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Upton Sinclair - Am Fliessband (1948)
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Die Regierungsperiode von Cautious Calvin ging zu Ende. Ein neuer Präsident stellte sich vor. Den >großen Ingenieur< nannte man ihn. Alle Industriebosse unterstützten ihn, auch Henry Ford, und Abner konnte in seiner Zeitung lesen, was sie über ihn sagten. Ja, dachte er, das war genau der Mann, den ein großes Handels- und Industrieland wie Amerika an seiner Spitze brauchte. Der >Neue Kapitalismus< blühte auf wie eine Sonnenblume. Geld konnte man umsonst haben. Der Autokönig gab eines seiner glasklaren Interviews und sagte, heute könne ein junger Mensch nicht mehr durch Sparen, sondern nur durch das Ausgeben seines Geldes reich werden. »Zwei Autos gehören in jede Garage, zwei Hühner in jeden Topf.« Dem stimmte auch Herbert Hoover zu.
Die Shutts waren so eine Familie, die Ford und Herbert Hoover wohl gefallen konnte. Sie besaßen jetzt sogar drei Wagen, seit Hank sich einen sehr schnellen gekauft hatte, mit einer Pistole in der Hosentasche herumfuhr und verschiedene >Sachen< für seinen Boss bereinigte. Ja, es fehlte nicht viel, und sie hätten noch einen vierten Wagen bekommen, denn Tom stellte plötzlich fest, es sähe doch recht billig aus, wenn der Feldläufer einer berühmten Mannschaft auf einem Fahrrad in die Universität fahre.
Aber schon im ersten Jahr der Amtszeit des >großen Ingenieurs< erschien eine Wolke am Himmel. Sicher, sie war nur klein, und Abner Shutt verstand nicht genug von diesen Dingen, als dass er sich Sorgen gemacht hätte. Er sah sie eher ganz gern, da sein Arbeitgeber ihn gelehrt hatte, Wallstreet und den internationalen Banken zu misstrauen, da dort nur Juden saßen. Als er von einem schrecklichen Börsenkrach hörte und davon, dass Milliardenwerte in ein paar Stunden zu einem Nichts geschrumpft waren, sagte er nur: »Geschieht ihnen recht so! Die Kerle haben das Geld ja auch nicht selbst verdient.«
Das mochte stimmen, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass es diese Kerle gewesen waren, die das Geld ausgegeben hatten und damit jetzt aufhörten. Und >diese
Kerle< waren nicht nur Wallstreetspekulanten. Es waren auch kleine Kaufleute der Stadt darunter, sogar Schuhputzer, Sodaverkäufer und Farmer, die der Filiale einer Marklerfirma Aufträge gegeben und so die Hausse mitbestimmt hatten. Überall in Amerika war es so gewesen. Es war die Folge all der schönen Theorien vom Aufschwung und dauernden Wohlstand, den die Zeitungen gepredigt hatten. Wenn es etwas zu gewinnen gab und es gar eine sichere Sache war, warum sollten dann die kleinen Leute nicht auch ihren Teil davon haben? Sollte man Wallstreet alles lassen? Wieso denn?
So hatten die einfachen Leute gedacht, und nun hatten sie sich selbst geprellt. Sie konnten den neuen Fordwagen nicht kaufen, wer ihn aber schon gekauft hatte, konnte die Abzahlung nicht aufbringen. Millionen Menschen zwischen Bangor und San Diego machten diese betrübliche Erfahrung. Das war ein neuer Faktor im Wirtschaftsleben, und es währte lange, bis er überwunden war, und ebenso lange, bis das Großkapital, seine Wirtschaftler und Zeitungsschreiber mit ihm zu rechnen gelernt hatten.
Der erste Krach dauerte nur einige Tage. Man beruhigte sich wieder, war aber doch ängstlich geworden. Präsident Hoover rief die Wirtschaftsführer zusammen, um mit ihnen zu beraten. Die großen Medizinmänner versammelten sich und behaupteten, das Land müsse nur Vertrauen haben. Darin waren sich alle einig. Henry Ford wartete ruhig ab, und als die Krise vorüber war, zeigte er ihnen den Weg. Durch die Zeitungen ließ er verkünden, die Ford-Motor-Company habe so großes Vertrauen in die Zukunft Amerikas, dass sie den Mindestlohn in ihrem Werk auf sieben Dollar pro Tag erhöhen werde.
Eine große Geste! Henry erntete wieder den rauschenden Beifall, den er so gut beim Verkauf seiner Wagen zu nutzen gelernt hatte. Nur ein paar Sauertöpfe wollten beweisen, dass die Preise nahezu um das Doppelte gestiegen seien, seit Ford vor 16 Jahren seinen Minimallohn auf fünf Dollar festgesetzt hatte, dass also der Lohn von sieben Dollar heute weit weniger Wert als der alte habe. Außerdem hatte Ford nicht mitgeteilt, wie viele Leute diesen neuen Lohn bekommen sollten. Nichts konnte ihn daran hindern, Leute auf die Straße zu setzen. Und das tat er auch sofort. Vor dieser Ankündigung hatte er den Mindestlohn von sechs Dollar an 200000 Arbeiter gezahlt. Gleich nach der Ankündigung zahlte er den neuen Mindestlohn von sieben Dollar nur noch an 145000 Arbeiter. Jetzt multipliziere und subtrahiere man und sehe, was Henry Ford tatsächlich für die Vermehrung der Kaufkraft des amerikanischen Arbeiters tat.

John Crock Shutt war Spezialist für Autogenschweißen in der riesigen Maschinenwerkstatt im River-Rouge-Werk geworden. Das war ein neues und ganz wunderbares Verfahren! Verschiedene Autoteile wurden damit zu einem festen Stahlstück zusammengefügt. John war in die Details des Verfahrens vernarrt. Während der Arbeit gab es keine anderen Gedanken für ihn, und in seiner Freizeit sprach er gerne darüber oder las technische Zeitschriften über Stahlherstellung. Jeden Tag erfand man neue Zusammensetzungen, und je mehr man davon wusste, desto höher stieg das Gehalt.
