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B. Traven - Der Marsch ins Reich der Caoba (1933)
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FÜNFTES KAPITEL

Zuweilen werden Menschen, die sich bei ihrer ersten Begegnung verprügeln, später die besten und zuverlässigsten Freunde.
So trug es sich auch zwischen Andres und Celso zu. Noch vor dem Abmarsch, als Celso wieder genügend nüchtern geworden war, um die Umwelt mit klaren Augen zu sehen, hatte er sich mit Andres ausgesöhnt.
Er verstand es, Andres klarzumachen, dass dieser ebensoviel Schuld an der Prügelei trug wie er selbst.
Andres hatte durch seine lange Jahre währende Tätigkeit als Carretero völlig die Gewohnheiten und die Art des Sprechens der Indianer der kleinen Dörfer abgestreift. Er erweckte durch die Art, wie er sich kleidete und wie er sich unter den Ladinos bewegte sowie dadurch, dass er lesen und schreiben konnte, bei jedermann den Eindruck, dass er zu der Klasse gehöre, aus der die Monterias und die Kaffeeplantagen ihre Aufseher und Capataces und bevorzugten Arbeiter holen, von denen man einen gewissen Grad von Intelligenz erwartet.
So war es durchaus natürlich, dass Celso in Andres, als er sich dem Lagerfeuer der Monteriaarbeiter näherte, einen Capataz, einen Spion und Aushorcher und Angeber der Arbeiter erblickte. Und weil die Wut, die Celso gegen die Capataces fühlte, ihren Höhepunkt erreicht hatte, so war es zu entschuldigen, dass er Andres scheinbar ohne Ursache angriff. Andres verstand das Verhalten des Celso, als er dessen Geschichte kannte, besser, als manch ein anderer es verstanden haben würde. Er war ja wie Celso auch ganz ohne Schuld und ohne etwas dagegen tun zu können in die Fänge eines Werbeagenten, in die des Don Gabriel, geraten. Er war der Finca, zu der er gehörte wie die Viehherden und wie das unbewegliche Land, durch mehrere Umstände entkommen. Einmal für längere Zeit dieser Halbleibeigenschaft ledig und fern der Finca, wo die Macht der Finqueros geringer ist und wo das gleichzeitige Nebeneinanderbestehen von freizügigen Arbeitern und von gebundenen Arbeitern undurchführbar ist, geht der indianische Landarbeiter und seine zukünftige Familie der Finca verloren.
Aber die Finqueros mögen zuweilen einen Peon scheinbar entweichen lassen, sie werden immer, wenn sie glauben, dass es für sie günstig sei, Mittel und Wege finden, den Peon wieder zurückzubringen zu dem Erbgut der Finca.
Auf der Finca, von der Andres stammte, lebten der Vater, die Mutter und die jüngeren Geschwister des Andres. Der Vater des Andres hatte bei dem Finquero Schulden stehen, und der Finquero beschloss, die Schulden des Peons, der ohne Vermögen und Besitz war, dadurch einzutreiben, dass er ihn für die
Schuldsumme an einen Werbeagenten der Monterias verkaufte. Der Mann wurde ältlich und war wahrscheinlich nicht mehr lange als vollwertige Kraft anzusehen. Das sagte auch der Agent Don Gabriel.
Aber der Finquero beruhigte Don Gabriel über diesen Punkt: »Habe keine Sorge, du brauchst den Alten nicht zu nehmen, du bekommst den Jungen, kräftig und gesund wie ein vierjähriger Stier.«
Der Junge kam auch wirklich und übernahm den Vertrag seines Vaters, weil er es nicht ertragen hätte, seinen Vater in der Monteria verkommen und sterben zu wissen.
So erhielt der Finquero die Schuldsumme in bar ausgezahlt von dem Agenten, gleichzeitig konnte er seinen Peon, den Vater des Andres, behalten, und damit hielt er auch die heranwachsenden jüngeren Geschwister des Andres auf der Finca fest und mit Sicherheit die Familien, die jene heranwachsenden Kinder in wenigen Jahren gründen würden. Eine Finca ohne ständige Arbeitskräfte ist wertlos, und die einzigen Arbeitskräfte, die eine Finca in jenen Regionen haben kann, sind die Familien, die zu jener Finca gehören.
