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B. Traven - Der Marsch ins Reich der Caoba (1933)
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NEUNTES KAPITEL

Andres saß rauchend auf einem gestürzten Baum, hundert Schritte oder einige mehr entfernt von dem Lager. Als er gelegentlich den Kopf wandte und in das grüne Licht des Dschungels blickte, sah er Celso wie einen ungewissen Schatten zwischen einigen offenen Stellen vorüberhuschen. Celso machte den
Eindruck, als ob er einem Wilde auf der Spur sei. Andres blickte der Richtung, die Celso verfolgte, voraus, und da sah er El Camaron gehen, der sich für ein persönliches Geschäft einen geeigneten Platz zu suchen schien.
El Camaron schien nicht zu wissen, dass jemand hinter ihm her war. Andres stand auf und ging zurück zum Lager, wo er sich an das Feuer setzte. Es begann nun rasch Abend zu werden.
Nach einer Weile kam Celso ruhig an und hockte sich gleichfalls an das Feuer. Er stellte seine Bohnen und den Kaffee heran und rührte die Glut auf.
»Ich habe heute den ganzen Tag El Camaron nicht einmal gesehen«, sagte Andres.
»Bist du so verliebt in den, dass du nicht leben kannst, wenn du ihn einmal nicht sehen kannst?« fragte Celso grinsend. »Der hat jetzt immer den Schwanz, und wir sind in der ersten Kolonne des Trupps. Was geht uns der Hurenhund an.«
An dem Feuer saßen auch Paulino und Santiago und noch zwei andere Bursche.
Da sagte Paulino: »Was der uns kümmert, El Camaron? Der kümmert uns schon gut was, das sage ich dir. Und wenn wir erst einmal in der Monteria sein werden, dann wirst du schon bald erfahren, was der uns kümmert. Ich kann euch sagen, wenn ich es könnte, ich würde den Coyote erschlagen wie einen kranken Hund. Das würde ich tun, bei der Purisima. Ich bin nur zu schlapp dazu. Vielleicht einmal, wenn ich eine Flasche Aguardiente heruntergegurgelt habe. Mit einem gewöhnlichen Knüppel würde ich ihn erschlagen.«
»Vielleicht fällt er in den See Santa Clara«, sagte darauf Celso, »dann sind wir ihn alle los.«
»Wie soll er denn in die Laguna fallen, das möchte ich wissen?« erwiderte Paulino. »He, du, Andresillo«, mischte sich Santiago ein, »wenn wir hier mit unseren Carretas wären, dann würde das nicht lange dauern mit ihm.«
»Meinetwegen, macht, was ihr wollt«, sagte Andres. »Lasst ihn doch leben, der hängt sich eines Tages vielleicht ganz von selbst auf.«
»Das ist auch ganz meine Meinung«, meinte Celso, »lassen wir ihn doch leben. Und mit dem Aufhängen, das ist gar nicht so unmöglich, wie ihr denkt. Er hat die Hosen voll Schitt. Er phantasiert herum und denkt, dass El Zorro hinter ihm her ist, weil er sein Geld genommen hat und seinen Ring. Voll Schitt hat er die Hosen, das hat er.«
»Por Diabolo, zum Teufel noch mal, wer hat denn mein Salz hier genommen?« sagte Paulino. »Schrei doch nicht um dein Krümchen Salz«, antwortete Santiago, »hier ist dein Salz, friss es und erstick daran.«
»Ich habe El Camaron in das Dickicht gehen sehen vor einer halben Stunde«, sagte Celso. »Vielleicht sucht er einen Baum, um sich daran aufzuhängen. Aber meine Meinung ist, dass der viel zuviel Schitt in den Pantalones hat, sich selber aufzuhängen. Da muss erst einer nachhelfen, damit er nicht abreißt. Und wenn der einmal hängt, mit Sturm saust er in die Hölle und trifft dort El Zorro an, der ihm schon gleich bei der Ankunft etwas Kräftiges erzählen wird von wegen des Geldes und auch schon von wegen des Diamantringes.«
»Ist ja gar kein Diamantring«, sagte Santiago.
»Ist aber doch ein Diamantring«, mischte sich Paulino ein.
»Streitet euch doch hier nicht um Diamanten herum, die wir nicht haben«, sagte Andres. »Was geht es uns denn an, ob das ein Diamant ist oder ein Rubin oder ein Kieselstein.«
»Andresillo hat recht, es ist kein Diamant«, sagte Santiago, »es ist ein blauer Topas.«
»Es ist überhaupt nur ein Stück ganz gewöhnliches Glas, und Gold ist der Ring auch nicht«, sagte ein anderer Bursche, Otilio, der hier am Feuer saß und sich nur selten in das Gespräch der vier Vertrauten mischte.
»Du natürlich weißt das ganz genau«, sagte Santiago höhnisch. »Und ich weiß, dass der Ring echt ist und wenigstens hundert Pesos kostet. Gekauft hat der Hurensohn den Ring nicht. Er hat einen spanischen Händler da oben in der Nähe von Copainala angefallen, erschlagen und verscharrt und ihm den Ring und alles Geld abgenommen.«
Es wurde eine lange Nacht für die Burschen. Da sie einmal zu schwatzen angefangen hatten, schien das kein Ende mehr zu nehmen die ganze Nacht hindurch, und keiner kam recht zum Schlafen.
Am Morgen, es war noch stockdunkel, brannten schon wieder alle Feuer hell auf für den Kaffee und um für das Frühstück die Bohnen anzuwärmen, die vom Abendessen stets übriggelassen wurden, damit man etwas bei Beginn des Tages zu essen habe.
Auch die Caballeros rekelten sich aus ihren Casitas heraus und krochen zu dem Feuer, das die Burschen, die sie zu ihrem persönlichen Dienst befohlen hatten, bereits angefacht hatten.
Das Feuer der Caballeros brannte immer dicht vor der offenen Seite ihres Daches, damit es das Innere ihrer Casita erwärme und damit sie des Nachts ihre Füße in die Richtung des Feuers strecken konnten, um die Füße warm zu halten. Außerdem gab ihnen das Feuer Schutz gegen die Tiger, die des Nachts stets um das Lager schlichen, angelockt durch das aufgehängte Fleisch und angelockt durch die Ausdünstung der Mules.
Die Mules liefen des Nachts frei umher, um sich Laub und anderes Grünfutter zu suchen und geeignete Stellen zum Niederlegen. Sie legten sich drei- oder viermal des Nachts hin, aber selten länger als je eine halbe Stunde. Dann sprangen sie auf, schüttelten sich und schnaubten heftig. Sie hielten sich immer in Rudeln zusammen. Alles, was die Mules und die Pferde taten, diente ihrem Schutz gegen die Tiger. Es wurden darum auch nur einzelne Tiere, die sich verirrt hatten oder weit zurückgeblieben waren, von Tigern oder Löwen angegriffen. Selbst dann waren es meist immer nur Tiere, die schwächlich und
hufkrank waren.
