ZWEITES KAPITEL
Die Araber waren die ersten Händler, die in Hucutsin ankamen. Dann folgten die Spanier, dann die Kubaner, endlich die Guatemalteken. Zu allerletzt, genau besehen mit Verspätung, trafen die mexikanischen Händler ein. Es ist eine Leidenschaft des Mexikaners, nie pünktlich zu sein. Er stirbt nicht einmal pünktlich.
Nur zwei Dinge sind pünktlich in Mexiko: der Beginn der Stierkämpfe und der Grito. Der Grito ist der Freiheitsschrei, der zur Erinnerung an die Ausrufung der Unabhängigkeit Mexikos von der spanischen Krone jedes Jahr am fünfzehnten September von der höchsten anwesenden Autorität in jedem Ort in der ganzen Republik Mexiko und bei versammelten Mexikanern im Ausland ausgerufen wird.
Dieser Grito oder Schrei ist pünktlich, genau elf Uhr nachts am fünfzehnten September eines jeden Jahres.
Die mexikanischen Händler machten sich wohl rechtzeitig auf den Marsch, um zu guter und vorteilhafter Stunde in Hucutsin anzukommen. Aber gerade weil sie ja in ihrem eigenen Lande marschierten, so trafen sie hier einen Compadre an und dort eine Comadre, hier einen Vetter, dort eine Base, da einen Onkel und dort wieder einen Schwager. Hier kamen sie gerade recht zu einer Hochzeit und dort zu einem Namensfeste. Die ihnen angeborene Höflichkeit und die Rücksicht auf ihre Verwandten und Freunde, erlaubte ihnen nicht, an einem Hause einfach vorüberzureiten. Sie mussten von ihrem Maultier oder ihrem Pferd absteigen und ins Haus kommen. Und meist kamen sie nicht aus dem Hause wieder hervor, bis sie eine Nacht darin geschlafen hatte.
Kamen sie dann endlich auf der Feria an, fanden sie, dass die Araber und die Spanier nicht nur die besten Plätze und Stände nach allem Recht und aller Sitte belegt, sondern bereits so viele Geschäfte mit gutem Gewinn gemacht hatten, dass die Kosten der Her- und Rückreise reichlich gedeckt waren.
Die Araber und die Spanier hatten sich schon eine sichere Kundschaft geschaffen, ehe die Mexikaner überhaupt den Ort mit ihren Augen sahen. Das einzige Mittel, das ihnen einfiel, sich von dieser fürchterlichen Konkurrenz zu befreien, war, ihre Deputierten zur Kammer mit Briefen und Besuchen zu belästigen, um verschärfte Gesetze gegen unerwünschte Einwanderer zu schaffen. Dieses Mittel hatten sie freilich nicht selbst erfunden, sie hatten es den Nordamerikanern nur abgeguckt.
