutungsweise, schließlich gezwungen war, den Mund aufzutun. Es waren ja nur seine engsten Ministerkollegen. Man bemitleidete ihn standesgemäß und bereitete unauffällig nach außen das Revirement vor.
Aber auch in Frankfurt saß einer mit schweren Sorgen. Die Nachrichten aus Japan blieben aus. Wie von der Erdfläche verschwunden. Der N.T. D. hatte keinerlei Information. Es stellte sich bald heraus, dass auch der englische amtliche Dienst sich völlig ausschwieg. Nach dem Reinfall der N.T.D. trauten sich auch die kleineren Agenturen an japanische Meldungen nicht heran. Und was schließlich irgendwo weiß Gott woher durchgesickert war, das schien so hanebüchen, dass es die Kundigen nicht anfassten, nicht mal gerüchtweise weitergaben - wozu sich die Finger verbrennen? Die wenigen in Europa, die per Zufall etwas erfuhren, schwiegen wie das Grab. Jedem war seine Stellung zu lieb, versteht sich, waren auch untergeordnete Presseleute. Nur der Chef des Frankfurter Welthauses erfuhr nichts. Gestern hatte er noch ein Kabel nach Japan gejagt. Es war vielleicht die größte Unvorsichtigkeit seines Lebens. Da war früher in Yokohama eine seiner Tochtergesellschaften. Im europäischen Kriege hatte er mit seinem eigenen Gelde diese Gesellschaften von sich frei gekauft, um sie nicht in die Hände der Engländer fallen zu lassen. Die neue selbständige japanische Gesellschaft Okama Ltd., sodann seine eigenen Südseebesitzungen, seine australischen Minen für Japan requestriert und später in der Liquidation zugesprochen erhalten. Es war sicherlich die abgefeimteste Transaktion seines Lebens gewesen. Eine Nachricht aus seinem Haus an Okama konnte, aufgefangen von den Jingos, alles zunichte machen, aber Stunde um Stunde war vergangen, ehe er sich entschloss — lieber das Risiko dort vermehren, wenn er nur Nachricht hatte, sichere Nachricht. Schon mehr als vierundzwanzig Stunden waren darüber hin, und keine Silbe. Das Leben, schien es, wurde ihm zu schwer. Er hing mit dem Oberkörper vornübergebeugt in seinem Schreibtischstuhle und lauschte. Einmal musste doch der Tritt des Botenmeisters kommen, der in der Telegrammaufnahme stationiert war. Alle andere Post und Besuche hatte er sich verbeten.

In dieser Haltung sah ihn Mr. Hopkins aus Boston. Wie sein Gegenpol. Hopkins hatte gerade sein Weizen-Corner in Gang. Er wusste sonst alles, was in der Welt war - aber hier war er, scheint es, draußen. Er rechnete und rechnete. Wog jeden einzelnen Menschen. Unten tanzte man im Klub. Er stieg noch höher. Er bestellte Cocktail, dann Champagner, dann Whisky. Ohne Widerrede bestellte er, er hätte den Boy niedergeschlagen. Jetzt in dieser Lage durfte man ihn, Hopkins, nicht Trockensetzen, wonach die Temperenzler jammern und die Gesetzemacher. Trocken hatte er den Farmerbund soeben zuwege gebracht. Sicherte Amerika in der Welt den ersten Platz, dieser Bund. Würde sich mit den kontinentalen Industrien verbinden gegen einheimischen Düngemitteltrust. Später kam dann der Stahltrust dran. Das hatte Hopkins vorausschauend geschafft. England schien ihm eine Fliege, Old-England wird allein sein ägyptisches und australisches Brot fressen. Nein! Er, Hopkins, hatte den Weltmarkt in der Tasche. Bloß die Namen, die Namen - da greift man zum Schnaps. Man sieht Gesichter dabei - und Hopkins, der nicht umsonst einen Kurs in Telepathie mitgemacht hatte, brauchte das, sogar sehr - sah den Chef da in Frankfurt. Nur der Name, das war verteufelt. Er kam nicht vom Weizen los. Dreyfus dachte er, Dreyfus in Paris, aber er wurde auch nicht die Weizenfirma, ein anderes Welthaus, und er rechnete und grübelte — ah, jetzt hatte er's. Dieser Mann also machte das, alle Wetter, hätte man sich gleich denken sollen, natürlich Kupfer - und er sprang auf und tanzte im Salon, dass die unten erschreckt zusammenfuhren. Eine Verlobung kam zustande. Aber dann blätterte der oben höchst eigenhändig in Almanachen und Registern. War ihm noch nie passiert, so sich selbst zu bemühen. Lächelte dabei pfiffig, Hopkins in Amerika voran. Kam gerade noch zurecht, sich dem Frankfurter Weisen anzuschließen. Famoser Mann das, grübelte er wieder. Denn er war doch nicht sicher, dass er ihn in den Ring hineinließ. Dann hatte er gefunden. Und er trug selbst jenes Kabeltelegramm zur Post, das in Frankfurt erlösend einschlug und dem Alten einen Hoffnungsseufzer abnötigte: »Treffe zur Woche in San Sebastian mit vier Rennjachten Sonderklasse ein. Kabelt, ob Frankfurter Jachtklub und wie hoch teilnimmt. Hopkins.« Die Antwort lautete: »Unser Londoner Vertreter sucht zur Stunde Pilkin Brothers auf.« Der Alte klopfte seinem etwas blöden Sohn wohlwollend auf die Schulter. Das war eine famose Idee von dir, diesen Klub zu gründen. Großartig. Dem Manne hat's den Weg erleichtert. Pilkin wird das übrige tun. Pilkin war ihr gemeinsamer Transportagent. Das klappte. Endlich hatte er wenigstens den Mann in Amerika. Er fühlte sich auf seinen eigenen Erfolg stolz. Also hatte der ihn drüben auch schon gemerkt. Er lud ihn ein. Jawohl, sie werden vereint vorgehen. Oho, er war gewiss noch bündnisfähig. Vorgestern wäre er vielleicht sinnlos geworden vor Stolz und Unternehmungslust. Diesmal war's ein Spiel um die Welt. Aber jetzt blieb die dunkle Wolke im Osten. Aber Hopkins' Nachrichten, tröstete er sich. Abends höre ich alles von Hopkins selbst.

