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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Es kriselt in den Syndikaten

Dem ständig anschwellenden Druck von unten her, die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufzuhalten, zeigten sich die Syndikate immer weniger gewachsen. Schließlich ließ sich doch nicht umgehen, dass allerorts zur Lage der Arbeiterklasse Stellung genommen wurde. Solange es sich um den Kampf einer bestimmten Arbeitergruppe gehandelt hatte, war ein Überwuchern der Kampflust auf andere Gruppen zu verhindern möglich. Ein großer Teil der Arbeiter kämpft selbst gegen solche Ansteckungsgefahr, solange er sich noch in halbwegs sicheren Verhältnissen glaubt. Die Verhältnisse wurden aber immer unsicherer. Die ungeheure Zusammenballung der Industrie, die vorgenommen wurde, um eine markttechnisch nicht verwertbare Konkurrenz auszuschalten, die Betriebsunkosten herabzusetzen und eine Steigerung der Erzeugung herbeizuführen durch bessere und intensivere Ausnutzung der Betriebsmittel (nur hierfür war noch Kapital vorhanden), also gewissermaßen ein Entwicklungsprozess nach innen, verfeinerter und schneller arbeitend — die Vertrustung verlegte das Schwergewicht jener Entscheidungskämpfe, die einmal zwischen Kapital und Arbeit, Unternehmer und Arbeiter, stattgefunden hatten, auf die Industrie selbst. Die Werke kämpften miteinander, und das nächste, was dabei zerrieben zu werden schien, war die Arbeiterschaft. Sicherlich lag das keineswegs im Interesse der kämpfenden Gruppen. Im Gegenteil, ein möglichst großes Reservoir sofort greifbarer Arbeitskräfte war eine der wichtigsten Vorbedingungen für die zu gewinnende Überlegenheit, aus der heraus erst dann dem unterlegenen Betrieb die Übernahmebedingungen diktiert werden konnten. Es erwies sich gerade jetzt, dass es im Grunde gar nicht mehr auf die reine Kapitalskraft ankam, sondern auf die Schnelligkeit, die Massierung des Einsatzes und der organisatorischen Zusammenfassung der Arbeitskraft. Es bot sich das gleiche wie auf dem militärischen Kriegsschauplatz. Der Stratege entschied den Sieg, die Zusammenarbeit der großen Gruppen an einer Durchbruchstelle und die Überraschung im Angriff.
Die Truststäbe haben anfangs die Regelung der Arbeiterfragen als untergeordnete und zunächst zurückzustellende Angelegenheit betrachtet. Mochten die Syndikate sehen, wie sie damit fertig wurden. Sie schlössen mit der Gesamtorganisation dieser Syndikate einen Vertrag, demzufolge beide Teile sich gewisse ausschließliche Rechte zugestanden, eine so genannte Arbeitsgemeinschaft, die nach außen hin sozusagen als Wechselbürge für beide Partner die Regierung als Grundlage einer Reihe von Arbeitsverordnungen anerkannte und befestigte. Dadurch wurde aber den Syndikaten ein Teil ihrer ursprünglichen Wurzelkraft entzogen, insofern sie nun auch mit der Regierung zusammengekoppelt waren. Der Kampf der Arbeiter um die politische Macht traf also in seinem Stoß gegen die Regierung schließlich auf ihre eigenen Syndikate. Es geschah also, dass die wesentlichste Verteidigungskraft der Arbeiter, ihre wirtschaftliche Organisation, zugleich auch die Waffe von Industrie und Regierung gegen die Arbeiter geworden war. Wenn auch schon den Arbeitern an Schwerfälligkeit viel zuzutrauen ist, aber dieser Zustand konnte auf die Dauer keinen Bestand haben, obwohl an Ablenkungsmitteln nicht gespart worden war.