Mit den letzten Karawanen mexikanischer Händler, die verspätet in Hucutsin eintrafen, kam auch Don Gabriel Ordufiez an. Don Gabriel war Werbeagent für die Monterias. Eine Monteria ist ein großes Camp in den Dschungeln und Urwäldern Südmexikos und Zentralamerikas, wo die Mahagonibäume gefällt und zu den Strömen geschleppt werden, um mit Hilfe des Wassers der Ströme in den Häfen am Golf von Mexiko und am Karibischen Meer zu landen. Die Aufgabe der Werbeagenten jener Monterias war, die Arbeiter heranzuschaffen, die in den Mahagonicamps gebraucht wurde. Der Agent wurde nicht Arbeiteragent genannt, sondern Enganchador, der Mann mit dem Haken oder auch der Mann, der etwas mit einem Haken heranfischt. Es liegt in dem Wort der Sinn verborgen, dass der Enganchador mit großer Geschicklichkeit, Kunst, Raffinesse, sogar durch Betrug und andere Verbrechen irgend etwas ködert, was er auf gewöhnliche Weise schwer oder gar nicht bekommen könnte. In Anlehnung an die Bezeichnung des Agenten als Enganchador wurde ein Vertrag, den der Enganchador mit den angeworbenen Arbeitern abschloss, Enganche genannt. Obgleich die Arbeit des Enganchadors eine durchaus gesetzlich erlaubte Tätigkeit war, so hatte dennoch das Wort Enganchador den peinlichen Beigeschmack, den man empfindet, wenn man an die Tätigkeit jener Werber denkt, die in früheren Jahrhunderten für die kriegführenden Könige die Rekruten mit deren Willen oder gegen deren Willen anköderten, anhakten und heranschleiften. Man wird nun begreifen, warum das Wort Enganchador in jenen Gegenden Mexikos, wo die verheerende, skrupellose und verbrecherische Tätigkeit der Enganchadores für die Monterias bekannt ist, als eine unerhörte Beleidigung gilt, wenn das Wort gebraucht wird mit der Absicht, jemand, der nicht Enganchador ist, in eine heillose Wut zu bringen.
Don Gabriel hatte sich aber keineswegs darum verspätet, weil er Mexikaner war. Er war ein viel zu geschäftstüchtiger Enganchador, als dass er seine Zeit mit Höflichkeiten vertrödelt hätte, die nichts einbrachten.
Auf seinem Marsche nach Hucutsin war er in vielen Ranchos und Häusern eingekehrt, aber nicht zu dem Zwecke, Grüße und Freundschaftsversicherungen auszutauschen, sondern um die Schar der
angeworbenen Arbeiter zu erhöhen. Es war ihm auch in der Tat gelungen, in den Orten, die nahe Hucutsin lagen, wie Shitalja, Taquinvits und Sibacia, eine Anzahl Indianer anzuhaken.
Die meisten dieser Leute waren verschuldet und ließen sich anwerben, um die geschuldete Summe als Vorschuss zu erhalten. Die übrigen hatte Don Gabriel dadurch gewonnen, dass er ihnen in geschickter Weise die Schönheiten und Herrlichkeiten des Candelariafestes in Hucutsin vorzauberte und ihnen erzählte, was sie dort alles kaufen und wie viel Branntwein sie dort trinken könnten, wenn sie Geld hätte.
Und weil sie natürlich kein Geld hatten, so war er nur allzu bereit, ihnen das Geld sofort in die Hand zu geben gegen die Bürgschaft des Ortssekretärs, dass sie sich am genannten Tage in Hucutsin einfinden würden, um den Enganche, den Arbeitsvertrag, dort vor der Behörde im Cabildo zu bestätigen.
Die Indianer, die zu dem Candelariafest kamen, suchten sich keine Herberge im Orte. Sie würden auch keine gefunden haben; denn alle Räume, Hallen, Porticos und Veranden waren bis zum letzten Winkel besetzt von Pilgern, Rancheros und deren Familien, Viehhändlern und Aufkäufern von Produkten, die
von Indianern auf den Markt gebracht wurde.
Die Händler schliefen mit ihren Helfern auf den Tischen und unter den Tischen und neben den Tischen ihrer Verkaufsstände. Dadurch sparten sie die Ausgaben für Herberge, und gleichzeitig brauchten sie keinen Mann zu bezahlen, der ihre Waren und die Überdachungen ihrer Tische bewachte. Das sicherste Mittel, Diebstähle zu verhindern, war, dass die Händler auf ihren Warentischen und auf ihren Warenballen schliefen, so dass der Zugang zu ihren Reichtümern nur über ihren Leichnam ging. Denn sie alle hatten einen schweren Revolver im Gurt; diesen Gurt lockerten sie zwar etwas für die Nacht, aber sie schnallten ihn nicht völlig los.