John hatte ein rotbäckiges volles Gesicht, schaute zufrieden drein, und der Wohlstand leuchtete ihm aus den Augen. Er hatte eine elegante junge Frau geheiratet, sie war eine Highschool-Absolventin und stammte aus einer höheren Gesellschaftsschicht, die sie bis dahin von der Berührung mit niedrigeren Klassen ängstlich ferngehalten hatte. Das junge Paar hatte sich ein Haus in einem Viertel gekauft, das sie davor bewahrte, mit Leuten zusammenzutreffen, die nicht 8000 Dollar für ein Heim aufbringen konnten. John und Annabell zahlten monatlich 75 Dollar und die Zinsen. Die Villa zeigte etwas her, war aber nachlässig gebaut, ihre Besitzer würden später beträchtliche Rechnungen für die Reparaturen begleichen müssen. Aber darüber machten sie sich keine Sorgen. Solange die Menschheit Auto fuhr, würden Johns Spezialkenntnisse das Gehalt bestimmen. Dessen waren sie sich ganz sicher.
Die beiden jungen Leute waren in das System des industriellen Feudalismus hineingewachsen. Wenn man es ihnen gesagt hätte, wären sie beleidigt gewesen. Aber es war so. Ihr Denken war in einem Kreis von Anschauungen befangen, der so fest und unverrückbar für sie war wie die Stahlteile, die das Werk zu Millionen anfertigte. Sie lebten in einer Hierarchie, in der gesellschaftlicher Rang sich nach dem Einkommen richtet. Annabell verkehrte mit den Frauen gleicher Gehaltsstufe, vermied sorgfältig jene der niedrigeren Basis und suchte hartnäckig und rücksichtslos Kontakt mit denen einer höheren Stufe. Unter ihr lebten die Sklaven der Industrie, die Massen der Lohnempfänger. Über ihr waren die höheren Angestellten und ganz an der Spitze die großen Bosse - die unsichtbaren, göttergleichen Wesen, von denen alle Welt unaufhörlich schwatzte; jeder Brocken ausgestreuten Klatsches über sie wurde gierig aufgegriffen; man staunte sie an wie Edelsteine.
Fords Weltreich - das war keine Metapher, sondern eine Tatsache; das Wort war keine Redensart, sondern enthielt eine soziologische Analyse. Henry war mehr, als je ein Feudalherr gewesen war; er besaß ja nicht nur die Macht des Geldes, sondern auch die der Presse und des Rundfunks. Er konnte sich seinen Vasallen allgegenwärtig machen. Er war der Herr nicht nur über Speise und Trank, er beherrschte auch ihre Gedanken und Ideale. John war dazu erzogen worden, für Henry Ford zu arbeiten, ihn zu bewundern und ihm alle Ehre zu erweisen. Je mehr John dies befolgte, um so besser ging es ihm. Je besser es ihm ging, um so mehr bewunderte und verehrte er seinen Herren. Nach Johns und Annabells Ansicht war das ein sehr nützlicher Zirkel.
Das gleiche galt für alle anderen Shutts, die versuchten, ihren Weg in jener Welt zu machen, die nur durch die Auto- und Geldkönige von Detroit existierte. Abner und Milly waren die niedrigsten der Lohnsklaven. Sie schnitten Fotografien ihres Königs aus den Sonntagsbeilagen der Zeitung aus und hefteten sie an die Wand. Dort hingen sie wie Ikonen in Russland. Sie waren stolz darauf, dass ihr ältester Sohn eine gehobene Stellung in Henrys Diensten hatte und dass Daisy einen viel versprechenden Buchhalter in Henrys Verwaltung liebte. Sie hofften nur, dass Tommys jugendliche Aufsässigkeit schwinden und eines Tages auch er zu Henrys Anhängern zählen würde. Sie meinten, an allen denkbaren Übeln seien nur die bösen Stellvertreter und Untergebenen schuld, die das Vertrauen des großen und guten Herrn missbrauchten, der streng, aber gerecht und mit Weisheit begnadet war.
Und nebenbei bemerkt - ob du dem Herrn dienst oder gegen ihn aufstehst, dein Leben beherrscht er doch! Daran ist leider etwas Wahres, und es traf auch für Henry Ford Shutt zu, diesen Ausbund an Ungesetzlichkeit, der einem Robin Hood glich, der sich im Sherwood Forest verbarg. Hank machte in seiner hämischen Art über all die Großen seine Glossen und behauptete, sie seien allesamt Diebe und Nichtsnutze wie er selbst. Und überdies, unternahm er nicht des Nachts gefährliche Fahrten, damit sie den Stoff für ihre Cocktailparties bekamen? Hatte er nicht mehr als einmal sein Leben eingesetzt, um ihr Eigentum zu schützen? Henry Ford trank nicht und schenkte in seinem Haus keinen Alkohol aus. Aber die meisten seiner leitenden Angestellten taten es, und Henry brauchte gewiss andere Dienste, wenn er schon nicht trank. Hank würde das schon noch herausfinden, und dann sollte es auch nicht mehr lange dauern, und er würde zur Freude seines Vaters ebenfalls unter dem Banner des Autokönigs dienen.

Wieder gab es eine Krise. Es kamen noch andere, in großen und kleinen Abständen. Das Geschäftsleben in Amerika stockte, versickerte, und dann starb es. Die Leute hörten auf zu kaufen, die Händler widerriefen ihre Bestellungen. Angst griff vom Kleinverkäufer auf den Großverkäufer über, dann sprang sie den Spediteur und die Produzenten an, und endlich ließ sie die Quellen, aus denen das Rohmaterial kam, versiegen. Die Gewinne zerrannen, die Aktienwerte fielen. »Der Markt hat keinen Grund und Boden mehr«, sagten die Börsenmakler, entließen ihre Angestellten und schlossen ihre Büros. Dann gingen sie zu den East-River-Docks hinunter und sprangen ins Wasser oder fuhren mit dem Fahrrad vom Dach ihres Verwaltungsgebäudes.