Die Arrieros sperrten den Pfad, den der Trupp gekommen war, mit Dornengebüschen ab, und einige der Treiber machten ihr Lager für die Nacht an diesem künstlichen Tor. Der Pfad war eng, und des Dickichts wegen konnten die Tiere seitlich der aufgebauten Hecken nicht ausbrechen. Sie versuchten immer nur nach rückwärts auszubrechen, auf dem Wege, den der Trupp gekommen war und den die Tiere deshalb kannten. Auf dem Wege, der am folgenden Tage marschiert werden sollte, gingen die Tiere in ihrer Suche nach grünem Futter des Nachts selten mehr als zwei Kilometer weit. Hier an diesem Lager, wie an der Mehrzahl der Lager, brauchte der Pfad nicht geschlossen zu werden.
Hier sperrte der Fluss den Tieren den Rückweg. Selbst wenn die Brücken nicht bereits durchgebrochen gewesen wären, so hätte dennoch kein Tier versucht, in der Nacht allein zurückzuwandern, denn der Übergang über den Fluss war zu schwierig. Der eine Grund, warum ein Lager immer an einem Flusse geschlagen wurde, war das Wasser, das man zum Kochen und zum Trinken benötigte. Der andere Grund war die größere Sicherheit, dass die frei laufenden Tiere nicht so leicht ausbrechen konnten. Es war meist auf dem Rückmarsch, dass jene Tore gebaut werden mussten.
Die Tiere am Morgen zu suchen war eine schwere Arbeit. Nur sehr geübte Arrieros verstanden es, sie in kurzer Zeit zusammenzubringen. Diese erfahrenen Karawanenführer haben einen merkwürdigen Instinkt, die Tiere fühlend aufzufinden, auch wenn die Nacht im Dschungel noch so schwarz ist.
Die alten Veteranen unter den Karawanenmules freilich kommen sehr früh am Morgen selbst zum Lager, weil sie wissen, dass der Mais auf sie wartet. Es gibt nur einmal am Tage Mais. Mais ist der Braten für die Mules und die Pferde. Und wer nicht rechtzeitig am Morgen zur Stelle ist, muss leer ausgehen oder sich mit dem begnügen, was die Arrieros für sie vor den rasch arbeitenden Mäulern der pünktlichen Tiere retten konnten.
Da der Weg nicht immer durch das Dickicht geht, sondern lange Strecken auch durch Dschungel, wo Bäume und Büsche weniger dicht stehen, so schweifen die Tiere des Nachts von dem Pfade ab und gehen zur Seite oft einen Kilometer und weiter in den Dschungel hinein. Diese Tiere zu suchen ist die Arbeit, die am Morgen die meiste Zeit verschlingt und oft genug die Ursache ist, dass einige Muletreiber ohne Frühstück abziehen und auf ihre erste Mahlzeit am Tage warten müssen bis zum Abend im neuen Lager.
Die Caballeros krochen fröstelnd unter ihrem Dach hervor. Ihre Decken schlugen sie fest um sich herum und zogen sie hoch bis über die Nase. Am frühen Morgen ist es ganz verteufelt kalt im tropischen Dschungel. Weil sich der Körper völlig auf die tropische Hitze einstellt, so fühlt man jene Morgenfrische um so empfindlicher. Die Caballeros richteten sich nicht auf, um nichts von der Wärme der Nacht zu verlieren. Sie krochen gebückt zu dem hellen Feuer.
Der Kaffee war bereits fertig. Gierig schlürfend, mit einem grunzenden Gurgeln, das ihr Wohlbehagen verriet, tranken sie den Kaffee in sich hinein. Sie klammerten ihre Hände dicht um die Emailletassen, um die Hände zu wärmen.
Dann stellten sie die Tassen fort, kratzten sich den ganzen Körper, rülpsten, spuckten, gähnten, fluchten, verschworen ihre Seele, rekelten sich, schabten sich mit allen Fingernägeln im Haar, scheuerten sich den wachsenden Bart mit den Knöcheln, rotzten und spuckten und fluchten wieder und richteten sich dann endlich auf, ihren Körper ziehend und streckend.
Hierauf kamen ihre Burschen mit halben Fruchtschalen, gefüllt mit frischem Wasser. Die Burschen gossen ihren Herren das Wasser über die Hände, die Caballeros rieben sich die Hände, wischten sich mit den nassen Händen die Augen aus und schleuderten dann das Wasser von den Händen ab. Dann trockneten sie sich die Hände an dem Handtuch, das jeder Caballero während der Nacht um den Kopf gewickelt hatte, um zu verhindern, dass ihm Insekten in die Ohren und in den Hals kröchen und die Moskitos sein Gesicht zerstachen.
Die Burschen brachten abermals Wasser, und die Caballeros spülten sich den Mund und gurgelten lange und gründlich.
Zwischendurch gellten bereits die Befehle für den Tag über das Lager hin, während die Burschen am Feuer Reis rösteten, Bohnen anwärmten, Kaffee frisch ansetzten, Sardinenbüchsen öffneten und die zerbröckelten Totopostles aus dem Leinensack fischten.
Das Lager war bereits zum Aufbruch gerüstet.
Bei den Tieren fluchten und verschworen sich die Arrieros, weil die Tiere nicht geduldig stehen und sich die Packen ruhig aufladen lassen wollten.
Dann war wieder ein Tier, das man schon hier hatte, erneut fortgelaufen, ein anderes, bereits geladen, warf sich hin und versuchte, die Last abzuwälzen, einige marschierten bereits von selbst los. Hier riss ein Gurt, dort brach ein Strick, und die Last rutschte ab, weiterhin kreischte ein Arriero ein Dutzend Cabrones und Hurensöhne auf einen Burschen los, der die falsche Schleife gereicht hatte, wodurch die geordneten Züge der Seile in Unordnung gerieten, so dass die Last nicht festgezogen werden konnte. Celso, Andres und die übrigen Burschen dieser Marschgemeinschaft schnürten an ihren Packen herum. Paulino scharrte das Feuer aus und pickte die Reste des Kienholzes auf, das nicht völlig verbrannt war. Er schob die angekohlten Späne in seinen Packen.
Die Burschen hockten herum und tranken die letzten Schlucke ihres Kaffees aus ihren Blechkännchen. Diese Kännchen wurden oben auf den Packen aufgebunden oder oben in die Öffnung des Netzes geschoben.
