VIERTES KAPITEL
Das Candelariafest hatte seinen höchsten Glanz erreicht. Es begann nun rasch zu erblassen.
Die Leute fingen an, nüchtern zu werden, nüchtern sowohl vom Trinken als auch von den lauten Freuden und den Genüssen, dem Tumult, dem Geschrei, dem Feilschen und dem verwirrenden Durcheinander und Übereinander des jetzt aufgewühlten täglichen Lebens.
Die Bewohner des sonst so stillen und abgelegenen Städtchens wurden nun ernstlich der wilden Jägerei der Händler müde. Sie sehnten sich nach ihrer behäbigen Ruhe zurück. Sie wurden so lau im Kaufen und so träge im Herumschlendern zwischen den vielen Verkaufstischen, dass die Händler zu gähnen begannen und froh waren, dass für den nächsten Tag das offizielle Ende der Feria vom Bürgermeister angekündigt worden war. Viele der Händler beeilten sich, aufzupacken und sich für den Abmarsch zu rüsten.
Nun wurden auch die Enganchadores, die Arbeiteragenten, rührig, ihre Trupps zu organisieren und für den langen, harten Marsch durch den Dschungel bereitzuhalten.
Mit Eile wurden die letzten Verträge auf dem Bürgermeisteramt bestätigt und gestempelt. Und mit noch größerer Eile fegten die Zutreiber hin und her, um noch einige Burschen in letzter Stunde einzufangen und in den Trupp zu bringen.
Don Ramon Velasquez war der Hauptunternehmer und der eigentliche Kapitalist des Trupps Ramo.
Don Gabriel, der für diesen großen Trupp durch rühriges Arbeiten, durch ungemein geschickte Kniffe, durch betrügerisches Schachern mit den Finqueros, mit Ortssekretären und Polizeichefs, durch süßes Locken, durch Versprechen paradiesischer Freuden und Genüsse, durch Branntwein und durch
aufgedrängtes Geldverborgen mehr als doppelt so viele Leute anzuwerben verstanden hatte als Don Ramon selbst, war hier nur Geschäftsteilhaber. Aber schon jetzt, ehe er die Früchte seiner Tätigkeit einkassiert hatte, nahm er sich vor, die Teilhaberschaft mit Don Ramon aufzukündigen und das Geschäft
allein zu machen. Er hatte zwar einen Kontrakt mit Don Ramon. Aber was kümmert man sich um Kontrakte und Verträge, wenn man bessere Vorteile erhaschen kann durch einen Bruch der Verträge. Don Gabriel war bereits so weit in seinen Gedanken angelangt, dass er, um den Kontrakt mit Don Ramon
lösen zu können, für die Sicherheit der Person des Don Ramon keine Bürgschaft mehr gegenüber der Heiligen Jungfrau hätte geloben können. Er wartete nur darauf, dass sich ein Umstand ergeben möchte, so dass er vor sich selbst sagen konnte, das Schicksal habe es so gewollt oder Gott habe es so gefügt und er selbst habe eben nur Glück gehabt.
Don Gabriel hatte bereits im vorigen Jahr Arbeiter für die Monterias angeworben, und zwar auch als Teilhaber des Don Ramon. Ehe er Teilhaber im Geschäft des Don Ramon geworden war, hatte er, durch Freundschaft mit dem Jefe Politico, eine Stelle als Ortssekretär einer indianischen Kommune innegehabt.
Im vorigen Jahr hatte er nur Arbeiter angeworben, diese Arbeiter am Candelariafest versammelt und hier in Hucutsin unter amtlich bestätigten Vertrag gebracht. Aber das Werbegeld, das die Monterias für jeden
angeworbenen Arbeiter zahlten, war beträchtlich höher, wenn die Agenten die Arbeiter in den Monterias selbst ablieferten. In einem solchen Falle hatten die Monterias keinen Verlust; denn die Agenten übernahmen das Risiko, dass die angeworbenen Arbeiter auch wirklich auf ihren Arbeitsplätzen eintrafen.
Wenn hingegen die Aufseher der Monterias die Arbeiter in Hucutsin übernahmen, so war es Aufgabe der Monterias, die Arbeiter in die Monterias zu bringen, und die Leute, die auf dem Marsche ausbrachen und flohen oder zugrunde gingen, hatte die Monteria als Verlust zu buchen, weil die Werbegelder in Hucutsin bezahlt worden waren und die Agenten das Risiko für das Eintreffen der Arbeiter nur bis Hucutsin übernommen hatte.
Obgleich die Aufseher der Monterias durchaus keine Schafhirten waren, sondern recht brauchbare Henkersknechte für die Kompanien, für die sie arbeiteten, so war dennoch ein Marsch der angeworbenen Arbeiter, der von jenen Aufsehern geführt wurde, ein Sonntagsspaziergang, verglichen mit einem Marsch, den die Agenten selbst übernommen hatten.
Wenn die Agenten auf dem Marsch Leute verloren, zahlte die Gesellschaft den Verlust nicht. Es ging aus der Tasche der Agenten. Zuweilen kostete ein einzelner Mann für die Agenten zweihundert, nicht selten dreihundert Pesos. Es waren Auslösegelder, Schulden, Geldstrafen, die von den Agenten bezahlt wurden, um den Mann freizubekommen und ihn anwerben zu können.
Don Gabriel würde wahrscheinlich schon in diesem Jahr die Teilhaberschaft mit Don Ramon aufgekündigt oder einfach zerrissen haben, um das vorzügliche Geschäft des Anwerbens allein zu machen.
Aber Don Gabriel kannte den Dschungel nicht. Er hätte sicher keine zehn Mann durch den Dschungel gebracht, wenn sie nicht freiwillig gegangen wären. Da er früher, in seinen jüngeren Jahren, Viehhändler gewesen war, so wusste er, wie man Vieh zum Markte treibt. Die Arbeitermassen wurden zwar durchaus
ebenso wie Vieh zu den Monterias getrieben. Aber es waren dennoch mehr Kniffe zu lernen, um den Trupp zusammenzuhalten, als für Viehtransporte zu kennen nötig war. Die indianischen Burschen, so eingeschüchtert sie auch waren, so verlassen sie sich auch fühlten, sie hatten, trotz der Kümmerlichkeit
ihres Lebens, trotz der völligen Unkenntnis, in der sie aufgewachsen waren, mehr Intelligenz als Kühe, Schafe und Schweine. So mochte es ihnen, ob es den Agenten gefiel oder nicht, gelegentlich beifallen, von der Krume Intelligenz, die sie noch übrig behalten hatten, Gebrauch zu machen und auf dem Marsche
zu verschwinden.
An der vollständigen Schulung, die Don Gabriel benötigte, um das Geschäft allein zu machen, fehlte ihm noch die Erfahrung des Transportes der Arbeiter zu den Monterias. Sobald er erst einmal mit einem so erfahrenen Agenten, wie es Don Ramon war, einen Transport geführt hatte, brauchte er Don Ramon nicht
mehr; dann hatte er ausgelernt und war Meister in diesem Fach. Das war der Grund, warum Don Gabriel so eifrig hinter Don Ramon hergewesen war, die Arbeiter nicht in Hucutsin abzuliefern, sondern sie bis nach den Monterias zu bringen. Und weil ein erheblich höherer Gewinn dabei in Frage kam, so ließ sich
Don Ramon leicht überreden. Im allgemeinen zog es Don Ramon immer vor, die Arbeiter in Hucutsin an die Vertreter der Monterias abzuliefern; denn er war mit den Jahren bequem geworden und scheute sich vor den Mühen des großen Marsches.
Man muss beide Wege kennen und auf beiden Wegen Transporte von Menschen geführt haben, um mit Gewissheit sagen zu können, ob ein Marsch über die Alpen oder ein Marsch durch jene Dschungel schwieriger ist.
Hannibal, der ein Heer über die Alpen führte, hat nie ein Heer durch die Dschungel Zentralamerikas geführt; und Cortez, der ein Heer durch jene Dschungel führte, hat nie Gelegenheit gehabt, eine Armee über die Alpen zu bringen.
Cortez verlor vier Fünftel seiner Armee, erreichte nicht die Ziele, die er sich auf jenem Marsch gesteckt hatte, und brachte einen Rest heim, der verzweifelter war als der Rest der Armee Napoleons, der von Russland zurückkehrte.
Der Marsch der Arbeitermassen durch den Dschungel kann nun freilich nicht verglichen werden mit dem Marsch eines Eroberungsheeres, Denn der Marsch ist kürzer, sein Ziel ist bekannt, und der Weg, so schlecht er auch sein mag, kann von den Eingeweihten gut verfolgt werden. Der Marschführer weiß, wie
viel Tage der Marsch dauert, und er kennt alle Verpflegungsmöglichkeiten.
Aber weil es sich hier um den Marsch von Menschen handelt, die nicht alle freiwillig gehen, weil sich alle gleich Sträflingen und Galeerensklaven fühlen, ohne Hoffnung auf ein Ende ihrer Strafzeit, darum hat ein solcher Marsch Schwierigkeiten, die sowohl Hannibal als auch Cortez erspart blieben.
Die Agenten, die jene angeworbenen Arbeiter durch den Dschungel führten, brauchten keine Strategen zu sein. Aber sie mussten in ihrer Weise ganz hervorragende Diplomaten sein. Es half ihnen nichts, einen Mann zu erschießen oder einen anderen so zu zerpeitschen, dass er liegen blieb. Das waren Verluste.