Die Zeit vom ersten Krach bis zum Gipfel der Katastrophe betrug etwa dreieinhalb Jahre, fast so lange, wie der große Ingenieur an der Spitze des Staates stand. Das ruinierte den armen Herbert Hoover. Er wusste zwar, es war nicht seine Schuld, aber er musste dafür herhalten. Es fiel ihm auch nichts Besseres ein, als den Kongress riesige Summen für seine Freunde und Wohltäter, die Großbanken und Trusts, bewilligen zu lassen, die einst seinen Wahlfonds gefüllt hatten. Der Sinn dieser Maßnahmen war, das Geld langsam bis zu den Verbrauchern durchsickern zu lassen, um die Kaufkraft zu verbessern. Aber was geschah wirklich? Das Geld blieb in den Banken, denen er es gegeben hatte. Sollten sie es etwa ausleihen, solange sie keine Gewinnchance sahen? Wie aber konnte ein Geschäftsmann Gewinn versprechen, wenn er niemanden finden konnte, der Geld hatte, um seine Produkte zu kaufen? Das Ende eines Zeitalters war gekommen.
Die erste und selbstverständlichste Einsparung, die jeder Amerikaner vornahm, der sein Bankkonto zusammenschmelzen sah, war zunächst, dass er seinen alten Wagen weiterfuhr, statt ihn in einen neuen umzutauschen. Die Autoindustrie traf es also zuerst. In Detroit wurden in knapp einem Jahr 175000 Menschen arbeitslos. Die Stadt musste für 40 000 verarmte Familien sorgen und hatte ein Haushaltsdefizit von 46 Millionen.
Natürlich mussten auch die Autofabrikanten ihre Geldreserven verringern, die sie in den Banken aufbewahrten. Doch für die einfachen Leute war es schlimmer: sie mussten ihr Geld Woche für Woche abheben, um über die Runden zu kommen. Eines Abends kaufte sich Abner eine Zeitung, als er von der Arbeit kam. Er hatte die Schlagzeile gelesen - eine Bank war in Schwierigkeiten! Es war seine Bank! Dort hatte er sein Erspartes! Vor Angst bebte er und rannte zu seinem alten Wagen, einem der unzähligen Modelle T, von denen es in jener Zeit noch wimmelte. Schleunigst fuhr er zur Bank. Aber es war natürlich schon Geschäftsschluss, und er konnte nichts tun als dort herumstehen und andere Leute fragen, die ebenso ängstlich waren. Sie wussten genauso wenig wie er.
Ein Bankkrach! Abner hatte dieses große Gebäude mit seinen marmornen Säulen und bronzenen Gittern mit ebenso großem Vertrauen betrachtet wie Henry Ford, die Regierung der Vereinigten Staaten und den lieben Gott, der für seine Zukunft im Himmel sorgte. Alle vier waren doch für die Ewigkeit gemacht und lagen außer- und oberhalb des Blickfeldes eines armen Arbeiters! Jetzt erfuhr er, dass auch seine Bank zusammenbrechen konnte, dass die Regierung ihre Hand darauf legte, dass niemand sein Geld bekam, zumindest in nächster Zeit nicht. Es werde sich schon alles einrenken, meinten die Zeitungen beruhigend. Bemerkungen über derartige Vorfälle schlossen immer mit der Feststellung, Amerika sei ein gesundes Land, und am Ende werde sich alles zum Guten wenden. Man müsse Vertrauen haben!
Schon früh am nächsten Morgen erklärte Abner seine Sorgen dem Vorarbeiter und bat um einige Stunden Urlaub, damit er hingehen und versuchen könne, sein Geld von der Bank zu holen. Die Antwort des Mannes war geradezu >ermutigend<. »Schon recht, Shutt, gehen Sie nur, erledigen Sie ihre Angelegenheiten bei der Bank. Aber vorher lassen Sie sich am besten ihre Papiere geben. Wir brauchen hier nämlich Leute, die nicht von der Arbeit weglaufen. Ich habe übrigens schon längst gesehen, dass Sie das Tempo nicht durchhalten können.«
So erging es ihm, Abner Shutt. Die Tränen liefen ihm die Wangen herunter. Wieder erzählte er die alte Geschichte - wie lange er für den guten großen Lord Henry gearbeitet habe, das waren jetzt 28 Jahre; da sollte ein Mann doch wohl ein kleines Recht auf Rücksicht haben! »Mein Gott, Mister, ich hab 'ne Frau und Familie! Was soll ich jetzt tun?«
Aber der Vormann blieb hart. Für ihn lag der Fall so: Er hatte Anweisung, heute ein Dutzend Leute zu entlassen.
Er hatte schon hin- und herüberlegt, wen er bestimmen sollte. Und da kam nun dieser arme Teufel und lieferte sich selbst ans Messer. Steckte den Kopf heraus, der Kerl, und rums, schon sauste das Fallbeil herab. Ein Boss ist ja auch nur ein Mensch, nicht wahr? Und er sieht weiß Gott nicht gern einen alten Kerl da herumstoppeln, der immer wieder versucht mitzukommen - wie er eine Maschinenreihe, halb so lang wie ein Häuserblock, entlanghastet und immer wieder zurückbleibt, so dass man ihn stets antreiben muss. Wenn ein Werk einsparen muss, so überlässt man das am besten dem Vormann und dessen Lungen! Vor etwa 20 Jahren, in den Tagen des Idealismus, hatte Henry in seinem Werk eine Untersuchung angestellt, und als er herausfand, dass der Prozentsatz alter Leute in seinem Werk geringer war als in der Bevölkerung, hatte er seine Manager angewiesen, sie sollten mehr Arbeit für alte Leute ausklügeln. Aber seitdem hatte die Welt sich verändert. Henrys Werk war jetzt zehnmal so groß und Henry selbst alt. Er überließ seine Sorgen anderen und wollte gar nicht wissen, was sie taten.