Der Mann wartete und wartete. Wieder ging ein Abend und eine Nacht rum.
Früh brachte jemand die Anstandszeitungen, die ihm jetzt nachts zugetragen wurden. Er griff den »Matin« und schmiss ihn mit einem Fluch in die Ecke. Langweilig. Unter den Neuigkeiten führte dieses Blatt folgendes an der Spitze:
Japan lenkt ein. Der amerikanische Botschafter höflich in Tokio empfangen.
Die Unruhen in Australien nehmen ernsten Charakter an.
Barrikaden in Philadelphia. Die Friedensfreunde bewaffnen sich.
Die Hereros stiften dem internierten Kaiser Wilhelm II. eine silberne Säge.
Kriegslust unter den deutschen Veterinären. Straßendemonstration in Berlin vom Jungfrauenorden »Unser Kronprinz«.
Deutsche Agenten in Mexiko von Japanern ausgewiesen.
Japan bereitet einen Schritt zur Kolonisation Niederländisch-Indiens vor.
Rücktrittsabsichten des englischen Außenministers.
Eine neue Anleihe für Marokko.
Professor Dulban über die Hysterie des Alterns.

Dann aber traf jenes unheilvolle Kabeltelegramm ein. Oder nein, wenige Minuten später kabelte der Bürochef die Nachricht aus London: Pilkin erscheint im Laufe des Nachmittags persönlich. Im Auftrage Mr. Hopkins' aus Boston. Der Alte lächelte schwach. Beunruhigt sogar, so etwas zeigt man aber nicht. Wollte wahrscheinlich ihn aushorchen, und hatte selbst, zur Stunde wenigstens, keine Waffen in der Hand. Der Bureauchef gestattete sich, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass soeben ein Gerücht verbreitet sei, Japan habe die Beziehungen zu Amerika abgebrochen. Aber der Alte blickte starr geradeaus, fast ohne Bewegung. Schon damals, sagte man später, muss die Lähmung eingetreten gewesen sein. Dann kam der Boy mit dem Telegramm. »Yokohama«, las der Chef und winkte ab - dort stand auch Okama Co. »Es ist gut!« knirschte er unter Aufbietung aller Kraft. Er wollte den Zuhörer los sein. Aber da fiel er auch schon hin. Diesmal hatte der Schlag besser getroffen. Dieser Mann stand nicht mehr auf.

Okama meldete: Direktion nicht mehr in Yokohama anwesend. Dies wie Nagasaki und Kobe von der Regierung bereits aufgegeben. Um Tokio wird gekämpft. Die kaiserliche Familie nach den Philippinen unter amerikanischem Schutz. Von den Gesellschaften ohne Nachricht. Vielfach unter Verwaltung der aufständischen Arbeiter! Kabelt, ob deutscher Konsularschutz angerufen werden kann, sonst eventuell hiesige Firma nicht zu halten.

An diesem Tage wartete in Europa die Menge auf den Straßen auf die Bekanntgabe der Kriegserklärung. Überall zogen starke Trupps von Demonstranten aus den Unbeschäftigten aller Berufe, die den heiligen Krieg der weißen Rasse demonstrierten. In den Kaffeehäusern wurden Wetten abgeschlossen. Die Spannung stieg bis tief in die Nacht, um am nächsten Morgen einem furchtbaren Katzenjammer Platz zu machen. Die Morgenblätter brachten noch nichts Neues. Nur Paris meldete, dass über einige Teile Englands der Belagerungszustand verhängt worden sei. Aber auf das, was das skeptische und boshafte, jetzt so verärgerte Paris meldet, kann man da etwas geben -?
Aber Schluss damit! Weiter! Die Katastrophe für die bürgerliche Welt war hereingebrochen.
Am gleichen Morgen, noch in den ersten Stunden nach Mitternacht, in denen die politische Polizei der vereinigten Königreiche erfahrungsgemäß im tiefsten Schlafe Hegt, brachte der in Glasgow erscheinende »Worker« eine Sonderausgabe heraus, die auf diese Weise der drohenden Beschlagnahme entging. Unter phantastischen Abenteuern, die ein anderes Mal erzählt werden sollen, war der Vertreter der schottischen Arbeiter in Moskau, Comrade Carteret, von Petrograd nach Glasgow zurückgekehrt. Der »Worker« brachte ohne weitere Beiworte und Ausschmückungen Carterets Bericht.
Seit dem 10. Juli waren die Vertreter der Arbeiterorganisationen fast der ganzen Welt im Moskauer Haus der Gewerkschaften versammelt und tagten in Permanenz, um sofort zu jeder Veränderung der Lage Stellung nehmen zu können. In der Tat wurde auch die Lage kritisch in der Nacht zum 11. d. M., als die Nachricht einlief, die japanische Regierung hätte vor den Verbänden kapituliert. In dieser Fassung wirkte der Funkspruch zunächst einen Augenblick verwirrend, und es hätte eine allgemeine Ratlosigkeit Platz gegriffen, hätten nicht die amerikanischen und australischen Vertreter sofort erklärt, davon keine Notiz nehmen zu können. Die Aufklärung folgte auch in den nächsten Stunden. Die Regierung hatte den Sekretär des Metallarbeiterverbandes aufgefordert, als Munitionsminister in das Kabinett einzutreten, und zwar mit außerordentlichen Vollmachten für die Arbeitsbedingungen. Bemerkenswert dabei war insbesondere, dass dieser Schritt direkt beim Verband erfolgt war, sozusagen also in die Hände der Arbeiterschaft selbst die Entscheidung legte. Eine Mobilisierung und eine Militarisierung der Metallarbeiter unter eigener Leitung konnte verschieden gedeutet werden, gewisse Vorteile lagen auf der Hand — es war ein kritischer Augenblick in der Tat. Im Laufe des Nachmittags aber lief die Meldung ein, der Verband weist die Berufung zurück, stellt seinerseits Ultimatum. Dann wussten wir oder wir fühlten es alle im Augenblick heiß emporsteigen, es würgte ordentlich - dass die Weltrevolution auf dem Marsch war. Der Schlag musste in den nächsten Minuten schon niedersausen. Wir sahen dankbar einander an, als hätte jeder von uns etwas Entscheidendes hinzugetan, und waren doch nur einfache Vertreter, die schlecht und recht die Meinung der hinter ihnen stehenden Massen wiederzugeben hatten. Es mag noch ein heißer Kampf im Schoß des japanischen Arbeiterverbandes vor sich gegangen sein. Wir hatten alle die deutliche Empfindung, als wäre ein Hauch davon über unsere Köpfe noch geweht. Daher nachher das Aufatmen nach der Lösung und der ganz unbeschreibliche Jubel, der erst langsam und schüchtern fast, als traute er sich nicht zu laut heraus, einsetzte und dann gleichsam zu einer chaotischen Orgie anschwoll. Ich werde nie vergessen den Anblick, den der japanische Vertreter bot. Man hat so oft auf unserm Stolze herumgetreten, dass dieser Ausdruck bei uns etwas in Misskredit gekommen ist. Viele Leute sagen, man solle sich schämen, stolz zu sein. Ich kann dem nicht mehr beistimmen. Dieser Japaner, nach einigen Sekunden des Zögerns, als müsse er sich erst zurechtfinden, strahlte dann vor Stolz, und er war schon anzusehen. Wir wurden ordentlich alle mit ihm stolz und glücklich. Es drängte uns, ihn zu umarmen und hochzuheben und in ein donnerndes Cheer einzustimmen. Dann sangen wir die Internationale, aber mir schien, wir waren zu sehr erregt, um sie mit Andacht auf uns wirken zu lassen.