Da hörte man Don Gabriel schreien: »El Camaron, du himmelgottverfluchter fauler Stinkknochen, wo hurst du denn herum? Komm her!«
Andres erschrak heftig. Er sah Celso an, der gleichmütig am Boden hockte, seinen Kaffee in dem Blechkännchen herumschwenkte und vor sich hin knurrte: »Schitt und nochmals Schitt und verflucht noch mal.«
Es war immer noch dunkel, aber der Morgen eilte doch sehr rasch heran. Die Umgebung färbte sich in ein graues, schimmerndes Blau. Andres vermochte das Gesicht des Celso genügend zu sehen. Er verwunderte sich, dass Celso so gleichgültig blieb. Dann bemerkte Celso, dass ihn Andres aufmerksam ansah.
»He, du Ochsentreiber, was stierst du mich denn so an?« sagte er übel gelaunt. »Ich soll dir wohl gleich am frühen Morgen eins in die Zähne hauen. Ich bin gerade in der rechten Stimmung dazu. Ich könnte mich selbst erwürgen.«
»Orita, jefe«, schrie da aus einiger Entfernung im Dickicht El Camaron, »gleich, gleich, ich komme schon, a sus ordenes, zu Ihrem Befehl!«
»Bueno«, rief Don Gabriel, »wir reiten ab. Du nimmst wieder den Schwanz wie gewöhnlich und zählst ab von hier an, dass keiner fehlt.«
»Muy bien, jefe, sehr wohl«, antwortete El Camaron. Jetzt sah aber Celso Andres an. Dabei stand er auf, nahm seinen Packen auf und sagte: »Los, komm,
Andresillo. Wir sind in der ersten Kolonne.«
Als sie eine Weile nebeneinander marschiert waren, sagte Celso: »Was hast du denn gedacht, Brüderchen, Manito?« Er griente. »Ich weiß ganz genau, was du gedacht hast. Bin nicht umsonst Weissager und Sternenleser. Aber du hast falsch gedacht. Siehst du, wenn du oder sonst einer sich etwas denken kann,
dann geschieht gar nichts. Nur wenn du gar nichts denkst und gar nichts siehst, dann vielleicht arbeitet das Schicksal. Nebenbei habe ich dich gestern beobachtet, als du mich da herumschwirren sahst. Ich war hinter einem Pescuintle her. Fleisch könnte uns wieder einmal gut tun. Und noch eins, Söhnchen, wir sind noch nicht am See Santa Clara. Das sind noch zwei gute Tagereisen. In zwei Tagereisen durch den Dschungel können noch viele Dinge geschehen. Wenn du noch mal hinter mir herguckst, gerade wenn ich hinter einem Pescuintle her bin, dann kriegst du doch noch eins in die Fresse von mir. Rein aus guter Freundschaft. Und nun lass mich allein. Ich habe viel nachzudenken. Die Vereda, der Pfad, wird nun auch wieder zu eng, als dass wir nebeneinanderher laufen könnten.«
An diesem Tage erreichte der Trupp den Paraje Busija. Der Busijafluss war breiter als der Santo-Domingo-Fluss, aber er war so leicht zu kreuzen, dass der Übergang wie ein Spaziergang war. Der Boden steinig und grober Sand. Die Tiere hatten nur darauf zu achten, dass sie nicht über die Steine stolperten
oder zwischen Steinen mit ihren Hufen stecken blieben. Aber das Wasser war klar wie die Luft, und die Tiere konnten sehen, wohin sie traten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses befand sich ein geräumiger Platz zum Lager. Der Fluss hatte einen Seitenarm. Dieser Arm bog sich in einem Halbkreis auf und vereinigte sich nach etwa fünfzig Metern wieder mit dem Fluss. So bildete sich eine Insel.
Kleine Trupps, die zu den Monterias zogen, lagerten auf der Insel.
Für einen so großen Trupp jedoch war nicht genügend Platz auf der Insel. Darum blieben hier nur die Caballeros und deren Burschen.
Es war einer der schönsten Lagerplätze. Aber in der Nacht stürzte ein schwerer Regen herunter, der die Peones mitten in der Nacht zwang, sich einige notdürftige Schutzdächer zu bauen.
Diese Schutzdächer halfen nicht viel; aber sie gaben den Peones doch wenigstens das Gefühl, dass sie ohne Dächer noch nasser hätten werden können. Jedoch beim ersten Morgengrauen stellte es sich heraus, dass dies ein Trugschluss war; denn die Peones waren bis auf die Haut durchnässt, und sie konnten auf keinen Fall nasser werden, auch wenn sie die ganze Nacht mitten im Fluss geschlafen hätten.
Celso ging an diesem Abend nicht auf die Pescuintlejagd. Er sagte, hier wäre es zwecklos, seine Zeit damit zu verlieren, denn hier herum gäbe es keine Pescuintles. In der Nacht aber zog er wie die übrigen im Dschungel herum, Palmblätter und Zweige zu suchen und ein Dach zu bauen.
Es war nun die Zeit des zunehmenden Mondes. Die Abende wurden dadurch ein wenig aufgehellt.
Sie schienen freundlicher zu werden, der Dschungel bekam ein anderes Licht und sah nicht mehr so schreckhaft drohend im Anfang der Nacht aus.
Als die Burschen abends beim Essen hockten, sagte Celso: »Hier ist einmal eine Monteria in der Nähe gewesen. Sie ist jetzt freilich tot. Sie hatte keinen langen Atem. Natürlich war das keine vollwertige, gut ausgewachsene Monteria. Es war nur gerade so eine Monteria, wie man sie vielleicht kleinen Kindern
zum Spielen gibt, damit sie nicht schreien sollen.«
Andres sah sich um. »Aber man sieht gar nichts mehr von der Monteria.«
Paulino lachte. »Da sieht man, dass du ein Neuer bist. Von einer Monteria sieht man nie viel. Du kannst mitten in einer Monteria sein und weißt es nicht einmal.«
Santiago sagte: »Ich sehe auch gar keinen Caobo, keinen Mahagonibaum, hier.«
»Wenn eine Monteria in der Nähe war, wie willst du denn da noch einen Caobo sehen?« antwortete Celso. Alle Mahagonibäume sind geschlagen, und das ist der Grund, warum du keine mehr siehst. Die Kompanien haben alle ihre Konzessionen mit der Bedingung, dass sie für jeden geschlagenen Caobo drei
junge Mahagonibäumchen pflanzen müssen, damit der Baum nicht ausgerottet wird. Das müssen sie tun, oder es wird ihnen die Konzession entzogen, und sie müssen Strafe bezahlen. Siehst du hier vielleicht einen einzigen jungen Mahagonibaum? Nicht einen einzigen! Die Kompanien rauben alles aus, und wenn sie nicht einen trockenen Knüppel vom Caobo mehr übriggelassen haben, dann ziehen sie ihrer Wege.«
»Nun wird doch schon den ganzen lieben langen Marsch entlang immer von Caoba geredet. Caoba am Morgen, am Mittag und am Abend. Mahagoni und nichts als Mahagoni«, sagte Andres. »Ich möchte doch nun endlich einmal echte Caoba sehen mit eigenen Augen.«
»Ich könnte hier ja für dich einen guten Baum suchen gehen«, sagte Celso. »Weiter drinnen sind sicher noch ein paar schmächtige Jünglinge übrig geblieben. Aber du wirst noch genug sehen. Wirst noch so viel sehen, dass du freiwillig Blut spuckst, von vorn und von hinten und aus allen Löchern und Kiemen, wenn du nur schwirren hörst: >A donde quede hoy tu jornal, cabron? Wo bleibt denn heute deine Tagesleistung, du Hurenschwengel?< Sei nicht übereilig. Die Caoba läuft dir schon nicht fort. «
Am Morgen hatte der Regen nachgelassen. Aber es stürmten schwere, dicke Wolken über den Himmel hin, und es war ringsum so schwarz, dass die Arrieros die doppelte Zeit brauchten, um aufzupacken. Die Packen waren gut verschnürt in Petates, in Schilfmatten, die nicht leicht Wasser hindurchlassen. Aber sie lagen im Schlamm. Alle Seile und Gurte waren nass und ließen sich nicht leicht anziehen. Auf dem Marsch unter der heißen Sonne trockneten sie aus, wurden schlaff, und die Packen fielen den Tieren zwischen die Beine und mussten erneut aufgeladen werden.