Nun lag er also wieder auf der Straße, Abner Shutt. Er war in fürchterlicher Stimmung! Wenn einer der schnellen Wagen, die auf dem Asphalt dahinjagten, ihn überfahren und in die Ewigkeit geschickt hätte, ihm wär's recht gewesen. Er ging zu der geschlossenen Bank, lungerte dort eine Weile herum und unterhielt sich trübsinnig mit anderen, die sich in der gleichen Patsche befanden. Es dauerte nicht lange, da wurden alle Banken in Detroit geschlossen, und 50000 Familien saßen mit den Shutts im gleichen Dreck. Eine Notiz an der Tür besagte nur, die Bank sei auf Weisung des obersten Verwalters der Bundesbank geschlossen. Wollte man mehr wissen, so musste man schon eine Zeitung kaufen, wenn man wenigstens noch soviel Geld hatte.
Mit diesen schlimmen Nachrichten konnte er nicht nach Hause kommen! Er brachte es einfach nicht fertig! Er fuhr zu anderen Autowerken und Fabriken. Häufig fanden nämlich Arbeiter, die man bei Ford hinausgeworfen hatte, bei einer Fabrik Arbeit, die Teile für Ford herstellte. Bei Ford hatten sie sieben Dollar verdient; hier bekamen sie nur zwei oder drei Dollar pro Tag. Das war auch so eine Gemeinheit, die Henry mit seinen Arbeitern trieb. Immer mehr lagerte er die Fertigung von Einzelteilen aus, und das geschah stets unter so harten Bedingungen, dass die Fabrik, die sie herstellte, zur Arbeitshölle wurde. Niemand aber konnte Henry Ford für Löhne verantwortlich machen, die jene zahlten, die seine Polster, Reifen, Tachometer, Scheibenwischer oder andere Teile herstellten.
Keines dieser Werke stellte Arbeiter ein, die meisten hatten Posten aufgestellt, die niemanden bis zum Büro vorließen. »Haben keine Arbeit, Alter!« Woanders standen die Leute auch in langer Schlange an, und Abner sah, dass weit kräftigere Männer ihre Arbeitskraft feilboten. Er war dreiundfünfzig, sein Haar war grau, schwere Sorgenfalten zerfurchten sein Gesicht, sein Gang war kraftlos -kurz, er schied von vornherein aus, er brauchte gar nicht erst zu fragen.
Er musste sich nun zu jenen Leuten halten, die im Winter die Heizungen versorgten, im Sommer den Rasen in Ordnung hielten oder andere niedrige Arbeit taten. Es wurde erwartet, dass man solche Arbeit für einen Dollar oder noch weniger verrichtete. Ständig lungerten Leute vor den Türen der Reichen herum, die bereit waren, jede Arbeit für ein Mittagessen zu verrichten. Die Wohlhabenden ließen das die Arbeitsuchenden deutlich spüren. Man ging zur Bridgeparty oder zu einem Abendessen. Besprach dort die Probleme der Zeit und stellte fest, dass die meisten dieser Arbeitslosen ja gar nicht arbeiten wollten, auch wenn man ihnen dazu Gelegenheit gab.
Die anderen Mitglieder der Familie Shutt - bis auf Daisy - bekamen noch ihren wöchentlichen Lohn. Die hatte gerade geheiratet, und der Abteilungsleiter teilte ihr mit, dass er Anweisung habe, zweihundert Angestellte zu entlassen, und darunter seien alle verheirateten Frauen. Es täte ihm leid. Himmel! War das nicht ein prächtiges Hochzeitsgeschenk, das die Polsterfirma ihr da machte?
So musste Daisy jetzt mit dem Gehalt eines Buchhalters auskommen, der nur zwei Tage in der Woche arbeitete. Aber nicht einmal damit konnte man fest rechnen. Die Notlage des jungen Paares war so groß, dass es bei den Eltern wohnen musste, deren Haus jetzt bezahlt war. Daisy stieg in den kleinen >Coop<, den sie sich gekauft hatten, fuhr den ganzen Tag umher und suchte Arbeit. Als sie endlich begriff, dass es für eine junge verheiratete Frau keine Arbeit gab, annoncierte sie, um ihren Wagen zu verkaufen. Da stellte sie fest, dass sehr viele Leute die gleiche Idee gehabt hatten. Der Markt war mit Wagen überschwemmt. Man musste Tausende gebrauchter Wagen aus Detroit fortschaffen, damit die Wagen nicht ganz auf Null fielen. Schließlich bekam sie 42 Dollar für den Wagen. Für 225 hatten sie ihn sich gekauft.

Hunderttausend Familien des Distrikts waren mit dem gleichen beschäftigt wie die Shutts - nämlich irgendeinen Weg zufinden, um ein paar Cents zu ergattern. Die Ärmsten bettelten um einen Groschen für Brot, die Reichsten versuchten eine Million zu borgen, um eine Bank oder ein Werk zu retten. In diesen Kreisen kam eine neue Mode auf. Früher hatte ein Spekulant oder Finanzmann sich damit gebrüstet, wie viel er bei diesem oder jenem Geschäft verdient hatte. Jetzt brüstete er sich mit seinen Verlusten. Sicher war das eine sonderbare Art von Stolz, aber es war wohl die einzig mögliche.
