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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Eine Vorlesung über Gemeinwirtschaft

Im großen Festsaal der Technischen Hochschule hatte der berühmte Physiker, der zugleich eine internationale Berühmtheit in der technischen Wissenschaft war, eine Vortragsreihe über die neuen Probleme der Gemeinwirtschaft, die zum Schlagwort geworden war, angesetzt. Die Vorlesung war für die große Öffentlichkeit nicht frei, obwohl die streng wissenschaftliche Redeweise des Professors für das Verständnis seiner mit Fremdwörtern und Fachausdrücken gespickten Ausführung einen bestimmten Grad von Hochschulbildung voraussetzte, sondern nur für eingeschriebene Hörer der Hochschule, die Studenten und angehenden Ingenieure. Der Gelehrte hatte sich vorgenommen, gerade diesem Nachwuchs die Bedeutung der Technik über das rein Mechanische hinaus als lebendiges Organ der Wirtschaftsführung und damit zugleich auch der Lebensführung klarzulegen. Er hatte das Thema geprägt von der technischen Weltanschauung. Er wollte die Krise in der Organisation des Staates und der Wirtschaft, die immer breiter sich auseinander reißende Kluft von Kapital und Arbeit, von Ausbeutern und Ausgebeuteten, von Maschinen und Menschenhand überbrücken durch die Darstellung einer wirkenden Gesetzmäßigkeit im Wirtschaftlichen, die wie eine Kreiselbewegung mit unerhörter Eigenkraft von Natur her die Menschen fortgesetzt neu sozial gruppiert, nach der Notwendigkeit ihrer Arbeit wertet und absterben oder Macht gewinnen lässt. Aber von der nach vielen Tausenden zählenden Zuhörerschaft waren kaum hundert erschienen, die sich in dem weiten leeren Raum wie gestraft vorkamen und ängstlich um sich blickten, um sich vor den Augen ihrer Bekannten zu verstecken. Denn es schien ihnen beschämend, einen Eifer entfaltet zu haben, was zu lernen, den die übergroße Mehrzahl für überflüssig hielt. Es genügte ja, wenn sie ihre bestimmte Zahl Studienjahre beisammen hatten.
Der technische Student, der zu Anfang der Entwicklung der technischen Wissenschaft dem Ernst nach, mit dem er an seine Aufgaben heranging, eine gewisse Sonderstellung eingenommen hatte, war inzwischen längst in dem bekannten Typ Student aufgegangen. Er hatte den Anschluss an die heilige Überlieferung des vollkommenen Nichtstuns endlich erreicht. Es ist grausig zu sehen, wie diese jungen Leute, die mit dem Geld und dem Einfluss ihres Vaters ausgestattet eine solche Hochschule besuchen, um sich dort darauf vorzubereiten, eine technisch selbständige, verantwortliche Stelle in einem Wirtschaftsbetrieb und allgemein in der Organisations- - und Wirtschaftsführung zu übernehmen, auf denen das Vertrauen der arbeitenden Hände und der in Bewegung gesetzten Maschinen, seien es nun Massen an menschlicher Arbeitskraft oder tote Materialien, ruhen musste, sonst war eine technisch reibungslose Führung überhaupt nicht zu denken - schon gar nicht zu rechnen mehr ihre Personen, nein - ihr Wissen, ihre Kenntnisse, ihre Erfahrungen - es war grausig zu denken, dass diese Menschen ihren ganzen Ehrgeiz darein setzten, möglichst wenig zu lernen, sich nur eine äußere Form, sich als Fachmann zu bewegen, anzueignen und ihre Stellung als nichts weiter anzusehen als den notwendigen Tribut, der ihrer Erziehung, ihrer Familie, der Stellung ihres Vaters und ihrem Geld gezollt wurde. Ihre Stellung selbst war ihnen nicht nur gleichgültig, sondern auch höchst lästig. Sie brachte Verpflichtungen und Aufgaben mit sich, die sie gar nicht daran dachten zu erfüllen, sondern nur den Anschein sich geben, so tun, als ob dafür waren ja dann andere da, es gab doch genug Leute, die gern das machen, die sich danach drängen, das hört man dann. Aber die ändern, das waren die Arbeiter, die sich »vordrängten«. Es musste doch eben jemand sein, der die technische Führung der Arbeit auch leistete, das ist ein Gesetz der Arbeit; und je weitgespannter die Arbeitslebendigkeit wird, die Arbeitsmasse, die mit der Zahl der Menschen und Maschinen Schritt hält, um so mehr kristallisiert sich diese Leistung aus dem Wissen, was Arbeit an sich ist und warum gearbeitet wird. Die Leitung wird zum Ausdruck des Arbeitswillens und des Arbeitsglücks. Was wiegen dagegen die paar technischen Formeln und Kenntnisse, die sich diese hochnäsigen Bengels und Großschnauzen ersessen haben, sich mühselig eingepaukt. Das lernt der Arbeiter, der keine Hochschule besucht hat, in kurzer Zeit und besser, weil es für ihn viel lebendiger wird als für diese. Und diese aber sind berufen, den ändern vorzustehen, ihren Drang nach Mehrwissen einzudämmen und sie kastenmäßig geschieden zu halten. Vielleicht für den einzelnen nicht mal aus Böswilligkeit, sondern weil es immer so war. So ein Ingenieur ist oft zu faul, überhaupt darüber nachzudenken. Wenn nur alles weiter seinen Gang läuft, er sieht die Arbeiter um sich herum gar nicht.