Celso trank seinen Kaffee und rührte in den Bohnen herum.
Die übrigen Burschen an seinem Feuer wrangen ihre Hosen und ihre Decken aus und hielten sie gegen das Feuer. Rings um das Feuer standen die Kännchen und Krügchen für das Frühstück. Da hörte man von der Insel her, wo die Caballeros lagerten, Don Gabriel schreien: »Ahooouahooo, El Camaron, du fuckender Cabron, wo hurst du denn nun jetzt schon wieder? He, komm her, du elender Knochen von einem Dormilon, einer verschlafenen Ratte! He, El Camaron!«
»Der ist sein Caballo, sein Pferd, suchen gegangen, Patroncito«, sagte einer der Burschen, der den Reis für die Caballeros in der Pfanne rührte.
»Das ist so, Patron«, sagte ein anderer Bursche, »beinahe jeden Morgen muss er hinter seinem Pferde her. Das bleibt nicht in der Nähe. «
»Soll er es anbinden, wenn er es nicht besser erziehen kann«, erwiderte Don Gabriel unwillig, während er sich die Hände und die Augen wusch.
Nach einer halben Stunde rief Don Gabriel erneut nach El Camaron: »Zu allen Teufeln und Höllen, wo ist denn der Bursche eigentlich? Du, Chicharon«, redete er einen Burschen an, der in die Nähe gekommen war, »los, mach dich auf und sieh einmal nach, wo El Camaron steckt!«
Der Trupp war marschbereit.
»Was wollen Sie denn von El Camaron?« fragte Don Alban. »Er wird schon nachhinken. Er weiß doch, dass er den Schwanz hat. Der Spitzbube geht schon nicht verloren.«
»Darum ist es nicht«, sagte Don Gabriel, »aber er hat die Marschliste zum Abzählen.«
Don Ramon, der es nicht liebte, sich unnötig aufzuregen, und der, weil er ja wusste, dass er der König des Ganzen war, seinen Unterführern das gewöhnliche Kommandieren überließ, sagte. »Ja, Don Gabriel, dann nehmen Sie nur den Schwanz und zählen Sie aus, so gut Sie können. Es wird schon keiner fehlen. Wer bis hier nicht fehlt, der fehlt nun nicht mehr. Der Rückweg ist zu lang geworden.«
»Bueno«, antwortete Don Gabriel, »ich werde den Schwanz nehmen, die Cola. Ich reite lieber vorn oder in der Mitte. Aber gut, einer muss ja die Cola nehmen.«
Don Ramon pfiff das Signal zum Abmarsch.
Als die Peitschen knallten und die Arrieros fluchten, weil die Tiere in den Morast gesunken waren und sich nur widerwillig in Marsch setzten, kam Chicharon angelaufen, der indianische Bursche, den Don Gabriel auf die Suche nach El Camaron geschickt hatte.
Er kam angefegt, als ob alle Flammen der Hölle hinter ihm her wären. Als er nahe heran war, konnte er keine Worte hervorstoßen. Er schluckte und gurgelte und zeigte mit dem Arm in die Richtung, aus der er gekommen war.
»Rede schon, por diabolo«, sagte Don Ramon, »oder ich ziehe dir einen über!«
»El Camaron ist tot, da drüben im Dickicht, beim Abhang, er ist aufgespießt.« »Aufgespießt?« riefen alle Caballeros.
»Ja, aufgespießt«, wiederholte der Bursche, »Purisima, Santisima, rette mich und erlöse mich!«
»Halt's Maul mit deinem Gewinsel!« sagte Don Gabriel. »Los, komm und lass uns sehen, wo er ist! Du bist wohl verrückt? Aufgespießt? Als ob man das im Leben je gehört hätte. Vamos, Senores, lassen Sie uns gehen und nachsehen.«
Da rief ein Arriero: »Perdoneme, jefe, entschuldigen Sie, Don Ramon, was machen denn wir? Die Bestias wollen nicht mehr stehen. Die rennen uns davon. Sind alle geladen. Wir können doch nicht wieder abladen.«
»Dann los, ihr marschiert schon los mit den Tieren. Wir kommen nach.« Don Ramon pfiff abermals, und der Trupp machte sich auf den Weg.
Er schmitzte den ihm nahe stehenden Tieren eins über die Kacheln, und sie rückten den schon voranmarschierenden Spitzengängern eilig nach.
Don Alban rief einer Gruppe Burschen zu: »Ihr da, ihr kommt mit uns, vielleicht gibt es etwas zu tun.«
Dieser Auftrag galt nicht der Gruppe, in der Andres war.
Celso hatte sofort gesagt, als Chicharon schreiend herbeilief: »Nicht so nahe, da gibt es nur wieder Extraarbeit. Nicht vordrängen. Kannst später noch mehr als genug arbeiten.« Er beeilte sich, mit seiner Gruppe gleich hinter die ersten abmarschierenden Tiere zu kommen.
»Ich möchte doch aber sehen, was mit El Camaron los ist«, sagte Paulino.
»Was geht dich denn der Pisser an?« meinte Celso. »Lass ihn doch verrecken. Ist er vielleicht dein Bruder?«
»Lieber den Onkel des Satans als Bruder«, antwortete Paulino.
»Dann geh deiner Wege und pfeife dir ein Liedchen«, sagte Celso, den Marschtritt aufnehmend.