Sind die Waren knapp, so steigen die Preise, ist Geld knapp, so fallen die Preise der Waren. Abner und Milly grübelten elende Tage und Nächte darüber und mühten sich gemeinsam, die Gesetze der Wirtschaft zu begreifen. Aber da keiner von ihnen irgend etwas von diesen Gesetzen verstand, so konnten sie auch unmöglich begreifen, was mit dem Wert der Häuser, Möbel und Wagen geschehen war. Wenn Abner und Daisy losgingen und irgendeinen Gegenstand verkaufen oder versetzen wollten, so schimpfte Milly stets darüber, dass sie keinen besseren Preis erzielt hatten. Sie war immer so sparsam gewesen und hatte stets auf den Pfennig gesehen. Ständig hatte sie über ihre Kinder geklagt, die mit dem Ausgeben so schnell bei der Hand waren. Und jetzt schien es ganz gleich zu sein, ob man sein Geld gespart oder hinausgeworfen hatte.
Sie konnten auch die Steuern für ihr Haus nicht mehr aufbringen. Sie wollten verkaufen und in eine Mietwohnung ziehen. Aber wie viel konnte man in Highland Park schon für ein Haus bekommen? Henry Ford hatte der Stadt böse mitgespielt, als er sein großes Werk nach River Rouge verlegt hatte, also zehn oder zwölf Meilen weiter. Alle Fordarbeiter hatten versucht, ihre Häuser zu verkaufen, und zwar zur gleichen Zeit. Die Preise waren bis auf Null gefallen. Jetzt waren auch noch zwei Drittel der Bevölkerung dieser Stadt arbeitslos, und man konnte nicht einmal jemanden auftreiben, der einem auf Grundbesitz ein paar hundert Dollar lieh.
Wenn sie nun vermieteten? Das war wohl die beste Lösung des Problems. Sie rückten also näher zusammen und begannen das freudlose Geschäft, an Arbeitern Geld zu verdienen, die selbst durch die Arbeitslosigkeit in die Enge getrieben waren. Manche dieser Leute dachten sich die verschiedensten Tricks aus, um ihren Magen zu füllen und ein Dach über dem Kopf zu erschleichen, wenn auch nur für ein paar Tage. Und Milly war nicht besonders helle im Durchschauen solcher Tricks. Bald also bekamen sie einen jungen Burschen ins Haus. Er hatte zwar Arbeit, aber es dauerte nicht lange, da stellte er Daisy nach, dieser jungen ehrsamen verheirateten Frau, die jeden Sonntag zur Kirche ging. Als sie sich das verbat, wurde er frech und ließ die Familie mit fünfzehn Dollar Mietschulden sitzen.
Der arme alte Tom, der durch seinen Rheumatismus völlig hilflos geworden war, starb im ersten Winter der Depression. Da die Kinder halfen, konnten sie sein Begräbnis noch bezahlen. Aber als die Großmutter ihm ein Jahr später folgte, mussten sie die Demütigung ertragen, dass die Stadt die Bestattungskosten übernahm. Dem Außenstehenden mag das belanglos scheinen. Aber so etwas bricht armen Leuten, die stets nur das ausgegeben haben, was sie auch verdienten, das Rückgrat. Abner musste jetzt vergessen, dass sein zweiter Sohn ein Alkoholschmuggler war. Er sah auch mit an, wie Milly dankbar das Geld annahm, das Hank ihr brachte. Unglücklicherweise hatte sein Geschäft ebenfalls einen >Knacks< bekommen. Die Kunden kauften nur noch die billigen Sorten.
Auch der Football-Betrieb war in Nöten. Die freigebigen >Alten Herren< des Colleges kamen jetzt wie jeder
andere mit Ausflüchten, und der Spielausschuss gab sie an die Spieler weiter. Tommy sei ein guter Feldläufer, niemand habe etwas an ihm auszusetzen, sagte der Ausschuss. Aber es lasse sich jetzt einfach keine angenehme Beschäftigung mehr für ihn finden wie seither. Er müsse jetzt die Heizung versorgen und putzen. Ein halbes Jahr genügte, um seine Ansichten über das Collegeleben gründlich zu ändern, und da seine Eltern nicht einmal wussten, woher sie das Geld fürs Essen nehmen sollten, meinte Tommy: »Ich habe jetzt keine Zeit mehr für Football. Wenn ich schon arbeiten muss, dann auch richtig. Mal sehen, wie sich meine Collegeerziehung bezahlt macht.«

Das blühende und selbstzufriedene Ehepaar John Crock Shutt hatte zwei Jahre lang in seinem gelben zweistöckigen Ziegelbau mit gekacheltem Badezimmer, Zentralheizung und einer Pflegerin für ihre beiden Babies gewohnt. Sie hatten sich verpflichtet, monatlich 75 Dollar plus Zinsen abzuzahlen. Es war einer jener >Michigan<-Kaufverträge, wonach dem Verkäufer der Gegenstand so lange gehörte, bis der volle Preis gezahlt ist. Und jetzt - Annabell war gerade bei den Vorbereitungen für eine Bridgegesellschaft - erhielt ihr Mann Bescheid, dass man seine Fachkenntnisse in der Ford-Motor-Company nicht mehr benötige.
Sie waren in furchtbarer Aufregung, denn es war fast kein Geld im Haus. Und auf Annabells Vater konnten sie nicht zurückgreifen, da es ihn an der Börse erwischt hatte. Etwas Geld konnten sie sich auf Johns Lebensversicherung leihen, aber das reichte bei weitem nicht aus. Sie mussten monatlich etwa 160 Dollar Abzahlungen und Zinsen für das Haus, die Möbel und einen neuen Ford Modell A zahlen.
John setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um irgendeine Arbeit zu bekommen. Er verlangte keine gehobene Stellung, er war bereit zu nehmen, was er bekommen konnte. Unter dieser Voraussetzung erhielt er Arbeit in der gleichen Abteilung im River-Rouge-Werk, aus der er entlassen worden war. Er tat auch fast die gleiche Arbeit. Der Unterschied war nur, dass er statt 325 Dollar im Monat jetzt den Mindestlohn von 6 Dollar pro Tag bekam. Henry hatte ihn herabgestuft. Außerdem arbeitete das Werk nur noch montags, dienstags und mittwochs. Also achtzehn Dollar die Woche!