»Du bist ebenso tief in der Schitt wie ich, das will ich dir schon sagen«, meinte Celso, als Andres ihm erzählte, wie er zu dem Trupp gekommen sei.
»In jeder Hinsicht sind wir tief drin; du hast ein Mädchen auf dich warten und ich habe eines auf mich warten; beide werden wohl warten können, bis ihnen das kleine Mäuschen vertrocknet ist«, sagte Andres.
»Ich bin immer noch ein wenig besser dran als du«, erklärte Celso. »Ich kann fortlaufen, mein Vater braucht nicht zu büßen, ich habe auch keinen Bürgen, den sie holen können für mich. Aber bei dir, bei dir muss dein Vater heran. Und dann bist du genau da, wo du warst, als du noch bei deinen Karren arbeitetest
und dein Mädchen neben dir auf dem Sitz saß.«
»Aber, du Esel, warum rennst du denn nicht fort«, fragte Andres, »wenn weder dein Vater noch sonst wer für dich heran muss?«
»Esel, Esel du. Wo will ich denn hin? Wenn ich mein Mädchen haben will, muss ich ins Dorf zurück.
Sie verlässt das Dorf nicht. Dort ist ihr Land, und dort sind ihr Vater und ihre Mutter. Und gehe ich zurück nach dem Pueblocito, hat mich die Polizei am nächsten Tage, schleift mich zurück zur Monteria, ich kriege fünfhundert übergezogen oder vielleicht tausend und sitze mit hundert Pesos für das Einfangen tiefer drin. So dumm bin ich nicht. Und wenn ich nicht in den Pueblo zurück kann zu dem Mädchen, was hat es für einen Sinn, irgendwo anders hinzugehen. Überall musst du arbeiten und verflucht hart arbeiten.
Nicht ein Centavito wird dir geschenkt. Dann kann ich ebenso gut in der Monteria arbeiten. Fortrennen. Frei bewegen nach eigenem Gutdünken! Wohin? Von einem Arbeitsplatz zum anderen. Der Lohn ist doch kaum sehr verschieden. Kaffeeplantage, Monteria, Carreta, Arriero und Muletreiben. Wie viele Jahre hast du als Carretero gearbeitet, sagst du? Nun gut. Kannst du dir vielleicht nun eine Milpa kaufen, ein ganz kleines Stückchen Maisfeld? Schitt. Nichts. Nichts hast du.
Jahre und Jahre hast du Carretas gefahren und gearbeitet, härter und mehr als alle deine Ochsen, und nun kannst du nicht einmal für deinen Vater auf der Finca die Schulden bezahlen, und du hast noch sogar die Schulden mit in den Vertrag überschreiben lassen müssen, die du bei deinem Fuhrherrn hattest.
Fortrennen? Sage mir wohin. Hier, nimm die Zigarre, ich weiß sie besser zu drehen als du. Das wirst du auch in der Monteria lernen, wie man gute Zigarren dreht.«
Am ersten Tage kam der Trupp bis zu einer kleinen Rancheria. Ihr Name war Chiquiltic, ein indianisches Wort, das heißt: kitzlige Stelle. Das Herrenhaus war eine Lehmhütte, die auf einer Anhöhe stand, von wo aus der Besitzer alle die ärmlichen Hütten seiner Peones übersehen konnte, die weiter unten lagen.
Der Trupp lagerte sich teils auf der Neigung der Anhöhe, teils unten zwischen den Hütten der Indianer, teils am Rande der Waldung, teils sogar ein Stück in die Waldung hinein.
Obgleich der Marsch nicht allzu hart gewesen war, so galt die Strecke als die übliche Jornada, die Tagesleistung. Auf dem Wege war ein Fluss zu kreuzen. Das machte schon viel Arbeit. Alle Tiere mussten da abgeladen werden. Die Lasten wurden auf den Köpfen der Burschen an das andere Ufer getragen. Wären die Lasten auf den Rücken der Mules geblieben, so wären sie zerweicht; denn das Wasser stand so hoch, dass es den Leuten bis an den Hals reichte.
Auf der anderen Seite musste den Tieren etwas Zeit gegeben werden, dass sie trocknen konnten, um zu vermeiden, dass sie sich zu leicht wundscheuerten. Dann musste wieder aufgepackt werden. Das alles nahm eine gute Zeit in Anspruch und kürzte den Tag, so dass es schon weit in den Nachmittag hineinging, als der Trupp in Chiquiltic ankam.