Das Geld, das sie am Tage vereinnahmt hatten, trugen sie in einem anderen Ledergurt, den sie auf den nackten Körper schnallten. Dieser Gurt war hohl, so dass man die goldenen und silbernen Geldmünzen hineinfüllen konnte wie in einen Schlauch.
Mit allen solchen Sorgen und Kümmernissen waren die Indianer, die das Fest besuchten, wenig belastet. Sie hatten nicht viel, das ihnen irgend jemand stehlen konnte.
Auch wenn sie im Orte Herberge gefunden haben würden, zogen sie es dennoch vor, auf den offenen Weiden außerhalb des Ortes zu lagern. Hier hatten sie ihre Lagerfeuer die ganze Nacht hindurch brennen, und niemand störte sie. Die Polizisten waren nur tapfer innerhalb des Ortes, wo sie immer nur einige Indianer antrafen, die sie leicht überwältigen und zu irgendeiner
Zwangsarbeit stellen konnten.
Aber außerhalb des Ortes, auf den großen weiten Ebenen, wo Hunderte und Tausende von Indianern lagerten, da wagte sich kein Polizist und keine andere Obrigkeit hin. Und wenn eine Obrigkeit hinkam, vielleicht gerufen, um einen Handelsstreit zu schlichten, so ging die Obrigkeit so vorsichtig mit den Leuten um, als ob jeder einzelne Abgeordneter im Parlament wäre. Der beste Revolver des Bürgermeisters oder des Polizeichefs war hier wertlos in seinem letzten Sinne, das eigene Leben ernsthaft zu verteidigen.
Die Indianer lagen in Gruppen zusammen, je nach ihren Familien und Sippen. Diese Gruppen wieder lagen beieinander nach ihren Stämmen. Während der Dauer des Festes wechselten die Stämme nie den Lagerplatz, den sie einmal bei ihrer Ankunft für sich ausgesucht hatte.
Schon ehe das Heiligenfest offiziell begonnen hatte, was durch eine große feierliche Messe in der Kathedrale des Ortes geschah und nach Beendigung der Messe durch eine zivile Feier vor dem Cabilde, dem Amtsgebäude des Ortes, behördlich genehmigt wurde, trafen in Hucutsin einzeln und in Gruppen
jene Indianer und Mestizen ein, die als Arbeiter für die Monterias angeworben waren und deren Vertrag mit der Woche des Candelariafestes begann.
An jedem Tag, den das Fest voranschritt, kamen dann weitere Gruppen angeworbener Indianer an.
Viele dieser Arbeiter wanderten mit ihren Sippen, denen sie zugehörten. Aber die Mehrzahl von ihnen hatte sich bereits in ihrem heimatlichen Orte von ihren Familien losgelöst. Sie gehörten schon nicht mehr ganz vollberechtigt zu ihren Stämmen. Ihre Interessen waren nicht mehr verknüpft mit den Interessen ihrer Sippen. Sie begannen sich überflüssig zu fühlen innerhalb ihrer Sippe. Darum zogen sie meist ganz für sich allein ihren Weg zu dem Feste, und wenn sie sich anderen Gruppen auf dem Wege anschlossen, so waren das immer Gruppen, die gleichfalls aus angeworbenen Leuten für die Monterias bestanden. Obgleich sie diese Leute gar nicht kannten, vielleicht nie vorher gesehen hatten, so begann sich sofort, sobald sie nur hörten, dass es angeworbene Arbeiter waren, eine Gemeinschaft zu bilden, die durchaus an Stelle jener Gemeinschaft trat, die sie bisher mit ihrer Sippe verknüpft hatte. Instinktiv schlossen sie sich innig der neu gebildeten Gruppe an. Sie fühlten, dass sie für die nächsten Monate oder gar Jahre keine andere Gemeinschaft haben würden, dass sie alle Arbeitskameraden und damit Leidensgefährten waren und dass sie das aufkommende furchtbare Heimweh nur dadurch überwinden konnten, dass sie sich denen anschlossen, die in gleicher Weise versuchen mussten, ihr Heimweh zu ersticken, um nicht kümmerlich zugrunde zu gehen.