Carteret gab sodann Bericht über die weiteren Ereignisse in der Reihenfolge, wie die Funksprüche in Moskau einliefen. Er schickte dabei noch voraus, dass man beschlossen hatte, bei der herrschenden Korruption im Nachrichtenwesen die Meldungen nur persönlich weiterzugeben. Es schien auch vorteilhaft für Europa, sagte Carteret, die Ereignisse sich ungestört abwickeln zu lassen und die nicht unbeträchtliche Schar vereinzelter Heißsporne nicht zu früh ins Feuer zu schicken. Die weitere Entwicklung vollzog sich wie folgt:
Die japanische Regierung schien nach der Ablehnung wie in sich zusammengebrochen. Jedenfalls greift sie weiterhin nirgends mehr aktiv ein. Das Mobilisationsdekret wurde vielfach nicht angeschlagen, und dort, wo es an den Säulen prangte, hielt man es für eine Fälschung. Die Kriegspartei war eigentlich schon wie über Nacht aus dem Lande verschwunden, als am Morgen des 12. Juli die Arbeiter in den Kupfergruben von Shon-jan-hun die Betriebe besetzten und mit ihrer Proklamation herauskamen, dass die Arbeiterschaft der Welt mit dem heutigen Tage die Kupferproduktion in ihre eigene Hand und Verwaltung genommen habe, um sich den Entscheid über Krieg und Frieden mehr als bisher praktisch zu sichern. Zur selben Stunde wurden die Gruben vorerst stillgelegt, um sich mit den amerikanischen und australischen Kameraden über die Bedingungen der Wiederaufnahme und der künftigen Verteilung vor erst zu verständigen. Der Widerstand seitens der Trustpolizei war gering, um so mehr, als man den Leuten für später Arbeit zusicherte und sie in einer ihnen zusagenden Weise weiterzubeschäftigen versprach. In den einige Meilen von Shon-jan-hun entfernten zentralen Artilleriewerkstätten legten zu gleicher Zeit die Arbeiter den Betrieb still, wobei es mit der Besatzung eines Überwachungsforts zu einem Feuergefecht kam, das auf beiden Seiten Opfer forderte. Die Arbeiter zogen unter Aufgabe der Werkstätten, um größere Verluste zu vermeiden, nach Shon-jan-hun. Inzwischen war auch in dem benachbarten Kohlen- und Hüttenrevier zur Unterstützung der Kupferminenarbeiter die Arbeit eingestellt worden. Überall größtenteils ohne Widerspruch und ohne Verluste. Bis um die Mittagsstunde ruhte die Arbeit im Umkreis der Provinz Nagasaki ziemlich allenthalben, obwohl die östlichen Behörden schon nach Eintreffen der ersten Meldungen befehlsgemäß den Telefon- und Telegraphenverkehr eingestellt hatten. Die von Nagasaki aus in Marsch gesetzten Truppen erklärten unterwegs, mit den Vertretern der Arbeiter verhandeln zu wollen, um ein Bild über Ziele und Umfang der Bewegung zu gewinnen. Die Offiziere hatten keinen direkten Befehl, sich dem zu widersetzen. Die Stimmung schien auch kritisch. Man ließ die Transportzüge zunächst halten, dann zurückleiten. Inzwischen hatten auch die Eisenbahner beschlossen, von Mitternacht an den Betrieb einzustellen. Die in Nagasaki wieder einziehenden Truppen erließen eine Erklärung, wonach sie sich im Kampfe der Arbeiter mit dem Trust neutral verhalten würden. Die örtlichen Behörden längs der Bahnlinie begannen zu fliehen. Das Gouvernementsgebäude in Nagasaki wurde im Laufe der Nacht gestürmt. Die Transportarbeiter übernahmen die Leitung der Stadt. In Nagasaki waren einzelne Ausschreitungen, die Gefängnisse wurden geöffnet, der Gouverneur wurde ermordet. Am Morgen legten 16000 Mann bereits kriegsmäßig ausgerüstetes Militär die Waffen in die Hände einer Kontrollinstanz, die sich aus Vertretern der Arbeitssyndikate von Nagasaki gebildet hatten. Die Garnisonen im Innern der Provinz streckten gleichfalls noch im Laufe des 12. die Waffen, fast ohne einen Schuss abzugeben. Am Abend dieses denkwürdigen Tages arbeitete bereits der neue Verwaltungsapparat der Arbeiter. Der Verkehr wurde schon in der Nacht wieder aufgenommen. Von Nagasaki wurde das bereits vorbereitete und im Grunde jedem Arbeiter bekannte Produktionsprogramm öffentlich über das ganze Land verbreitet. Vertraut der wirtschaftlichen Kraft der Arbeiter, der ihr bisher ja vertraut habt, ohne sie zu kennen, weil sich andere in ihrem Namen gebrüstet haben, heißt es dann. Die Notwendigkeit, sich mit den europäischen Arbeitern zu verständigen, gemeinsam zu beraten, wurde auseinandergesetzt. Zur Durchführung