Andres und Celso hockten am selben Lagerfeuer.
»Sieh einmal zu«, sagte Andres, »ob du für zehn Centavos Manteca, Fett, oben im Haus oder in einer Hütte kaufen kannst. Hier, nimm diese Blechflasche.«
Celso machte sich auf den Weg. In allen Hütten wurde gehandelt. Eier, gedörrtes Fleisch, Fett, Tortillas, ChilePfefferschoten, Rohzucker.
Als er endlich mit dem gekauften Fett zurückkam, sagte er: »Wir haben einen Neuen.«
»Was Neuen?« fragte Andres.
»Einen neuen Geschnappten. Wieder einer ganz freiwillig, der in die Monteria geht. Er ist hier zwei Tage herumgelungert in der Rancheria und hat auf den Trupp gewartet. Er ist auf Don Gabriel zugekommen, als ich gerade oben im Hause war und nach dem Fett fragte. Don Gabriel hat seine Hängematte für die
Nacht oben im Portico des Hauses aufgehakt. Ich möchte da nicht schlafen. Dick mit Flöhen. Da hat der Neue gefragt, ob ihn nicht Don Gabriel anwerben wolle für die Monteria. Da hat ihn Don Gabriel von allen Seiten angesehen und abgefühlt, du weißt ja, wie er das macht, und dann hat er gesagt: >Bueno, kannst mitgehen, einen Toston den Tag. Schulden? Nein? Wie viel willst du Enganche? So? Bueno, hier sind fünf Pesos Enganche, Vorschuss, kaufe dir für den Marsch ein. Den Vertrag schreiben wir in der Monteria. Sparst eine Menge Geld, brauchst keinen Stempel zu zahlen.
Suche dir da unten ein Feuer aus, wo du dich zu den Muchachos hinsetzen kannst. Wie heißt du? Santiago. Bueno. Adios.<«
»Wo ist er denn jetzt, der Neue?« fragte Andres.
»Er läuft in den Jacales, in den Hütten, herum und kauft sich seine Rationen ein. Du, da kommt er angewischt.«
Der Neue kam gerade auf das Feuer des Andres zu, wahrscheinlich, weil er hier nur zwei sitzen sah, während an allen anderen Feuern sechs, acht und sogar zwölf Mann hockten.
Als er nur noch etwa fünf Schritt entfernt war, rief Andres: »He, du, du willst mir doch nicht etwa im Ernst sagen, dass du Santiago bist von Cintalapa.«
»Halt dein gottverfluchtes Lästermaul, Andresillo, dem stinkigen Hund von Enganchador habe ich gesagt, dass ich von Suchiapa bin, und ich schlage dir die Fresse breit, wenn du einer Seele erzählst, dass ich Carretero bin. Und dich geht das auch an, Bursche«, wandte er sich Celso zu. »Wer ist denn das, den du hier mit dir hast, Andresillo?«
»Brauchst dich nicht zu sorgen um den, das ist Celso. War früher in Soconusco in den Kaffeefincas und ist nun schon ein alter Knüppel in den Monterias. Der beste Muchacho hier in der ganzen Caobaarmee.«
Santiago setzte sich zu dem Feuer und begann aus dem Netz alles auszupacken, was er sich eingekauft hatte, um sein Abendessen zu kochen. »Du, Celso«, sagte Andres, »hier Santiago war mit mir Carretero, wir sind jahrelang zusammen in derselben Kolonne gefahren. Bei meiner heiligen Ochsenseele, Hombre, Santiago, dich hätte ich hier zuallerletzt zu sehen erwartet. Nun kann es ja nicht ganz so hundetraurig mehr werden, seitdem du auch noch hier bist.«
»Weißt du, mi hijo«, meinte Santiago, während er die schwarzen Bohnen ans Feuer setzte, »es ist immer meine Sehnsucht gewesen, einmal in die Monterias zu kommen.«
»Aber, Mann, Hombre«, lachte Andres, »rede uns doch keinen kalten Erbsenbrei mit Garbanzas. Sage schon lieber gerade heraus. Was für ein Haar schwimmt denn in deiner Suppe?«