Sie mussten im Gegenteil jeden Mann zu erhalten suchen. Wenn es nicht anders möglich war, selbst mit Küssen auf den Hintern und Schokoladeplätzchen auf der Zunge. Sie mussten fähig sein, Streit zur
Zufriedenheit aller zu schlichten, damit sich die Streitenden nicht gegenseitig zerfleischten und so die Agenten gleich mehrere Mann auf einmal verloren. Sie mussten die Tränen stillen können von jenen, die Heimweh bekamen und nicht essen wollten und dann nach zwei Tagen so schwach waren, dass sie von
den Moskitos und Garrapatas lebendig aufgefressen wurden und verkamen, ehe man die Seen erreicht hatte. Sie mussten denen, die Gedanken zur Desertion in sich aufkommen ließen, mit gutgeölten Reden die Überzeugung beibringen, dass sich eine Desertion nicht lohnte, dass die Flüchtlinge auf jeden Fall wieder eingefangen würden. Die Agenten und Treiber mussten fähig sein, die Leute immer bei guter Laune zu halten, ihnen Witze zu erzählen und ihnen sogar Lieder vorzusingen. Und weil das beste Mittel, Menschen bei guter Laune zu erhalten, gutes und reichliches Essen ist, darum ließen es sich die Agenten,
die ja Gewehre hatten, nie verdrießen, auf die Jagd zu gehen, um für den Trupp gelegentlich frisches Fleisch zu haben. Der Dschungel war ja so unermesslich reich an wilden Schweinen, Antilopen, Fasanen und Truthühnern, dass mit einigem Jagdeifer die Agenten genügend Fleisch heranschaffen konnten.
Die Marschierenden wurden Tag und Nacht mit dem Revolver oder mit dem Karabiner bedroht, und es wurde in ihnen der Eindruck erweckt, dass die Agenten ewig den Finger sehr wacklig am Abzug haben.
In Wirklichkeit unterblieb das Schießen. Nicht aus Menschenliebe, sondern weil ein Schuss für den Agenten zu teuer wurde. Er hatte nicht zweihundert Pesos für den Mann ausgegeben, um ihn auf dem Wege bei der ersten Gelegenheit zu erschießen. Auch mit dem Auspeitschen auf dem Marsche wurde vorsichtig verfahren. Es war immer zu befürchten, dass ein zuviel gepeitschter Mann marschunfähig wurde, seinen Packen nicht schleppen konnte, dass seine Striemen zu eitern begannen und sich Blutvergiftung oder Genickstarre oder Eiterfraß einstellte und der Mann am Wege starb. Eine andere Gefahr des Auspeitschens war, dass der Mann störrisch wurde wie eine alte Mula, dass er streikte, sich am Wege hinsetzte und dann, gleich übermüdeten Mules und Eseln, weder durch Hiebe noch durch Stiche mit spitzen Hölzern, noch durch Verheißungen des Paradieses zum Aufstehen und Weitermarschieren gebracht werden konnte. Der Indianer verfällt dann in einen solchen Zustand völliger Gleichgültigkeit gegen die Umwelt und alle ihre Schmerzen und Freuden, dass er selbst dann sich weigert, aufzustehen und zu gehen, wenn ihm im Ernst gestattet würde, nach Hause zu gehen und frei zu sein von jeglichem
Vertrag. Er stirbt, und nichts kann ihn retten, weil er den Willen zum Leben aufgibt und ihn, einmal aufgegeben, nicht zurückgewinnen kann.
Aber wie der Revolver und der Karabiner immer und deutlich vor den Augen der Arbeiter hin und her blinkerten, so zwitschte gleichfalls alle paar Minuten die lange Peitsche der berittenen Agenten und der Treiber über die Köpfe der Marschierenden hin, damit die Leute nicht vergessen sollten, dass die Peitsche noch nicht vom Sattelkloben verloren gegangen war. Bei diesem Hinundherzwitschern der Peitschen fegte natürlich die eine oder andere Peitsche bald dem einen oder dem anderen über den Hals oder Rücken oder Kopf. Der Berittene, der die Peitsche sausen lieg, gab sich immer den Anschein,
dass er eigentlich keinen der Marschierenden habe treffen wollen, dass der Peitschenhieb eigentlich für die Mula, die er ritt, gemeint war. Sah der Bursche auf, um zu erfahren, wo der Hieb herkam, so traf sein Blick auf das Gesicht des Agenten. Der Agent war nicht böse, lachte und sagte gut gelaunt:
»Habe ich dich getroffen, Muchacho? Lo siento mucho, es tut mir sehr leid, aber ich musste meiner Mula eins draufgeben, die alte Ziege scheint von grünen Weiden zu träumen und wird schläfrig.«
Der Bursche war nie sicher, ob es wirklich so war, wie der Agent sagte, oder ob doch der Hieb für ihn bestimmt war und er nur zufällig auch die Mula getroffen hatte. Aber das lachende Gesicht des Agenten ließ ihn vergessen, dass der Schmitz der Peitsche auf dem Nacken brannte, und so nahm er es nicht übel
und sah sogar ein, dass er eigentlich einen Hieb recht gut verdient habe, weil er wirklich anfing, träge zu werden, und den Burschen, die ihm folgten, auf die Zehen trat.
Wenn die Treiber das gleiche taten, was die Agenten übten, so wurden die Burschen schon missmutiger.
Zwitschte ihnen ein Treiber einen über, so kam es darauf an, ob der Bursche noch sehr grün oder ob er schon durch andere Wasser gegangen war. Der grüne brummte nur und murrte; der andere aber, der mehr gesehen hatte als nur sein Dorf, fuhr sofort auf - »He, du Hurenbrut, noch mal einen Hieb und, verflucht noch mal, ich schmeiße dir einen Stein in die Fresse, dass dir nicht ein Zahn stecken bleibt.«
Daraufhin wurde selbst ein sonst großmäuliger Treiber, etwas weniger rasch im Peitschenzwitschern, und er suchte sich nur die aus, die ihm grün genug erschienen und wie die Ratten liefen, wenn er die Peitsche hochhob. Denn der Treiber, der während des Tages das Maul am weitesten aufhakte und sich wie ein Stierbändiger benahm, wurde gewöhnlich recht winzig, wenn die Nacht kam. Die Nacht im Dschungel ist verflucht schwarz. Und wenn hinter einem dicken Strauch ein Messer hervorflitscht, dem Treiber mitten in den Rücken, ohne dass er sieht, wer das Messer in der Hand hat, so ist das nicht so erfreulich für ihn wie der Peitschenhieb, den er so freigebig verschenkte und der ihn so belustigte, dass er noch Witze machen konnte über das verzerrte Gesicht des getroffenen Burschen.
Den Agenten geschah so etwas nicht. Wenn sie Hiebe austeilten, so nahm es ihnen keiner der Burschen übel. Der Agent hatte seine Sorgen, das sahen selbst die Burschen ein; aber die Treiber waren doch nur bezahlte Proleten so gut wie sie. Der Oberst ist gefürchtet, und der Soldat geht ihm aus dem Wege, aber der Unteroffizier ist gehasst, und er wird unauffällig in den Ursch getreten, damit er in die Schitt fällt.
Wie immer man es auch beurteilte, die Agenten waren kluge Diplomaten in der Behandlung ihrer angeworbenen Burschen. Mit so wenig Kräften so viele gesunde und oft erboste Männer durch den dichten Dschungel zu bringen, ohne erschlagen zu werden und ohne Burschen durch Desertion zu verlieren, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, das erforderte Gaben, die nicht jedem verliehen sind, Gaben, die selbst unter berühmten Heerführern selten sind.
Die Trupps waren nicht immer gleich groß an der Zahl. Es hing davon ab, wie viele Leute die Monterias benötigten, und davon, wie viele die Agenten hatten anwerben können. In diesem Jahr war der Bedarf an Arbeitern sehr hoch. Eine Fieberepidemie hatte etwa vier Fünftel der Arbeiter hinweggerafft.
Zahlreiche neue Lizenzen für Ausbeutung der tropischen Waldungen waren von Don Porfirio ausgegeben worden, und alle Lizenzen, die abliefen, waren erneuert worden. In den USA wie auch in Europa war eine rege Nachfrage nach Mahagoniholz; der Preis stand hoch.
Alles das trug dazu bei, dass die Monterias ihre Agenten beauftragt hatten, so viele Arbeiter heranzuschleifen, wie sie nur immer finden konnten. Ohne Arbeiter war ja leider auch die schönste und teuerste Lizenz wertlos. Wenn die Lizenz einmal erteilt und bezahlt war und wenn die Regierung einmal in ihrem Staatshaushalt eine hohe Ziffer aus den Einnahmen für Ausfuhrgebühren von Edelhölzern angesetzt hatte, so waren die Behörden mehr oder weniger verpflichtet, die Monterias in jeder Hinsicht in der Anwerbung von Arbeitern zu unterstützen. Diese Unterstützung bedeutete in allen Fällen Ungerechtigkeit oder Tyrannei gegenüber dem Individuum und der persönlichen Freiheit des
Individuums.