Es war durchaus ähnlich, wie Rekruten einander suchen und sich anschließen, die sich im selben Eisenbahnabteil treffen, wenn sie die Order erhalten haben, sich der modernen Sklaverei, dem Militärdienst der zivilisierten Staaten, zu unterwerfen. Sie sprechen mit keinem Worte von ihren Familien, von ihrer trauernden Mutter, von ihrem weinenden Mädchen, von ihrem Berufe. Wehmütig und doch mit der festen Entschlossenheit dessen, der an nichts denken darf, wenn er den Zwang überleben will, reden sie, nur mit halben Gedanken dabei, von den Sachen, die sie eingekauft haben; sie zeigen sich die erworbenen Dinge gegenseitig und beurteilen deren Wert und Preis, bewundern oder benörgeln das, was der andere hat, und reden und streiten, nur um zu reden und zu streiten und mit keinem Sinn an das zu denken, was morgen folgen wird. Die Indianer, die sich in Hucutsin versammelten, um ihren Enganche, ihren Arbeitsvertrag, zu erfüllen, lagerten sich alle auf den steinigen Wiesen, die sich im Osten des Ortes zwischen dem Friedhof und der Stadt hinstreckten. Des felsigen Grundes jener Weiden wegen ist dieser Platz das elendste aller Felder, die sich zu einem Lagerplatz eignen. Darum ist dieser Platz der einzige, der von den Sippen und Stämmen nicht begehrt wird. Und damit beginnt das neue Leben der Arbeiter der Monterias, sich mit dem zu begnügen, was andere übriggelassen haben.
Mit diesem Suchen und Finden des Campplatzes der angeworbenen Caobaarbeiter begannen sich diese Leute endgültig von ihrem Stamm und von ihrer Sippe zu lösen. Sie nahmen den Geruch, die Gewohnheiten, die Art des Sprechens und des Hantierens ihrer neuen Kameraden an.
In diesen Camps ging es, sobald sich nur erst einmal eine Gruppe zusammengefunden hatte, sofort wild zu.
Die Mehrzahl der Burschen war infolge der Trennung von der Mutter oder dem Mädchen in denkbar schlechtester Laune. Hinzu kam, dass sie glaubten, nur durch Wildheit, barsches Reden und rohes Gebaren sei das aufkommende Heimweh zu unterdrücken. Aber instinktiv gebrauchten sie diese forcierte Wildheit auch gleich dazu, sich von Anbeginn an bei allen Genossen in Respekt zu setzen. Dadurch wurde am besten vermieden, dass der eine oder andere hoffen konnte, sich auf Kosten seiner Mitgefährten lustig zu machen oder sie zu bestehlen oder sich irgendwelche Vergünstigungen zu erobern.
Mit dem Aufeinandertreffen dieser Burschen begann sofort der durchaus natürliche Kampf um die Erhaltung des Individuums. Wer nicht von der ersten Minute an hier um sein unauslöschbares Recht zum Leben mit Worten, Gebärden, Fäusten und Messer kämpfte, war für die Dauer seines Arbeitskontraktes als Individuum verloren. Es war nicht nötig, dass er in einem Streit gewann, es kann ja überall nur immer einer von zweien gewinnen, es genügte, wenn er sich von niemand etwas gefallen ließ.
War es ihm geglückt, dem anderen einige heftige Beulen beizubringen und ihm das Nasendach abzudecken, so schadete es nichts, wenn er vom anderen völlig zerschlagen am Boden lag. Die Tatsache, dass er sich hartnäckig verteidigt hatte und den anderen mit gut getroffenen Hieben nicht hatte leer ausgehen lassen, reichte vollkommen aus, dass der andere und alle, die diesem brüderlichen Hader beigewohnt hatten, es sich dreimal überlegten, ehe sie wieder einmal ernsthaften Handel mit ihm anfingen.