Santiago zog das Gesicht schief und erklärte: »He, Brüderchen, das Härchen in meiner Suppe sind zehn Jahre Penetenciaria, und wenn der Richter sich vielleicht am Tage vorher den Magen verdorben haben sollte, können es auch ganz gut zwanzig Jahre Gefängnis sein. Vielleicht verstehst du meine Sehnsucht nach der Monteria nun besser, und noch viel besser wirst du nun verstehen, dass ich dir und dem da, wie sagst du, Celso, dass ich euch beiden die Schlapperluken so vermansche, dass nicht einmal mehr ein wackliger Zahn drin hängen bleibt, wenn ihr zu irgendeinem hier oder sonst wo etwas sagt.«
Er rührte in den Bohnen herum, schüttete den gemahlenen Kaffee in das Blechkännchen, warf einige Brocken braunen Zucker darauf, goss Wasser hinzu bis zum Rand und schob das Kännchen zum Feuer, während er das Gesicht verzerrte und den Kopf weit in den Nacken zurückbog, weil der beißende Rauch
des Feuers ihm in die Augen fuhr. Als er alles nach seinem Wunsche am Feuer stehen hatte und nun geduldig darauf warten musste, bis es gekocht war, wickelte er sich eine Zigarette in ein Maisblatt, zündete sie an und sagte: »Dass ich mit acht Jahren davonkommen könnte, glaube ich nicht. Der kleine
Vorfall ist zu dick. Zehn wenigstens. Es liegt da einer zwei Meter unter der Erde, und, wie sie alle sagen, er war in der Blüte seines Lebens, und ich habe ihn hinweggerafft, und so etwas wird einem immer übel genommen. Du kommst zu so einer Sache und weißt gar nicht wie. Mit einemmal liegt er da und muckst
nicht mehr, und da hilft dann kein Balsam mehr und kein Manzanillotee, und du musst dich auf die Beine machen.«
»Aber, Mensch, das ist doch nichts erzählt«, sagte Andres, »Rede das richtig heraus in guter christlicher Weise und schlappere nicht wie ein alter Heide eine Brühe herunter, von der man nicht weiß, ob sie nun gekotzt oder geschitt ist. Oder halt 's Maul überhaupt und verdaue das Gedärm.«
Das Maul konnte Santiago natürlich nicht halten, wie es niemand halten kann, in dem etwas herumwürgt. »Du kennst doch mein Mädchen, die Sinforosa, die ich in Cintalapa hatte?« sagte Santiago.
»Sicher«, erwiderte Andres, »jedes Kind wusste, dass sie deine Frau war. Hat sie nicht ein Kind von dir?«
»Eins? Drei hat sie. Das Mädchen hatte mich gern und ich das Mädchen, und die Kinder kommen, da brauchst du nur einmal mit dem linken Hüftknochen zu wackeln. Das ist ja auch ganz natürlich. Zwei Monate oder drei Monate auf dem gottverfluchten Camino mit den Carretas, schuftest dich grün und blau, und dann kommst du gelegentlich wieder einmal mit der Karawane durch Cintalapa und machst zwei Tage Ruhe, und da bist du natürlich immerfort mit dem Mädchen. Bueno. Also gut. Und als ich dann wieder einmal zwei Monate fort war auf dem Marsch, da war eine Fiesta, eine große Rummelei in Cintalapa. Sinforosa war natürlich auch da. Sie ist ja erst zwanzig Jahre und hübsch und tanzt gern, und wenn sie nebenbei gelegentlich ihr privates Vergnügen hat, das gehört dazu und nehme ich ihr auch nicht weiter übel. Eine Flasche muss ja hin und wieder einmal zugekorkt werden, sonst verlernt sie gar noch,
Flasche zu sein und wird schimmelig.
Aber was mich dann doch geärgert hat, als ich es hörte, war, dass dieser eiterbeulige Hund von einem Krämer, der da eine Tienda hat, einen verfuckten Kramladen, mein Mädchen, meine Frau, als sie ein wenig angeheitert war von dem Moscatel, verlockt hat, zu seinem Haus zu kommen. Seine Frau war nicht
daheim, und das wusste die Sinforosa nicht, sonst wäre sie nicht gegangen. Als sie dann eine Weile dort allein im Hause waren, da hat dieser Sohn einer räudigen Hündin der Sinforosa einen Fausthieb gegen den Kopf gegeben, sie über das Bett gefeuert und ihr gewaltsam den Korken eingedreht.