Die kleine Familie konnte ihren Zahlungen nicht nachkommen, sie musste das Haus aufgeben, für das sie schon 3 800 Dollar bezahlt hatte. Sie musste die Möbel zurückgeben, auch den neuen elektrischen Kühlschrank und den Wagen, der Annabell gehört hatte. John hatte noch einen älteren, mit dem er zur Arbeit fuhr. Sie mussten ihre Habseligkeiten in eine Wohnung eines Zweifamilienhauses bringen und jetzt in der verachteten Nachbarschaft der Arbeiterklasse wohnen. Hier konnte Annabell keinen ihrer Freunde einladen. Statt Bridgeparties zu geben, musste sie nun den Fußboden schrubben und ihren beiden Babies die Nasen putzen. John stand wieder genau da, wo er bei seiner Geburt gewesen war. Ja, die vorige und seine Generation konnten sich getrost die schwielige Hand reichen! Sie hatten es beide nicht weit gebracht.
Kommt die Armut ins Haus, fliegt die Liebe hinaus, sagt ein Sprichwort. Annabell, die so energisch danach gestrebt hatte, die soziale Position ihres Mannes zu verbessern, lenkte jetzt ihre Fähigkeiten darauf, Fehler an ihm zu entdecken. Dem Gesellschaftssystem konnte sie die Schuld nicht geben, dazu wusste sie nicht genug davon.
Sie suchte die Schuldigen in ihrer Nähe und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass ihr Mann seiner Familie Geld hatte zukommen lassen. Das musste aufhören! Dafür wollte sie schon sorgen! Die Verwandten sollten keinen Pfifferling mehr bekommen! Sollte doch der großartige footballspielende Bruder arbeiten! Sollten sie doch sehen, dass sie von ihrem Alkoholschmuggler und Gangster etwas bekamen!
Annabell wusste alles über Hank. Er war wieder einmal verhaftet worden, sein Bild erschien in der Zeitung. Dieses Mal war es eine Wahlsache. Er habe Wähler bestochen, wurde gesagt. Komisch genug war es ja - er arbeitete für einen Kandidaten, der die Unterstützung Fords hatte, ja, man sagte sogar, die Firma halte ihn auch finanziell aus. Was steckte dahinter?
Annabell wusste es nicht. Sie wollte es auch gar nicht wissen, denn sie stand jetzt auch gegen den großen Herrn von Dearborn. Die Shutts konnte er ja vielleicht zum Narren halten, aber sie würde ihm nicht ins Garn gehen. Dass John auf die Straße gesetzt wurde, war doch nur ein verdammter Trick, seinen Lohn zu kürzen, ohne es zugeben zu müssen. So machte man es überall im Werk. Annabell hörte immer wieder davon, und bald gab auch ihr eigener Vater es zu und sagte ihr, er habe Anweisung, es so zu machen. O ja, die großen Kapitalisten wie Henry Ford kümmerten sich nicht ums Geld. Sie arbeiteten nur, weil es ihnen Spaß machte, die Leute mit guten Wagen zu versorgen! »Ich könnte kotzen«, sagte Annabell gar nicht mehr fein, sondern wütend.

Doch auch der Autokönig bekam seinen Teil von der Krise zu spüren. Einst war er der Mann Amerikas gewesen, der auf die größten Gewinne stolz sein konnte; jetzt hätte er mit den größten Verlusten prahlen können. In den Jahren 1924, 25 und 26 hatte er jährlich einen Reingewinn von mehr als hundert Millionen. Die Umstellung des Werkes hatte ihn 1927 um 70 Millionen zurückgeworfen, und im Jahr darauf war es nicht besser. Aber 1929 hatte der neue Ford Modell A 60 Millionen eingebracht. 1930 hatte er noch einmal 60 Millionen dadurch herausgewirtschaftet, dass er Arbeiter entließ und die übrigen noch stärker ausbeutete. So konnte er zunächst die Auswirkungen der Krise vermeiden, 1931 aber dämmte nichts mehr die Flut, die Ford-Motor-Company verlor 53 Millionen, im nächsten Jahr sogar 75 Millionen.
So las man es in den Berichten über Fords Verkäufe. In den letzten drei Jahren, als er noch das alte Modell T herstellte, hatte er fast zwei Millionen im Jahr verkauft, und 1929 konnte er auch nahezu zwei Millionen vom Modell A absetzen. Im nächsten Jahr sanken seine Verkäufe jedoch auf eineinhalb Millionen. 1931 gab er keine Produktionsziffern mehr heraus, aber es war allgemein bekannt, dass der Verkauf seiner Personenwagen auf unter eine halbe Million gefallen war.
Sicher, Henry Ford konnte das besser als jeder andere Industrielle der Vereinigten Staaten durchhalten, da er 300 Millionen bare Geldreserven hatte. Aber wie lange würde diese Depression dauern? Henry stütze Herbert Hoover loyalerweise noch, wenn dieser »Vertrauen, immer wieder Vertrauen« predigte. Aber im stillen gestand er sich ein, dass keiner von ihnen wusste, was in Zukunft geschehen würde. Nur seinem Geld durfte man trauen!
Detroit war nicht nur deshalb so gegen Henry Ford aufgebracht, weil er seine Arbeiter schwer arbeiten ließ
und sie plötzlich auf die Straße warf, es hasste ihn wegen seiner Scheinheiligkeit. Schön und gut, dachte man, er ist Geschäftsmann und will überleben; mag er sich seiner Haut wehren, wenn er kann - aber um Himmels willen soll er doch endlich damit aufhören, uns glauben zu machen, er sei ein Menschenfreund!