Der Sturm, der innerhalb der Syndikate sich ankündigte, war dabei der noch am wenigsten gefährliche. Die Syndikatsbeamten sind aus der Mitte der Arbeiterschaft selbst hervorgegangen, sind meist nicht die schlechtesten Leute mit guten verwaltungs-technischen Kenntnissen, die sich im Laufe ihrer Tätigkeit zudem einen weiten Blick über die Arbeitsfrage und man möchte beinahe sagen über die Maschine der Gütererzeugung anzueignen Gelegenheit haben. Es gibt auch Hohlköpfe darunter, die sich nur vordrängen und es einem besonderen Glücksumstand zuzuschreiben haben, dass sie die Stufenleiter nach oben, ohne zu straucheln, hinaufgekommen sind. Im allgemeinen entscheidet aber doch eine gewisse Tüchtigkeit. Das Ziel ist, in eine solche Verwaltungsstelle hineinzurutschen, die keine direkte Verbindung mehr mit den Kollegen unten hat. Von dem Zeitpunkt an wird dieser Arbeiter ein anderer Mensch, er wird Behörde und Beamter und ist, um ein Scherzwort anzuwenden, regierungsreif. Es ist wirklich seltsam, sehr oft ist es uns selbst nicht klar, alles, was er tut, tut er gegen seine Klassengenossen, obwohl er doch selbst aus ihnen heraus und durch Arbeit für sie sich emporgebracht hat. Manchmal kam es dann zu heftigen Auftritten. Man beschimpft solchen Kerl, möchte ihm am liebsten an die Gurgel. Aber der zuckt gleichmütig die Achseln. Entweder versteht er nicht oder wenn ja, so scheint er zu sagen, das geht eben nicht anders, das verstehst du nicht. Es liegt eine sehr interessante Überlegenheit darin, die den anderen entwaffnet. Wenn man so einem dann zuschreit: Lump, Verräter und solch Ähnliches mehr, dann zuckt der mit keiner Miene, er wischt sich nicht mal das Gesicht, obwohl doch der Angreifer meint, er hat ihm in die Fresse gespuckt. Ein Arbeiter würde sich das nie sagen lassen. Und doch fühlt der andere irgendwie, das gehört zu seinem Amt, dafür ist er da, leistet seine Arbeit und bezieht ein Gehalt. Du wirst es ihm in den meisten Fällen gar nicht klarmachen können, dass er wirklich wie ein Lump und Verräter handelt. Er begreift das nicht. Er leistet wie der ehemalige Kollege an der Drehbank doch auch seine Arbeit. Jede Arbeit hat eben ihre besonderen Bedingungen, sie lassen sich nicht über einen Leisten schlagen - damit wäre er fertig, und der andere kann nicht anders, als ihm etwas davon zu glauben. So ist es. Der Sturm in den Syndikaten selbst hätte, wenn er allein darübergegangen wäre, beschwichtigt werden können. Die unangenehmsten Schreier werden rausgeschmissen, oder man hängt ihnen hintenherum etwas an, was kein Mensch mehr genau weiß oder kontrollieren kann, und solche Leute sind vorerst mal erledigt. Sperren sie noch das Maul auf, so schreit ihm der eine oder andere, der kräftig mit aufgehetzt worden ist, alles mögliche entgegen, was nicht zum Thema gehört, aber dennoch nie seinen Eindruck verfehlt. Da drängt sich der nur nach einem Posten, da ist er als Provokateur vom Unternehmer angestellt, da hat er gerade vor einer Woche noch im ändern Betrieb das Gegenteil behauptet, da hat er einer Kasse mal Gelder unterschlagen, Arbeitergroschen heißt es dann - und alle werden für einen Augenblick gerührt, dann kommt ein Sündenregister, alle möglichen Straftaten werden aufgezählt und weiß Gott was noch alles, wobei es sich darum handelt, ob in dem oder jenem Fall das Syndikat die Interessen der Belegschaft nicht wahrgenommen hat. So wird der unbequeme Kritiker erledigt. Das gelingt immer. Ist der Mann dumm genug, sich mit Wahrheitsbeweisen dagegen zu wehren - später, so wird er obendrein noch ausgelacht. Die Syndikatsleitung hat aber inzwischen die Krise überwunden. Auch die Verleumdungstechnik gehört zum Machtkampf. Nur nicht sentimental sein, das fühlt bald jeder, sondern sich durchboxen. Die Arbeiter sind gern Zuschauer. Wer dabei gewinnt, hat auch die Kasse.