aller dieser Lebensfragen für das japanische Volk wurde die Zusammenfassung aller Produktionskraft in die Hände der Arbeitenden als notwendige und unerlässliche Vorbedingung erklärt. Wenig Worte, noch weniger Phrasen, alle so nüchtern und einfach wie möglich. Nicht mit einem Tage standen im Lande die Fabriken und Arbeitsbetriebe. Die Zustimmung der Gesamtarbeiterschaft wühlte sich erst langsam von Provinz zu Provinz durch. Während in den zum Teil unbeteiligten Bevölkerungsschichten die Spannung wuchs, entschied sich das Schicksal der Regierung. Der Überfall auf Amerika schien so gut wie vereitelt. Niemand wagte, dem amerikanischen Botschafter, der auf Grund der Vorgänge in Amerika intervenieren wollte, überhaupt eine Antwort zu geben, hätte auch nicht gewusst welche, denn die Regierungsmitglieder waren durch ihre eigene Ohnmacht vollkommen überrascht. Die Trusts, wie schon so oft in solchen Fallen, hielten sich überhaupt im Hintergrunde. Von den Leitungen war nichts Positives zu erfahren. Mehr als einem begann zu dämmern, dass die Übermacht der Trusts ein Phantom war. Sie besaßen in Wirklichkeit nichts, womit sie dem Aufstand begegnen konnten. Einige kleinere Erfolge waren zu verzeichnen. Die Tokioer Truppen schienen entschlossen, in der Hauptstadt selbst energisch jeden Aufruhrversuch zu ersticken. Trotzdem war in der Regierung niemand mehr in der Lage, die Entwicklung in auch nur irgendeine normale Vorkriegssituation zurückzuordnen, das war die Erklärung, die sie einem Kreis, von vertrauten Kammer-mitgliedern, Finanzleuten und Wissenschaftlern gegenüber gab. Allem Drängen der Presse zum Trotz, Haltung in dieser Krise zu bewahren, trat die Regierung zurück. Während der Jagd um neue Mitglieder vollzog sich der Umschwung in Tokio selbst. Hier trat auch noch einmal das Volk in seiner dumpfen, verängstigenden Zusammengewürfeltheit in Erscheinung. Vielleicht wird es einen Krieg mit Amerika geben, vielleicht auch noch nicht - niemand wusste im Grunde genommen, dass die Mobilisationsbefehle schon erlassen worden waren. Einige Stunden lang war ein Hass aufgeflammt gegen die Fremden, und vor allem auch die Europäer, die weiße Rasse. Das Volk muss derentwillen leiden, fühlen sie. Dann brachte die Proklamation den Rückschlag. Das Volk entdeckte in den europäischen Arbeitern den Rückhalt und die Hilfe. Die Stimmung schlug um, und dem auf der Straße kenntlichen Europäer wurden Begeisterungskundgebungen dargebracht. Im Nu bildeten sich auch Prozessionen und Demonstrationszüge. Zu dieser Zeit war es noch, dass die Truppen Feuer gaben, um die Ansammlungen zu zerstreuen. Viele Tote und Verwundete blieben auf der Straße. Immer mehr ballten sich die Massen aber wieder zusammen. Sie hatten kein bestimmtes Ziel. Die Angst trieb sie und hielt sie zusammen. Man meldete Plünderungen und Brände im Innern der Stadt. Barrikaden wurden gebaut. Es schien ein größeres Blutvergießen für die nächsten Tage unvermeidlich. Dem machte der Rücktritt der Regierung ein Ende. Die Übernahme der Produktion durch die Arbeiter war inzwischen in den Provinzen fast beendet und hatte sich reibungslos vollzogen. Jetzt fiel ihnen auch die Regierung zu. Denn sie hatten sie bereits vorher und im schnellen Fortschreiten des ersten Angriffs bereits an der Wurzel getroffen. Die Truppen begannen noch in derselben Stunde mit einem örtlichen Arbeiterkomilee der Stadt zu verhandeln und lieferten einige Stunden später die Waffen aus. Es war seltsam zu sehen, wie das Volk sich sofort mit den gleichen Soldaten, die noch soeben, ohne eine Miene zu verziehen, in die Massen hineingeschossen hatten, zu
verbrüdern begann. Die breite Masse, die auch von den bürgerlichen Regierungen so verschreckt ist kennt keinen Hass. Die Soldaten wurden Volk, damit waren sie in die allgemeine Freude aufgenommen. Die Begeisterung schlug nun bald immer höhere Wogen. Die Befreiungsstunde für das japanische Volk war angebrochen. Am neunten Tage hatte die Arbeiterregierung im ganzen Japan das Heft fest in der Hand. Die Arbeit wurde gleichmäßig überall aufgenommen. Sondergesandtschaften sind nach Moskau und London unterwegs.
Soweit der Carteretsche Bericht. Carteret war indessen einige Tage schon vorher aus Moskau abgereist.