Denn wo es gerecht zugeht, wo beide Parteien, der Werber und der Angeworbene, sich einigen und sich über die Bedingungen, unter denen die Werbung und der Kontrakt sich vollziehen, friedlich verständigen, da ist eine Unterstützung der Behörden nicht vonnöten.
Der Trupp, in dem Andres und Celso marschierten, umfasste hundertneunzig angeworbene Arbeiter.
Unter diesen Leuten waren junge, sehr junge Burschen, wie auch Männer, die schon nahe an die fünfzig kamen. Es waren unter ihnen rüstige Leute und schwächliche, träge und hurtige und schwerfällige.
Es war eine der schwierigsten Aufgaben der Agenten und Treiber, den Trupp dicht zusammenzuhalten.
Die kräftigen Burschen durften nicht so weit vorausmarschieren, die schwächlichen und ungeübten sollten nicht so weit zurückbleiben.
Es erforderte Übung, einen solchen Trupp zu führen. Und es war eine der Tätigkeiten, die Don Gabriel auf diesem Marsche zu lernen gedachte. In dem Trupp marschierte gleichzeitig eine Karawane von hundertdreißig Maultieren, alle schwer beladen mit Waren, die nach den Monterias gebracht werden
sollten. Don Gabriel und Don Ramon hatten ebenfalls Waren aufgekauft, die sie in den Monterias mit hohem Gewinn weiterzuverkaufen gedachten. Sie verfügten über eine Karawane von achtunddreißig Tieren, alle beladen. Diese Tiere waren nicht ihr Eigentum, sondern sie hatten die Tiere mit den Arrieros,
den Karawanenführern, für den Marsch gemietet.
Es war den beiden Werbeagenten halb angenehm, halb unangenehm, dass sich die große Handelskarawane dem Trupp angeschlossen hatte. Unangenehm war es darum, weil sich an den Rastplätzen nicht genügend Futter für so viele Tiere gleichzeitig vorfand. An vielen Rastplätzen war überhaupt keine Weide, sondern die Leute mussten das Laub von den Bäumen rupfen und herunterschlagen, um die Tiere füttern zu können. Die Karawanen führten genügend Mais mit sich. So
reichlich in der Tat, dass auf je zehn Tragtiere drei kamen, die keine Ware trugen, sondern nur den Mais zum Füttern. Aber von Mais allein konnten die Tiere nicht leben. Sie bekamen dann leicht Kolik und Krämpfe und gingen verloren. Sie mussten sehr reichlich grünes Futter haben, um marschfähig und
tragfähig bleiben zu können.
Aus diesem Grunde war es für die Agenten unangenehm, so viele Tiere im Trupp zu haben, weil die Führer der Tiere, die jene Handelsgüter der Agenten trugen, zu hart arbeiten mussten und übel gelaunt waren. Aber kein Trupp wollte einen oder zwei Tage hinter dem ersten Trupp zurückbleiben. Denn in
einem solchen Falle fand der zweite Trupp alle Rastplätze abgenagt und abgefressen bis zum letzten dürren Hälmchen. Selbst bei einem so unglaublich raschen Wachstum, wie es im Dschungel der Fall ist, dauert es dennoch drei bis vier Wochen, ehe wieder genügend Laub auf den Bäumen nachgewachsen ist,
um Futter dicht beim Rastplatz zu finden.
So geschieht es, dass, wenn am Abmarschort zwei oder gar mehr Karawanen eintreffen, jede einzelne Karawane alle möglichen Tricks anwendet, um der nächsten Karawane vorausmarschieren zu können.
Weil aber keine Karawane hinter einer anderen um einen oder zwei Tage zurückbleiben will, des grünen Futters wegen, darum sind alle Karawanen am selben Tage frühmorgens um drei Uhr abmarschiert, und kein Trick, sei er auch noch so geschickt ausgedacht, hilft, um die eigene Karawane mit einem Tage Vorsprung marschieren zu lassen. Darum hatten sich hier alle Karawanen in diesem großen Trupp zusammengefunden, und alle marschierten am gleichen Tage ab.
Die Rastplätze sind nicht nach der Willkür von den ersten Karawanen, die hier marschierten, gewählt worden.
Ein Rastplatz muss zuerst einmal Wasser haben, oft ist es nur ein Regentümpel, übrig geblieben vom letzten Regen. Wasser ist nicht überall im Dschungel.
Der Weg ist über große Strecken hinweg so sumpfig, dass es schwer für die Tiere ist zu marschieren.
Hier ist keine Stelle zum Rasten, noch weniger zum Übernachten. Meilenlange Strecken sind so felsig und so gebirgig, dass auch dort kein Rastplatz ausgemacht werden kann. Andere lange Strecken sind aus allerlei Gründen verpestet von Moskitos, andere von großen Pferdefliegen. Kein Mensch und kein Tier vermag hier zu rasten. An den meisten Stellen ist der Dschungel so dicht, dass nur ein schmaler Pfad offen bleibt zum Marschieren, der natürlich nicht genügt, um hier zu rasten.
Die Rastplätze sind klug verteilt worden von jenen erfahrenen Karawanenführern, die hier zuerst gereist sind. So sehr lange ist das nicht her. Einige dieser Karawanenführer, die jene lange Reise nach den Monterias durch den Dschungel zuerst unternahmen, sind noch am Leben. Es ist kaum vierzig Jahre her. Und jene Pioniere kannten ihre Tiere; sie wussten, wie viel sie ihnen aufladen konnten und wie weit jeder Tagesmarsch gehen musste und wie weit er gehen konnte. Darum ist von jedem Rastplatz zum nächsten ein Tagemarsch für beladene Tragtiere. Weil aber der Weg an einzelnen Strecken infolge von Sümpfen und felsigen Bergen schwieriger zu marschieren ist als an anderen Strecken, so liegt der eine Rastplatz, nach der Entfernung gemessen, vielleicht näher als der andere. Aber die Marschdauer von dem einen Rastplatz zum nächsten ist so ziemlich die gleiche. Sie schwankt zwischen sechs und acht
Stunden.
Diese so beschränkte Verteilung der Rastplätze im Dschungel hat aber auch zur Folge, dass ein flüchtiger Arbeiter nicht entwischen kann. Wenn seine Flucht bemerkt ist und der Jäger, der hinter ihm her ist, ein Pferd hat, so kann der Flüchtling nicht entkommen. Im Dschungel nicht. Außerhalb des Dschungels ist es leichter. Aber im Dschungel ist er an einen bestimmten Pfad und an bestimmte Rastplätze gebunden. Wer den Dschungel kennt, weiß das.
Hatten die Karawanen, die sich dem Transport anschlossen, Nachteile für die Agenten, so hatten sie aber auch wieder ihre Vorteile.
Die Händler und die Muletreiber jener Karawanen waren keine angeworbenen Mahagoniarbeiter. Sie waren Ladinos, einige der Muletreiber konnte man vielleicht halbe Ladinos nennen. Und diese Leute vergrößerten den Generalstab und das Offizierskorps der Agenten. Sie waren in jeder Hinsicht eine Art
von Miliz oder Hilfspolizei. Denn sollte es geschehen, dass unter den Massen der angeworbenen Burschen eine Meuterei ausbrach, so waren die Händler und deren Muletreiber eine gute Waffenhilfe für die Agenten. Die Händler wie auch die Führer, der Karawanen trugen Revolver im Gürtel, und einige der
Händler und deren Helfer hatten außerdem noch Jagdgewehre bei sich. Aber weder diese Agenten hier noch irgendwelche andere Agenten, die Leute nach den Monterias führten, stellten je die Möglichkeit einer Meuterei in Rechnung.
Während der zwanzig Jahre, seit in jenen Regionen die Ausbeute der Edelhölzer betrieben wurde, hatte sich nur eine Meuterei ereignet. Diese Meuterei war der Grundstock der vielen Erzählungen schauerlicher Art, mit denen sich die Händler und Agenten die langen Abende vertrieben, wenn sie auf ihren Reisen
durch die Dörfer und Fincas waren und mit den Finqueros und Rancheros nach dem Abendessen im Portico saßen, rauchten und sich in Schaukelstühlen wiegten oder in Hängematten rekelten.
An den Lagerfeuern auf Reisen durch den Dschungel wurden meist solche Erzählungen vermieden.
Sie wurden vielleicht gelegentlich erwähnt, aber jeder beeilte sich, rasch auf eine andere Geschichte zu kommen, die sich zugetragen hatte in Gegenden, die weiter entfernt lagen, unter Umständen, die denen nicht so sehr ähnlich waren, unter denen sich die Männer, die am Feuer saßen, gerade befanden.
Wurden diese Geschichten an den Lagerfeuern im Dschungel erzählt, ebenso wie jene zahlreichen Geschichten, in denen Tiger Kinder und schlafende Erwachsene nachts vom erloschenen Lagerfeuer weggeschleppt hatten, so berichteten die Erzähler die Geschichten klar und eindeutig, wie sie sich
wirklich zugetragen hatten. Hier schwindelte niemand, und jeder vermied es sorgfältig, zu übertreiben.
Wenn aber jene Geschichten in den Ranchohäusern oder in den Herrenhäusern der Fincas aufgetischt wurden, dann erlebten die Ereignisse eine Erweiterung zu ihren Gunsten. Sie wurden ausgeschmückt, aufgeblasen, geschminkt und bemalt in einer Weise, dass sich jeder fürchtete, vom Tische aufzustehen und allein in den Garten zu gehen, um seine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen.