Sie hat da selbst in Cintalapa ein kleines Krämchen mit Zwirn, Nadeln, Zigaretten, Bändern, Kerzen, die sie selbst gießt, Bananen, Limonade, Bonbons und all solchen Schlums, den die Leute alle Tage brauchen und den ich ihr gekauft und eingerichtet habe von einem Vorschuss, und damit sie was zu tun und zu leben hat, wenn ich auf dem Marsch mit den Karawanen bin. Aber nun hat sie mit dem Krämer richtig angefangen. Mein süßes Schneckelchen hier und mein liebstes Mäusekätzchen da, und dann immer drüber und drüber jeden Abend, wo sie nur Platz fanden, sich hinfallen zu lassen. Seine Frau wusste
natürlich gar nichts, und eine Unmasse Kinder hat er selber genug im eigenen Hause. Wenn ich so daran denke, Schluck und Fuck noch mal, da kann man doch wahrhaftig noch ganz verrückt werden.
Bueno. Da komme ich nun eines guten Tages an mit meiner Kolonne. Ich fuhr damals mit der Karawane des Pedro. Du warst schon weg, Andresillo. Also, ich komme an, und alles ist gut und mollig, und es geht frisch weg wie immer. Am ersten Tage war ich wahrscheinlich zudringlich, und da habe ich nichts bemerkt. Aber dann am zweiten Abend, da kam mir doch einiges so ungewohnt vor. Sie hatte da einen oder zwei Tricks, die ich nicht kannte. Waren nicht so ganz unvergnügt.
Am nächsten Tag war Sonntag. Ich hätte ja eigentlich nun fortgemusst mit den Carretas. Aber ich redete mit Pedro, und es traf so gut zusammen, dass uns ein Maisaufkäufer in den Weg kam und Fracht anbot, aber erst für den nächsten Tag, und so konnten wir gut den Sonntag noch dableiben. Ich ging in den Billardsaal, wo die anderen Burschen, auch die aus dem Ort, waren. Einer war heftig angesoffen; er kam auf mich zu, griente und schrie: >Holla, 'miguito, Santiago, wie gefällt dir dein Korkenschwager?< >Halt's Maul!< riefen ein paar Burschen, und einer sagte zu mir: >Der weiß nicht, was er sagt, der ist ja seit
gestern so voll, dass er an allen Seiten überläuft.< >He, du, was meinst du denn?< fragte ich den Burschen und zog ihn am Hemdkragen heran, dass er rot wurde im Gesicht. Er quäkte heraus: >Frage deine Mujer, die kann dir das besser erzählen als ich.< Ich stieß ihn über den Billardtisch und lief zu ihr.
>Nun komme doch einmal heraus mit der Flöte<, sagte ich zu ihr. >Ich weiß, was los ist. Kannst mir auch den Rest noch erzählen.< Ich wusste nichts.
Aber das war ihr nicht bekannt. Im ganzen Cintalapa war die Frau des Kaufmanns die einzige Person, die nichts wusste, und ich war bis jetzt die zweite Person gewesen. Weil Sinforosa glaubte, dass mir die Burschen vielleicht doch schon alles erzählt hätten, und weil sie auch wusste, dass gewöhnlich solche Dinge weit übertrieben werden, wenn sie von anderen erzählt werden, um Skandal zu machen, darum kam sie nun heraus mit allem, um die Übertreibungen abzuschwächen. Sie sagte mir, dass sie gar nichts dafür könne, dass der Mann sie nicht nur verführt hätte, sondern dass er sie auf den Kopf geschlagen und sie dann genommen habe, als sie von nichts wusste und nicht einmal schreien konnte.