»Wenn der Klötensauger verreckt ist, um so besser für dich, eine Peitsche weniger. Und was für eine.«
So marschierten sie los und weinten keine Träne.
Die Caballeros mussten ihre Pferde zurücklassen und zu Fuß gehen. Chicharon führte sie etwa dreihundert Schritte tief in den Dschungel hinein.
Da fanden sie El Camaron am Boden liegen. Chicharon hatte richtig gesehen. Der Zutreiber war aufgespießt am Boden. In der Hand hielt er den Lasso, mit dem er sein Pferd eingefangen hatte. Der Lasso war fest um sein Handgelenk geschlungen, so dass er sich nicht auflösen konnte, wie sehr auch das Pferd daran zerren mochte.
Die Augen waren offen und verglast. In seinem Gesicht zeigte er einen Schrecken, als ob er im letzten Augenblicke sich vor irgend etwas heftig entsetzt haben musste.
Don Ramon gab den Burschen, die gefolgt waren, den Auftrag, El Camaron aufzuheben.
Der Körper musste hin und her gezerrt werden, damit er sich von dem Spieß abheben ließ, denn er saß sehr fest drin.
Die Caballeros untersuchten den Spieß.
Don Ramon sagte: »Ein seltener Unglücksfall, aber so etwas kann vorkommen. Ich habe einmal, als Junge, etwas gesehen, was so ähnlich war wie dies. Es ist ganz natürlich.«
Der Spieß war ein dünnes Stämmchen eines jungen Baumes von sehr hartem Holz. Die Burschen, auf der Suche nach Stämmchen für die Schutzdächer, hieben solche Stämmchen mit einem Hieb des Machete ab. Der Hieb wurde nicht von der Seite geführt, sondern heftig von oben nach unten. So zeigte der Stumpf, etwa vierzig Zentimeter über der Wurzel, einen langen, schrägen Schnitt. Dieser Schnitt war so scharf wie das Ende eines abgerundeten Schwertes. Wer durch den Dschungel in der Dunkelheit der Nacht oder des
frühen Morgens herumtappte, stolperte und heftig fiel und zu seinem Unglück auf einen solchen geschnittenen Hartholzstumpf stürzte, wurde unrettbar aufgespießt. Er wurde um so rettungsloser aufgespießt, wenn er eben ein Pferd gelassot haben sollte, das noch scheute vor dem unerwarteten Auftauchen seines Einfängers und im Augenblick des Überwerfens des Lassos rannte und dadurch den Mann, der den Lasso hielt, mit voller Heftigkeit in den dicken Stachel hineinbohrte. Es konnte noch etwas anderes geschehen sein: Das Pferd, an dem Lasso zerrend, fegte aufgeregt einige Male im Kreise herum
und trat dem gefallenen Mann auf die Brust, ihn mit dem Gewicht des Pferdekörpers in den spitzen Stumpf pressend.
Don Alban spuckte aus, bekreuzigte sich und sagte: »Der Anblick ist ebenso gräulich und entsetzlich, wie der Anblick des anderen Spitzbuben war. Senores, entschuldigen Sie, ich kann hier nicht stehen bleiben, es wird spät. Ich gehe zurück zu meinem Pferde, steige auf und reite voran.«
Don Ramon stand für einen Augenblick unschlüssig. Dann sagte er: »Das hat keinen Zweck, hier lange herumzustehen. Aufwecken können wir ihn nicht mehr. Eiskalt ist er. Muss schon in der Nacht aufgespießt worden sein. Schrecklicher Tod. Und wie er stiert. Sicher schon angelangt in der Hölle.
Mir wird ganz dreckig im Magen. Und auch gleich so frisch auf das Frühstück.«
Don Gabriel zündete sich eine Zigarette an und meinte: »Scharren wir ihn ein.«
»Natürlich«, mischte sich der Händler Gervacio ein, »natürlich müssen wir ihn eingraben. Wir können ihn doch nicht mitnehmen. In zwei Stunden stinkt er. Ich gehe, Senores. Ich muss bei meinen Waren bleiben.«
Es war nun Tag geworden.
Don Ramon ruckte sich zusammen: »Hören Sie, Don Gabriel, ich mache mich zum Trupp. Können den Trupp nicht ganz allein lassen. Wenn wir hier noch lange überlegen, kommen wir heute nur bis zum Paraje Cafetera. Da haben wir kein Wasser. Nur eine stinkige Pfütze, gelb, schleimig, voll Frösche.
Nicht einmal die Mules rühren die verpestete Pfütze an. Müssen auf alle Fälle Santa Clara machen, den See. Gute reine Quellen. Ich gehe, Don Gabriel. Besorgen Sie hier die Abrechnung. Santisima Madre de Dios, ruegue por mi.« Er bekreuzigte sich und stolperte eiligst davon, zurück zum Pfad, wo die Burschen
mit den Pferden warteten.
»Leert ihm die Taschen aus!« befahl Don Gabriel den Peones, die hier waren, um beim Verscharren zu helfen. »Hat er Briefe bei sich oder Papiere?«
»Ningun papeles, jefecito«, antwortete Chicharo.
»Die Abzählliste hat er in der Satteltasche«, sagte Don Gabriel.
»Könnt euch untereinander teilen, was er hat!« ordnete er darauf an. »Aber erst grabt ihn ein und streitet euch später.«
»Soll ich ihm auch den Ring abnehmen, Jefe?« fragte Chicharo. »Kannst du dir anstecken.«
Chicharon spuckte auf den Finger des El Camaron und drehte mit Mühe den Ring herunter. Er betrachtete ihn eine Weile und steckte ihn sofort an seinen eigenen Finger. Er passte ihm nur auf dem Mittelfinger.
Die Burschen scharrten bereits eine Höhlung für den Körper aus.
»Zeig mal her den Ring, Chicharon!« sagte da plötzlich Don Gabriel.
Der Peon zog den Ring wieder ab und reichte ihn Don Gabriel mit enttäuschter Gebärde.
»Hilf den Muchachos beim Graben, damit wir nicht so viel Zeit hier verlieren!« befahl er. »Zieht ihm die Stiefel aus und seht, ob er Papiere oder Geld drin hat!«
»Haben wir schon nachgesehen, Jefe«, rief einer der Burschen, »hat nichts drin. Die Sohlen sind auch durch und haben Löcher, und das Leder ist an den Seiten aufgeplatzt.«
Don Gabriel betrachtete den Ring sehr aufmerksam. Er hauchte ihn an und scheuerte ihn am Hemdsärmel blank. Er sah sich den großen Stein sorgfältig von innen aus an, um zu sehen, ob der Stein belegt sei oder freiliege. Dann wog er den Ring abschätzend in der Hand, rieb ihn nochmals am Ärmel und kratzte mit seinem Taschenmesser an dem Stein herum.