Die Union der Miner hatte in der Zwischenzeit in Utah einen schweren Stand. Dort waren schon mehr solcher Kämpfe auf Leben und Tod zwischen der Union und den Trustherren ausgefochten worden. Dort durfte man auch erwarten, dass der Trust sich zur Wehr setzte. Sicher durfte man das. Nach Osten zu waren die Salzwüsten, im Rücken das Gebirge, wo an Aufenthalt, Sammelplatz und Versteck nicht zu denken war, denn dort war auch nicht ein Tropfen Wasser zu finden - und es konnte leicht sein, dass die Miner dort drinnen wie in einer Falle saßen. Und das war schon vorgekommen. Sind schon manche Kämpfe sehr zuungunsten der Miner dort ausgelaufen. Daher hatte die Union auch schon Vorsorge getroffen. Nach den Berichten, die sehr genau geprüft hatten - ordentlich wie ihre Urgroßväter und weiteren Ahnen, die Felljäger, noch einmal ringsum die Luft gewittert und etwas berechnet, was die Herren in Washington jetzt zu tun hätten und weiter noch tun würden, und dann noch einmal gründlich die Statistik und den augenblicklichen Produktionsstandard durchgegangen und die Weltmarktverschiffungen, denn das musste alles bis aufs Haar stimmen, und eine Berechnung genau auf der vorhergegangenen aufbauen und ineinander greifen, sonst kann man keine Schlüsse daraus ziehen, die auch sicher genug sind. - Also nach solchen Berichten war es notwendig, dass sie sich eine Woche lang und vielleicht zwei auf sich selbst verlassen mussten. Darum schlugen die Miner auch von Anfang an mächtig zu. Dort hielt sich eine ziemlich beträchtliche Streikbrechergarde. Jungens, die aus aller Welt zusammengelaufen, dort gut gepflegt und gefüttert wurden, ohne dass sie einen Schlag zu tun hatten, nur dass sie immer bereit waren, bald da-, bald dorthin geworfen zu werden, um durch Bluff mit frischen Arbeitskräften etwaige Streiklust im Keime zu ersticken. Die Jungens waren gewiss arme Teufels, aber dort waren sie im Wege. Als mit der Morgenschicht die Gruben verlassen wurden — bei den Zehntausenden sickert ja doch etwas durch, was gar nicht zu vermeiden ist, wenigstens das Ziel, das ja nur wenigen bekannt war, blieb dicht -, standen auch richtig schon solche Tramps in Massen vorm Eingang, um, wie das üblich geworden war, nach Arbeit zu fragen. Aber unsere Minisken kannten die Luft und wussten, was das für neue Miner waren. Das war schon vorgesehen. Mit der einen Front stürzten sie sich auf die Truppe, die da, scheint's, harmlos wartete und sich auf einen sofortigen Angriff nicht vorbereitet hatte, ein anderer Teil stürmte noch immer und besetzte die Grubenanlagen mit der Miene, im Falle eines Angriffs alles in die Luft zu sprengen. So bekamen sie wenigstens den Rücken frei. Inzwischen wurden die übrigen Schichten alarmiert, und in weniger als zehn Minuten waren allerorts die Streikbrechergarden zerstreut. Wer nicht mit den Beinen in der Hand davongekommen war, der lag mit eingeschlagenem Schädel oder einer Kugel im Bauch auf dem Platz, Eine Stunde später war schon eine ansehnliche Macht, bewaffnet, aufgestanden, die nach allen Richtungen und Zentren Verbindungen aufnahm und nach einem strategischen Plan sich bewegte auf Jamestoxon zu, wo ein Camp der Distrikts- und Grubenpolizei war. Diese warteten naturgemäß nicht, bis sie ringsum eingeschlossen und ausgeräuchert wurden, sondern waren herausgeschossen gekommen wie ein wütender Köter, den man von der Kette gelassen. Und dann griffen die Arbeiter in einem Schwung an. Ließen ihnen erst nicht Zeit, die Lage zu überschauen. Es wurde da hart gekämpft und es blieb dort mancher brave Mann liegen, um nicht mehr aufzustehen. Aber was schon die Überraschung und der etwas den Atem benehmende Schrecken - denn die Arbeiter gaben keinen Pardon - begann, das vollendete die zähe Wucht des Angriffs. Die wussten eben, alles kam darauf an, diese Knechte so schnell wie möglich zu erledigen. Ihre eigene Sicherheit bedingte das. Und es gelang, wenn auch mit schweren Opfern. Um die Mittagsstunde war der ganze Distrikt von allem, was an die Herrschaft der Trusts erinnerte, frei — entweder lag erschlagen oder lief in der Wüste oder im Felsengebirge dem Untergange zu, die Beamten zum Teil mit eingerechnet. Der Distrikt wurde zum Heerlager, die Verbindung mit der Außenwelt abgeschnitten. Im Laufe des nächsten Tages wurde mit rein militärischen Operationen der weitaus größere Teil des bewohnbaren Utahs besetzt, strategische Postierungen an die Grenzen der Nachbargebiete vorgeschoben. Der Gouverneur mit einem Detachement Bundestruppen zur Übergabe aufgefordert und bei der Aussichtslosigkeit für ihn, auch nur Überblick, Verbindung und Hilfe zu erlangen, auch dazu gezwungen. Die Arbeiter fragten nicht darum, wie die Börse das aufnehmen würde, sondern hielten lediglich ihr Augenmerk auf die Truppenbewegung in den Nachbarstaaten und darauf, sich im Lande selbst zu festigen. Die politische Gewalt wurde übernommen und ein Manifest losgelassen, das aber nicht allzu weit über ihre eigenen Grenzen hinausgelangte. Dann wurden Agitatoren abgesandt und besondere Beauftragte, die mit Syndikaten und Unionen im ganzen Lande zu verhandeln hatten. Trotzdem, es wäre fraglich gewesen, ob sie sich hätten halten können. Dann wären sie elend niedergeschlagen worden, ausgeortet kann man sagen. Es ist fraglich, ob die Unionen draußen diese Situation so schnell begriffen hätten. Aber hier zeigte sich die Zuverlässigkeit der Berechnung, Der Kriegstaumel war im Land, und hier und da ballte sich die Empörung zusammen. Flackerte Streik auf. Viele Arbeiter machten Miene, auf eigene Faust eine Abwehr zu organisieren. Noch war die Bewegung zersplittert, es waren noch zu sehr verschiedenartige Beweggründe, die die Protestler zusammenbrachten. Aber es schälte sich allmählich der Kern heraus, den die örtlichen Polizei- und Truppenchefs auch mit aller Macht zu Felde zogen, um ihn nicht erst aufkommen zu lassen. In allen größeren Industriestädten wurde die Bewegung mit Maschinengewehren niedergehalten. Der Hopkinssche Farmerbund wurde mobilisiert, um die Ordnung im Lande aufrechtzuerhalten. Sicher wäre das auch gelungen, denn es wurde sehr scharf zugegriffen - es schien eine Atempause notwendig, um sich überhaupt zu sammeln -, als die Wahrheit über Utah hineinplatzte. Jetzt schweißte es noch einmal alles, was kämpften wollte, zusammen. Es war eine sehr stattliche Zahl, überall allerdings, nur entschlossene Truppen, da und dort in dem großen Lande verteilt, aber die Sympathien der großen Masse gingen mit ihnen, schon flog das eine oder andere Etablissement in die Luft, in Boston und Brooklyn brannten bereits Speicher, vor Wallstreet wurde eine Bombe geworfen -da bereitete sich eine Riesenabwehr vor. Die große Masse der aus allen Nationen Hinübergewanderten, die noch keinen Boden gefasst hatten, die Menge der Nichts-als-Geschäftemacher, die Neger aus den Südstaaten, irländische Polizeier, die Apachen kamen aus ihren Schlupfwinkeln von Alaska bis Mexiko, alles, was gern das Gold klingen hört, denn das Gold rief und lockte und klang verteufelt nah, Gold lag auf der Straße für den, der eine Waffe griff, um die Arbeiter niederzuschlagen und den Krieg mit den Gelben mitgewinnen zu helfen, so standen sich die Gegner im Auge, der eine riesengroß geworden und wuchs noch, der andere gleichsam am Boden kauernd, bis jener die Hand streckt, ihn zu zermalmen — da drang auch die Wahrheit aus Japan durch. Wie ein ungeheurer Donnerschlag über zwei Erdteile. Nicht dass die Riesenmasse, die noch eben aufgestanden war, nun zusammengeschrumpft. Sie fiel buchstäblich auseinander. Ein gewaltiger Schrei löste sich los. Der einzelne Mensch taumelt für Sekunden und wird zum ändern Wesen. Welcher Gefahr war er entronnen - sehr viele wussten es nicht, aber alle fühlten es desto tiefer. Das Bundesheer verschwand, und niemand wollte Regierung oder sonst so was gewesen sein. Ein Strom von Lebenskraft wälzte sich dahin und suchte erst noch seine Ufer. Schon suchten die stärksten Fäuste das Steuer wieder in die Hand zu bekommen. Die Arbeiterverbände sind soeben zusammengetreten.