Ganz so lustig und vergnügt geht es freilich bei den wahren Erlebnissen nicht zu. jedenfalls wurde bei jener Meuterei recht ernsthaft gehandelt.
Don Anselmo Espindola war ein tüchtiger und erfahrener Agent. Er hatte den Auftrag übernommen, zwanzig oder fünfundzwanzig Mann anzuwerben und nach den Monterias zu bringen. Von den Fincas konnte er nur sechs Mann aufkaufen, weil er nicht vermögend genug war, das Geld für die hohen
Schulden anderer vorzustrecken.
Er kam in die Region der Baschajonteken, die in freien Dörfern und unabhängigen Siedlungen wohnen.
Hier brachte er wohl sechzehn oder achtzehn Mann auf, Leute, die aus irgendwelchen Gründen bares Geld benötigten, keine Aussicht hatten, das Geld zu beschaffen, und sich genötigt sahen, sich ein Jahr für die Monterias anwerben zu lassen, wofür ihnen sofort eine bestimmte Summe als Vorschuss ausgehändigt wurde. Don Anselmo konnte nicht auf das Candelariafest warten, um mit großen Trupps marschieren zu können und sich anderen Agenten anzuschließen. Er musste die Leute sofort zu den Monterias bringen.
Zur Hilfe hatte er einen Burschen von etwa fünfzehn Jahren.
Die mehr als zwanzig Indianer, die mehr oder weniger unwillig zu den Monterias zogen, waren infolge der Trennung von ihren Familien in der denkbar schlechtesten Laune; sie gehörten einem unabhängigen Stamme an, von dem bekannt war, dass seine Mitglieder aufsässige, störrische, angriffslustige, streitsüchtige Männer waren. Diese Leute zehn bis vierzehn Tage allein durch den Dschungel zu treiben war eine Aufgabe, die zu übernehmen sich ein gewöhnlicher Mann nicht erdreistet.
Dass Don Anselmo aber diese Aufgabe übernahm, ohne lange darüber nachzudenken, wie es ausgehen könnte, zeigt, dass er ein nicht alltäglicher Mann war; denn er kannte den Weg, kannte die Leute, die er führte, und er kannte deren Ruf und deren Charakter. Er sagte sich: Bekomme ich die Muchachos durch, habe ich ein gutes Klümpchen verdient; bekomme ich sie nicht durch, dann fressen mein Fleisch die Geier, die Ameisen und die wilden Schweine. Nehme ich mir drei Mann mehr zu Hilfe, verdiene ich nichts. Also muss ich allein gehen mit dem kleinen Würmchen von Jungen und sehen, wie es ausgeht.
Die drei Tage Marsch bis zu den ersten Bäumen des Dschungels, bis dort, wo der kleine Rancho lag, der die Reisenden mit den letzten notwendigen Lebensmitteln versorgte, ging es gut.
Verhältnismäßig gut, wie Don Anselmo zugestehen musste. Geölt freilich ging es nicht. Er bemerkte, dass gemurrt wurde, dass die Burschen unter sich stritten, dass nach jedem Rasten am Wege das Aufstehen und Weitermarschieren mit trägen und widerstrebenden Gesten begleitet wurde.
Aber er tröstete sich damit, dass es im Dschungel besser gehen würde. Don Anselmo hatte genügend Erfahrung mit solchen Märschen. Er wusste, dass die Burschen mit ihren schweren Packen auf dem Rücken und unter dem Einfluss ewig gleich bleibender Umgebung, und immer marschierend und rastend
und auf und wieder marschierend, in eine Monotonie verfallen, in einen Zustand, der wie Schlaf oder Hypnose ist, dass sie jegliche Denkfähigkeit zu verlieren scheinen und sich ihr Denken und Sorgen nur um den einen Punkt dreht: Wann wird der nächste Rastplatz erreicht?
Am ersten Tag im Dschungel heiterte sich die Stimmung der Burschen auf. Einer spielte auf einer Mundharmonika, einige pfiffen dazu, zwei kreischten und dachten, es wäre gesungen, hier und dort im Trupp wurde gelacht und ewig geschwätzt.
Am zweiten Tag waren die Leute gleichgültig, am dritten übel gelaunt. Sie sprachen kaum untereinander.
Die Burschen marschierten in langer Linie, Mann hinter Mann. Der Pfad ließ es nicht anders zu.
Don Anselmo hatte zwei Maultiere im Trupp, die sein geringes Gepäck und das des Jungen trugen sowie die Lebensmittel für die beiden und den Mais für sein Pferd, das des Jungen und für die beiden Tragtiere selbst.
Der Junge ritt an der Spitze. Hinter ihm trotteten die beiden Packtiere, und hinter denen ritt Don Anselmo.
Die indianischen Burschen marschierten teils dem Kern des Trupps, also den Tieren, voraus, teils marschierten sie hinter ihnen her.
Zuweilen, etwa zweimal in der Stunde und wo es der Pfad zuließ, hielt Don Anselmo sein Pferd an, stieg ab, zog die Gurte nach, stellte sich gegen einen Baum, zündete eine Zigarette an, stieg dann gemächlich wieder auf und ritt dem Zuge nach. Er tat das, als wäre es einer Laune wegen. Aber in Wahrheit tat er es, um den ganzen Zug zuweilen an sich vorbeimarschieren zu lassen, um zu zählen, ob nicht einer zurückgeblieben sei.
Am vierten Tage war es ungemein heiß. Die Burschen schienen sehr müde zu sein, oder der Marsch fiel ihnen infolge der Hitze und der schweren, feuchten, lastenden Luft im Dickicht besonders schwer.
Beinahe an jedem Bach hockten sie nieder, kühlten ihre Nacken, nahmen ihre Schalen hervor und tranken.
Don Anselmo sagte nichts zu diesem häufigen Rasten. Als sie aber innerhalb zweier Stunden zum dritten Male Rast machten, ihre Packen ablegten und sich zu verweilen begannen, rief er: »He, Muchachos, das geht aber nicht. Wenn wir das so weitermachen, dann erreichen wir heute Nachmittag den Rastplatz nicht, und wir können uns hier in den Morast am Pfade niederlegen.«
Einer der Burschen murrte etwas. Don Anselmo war klug genug, nicht zu fragen, was er meine.
Mehrere der Burschen taten, als hätten sie nicht gehört, was er gesagt habe. Sie rührten weiter lässig in ihren Schalen herum und ließen sich viel Zeit, ehe sie wieder aufzupacken begannen. Das taten sie so umständlich, als wüssten sie nicht, wie aufgepackt würde. Die Mehrzahl der Burschen jedoch beeilte sich,
nahm die Packen hoch und war bereits auf dem Marsche, als die übrigen noch am Bach hockten und ihre Schalen ausspülte.
Als der Marsch nun eine gute Weile fortgesetzt und Don Anselmo zurückgeblieben war, um zu sehen, ob niemand fehle, und als er dann wieder dicht hinter den Packtieren ritt, fiel es ihm auf, dass die Burschen merkwürdig still waren. Keiner sprach, keiner rief dem anderen etwas zu. Alle Burschen waren barfuss.
Darum war ihr Marsch geräuschlos. Das einzige Geräusch, das Don Anselmo wahrnahm, war das Knarren und Knistern des Sattelzeuges seines Pferdes und das Knirschen und Schaben der Packen auf den Maultieren.
Und jetzt, zum ersten Male in seinem Leben, empfand Don Anselmo Furcht. Eine ernsthafte, heftige Furcht. Er hatte allmählich begonnen, darüber nachzudenken, in welcher Lage er sich befand. Durch dieses Nachdenken begann seine Phantasie rege zu werden. Die Phantasie begann zu wuchern. Er stellte sich vor, was alles geschehen könnte und was alles mit ihm gemacht werden würde, wenn die Burschen meutern sollten.
Er zieht den Revolver aus dem Gurt, und während er lässig weiterreitet, prüft er, ob die Kammern gefüllt sind und der Revolver schussbereit ist. Er schiebt den Revolver zurück in den Gurt und zündet sich eine Zigarette an.
Aber die Burschen, die dicht hinter ihm marschierten, hatten die hastige Bewegung nach dem Revolver gesehen. Sie sahen sich an und zogen den Mund grinsend breit. Die hastige Bewegung des Don Anselmo nach dem Revolver hatte ihnen verraten, was Don Anselmo glaubte, für ewig verborgen zu halten: dass er Furcht hatte.
Am nächsten Bach, an dem die Burschen Rast hielten, sagte Don Anselmo nichts. Er ließ die Leute ruhig gewähren.
Eine halbe Stunde später kam der Trupp an ein Flüsschen, das von den ersten Karawanenführern, die hier eintrafen, den Namen Las Tazas erhielt, die Tassen, nach den merkwürdig geformten Gesteinen, die sich hier im Flussbett befinden.
Als die Burschen hier schon wieder alle ihre Packen ablegten und ihre Schalen hervornahmen und so den Anschein hervorriefen, dass sie gewillt seien, eine längere Rast zu halten, wurde Don Anselmo aufs höchste erbost.