Das brachte mich in Wut, kannst dir denken. Sie sagte nun auch, dass sie freilich weiter mit ihm zusammengewesen sei, weil er bei der Heiligen Jungfrau geschworen habe, dass er sie kalten Blutes erstechen werde, wenn sie sich nicht dreingeben. Und dann sagte sie: >Santiago, mi alma, mi vida, meine
Seele und mein Leben, du weißt doch, dass du alles für mich bist.< Ich hin zu dem Krämer: >He, du Cabron, du Hurensohn, du infamer, was hast du denn mit meiner Frau gemacht?< - >Ich<, sagte er grienend, >ich gemacht mit deiner Frau? Sie hat doch hingehalten, oder hat sie etwa nicht? Und nun raus mit dir, du Vagabund, du versoffener Landstreicher, oder ich pfeife nach der Polizei und lasse dich in die Carcel setzen, verstehst du, du Räuber und Bandit. Raus hier und lasse mich in Frieden; wenn sie huren will, was geht dich denn das an. Und nun raus, oder ich schieße dir den Bauch voll Fünfundvierziger.< Er langte nach dem Revolver, den er hinten im Gürtel trug. Dazu ließ ich es nicht kommen. Vor mir stand eine Flasche mit Tequila, mehr als halb voll. Ich packte die Flasche und sauste sie ihm über den Kopf. Er zerrte an seinem Revolver herum, aber der Revolver hatte sich am Knopf der hinteren Hosentasche wahrscheinlich verhakt. Er bekam ihn nicht frei. Ich stieß ihn gegen die Wand und hieb wieder mit der Flasche auf ihn los. Weil ich nun schon einmal angefangen hatte, kam ich in Wut und schlug so lange, bis die Flasche auf seinem Kopfe zerbrach, dann ergriff ich ein Brett, das mir zur Hand lag, und hieb weiter auf ihn los. Ich wollte ihn so windelweich prügeln, dass er für Wochen nicht daran denken sollte, mit der Sinforosa herumzufucken nach seinem Wohlgefallen. Er blutete kräftig genug, und ich dachte, dass er nun genug habe. Und da ging ich meiner Wege. Gleich draußen, dicht bei dem Laden, standen zwei Burschen, die mit im Billardsaal gewesen waren. >Für eine Weile wird der Hurenbengel ja nun meine Mujer wohl in Ruhe lassen, der hat seine Prügel weg, und das könnt ihr ihm erzählen, wenn er meine Muchacha nicht in Ruhe lässt, kriegt er dieselbe Wäsche doppelt, wenn ich das nächstemal heimkomme.<
Ich ging zu meiner Frau und setzte mich nieder, um zu essen. Ich sagte ihr, dass sie wohl nun eine Weile Ruhe vor ihm haben werde. >Was hast du denn mit ihm gemacht, du?< fragte sie erschrocken.
>Ich habe ihm ein paar an den Schädel gehauen, um zurückzubezahlen, was er dir an den Schädel gehauen hat.< Sie begann zu heulen und schluchzte: >Der arme, arme Mann, und er hat doch gar nichts getan, ich bin an allem schuld. Du bist ja der reine Teufel, und ich will doch wahrhaftig nichts mehr mit dir zu schaffen haben.< Und sie setzte sich hin und heulte sich eine lange Leier herunter. Also so sieht nun die Tunke aus, sagte ich mir, jetzt habe ich die ganze Schuld, und alle anderen sind unschuldig und die reinen Engel. Ich saß da und kam mir ganz entsetzlich dumm vor.
Als ich nun gerade so darüber nachdachte, wie das eigentlich alles zusammenhängt, da kommt Pedro, der Karawanenführer, angelaufen und sagt: >Du, Santiago, laufe, was du nur laufen kannst, die Polizei sucht dich, sie glaubt, du bist im Billardsaal, aber gleich ist sie hier; Don Manuel, dem du einen rübergeflitzt hast, der ist tot.< Wie eine wildgewordene Negerin schrie da Sinforosa: >Tot, du Mörder, erschlagen hast du ihn auch noch, du Mörder!< Und sie sprang zur Tür, lief in den halben Weg hinaus, stellte sich dort in
der Straße hin und schrie: >Policia, aqui esta, hier ist der Asesino, der Mörder, hier ist er.< Ich den Hut genommen und raus aus dem Hause. >Zu den Carretas<, sagte Pedro, >ich gehe einen anderen Weg, damit es nicht auffällt. Wir treffen uns dann bei den Carretas. Daran denken sie die nächsten zehn Minuten nicht.< Ich lief hinter den Häusern entlang auf den Platz vor der Stadt, wo wir unser Lager hatten. >Schnell, schnell, ich muss fort, die Polizei ist hinter mir her<, sagte ich hastig zu den Burschen, die hier waren und die Karren ausbesserten. Ich lief zu meiner Carreta, raffte mir mein Bündel zusammen, und als ich damit absausen wollte, kam Pedro, gab mir vier Pesos und sagte: >Hier hast du etwas Geld, und nun hurtig. Wir sagen nicht, dass du hier warst. Dann suchen sie noch zwei Tage lang in der Stadt herum.< Ich nun eiligst durch die Felder und die Büsche und dann in den Busch, und jedem Ort, wo Polizei ist, aus dem Wege gegangen. Weil ich weiß, dass am Candelariafest die Trupps für die Monterias sich sammeln, habe ich gerechnet, dass ich die Trupps ja hier irgendwo treffen muss. Und da bin ich.«
Am zweiten Marschtage erreichte der Trupp den Strom Jatate. Hier genügte es nicht, dass die Tiere nur abgepackt und die Packen dann auf den Köpfen der Indianer auf das andere Ufer getragen wurden. Der Strom war sehr tief und breit.