Kritisch war die Lage auch in Viktoria. Das Commonwealth hatte ungeachtet des Einspruches der nördlichen Bundesstaaten eine recht beträchtliche Miliz unterdessen behalten, die sich ständig aus den Söhnen der Farmer ergänzte und erneuerte. Diese jungen Farmersöhne, verdummt durch den Reverent und unentwickelt im Zwang der Familie, hatten die Arbeiter nur als etwas kennen gelernt, das man im Zaum halten muss, sei es, dass sie als Hobos auf die Farm kommen zur Erntezeit oder zur Schafschur, sei es, dass sie auf Hammel- oder Pferdedieb stahl aus sind oder in den Hafenstädten jene Unruhen verbreiten, von denen dem Vater Farmer diese schrecklichen Verluste erwachsen, wenn der Weizen- oder Wollpreis sinkt oder zur unrechten Zeit steigt. Sie sind gewöhnt, im Busch auf Schwarze wie auf Hobos zu jagen, und der Milizdienst macht ihnen erst Spaß, wenn eine regelrechte Treibjagd daraus wird. War die Miliz auch in größeren Garnisonen zusammengezogen, so blieb er doch ein nicht zu unterschätzender Gegner. Für den Norden spielte überdies auch die Lebensmittelfrage eine Rolle. Am 12.Juli standen wie vereinbart die Gruben still, damit waren zugleich aber auch die Kämpfe in vollem Gange. Die Miner besaßen von Anfang die Unterstützung der Hafenarbeiterverbände, und dort in den Hafenstädten spielten sich auch die blutigsten Zusammenstöße ab. Adelaide im Süden wurde in Brand gesteckt, um die Truppenmacht zu zersplittern. Allerorts im Süden flog ein Haus oder eine Brücke in die Luft. Während im Norden so etwas wie eine reguläre Armee aus Diggers und Mixers zusammengestellt wurde. Längs der ganzen Ostküste wurden die Hafenarbeiten eingestellt. Es versteht sich, dass im eigentlichen Minendistrikt selbst die Arbeiter Herren der Lage waren, aber das wollte nicht viel besagen, denn gerade dort war das Militär schon lange zurückgezogen. Dort übernahmen die Arbeiter auch die politische Verwaltung. In zwei Bundesstaaten wurde die Räterepublik ausgerufen mit dem Ziel, die Commonwealth als eine wahre Arbeiterrepublik einem internationalen Rat der Arbeiter der Welt zu unterstellen und aus der Verbindung zum englischen Zugvereine loszulassen. Die Bearbeitung des Bodens und die Ausbeutung des Bodenschatzes sowie die Frage einer Aufnahme der Verarbeitung desselben in Australien selbst sollte von Anfang an nur im Einvernehmen mit der gesamten Arbeiterschaft der Welt entschieden werden. Auch in den übrigen Bundesstaaten der Commonwealth spielen die Arbeiter eine ziemliche Rolle und halten sich mit den Farmern und der Geschäfts- und Beamtenwelt ungefähr das Gleichgewicht. Das Programm wäre also an sich nicht aussichtslos gewesen, wenn nicht die bewaffnete Macht gewesen wäre, auf die die Arbeiter so gut wie keinerlei Einfluss hatten. So kam in Australien der Bürgerkrieg in Gang. Er rollte sich sozusagen erst langsam und nach der den Parteien eigentümlichen strategischen Lage auf. Das Ziel ist, die Arbeiter möglichst als Block zusammenzuhalten, sie aufs Meer abzudrängen und sie dort auszuhungern oder sonst wie zu Paaren zu treiben. Am neunten Tage schienen die südlichen und westlichen Staaten von den Miliztruppen durchwegs besetzt zu sein. Trotzdem war auch dort die Flamme des Aufruhrs noch nicht erstickt.