Er rief mit schreiender Stimme: »He da, ihr faule Stinkbrut, vorwärts und marschiert, oder wir kommen nicht nach der Monteria bis vier Wochen nach dem Allerseelenfest. Los und Beine, ich werde euch sagen, wo ihr Halt macht!«
Er hatte sein Pferd mitten im Fluss angehalten. Die Tragtiere und der Junge auf seinem Pferde hatten bereits das nächste Ufer erklommen, und sie trotteten gerade hinein in das Dickicht, ohne einen Blick zurück zu tun, Die Tiere hatten kein Bedürfnis zu trinken, denn sie hatten während des häufigen Haltens des Trupps reichlich getrunken.
Don Anselmo kannte Indianer lange genug, um genau zu wissen, wann und wie oft sie trinken müssen, um marschfähig zu bleiben. Der Tag war sehr heiß. Aber der Indianer vermag stundenlang in viel größerer Hitze zu marschieren, ohne nach Wasser zu wimmern. Dass sie tranken, wann immer sie an ein Wasser kamen, hätte Don Anselmo ihnen so wenig verboten, wie er es seinen Pferden und Mules verbot.
Was ihn zur Wut brachte, war, dass die Burschen in den letzten drei Stunden an jedem Wässerchen eine solche Rast gehalten hatten, wie sie nur zweimal während eines Marschtages getan werden kann, wenn die gesteckten Rastplätze für die Nacht erreicht werden sollen.
Ein Baschajonteke, der auf einem jener Gesteinsgebilde im Wasser saß, schrie ebenso gellend, wie Don Anselmo geschrieen hatte: »Du gotteslästerlicher Hund von einem erbarmungslosen Teufel, du verbietest armen sterbenden Indianern einen Schluck Wasser, das uns von Gott hier an den Weg gebracht wurde. Zur Hölle und zu den Schlangen sollst du fahren, du Heidensohn einer Hure.« Dass ein Indianer, ein Peon, jemals so etwas zu einem Ladino hätte sagen können, würde Don Anselmo nie jemand geglaubt haben. Selbst wenn ein Indianer sinnlos betrunken sein sollte von dem elendsten Aguardiente, den eine unlizenzierte Branntweinfabrik in Jovel hätte ausquetschen können, so würde er etwas derartiges nicht sagen, nicht zu einem Ladino. Aber die Baschajonteken waren ja keine Peones, sondern Männer aus einer
unabhängigen Indianergemeinde.
Es durchfuhr Don Anselmo, dass Branntwein im Trupp sein musste. Auf andere Weise war das Verhalten der Burschen nicht zu erklären. In den ersten zwei Tagen auf Märschen war gewöhnlich Branntwein in den Packen. Aber die Leute machten so tüchtig und so unberechnend Gebrauch davon, dass am Abend
des zweiten Tages selten noch so viel übrig geblieben war, dass es zum Betrinken reichte.
Aber ob einige Burschen betrunken waren oder nicht, das kam jetzt nicht in Frage. Die Stimmung war geschaffen, und Don Anselmo wusste, dass es eine Meuterei war.
Der Junge war mit den Tieren nun schon ein gutes Stückchen voraus. Für einen Sekundenhauch dachte Don Anselmo, den Jungen durch einen Pfiff zurückzurufen. Aber zugleich kam Don Anselmo der Gedanke, dass er besser daran täte, den Jungen ruhig marschieren zu lassen; denn wenn der Junge
zurückkäme, würde auch er noch mit erschlagen. Und Don Anselmo betrachtete das als ein unnötiges Opfer.
Er war mit seinem Pferde mitten im Fluss, als er den Muchachos zurief, nicht schon wieder Rast zu halten. Da aber Burschen voraus waren während des Marsches und andere zurück, so hatte er in diesem Augenblick Burschen an beiden Ufern. Nicht nur das, es saßen auch mehrere Burschen zu beiden
Seiten auf den Tassen, jenen Steinen im Fluss.
Der Fluss war nicht tief an dieser Stelle, darum war hier die Furt. Das Wasser reichte den Burschen nicht ganz bis an die Hüften. Wenn sie geschickt waren, so konnten sie hier den Fluss überschreiten, ohne sich die Oberschenkel nass zu machen, dadurch, dass sie von einer Tasse zur nächsten Tasse sprangen bis zum gegenüberliegenden Ufer.
Don Anselmo war völlig umzingelt. Das war so rasch gegangen und so unerwartet geschehen, dass er es erst bemerkte, als er nicht mehr entweichen konnte. Jetzt half ihm auch nicht einmal mehr ein kühner Sprung mit dem Pferde. Die Tassen waren so ungleichmäßig im Fluss verstreut, dass, wohin er auch immer mit dem Pferde sprang, um das andere Ufer zu erreichen, das Pferd gestürzt wäre und sicher einen Beinbruch davongetragen haben würde.
Mit einem raschen Ruck hatte Don Anselmo den Revolver heraus. Er dachte nicht daran, den Mann, der das große Maul geführt hatte, zu erschießen. Er wollte überhaupt keinen erschießen. Das würde ihm vielleicht auch nicht viel genützt haben. Er zog den Revolver nur, um ihn schussbereit zur Hand zu haben, um sich die nächsten abzuwehren und vielleicht eines der Ufer zu erreichen, wo er ein Stück weit fortreiten konnte, um wenigstens Zeit zu gewinnen, einen Plan zu entwerfen und abzuwarten, ob nicht die
Burschen vielleicht sich beruhigen würde.
Aber alles vollzog sich anders, als er sich ausrechnete.
Im Augenblick, als er den Revolver zog, bekam sein Pferd einen ungemein heftigen Hieb mit dem Machete über den Schinken gerissen, von einem der Burschen, der mit einem Satz von einer Tasse heruntergesprungen und mit dem Sprung dicht beim Pferde war.
Durch den unerwarteten Hieb, den das Pferd erhalten hatte, bäumte es auf. Weil der Reiter das nicht erwartet hatte, so rutschte er ab und fiel in das Wasser. Da er der Länge nach hineinfiel, so ging er in dem Wasser unter. Er richtete sich auf und schleppte sich auf die nächste Tasse zu. Als er an der Tasse hochkletterte, um auf ihr stehen zu können und von da weiterzuspringen zum Ufer, sprang einer der Burschen von der gegenüberliegenden Tasse herunter, auf dieselbe Tasse hinauf, wo Don Anselmo sich gerade hochzuklimmen versuchte, und hieb ihm den scharfen Machete quer über das Gesicht. Ehe er zu einem zweiten Hieb ausholen konnte, kam ein anderer Indianer vom Rücken her und hieb Don Anselmo einen kräftigen Schnitt in die rechte Schulter. Der Hieb hatte in den Kopf gehen sollen. Hätte er das getan,
wäre der Kampf damit zu Ende gewesen, soweit Don Anselmo beteiligt war. Aber Don Anselmo hatte während des Hinaufklimmens zu der Tasse den Kopf im selben Augenblick auf die Seite gehalten, als der Hieb sauste. Der Hieb in die Schulter hätte gleichfalls sein Ende herbeiführen können.
Aber er trug eine Ledertasche an einem starken, breiten Riemen über der rechten Schulter, und gerade auf die Schulter hatte sich während des Hochklimmens die starke Eisenschnalle geschoben, die das Kürzen und Verlängern des Riemens besorgte. So hatte auch dieser Hieb seine Wirkung verfehlt, und nur ein dünner Schnitt war der Erfolg.
Don Anselmo winselte nicht um Gnade, flehte niemand an, den Vater seiner Kinder und den Erhalter seiner Frau doch nicht zu ermorden. Er war Mexikaner. Ehe die beiden Burschen wieder ausholen konnten, um ihn nun völlig in Stücke zu hacken, hatte er sich mit dem Oberleib völlig auf die Tasse gezogen und mit dem Revolverschaft dem Indianer, der ihm das Gesicht aufgehackt hatte, einen solchen Hieb gegen die Kniescheibe gepflastert, dass der Bursche für den Rest der Woche ungefährlich war. Mit einem Ruck weiter war Don Anselmo nun völlig auf der Tasse. Aber er richtete sich nicht auf. Er wusste, dass er einen der Burschen hinter sich hatte. Er brauchte es nicht zu sehen, denn er hatte ja den Hieb über die Schulter gefühlt. Sobald er sich auf die Tasse gezogen hatte, drehte er sich in einem kurzen, raschen Schwung um, und mit dem schwerbespornten Stiefel stieß er den Burschen, der schon wieder den
Machete hoch hatte, so nachdrücklich in die Eingeweide, dass der Bursche sich mit einem Aufschrei zusammenkrümmte, von der Tasse stürzte und sich im Wasser herumwand wie ein angeschossener Alligator. Auch er war für den Rest der Woche zu nichts zu gebrauchen.
Die Indianer haben wenig Organisationstalent. Das haben die Mexikaner von ihnen mit in das Blut bekommen. Darum sind sie ja auch nur die Bewohner von Mexiko, während sie andernfalls die Herren der beiden amerikanischen Kontinente sein könnten.
Und weil auch hier die Baschajonteken kein Organisationstalent bewiesen, so saßen die übrigen, die nicht unmittelbar am Kampfe beteiligt waren, ruhig auf ihren Plätzen und sahen sich den Kampf an, als wäre es eine Komödie im Zirkus. Es war ihnen viel angenehmer, der Komödie zuzusehen, als an ihr aktiven Anteil zu nehmen.