Aber es kamen doch jetzt andere Sachen. Der Kampf in der Industrie hatte eine neue Form angenommen. Man kennt das Katze- und Mausspiel, die eine Gruppe duckt sich, hält still, wollte den Gegner täuschen. Die Werke wurden stillgelegt, die Hochöfen ausgeblasen. Schächte ließ man ersaufen. Dort war es vorteilhaft, die Arbeiterschaft zu reizen. Wenn nötig, ließ man auch die Regierung eingreifen. Mochten die Arbeiter auf den Barrikaden kämpfen - das lenkt den Gegner ab. Dagegen waren die Syndikate machtlos. Sie wurden geradezu überflüssig. Hier brauchte man keinen Mittler mehr. Nicht dass, wie die politischen Parteien meinten, sich solche Provokationen direkt gegen die Arbeiterschaft gerichtet hätten. Dies allein hatte keinen Sinn gehabt; denn im Grunde genommen war die Arbeiterschaft wichtiger und kostbarer als früher. Die politischen Parteien bekamen diesen ihren Fehler auch am eigenen Leibe zu spüren. Große Teile der Arbeiterschaft wollten von ihnen nichts mehr wissen, sie glaubten ihnen nichts mehr, das Misstrauen hatte sich eingenistet. Es war doch auch klar, warum sollten gerade sie, die Arbeiter - denen noch eben gesagt worden war, dass sie als Klasse bereits die alleinige Macht repräsentieren, wenn sie sich dessen bewusst würden, und danach handelten, jetzt auf einmal vernichtet werden - da lag ein falscher Gedankenschluss vor. Aber es ging dennoch auf ihre Vernichtung, weil sie in dem Kampf zwischen den Trusts als Mittel benutzt werden sollten, man befeuerte sich sozusagen damit. Wie im Kriege: niemand brennt eine Stadt nieder gerade aus Lust an Feuerbränden, sondern um den Gegner damit zu treffen, ihm gewisse Möglichkeiten abzuschneiden, ihn niederzuringen. Überall gewinnt, wer den längsten Atem hat. Die Arbeiter sollten endlich aufhören, sentimental zu sein - und alle moralischen Gedankenvorgänge wirken rührselig. Technisch nach Wirkung und Ausnutzung soll man denken lernen. Der Trust, dessen Arbeiterschaft in den Kampf geworfen, aufgebraucht und vernichtet wurde, verlor an Tempo. Es ist, wie wenn man beim Schach eine Figur verliert. Der Gegner reißt eine Fabrikation hoch, Tausende finden im Nu Arbeit — morgen schließt er wieder die Bude. Irgendein Zweck, eine Beunruhigung, eine Ablenkung ist erfolgt, der Gegner hat vielleicht in einem Fabrikationszweig erschöpft die Waffen gestreckt, er hat sich bluffen lassen. Dann, in diesen Kämpfen wurden auch mit den Arbeitermassen die Syndikate zerrieben. Ihre Form hatte sich überlebt. Der Beamtenapparat hing zu sehr in der Luft, ihm fehlte auch die eigentliche Beschäftigung. Arbeit konnte er nicht beschaffen. Das hing von wichtigeren Faktoren für den Trust ab. Der ließ die Syndikate als ausgequetscht und abgenutzt fallen. Er überließ sie ihrem Schicksal und der Regierung. Dem Stoß von unten waren sie jetzt nicht mehr gewachsen. Sie verbröckelten, sie gerieten auseinander, ihr Einfluss begann sichtbar und rapid zu schwinden.

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