Das ist die Stunde für die englischen Arbeiter, einzugreifen. Während die japanischen Arbeiter sich eilen, die Hände frei zu bekommen, um von Norden her ihren australischen Kameraden Hilfe zu bringen, formen die Arbeiter in England das Imperium um. Nicht mehr Ausbeutungsobjekt für den kapitalistischen Weltmarkt und Welthandel sind die Kolonien, sondern freiwillige Glieder inmitten eines die Welt umspannenden Produktionsprozesses, dessen Maschinen in die Hände der englischen Arbeiterschaft übergegangen sind. Über den Umweg des freien kameradschaftlichen Übereinkommens zwischen den Rohstofferzeugern beziehungsweise Förderern und Verarbeitern wird die Güterverteilung und der Verbrauch sich regeln. Das wird das nächste Ziel der in Nationen noch geschiedenen Arbeiterbünde sein. Bald werden sie bei technischer Vervollkommnung, bei dem rapid ansteigenden Bedürfnis nach mehr Glück und dem drängenden Wunsch, alle glücklich zu machen, auch darüber hinaus wachsen. Die Arbeit, die das Glück geworden ist, wird getragen sein von dem Rhythmus, Wegbereiter zu sein für den neuen Menschentyp. Dafür werden die Maschinen laufen, und der englische, amerikanische, der japanische und der deutsche Arbeiter werden gleich vier starken Säulen jenes Produktionsgebäude errichten, in dem Raum genug sein wird für die neue Rasse, die heranwächst. Und welche Nationen immer, wie die Franzosen, die Spanier, die Schweden oder Italiener, das erhabene Gebäude geistiger Kultur vollendet haben, sie werden sich der Erziehungsarbeit jenes Heranwachsenden widmen können. Sie werden die Arme frei bekommen. Und ob das chinesische Reich wie vor tausend Jahren sich wieder mit den herrlichsten Blumen überzieht und der Blumengarten der Welt bleibt oder der chinesische Bauer und Handwerker aufsteht und mit Hand anlegt, ob Afrika das neue Geschlecht liefert oder eine noch sagenhafte Völkerwiege in Zentralasien, sicher ist, dass der russische Bauer sich anschicken wird, jenes gewaltige Gebiet zwischen Asien und Europa für die neuen Menschen bewohnbar zu machen und vorzubereiten. Dort werden die unermesslichen Rohstoffquellen erschlossen werden, und aus allen Teilen der Welt werden die Arbeiter dahinströmen, die Arbeit dort aufzunehmen. Man wird von einer neuen Völkerwanderung sprechen. Möglich, dass bis dahin unsere Werkstätten in Europa verlassen sind. Dann konzentriert sich der Schwerpunkt aller Produktion wieder mehr nach Osten. In dieser Atmosphäre wird der russische Bauer erstmals frei zu atmen beginnen. Möglich aber auch, dass er mit dem chinesischen und mit dem malaiisch-indischen Arbeiter einen neuen Bund schließt, die heranwachsenden Rassen zu schützen und ihnen Raum zu erobern. Wer wird dann noch von dem Europäer des kapitalistischen Zeitalters sprechen.

Es gilt eben, alle Mittel anzuwenden. Nicht, als ob man gerade darin damit nur das eine Besondere allein im Vordergrunde sieht. Dort anzugreifen, wo die Schwäche des Gegners sichtbar wird. Dort, wo man mit seinen Waffen am stärksten ist. Darauf kommt es an, dass jeder einzelne den Mut bekommt zu sich selbst.

Mit diesem Gedanken erwachte der Gefangene. Er schreckte hoch - aber der Blick stieß sich an den Gitterstäben, Draußen war schon seit Stunden die Sonne aufgegangen, jener goldene Flimmer stand gegen das Mattblau des Horizonts, der sich bis ins Blut hinein widerspiegelt und die Brust so weit macht -aber der Gefangene konnte die Sonne nicht sehen. Der Blick glitt von der eisenbeschlagenen Tür von bedrohlicher sinnloser Dicke über die Verordnungstafel an der Wand zu dem schmalen Lichtspalt, der durch gelbes niedriges Glas verschlossen war, so dass nur durch einen ganz winzigen Streifen der Horizont hineinlugte, zerschnitten der Kreuz und Quer von Gitterstäben. Der Gefangene atmete tief auf, wie er das jeden Morgen tat, und hielt die Faust um die Ränder der Pritsche festgekrallt, als dürfe er jetzt nicht loslassen. Denn die Kräfte galt es zu sammeln, einzuspannen in die Ordnung dieses Tages. Er würde sonst das jeden Morgen ihn immer wieder von neuem mit unverminderter Wucht überfallende Bewusstsein, gefangen zu sein, vielleicht nicht ertragen haben. In der Spannung dieser Sekunden, die über ihn hinglitten, ballte sich ein Berg von Verzweiflung und Hoffen zusammen und alles das, was das menschliche Leben so bunt macht. Dann bekam er sich wieder in Gewalt. Aber noch die Erinnerung tat weh.
Der Elektrikerstreik ist zusammengebrochen. Der Bestand der Union sicherlich gefährdet. Die Entschlossenen wahrscheinlich in alle Winde zerstreut. Wird man wieder aufbauen, Fehler suchen und daraus lernen — und über allen Maschinen und Kräften stand eben immer noch jener Regierungsapparat, an den schon niemand mehr glauben will und der schließlich immer noch eingreift und die Entscheidung erwürgt. Gerade weil er vielleicht so schattenhaft ist -? Darüber zu grübeln, bringt einen keinen Schritt weiter. Mit jeder Niederlage hatte der Gefangene noch immer etwas Neues hinzugelernt. Ihm schauderte. Wieder lagen die Opfer, Tote und Gefangene, arbeitslos Gewordene, Entwurzelte, viele, die alles hinschmeißen wollen und im Rausch der Verzweiflung auf eigene Faust sich rächen zu können glauben. Die am liebsten nichts mehr in sich aufkommen lassen wollen, keine Gedanken, die doch 'nur quälen, nicht mehr neuen Mut, weiter zu kämpfen, da es doch nur zur neuen Niederlage führt. Solche Menschen sind schlimmer daran als die eigentlichen Opfer. Niemand kann in sie hineinsehen, woran sie leiden und wo die wahre Ursache ihrer Wunde eitert. Gegen dieses verliert das Bild von Niederlage und Zusammenbruch seine Schrecken. Es wird etwas Äußerliches und Mechanisches, wie behaftet vom Schmutz der Arbeit, und jeden Morgen, wenn der Gefangene sich bis dahin gefunden hatte, wurde ihm leicht und froh zumute. Er begriff das große Absterben, wie in der