Dieser Mangel an Organisationstalent, der vor vierhundert Jahren die Ursache war, dass Fernando Cortez einer hoffnungslosen und verzweifelten Lage entschlüpfen konnte, war auch jetzt für Don Anselmo der Grund, dass er mit dem Leben davonkam. Nur einer oder zwei der übrigen Leute, die herumhockten und dem Kampfe zusahen, als ob er sie auch nicht das geringste anginge, brauchten aufzustehen, einen Stein zu nehmen und ihn dem Don Anselmo an den Kopf zu werfen. Mit einem Ast, der im Fluss dahinschwamm, hätte der schwächste der Burschen den Agenten erschlagen können. Es brauchte nur einer zu schreien: »Schlagt ihn doch schon endlich tot, den Hurenhund!«, und die Burschen wären alle über ihn hergefallen.
Aber niemand tat etwas gegen Don Anselmo. Die beiden, die am wütendsten gewesen waren, hatten jetzt mit sich selbst zu tun. Sie dachten nicht mehr daran, einen zweiten Angriff zu versuchen.
Und bei allen Burschen setzte sich rascher und rascher das alte Gefühl der Unterwürfigkeit, des Gehorsams und des Respektes gegenüber dem Ladino in die Hirne. Sie wurden ganz demütig, und Don Anselmo hätte sie nun alle, selbst die Angreifer, mit dem Zeigefinger heranwinken können, und sie wären gekommen.
Obgleich Don Anselmo fühlte, dass er die Situation durchaus wieder in der Hand hatte, dass er den Trupp jetzt sicherer zur Monteria bringen würde als vorher, so war er doch nicht fähig, das entfallene Kommando wiederaufzunehmen.
Der Hieb, den er mit der Machete über das Gesicht bekommen hatte, brachte ihn nieder. Die Stirn war aufgespalten, die Nase war geborsten, und die Backe klaffte bis ins Kinn hinein offen, so dass die Zähne frei lagen. Das dicke Blut strömte ihm über das Gesicht, dass er nichts sehen konnte. Er badete sich im
Fluss das Gesicht, aber das Bluten ließ nicht nach. Wie ein sterbendes Tier schleppte er sich zum Ufer. Er wäre jetzt nicht mehr fähig gewesen, sich zu wehren.
Als er sich am Ufer hochgezogen hatte, begann er sein rotgeblümtes Taschentuch ins Wasser zu tauchen, sich damit das Gesicht abzuwaschen und das Tuch auszuwringen und abermals das Blut abzuwaschen.
Medizin irgendwelcher Art oder Verbandzeug auf eine so gewöhnliche Reise mitzunehmen würde einem Mexikaner nur lächerlich erscheinen. Er würde sich schämen, es herauszuholen, auch wenn er es mit sich hätte, weil vielleicht seine Frau es ihm in die Satteltasche gesteckt hat. Mit Sicherheit würde er es in den Fluss werfen, sähe ihn jemand. Verflucht noch mal, er ist doch kein altes Weib.
Während der Revolution schnitten sich die mexikanischen Soldaten und Offiziere gegenseitig mit ihren Taschenmessern oder Macheten ihre zerfetzten Gliedmaßen ab, lachten dabei, rissen Witze und verzogen keine Miene. Es hätte ihnen nichts anderes geholfen; denn bei den meisten Revolutionstruppen gab es weder Ärzte noch geübte Krankenpfleger, noch Verbandzeug, noch Chloroform. An solche Dinge denken mexikanische Soldaten und Offiziere zuallerletzt, weil es überhaupt nur europäischer Unfug ist. In einer Revolution siegt man oder stirbt man, alles andere ist unwichtig.
Der Agent, gehasst von allen Burschen, erstens, weil er Agent ist, und zweitens weil er den Leuten nicht jeden Tag zwei gebratene Hühnchen und eine halbe Flasche Branntwein für den Weg gibt, hockt auf dem Rand des Ufers, durch und durch nass, seine klaffende Wunde im Gesicht mit einem Baumwollhalstuch
waschend und kühlend. Er ist völlig hilflos und wehrlos; infolge des Kampfes ist er ermüdet und hat auch nicht den geringsten Willen mehr, irgendwelchen Widerstand zu leisten, falls er nochmals angegriffen werden sollte; denn es fehlt ihm die Kraft, weil der Blutverlust, den er hatte und noch weiter hat,
körperlich und zugleich seelisch schwächt. Mit einem nassen Lappen könnte einer der Burschen ihn jetzt angreifen, und der Mann würde umfallen wie ein morscher Baum.
Ringsherum, auf beiden Ufern und auf den Tassen im Fluss, hocken die Sieger. Einige beschäftigen sich an ihren Packen, andere picken sich Sandflöhe aus den Fußsohlen oder suchen ihre Beine, Arme und nackten Oberkörper nach jenen ungemein feinen Stacheln ab, die sich im Dschungel von den Pflanzen abstreifen und die man kaum sehen kann, ihrer Feinheit wegen, und die dennoch so sehr schmerzhaft und belästigend sind. Um die beiden Burschen, die Angreifer, von denen der eine sich die Kniescheibe und der andere den Bauch massiert, kümmert sich niemand.
Die Sieger hocken da, unentschlossen in jeder ihrer Gesten, unentschlossen in ihren Gesprächen, die sie sehr leise führen, als wollten sie vermeiden, dass jemand erwache, und unentschlossen selbst in ihren Blicken, die sie gelegentlich auf Don Anselmo richten. Sie sind die Sieger, und nun wissen sie nicht, was sie mit dem Siege anfangen sollen. Sie können zurückgehen in ihre Dörfer, niemand hindert sie jetzt.
Wenn sie Don Anselmo den Gnadenhieb geben und ihn eingraben, versucht nicht einmal die Polizei, sie wegen Vertragsbruchs einzufangen; denn es ist kein Ankläger vorhanden, der den Antrag stellt. Sie können auch nun alle in die Monterias marschieren, nachdem sie Don Anselmo eingegraben haben. Sie
können freiwillig in die Monterias gehen und hier zu arbeiten beginnen. Da kein Agent da ist, der Ansprüche auf die vorgestreckten Vorschüsse bei der Verwaltung der Monteria erhebt, so erhalten sie nun den vollen Lohn ausgezahlt, und nach zwei Jahren können sie vielleicht eine schöne Summe mit sich nach Hause nehmen. Was aus Don Anselmo geworden ist, braucht keiner von ihnen zu wissen. Sie sind ja nicht seine Schutzgarde. Der Junge, der als Bursche des Don Anselmo im Trupp ritt, hat nichts gesehen, denn er war auf dem Wege voraus. Die Muchachos erzählen, dass auf dem Marsche Don Anselmo eine Herde wilder Schweine sah, dass er ihnen nachsetzte, eines oder zwei zu erjagen, weil es an Fleisch fehlte, und dass die Burschen am Wege einen ganzen Tag und eine Nacht auf ihn gewartet haben, dass er aber nicht wieder aus dem Dickicht des Dschungels hervorgekommen sei. Wahrscheinlich haben die wilden Schweine ihn zu Fall gebracht und ihn dann halb lebendig aufgefressen, oder er ist einem Löwen zur Beute gefallen, der auf einem Baume saß, unter dem Don Anselmo herging, und der Löwe ist auf ihn gesprungen. Oder er ist von einer Schlange gebissen worden und im Dschungel verkommen. Oder eine von dreihundert anderen Ursachen, die im Dschungel den Tod eines Menschen im Gefolge haben können, hat sich begeben.
Aber die Burschen hocken unschlüssig da, freuen sich im stillen, dass der Agent seine Prügel bekommen hat und nun einsehen wird, dass er nicht wie ein Despot über sie verfügen kann. Und mit dem Bewusstsein, dass sie, wenn sie wollen, selbst einen Ladino unter ihre Füße bringen können, geben sie sich zufrieden. Mehr wollen sie nicht. Drei Burschen, die am selben Ufer sitzen wie Don Anselmo, sprechen miteinander. Dann raufen sie grüne Blätter von bestimmten Pflanzen, die sie sorgfältig suchen, ab und kommen auf Don Anselmo zu.
Als Don Anselmo sie kommen sieht, ergreift er den Revolver, der neben ihm liegt. Er glaubt, dass die Burschen ihm nun den letzten Hieb geben werden, weil sie Äste in den Händen halten. Wenn es auch schon gestorben sein soll, so will er als guter Mexikaner denn doch nicht so ganz geduldig dahinsterben
wie ein kranker Hund. Es sollen wenigstens so viele mit ihm zur Hölle gehen, wie er im letzten Augenblick noch zu treffen vermag.
Er zielt nicht genau, denn seine Hand zittert, der großen Schwäche wegen, aber er hält doch so ziemlich richtig auf die Leute hin, und wenn ein Mexikaner ernsthaft im Sinne hat, jemand zu treffen, dem er Venganza geschworen hat, so trifft er auch dann noch, wenn ihm beide Augen verbunden sind.
Don Anselmo zog ab, aber der Revolver machte nur pfisch. Er zog ein zweitesmal ab, und der Revolver machte diesmal pfaff.