Es geschah in den zwanzig Minuten zwischen Sonnenuntergang und dem Eintritt völliger Nacht, dass auf dem steinigen Felde, wo die Urwaldarbeiter lagerten, der junge Indianer Andres anlangte.
Er ging gebückt unter dem schweren Packen, den er, an einem breiten rohen Riemen über der Stirn, auf seinem Rücken schleppte. Das Hemd hatte er ausgezogen, um es vor dem Durchscheuern auf dem Rücken zu schützen. Über dem nackten Rücken trug er ein Antilopenfell, das mit dünnen rohen Riemen am Traggurt befestigt war. Und auf diesem Fell ruhte der Packen.
Andres trug weiße Baumwollhosen. Das rechte Hosenbein war bis zum oberen ersten Drittel des Oberschenkels aufgekrempt. Das linke Hosenbein dagegen war aufgekrempt gleich über dem Knie.
An den Füßen hatte er Sandalen, die aus sehr rohem Leder gearbeitet waren. Auf dem Packen, oben aufgebunden, hatte er seinen Hut. Es war der Hut der Zoquesen, jener Indianer, die im Westen des Staates ihre Wohngebiete hatten. Ein sehr hoher Hut, aus Palmenbast geflochten, oben leicht eingebuchtet in einer ganz merkwürdigen Weise, die ihn aber auf den ersten Blick von jedem anderen ähnlichen Hut unzweideutig unterschied.
Der junge Bursche hatte eine bronzebraune Hautfarbe, dickes, schwarzes, strähniges Haar, das ihm wirr um den Kopf wuschelte. Aber er trug es nicht halblang, quer über die Stirn abgeschnitten wie die Indianer der Fincas und der unabhängigen Dörfer, sondern er trug es kurz geschnitten nach Art der Mexikaner in den Städten.
Diese Tatsache, dass der Schnitt seines Haares nicht übereinstimmte mit seinem übrigen Aussehen und mit der rein indianischen Art, wie er seinen Packen schleppte, war die Ursache, dass alle Burschen, die auf dem weiten Felde lagen, ihre Augen auf ihn richteten. Sie waren dessen gewiss, dass dieser Bursche sich verlaufen und auf diesem Felde nichts zu suchen hatte. Gleich von dem Feuer, das ihm am nächsten lag, schrie einer der indianischen Burschen in der Sprache der Tseltalen herüber: »He, du, Jüngelchen, wo willst du denn hin mit deinem Kattun? Die indianischen Händler haben ihre Stände in der Straße, die von Teultepec geradeaus herunter in den Pueblo führt.«
»Bin ich durchgekommen«, rief Andres, in Tseltal antwortend, »aber ich bin kein Comerciante. Ich gehe nach den Monterias. Und ich vermute, hier ist es, wo sich die Peones alle sammeln für den Enganche.«
»Du gehst auch zu den Monterias?« fragte rufend ein anderer vom selben Campfeuer aus. »Als was? Bist ein Capataz, he, du? Da wollen wir gleich einmal vorher miteinander reden und gut. Morgen ist es vielleicht zu spät, wenn du der Peitscher und Henker bist. Auf dich, Hermanito, mein süßes Brüderchen, habe ich seit einem Jahr gewartet.« Der Indianer war, während er sprach, auf Andres zugekommen.
Jetzt stand er vor ihm, ballte beide Fäuste und rief: »He, du, Schlucker und Aufhänger, 'runter mit deinem Packen. Ich schlage keinem das Maul breit, der eine mächtige Carga auf dem Nacken schleppt.«
Andres ließ sich auf die Knie herunter, zog den Kopf aus dem Stirngurt, schob sich ein wenig vor, um vom Packen loszukommen, und stand dann auf.