Natur so auch in der Bewegung. Ein fortwährender Ausscheidungsprozess, der das Kranke und Schwache absondert. Eine Kraftmaschine, die das Starke stählt und treibt und immer weiter anspannt, bis auch dieses mürbe und ausgesaugt und schwach wird und so weiter, gleichfalls beiseite geworfen zu werden und zugrunde zu gehen. Aber die Plattform, von der aus um die Befreiung der Arbeiterklasse gekämpft wird, ist dennoch nur gerade dadurch breiter geworden. Ein neuer Hammerschlag ist getan zur Festigung des Unterbaus, die Nachkommenden und Nachdrängenden stehen schon gefestigter, noch weiter reicht der Arm, und wenn der nächste Schlag niedersaust, sinkt mit ihm zugleich eine weitere Stütze jener feindlichen Macht, die noch in jedem einzelnen Menschen selbst zu tief verankert ist. Jetzt sah der Gefangene auch vor sich den Marsch ins Leben, den die Masse der Arbeitenden seit Jahrhunderten angetreten hat. Viele bleiben am Wege Hegen, kolonnenweise werden die Reihen niedergemäht, aber der Marsch ist nicht aufzuhalten. In jede Lücke tritt der neue Kämpfer. Und der Gefangene fühlte dumpf, dass jenes Zugrundegehen nichts anderes ist, als wenn der müde Bürger sich in seine Kammer legt und umgeben von den erblüsternen Verwandten sich bereit macht zu sterben. Und wen der Feind fasst, um ihn einzusperren, der trägt viele Schwächepunkte in sich, der ist krank, wusste auf einmal der Gefangene, weil ihn die Gemeinschaft der Kämpfenden nicht halten kann, weil er sich loslöste, vielleicht im Augenblick einer Unsicherheit oder Angst und Mutlosigkeit den Zusammenhang mit der Gemeinschaft verloren hat und so strauchelnd in den Maschen des feindlichen Fangnetzes sich verstrickt hat. Dann wird in der Erinnerung des Gefangenen eine neue Kraft frei. Eine Last, die das Herz von Stunde zu Stunde mehr bedrückt hat, sinkt zu Boden. Es ist nirgends ein Zufall. Eine dumme Vergesslichkeit, etwas, das anders hätte gemacht werden müssen, was auch schon so oft geschehen ist, wo man mit der Faust gegen etwas Dunkles, das immer weiter zurückweicht, losgehen will, um doch nur tiefer in die Hoffnungslosigkeit eines unlösbaren Warum hineinzugeraten. — Dieses Gefühl des unwiderruflich Verlorenseins zerflattert. Wie durch die Nebelwand doch noch die Sonne vorkommt und die dichten Schwaden rechts und links auseinanderjagt. Kopf frei.
Das ist es, das der Gefangene spürt: jener Rhythmus, der im Tumult des Kampfes, in der Erwartung der Wirkung auf die nächsten Minuten gestellt, verloren und verschüttet scheint, ist doch lebendig. Er beschwingt die ungeheuren Massen der Arbeitenden, er setzt sie in Marsch, in Takt und Gleichschritt. In der Einsamkeit der Erinnerung wird er übermächtig: er füllt die Seele des Gefangenen aus und droht die zu enge Hülle zu sprengen. Jawohl, das Proletariat der Welt ist im Anmarsch, das Blut des einsam Hoffenden und doch so Zagen, so leicht Niederzubrechenden pocht. Pulst fiebernd, und ein Schrei möchte hinaus, von Zuversicht und wissendem Glück.
Draußen, vor den Gitterstäben, blüht der Sommer, das Licht, alles Licht jubelt. Eine unermessliche Kraft ist in der Welt. So unaussprechlich schön und herrlich. So weitet sich das Leben aller Menschen zueinander in Harmonie, in den buntfarbigen Verschlingungen des Glücks einander zu stützen, eins zu werden in dem Wunder jener Melodie von Menschheit und Menschlichkeit. Und dieses Leben geht weiter. Es geht voran. Es jauchzt empor, wo nur immer das Blut noch kreist, wo der Atem zitternd die Erkenntnis vom Lebendigen, da zu sein, gegenwärtig - von sich stößt, um einen neuen, noch tieferen Schluck aus dem Quell alles Lebendigen zu tun. - Da ging eine schwere Erschütterung durch den Gefangenen. Er bebte am ganzen Körper, und die Seele, scheint's, wurde zum ersten Male ganz frei. Eine Erstarrung fiel von ihm ab, das Gemüt wuchtete wie ein gewaltiger Strom über die Ufer, er musste die Arme ausbreiten und stehen und schauen und atmen alle Lebenssüße, die dem Menschen als das Geschenk seiner Menschwerdung dargebracht wird. Er wurde sich seines Menschentums bewusst.
So erlebte der Gefangene in neuem und vielfarbigem Lichte seine weitere Aufgabe. Gewiss, draußen war das Teil des Lebens, das ihm bekannt und anerzogen, das so bequem war, dass man meistens darauf vergaß, davon überhaupt Anmerkung zu nehmen. Dort rollte der Dampf weiter, als dessen Opfer er zunächst auf der Strecke geblieben war. Endlich wusste er warum: Auch hier drinnen galt es, sein eigenes Leben weiter und tiefer, sicherer und zielbewusster zu gestalten. Es half mit, denen da draußen die Waffen zu schärfen und dem endlichen Sieg näher zu bringen. Dieses Leben In seinen schmerzlichen Spannungen, seinen fortgesetzten Überwindungen drohender aufdämmernder Schwäche, war ein notwendiges Glied jener Kampfgemeinschaft. Er stand nicht mehr außerhalb und beiseite geschleudert, der Gefangene, er lebte mitten drin in dichtestem Gewühl und an wichtigster Stelle. Das gibt eine ungeheure Gemütswucht — endlich einmal nicht mehr ganz überflüssig zu sein. Es ist das zum zweiten Mal und zum wahren Menschentum Geborenwerden. Er hielt hier aus, der Gefangene, für die Kämpfer da draußen. Du bist in deinem Kamerad, hörte er ringsum. Es ist herrlich, sich der Zukunft zu opfern - aber da musste er fröhlich auflachen, denn er empfand alles andere als die Stimmung eines Opfers. Er fühlte sich glücklich und frei. Er reckte sich hoch. Er fühlte, alles geht weiter und geht seinen guten Weg. Der Gleichschritt aller Arbeitenden erklingt, er wird stärker und stärker. Manche seiner Bedingungen sind noch dunkel. Die Nachunskommenden werden es besser wissen. Unser Sieg ist wie ein ehernes Naturgesetz. Im Blick bereits glüht das Glück freier Menschen. Es ist gleich, ob es heute oder morgen sein wird. Aber es wird. Und es ist!

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