Don Anselmo fluchte sofort grässlich auf die Heiligen, rief den Teufel an und alle Donnerwetter und flehte im selben Atemzuge die Heilige Jungfrau an, alle Munitionsfabriken mit der Pest und mit den schwarzen Pocken und mit Syphilis zu schlagen, weil sie so schlechte Munition machen, dass ein Mexikaner nicht einmal mit seinem Revolver und seinem Patronengürtel ins Wasser fallen kann, ohne sofort wehrlos gegenüber allen seinen Feinden zu werden.
Alle Burschen hatten gesehen, dass der Revolver zweimal nicht losging. Damit war der Agent nun völlig entwaffnet, und die Burschen brauchten nun nicht einmal mehr einen nassen Bindfaden zu nehmen, um Don Anselmo von diesem traurigen Erdendasein zu befreien.
Aber auch jetzt rührten sich die Burschen nicht. Sie blieben hocken und sahen sich das alles interessiert an, wie sich Leute einen Film ansehen, ohne dass es ihnen einfallen würde, in den Geschehnissen des Films mitzuwirken.
Ob Don Anselmo erbleichte, als er sah, dass sein Revolver unbrauchbar war, und gleichzeitig bemerkte, dass alle Burschen es gesehen hatten, lässt sich nicht sagen. Denn sein Gesicht war an jenen Stellen, die dem Hiebe nahe lagen, von Blut gerötet, und die übrigen Teile des Gesichts und des Nackens waren infolge des Blutverlustes so bleich, dass sie auf keinen Fall bleicher werden konnten, auch wenn Don Anselmo sich erschreckt haben würde. Sicher darf man annehmen, dass er einer solchen Kleinigkeit wegen nicht erbleichte.
Ohne auch nur den geringsten Anschein zu erwecken, dass irgend etwas mit dem Revolver nicht in Ordnung sei, schwang er geschäftsmäßig die Trommel heraus, stieß die Patronen aus, schleuderte sie mit weiteren Flüchen auf die Munitionsfabrikanten in den Fluss, zog dann neue Patronen aus dem
Patronengürtel und schob sie in die Trommel. Er schloss die Trommel, warf den Revolver hoch, so dass er zweimal in der Luft überkugelte, fing ihn geschickt am Schaft wieder auf und steckte ihn nun mit einem energischen Ruck in den Gurt zurück. Er wusste, dass durch diese theatralische Handlung der Revolver auch nicht um ein Pulverblättchen nützlicher geworden war, denn die Patronen im Gürtel waren ebenso zerweicht, wahrscheinlich viel nasser als die Patronen, die zum Teil wenigstens von der Trommel geschützt waren. Er nahm an, dass die Burschen, die nur Vorderlader kannten und nur Vorderlader gebrauchten, wenn sie jagen gingen, nicht wissen würden, dass die Patronen aus dem Gürtel um nichts brauchbarer seien als die, die er in den Fluss geworfen hatte. Es war eine Kriegstaktik, die sehr alt ist, die aber Kriege gewinnen und Revolutionen in größerer Zahl verlieren ließ, als Geschichtsschreiber mitgeteilt haben.
Die Burschen, die auf den Agenten zukamen, waren stehen geblieben, als er den Revolver zog. Ob aus Mut oder aus Gleichgültigkeit oder weil sie wussten, dass ein Fortrennen nicht immer hilft gegen herumfliegende Revolverkugeln, war nicht zu sagen.
Dass der Revolver nicht losging, machte auf sie keinen Eindruck. jedenfalls zeigten sie sich nicht erstaunt.
Sie ließen Don Anselmo ruhig laden, während sie dort stehen blieben, wo sie waren, als Don Anselmo den Revolver hochnahm.
Als er den Revolver in den Gurt zurückgeschoben hatte, sagte der eine von ihnen, laut rufend:
»Patroncito, wir wollen Ihnen ja nur die Yerbas buenas, die heilkräftigen Blätter, bringen, um sie auf die Wunde zu legen, damit das Bluten aufhört, sonst bluten Sie sich hier ganz aus, Patroncito, liebes Herrchen.«
»Bueno, bueno, muchachos«, sagte Don Anselmo, während er das Halstuch im Wasser auswrang, »bringt die Yerbas her, werde sehen, ob sie gut sind.«
Wie alle auf dem Lande lebenden Mexikaner, die im steten Verkehr mit der indianischen Bauernbevölkerung leben, hatte er mehr Zutrauen zu der Heilkraft der Yerbas, die die Indianer gebrauchten, als zu den Medizinen in den Flaschen, Pulvern und Pillen.
Die Burschen kamen heran. Sie nahmen Steine, tauchten sie ins Wasser, damit sie abgewaschen würden von Erde, und dann stampften sie die Blätter und dünnen Zweigchen zu einem Brei. Sie halfen Don Anselmo, den Brei auf die Wunde zu legen, und dann halfen sie ihm, das rotgeblümte Baumwolltuch fest
darüberzubinden.
Als er verbunden war, drehte er sich um nach links und nach rechts und sagte: »Gottverflucht noch mal, und wo ist denn der verfuckte Hurensohn von einem Chivo, dieser elende Ziegenbock von einem Pferd hin?«
»El caballito esta detras de las otras bestias ya bien en el camino«, rief einer der hockenden Burschen, »das Pferdchen ist schon weit auf dem Wege hinter den anderen Tieren her!«
»Dann müssen wir ja nun wohl laufen bis zum nächsten Rastplatz«, sagte Don Anselmo, sich schwerfällig aufrappelnd.
Als er stand, taumelte er. Aber er fasste sich, schwankte mit zwei langen, schleppenden Schritten auf einen Baum zu und lehnte sich gegen ihn. Hier schüttelte er sich wie ein nasser Hund. Dann fluchte er erneut auf die Heiligen, auf die Regierung, auf die schlechten Geschäfte, die ihn zwangen, sich einem so gottversessenen Berufe wie dem, armen verschuldeten Indianern Arbeit und Brot zu geben, widmen zu müssen, und dann rief er-. »He, ihr Teufel und Hurenböcke, Cabrones und Diabolos, hat einer von euch Gesindel einen Trago, einen Schluck Branntwein? Her damit!«
Einer der Burschen, die auf den Tassen saßen, rief: »Tengo, patroncito, ich habe ein Fläschchen!«
»Ich hab's doch gewusst, ihr Puercos, ihr infamen Schweine, dass einige den gottverdammten Aguardiente mitschleifen. Dass dich die Heilige Allerreinste Mutter Gottes mit Blindheit und Knochenfraß schlagen möge, du Hundesohn, du gottverfluchter, komm her mit der Flasche!« Der Bursche zerrte die Flasche hervor, eilig sprang er über die Tassen und brachte die Flasche. Sie war noch
halb voll.
Don Anselmo korkte sie auf, roch daran und sagte: »Den hat die alte gemeine Hexe, Dona Emilia, in ihrem Schitthaus gebraut, ohne Lizenz, und was weiß ich, was sie hier alles hineingepisst hat, die alte Sau. Das Gebräu kenne ich. Mich hat nun Nuestro Senor Jesus Christus auch verlassen, dass ich diese Jauche der Dona Emilia hier schlucken muss.« Er sagte das alles nicht, um etwa die Burschen mit Witzen zu unterhalten, sondern er war im Zuge des Fluchens, und wer ihm jetzt in den Weg kam und was ihm in den Weg kam, wurde verflucht, damit er sich die Brust und wahrscheinlich auch die Schmerzen, die nun brennend wurden, abwälzen konnte. Ein sterbender oder schwerverwundeter Krieger oder Revolutionär, der gotteslästerlich flucht, ist des verstehenden Wohlgefallens eines großen Gottes sicherer als der Mann, der nach dem Unterrock seiner Mutter winselt und nach der Salbaderei eines Kaplans.
Stirb oder lebe, aber tue das eine wie das andere nachdrücklich und halte dich nicht bei dem Nebensächlichen auf!
Don Anselmo tat einen mörderischen Schluck. Dann setzte er die Flasche ab, spie die im Munde verbliebenen Reste in weitem Bogen aus und sagte: »Eine so gotteserbärmliche Jauche muss man hier trinken, wenn man kaum auf beiden Füßen stehen kann. Diese alte verhurte Schlutter, gehenkt sollte sie
werden für diese Schittjauche; sie schämt sich nicht, diese Pisse auch noch Comiteco Anejo zu nennen.
Gott wird ihr das schon heimzahlen, der Giftmischerin. Kein Wunder, dass bei einer solchen Jauche die Muchachos Dummheiten machen.«
Darauf setzte er an und zog einen zweiten Schuss durch die Kehle, heftig und ausdauernd wie den ersten.
Dann setzte er ab, spie wieder mit einem Fluch aus, guckte die Flasche an, hielt sie prüfend gegen sich, und als er sah, dass nur knapp zwei Finger breit in der Flasche geblieben waren, reichte er die Flasche dem Burschen, dem sie gehörte, zurück und sagte: »Gracias. Und wenn du dich nicht vergiften und deine Mutter eines Tages wieder sehen willst, dann trinke besser keinen Schluck mehr von diesem Aguardiente.«
»Si, patroncito, ja, Herrchen«, erwiderte der Bursche. Er nahm die Flasche, trug sie zu seinem Packen, packte sie sorgfältig zwischen ein Hemd und eine Hose, damit sie nicht etwa zerbrechen sollte, und riemte seinen Packen wieder zusammen.
