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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Sommer

Sehr viele Menschen haben noch niemals einen Sommer erlebt. Wenn alles um dich herum still steht, die Sonne, das Land weit voraus und der Dunst von Himmel und Erde dich zu Boden zu drücken beginnt. Ruhe ringsum. Dann offenbart sich alles leuchtender. Ein Halm legt sich um, gezogen von einem Käfer, der nach der Spitze sich hinüberturnt. Er hat schwer zu arbeiten, gleitet aus, hängt und zappelt, ehe er wieder das Gleichgewicht hat. Dann kommt er wieder ein Stück vorwärts. Ameisen schießen davon. Der Halm wiegt sich langsam, wie von einem fächelnden Luftzug bewegt. Ein Vogel schwirrt drüber hin, tief überm Boden. Das Geräusch bleibt lange in der Luft hangen, dieser kurze schwirrende Laut voll verhaltener Kraft. Ah - da ist auch das Tschilpen der Sperlinge - da ist noch Leben. Ein Krähenschrei hallt von fern. Und dann beginnt es dumpf zu läuten und immer näher, ein Brummer, eine Hummel füllt alles ringsum aus, es dröhnt und paukt — bis der Laut abbricht. Man schrickt ordentlich hoch. Vielleicht, dass du sie sitzen siehst, den Blumenkelch umklammern, sich hineinpressen, dass der grüne Schaft zittert — Arbeit. Und die Spinne neben dir fängt wieder an zu weben, nun merkst du, wie sie in atemloser Spannung gewartet hat, ob sich die Hand weiter noch ausstrecken wird. Und so, aus der Ruhe ringsum, entrollt sich das Bild einer ungeheuren Lebendigkeit. Wie ein breiter Strom zieht alles dahin, seinen Platz auszufüllen und da zu sein, ohne Unterbrechung und gleichmütig, ohne Müdigkeit und ohne Verzweiflung.
Der Gefangene erlebt diesen Sommer, während ein Sonnenfleckchen über seinen Kopf hinspielt, tief im Blut. Es geht alles weiter, es geht alles vorwärts. Draußen treibt die Arbeit. Auch an dich kommt wieder die Reihe. — Man hat jetzt offene Zellen für die Gefangenen. Das sind Zellen, die nach oben zu wie nach vorn zwar vergittert, aber ohne Mauerwerk sind. Nur an den Seiten sind Mauern, dass die Gefangenen sich nicht sehen können, nur hören, wenn sie hinter den Gittern auf und ab gehen oder den Kopf an die Stäbe legen. Man wird sehr an den Zoologischen Garten erinnert. In diese Zellen werden für eine halbe Stunde die Gefangenen geführt, um den Sommer draußen durch die Eisenstäbe zu sehen. Es ist eine herrliche Zeit - Sommer.

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