Endlich schob er sich den Ring auf einen Finger und betrachtete wohlgefällig seine Hand, wobei er den beringten Finger wegspreizte und die Hand nach allen Seiten verdrehte. Er schnalzte zufrieden mit der Zunge und sagte endlich halblaut. »Sieh mal an, wer hätte das wohl gedacht. Möchte wissen, wo der
Bandit den Ring her hat.«
Er zog den Ring vom Finger und schob ihn in die Tasche. Nach einer Weile fischte er ihn wieder heraus und knüpfte ihn in sein Halstuch sorgfältig und bedächtig ein.
»Seid ihr gottverfluchten faulen und pestigen Schlingel denn immer noch nicht fertig?« schrie er erbost und trat einem der Peones, der ihm am nächsten arbeitete, mit dem Stiefel in den Hintern, dass der Bursche kopfüber in die ausgekratzte Erde fiel. »Ich werde euch auf die Beine helfen, wenn ihr vielleicht denkt, dass ihr euch hier ausschlafen könnt. Los, hurtig! Weiß der Teufel, wann wir den Trupp einholen werden.«
Er stampfte herum, zündete eine neue Zigarette an, tastete, an dem Knoten seines Halstuches, wo der Ring eingeknüpft war, ging ein paar Schritte, wendete sich zurück, kam näher und sagte: »Tief genug. Die Wildschweine schnüffeln ihn ja doch heraus und auch noch die Tiger. Hebt ihn 'rein und werft zu.
Mach ihm das Halstuch los!« sagte er dann zu einem der Burschen.
»Hier ist es, Jefe.«
Don Gabriel breitete das Halstuch aus, schüttelte es auf, trat zur Höhlung und deckte das offene Tuch über das Gesicht. Dann drückte er durch das Tuch auf die Augäpfel des Toten. Er richtete sich auf, bekreuzigte sich und sagte: »Purisima Virgencita, bitte für uns heute und immerdar. Amen.«
Er machte ein Kreuz über den Körper und drei über sein eigenes Gesicht und küsste den Daumen seiner Hand.
Darauf bückte er sich, warf eine Handvoll Erde auf den Toten und sagte: »Schmeißt zu! He, du, Chicharon, mach ein Kreuzchen!«
»Ist schon fertig, Jefecito«, erwiderte der Indianer.
»Bueno, steckt das Kreuz obenauf! Nicht da, du Burro. An das Kopfende. Und nun los und die Beine an den Ursch genommen. Und dass ihr mir alle schön mitkommt, sonst lehre ich euch laufen, ihr gottverfluchten Stinker.«
Es waren etwas weniger als vierzig Kilometer, die der Trupp heute zu marschieren hatte.
Gegen Mittag wurde der Desempeno-Fluss erreicht, wo der Trupp für eine kurze Erholung rastete.
Wie Stöcke fielen die Burschen lang hin, die Don Gabriel marschieren gelehrt hatte. Don Ramon sah es, ging auf sie zu und sagte: »Wenn ihr so wild draufloslauft, werdet ihr nicht bis zur Monteria kommen.«
Er nahm aus seinem Morral, dem Bastbeutel, den jeder mexikanische Reiter mit sich führt und in dem er seine Tagesration trägt, eine Büchse Sardinen, warf sie den keuchenden Burschen hin und sagte: »Teilt sie euch, und trinkt nicht so viel Wasser in euch hinein. Das tut nicht gut.«
Später sagte er zu Don Gabriel: »Amigo, eins müssen Sie noch bei diesem Geschäft lernen und noch manches andere mehr. Es genügt nicht, Leute einzufangen, man muss sie auch bei guten Kräften und bei guter Gesundheit in den Monterias abliefern, sonst wird nichts dafür bezahlt.«
Als er das sagte, schlenderte Don Alban heran. »Senores mios, mir ist entsetzlich unheimlich. Es kommt mir gerade so vor, als ob wir hier ewig in diesem Dschungel marschierten, als marschierten wir immer im selben Kreise herum. Nicht ein einziges Mal den offenen Himmel über sich. Grün und dunkel, grün und dunkel. Und diese brüllende Hitze und die drückende Feuchtigkeit. Dazu das ewige Wispern und Zirpen umher und das grauenhafte Brüllen der Gritones, das man Tag und Nacht nicht los wird. Wenn ich nicht bald ein Haus sehe und einen Tisch und einen Teller und ein paar andere Gesichter vor meinen Augen, ich glaube, bei der Santisima, ich werde verrückt. Dass mich auch der Teufel zwicken musste, mit meinem Handel in die Monterias zu ziehen.«
Don Ramon lachte auf, schlug ihm heftig auf die Schultern und sagte: »Reden Sie keinen Erbsenbrei, Don Alban. Alles geht vorüber. Und wenn Sie alles, was Sie hier mit sich schleppen, mit hundert Prozent Profit verkauft haben werden, denken Sie anders über den Dschungel. Für nichts ist nichts.«
Er zog die Pfeife hervor und pfiff das Aufbruchssignal.
Gegen fünf Uhr nachmittags fühlte der Trupp in der umgebenden Luft die ersten Anzeichen des großen Sees.
Ein leichter Wind vom See her trug den Geruch des Schilfes, der modernden Seegräser, der verschlammten und versumpften Ufer hinauf auf den felsigen Berg, an dessen abschüssigem Gefälle der Trupp sich in Windungen hinunterschlängelte zum See.
Zuweilen sah man den See und die Offenheit über dem See durch einige Lichtungen im Dschungel aufblitzen.
Der Pfad war bröckelig und oft nur einen Fuß breit. Aber wenn man auch abrutschte, weder Mann noch Pferd konnten in den Abgrund stürzen, weil der hohe, felsige Berg dicht bewachsen war mit Bäumen und Büschen.
Der Trupp marschierte in langer Linie, Mann hinter Mann, Tier hinter Tier. Niemand durfte halten, weil das den ganzen Trupp aufhielt. Es rutschten Packtiere ab. Aber ohne dass der Trupp zum Stehen kam, wurden die Tiere von den Händen der Arrieros gestützt, und man half ihnen wieder hinauf auf den Pfad.
Die Tiere, den See und seine frischen Weiden im Geruch aufnehmend, wieherten und trompeteten, dass es widerhallte vom See. Je näher sie zum Wasser kamen, um so eiliger wurden sie. Die letzte Viertelstunde setzten sie sich sogar in Trab, trotz ihrer Packen, trotz ihrer aufgescheuerten, wunden
Rücken, trotz ihrer Müdigkeit. Die Luft war angefüllt von dem Geschrei und Gekreische der Wasservögel, die zu Tausenden hier am See lebten.
