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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Ah — dieses Deutschland

Den braven Bürgern war die Sache doch gewaltig in die Knochen gefahren. Sie blieben ängstliche Zuschauer. Nicht einmal zu einem richtigen Ausbruch von Klassenhass, worin sie doch sonst so groß sind, konnten sie es diesmal bringen. Es wühlte alles mehr in der Stille. An dem Tage, an dem die Eisenbahn wieder fuhr, kam es ihnen vor, als müssten sie bedrückter sein als vorher. Sie wagten den Umfang der möglichen Katastrophe, die ihnen gedroht hatte, noch nicht zu übersehen. Der Streik hatte dem Wirtschaftsverkehr insgesamt doch sehr großen Verlust gebracht. Allenthalben kam man über die Stockungen noch nicht hinweg. Wer soll das alles, was da niedergebrochen war, wieder aufbauen - das ließ viele nicht schlafen. Es schien, als sei die Kraft, die noch vorher alles durchpulst und in Gang gesetzt hatte, nicht mehr dieselbe. Als sei sie müde und altersschwach geworden. Sie war nur träge in Bewegung zu setzen. Hatte sie einen Teil der Intensität verloren oder war der Glaube daran nicht mehr so stark und allgemein - vieles an Kurven und Statistiken und Steigerungsgesetzen blieb auf dem Papier stehen.
Irgendwo war ein Bruch eingetreten. Die Maschine hinkte in beängstigenden Nebengeräuschen.
Es war, als ob auch die Menschen an Energie eingebüßt hätten. Man ließ vielfach alles gehen, wie es ging. Ein stickiger Hauch von Verwesung lag über allem. Viele Arbeiter wurden ins Gefängnis geworfen, Beinahe automatisch, ohne besonderen Hass und selbstverständlich ohne zureichenden Grund. Die Gesetzes- und Ordnungsmaschine wollte es einmal so. Es kam auf die Zahl an und auf die drohende Geste nach außen. Wirklich zu drohen, dazu hätte niemand mehr die Kraft aufgebracht. So ließ man diesen Apparat arbeiten. Es wirkte manchmal komisch, wenn Verleumdete, Angeklagte, die in die Maschen der ausgelegten Gesetze von Dummheit, Eigendünkel und Schwerfälligkeit geraten waren, sich mit der Begeisterung ihrer Schuldlosigkeit oder ihres besseren Rechtes zu verteidigen begannen. Sie hatten ebenso gut in die Luft sprechen können. Man brachte nicht mal die gute Haltung auf, ihnen zu widersprechen. Das war alles gleichgültig. Das ging alles so hin. Mochten die Paragraphen sich selber verteidigen. Die Richter lächelten boshaft und stierten dann geradeaus, stupide Arbeiter in einem Beruf, der den Menschen entmenschlicht und noch viel tiefer entwürdigt als die Fabrikarbeit in Form unserer Lohnarbeit, die ja doch nur ein Geschwür ist, das sich vielleicht noch einmal entfernen lässt.
Nur die Regierung, die den Trust im Nacken hat, strengt sich etwas an. Es ist jeweils eine besondere Gesellschaft von Lumpen. Was sich dort zusammenfindet, ist meist zu allem fähig. Der Elektrotrust hatte schon wiederholt gedrängt. Die Stimmung der Arbeiterschaft war merkwürdig widerspenstig geblieben, seltsam zerrissen, und sie schien uneinig mit sich selbst, Man konnte den Eindruck haben, als ginge ihnen erst jetzt ein Licht auf, was eigentlich auf dem Spiel gestanden hatte. Sie lebten erst jetzt eigentlich den ganzen Streik mit. Die Arbeit kam gar nicht richtig in Gang. In der Regierung kannte man aber den Grund. Die verhafteten Elektriker spukten den Leuten noch im Kopf. Da war mit bloßen Erklärungen und Verordnungen nichts zu machen. Aber Auswege gibt es genug. So gab man dann nach unten einen Wink. Am ändern Tage wurde einer der Hauptbeteiligten, der in besonderem Maße das Vertrauen der Masse genoss und den man jetzt erst richtig kennen gelernt hatte, sagten die Arbeiter - wurde dieser Arbeiter erschossen. Ohne Verfahren, ohne Untersuchung. Ein Polizeibeamter hatte sich bereitfinden lassen, ihn zu erledigen. Er hatte den Gefangenen zu führen, gab ihm unterwegs einen Stoß, dass er nach vorn stolperte, und schoss ihn dann nieder. Auf der Flucht, hieß das. Fluchtversuch nannte man das. Der Beamte war darin kein Neuling, er hatte schon bald ein Dutzend solcher Fälle hinter sich. Er war bald pensionsreif. Das hieß, man empfahl ihm, ins Ausland zu verschwinden. Dort begann dann der Mann mit Erpressungen. Ja, die wenigsten wissen, wie schwer das ist, zu regieren. Das kostet Nerven. Da sind immer noch ein paar Leute, die an der Sache in gewissem Sinne mitbeteiligt sind. Da sind Gefängniswärter, die bloß die Augen aufzumachen brauchen, um mancherlei zu sehen, was durchaus nicht an die Öffentlichkeit getragen werden braucht, im Interesse der Regierung, versteht sich. Da ist so ein Arzt, manchmal ist so ein Opfer nicht gleich tot. Der Mann kann nicht immer zielen wie auf dem Schießstand. Der Arzt muss dann die Sache in die Hand nehmen. Selbstverständlich braucht er nicht mit anfassen. Nein, er lässt ihn eben liegen. Ein Angeschossener verblutet leicht. Er wird ungeschickt transportiert, irgendwo eine Zeit mal vergessen. Und trotzdem sickert immer noch genug durch. Die einen werden im guten zum Schweigen gebracht, da gibt's Geldbelohnungen, Posten und die ganze unglückselige Volkswirtschaft, die den Leuten wenig ruhige Stunden mehr bereitet. Die ändern muss man wieder einsperren, foltern und ihnen drohen mit dem gleichen Schicksal - und niemals reißt die Kette ab. Die armen Dummköpfe, die in die Regierung gehen! Sie werden nur noch übertroffen von den Verbrechern, die dort schon sitzen.
Aber das besagt alles wenig. Daran gewöhnt sich der, der so eine Regierung anerkennt. Machen wir uns darüber keine Kopfschmerzen. Nur - die Sache hat Erfolg. Und das entscheidet. Hut ab.
Man schrieb noch etwas hin und her, schimpfte, dass das Zeug hielt, wenngleich in gewissen Grenzen. Dann ließ man Bilder von den Ermordeten anfertigen. Und die Arbeit wurde wieder aufgenommen. Die Menschen waren älter, aber auch stiller geworden.
Das Rad der Zeit läuft eben weiter.
Das nächste Mal -

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