Alle Tiere wurden abgepackt. Dann wurden sie an lange Lassos genommen. In ein Canoe, das am Ufer lag, stiegen mehrere Burschen ein. Das Canoe wurde abgestoßen, und die Burschen im Canoe zogen an den langen Lassos, während hier am Ufer die Muletreiber mit erschrecklichem Geheul und mit Peitschenhieben die Tiere in das Wasser trieben und so weit trieben, bis die Tiere den Boden unter sich verloren und nun zu schwimmen begannen. Das Ziehen an den Leinen vom Canoe aus half den Tieren beim Schwimmen. Es wurden jedes Mal nur drei oder vier Tiere genommen. Einige der Tiere waren so
willig, dass sie in das Wasser gingen ohne Leinen und durch den Strom hinüberschwammen zu den Tieren, die bereits am Ufer warteten.
Als alle hinüber waren, wurden die Packen in dem Canoe verfrachtet und jedes Mal so viel Last hinübergeschafft, wie das Canoe tragen konnte. Der Strom war reißend. Die indianischen Canoeführer waren aber sehr geübte Burschen, die es verstanden, das Canoe, das nichts anderes war als ein ausgehöhlter Baumstamm, so geschickt durch die Fluten des Stromes zu lenken, dass es auch nicht ein einzigesmal umkippte. Als alle Lasten hinübergeschafft waren auf das andere Ufer, wurden die Burschen des Trupps im Canoe übergesetzt.
Es war nur ein Canoe vorhanden, um diese große Karawane von einem Ufer zum anderen zu bringen.
Es dauerte beinahe fünf Stunden. Und als der letzte Bursche am anderen Ufer anlangte, da war es inzwischen Nacht geworden.
Das Lager wurde auf der Uferanhöhe errichtet, von wo aus man die große Finca La Condesa nur einen halben Kilometer weit entfernt liegen sah. Don Gabriel und Don Ramon waren mit zweien der Händler, die nach besserer Unterkunft trachteten, als das übliche Lager sie bieten konnte, zu der Finca geritten, um
hier die Nacht zu verbringen, wie es ihnen als zivilisierten Menschen gebührte. Es war der vorletzte Rastplatz, wo sie unter einem Dach schlafen konnten. Das Dach, das sie am nächsten Rastplatz vorfanden, war bereits aus ineinander verwirkten Palmblättern und die Wände nichts als roh zugehackte Pfähle, die mit Bast und Lianen nebeneinander zusammengehalten wurden. Hier auf dieser großen und königlichen Finca gab es die letzten Tische und Stühle, die auf dem Marsche angetroffen wurden, die letzten Gläser und Porzellantassen, den letzten gepflegten Blumengarten, die letzten mit Ziegeln gepflasterten Fußböden, das letzte Bettgestell und die letzte zivilisierte Küche. Das alles wollten sich die beiden Agenten und jene unter den Händlern, die sich zu den Caballeros zählten, nicht entgehen lassen.
Um ihren Trupp brauchten sie sich hier nicht zu kümmern. Sie hätten nicht einmal die Capataces zurückzulassen brauchen, um aufpassen zu lassen, dass kein Bursche desertierte. Über diesen Strom, der den Trupp nun von den Gegenden trennte, wo Städte und Dörfer waren und Bücher gelesen wurden,
konnte kein Bursche entkommen, ohne Gefahr zu laufen, zu ertrinken. Das Canoe war festgeschlossen an einer schweren Kette, und wäre es nicht angeschlossen gewesen, so hätten die Burschen das Canoe nicht fünf Meter weit gebracht, es wäre umgekippt. Zudem war es tiefe Nacht, und alle Burschen waren so müde, dass sie froh waren, nicht desertieren zu brauchen.

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