Dennoch lastete über dem See und an seinen Ufern eine Einsamkeit, die zugleich unheimlich und erschütternd wirkte.
In der Nähe des Sees waren große Weiden, auf die die Ochsen, die in den Monterias arbeiteten, alle drei Monate in die Ferien geschickt wurden. Die Peones, die indianischen Caobaarbeiter, schufteten in den Monterias tagein, tagaus, Jahr um Jahr, bis sie endlich eingescharrt wurden. Sie bekamen nie Ferien.
An dem Ufer des Sees, das der Trupp jetzt erreichte, stand ein Haus mit Palmblätterdach. Aber das Haus hatte keine Wände. In dem Hause wohnte der Bursche, der die Ochsen bewachte, die in den Ferien hier waren.
Als der Trupp ankam, war der Bursche nicht da. Er hatte auch noch andere Weiden zu besuchen, die eine volle Tagereise von hier entfernt waren und an den anderen Ufern des Sees lagen.
Der Lagerplatz war offen. Man sah den Himmel frei über sich. Nach den vielen Tagen in dem ewigen Einerlei des dunklen Grüns im Dschungel war es gleich einer Erlösung aus einem wüsten, schweren Traum, hier am See rasten zu können.
Aber nach drei Stunden Anwesenheit begann die Qual. Eine Qual, so groß, dass man bereit war, alle Schönheiten des Sees gern herzugeben. Infolge der Ochsen, die hier ständig weideten, war das Lager angefüllt mit Milliarden und Milliarden von Garrapatas, von Zecken. In einer Stunde hatte jeder, der hier lagerte, seinen Körper und seine Kleidung so übervoll von Zecken, dass man jeglichen Widerstand aufgab und sich zerbeißen ließ, wo und wie es den Herren dieser Welt, den Zecken, gefiel. Baden im See tötete die Zecken nicht ab, sondern tat ihnen ebenso wohl wie dem Badenden. Aber ein Baden war nicht
möglich, weil die Ufer zweihundert Meter weit sumpfig waren und verwachsen mit Schilf. Das Wasser für den Trupp wurde nicht aus dem See genommen, sondern aus den zwei Quellen, die am Fuße des Felsenberges dicht am See entsprangen.
Abends am Feuer sagte Celso zu Andres, als die beiden allein waren: »Ich hatte geweissagt, dass El Camaron hier an diesem Felsen verunglücken würde. Aber das Schicksal hat es anders gewollt. Mit dem Schicksal soll man nicht rechten, und man soll nichts besser machen wollen, als das Schicksal es will.«
»Hast du gehört«, fragte Andres, »was die Burschen, die ihn eingescharrt haben, erzählen, wie er verunglückt ist?«
»Wenn ich auf solches Geschwätz hören sollte, käme ich ja zu keinem eigenen Gedanken«, erwiderte Celso. »Und überhaupt und so, was geht mich denn der Räuber an? Er und El Zorro fangen jedenfalls keinen Indianer mehr ein und stehlen ihn weg von seiner Frau und seiner Freude am Leben. Ich spucke
nur aus, wenn ich an diese beiden Hurenbengel denke.«
Der Marsch am nächsten Tage ging durch dichten Dschungel, der in seinem Charakter völlig abwich von dem, den sie in den letzten Tagen angetroffen hatten.
Der Weg wurde nicht ein einzigesmal fest oder sandig oder steinig. Es war Morast und Sumpf ohne Aufhören und ohne die geringste Abwechslung.
Celso, neben dem Andres marschierte, sagte: »Mein Söhnchen, jetzt kannst du hier bereits die Caoba in allen Ecken und Winkeln riechen, wenn du auch nicht einen einzigen Baum sehen solltest. Aber nun hat das Reich der Caoba wirklich begonnen. Heute Abend wirst du die ersten Überreste einer abgebauten großen Monteria zu sehen bekommen. Und noch manches andere, das dir zu denken geben wird, wenn du das Denken noch nicht verlernt hast.«
Die Pflanzenwelt wurde eine andere. Der Wechsel war so auffallend, dass er nicht nur den indianischen Peones auffiel, die hier zum ersten Male wanderten, sondern selbst den Händlern, die sich um Pflanzen und Bäume, die sie auf ihren Reisen sehen, gewöhnlich nicht kümmern. Baum ist ihnen Baum, und Strauch ist ihnen Strauch. Ob es ein Ebenholzbaum ist oder ein Kastanienbaum oder ein Apfelsinenbaum oder ein Eichbaum, das ist ihnen alles gleichgültig. Solange die Bäume nichts von ihnen kaufen wollen, solange haben sie kein Interesse an ihrem Aussehen und ihrem Wert.
Die Reitpferde und die Tragmules sanken und flitschten in den weichen Boden bei jedem Schritt tief ein. Sie tasteten ihren Weg voran, immer nach den trockensten Stellen suchend, wo sie den Fuß fest aufsetzen konnten.
In diesen Regionen war ständige Regenzeit. Selbst wenn es nicht regnete, lag am frühen Morgen ein so schwerer und dicker Tau auf dem Dschungel, dass, wenn man hier marschierte oder ritt, man von den abtropfenden Bäumen und Sträuchern bis zum Mittag ständig nass war bis auf die Haut. Um ein Uhr begann man trocken zu werden, und um zwei Uhr begann der tropische Regen zu gießen, ununterbrochen für vier oder acht Stunden. Darum war es kein Wunder, dass der Weg hier war wie ein gepflügter Kartoffelacker nach einem ständigen Regen von sechs Wochen.
Wohin man sah, wuchsen Fächerpalmen und Staudenpalmen. Die Palmwedel sprossen aus den Palmen heraus, gleich dicht an der Wurzel. So hatten diese Palmen scheinbar überhaupt keinen eigentlichen Stamm. Aber weil die Palmwedel nicht oben am Stamm wuchsen, sondern gleich am Boden ausschlugen, darum wurde der Dschungel so dicht, dass man mit Recht sagen mochte, man sehe den Dschungel vor Palmen nicht.
Es war ein wildes, träumerisches Gewirr von Pflanzen der Urzeit. Die Palmwedel waren zuweilen dreißig Meter hoch. Den Boden konnte man neben dem Pfad nicht erkennen, so dicht war er bewachsen, so verfilzt, so verschlungen. Man fühlte in der Seele und im Gemüt den mitleidlosen Kampf, den die Pflanzen hier miteinander führten, um ein Stückchen Raum zu gewinnen, das die Größe eines
Fingernagels hatte. Der Kampf der Menschen um ihre Lebensexistenz kann nicht rücksichtsloser geführt werden, als der Kampf der Pflanzen hier geführt wurde. Und dennoch: Alles wuchs und wucherte und atmete unversiegbare Ströme reicher Lebenskraft aus, die sich durch nichts bezwingen, durch nichts
unterdrücken ließ.