Daran mochte der Professor denken, der mit seinem Vortrag gar nicht recht weiter kam. Es war doch ein sehr trauriges Ergebnis. Er brauchte Begeisterung und Aufnahmefähigkeit für das, was er zu sagen hatte. Denn er hielt es für die Zukunft, er verjüngte sich selbst dabei. Solche Professoren sind keine schlechten Menschen. Sie leben nur in einer kranken Atmosphäre und finden nur selten heraus. Es war ordentlich, als ob dieser Mann bei seinen Schäflein da die Gedanken lesen könnte. Denn er kam immer weiter vom Thema ab und vertiefte sich in eine Schilderung der technischen Macht, jener Kräfte, die die Technik erst in Bewegung setzt und denen sie verantwortlich ist. Der einzelne Mensch als Träger dieser Technik muss davon beeinflusst werden, darauf kam es hinaus, er muss beweglicher, technisch beschwingter werden, er muss sich ändern. »Ein anderer Typ Mensch, als wir sind«, sagte der Mann, »wir sind für die neuen Aufgaben der Wirtschaftsführung zu alt, zu schwerfällig, zu sehr von oben gekommen und mit Traditionen überladen. Wir können nicht mehr Schritt halten, es wächst uns über den Kopf, alles dreht sich schneller, die Aufgaben werden riesengroß« - und das Bild einer Zukunftswirtschaft stieg vor den schläfrigen Augen der Zuhörer auf. »Wir verschwenden unsere Kräfte«, eiferte der Gelehrte weiter, »die sozialen Verhältnisse müssen technisch besser geregelt werden. Wer arbeitet, gehört zusammen wie die Teile einer Maschine. Die Kräfte müssen automatisch ineinander greifen, sonst arbeiten wir gegen jene sozialtechnische Kraft, die uns erst überhaupt als Menschheit in Bewegung setzt, gegen ein technisch-soziales Grundgesetz. Darin verschleudern wir Unsummen von Fähigkeiten und Kraft. Ich sehe nicht ein, welche Gegensätze nicht überbrückbar sein sollten. Die Arbeit allein entscheidet und das Wissen, meine Herren. Niemand wird wollen, dass die Führung versagt, darum technische Arbeitsführung an allererster Stelle. Sie allein kann für das Soziale das Bestimmende sein. Sie ist die Grundlage der Gesellschaft, sie regelt die soziologische Gesetzmäßigkeit, sie ermöglicht die Ausgleichspannung von Erzeugung und Verbrauch, von Angebot und Nachfrage.« Und er glitt über auf die technische Weltanschauung, die dann gipfelt in der Organisation der Gemeinwirtschaft. Einer der Zuhörer, der eifriger mit gefolgt war, lächelte offen vor sich hin. Da verstieg sich wieder so ein Professor zu Idealen, die schon anfingen, philosophisch zu werden. Bleiben wir Techniker, hatte sein Vater gesagt, das heißt, kommandiere deine Arbeiter. Er hätte hinzufügen sollen: denn der Kaufmann braucht dich. Wo der Kaufmann des Betriebes mit den Arbeitern nicht mehr fertig werden kann, muss der Ingenieur eingreifen, das ist alte Regel und bewährt. Dem glauben sie mehr, steht er doch, scheint's, der Arbeit naher. Solche Wissenschaftler aber versteigen sich leicht: Weltanschauung — als ob das was Besonderes wäre. Phrasen, die ihm einer eingeflüstert hat. Soll wohl gegen die Regierung gehen - und er gähnte laut. Aber der oben hatte auch schon zurückgefunden. Denn die Gemeinwirtschaft, die dann geschildert wurde, ließ jedem sein Teil. Es kam schließlich so raus, wie es eben heute war, die Menschen sollten sich nur besser verstehen. Sie sollten begreifen, dass das eben schon Gemeinwirtschaft war, wenn man sich verträgt. Die Regierung bekam ihr Lob ab, einer Erweiterung der technischen Wissenschaft wurde das Wort geredet, und auch den populären Kursen, in denen man die Arbeiter zu tüchtigen und vertrauenswürdigen Stützen des Betriebes heranziehen müsste. Und so fort. Es ging jetzt die alte Leier. Es plätscherte unten wieder über die Leute hin, und nichts verriet, dass, während der eine da unten an die Erlebnisse der letzten Nacht dachte und der andere konstatierte, dass süße Liköre zu Porter und Sekt gemischt den Katzenjammer andauernder gestalteten als Genever und Boonekamp, während der dritte darüber sich im unklaren war, welche überraschende Sensation ein leichter Fall von Schuhfetischismus hervorrufen könnte, sofern er nicht akut würde, zum Beispiel in Verbindung mit jener schräg vor ihm sitzenden Dame, die ein ausgesprochener Sporttyp Amerikanerin war - nirgends war zu spüren, auf keiner dieser idiotischen Visagen, vor denen man als vor Menschenantlitzen Furcht und Schrecken bekam in ihrer Leere und Ausdruckslosigkeit — nichts verriet, dass ein ergrauter Gelehrtenkopf in einen ernsten Zwiespalt hineingeraten war, der ihm ordentlich die Zunge lahmte und ihn nur mühsam weitersprechen ließ. War das nicht das Problem des Kommunismus - was da vor ihm sich aufgetan hatte, es lief ihm heiß und kalt über den Rücken.

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