Henry wollte, dass die Menschen glaubten, die guten Zeiten kämen wieder. Das würde ihnen das Vertrauen zurückgeben und sie veranlassen, wieder seine Wagen zu kaufen. Gut, das war ein Geschäftstrick, den jeder Kaufmann im Lande verstand und den jeder jederzeit benutzte, sobald er eine Rede hielt. Aber war es fair, wenn Henry Ford folgendes ankündigte: »Weil mein neuer Wagen so ausgezeichnet ist, die Zeiten sich nun ganz bestimmt bessern und die Verkäufe sich mehren, will ich jetzt zehn - bis zwanzigtausend Mann neu einstellen!« War es fair, dass er das von Zeitungen bringen ließ, worauf sich Hunderte armer Teufel von den Notküchen und Obdachlosenheimen aufmachten und nach River Rouge hinüberwanderten? Andere arme Teufel fuhren im bittersten Winter auf offenen Güterwagen herbei - und als sie vor die Tore des Werkes kamen, standen dort Mannschaften des Werkschutzes. Die hatten Gummiknüppel in den Händen und Gewehre auf den Schultern. Sie hielten alle Arbeiter an, die keinen Ausweis hatten. Sie trieben die Ärmsten mit Hieben auseinander, und wenn es zu viele waren, so bearbeitete man sie mit eiskaltem Wasser, das man aus Wasserkanonen gegen sie spritzte. War das fair? Musste man, um sich die Menschen vom Leibe zu halten, die brutalsten Gangster anheuern? War das eine menschenfreundliche Haltung, Mr. Ford?

Vor nunmehr 18 Jahren war Henry Ford als das Vorbild eines Arbeitsgebers ins Licht der Öffentlichkeit getreten, galt er als Führer und Lehrer aller amerikanischen Arbeitgeber. Seither hatte er vier Bücher, die seinen Namen trugen, etliche Dutzend Artikel in Zeitschriften und unzählige Interviews veröffentlicht. Nun war es wohl an der Zeit, einmal zu untersuchen, wie sich seine Theorien bewährt hatten. Die Antwort ist zunächst einmal, dass jetzt Henry Ford der meistgehasste Mann der amerikanischen Autoindustrie war. Wenn einer seiner Arbeiter sich eine >Saturday Evening Post< kaufte und auf einen Artikel stieß, der die idealen Zustände in dem Werk schilderte, so warf er das Blatt auf den Boden und trat mit seinem dreckigen Stiefel darauf.
Jahrelang hatte Henry seinen Leuten erzählt, die Maschine bringe keine Arbeitslosigkeit. Aber bitte! Im River-Rouge-Werk stellten sie immer neue Maschinen auf, es konnte ihnen gar nicht schnell genug mit dem Erfinden und Bauen gehen. Bisher hatten zwanzig Leute ein Teil hergestellt, jetzt erlebten sie, wie die neue Maschine herbeigeschafft und aufgestellt wurde. Einer von ihnen wurde für die Bedienung angelernt und verrichtete nun die Arbeit der zwanzig. Die neunzehn anderen warf man nicht sofort hinaus; scheinbar sollte das nicht sein. Der Vormann stellte sie bei anderer Arbeit an. Bald aber begann er sie zu schikanieren, und die Männer wussten genau, warum.
Und welche lächerlichen Vorwände benutzte man, um die Leute loszuwerden! Neben Abner wohnte ein Kollege, der hatte siebzehn Jahre für die Gesellschaft gearbeitet. Nun hatte man ihm gesagt, er sollte sich seine Papiere geben lassen. Warum? Er hatte seine vor Müdigkeit lahmen Arme ein paar Sekunden vor Schluss der Arbeitszeit ausgeschüttelt. Unten in der Straße wohnte ein junger Mann. Er war als Laufbursche beschäftigt gewesen und hatte sich einmal aufgehalten, um ein Stück Schokolade zu kaufen. Sie hatten tausend nette Richtlinien, wonach die Spitzel einen anzeigen konnten. Ein Vormann hatte mit einem seiner Untergebenen gesprochen; das war gegen die Anweisung; er musste gehen. Zwei Leute hatten während der Arbeitszeit miteinander gesprochen; sie flogen beide raus. Man konnte hinausfliegen, weil man vergessen hatte, seinen Arbeitsausweis in der linken Brusttasche zu tragen, weil man sich zu lange auf der Toilette aufhielt, weil man sein Essen auf dem Fußboden sitzend einnahm, weil man mit Kameraden der nächsten Schicht gesprochen hatte. Beschweren konnte man sich nicht.
War man aber auf Draht und befolgte alle Anweisungen, so warfen sie einen auf andere Art hinaus. »Wir können Sie im Augenblick nicht recht verwenden«, hieß es dann, »aber behalten Sie ihren Arbeitspaß noch. Sie bleiben auf der Lohnliste. Wir benachrichtigen Sie, wenn wir Sie wieder benötigen.« Derart hielten sie ihre Statistiken sauber, aber für den Mann hieß es, dass er nirgendwo sonst Arbeit bekommen konnte. Der neue Boss fragte ja, wo man bisher gearbeitet habe. Er rief das Ford-Werk an, um sich zu erkundigen, und selbstverständlich wollte er niemanden einstellen, der noch auf Fords Lohnliste stand.
Während der Depression war es mit diesen Machenschaften Monat für Monat schlimmer geworden. Die 250 000 Arbeiter im Werk wurden aufs äußerste angetrieben; sie waren am Ende ihrer Schicht halb verrückt. Oft wurde einer auf einer Bahre hinausgetragen, denn die Leute, die man so antrieb, konnten die Maschinen gar nicht mehr bedienen, ohne Unfälle zu verursachen. Über keinen Gegenstand jedoch hatte Henry beredter geschrieben als über die Wichtigkeit der Unfallverhütung. Aber immer wieder wurde seine >Abteilung für Arbeitsschutz<
von seiner >Abteilung für Beschleunigung< an die Wand gedrückt. Es ging das Gerücht um, man habe im Werk täglich einen Toten. Aber Ford hatte ein eigenes Krankenhaus, und Zahlen darüber waren nicht zu bekommen.