Das war die Erde, die Caoba zeugte und Caoba gebar und Caoba zu voller Pracht und Kraft heranwachsen ließ. So schön und vollsaftig und eisenhart kann ein edles Holz nur werden, wo es um seine Existenz und um seine Erhaltung und um sein Überleben so hart und unerbittlich zu kämpfen hat wie hier.
»Sieh dich um, Söhnchen«, sagte Celso zu Andres, der wie träumend durch diese Zauberwelt wanderte, die so neu und ganz und gar unerwartet für sein Empfinden gekommen war. »Sieh dich um, sage ich dir. Hier beginnt das große, wilde Reich der Caoba. Und nun, vielleicht zum ersten Male, wirst du wohl verstehen, warum man Caoba nicht auf dem Felde einer Finca ernten kann. Verflucht noch mal, wo ich jetzt wieder hier bin und Caoba rieche, ich glaube wirklich, und die Santisima soll mich notzüchtigen dafür, ich glaube wirklich, ich könnte nirgends anderswo mehr leben. Ich glaube beinahe, ich hatte Heimweh nach der Caoba. Sieh dich vor, Andresillo, dass dir das nicht auch eines Tages so geht. Dann wird niemals etwas mit dir und deiner, he, wie war der Name, deiner Estrella, deinem Sternchen.«
Das ging so Stunden hin. Es war, als habe eine völlig neue Welt begonnen und als wäre die alte bekannte Welt versunken. Eine neue Welt hatte sich aufgetan, und diese Welt war nichts als eine unentwirrbare Pflanzenmasse. Man verlor die Fähigkeit, einzelne Pflanzen zu unterscheiden. Es war nur Grün umher, Dichtigkeit, Verwirrung, goldene Sonnenmännlein, die auf den Palmwedeln und Zweigen hüpften. Es war, als läge über dieser Welt kompakter Pflanze ein brünstiger Schrei, der noch in dieser Sekunde losbrechen und eine neue Welt gebären würde, eine phantastische Welt, in der nicht Mensch oder Tier herrschte, sondern die Pflanze. Wie eine Erlösung aus unbestimmter und unerklärbarer Erdrückung der Seele wäre ein solcher Schrei gewesen. Man fühlte sich verlassen und einsam, getrennt von allen übrigen Welten, obwohl die Reihen der Peones und die knurrenden Packtiere maschinenmäßig dahinmarschierten.
Die Marschierenden, Mensch und Tier, erschienen, als marschierten sie dieser Welt kompakter Pflanze willenlos entgegen, um von ihr verschluckt zu werden.
Und da schrie Andres auf: »Dios mio, was ist - aber das ist ja... « Mit einem Ruck blieb er stehen und ließ den Packen fallen. »Was ist denn das?« fragte er mit hartem Atem.
Vor ihm hatte sich der Dschungel plötzlich weit geöffnet. So weit, dass er alle Horizonte weltenweit ausbreitete. Zu Füßen der beiden lag tief unten der Strom, der gewaltige, mächtige, geheimnisvolle Ushumacinta-Strom. Er war der Gott, ohne dessen Hilfe kein Mahagoni aus diesen Regionen zur zivilisierten Welt gebracht werden könnte. Er war der Gott, der verantwortlich war für die Indianer, die von der Caoba aufgefressen wurden. Ohne diesen majestätischen Urwaldstrom wäre die Caoba hier so wertlos wie ein morscher Knüppel in einem Wald in Dakota. Und weil dann die Caoba wertlos wäre, würde niemand Indianer verkaufen, damit sie in den Monterias arbeiten.
Trotz alledem, unvergleichlich in seiner Weite und in seiner Erhabenheit, war der Anblick von hier, hoch über den Ufern, von wo aus man den Strom in langen Zügen verfolgen konnte.
Es war noch früh. Kaum zwei Stunden in den Nachmittag hinein. Aber es wurde dennoch Lager befohlen.
Von hier aus begann die erste Verteilung der angeworbenen Arbeiter auf die verschiedenen Monterias, die Leute benötigten und angefordert hatten.
Der Haupttrupp marschierte einige Tage weiter in den Dschungel hinein, auf dieser Seite des Stromes bleibend. Kleinere Trupps wurden hier in Canoes über den Strom gesetzt und auf der gegenüberliegenden Seite zu jenen Monterias gebracht, die dort ihre Königreiche hatten.
Die Söhne Mexikos, die von hier auf das gegenüberliegende Ufer gebracht wurden, gelangten in ein fremdes Land, ohne es zu wissen. Sie kamen unter die Oberhoheit einer anderen Regierung, ohne befragt zu werden.
Die Mahagonikompanien anerkannten weder Staatsbürgerschaften noch Bürgerrechte, noch den Raub von Landeskindern, noch Landesgrenzen. Sie anerkannten nur das mächtige Reich der Caoba.
Wo die Caoba herrschte, da war ihr Land, in dem sie regierten und wo die Gesetze galten, die sie machten, wo sie die Strafgewalt ausübten, die ihnen recht dünkte.
Was kümmerten sie sich hier um Konzessionen und deren Paragraphen, was scherten sie sich hier um Landesgrenzen, Landespräsidenten und Diktatoren!
Das war alles so weit, so unendlich weit. Alles das war versunken irgendwohin. Es lag zwei Wochen erbarmungslosen Marsches durch den Dschungel weit entfernt.
Wer hier ankommt, um nach Gerechtigkeit zu suchen, kommt an, so winzig und klein, dass der Verwalter der ersten Monteria, wo er zu Gaste ist, ihm mit der Fliegenklatsche eins auf die Nase gibt, und er steht nicht mehr auf und weiß nicht mehr, warum er gekommen ist. Denn die Caoba kennt ihren Wert und ihre
Macht. Die Kameraden der Gruppe des Celso hatten sich hingehockt. Sie dachten vorläufig nicht daran, ein Feuer anzuzünden. Es war so viel Zeit dazu. Der Tag war noch lang. Sie saßen da, behaglich und zufrieden, dass sie Ruhe hatten.
Dicht an das hohe Ufer des Stromes hatten sie sich hingehockt.
»Wie schön der Strom ist«, sagte Celso. »Der allein ist es wert, dass man in die Monteria geht und hier verfault. Unten hat er an einigen Stellen wunderschöne sandige Ufer. Da wollen wir später schwimmen gehen.«
»Was sind das für Hütten da hinten, auf der anderen Seite des Stromes?« fragte Andres.
»Das ist bereits eine Monteria. Die Verwaltungsgebäude«, erklärte Celso. »Die eigentliche Monteria liegt weiter drin im Dschungel.«
Er rückte seinen Packen dicht heran, suchte sich rohen Tabak heraus und wickelte sich eine Zigarre.

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