»He, komm her!« rief Don Anselmo den Burschen zurück. Er langte in die Tasche, zog sein Geldbeutelchen hervor und sagte: »Hier hast du einen Toston für den Branntwein, den ich dir ausgetrunken habe.«
Don Anselmo fühlte in seiner Hemdtasche nach den Zigaretten. Er zerrte das Päckchen hervor, aber es war nur ein brauner Brei in dem zerweichten und auseinander gegangenen Papier.
»Ich habe Zigaretten, Patroncito«, sagte einer der Burschen, die in seiner Nähe standen. Er hatte keine Zigaretten in Päckchen, sondern nur die losen Zigaretten, die in gewöhnliches Papier anstatt in weißes Zigarettenpapier gerollt sind. Der Tabak ist vorzüglich, aber das gewöhnliche Papier macht ihr Rauchen nicht zum Vergnügen. Don Anselmo nahm die fünf Zigaretten, die ihm der Bursche reichte.
»Ich gebe dir am Abend in dem Parejo, am Rastplatz, ein Päckchen neue, ich habe genügend in den Packen.«
»Gracias, patron«, sagte der Bursche. »Soll ich das Pferd suchen gehen und zurückbringen, Patroncito?«
»Nein, das lasse nur sein, Muchacho. Das Pferd ist bei den übrigen Tieren und weit voraus. Ehe du wieder zurück bist, wird es Nacht sein. Wir werden alle marschieren.«
Don Anselmo zündete eine Zigarette an. Er rauchte mit Behagen, obgleich die Zigaretten verschwitzt waren von dem Schweiß des Burschen, der die Zigaretten in der Uhrtasche seiner Hose trug, wo sie unmittelbar gegen den Bauch des Burschen gepresst waren.
Als Don Anselmo einige Züge getan hatte, rief er: »He, Muchachos, nun aber los, vorwärts, auf den Marsch und gut getummelt. Wir müssen bis zum nächsten Rastplatz kommen, verflucht und verdammt, oder wir schlafen hier wie die wilden Schweine am Wege. Los, los!«
Ohne abzuwarten, ob die Burschen auch wirklich kommen würden, zog er den Hosengurt hoch, zog den Riemen fester an, stülpte den Hut auf eine Seite des Kopfes, weil er der Binde wegen nicht richtig sitzen konnte, und machte sich auf den Weg.
Zu Anfang ging es schlecht. Er schwankte mehrere Male, musste stehen bleiben und sich gegen einen Baum lehnen, um neue Kräfte zu gewinnen. Nach einer halben Stunde ging es besser. Er marschierte nun lustig drauflos. Nicht ein einzigesmal wandte er sich um. Er überließ es ganz und gar den Leuten, ob sie nachkommen wollten oder ob sie die Meuterei vollständig machten und heimkehrten.
Der Rastplatz war so gelegen, dass er auf den üblichen Märschen gegen drei Uhr nachmittags erreicht wurde. Don Anselmo kam zwischen sechs und sieben Uhr an.
Der Junge war ängstlich geworden, weil er niemand von dem Trupp sah. Aber weil der ganze Trupp zurückgeblieben war, meinte er, dass alles in guter Ordnung sei. Es verwunderte ihn nicht besonders, dass das Pferd des Don Anselmo allein angetrottet kam und von den übrigen Tieren, die bereits am Rastplatz waren, mit Schnauben und Prusten begrüßt wurde.
Als dann nach zwei Stunden weder Don Anselmo noch einer seiner Burschen kam, wurde der Junge unruhig. Aber er konnte nichts tun. Wenn er sich auf sein Pferd gesetzt hätte und zurückgeritten wäre, konnten die übrigen Tiere ausbrechen. Dann sagte er sich, dass Don Anselmo ja in Gemeinschaft von
mehr als zwanzig Burschen sei, die, wenn ihm etwas auf dem Wege geschehen sein sollte, ihn auf jeden Fall herbringen würden.
Nach einer Weile unschlüssigen Wartens lud der Junge die Tiere ab, sattelte die Pferde ab, ließ sie sich wälzen, dann nach Gras suchen, richtete das Lager notdürftig unter einem Palmenschutzdach her, zündete endlich das Feuer an und begann, Bohnen, Reis, Trockenfleisch und Kaffee zu kochen. Dann kam Don
Anselmo. Er fiel gegen das Feuer. Der Junge rückte ihm den Sattel heran, damit sich Don Anselmo dagegenlehnen könnte. Dann gab er ihm Kaffee zu trinken.
»Que pasa, Don Anselmo? Was ist Ihnen zugestoßen?« fragte der Junge. Don Anselmo trank den heißen Kaffee, schob einige trockene Tortillas in das Feuer und sagte: »Eh, nichts von Wichtigkeit. Kaum darüber zu reden. Ein paar der Muchachos hatten sich besoffen. Und ich habe eins mit dem Machete über
den Kopf gekriegt. Das ist alles. Du weißt ja, wie das geht. Da ist es dann spät geworden. Und während ich mir das Blut hier abwaschen wollte, da ist das Pferd allein losgegangen. Das ist alles. Es todo.«
Don Anselmo sah hinüber, wo der Pfad auf den Rastplatz traf. Die Burschen kamen an, einzeln, einer nach dem anderen. Es wurde nun rasch finster. Und ehe der letzte der Burschen angekommen war, war die Nacht völlig hereingebrochen.
Auf dem Rastplatz sah man nur die flackernden Feuer und das Hinundherlaufen der Burschen, ohne sie zu erkennen.
Don Anselmo wusste nicht, ob alle Burschen hier waren, ob sie später, vielleicht erst morgen kommen würden. Am nächsten Morgen, lange vor Sonnenaufgang, war das Lager rüstig. Einige der Burschen fingen die verstreuten Tiere ein und halfen dem Jungen beim Aufladen.
Dann wurden alle Feuer ausgelöscht und ausgetreten und mit Erde beworfen. Don Anselmo rief: »Los, Muchachos!«
Er saß bereits im Sattel, und der Junge trieb die beiden Tragmules vor sich her. Don Anselmo folgte hinter dem Jungen. Dann hieß er den Jungen, sobald sie auf dem Wege waren, wieder voranreiten, um den Tieren Führung zu geben, und er ritt hinter ihnen. Sowenig wie er sich gestern am Fluss gekümmert hatte, ob die Burschen kamen oder nicht, sowenig er sich am Abend gesorgt hatte, festzustellen, wie viele Burschen gekommen waren, sowenig bemühte er sich jetzt darum, zu erfahren, wie viele Burschen auf dem Wege waren.
Seine Wunde schmerzte heftig. Er hatte die Binde nicht abgenommen in der Nacht. Sie klebte nun fest, und wenn er eine unvorsichtige Bewegung mit dem Kopfe tat, riss das an der Wunde und erhöhte den Schmerz. Am Abend hatte er die kurze Wunde an der Schulter untersucht. Sie war nur einen Finger lang
und einen halben Zoll tief. Darum legte er keinen Wert darauf, sie war zu unbedeutend.
Der Trupp erreichte die Monteria. Und jetzt fand es Don Anselmo notwendig, die Burschen, die er brachte, zu zählen. Er hatte nur vier verloren. Vier Baschajonteken, von denen zwei jene Burschen waren, die ihn angegriffen hatten. Er ließ sie auch später nicht einfangen wegen Vertragsbruchs. Er betrachtete sie als Verlust, als wären sie auf dem Marsche gestorben. Er sagte, einer der Burschen habe ihm die Wunde mit der Machete versetzt und sei dann desertiert. Die näheren Umstände erwähnte er nicht. Sie kamen aber dennoch mit der Zeit zur weiteren Kenntnis; denn die Burschen erzählten den Vorgang
anderen Burschen.
Die Narbe hat Don Anselmo heute noch; sie ist so kräftig, dass sie niemand übersehen kann und er sie nicht zu verstecken vermag. Wenn jemand nach ihm sucht und ihn nicht kennt, so wird gesagt:
»Der Mann mit dem zerfetzten Gesicht, du kannst ihn gar nicht verwechseln mit einem anderen.«
Don Anselmo ist heute noch Werbeagent für die Monterias. Und ein Dutzend Mal seit jenem Marsche hat er ein halbes Hundert Burschen, nur von einem Jungen begleitet, durch den Dschungel in die Monterias gebracht. Er tut es nicht aus Vergnügen oder aus Abenteuerlust. Aber er hat eine Familie zu erhalten.
Es ist das einzige Geschäft, das er versteht und das genügend Geld einbringt, um seine Familie zu ernähren und zu kleiden.
Immer wenn er glaubt, dass nun das jüngste Mädchen endlich aus dem Schlimmsten heraus sei und er daran denken könne, sich einen kleinen Laden zu kaufen und den Rest seines Lebens ruhig in der behaglichen Nachbarlichkeit einer kleinen Stadt zu verbringen, da sagt seine Frau: »Du, ich glaube, das nächste ist wieder ein Junge.«
Was bleibt ihm übrig? Er muss wieder Arbeiter anwerben und sie zur Monteria führen. Er hängt so gut an seiner Kette, wie die Burschen, die er anwirbt, an ihrer Kette hängen, und wenn er nicht seinen Kopf besser gebrauchen könnte als jene Indianer, die er zu den Monterias bringt, dann könnte es geschehen,
dass er nicht als Werber zur Monteria käme, sondern als Angeworbener. |
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