Aber ehe er seine Knie ausstrecken konnte, bekam er einen heftigen Faustschlag mitten in das Gesicht.
Er taumelte zurück, schüttelte sich, sprang zur Seite, und eine Sekunde später befand er sich in einem lustigen Kampfe mit dem Angreifer.
Sie schlugen und balgten sich wohl zehn Minuten herum, ohne dass der eine oder der andere als endgültiger Sieger hervorging.
Dann schienen sie gleichzeitig einzusehen, dass beide ihre Prügel davontragen würden und dass darum der ganze Kampf Unsinn sei. Und als sie einmal für eine halbe Sekunde voneinander frei waren, sprangen sie beide gleichzeitig voneinander fort, um reichlich Zwischenraum zu gewinnen.
Das gab Andres Zeit, endlich auf die Begrüßungsfrage des aufgeregten Burschen zu antworten:
»Loco, ich glaube, du bist verrückt oben und unten. Bin kein Capataz, nie ein Capataz gewesen, nirgends, auf keiner Finca und in keiner Monteria. Dass du das weißt, du Burro, du Esel, der du bist. Und nun komm nur heran, in'ijito, mein Herzenssöhnchen. Diesmal kriege ich dich und heftig. Jetzt bin ich drin im
Getümmel.«
»Verdad?« fragte der andere. Er begann nun, spanisch zu reden. »Ist das die Wahrheit? Du bist kein Capataz? Dann setz dich nur hierher. Hier an unser Feuer. Bienvenido, 'miguito, willkommen, Freundchen. «
»Nicht hier«, sagte Andres. »Ich will mir ein Feuer suchen, wo andere Muchachos sitzen, die zu dem verfuckten Hurenknecht Gabriel gehören. Dieser Hundesohn von einem vergewaltigten, notgezüchtigten Coyoten, das ist mein Enganchador.«
»Dann bist du hier in der ganz richtigen vertrauten Häuslichkeit«, mischte sich ein zweiter Bursche, der am Feuer saß, ein. Auch er sagte es in spanisch. »Hier, dieses heimatliche Herdfeuer ist eine volle Gruppe des Weiberschänders Gabriel.
Wie heißt denn sein Apellido, sein anderer Name? Richtig. Ordufiez. Das ist er. Du hast dir da einen feinen Enganchador ausgesucht, Brüderlein. Kinder hat er auch gemordet. Seinen eigenen Bruder hat er an den Pferdeschwanz gebunden und ihn abgeschunden, bis nicht ein Fetzen Fleisch auf dem Gerippe
blieb. Weißt du, was der einmal war? Rück deinen Packen nur hier heran. Ich gieße dir das Wasser über die Hände, damit du dich waschen kannst. Hier, nimm den Kaffee. Kannst dir auch ein paar Totopostles anwärmen. Und nimm dir genügend Frijoles. Wir sind nicht arm. Denke nur das nicht von uns. Wir sind
die Caobafäller. Lustig und zufrieden und singen immer Lieder. Besser: Zieh dir dein Hemd an. Du kühlst zu rasch ab, und morgen hast du die Calentura auf dem Ursch, und wir können dich schleppen. Na, nimm dir nur ordentlich, von dem Fleisch auch. Wir erwischen morgen mehr Hühner, wenn die Leute auf den
Carnival gehen. Ausencio gibt acht auf die Polizisten, die ja überhaupt nur Besoffene suchen, um die Geldstrafen hereinzuzaubern für den Alcalde. Ich drehe den Hühnern den Hals so rasch um, die vergessen darüber ganz und gar zu schreien und quieksen nur wie Mäuse.«
Andres, die Hände unter den verbeulten Kessel haltend, den sein Gefährte hielt, wusch sich, rieb sich die Hände trocken, schüttelte sich das Wasser aus dein Gesicht, spülte sich den Mund aus, spuckte das Wasser in einem weiten Bogen fort und schob dann einige der ihm angebotenen Totopostles an das Feuer.