Henry Ford war jetzt fast siebzig. Er war der reichste Mann der Welt und die vollkommenste Verkörperung jener Ansichten, die man als >wirtschaftlichen Determinismus< bezeichnet. Er hatte mit so wunderbaren Idealen begonnen, mit soviel Großmut im Herzen, mit so vielen Entschlüssen, die erwarten ließen, sein Leben werde ein gutes sein. Nun war er Milliardär, und sein Geld hielt ihn gefangen wie das Spinnennetz die Fliege. Der mächtigste Mann der Welt zappelte hilflos in der Faust seiner Dollarmilliarde. Sie machte aus ihm etwas, wovon er niemals geträumt hatte. Sie war nicht nur Herr seiner Taten, sondern auch seiner Gedanken, und so war ihm nicht einmal bewusst, was aus ihm geworden war. Er war nicht nur blind für die Wahrheit in seinem Werk, sondern auch für jene in seinem Herzen.
Er hatte das Evangelium der Arbeit gepredigt und sie zu seiner Religion gemacht. Arbeit, Arbeit, das war das Heil der Menschen. Die Produktion aber war der Gott. So hatte der Autokönig nun die wunderbarste Maschine der Welt zur Gütererzeugung - aber sie stand neun Zehntel der Zeit nutzlos herum. Er hatte hunderttausend Menschen dazu erzogen, sich auf ihn, was die Arbeit betraf, zu verlassen. Jetzt musste er etliche Tausend anderer anstellen, um sie sich mit Gummiknüppeln und Gewehren vom Leibe zu halten. Er hatte für das tägliche Brot von einer Million Menschen gesorgt, er hatte sie von sich abhängig gemacht - und jetzt überließ er sie sich selbst. Sie mochten sich in Mansarden, Kellern und leeren Lagerschuppen zusammenpferchen oder in Hütten, die man aus Blech und Teerpappe zusammenflickte, oder gar in Erdlöchern -sollten sie doch überall zusammenkriechen, wenn sie nur Henry Ford nicht in den Weg kamen!
Früher war er schlicht und demokratisch gewesen. Aber seine Dollarmilliarde verlangte, dass er wie ein orientalischer Despot lebte, durch eigenen Entschluss eingekerkert und von Leibwachen umgeben. Er, der früher gern mit seinen Arbeitern gesprochen und ihnen die Arbeit gezeigt hatte, wagte jetzt nicht einmal, ohne Bewachung an seinem Fließband entlangzugehen. Er, der so gesprächig gewesen, war jetzt einsilbig und mürrisch geworden. Seine einzigen Gesellschafter waren Ja-Sager, die alles guthießen, was er äußerte. Fremde traf er selten, denn alle wollten Geld von ihm, und er war der Bettelei überdrüssig. Seine Sekretäre schirmten ihn ab. Er hatte sich zu oft zum Narren gemacht, und sie wussten nie, welchen Unsinn er das nächste Mal sagen würde.
Da lebte er nun in seinem großen steinernen Haus, seinem eigenen Park mit den Bäumen, den Blumen und Vögeln, die er so liebte. Auf sie konnte man sich verlassen, wenn man sie richtig behandelte. Sie waren ganz anders als die niederträchtige und undankbare Menschheit. Kinder, alte Tänze und Fiedelleute, die alte Weisen spielten -solche Dinge beschwichtigten das Gemüt des unglücklichen alten Flivverking. Aber Kinder, die zu seinen Gesellschaften kamen, mussten pausbäckig und fröhlich sein. Niemand durfte die zehntausend hungernden Kinder erwähnen, sie sich in den Notküchen von Detroit drängten! Niemand durfte das traurigste aller Kapitel anschneiden, nämlich die Forderung der Stadtverwaltung, Henry Ford müsse einen Teil der Kosten für die Ernährung der Kinder tragen, da die meisten Eltern erwerbslose Arbeiter der Fordwerke seien. Da Henrys Werke sämtlich außerhalb Detroits lagen, brauchte er der Stadt keine Steuern zu zahlen. Die Stadt aber war der Meinung, das sei ungerecht.
Ja, einst gab es eine ausgezeichnete Verwaltung in der Stadt, nämliche jene, die Henry bezahlt hatte und die ihm zu Willen war. Aber die Leute waren damit ja nicht zufrieden gewesen. Sie setzten Henrys Bürgermeister ab und bestimmten einen nach ihrer eigenen Wahl, einen Iren und katholischen Richter, Murphy mit Namen. Der war nun genau das, was Henry einen Demagogen nannte, einen Fanatiker, einen Schwätzer, all das, was er unter dem berüchtigten Wort >Politiker< verstand. Nun hatte Detroit ja, was es sich gewünscht hatte, und Henry ließ es im eigenen Saft schmoren.
Der demagogische Bürgermeister setzte einen Ausschuss gegen die Arbeitslosigkeit ein, der feststellte, dass die Stadt jährlich 722000 Dollar ausgebe, um die Erwerbslosen der Fordwerke zu erhalten. Der Wohlfahrtsausschuss der Stadt bewies, dass Ford tausende Familienväter hinausgeworfen habe, ohne auch nur einen Finger für ihre Unterstützung zu rühren. Der große Industrieherr und Weltverbesserer verlor den Spaß an seinen Tanzveranstaltungen, und sein Sohn Edsel, der sich sonst nicht um die Geschichten der Zeitungen kümmerte, gab der >New York Times< ein langes Interview, in dem er versuchte, die Anwürfe zu widerlegen. Was war denn das, ein Angestellter der Fordwerke? Und wie lange rückwirkend war denn eigentlich die Gesellschaft für jene verantwortlich, die einmal bei ihr gearbeitet hatten? Es lief darauf hinaus, dass die Gesellschaft die Verantwortung für jene zugab, die erst kürzlich entlassen worden waren. Nun, Abner Shutt war einer davon, und er hätte sich bestimmt recht glücklich geschätzt, wenn er von seinem Brotherrn diese Botschaft erhalten hätte. Aber davon war in der Veröffentlichung nun auch wieder nicht die Rede.

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