Gabino, der Bursche, der ihm die lange Rede gehalten hatte, glaubte es der Gastfreundschaft schuldig zu sein, den neuangekommenen Arbeitsgenossen zu unterhalten. Sie sprachen von nun an alle spanisch.
Gabino redete weiter drauflos: »Hier, wir alle, die hier herum ihre Feuer haben, gehören alle zum Enganche, zum Kontrakt, des ausgespienen Gabriel.«
»Ausgespieen?« rief einer der Burschen. »Ausgespieen? Dass ich nicht zerberste vor Lachen. Der ist nicht ausgespieen. Der ist nicht von einer Frau von vorn geboren. Den hat ein Stinktier von hinten ausgebrochen, und es ist nicht einmal stehen geblieben, zu sehen, was es ist. Es ist nur gerannt und gerannt, um weit fort zu kommen und unschuldig zu sein am Jüngsten Gericht an solchem Scheusal.«
Andres brockte sich die gewärmten Totopostles in den Kaffee und sagte: »Wenn ihr alle wisst, was er für ein Schurke ist, warum habt ihr euch denn von ihm einfangen und an den Haken nehmen lassen?«
»Wahrscheinlich bist du ganz und gar freiwillig hier. Du wärest der einzige. Der einzige in der ganzen Welt.«
»Freiwillig bin ich nicht hier«, antwortete Andres.
»Das brauchst du uns nicht zu sagen«, meinte einer der Bursche.
»Nein, freiwillig nicht«, redete Andres weiter. »Der Finquero, bei dem mein Vater Peon Landarbeiter ist, wollte die sechzig Pesos Schulden, die mein Vater bei dem Patron hat, eintreiben. Mein Vater wird nun alt, und der Finquero glaubt, dass mein Vater die Schuld nicht abarbeiten kann und sterben könnte, ehe der letzte Centavo bezahlt ist. Da hat er nun, um sicher zu seinem Geld zu kommen, meinen Vater für die Schuldsumme an Don Gabriel, den Enganchador der Monterias, verkauft. Mein Vater würde die erste Woche in der Monteria nicht überleben, wahrscheinlich würde er nicht einmal den langen Marsch durch den Dschungel aushalten. Da bin ich heimgekommen von meiner Arbeitsstelle und trete in den Kontrakt meines Vaters.«
»Genau, was ich sagte.« Gabino schob lässig einen Ast in das Feuer. »Du bist genauso freiwillig hier wie wir alle.«
Andres drehte sich um und fragte: »Wo ist denn der Muchacho, der mir den Schädel aufkrachen wollte?«
»Du meinst Celso, den Chamulaburschen?«
»Er wird wohl ein Chamula sein, denke ich.«
»Der«, antwortete Daniel, »der ist zum Bach gegangen, sich das Blut abzuwaschen und das Auge zu kühlen, das du ihm schwarz geschlagen hast.«
»Das war nicht meine Schuld«, sagte darauf Andres. »Ich habe nicht angefangen. Er sprang auf mich los wie ein wilder Hund. Ich kenne den Burschen gar nicht. Der muss nicht ganz vernünftig sein im Kopf.«
»Richtig«, antwortete Gabino. »Ganz richtig geraten, in'jito, mein Söhnchen. Der ist nicht völlig beisammen heute. Darfst du ihm nicht übel nehmen, dem Celso. He -«, unterbrach sich Gabino, »wie heißt du denn überhaupt? So, Andres. Ja, wie ich sage, der Celso ist ganz und gar wirr im Kopf seit heute morgen. Das ist eine Geschichte, hijito mio, mein Jüngelchen. Traurig oder lustig. Ganz wie du sie ansiehst.«
Und Daniel sagte: »Ich würde doch nun gern wissen, wie du dich wohl benehmen möchtest, wärest du in der Wäsche, in der Celso ist.« |
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